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Volker von Prittwitz: Theorie der Zivilen Moderne. Klimapolitik und Multi-Level Citizenship; 28. Januar 2017 1 Theorie der Zivilen Moderne Klimapolitik und Multi-Level Citizenship Volker von Prittwitz 1. Wissenschaftliche Politikanalyse Je genauer wissenschaftliche Aussagen formuliert sind und je größer ihr Geltungsbereich ist, desto leichter lassen sie sich falsifizieren. Bewähren sie sich, haben sie dann aber umso höheren empirischen Gehalt. 1 Dieses Kriterium ist Leitkriterium von Normalwissenschaft im Sinne Poppers und Kuhns - ein ständiger Ansporn wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns und sich daraus ergebender Innovation. 2 Spielt das Kriterium des empirischen Gehalts dagegen nur eine untergeordnete Rolle, so im bisherigen Mainstream der Politikwissenschaft, so bleiben Erkenntnisdynamik und daraus folgende praktische Innovationsanstöße schwach - eine geradezu tragische Ungleichheit angesichts der großen Bedeutung von Politik. Politik unterscheidet sich ohne Zweifel von Gegenständen der Naturwissenschaft. So vollzieht sie sich in jeweils einmaligen historischen Prozessen, hängt stark von subjektiven Interpretationen und Entscheidungen der Beteiligten ab und weist besonders hohe Komplexität auf. Hieraus die Schlussfolgerung zu ziehen, Politik sei eine - wissenschaftlich nicht angemessen erfassbare - Kunst, die bestenfalls in einzelnen Praxisfeldern systematisch analysiert werden kann (Policy-Analyse), geht aber fehl. Denn, wie sich bei genauerem Studium zeigt, lässt sich eine Fülle verallgemeinerbarer Profile politischer Strukturen, Situationsmuster, Interaktionsmuster und Prozesse identifizieren und empirisch überprüfen. In deren Kenntnis wird es nicht nur möglich, politische Strukturen und Prozesse besser zu verstehen; sie können auch modellgestützt simuliert werden - Ausgangspunkt fundierter Politikberatung, auch mit Blick auf Wechselbeziehungen zwischen Politikfeldern und übergreifenden Politik-Strukturen und -Prozessen. Die wissenschaftliche Politikanalyse, ein politikwissenschaftlicher Ansatz, operiert genau mit dieser Perspektive: Vorhandene Analysekonzepte, Typologien und Hypothesen-Sätze (Theorien) systematisch zu ordnen und kommunikativ zu überprüfen, vor allem aber auch weiterführende Vorschläge zu entwickeln, mit denen Politik gehaltvoller verstanden und analysiert werden kann. Hierzu stelle ich in diesem Text zwei Vorschläge vor, 1) einen Vorschlag zur quantitativen Analyse von Klimapolitik, 2) eine Theorie der zivilen Moderne. 1 Karl R. Popper 1934: Logik der Forschung, (3. Auflage, Tübingen: Siebeck 1969), S. 85. https://de.wikipedia.org/wiki/Logik_der_Forschung; 2 Thomas S. Kuhn 1967: The Structure of Scientific Revolutions, University of Chicago Press: https://de.wikipedia.org/wiki/The_Structure_of_Scientific_Revolutions

Theorie der Zivilen Moderne - diberlin.info der Zivilen Moderne 3.pdf · dafür, dass Bound Governance und freie sachpolitische Kommunikation erhalten bleiben. Andererseits agieren

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Volker von Prittwitz: Theorie der Zivilen Moderne. Klimapolitik und Multi-Level Citizenship; 28. Januar 2017

1

Theorie der Zivilen Moderne Klimapolitik und Multi-Level Citizenship

Volker von Prittwitz

1. Wissenschaftliche Politikanalyse

Je genauer wissenschaftliche Aussagen formuliert sind und je größer ihr Geltungsbereich ist,

desto leichter lassen sie sich falsifizieren. Bewähren sie sich, haben sie dann aber umso

höheren empirischen Gehalt.1 Dieses Kriterium ist Leitkriterium von Normalwissenschaft im

Sinne Poppers und Kuhns - ein ständiger Ansporn wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns und

sich daraus ergebender Innovation.2 Spielt das Kriterium des empirischen Gehalts dagegen

nur eine untergeordnete Rolle, so im bisherigen Mainstream der Politikwissenschaft, so

bleiben Erkenntnisdynamik und daraus folgende praktische Innovationsanstöße schwach -

eine geradezu tragische Ungleichheit angesichts der großen Bedeutung von Politik.

