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Wir helfen hier und jetzt. Tipps für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Begleitung von Menschen mit Demenz am Lebensende

Tipps für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen · Dr. Marina Kojer, Ärztin und Psychologin 4. Menschen, die an Demenz erkrankt sind, können oft mit fortschreitender Erkran

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Wir helfenhier und jetzt.

Tipps für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen

Begleitung von Menschen mit Demenz am Lebensende

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Begleitung eines Angehörigen am Lebensende ist immer

eine intensive und bleibende Lebenserfahrung. Wir möch­

ten Ihnen wertvolle und praxisnahe Hinweise für diese Zeit

mit Ihrem an Demenz erkrankten Angehörigen geben. Die

Autoren dieser Broschüre wissen um die Herausforderun­

gen der Begleitung von Menschen mit Demenz im letzten

Lebensabschnitt aus eigenem Erleben, aber auch durch ihre

Erfahrung in einem Pflege- oder Betreuungsberuf.

Diese Broschüre entstand am Ende eines zweijährigen Pro­

jektes zur „Palliativen Praxis“ in zwei ASB-Seniorenpflege­

einrichtungen in Chemnitz und Zwickau. Es wurde von der

Robert Bosch Stiftung gefördert.

Den Weg gemeinsam gehen

Einen Angehörigen mit einer Demenz­erkrankung bis an sein Lebensende zu begleiten, ist eine wertvolle, aber auch schwierige Aufgabe. Die betroffenen Menschen verändern sich, sind in sich zurückgezogen.

Eine Besonderheit im Leben mit De ­menz ist die Veränderung der Kommu­nikation. Die Sprache geht vielleicht ver­loren, der Bezug des Demenz kranken zu seinem Alltag nimmt ab; es beginnt ein Leben im Augenblick und in den Erin­

nerungen an längst vergangene Tage. Es kann schmerzhaft sein, diesen Prozess zu erleben. Schmerzen und Trauergefüh­le gehören zum Abschiedsprozess. Sie müssen durchlebt werden und verdienen Beachtung.

Diese Broschüre möchte Sie bei Ihrer Begleitung eines Menschen mit Demenz unterstützen. Wir wünschen Ihnen, dass Sie Freude, Sinn und Wertschätzung geben und erleben können – bis zuletzt.

Den Menschen sehen, nicht den Verlust

„Wir mussten meinen Vater wegen zunehmender Demenz in einem Pflegeheim unter-bringen. Es war eine sehr schwere Entscheidung, die lange hinausgezögert wurde. Meine Mutter und ich konnten uns nicht damit abfinden, dass er sich so stark veränder-te und nicht mehr in der Lage war, einer gezielten Beschäftigung nachzugehen. Meine Mutter überlegte mehrmals, ihn wieder nach Hause zu holen. Auch mein Vater litt sehr in dieser Zeit. Kamen wir zu Besuch, wollte er mit nach Hause.

Bald wurde mein Vater bettlägerig und ich fragte mich, ob er mich überhaupt noch erkennt. Machten meine Besuche noch einen Sinn? In vielen Gesprächen zeigte mir das Personal immer wieder, wie wichtig meine Anwesenheit war. Einfach seine Hand zu halten und ihm etwas aus meinem Alltag zu erzählen. Über die Zeit, die ich meinen Vater begleitete, konnte ich die Kraft finden, ihm in seinen letzten Lebensstunden bei­zustehen, mit dem Wissen, dass er mich bis zuletzt spüren konnte.

Ein Angehöriger

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Rückschau statt RückzugEine Demenzerkrankung ist wie ein Lebensbuch, das man rückwärts blättert. Ist die Erkrankung weit fortgeschritten, kann man auf ganz alte Kapitel zurück­greifen. Dort finden sich Themen, um in Kontakt zu kommen. Fragen nach der Familie, Schulzeit und Beruf, nach Freunden oder der Heimat regen den Betroffenen an, mehr zu erzählen. Sol­che Gespräche unterstützen den res­pektvollen und auch wertschätzenden Umgang mit demenziell erkrankten Menschen.

