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Rechtsmedizin 2007 · 17:89–94
DOI 10.1007/s00194-007-0430-6
Online publiziert: 1. März 2007
© Springer Medizin Verlag 2007
C. Buschmann1 · A. Theile2 · M. Tsokos1 · K. Püschel1 · F. Schulz1
1 Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg2 Institut für Pathologie, Ruhr-Universität Bochum an den
Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil, Bochum3 Insitut für Rechtsmedizin, Universitätsmedizin Charité Berlin, Berlin
Todesfälle nach Low-dose-Therapie mit Methotrexat
Kasuistiken
Methotrexat (MTX) ist ein Folsäurea-
ntagonist, der im Rahmen von Che-
motherapien in Kombination mit an-
deren Zytostatika oder mit Strahlen-
therapie bei malignen Tumorerkran-
kungen, insbesondere bei Leukämien
mit Manifestation im Zentralnerven-
system (ZNS), eingesetzt wird [7]. Ein
weiteres Indikationsgebiet – in ge-
ringerer Dosierung als bei neoplas-
tischen Geschehen – ist die Behand-
lung der rheumatoiden Arthritis (rA)
und anderer destruierender Gelen-
kerkrankungen aus dem chronischen
Formenkreis [2, 4]. Hier zählt der An-
timetabolit MTX zu den „Basisthera-
peutika“. Bereits in dieser therapeu-
tischen Dosierung (Low-dose-The-
rapie) können erhebliche Nebenwir-
kungen auftreten, die insbesondere
das hämatopoetische System betref-
fen [3, 10, 13]. Es wird über 4 Todes-
fälle, die unter einer Low-dose-The-
rapie mit MTX auftraten und mit die-
ser ursächlich im Zusammenhang ste-
hen, berichtet.
Fall 1
Kasuistik
Eine 78-jährige Patientin wird seit 2 Jah-
ren wegen einer chronischen Polyarthritis
mit MTX in einer Dosierung von 15 mg/
Woche behandelt; die regelmäßig erstell-
ten Blutbildkontrollen ergeben keine pa-
thologischen Auffälligkeiten. An weiteren
Vorerkrankungen sind ein nichtinsulinab-
hängiger Diabetes mellitus Typ II, eine
absolute Arrhythmie sowie eine kompen-
sierte Herzinsuffizienz bekannt. Nach
dem Aufenthalt in einer Rehabilitations-
klinik wegen eines Sturzes mit Hüftverlet-
zung wird die Frau in ihre häusliche Um-
gebung entlassen; hier ist aufgrund der
bestehenden Gelenkdeformitäten eine
professionelle pflegerische Betreuung or-
ganisiert. Die zuständige Altenpflegerin
verabreicht MTX als antirheumatische
Basismedikation gemäß der schriftlichen
Verordnung der Hausärztin. Auf dieser
Verordnung fehlt der Zusatz „einmal wö-
chentlich“, sodass die Patientin über einen
Zeitraum von einer Woche täglich 15 mg
MTX erhält, bis wegen zunehmender Ver-
wirrtheit und Verdacht auf einen bron-
chopneumonischen Infekt die Einweisung
ins Krankenhaus erfolgt. Hier wird eine
toxische Knochenmarkdepression mit
hochgradig reduzierten Thrombo- und
Leukozytenzahlen festgestellt. Eine anti-
biotische Therapie wird eingeleitet. Nach
8-tägigem Kran kenhausaufenthalt ver-
stirbt die Patientin an einer Ateminsuffi-
zienz bei fieberhaftem Infekt und Panzy-
topenie.