Politik unterscheidet sich ohne Zweifel von Gegenständen der Naturwissenschaft. So

vollzieht sie sich in jeweils einmaligen historischen Prozessen, hängt stark von subjektiven

Interpretationen und Entscheidungen der Beteiligten ab und weist besonders hohe

Komplexität auf. Hieraus die Schlussfolgerung zu ziehen, Politik sei eine - wissenschaftlich

nicht angemessen erfassbare - Kunst, die bestenfalls in einzelnen Praxisfeldern systematisch

analysiert werden kann (Policy-Analyse), geht aber fehl. Denn, wie sich bei genauerem

Studium zeigt, lässt sich eine Fülle verallgemeinerbarer Profile politischer Strukturen,

Situationsmuster, Interaktionsmuster und Prozesse identifizieren und empirisch überprüfen.

In deren Kenntnis wird es nicht nur möglich, politische Strukturen und Prozesse besser zu

verstehen; sie können auch modellgestützt simuliert werden - Ausgangspunkt fundierter

Politikberatung, auch mit Blick auf Wechselbeziehungen zwischen Politikfeldern und

übergreifenden Politik-Strukturen und -Prozessen.

Die wissenschaftliche Politikanalyse, ein politikwissenschaftlicher Ansatz, operiert genau mit

dieser Perspektive: Vorhandene Analysekonzepte, Typologien und Hypothesen-Sätze

(Theorien) systematisch zu ordnen und kommunikativ zu überprüfen, vor allem aber auch

weiterführende Vorschläge zu entwickeln, mit denen Politik gehaltvoller verstanden und

analysiert werden kann. Hierzu stelle ich in diesem Text zwei Vorschläge vor, 1) einen

Vorschlag zur quantitativen Analyse von Klimapolitik, 2) eine Theorie der zivilen Moderne.

1 Karl R. Popper 1934: Logik der Forschung, (3. Auflage, Tübingen: Siebeck 1969), S. 85.

https://de.wikipedia.org/wiki/Logik_der_Forschung; 2 Thomas S. Kuhn 1967: The Structure of Scientific Revolutions, University of Chicago Press:

https://de.wikipedia.org/wiki/The_Structure_of_Scientific_Revolutions

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Beide Vorschläge hängen insofern zusammen, als Klimapolitik ein herausragendes Politikfeld

der zivilen Moderne bildet - eine überprüfbare und diskussionsfähige These.

2. Die Vermessung der Klimapolitik

Bislang übliche qualitativ beschreibende Konzepte des Klimapolitik-Diskurses wie Adaptation

(Anpassung) und Mitigation (Milderung) sind nach wie vor hilfreich; sie können aber in

Typologien und Modelle mit höherem empirischem Gehalt eingefügt werden. Siehe das seit

längerem vorliegende, bisher aber in der Klimapolitik-Analyse kaum genutzte Modell der

umweltpolitischen Wirkungstiefe. Demnach lassen sich klimapolitische Steuerungs-Optionen

in Form einer lockeren Wirkungskette modellieren, wobei jede Option eigenständige

Bedingungen enthält und eigenständig aktiviert werden kann (Abbildung 1).

Abbildung 1: Klimapolitische Optionen unterschiedlicher Wirkungstiefe3

Mit diesem Modell werden diverse Handlungsoptionen von Mitigation und Adaptation ins

Verhältnis zueinander gesetzt. Ausgehend davon lassen sich nicht nur lineare

Wirkungsprozesse zwischen den angegebenen Größen in der angegebenen Reihenfolge

empirisch untersuchen; auch Handlungsspielräume jeweiliger Optionen lassen sich

reflektiert untersuchen. Zusammen mit anderen Wirkungskriterien, so Wirkungsbreite/-

dauer, Wirkungsschärfe, Wirkungsgeschwindigkeit, ergibt sich die Möglichkeit, Umwelt- und

hierbei Klimaschutzpolitik nach Sachkriterien systematisch zu vermessen. Hierbei sind

allgemeine Verbundprofile, etwa zwischen Wirkungstiefe, Wirkungsbreite und

Wirkungsgeschwindigkeit, herauszuarbeiten, aber auch spezielle Steuerungs-Möglichkeiten

nach einzelnen Kriterien im jeweiligen Fall.

3 Volker von Prittwitz 1990: Das Katastrophenparadox. Elemente einer Theorie der Umweltpolitik, S. 57,

Opladen: Leske+Budrich. Ders. 2013: Neuer Realismus in der Klimapolitik? Globale Kooperation nach dem Prinzip des bestmöglichen Klimaschutzes http://www.volkervonprittwitz.de/globale_kooperation_bestmoeglicher_klimaschutz.pdf;ers.Erstmals

Bevölkerungs-wachstum begrenzen

Produktion , Konsum, Transport begrenzen

Klimafreundliche Energieträger wählen/Green Economy

Energieeffizienz steigern

Emissions-Filter

Verpressen

Klimasenken erhalten und pflegen

Geo-Engineering

Sich an eingetretene Wirkungen des Klimawandels anpassen

Mittel

Groß

Gering

Wirkungstiefe

Sehr groß

Mitigation (Milderung) Adaptation (Anpassung)

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Eine derartige Vermessung von Steuerungsoptionen wiederum kann mit der systematischen