Je mehr man aus dem Lebensbuch eines Menschen kennt, umso größer ist der Respekt und umso leichter findet man einen Zugang zu den für uns zunächst unverständlichen Reaktionen des betrof­fenen Menschen.

„Wer nicht mehr gut denken kann, kann dennoch sehr gut fühlen.“Dr. Marina Kojer, Ärztin und Psychologin

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Menschen, die an Demenz erkrankt sind, können oft mit fortschreitender Erkran­kung ihre Schmerzen immer weniger begreifen und anderen gegenüber nur schwer verständlich machen. Oft wissen Menschen mit einer schweren Demenz nicht mehr, was ihnen weh tut oder wie sich der Schmerz anfühlt. Darum ist es umso wichtiger, dass sie von den Beglei­tenden aufmerksam beobachtet werden.

Neben den körperlichen Schmerzen kann durch Ängste und Desorientie­rung auch die Seele leiden. Jede Art von Schmerz beeinträchtigt in hohem Maße die Lebensqualität eines Men­schen. Zu den möglichen Verhaltens­mustern, die auf Schmerzen hindeuten, gehören Aggressivität, Unruhe, Stöhnen, Wimmern, Schreien, angespannter oder ängstlicher Gesichtsausdruck (Zusam­

Schmerzen bei Demenz

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menbeißen der Zähne), Schonhaltung oder verkrampfte Haltung, Schweißaus­brüche und schwere Atmung, Übelkeit, Erbrechen, Appetitverlust, Schlafstörun­gen oder eine Verschlechterung des All­gemeinzustandes.

Jeder dieser Hinweise sollte ernst ge­ nommen und sofort ein Arzt hinzugezo­gen werden, um eine Ursache zu finden und Linderung herbeizuführen. Es gibt auch eine Vielfalt an nicht­medikamen­tösen Methoden, Schmerzen zu lindern. Auf den nächsten Seiten finden Sie An - regungen, die das Wohlbefinden steigern und dadurch auch Schmerzen lindern.

Lebensfreude ohne SchmerzenWer nicht von Schmerzen abgelenkt ist und sich selber spürt, fühlt sich leben­dig. Einen großen Teil dieser Leben­digkeit erleben wir über das Fühlen, Schmecken, Sehen, Riechen und Hören. Gestalten Sie gemeinsam mit Ihrem Angehörigen das Zimmer oder die Umgebung so, dass es einerseits prak­tisch für die Pflege ist und andererseits ihm oder ihr ein Gefühl der Geborgen­heit vermittelt. Das gelingt beispielswei­se mit Familienbildern an den Wän­den, der Lieblingsbettwäsche, duftenden

Blumen oder sogar Haustieren, die der Betroffene gerne mag.

Verbringt jemand die meiste Zeit im Bett, kann schöne und eindeutige Deko­ration auch an der Decke angebracht werden. So gibt die Raumgestaltung Orientierung, Lebensqualität und Sicher­heit zugleich.

Farben spielen eine große Rolle. Die Farbe Rot hat eine aktivierende, Orange eine aufheiternde und Grün eine beru­higende Wirkung. Durch einen Wech­sel dieser Farben kann das Wohlbefin­den gesteigert werden. Eine einfarbige Wandfläche und der Einsatz von indirek­ter und schattenfreier Raumbeleuchtung helfen, Verunsicherungen vorzubeugen. Eine gezielte Beleuchtung wirkt beru­higend und dient Menschen mit einem gestörten Schlaf­Wach­Rhythmus.