Sektionsergebnis und Histologie
Die 4 Tage post mortem durchgeführ-
te Obduktion zeigt makroskopisch eine
stark schleimige Bronchitis ohne Nach-
weis einer Immunreaktion des Organis-
mus und andere morphologische Korre-
late der vorbestehenden internistischen
Erkrankungen (Wandverdickung des
Herzens bei arteriellem Hypertonus, Ge-
lenkdestruktionen im Rahmen der chro-
nischen Polyarthritis). Die histologische
Untersuchung des Knochenmarks zeigt
eine hochgradige Insuffizienz mit Re-
duktion der Thrombo- und Erythropo-
ese bei nahezu vollständiger Depressi-
on der reifen Granulopoese mit nur noch
einzelnen, unreifen Vorstufen im Sinne
eines toxischen Knochenmarkschadens
(. Abb. 1).
In der Lunge finden sich Fibrinaus-
schwitzungen in den Alveolarräumen
und ausgedehnte, teils hämorrhagische,
teils fibrinöse pneumonische Infiltrate bei
schleimig-hämorrhagischer Bronchitis.
Eine zelluläre inflammatorische Reaktion
fehlt weitgehend. Todesursächlich ist die
hämorrhagische atypische Pneumonie.
Fall 2
Kasuistik
Eine 81-jährige Frau leidet seit 12 Jahren
an einer chronisch-entzündlichen Ge-
lenkerkrankung, die mit nichtsteroidalen
Antirheumatika (NSAR, hier: Novamin-
sulfon und Diclofenac) und MTX in einer
Dosierung von 15 mg/Woche behandelt
wird. Im Rahmen einer routinemäßigen
Blutbildkontrolle wird u. a. ein Leukozy-
89Rechtsmedizin 2 · 2007 |
tenwert von 2,5×109/l (Referenzbereich
4–11×109/l) erhoben. Trotzdem führt der
Hausarzt die MTX-Therapie in gleicher
Dosierung über fast 3 Wochen fort. Die
sich anschließende Blutbildkontrolle er-
gibt einen Leukozytenwert von 0,3×109/l.
Die Patientin wird notfallmäßig mit der
Diagnose Agranulozytose stationär in ein
Krankenhaus eingewiesen. Die Erkran-
kung erweist sich dort trotz Behandlung
mit Granulokinen als therapierefraktär,
sodass 6 Tage nach Aufnahme der Tod
durch eine doppelseitige Pneumonie in
Kombination mit einer hämorrhagischen
Gastritis eintritt.
Sektionsergebnis und Histologie
Bei der 2 Tage post mortem durchgeführ-
ten Sektion zeigt sich eine ausgeprägte
hämorrhagische Diathese mit multiplen
Haut- und Schleimhautunterblutungen;
die weiteren klinischen Diagnosen kön-
nen autoptisch bestätigt werden. Die fein-
gewebliche Knochenmarkaufarbeitung
lässt eine deutliche Linksverschiebung
v. a. der Granulopoese, mit Überwiegen
unreifer Zellen der weißen Blutbildungs-
reihe, erkennen (. Abb. 2); Anzeichen
für eine eigenständige neoplastische Er-
krankung des Knochenmarks finden sich
nicht. In der histologischen Untersuchung
der Lungen imponiert ein auffallend ge-
ringes Maß von granulozytären Nestern
mit unreifzelligen und blastären Antei-
len bei chronisch-florider Bronchopneu-
monie (. Abb. 3). An den Nieren findet
sich der Befund einer beginnenden vasku-
lär bedingten Schrumpfung.
Fall 3
Kasuistik
Ein 65-jähriger Patient, der langjährig
an einem Morbus Bechterew (Spondyli-
tis ankylosans) leidet, wird nach einem
Krankenhausaufenthalt seit 3 Monaten
mit 25 mg MTX 1-mal/Woche und einem
Kortikoid (Prednisolon) therapiert. Fer-
ner bestehen eine kompensierte Nieren-
insuffizienz, ein arterieller Hypertonus
bei koronarer Herzkrankheit und Herz-
rhythmusstörungen. Die MTX- und Kor-
tikoidtherapie wird von einem niederge-
lassenen Orthopäden durchgeführt, der
dem Patienten empfiehlt, die entspre-
chenden, bisher unauffälligen Blutbild-
kontrolllen künftig von seinem Hausarzt
vornehmen zu lassen. Die Injektionen er-
folgen allerdings weiterhin in der ortho-
pädischen Praxis. Parallel dazu findet eine
analgetische Dauermedikation des Mor-
bus Bechterew mit NSAR (hier: Rofeco-
xib) durch den Hausarzt statt, der aber
die erforderlichen, engmaschigen Blut-
bildkontrollen bezüglich einer Agranulo-
zytose nicht veranlasst, da sich der Pati-
ent diesbezüglich bei ihm nicht vorstellt.