Analyse politischer Interaktionsprozesse, etwa nach Akteurkonstellationen und

institutionellen Bedingungen, kombiniert werden. So lohnt es sich beispielsweise darüber

nachzudenken, wieweit bestimmte Anpassungsformen an eintretenden Klimawandel

(geringer Wirkungstiefe) bestimmte Steuerungsoptionen mittlerer, großer oder sehr großer

Wirkungstiefe politisch (Akteurkonstellationen/institutionelle Bedingungen) erleichtern oder

erschweren. Umgekehrt fragt es sich beispielsweise, wieweit bestimmte Helfer-Kapazitäten

und Helfer-Interessen, etwa auf mittlerer Wirkungstiefe, andere Steuerungsoptionen

erschweren oder erleichtern.

Tabelle 1: Klimaschutzwirkungen, kurzfristige ökonomische Effekte und Profile politischer

Durchsetzbarkeit von Klimaschutz-Optionen nach Wirkungstiefen

Wirkungstiefe Klimaschutz-Wirkung Kurzfristige ökonomische Effekte

Politisch durchsetzbar?

Gering Gering bis Null Reduzierte Schadenskosten Neue Einnahmequellen

Maßnahmekosten

Relativ leicht

Mittelgroß Mittelgroß Maßnahmekosten Vermarktungschancen

Mittelschwer

Groß Groß Einnahmeverluste Effizienzsteigerung

Stark variierend

Sehr groß sehr groß Überwiegend negativ Sehr schwer

Nach Tabelle 1 zu schließen, sollten sich klimapolitische Konflikte mit wachsender

Wirkungstiefe tendenziell verschärfen. In fallspezifischer Sicht allerdings können hier ganz

andere Konstellationen eintreten, so etwa eine massivere Präferenz zugunsten von

Steuerungsoptionen großer Wirkungstiefe, gefördert durch wachsende Helfer-Kapazitäten

und Interessen auf dieser Ebene (Beispiel Deutschland)… In diesem Rahmen neu diskutiert

werden können auch Steuerungsoptionen mit sehr großer Wirkungstiefe (Limits to Growth,

Kontrolle der Erdbevölkerung).

Ausgehend von einer derartigen politikanalytischen Vermessung wäre eine Fülle analytischer

und praktischer Anregungen zu erwarten. Bereits ein globaler Überblick von Klimapolitik

nach diesen Kriterien erbrächte voraussichtlich einen enormen klimapolitischen Schub.

Besonders anregend halte ich auch die systematische Erforschung klimapolitischer Prozesse

nach ähnlichen Kriterien. Hierfür könnten ausgewiesene Zentren empirischer Forschung und

darauf gestützter Politikberatung, so das Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien

Universität Berlin (FFU) oder das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS),

Potsdam, Impulse geben.

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3. Ein- und mehrdimensionale Politik

Eine wichtige Grundlage wissenschaftlicher Politikanalyse bildet die seit den 1980er Jahren

politikwissenschaftlich eingeführte Differenzierung unterschiedlicher Politikdimensionen.4

Während Policy, Politics und Polity üblicherweise als politikwissenschaftlicher Singsang ohne

theoretische Relevanz präsentiert und behandelt werden, zeigt ein genaueres Studium

dieser Dimensionen ihr großes Theorie-Potential. Dazu gehört die Typologie ein- und

mehrdimensionaler Politikformen.5

Machtpolitik operiert lediglich in der Interaktionsdimension (politics). Politik erscheint

demnach wesentlich als Ringen um Macht oder Ausdruck von Macht - eine besonders

naheliegende Sicht von Menschen bzw. Gruppen, die einseitige Macht ausüben, wie unter

Menschen, die keinerlei Chance zu politischer Beteiligung haben oder sich durch jegliche

Eigenverantwortung überfordert fühlen.

Tabelle 2: Ein- und mehrdimensionale Politikformen

Machtpolitik (eindimensional)

Bound Governance (zweidimensional)

Sachpolitik (dreidimensional)

Interaktion um Interessen und Einfluss

(Politics)

Eigenständig gültige Regeln

(Polity)

Eigenständiger substantieller Diskurs

(Policy)

Institutionell gebundene Koordination (Bound Governance) operiert demgegenüber

zweidimensional, weil hierbei Akteure zwar interagieren, dies aber bei unabhängig

geltenden Regeln, also unter Berücksichtigung einer eigenständigen Polity-Dimension. Dieser

Politik-Typus eröffnet Optionen geschützter Pluralität und Konfliktbewältigung - eine

fundamentale Höherentwicklung von Politik, die allerdings auch höhere Komplexität für alle

Beteiligten beinhaltet.