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Essen und Trinken sind lebensnotwendig, vermitteln aber auch Genuss und Wohl­befinden. Damit das lange so bleiben kann, sollte man sich auf Veränderun­gen einstellen, die durch die Demenz­erkrankung bedingt sind. So ändert sich bereits im frühen Stadium die Geruchs­wahrnehmung. Süße Speisen werden meist bevorzugt. Salzig und Bitter werden schnell falsch gedeutet und Saures kann bitter schmecken. Der Geschmacks sinn kann zudem durch die Einnahme von Medikamenten gestört sein. Auch durch Medikamente gegen Depressionen kann es zur Minderung des Geschmacks und zu Mundtrockenheit kommen.

Bestimmte Zubereitungsarten wie Grillen, Dämpfen oder Backen erhalten den Eigengeschmack der Zutaten besser. Auch das stärkere Würzen, die Anwen­dung von frischen Kräutern, das süßliche Abschmecken von bekannten Gerich­ten, z. B. Schweinebraten mit Apfelmus, erhalten die Freude am Essen.

Ein Mensch mit einer schweren De menz ­erkrankung kann sogar die Fähig keit zu schlucken „vergessen“. Wenn der Betrof­fene über eine Magensonde er nährt wird, müssen der Genuss und das Ge mein­schafts erleben durch das Essen nicht enden. Schon gute Düfte oder das Ge räusch von brutzelnden Kartoffeln wecken Erinnerungen und versetzen in „Mutters Küche“. Auch wenn jemand nicht mehr gut schlucken kann, wird so der Geschmack trotzdem auf der Zunge sein.

Sie können auch ein Lieblingsgetränk in Form von kleinen Eiswürfeln rei­chen oder ein frisches Stück Obst in eine Kompresse (10 x 10 cm) legen und so festhalten, dass Ihr Angehöriger darauf kauen und lutschen, aber das Stück nicht verschlucken kann. Besprechen Sie mit dem behandelnden Arzt, was geht und was gefährlich sein könnte.

Nahrung für die Seele

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Jetzt hat der Körper keine Kraft mehr, zu trinken, zu essen und die Nahrung zu verdauen. Das gehört zum natürlichen Sterbeprozess. Sie brauchen sich darüber keine Sorgen zu machen, denn flüssige oder feste Nahrung würde den Körper jetzt zusätzlich belasten. Wenn Sie unsi­cher sind, fragen Sie den behandelnden Arzt.

Mundtrockenheit kann durch eine geziel­te Mundpflege behoben werden. Sie hat mit Durst nichts zu tun und kann nicht über trinken allein gelindert werden. Erklären Sie Ihrem Angehörigen, was Sie tun, und nutzen Sie seinen Geruchs­sinn, damit er einordnen kann, was ihm angeboten wird. Lassen Sie sich von Mitarbeitern des Pflegedienstes erklä­ren, wie Sie die Mundpflege unterstützen können.

In der Praxis haben sich folgende Mög­lichkeiten der Mundpflege bewährt:

Saure Tees, sie fördern die Speichel­bildung (Saures nur, wenn keine Ent­zündung im Mund ist)

Eingefrorene, aber auch frische Fruchtstücke

Eiscreme, gefrorene Getränke (Cola, Säfte, Bier usw.) in kleinen Portionen oder zerstoßen

Rosenhonig (Mel rosatum aus der Apotheke) ist sehr angenehm

AHOI­Brause (ein bisschen auf die Zunge geben)

Essen und Trinken am Lebens ende

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Berührungen sind wichtig für das Wohl­befinden des sterbenden Menschen. Pfle­gerische und betreuerische Berührungen werden zu freundlichen Begegnungen. Die Berührung fördert Orientierung und Wahrnehmung und ist häufig die einzige Möglichkeit der Kommunikation. Berüh­rung spendet gegenseitigen Trost, schafft Mut und schenkt die Erfahrung, nicht allein zu sein. In der Pflege spricht man von „basaler Stimulation“.

Lassen Sie sich Zeit. Geben Sie z. B. zur Begrüßung die Hand und halten Sie sie

ein wenig länger. Sie können auch den Arm auf die Schulter legen, den Rücken streicheln oder vorsichtig umarmen.