Ein Arzt-zu-Arzt-Gespräch findet nicht
statt. Aufgrund eines akut verschlech-
terten Allgemeinzustands mit Stomatitis
und Pneumonie wird der Patient durch
den Hausarzt in ein Krankenhaus einge-
wiesen; hier verstirbt er 2 Tage nach Auf-
nahme. Als Todesursache wird eine Sep-
sis durch Panzytopenie bei MTX-Thera-
pie angegeben und der Leichnam zur Feu-
erbestattung freigegeben. Diese erfolgt je-
doch nicht, da sich bei der zusätzlichen
rechtsmedizinischen Leichenschau vor
Kremation aufgrund der Anamnese An-
haltspunkte für ein nichtnatürliches Ge-
schehen ergeben und die gerichtliche Sek-
tion angeordnet wird.
Sektionsergebnis und Histologie
Dreizehn Tage post mortem zeigt die Aut-
opsie der fäulnisveränderten Leiche u. a.
herdförmige hämorrhagische Pneumo-
nien in beiden Unterfeldern sowie ma-
kroskopische Zeichen der klinisch be-
schriebenen Niereninsuffizienz (beid-
seitige vaskulär bedingte Rindennarben
und linke Schrumpfniere) und des fort-
geschrittenen Morbus Bechterew. Ferner
lassen sich eine Duodenitis und eine fort-
geschrittene generalisierte Arteriosklero-
se autoptisch belegen.
Histologisch zeigt sich im Knochen-
mark eine hochgradige Schädigung der
Blutbildung mit massiver Reduktion be-
vorzugt der Granulo- und Thrombopoese
Abb. 1 9 Knochen-mark: mangelhafte Ausreifung der Eryth-ropoese und quanti-tativ reduzierte Gra-nulopoese. Kein Nach-weis von Metamyelo-zyten, stabkernigen oder reifen Granulo-zyten. Einzelne Mega-karyoblasten und His-tiozyten. (HE-Färbung, Vergr. 50:1)
Abb. 2 9 Knochen-mark: deutliche Links-verschiebung der Erythro-, Granulo- und Thrombopoese mit mangelhafter Ausrei-fung v. a. der Granu-lopoese. (HE-Färbung, Vergr. 100:1)
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Kasuistiken
im Sinne einer toxischen Knochenmark-
depression; blastäre Anteile überwiegen.
Mithilfe der Chloracetat-Esterase-Reak-
tion sind reife Elemente nicht zu belegen
(. Abb. 4). Eine lymphatische bzw. leuk-
ämische Grunderkrankung lässt sich nicht
nachweisen. In der Lunge findet sich eine
disseminierte, teils hämorrhagische, auf-
fallend azelluläre Pneumonie bei hämor-
rhagischer Bronchitis.