4 Erstmals diskutiert in dem im November 1984 in Hannover durchgeführten Symposion Zum Verhältnis der

Policy-Forschung/Policy-Studies zu den Kernbereichen des Fachs (Hans-Hermann Hartwich (Hrsg.): Policy-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zu den Grundfragen der Politikwissenschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag.) 5Volker von Prittwitz 2016: Was ist Politik?

http://www.diberlin.info/index_htm_files/PA%203%20Was%20ist%20Politik.pdf What is Political? http://www.diberlin.info/index_htm_files/PA%203%20What%20is%20Political.pdf Bound Governance http://www.volkervonprittwitz.de/bound_governance_031212.pdf; ders: http://diberlin.info/index_htm_files/Governancetypologie.pdf

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Sachpolitik schließlich operiert dreidimensional, weil sie neben Interaktions- und

institutionellen Aspekten eigenständige sachliche Inhalte politischer Programme und

Entscheidungen (Policy-Dimension) thematisiert. Damit vergrößern sich die durch Bound

Governance eröffneten Handlungsspielräume noch einmal, denn nun zählen neben

Institutionen auch Sachaspekte und Sachqualifikation eigenständig - eine weitere

grundlegende Wohlfahrtsvoraussetzung.

4. Zivile Moderne und Mehrebenen-Bürgerschaft

(Multi-Level Citizenship)

Das skizzierte Modell ein- und mehrdimensonaler Politik ist grundlegend für das Verständnis

von Vormoderne, ziviler Moderne und unziviler Moderne.

Vormoderne: Berufe begannen sich bereits in sehr alten Kulturen, so der altbabylonischen

und der altägyptischen Kultur, der Kultur der Kelten oder im alten Griechenland

auszudifferenzieren. Auch Ansätze der Rechtsbildung (Bound Governance) haben sich

zumindest informell schon seit Jahrtausenden entwickelt, so im Alten China, im antiken

Griechenland und vor allem in der Römischen Republik. Dass derlei Entwicklungen die

Qualität von Leben und Politik beeinflussten, konstatierten bereits Platon und Aristoteles.

Letzterer unterschied Ordnungen im allgemeinen Interesse und Ordnungen lediglich im

Eigeninteresse des Herrschers, so insbesondere die Tyrannei von der guten Monarchie.6

Bound Governance-Ansätze und Sachkommunikation existierten in der Vormoderne aber

noch nicht eigenständig gegenüber herrschender Macht. Vielmehr konnten sich die

Menschen nur in engen Grenzen ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Stellung (Sklavenhalter-

Gesellschaft, Kasten-Gesellschaft, Stände-Gesellschaft, patriarchalische Herrschaft) beruflich

entfalten und Rechte wahrnehmen. Denn sie lebten vorwiegend oder ausschließlich in

ethnisch-rassisch, religiös oder/und sozial machtstrukturierten Gemeinschaften. Stießen

diese aufeinander, geschah dies mehr oder minder anomisch. Vormodernes Leben war

dementsprechend entweder machtbestimmt oder aber anomisch, meist eine Mischung aus

beidem. In diesem Sinne haben wir vormoderne Formationen trotz einer gewissen Zivilitäts-

Varianz als überwiegend eindimensional einzuordnen.

Die zivile Moderne zeichnet sich demgegenüber durch technologische und ökonomische

Hochentwicklung einerseits und mehrdimensionale Politikformen andererseits aus. Hierbei

bedeutet Moderne: heutig, neu gegenüber traditionalen Vorformen, was insbesondere durch

neue Techniken und Technologien bestimmt wird. Zum anderen impliziert zivile Moderne

gleiches Recht, an das sich alle Bürger einschließlich mächtiger Personen und Organisationen

zu halten haben (Bound Governance). Schließlich ist es hier möglich, sachliche

Herausforderungen und Lösungsansätze frei zu diskutieren und zu entscheiden.

6 Platon: Politeia (Der Staat) , Bücher VIII und IX: http://www.opera-platonis.de/Politeia.html; Aristoteles:

Staatsformenlehre: https://de.wikipedia.org/wiki/Aristoteles

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Dabei institutionalisieren sich Bound Governance und freier Sachdiskurs dauerhaft und

verlässlich durch die Institution der Bürgerschaft (Citizenship, vom Lateinischen: civis =

Bürger): Alle Bürger haben die gleichen Grundrechte und Mitbestimmungs-Möglichkeiten

und fühlen sich (als citoyens) prinzipiell mitverantwortlich für das Ganze, insbesondere

dafür, dass Bound Governance und freie sachpolitische Kommunikation erhalten bleiben.

Andererseits agieren sie mit Engagement und Eigeninteresse auch als operative Akteure,

etwa als Wirtschafts- oder kulturell interessierte Bürger.

Bürgerschaft agiert prinzipiell räumlich-institutionell mehrebenig (Multilevel Citizenship).

Denn operative Systeme wie Ökonomie, Ökologie, Kultur und Sport lassen sich sachlich nicht

nur auf einer Ebene vernünftig handhaben. Vielmehr tendieren sie dazu, sich auf

verschiedenen Ebenen, von der lokalen bis zur globalen Ebene, zu entwickeln. Dies gilt auch

und gerade für ökologische Prozesse und Strukturen. Da idealtypische Bürgerschaft

sachpolitische Vernunft und sachpolitisch verantwortliches Handeln einschließt, wirkt sie

prinzipiell mehrebenig.