Beim WaschenNicht die Reinigung steht im Vorder­grund, sondern die gezielte Entspannung oder Förderung des Wohlbefindens. Die Berührung beim Waschen sollte weder zu leicht noch zu fest sein. Dabei können auch ätherische Öle benutzt werden, die sich, z. B. mit etwas Sahne vermischt, gut im Wasser verteilen.

Bei MassagenMassagen unterstützen die Wahrneh­mung des eigenen Körpers und fördern darüber hinaus die Durchblutung. Mit kleinen Hilfsmitteln wie einem Igelball oder einem Waschlappen massieren Sie an Händen, Armen, Beinen oder Füßen – je nachdem, wie es der Betroffene gern mag. Berührung braucht Fingerspitzen­gefühl, manche Menschen genießen das sehr, manche weniger.

Berührungen spenden Trost

„Wer die Oberfläche berührt, bewegt die Tiefe.“Deane Juhan, Körpertherapeut

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Der Duft von frischem Kaffee, Waffeln oder Reibekuchen weckt die Lebens­geister und schafft Gemeinschaft. Dafür kann man die Kaffeemaschine oder das Waffeleisen auch schon einmal ans Bett holen. Der Geruch, der von draußen durch das Fenster zieht, lässt den All­tag auf der Straße lebendig werden und der Duft der Lindenblüten im Sommer weckt vielleicht Erinnerungen an die Jugend.

In der Aromatherapie werden verschie­dene Duftöle eingesetzt: Zitrusdüfte reinigen den Raum von unangenehmen Gerüchen und heben die Stimmung, Lavendel wirkt beruhigend und Rosen­duft ist gut für das Herz; er tröstet und heilt. Die Verbindung von einem schö­nen Duft und der Berührung durch eine Massage oder Einreibung schenkt in besonderer Weise Entspannung.

Düfte wecken Erinnerungen

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Beachten Sie: Verwenden Sie nur reine und hochwertige Öle. Dosieren Sie vorsichtig. Der Betroffene sollte den Duft mögen, nur dann erreicht er sein Ziel. Ätherische Öle brauchen einen Emulgator, um sich zu verbinden,

z. B. Sahne, Honig oder Salz. Lüften Sie den Raum nach dem Gebrauch der Öle.

Tröstendes Öl in der Palliativpflege20 ml Mandelöl,2 Tropfen Rose 2 %,und 1 Tropfen Zedervermischen und als Massageöl verwenden.

Die Rose beruhigt, hilft loszulassen und ist das Öl der Liebe. Die Zeder stärkt, tröstet und nimmt die Angst.

Rezept für Entspannung am Abend

Geben Sie wohltemperiertes Wasser in

eine Waschschüssel. 1 Tropfen Lavendelöl

in 10 ml Sahne verrühren, ins Waschwas­

ser geben und mit Ruhe und Zeit die Pfle­

ge genießen.

TIPP

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Musik braucht keine Worte

„Früher war Vater ein lebenslustiger Mensch. Die Musik war wesentlicher Inhalt sei-nes Lebens. Er hat über 60 Jahre im Kirchenchor aktiv mitgesungen. Zu Beginn seiner Erkrankung hat er noch viele klassische Musik­ und Opernsendungen im Fernsehen aufmerksam verfolgt. Doch später saß er oft teilnahmslos in seinem Sessel, oft schlief er. Wir waren bisher der Meinung, dass ihn die Musik auch nicht mehr interessieren würde.