Fall 4
Kasuistik
Eine 75-jährige Frau verstirbt in einer
medizinischen Universitätsklinik laut To-
desbescheinigung an einer Sepsis infol-
ge Panzytopenie, die auf einen toxischen
Knochenmarkschaden zurückzuführen
ist. Seitens des behandelnden Arztes wird
der Verdacht auf eine medikamentöse Ne-
benwirkung durch MTX geäußert, aller-
dings dann ein natürlicher Tod attestiert
und die Leiche zur Kremation freigege-
ben. Der rechtsmedizinische Leichenbe-
schauer gibt den Leichnam jedoch nicht
zur Feuerbestattung frei, da aufgrund der
Befundkonstellation der Verdacht auf ein
nichtnatürliches Geschehen besteht. Wei-
terführende Ermittlungen ergeben, dass
bei der Patientin anamnestisch eine chro-
nisch-rheumatische Gelenkerkrankung
bestand, die mit 15 mg MTX 1-mal/Wo-
che therapiert wurde; diese Dosis wurde
zuletzt 6 Tage vor dem Tod verabreicht.
An weiteren Vorerkrankungen bestanden
eine koronare Herzerkrankung und ein
arterieller Hypertonus. Zehn Tage ante
mortem war die Patientin unter dem kli-
nischen Bild einer Pneumonie in ein städ-
tisches Krankenhaus eingeliefert worden;
hier entwickelte sich eine toxische Agra-
nulozytose unter antibiotischer Therapie
mit einem Aminoglykosid. Ferner impo-
nierten eine akute Thrombo- und Leuko-
zytopenie mit oralen Petechien, Glossi-
tis und Odynophagie, sodass die Patien-
tin unter der Annahme eines hämatolo-
gischen Grundleidens in die Universitäts-
klinik verlegt wurde.
Sektionsergebnis und Histologie
Die Autopsie der stark fäulnisveränderten
Leiche 15 Tage post mortem ergibt Zei-
Zusammenfassung · Abstract
Rechtsmedizin 2007 · 17:89–94 DOI 10.1007/s00194-007-0430-6
© Springer Medizin Verlag 2007
C. Buschmann · A. Theile · M. Tsokos · K. Püschel · F. Schulz
Todesfälle nach Low-dose-Therapie mit Methotrexat
Zusammenfassung
Vier Todesfälle aus dem Sektionsgut der Au-
toren, die unter einer Low-dose-Therapie
mit dem Folsäureantagonisten Methotrexat
(MTX) in Dosierungen von 15–25 mg/Woche
auftraten und mit dieser Medikation in kau-
salem Zusammenhang stehen, werden be-
richtet und diskutiert. Die Patienten litten
neben anderen internistischen Vorerkran-
kungen an chronisch-entzündlichen Gelenk-
destruktionen aus dem rheumatischen For-
menkreis. Für diese Erkrankungen ist eine
Low-dose-Therapie mit MTX als „Basisthera-
peutikum“ indiziert. In allen 4 dargestellten
Fällen kam es unter MTX-Behandlung zu Kno-
chenmarkschäden, die durch sich anschlie-
ßende Infektionserkrankungen zum Tod der
Patienten führten. In der antirheumatischen
MTX-Therapie sind strenge Indikationsstel-
lungen und engmaschige Laborkontrollen im
Rahmen des Therapieregimes zu fordern. Des
Weiteren müssen Interaktionen mit anderen
Medikamenten berücksichtigt werden, um
auftretende Komplikationen wie Sepsis oder
hämorrhagische Pneumonien frühzeitig be-
herrschen zu können.
Schlüsselwörter
Methotrexat · Low-dose-Therapie · Chronisch-
entzündliche Gelenkdestruktion · Komplika-
tionen
Fatalities after low-dose therapy with methotrexate
Abstract
A total of four fatal cases from autopsies car-
ried out by the authors are reported where
there was a direct causal connection to a
low-dose therapy with the folic acid antago-
nist methotrexate (MTX) at a dosage of 15–
25 mg/week. The patients suffered from
chronic inflammatory joint destruction of a
rheumatic form in addition to other preex-
isting internal diseases. A low-dose thera-
py with MTX as the basis is indicated by this
form of disease. In all four cases bone marrow
damage occurred after MTX treatment which
subsequently gave rise to infection and led to
the death of the patient. During antirheumat-
ic MTX therapy the indication status must be
strictly controlled and close-meshed labora-
tory controls are necessary during the thera-
py regime. Furthermore, interaction with oth-
er medications must be taken into consid-
eration in order to control the occurrence of
other complications such as sepsis or haem-
orrhagic pneumonia in advance.