Abbildung 2: (Technologische) Modernisierung und Zivilität

Die unzivile Moderne schließlich operiert zwar mit modernen technischen und

technologischen Mitteln, dies aber ohne unabhängig geltendes Recht (Bound Governance).

Dabei wird häufig einebenig, insbesondere nationalistisch gedacht und gehandelt. Da hier

vormodern herrschende Akteure über große technische und ökonomische Mittel verfügen,

entstehen oft besonders brutale Herrschaftsformen, totalitäre Systeme und totaler Krieg.

Zivilität

Modernisierungsgrad

Zivile Moderne

Unzivile Moderne

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5. Klimapolitik als Teil der zivilen Moderne (Multi-Level Citizenship)

Klimapolitik ist als Sachpolitik mehrdimensional und mehrebenig strukturiert. Sie setzt

grundlegende Sichtweisen, Werte und Institutionen der zivilen Moderne bis hin zu

mehrebeniger Bürgerschaft (Multi-Level Citizenship) voraus, denn nur mit sachbezogenem

Verantwortungsgefühl, das über eine institutionelle Ebene hinausreicht, nur integrativ und

arbeitsteilig kann der globale Klimawandel kontrolliert werden; umgekehrt reproduziert

verantwortliche Klimapolitik eben diese Sichtweisen, Institutionen und Werte der zivilen

Moderne.

Angesichts dessen verwundert es nicht, dass Feinde der zivilen Moderne, so

Rechtsextremisten und Fundamentalisten, Sinn und Möglichkeit gezielter Klimapolitik

grundsätzlich in Frage stellen; denn sie präferieren eindimensionale und einebenige (meist

nationalistische) Denk- und Handlungsformen und kümmern sich dabei nicht um gegebene

sachliche Fakten. Im Gegenteil: Sie verfälschen und erfinden Fakten systematisch im Sinne

ihres Machtgewinns oder Machterhalts. Die offene Unterdrückung von Klimaschutz durch

US-Administration hat begonnen.7 Umgekehrt überrascht es nicht mehr, dass China, das für

sich große Vorteile aus internationaler wirtschaftlicher Integration zieht und sich - verglichen

mit der Mao-Diktatur - in einem zivilisatorischen Aufstieg befindet, nicht nur zum

Fürsprecher wirtschaftlicher Globalisierung, sondern auch zunehmend auch zu einem

Fürsprecher aktiver Klimapolitik wird.

Wie aber erklären sich Aufstiegs- und Abstiegsbewegungen der zivilen Moderne (Multi-Level

Citizenship) einschließlich sachbezogener Politiken wie der Klimapolitik?

6. Erklärungsmuster

6.1 Warum entwickeln sich soziopolitische Mehrdimensionalität und

Mehrebenigkeit (Evolution)?

Längerfristige politische Entwicklungs-Prozesse werden in der politikwissenschaftlichen

Komparatistik traditionell durch den Einfluss exogener Strukturvariablen erklärt. So leitete

Lipset in seiner Modernisierungstheorie aus dem Jahr 1960 Demokratieentstehung aus

wachsender Ressourcenverfügung (wachsendem Wohlstand) ab; Tatu Vanhanen assoziierte

Demokratiebildung mit dem Grad, indem ökonomische Ressourcen und Bildung

gesellschaftlich relativ weit verteilt sind (strukturelle Machtressourcen-Streuung).8 Christian

Welzel erklärt Demokratieentstehung aus wachsender Ressourcenverfügung, gestiegene

Emanzipationsansprüche und institutionellem Wandel - Annahmen, die durch signifikante

Korrelation belegt werden.9

7 http://derstandard.at/2000051515543/US-Umweltschutzbehoerde-soll-Seiten-zu-Klimawandel-loeschen

8 Tatu Vanhanen 1997: Prospects of Democracy. A Study of 172 Countries, London: Routledge

9 Christian Welzel 200. Fluchtpunkt Humanentwicklung. Über die Grundlagen der Demokratie und die Ursachen

ihrer Ausbreitung, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 143 und 165

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Da Demokratieentstehung mit der Bildung ziviler Moderne (Rechtsstaat und

Ausdifferenzierung funktionaler Subsysteme) weitgehend korrespondiert, erscheinen diese

Erklärungsansätze relevant für eine Theorie der zivilen Moderne. Allerdings reicht der

Nachweis statistischer Korrelationen nicht als Beleg ursächlicher Zusammenhänge aus. Vor

allem aber vollziehen sich gerade längerfristige Entwicklungsprozesse nicht nur als Resultat

des Einflusses jeweiliger struktureller Außen-Bedingungen (exogener Bedingungen).