Nur kürzlich hat er mit wenigen Worten über ein Lied gesprochen, welches er im Chor sehr oft gesungen hat. Wir haben ihm daraufhin seine Lieblingsoper „Tannhäuser“ vorgespielt. Nach kurzer Zeit entspannte sich sein Körper, auf dem Gesicht machten sich Ruhe und Zufriedenheit breit. Der alte Glanz in seinen Augen, welchen wir seit Jahren nicht mehr erkennen konnten, war sichtbar. Er erklärte uns: ,… weißt du noch, damals 1962 hat diese Arie der Kammersänger F. M. im Opernhaus gesungen und die Titelpartie hat meine Lieblingssängerin gesungen.̓ Jetzt wissen wir, Musik wird ihn auch in den letzten Tagen seines Lebens begleiten und bei all unserer Hilflosigkeit kön-nen wir ihm Freude durch Musik schenken.“

Ein Angehöriger

Spiritualität kann kranken Menschen einen starken Halt geben. Die Erfah­rung, sich bei allem Vergessen „nicht zu verlieren“, ist Kern spiritueller Beglei­tung von Menschen mit Demenz. Eine spirituelle Begleitung von Menschen mit schwerer Demenz an ihrem Lebens­ende ist eher eine körperorientierte Begleitung: Wenn Sie einen sterbenden Menschen berühren und halten, erlebt er womöglich das Urvertrauen, das er

im mütterlichen Arm zur Beginn des Lebens gespürt hat.

Nehmen Sie sich Zeit für die spirituelle Begleitung durch ein Gebet, ein Gedicht, ein Lied oder eine Berührung. Stimmen Sie die Ruhe der Nacht mit einem Lieb­lingsgedicht oder einem Abendsegen ein oder singen Sie ein Wiegenlied, denn gerade in Kinderliedern schwingt Gebor­genheit mit.

Glaube und Spiritualität

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Sie sind wichtigDie Begleitung eines Menschen mit Demenz ist für die Angehörigen kräf­tezehrend und belastend. Viele Fami­lien überfordern sich jedoch in ihrem Wunsch, dem geliebten Menschen zu helfen. Sie vergessen dabei, dass der Kranke auf die Kraft seiner Angehö­rigen angewiesen ist. Verbrauchen Sie also nicht all Ihre Kraftreserven. Wenn Ihr Schlaf gestört ist, wenn Sie schnell gereizt sind oder sich selbst nicht wie­dererkennen, wenn Sie Kontakte zu Freunden verlieren oder Ihr liebstes Hobby aufgeben: Halten Sie an!

So erhalten Sie Ihre Kraft Gönnen Sie sich regelmäßige Ruhe­

zeiten. Suchen Sie nach Ausdrucksmöglich­

keiten, die vielleicht neu für Sie sind: Malen, Musik, Tanz ...

Sorgen Sie für Ihren Körper: gesunde Ernährung, Bewegung, Schlaf, Ent­spannung.

Sorgen Sie für Ihre Seele: ­ Pflegen Sie Ihre Spiritualität/Glauben: Gottesdienst, Beten, Meditieren, sich mit Texten, Bildern, Symbolen umgeben, die Ihrer Seele gut tun. ­ Pflegen Sie Ihren Geist: Entspannung durch Lesen, Kino oder Konzerte. ­ Gehen Sie in die Natur, suchen Sie die Stille, lenken Sie sich zuwei­len ab. ­ Suchen Sie das Gespräch mit Menschen, die Ähnliches erleben.

Sie wissen, was gut für Sie ist. Tun Sie es selbstbewusst.

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Offene Gespräche

„Meine Mutter konnte mit mir über das Sterben reden; es hat uns beiden gut getan. Tabuthemen haben wir nicht angesprochen, was bisher nicht geklärt wurde, sollte wohl auch verschwiegen bleiben. Freude über ein Essen oder ein Naschwerk, Zeit haben und erleben: ‚Es ist noch möglich‘. Freude und Lachen, wenn die Familie da war. Sie erhielt Morphium in Verbindung mit Skopolamin. Dadurch hatte sie die Atembeschwerden (Rasseln) nicht. Die Angst zulassen, es nicht durchzustehen und die Frage: ,Wann werde ich zusammenbrechen?’ Die Erfahrung ‚Du schaffst es, die Natur hat es so vorgesehen. Wenn Du meinst, vor dem Abgrund zu stehen, erhältst Du Hilfe aus Dir selbst.‘