Keywords
Methotrexate · Low-dose therapy · Chronic
inflammatory joint destruction · Complica-
tions
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chen des septischen Multiorganversagens
mit Ausbildung von Schocklungen, Hirn-
ödem, fibrinöser Perikarditis und An-
zeichen einer Verbrauchskoagulopathie
(dermale Petechien). Histologisch zeigt
sich ein auffallend hypo- bis azelluläres
Knochenmark mit nahezu fehlender Gra-
nulo- und Thrombopoese; die Erythropo-
ese ist spärlich erhalten. Nachweise einer
eigenständigen hämatologischen Grun-
derkrankung beispielsweise im Sinne ei-
ner Osteomyelofibrose finden sich ebenso
wenig wie Entzündungszeichen oder An-
haltspunkte für ein malignes Geschehen.
In den Lungenpräparaten lassen sich, bei
eingeschränkter Beurteilung durch Lei-
chenfäulnis, azellulär erscheinende, teils
hämorrhagische, teils fibrinöse broncho-
pneumonische Anschoppungen erken-
nen. Die Nieren sind makroskopisch und
histologisch aufgrund der fortgeschritte-
nen Autolyse nur noch sehr eingeschränkt
zu beurteilen.
Diskussion
Der Antimetabolit MTX ist ein Folsäu-
reantagonist, der u. a. im Rahmen der Be-
handlung der rA und anderer destruie-
render Gelenkerkrankungen aus dem
chronischen Formenkreis eingesetzt wird
[2, 4]. Hier zählt MTX zu den Basisthera-
peutika und wird 1-mal/Woche „low do-
se“ in Dosierungen von 15–25 mg verab-
reicht [12]. Bereits in therapeutischer Do-
sierung können erhebliche Nebenwir-
kungen wie gastrointestinale Symptome,
interstitielle („atypische“) Pneumonitis
und Mukositis auftreten; toxische Effekte
auf Leber und hämatopoetisches System
sind ebenfalls beschrieben [3, 10, 13]. In
allen 4 beschriebenen Fällen kam es zu ei-
ner toxischen Knochenmarkdepression.
Diese kann u. a. auftreten, wenn verstär-
kende negative Effekte einer MTX-The-
rapie, die zu einer Akkumulation des An-
timetaboliten im Körper und damit zu ei-
ner Erhöhung der MTX-Toxizität führen,
bestehen. Dazu gehören vorbestehende
Infektionen, gleichzeitige Therapie mit
mehr als 5 Medikamenten und Nierenin-
suffizienz, da MTX renal eliminiert wird
[14]. Bei Niereninsuffizienz liegt die mi-
nimale letale Dosis bereits bei 10 mg/Wo-
che. Auch bei nur leichter Einschränkung
der Nierenfunktion kommt es bereits zu
einer Verlängerung der Halbwertszeit von
MTX [6], sodass Intoxikationszustände
und konsekutive Folgeerkrankungen
leicht auftreten können. Die kausale The-
rapie einer MTX-Intoxikation besteht in
der Applikation von Folat und forcierter
Diurese, ggf. Hämodialyse und -perfusi-
on sowie Plasmaaustausch. Vor Therapie-
beginn ist nach aktuellen Leitlininen vor-
zugehen und neben einer ausführlichen
Anamnese ein großes Blutbild zu erhe-
ben. Im Einzelnen sollten Leberparame-
ter wie Albumin, Aspartataminotrans-
ferase (ASAT), Alaninaminotransferase
(ALAT) und γ-Glutamyltransferase (γ-
GT) sowie Kreatinin, alkalische Phospha-
tase und Thrombozytenzahl bestimmt
werden. Vor allem aber sind Blutbild-
kontrollen einschließlich der genannten
Parameter unter laufender MTX-Thera-
pie in einem Zeitraum von 4–8 Wochen
obligat [1].