Deshalb sollte nicht nur danach gefragt werden, unter welchen Bedingungen ein Prozess in

Gang kommt und verläuft. Vielmehr vollziehen sich soziopolitische Prozesse in komplexen

Wechselwirkungen zwischen exogenen und endogenen Faktoren und Prozessen. Hierbei

spielen neben - relativ fest gefügten - strukturellen Determinanten auch das Aufkommen,

Wirken und Verschwinden situativer Muster und die (Rück-)Wirkungen gezielten Handelns

beteiligter Akteure eine Rolle. Derlei Wechselwirkungen können ihrerseits mehr oder

weniger große Eigendynamik erlangen, sei es, im Sinne von Selbstverstärkung (positiver

Feedbacks) oder Selbstaufhebung (negativer Feedbacks). Demzufolge verlangt eine Theorie

der zivilen Moderne bei dem heute gegebenen Wissensstand und den heute gegebenen

technischen Möglichkeiten, dass ein relativ komplexes Entwicklungs-Modell dieser Moderne

ausgearbeitet wird. Darin müsste ein Modul struktureller Bedingungen mit einem Modul

situativer Bedingungen, einem Handlungs-Modul und einem Modul möglicher Dynamiken

kombiniert werden - siehe die folgende Abbildung 3.

Abbildung 3: Modul-Struktur soziopolitischer Prozess-Modelle

Hierbei ist anzunehmen, dass sich Strukturen nicht oder vergleichsweise langsam wandeln,

während Situationen rasch wechseln können. Handlungsformen wiederum können gezielt

mehr oder weniger volatil oder kontinuierlich gestaltet sein. Prozess-Dynamiken entwickeln

sich demzufolge vor allem über sich verstärkende oder abschwächende Folgen von

Situationen und Handeln, können aber letztlich auch Strukturen verändern.10

10

Variablen-Sets zu den einzelnen Modulen sind enthalten in: Volker von Prittwitz 2007: Vergleichende Politikanalyse, Stuttgart (UTB 2871). Zu unterschiedlichen politischen Situationsmustern und vergleichende Situationen-Analyse siehe in diesem Text (a.a.O.), S. 159 - 169. Prozessuale Konstellationen stehen auch im Mittelpunkt von: Ohlhorst, Dörte; Schön, Susanne Schön (2015): Constellation Analysis as a Means of Interdisciplinary Innovation Research – Theory Formation from the Bottom Up. In: Historical Social Research 40 (3): 258-278.

3) Handeln

2) Situative

Bedingungen

1) Strukturen

4) Prozess-Dynamik

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Ein übergreifendes Prozess-Modell von besonderer Bedeutung für die Theorie der zivilen

Moderne thematisiert zunehmende Vergesellschaftung - eine Grundlagenerklärung, die

bereits Norbert Elias in seiner Theorie des Zivilisationsprozesses herangezogen hat.11

Demnach tendieren Systeme, insbesondere der Ökonomie, dazu, nach und nach immer

mehr Menschen und soziale Einheiten einzubeziehen, solange sich dadurch ihr

Gesamtnutzen (spürbar) vergrößert. Damit ergibt sich ein rationales Interesse daran,

Sicherheit für alle Beteiligten dauerhaft zu schützen, indem gemeinsam anerkannte

Institutionen gebildet werden (Bound Governance), und dabei auch Funktionsanforderungen

zu schützen. Damit wandeln sich eindimensionale Machtstrukturen zu mehrdimensionalen

Koordinationsformen mit institutionellem Schutz der Beteiligten und eigenständigen

funktionalen Teilsysteme wie Policies - Formen der zivilen Moderne.

Die dabei entstehende Komplexität ist am besten zu bewältigen, wenn sich unterschiedliche

räumlich-institutionelle Ebenen ausdifferenzieren, die den jeweils gegebenen

Funktionsanforderungen besonders gut entsprechen, die aber auch untereinander

kooperationsfähig sind - ein Erklärungsmuster, das für historische Zivilisierungsprozesse wie

aktuelle Zivilisierungs-Prozesse, etwa Chinas, aussagekräftig erscheint.

6.2 Warum kommt die zivile Moderne in die Krise (Devolution)?

Im Umkehrschluss zu den in 6.1 skizzierten Entwicklungsmustern ziviler Moderne ergeben

sich zunächst spiegelbildliche Annahmen für deren Devolution. So kommen Formen ziviler

Moderne mit zurückgehender Vergesellschaftung in die Krise, weil sie überflüssig oder gar

kontraproduktiv erscheinen. Sie erhalten nicht mehr ausreichend politische Unterstützung.