Ich sprach mit Menschen darüber, die mir zuhörten, nicht nur einmal. Ich habe geweint und war wütend, habe mir Zeit gegeben und konnte wieder fröhlich sein. Meine verstor-bene Schwester bat ich um Hilfe, meiner Mutter den Weg zu erleichtern, auf ihre Seite zu kommen. Zeit war da, wir haben sie uns genommen und konnten Abschied nehmen.“

Eine Angehörige

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Sie müssen nicht alles alleine tun. Neben Angehörigen und Freunden, die Ihnen vielleicht helfen, gibt es verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten für pfle­gende Angehörige. Sie können sich jederzeit an den ASB-Pflegedienst oder ein ASB-Seniorenpflegeheim wenden.

Darüber hinaus finden Sie Rat und Hilfe bei folgenden Organisationen:

Die Alzheimergesellschaft in Ihrer Nähe – Hier finden Sie Beratung und den Austausch mit anderen Betroffenen.

Der Hospizverein in Ihrer Region – Dieser Dienst ersetzt keinen Pfle­gedienst. Geschulte Ehrenamtliche nehmen sich Zeit und stehen gerne menschlich zur Seite. Sie begleiten Sie, unabhängig von Ihrer Religion, Herkunft und Lebensgeschichte. Sie kommen zu Ihnen nach Hause, ins Altenpflegeheim oder ins Kranken­haus. Die Begleitung ist unentgeltlich.

Die Kirchengemeinde in Ihrem Ort kann Sie seelsorgerlich und spirituell begleiten.

Das Palliativnetz in Ihrer Region kann Sie zusätzlich beraten und Ihnen Kontakte vermitteln.

Fragen Sie Ihre Familie, Freunde und Nachbarn. Jeder kann etwas anderes tun und viele sind vielleicht froh, Ihnen aktiv helfen zu können.

Lassen Sie sich beraten, ob Ihr Angehö­riger Anspruch auf eine Spezialisierte Ambulante Palliativ­Versorgung (SAPV) hat, die auch in Pflegeeinrichtungen möglich ist. Für die Verordnung entste­hen dem Patienten keine Kosten.

Anspruch auf diese Leistungen hat, wer

an einer nicht heilbaren, fortschrei­tenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leidet, dass dadurch die Lebenserwartung begrenzt ist und

eine besonders aufwendige Versor­gung benötigt, die nach den medi­zinischen und pflegerischen Erfor­dernissen auch ambulant oder in stationären Pflegeeinrichtungen erbracht werden kann.

Unterstützungsmöglichkeiten

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Die Begleitung eines Angehörigen, der an Demenz erkrankt ist, wird von einer besonderen Art der Trauer begleitet. Viele Abschiede gehören dazu: Von der gewohnten Rolle innerhalb der Familie, von gewohnten Aktivitäten und Mög­lichkeiten. Dieser jahrelange Abschied tut weh und muss immer wieder neu bewältigt werden. Wer sieht die Trauer?

Wer hilft Ihnen, die Dinge zu entdecken, die möglich sind und die Ihnen helfen, den Kontakt zu Ihrem Angehörigen nicht zu verlieren? Der Trauerprozess hat es verdient, gesehen zu werden. Suchen Sie den Kontakt zu Menschen, die das ver­stehen. Die Trauer beginnt nicht mit dem Tod, sondern mit dem Abschiednehmen lange davor.