Die 4 beschriebenen Todesfälle stehen
sämtlich in einem kausalen Zusammen-
hang mit der Applikation von MTX. So
war es im ersten Fall zu einer akzidentel-
len MTX-Überdosierung über eine Wo-
che durch eine Pflegekraft gekommen.
Diese führte allerdings nur die Verord-
nungen der Hausärztin aus. Tragischer-
weise fehlte der Zusatz „1-mal wöchent-
lich“ auf dem Verordnungsplan.
Im zweiten Fall wird davon ausgegan-
gen, dass die gleichzeitige Medikation mit
MTX und NSAR zu einer Erhöhung des
MTX-Spiegels im Blut geführt hat, da ei-
ne längere NSAR-Einnahme – in diesem
Fall über einen Zeitraum von 12 Jahren –
eine analgetikainduzierte Nephropathie
bedingen kann [5]. In diesem Fall hätte die
MTX-Dosierung angepasst bzw. ausge-
setzt werden müssen. Hier wurde eine
sich anbahnende Agranulozytose nicht
adäquat therapiert, sodass die Patientin an
den Komplikationen verstarb.
Der dritte Todesfall könnte auf die De-
kompensation einer bekannten Nieren-
insuffizienz zurückzuführen sein. Es er-
Abb. 4 9 Knochen-mark: hochgradige Re-duktion bevorzugt der Granulo- und Throm-bopoese; stabker-nige und segmentker-nige Granulozyten feh-len. Fleckförmige Ein-blutungen in der rech-ten Bildhälfte. (HE-Fär-bung, Vergr. 50:1)
Abb. 3 9 Lunge: chro-nisch-floride, teils or-ganisierende Pneu-monie mit zopfar-tigen, lockeren, fibrin-getränkten intraalve-olären Mesenchym-knospen. Im Exsudat einzelne inflamma-torische Zellen ohne Nachweis reifer Granu-lozyten. (HE-Färbung, Vergr. 25:1)
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Kasuistiken
folgte eine Kortikoidmedikation paral-
lel zur MTX-Therapie; dieser Stoffgrup-
pe wird ebenfalls ein nephrotoxisches
Potenzial bei längerer Einnahme zuge-
schrieben, bzw. hier besteht bei chro-
nischer Niereninsuffizienz eine relative
Kontraindikation [9]. Auch erfolgte we-
gen eines Morbus Bechterew eine lang-
jährige Dauermedikation mit dem nie-
renschädigenden Analgetikum Rofeco-
xib. Erschwerend kamen zusätzlich inter-
disziplinäre Kommunikationsprobleme
hinzu. Haus- und Facharzt gingen wech-
selseitig davon aus, dass die erforder-
lichen Blutbildkontrollen durch den je-
weils anderen Kollegen vorgenommen
würden. Letztlich aber unterblieben die-
se Kontrollen. Die resultierende Panzyto-
penie wurde klinisch zwar erkannt, blieb
in diesem Stadium dann aber therapiere-
fraktär.
Im vierten untersuchten Todesfall trat
eine durch eine toxische Knochenmark-
depression ausgelöste Pneumonie unter
MTX-Therapie auf. Nach Literaturlage
erscheint hier die antibiotische Therapie
mit einem Aminoglykosid problematisch.
Generell ist bekannt, dass MTX mit ver-
schiedenen Antibiotika interagiert [11].
Speziell von der Stoffgruppe der Amino-
glykoside ist nachgewiesen, dass Oto-
und Nephrotoxizität durch Elektrolytver-
schiebungen ausgelöst werden können
[8], sodass in diesem Fall zusätzlich eine
Niereninsuffizienz induziert worden sein
könnte. Pathologisch-anatomisch war ein
entsprechender Nachweis wegen der ein-
getretenen Leichenfäulnis nicht mehr zu
führen.