Warum aber entsteht ein solcher Legitimationsmangel ziviler Moderne? Hierfür sehe ich

zwei hauptsächliche Erklärungsoptionen:

1) Inkonsequentes Regieren: Werden Bound-Governance-Strukturen unterlaufen,

beispielsweise durch Korruption, Lobbyismus oder die stille Macht herrschaftlich-

religiöser, ständischer und/oder patriarchalischer Organisationen, so schwächt dies

die zivile Ordnung. Beispielsweise entsteht allgemeiner Verdruss, wenn geltende

Verfahren durch mächtige und/oder kriminelle Akteure unterlaufen oder gar

ausgehebelt werden. Inkonsequentes Regieren, das derartigen Praktiken nicht

effektiv entgegenwirkt, erfüllt seine Schutzfunktion der zivilen Moderne nicht. Dieses

Versagen kann nicht nur aus unzureichender Implementation resultieren; vielmehr

reflektieren auch Programme Prinzipien und Verfahren der Gleichstellung vor dem

Gesetz und der allgemeinen Freiheit nicht immer ausreichend.

11

Norbert Elias 1936/1978: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 1. Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, 6. Aufl., Frankfurt a.M., Suhrkamp.

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2) Überkomplexität: Zivil-moderne Politik ist mehrdimensional und mehrebenig. Die

hieraus entstehende Komplexität verlangt ein beträchtliches Maß an Sozialisation,

Bildung und Lernfähigkeit. Werden entsprechende Aufgaben der Sozialisation und

Bildung nicht ausreichend wahrgenommen, kommt es zu einer existentiellen

Divergenz zwischen komplexer Systemstruktur und mangelnden

Handlungskapazitäten vieler Beteiligter.

Wird inkonsequent regiert, beispielsweise Massenarbeitslosigkeit durch Regierungen untätig

hingenommen oder wirkungslos bekämpft, so ist eine massive Krise der zivilen Moderne bei

niedrigem oder sinkendem Stand politischer Bildung vorprogrammiert. Im Einzelnen verläuft

derartige Devolution aber in Wechselbeziehungen zwischen Strukturen, Situationen und

konkretem Akteurhandeln. So wird das Handeln von US-Präsident Trump den weiteren Ab-

oder Aufstieg ziviler Moderne einschließlich verantwortlicher Klimapolitik aller Voraussicht

nach massiv beeinflussen.

7. Forschungsprogramm

Der Begriff der zivilen Moderne mit mehrdimensionaler und mehrebeniger Politik, Bound

Governance, eigenständiger Sachpolitik und einem mehrebenigen Verständnis von

Bürgerschaft (Multi-Level Citizenship) sowie die skizzierten Erklärungsansätze des Auf- und

Abstiegs dieser Formation können als Theorie der Moderne gefasst werden. Diese lässt sich

wissenschaftlich und beratungsorientiert vielfältig nutzen und wird zum Gegenstand

wissenschaftlicher Überprüfung.

7.1 Politikfeld-Aspekte

Die Theorie der zivilen Moderne fordert die Policy- und vor allem die Klimapolitik-Forschung

unter verschiedenen Gesichtspunkten heraus:

Klimapolitik und zivile Moderne: Wieweit lässt sich der behauptete Zusammenhang

zwischen Klimapolitik und ziviler Moderne belegen? Gibt es Fälle heute entwickelter

Klimapolitik, die den Zusammenhang widerlegen oder zumindest modifizieren, so

Formen effektiver Klimapolitik durch vormodern denkende Akteure und effektive

Klimapolitik durch Akteure der unzivilen Moderne?

Schlussfolgerungen: Falls Letzteres gezeigt werden kann: Wofür spricht dies, für eine

Widerlegung der Theorie oder dafür, dass Klimapolitik zivile Elemente in

vormodernes Denken und Konzepte unziviler Moderne einpflanzt?

Politikfelder und zivile Moderne: Nach der Theorie der zivilen Moderne weisen alle

eigenständigen Sachpolitiken durch ihre Mehrdimensionalität charakteristische

Verbindungen zur zivilen Moderne auf. Wieweit lässt sich dies logisch und empirisch

bestärken? Wieweit ist dies in Zweifel zu ziehen - beispielsweise mit Bezug auf

Politikfelder antiker Regime?

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Herausragende Rolle der Klimapolitik? Ragt die Klimapolitik durch ihre besonderes

Profil (Problem Produkt der technologischen Moderne, komplette Mehrebenigkeit

mit besonders bedeutsamer globaler Ebene, Wechselzusammenhänge zwischen

Expertentum und Bürgerschaft) unter den Politikfeldern der zivilen Moderne heraus?

Falls ja, wie schlägt sich dies in Diskursen nieder?

Empirischer Gehalt/Quantifizierung? Wie ist die These verstärkter Quantifizierung

der Politikfeldforschung nach dem leitenden Kriterium des empirischen Gehalts zu

beurteilen? Was spricht für, was möglicherweise gegen die These?

Nutzung des Kriterienkatalogs? Ist es möglich und sinnvoll, Kriterien und Effekte

klimapolitischer Steuerung sachpolitisch nach den Kriterien der Wirkungstiefe,

Wirkungsbreite und Wirkungsgeschwindigkeit systematisch zu vermessen?