Abschied und Trauer

„Das Leben gewinnt an Sicherheit und Würde, wenn man es mit dem weiten Blick auf die Vergangenheit betrachtet.“

Annie Bresant, britische Schriftstellerin und Theosophin

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Wünsche und Rituale für die Sterbephase Den Gedanken an die letzten Lebenstage und ­stunden zuzulassen, ist nicht leicht. Die Mitarbeiter der ASB-Pflegedienste besprechen gerne mit Ihnen Fragen und Ängste. Wenn der Abschied von einem geliebten Menschen bewusst und in Würde geschieht, ist die Erinnerung dar­an tröstlich und wir leben leichter weiter. Dazu gehört, dass die Wünsche des Ster­benden berücksichtigt werden und dass es Ihnen möglich ist, die Begleitung auf Ihre Art zu gestalten.

Wie kann das gehen?

Die Umgebung bleibt vertraut und ruhig.

Nach Möglichkeit wird eine Kran­kenhauseinweisung vermieden.

Vertraute Menschen kommen, um sich zu verabschieden

Der Sterbende ist nicht alleine, wenn er das nicht möchte. Ehrenamtliche Hospizdienstmitarbeiter unterstützen bei Bedarf.

Körperkontakt vermittelt Nähe – ein Sterbender fühlt Sie mehr an der Schulter und der Brust als an den Händen. Stehen oder sitzen Sie direkt

am Bett, lassen ihn auch über Ihren Geruch Nähe spüren.

Vertraute Musik wird gespielt. Der Kranke bekommt zu essen oder

zu trinken, was er möchte. Bei Bedarf wird spezialisierte Pallia­

tivpflege organisiert. In den letzten Lebensstunden kann es

sein, dass das Atmen des Sterbenden lauter wird. Er hat nun keine Kraft mehr, zu schlucken oder zu husten. Dies führt zu einer Ansammlung von Flüssigkeit in den Bronchien. Das Geräusch macht vielen Angehörigen Angst, der Sterbende könne ersti­cken, doch es ist für ihn nicht belas­tend. Vielleicht hilft Ihnen dieses Wissen, die „Rasselatmung“ besser zu ertragen.

Die spirituellen Wünsche werden berücksichtigt.

Es geht nun allein darum, ein friedli­ches Sterben zu ermöglichen.

Nehmen Sie sich Zeit für den Abschied.

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Es ist entlastend, wenn Sie vorab eini­ge Dinge festgelegt haben, damit Sie im Moment des Abschieds Zeit für das Wesentliche haben und nicht durch eili­ge organisatorische Aufgaben gefordert werden.

Was könnte das sein?

Sie möchten sich in Ruhe verabschie­den können mit Ritualen, die zu dem Verstorbenen und Ihnen passen, z.B. eine Kerze, ein religiöses Symbol, ein Gegenstand aus dem Leben Ihres Angehörigen, Blumen, Rosenblätter als Schmuck des Bettes.

Wenn Sie gläubig sind, kommt ein Priester, um zu beten und einen Segen zu sprechen. Je nach Religi­onszugehörigkeit werden die vertrau­ten Rituale zelebriert.

Sie haben einen Bestatter Ihres Ver­trauens, der die Organisation über­nimmt.

Sie wissen den Begräbnisort und haben Wünsche für die Abschieds­feier und das Begräbnis und haben mit einem engen Freund vereinbart, Sie zu begleiten und den Abschied zu gestalten.

Für einen ruhigen Abschied

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Rückblicke

„Für mich waren es die berührendsten eineinhalb Jahre meines Lebens – die Zeit von dem Augenblick an, als mein starker Vater sich in seine andere Welt verabschie-dete, als er von Tag zu Tag wieder mehr zum Kind wurde, mit all seinen Bedürfnis-sen und seinem Vergessen. Das Verstehen war für uns die größte Herausforderung – das Zulassen vieler Dinge haben wir gelernt. Er war glücklich und das war uns das Wichtigste.“

Eine Angehörige

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Weiterführende InformationenASB-Broschüren:

„Ihr Wille zählt. Auch über Ihr Leben hinaus. – Informationen zu Testament und Erbschaft“