Forschungsstrategische Überlegungen: Besteht die Gefahr, dass die unabhängige

Policyforschung in der Konsequenz einer intensiven Beschäftigung mit der Theorie

der zivilen Moderne ihre Unabhängigkeit und daraus resultierende Einnahme- und

Forschungspotentiale verliert? Oder ergeben sich hierdurch neue Forschungsfelder

und Einnahme-Potentiale?

7.2 Variablen-Beziehungen

Der Theorie zufolge müssten sich hochgradige Korrelationen zwischen unterschiedlichen

Politikvariablen ergeben, so zwischen dem Grad, in dem Menschenrechte realisiert sind, und

der herrschenden Bereitschaft zu verantwortlicher Klimapolitik. Auch wäre zu erwarten, dass

der Grad mehrebeniger Partizipation, respektive der Grad, in dem sich Bürger/innen an

klimapolitischen Aktivitäten/Initiativen auf jeweiligen Ebenen an Klimapolitik beteiligen, mit

der Intensität, Tiefe, Breite und möglicherweise auch Geschwindigkeit von Klimapolitik auf

diesen Ebenen kovariiert. Besonders prekär erscheint hierbei das weitgehende Fehlen

globaler Partizipationsmöglichkeiten einfacher Bürger/innen.

7.3 Prozess-Analyse

Die in der Theorie enthaltenen Hypothesen zum Auf- und Abstieg der zivilen Moderne sind

logisch und empirisch (historisch) zu überprüfen. Dabei können Bezüge zu anderen Theorien

hilfreich sein.

Die nachträgliche Prozess-Analyse der modernen Klimapolitik sollte in Kenntnis der Theorie

der zivilen Moderne um Aspekte modern-zivilisatorischer Rahmung ergänzt und daraufhin

geprüft werden.

Über eine solche historische ex-post-Analyse hinaus ergibt sich aus der Theorie eine Fülle

prozessanalytischer Anregungen. So sollte systematisch damit begonnen werden,

Strukturen, Situationsmuster, Handlungs-Muster und Dynamiken soziopolitischer Prozesse

zu identifizieren und auf ihre Verbindungen hin empirisch zu überprüfen.

Volker von Prittwitz: Theorie der Zivilen Moderne. Klimapolitik und Multi-Level Citizenship; 28. Januar 2017

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Die dargestellten grundlegenden Entwicklungsmodelle der zivilen Moderne sind empirisch zu

überprüfen: Hat zunehmende Vergesellschaftung als Grundlage der zivilen Moderne

stattgefunden? Wie wirkt sich inkonsequentes Regieren in der zivilen Moderne aus? Driften

System-Komplexität einerseits und Sozialisations- und Bildungsqualität andererseits (in

bestimmten Ländern) auseinander?

7.4 Vergleichsuntersuchung ein- und mehrdimensionaler Politikmuster

Angeregt durch die Theorie können und sollten Texte wie Bildmuster im Hinblick darauf

untersucht werden, wie weit sie durch eindimensional machtorientierte Sichtweisen von

Politik oder mehrdimensionale Sichtweisen geprägt sind. So weist etwa die Ästhetik von Leni

Riefenstahl charakteristische Bildsequenzen, Blickwinkel und ästhetische Überhöhungen im

Sinne von Macht und Stärke auf. Dieser Ästhetik der Macht - die sich auch in vielen anderen

Medien und bezogen auf viele andere Gegenstände konstatieren lässt, wäre die

Untersuchung einer Ästhetik der Mehrdimensionalität gegenüber zu stellen. Gibt es so etwas

überhaupt? Falls ja, wie sieht sie aus und in welchen Forschungsanforderungen, mit

welchem Forschungs-Design könnte man ihr auf die Spur kommen?

7.5 Kooperation

Eröffnet die Beschäftigung mit der Theorie der zivilen Moderne neue Kooperationschancen?

Eröffnen sich über die Theorie neue Kooperationsherausforderungen in der

Politikwissenschaft, so etwa zwischen Policyforschung, politischer Theorie, Komparatistik,

Regionalforschung (speziell auch EU) und internationalen Beziehungen?

Bietet sich arbeitsteilige empirische Forschung zur Theorie der zivilen Moderne an? (Größere

Projektanträge in Kooperation unterschiedlicher Sektionen und Arbeitsgruppen der DVPW)

Kann die Beschäftigung mit der Theorie interdisziplinäre Kooperation fördern? Siehe

beispielsweise Beziehungen zu einem interdisziplinärem Forschungsprojekt darüber, welche

Rolle Klimabilder in der Interaktion zwischen Wissenschaft, Medien, Politik und Kultur

spielen (https://idl.fh-potsdam.de/de/projects/climate-images/)

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Autor:

Prof. Dr. Volker von Prittwitz

Freie Universität Berlin: www.volkervonprittwitz.de

Institute for Political Analysis: www.diberlin.info