„Entscheidungen kann man verta­gen. Oder treffen und aufschreiben. – Informationen zu Patientenverfü­gung, Vorsorgevollmacht und Betreu­ungsverfügung.“

Weitere Titel aus der ASB­Ratgeber reihe „Tipps für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen“:

„Mit Demenz leben – das können Sie tun“

„Pflegetagebuch – Leistungen richtig beantragen“

„Essen und Trinken – auch im Alter ein Genuss“

Die kostenlosen ASB­Broschüren können Sie bestellen beim:

Arbeiter­Samariter­Bund Deutschland e.V. Publikationsversand Sülzburgstraße 140 50937 Köln Fax: (0221) 4 76 05-337 E-Mail: [email protected]

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Wichtige Internetadressen:

Deutsche Alzheimer Gesellschaft: www.deutsche­alzheimer.de

Deutscher Hospiz­ und Palliativ­Verband e.V.: www.dhpv.de

www.asb.de/hilfe-fuer-menschen-mit­demenz.html

Broschüre „Vorsorge für Unfall, Krankheit, Alter“ des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (2013): www.verwaltung.bayern.de/portal/by/ServiceCenter/Broschuerenbestellen

Christliche Patientenvorsorge (2012): www.ekd.de/patientenvorsorge

Empfehlungen der Bundesärzte­kammer Mai 2010: www.bundesaerztekammer.de

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ImpressumHerausgeber: Arbeiter­Samariter­Bund Deutschland e.V. Sülzburgstraße 140 50937 Köln

Tel.: (0221) 4 76 05-0 Fax: (0221) 4 76 05-288 E-Mail: [email protected] Internet: www.asb.de facebook.com/asb.de

Konzeption und redaktionelle Bearbeitung:Carmen Birkholz, Dipl.­Theologin, Palliative­Care Trainerin und Projekt­steuerung, Institut für Lebensbegleitung, Essen

Gisela Graw, Astrid Königstein, Marketing/PR, ASB-Bundesverband

Im Rahmen des Projektes „Palliative Pra­xis als Vernetzungsmodell in den neuen Bundesländern am Beispiel von Sachsen“ haben sich die Autoren dieser Broschüre intensiv mit der Kultur der Sterbebeglei­tung in den beiden ASB-Altenpflegehei­men „Rembrandtstraße“ in Chemnitz und „Seniorenpflegeheim Willi-Stabenau“ in Zwickau beschäftigt. Die Bewohner und ihre Angehörigen standen im Fokus unse­rer Arbeit. Wir danken allen Beteiligten – den Bewohnern und ihren Angehörigen sowie den Projektmitarbeitenden – für ihr außerordentliches Engagement und der Robert Bosch Stiftung für die freundliche Förderung.

Textbeiträge: Autoren des Projektes „Palliative Praxis als Vernetzungsmodell in den neuen Bundesländern am Beispiel von Sach­sen“: Anja Bach, Carmen Birkholz, Franziska Böttcher, Kathleen Bonitz, Heike Ipach, Mirjam Kaufmann, Marion Lahl, Gunter Melzer, Monika Ostrowski, Matthias Sachse, Ramona Sachse, Chris­tin Schneider, Carola Weiß, Lars Zeißig

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Jetzt Mitglied werden oder spenden! Spendenkonto 1888 Bank für Sozialwirtschaft

BLZ 370 205 00 Kostenlose Mitgliederhotline (0800) 2 72 22 55 (gebührenfrei)

www.asb.de

Fotos:ASB/B. Bechtloff, ASB/R. Berg, ASB/F. Zanettini, Fotolia/O. Bence, Berchtesgaden, bilderstoeckchen, jd photodesign, S. Kacso, R. Kneschke, A. Raths

Layout: Absolut Office, Siegburg

Druck:DFS Druck Brecher GmbH, Köln

Stand: Oktober 2013 © ASB Deutschland e.V.

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