Fazit für die Praxis
Die vier beschriebenen Todesfälle zei-
gen als Fazit für die klinische Praxis
deutlich, dass ein engmaschiges Moni-
toring von relevanten Parametern in
regelmäßigen Abständen unerlässlich
ist, um Nebenwirkungen einer MTX-
Therapie frühzeitig beherrschen zu
können. Ferner sollte eine solche Thera-
pie Fachärzten vorbehalten bleiben, die
hinsichtlich Nebenwirkungen, Indikati-
onsstellung und Intoxikationstherapie
von MTX über ausreichend Erfahrung
verfügen.
Forensische Aspekte: Zur kausalen Be-
weisführung ist bei fraglicher Verursa-
chung des Todes durch MTX stets die Un-
tersuchung des Knochenmarks erforder-
lich.
In den hier referierten Fällen kam es ju-
ristisch unter Verweis auf § 153a Straf-
prozessordnung (StPO) nach Zahlung
einer geringen Geldauflage zur Verfah-
renseinstellung.
Korrespondierender AutorC. BuschmannInstitut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfButenfeld 34, 22529 [email protected]
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
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93Rechtsmedizin 2 · 2007 |
Zimmer, Gisela
Prüfungsvorbereitung RechtsmedizinStuttgart: Thieme-Verlag 2006,
1. Auflage, 159 S., (ISBN 3-13-141171-),
14.95 EUR
Aus der Thieme-Reihe „Kleine Fächer“ ist der
vorliegende Band zu den Prüfungsvorberei-
tungen für das Fach Rechtsmedizin erschie-
nen. Das Werk orientiert sich an den bis-
herigen Prüfungs-Kompendien und ist doch
ganz anders: Es ist klar unterteilt in einen
etwa 80-seitigen Lehrbuchteil, 25 Seiten mit
Prüfungsaufgaben sowie daran anschließend
rund 35 Seiten mit kommentierten Lösun-
gen. Gerade die Trennung aus Lehrbuchteil
und kommentiertem Lösungsteil macht den
Band so reizvoll. Der Lehrbuchteil ist knapp
gehalten, gut illustriert und bringt die
wesentlichen Lehrinhalte. Die Prüfungs fragen
(offene Fragen für Prosaantworten sowie
klassische MC-Fragen) orientieren sich am
Text und die Lösungskommentare wiederho-
len nicht den Inhalt des Lehrbuches, sondern
sind eine Ergänzung hierzu.
Aber nicht nur die Struktur des Buches unter-
scheidet sich von den vorangegangenen Prü-
fungskompendien, sondern es ist auch die
Auswahl der Lehrinhalte. Die Lehrinhalte so-
wie die Fragen orientieren sich ganz klar an
der Vermittlung praxisrelevanten Wissens.
Egal ob Heidelberger-Modell, Harvard-Modell
oder eine andere Form des Modellstudien-
ganges: Vernetztes Lernen, problemorien-
tiertes Lehren und die Vermittlung von Lern-
stoff, bei dem eine realistische Aussicht dar-
auf besteht, dass auch der spätere Internist
oder Kinderarzt es später einmal brauchen
könnte, spielen in der modernen universi-
tären Wissensvermittlung eine Rolle. Und die-
sem zeitgemäßen Ansatz folgt dieses Buch.
Es ist insgesamt eine gute Empfehlung für
alle Medizinstudierenden und Dozenten, un-
abhängig, welche Lehrform an der jeweiligen
Fakultät zur Zeit vorherrscht. Ärgerlich ist al-
lerdings bei allem Lob über das Buch, dass
die zitierten Gesetzestexte zum Teil seit Jah-
ren in neuen Fassungen vorliegen oder mitt-
lerweile nicht mehr existieren (z. B. „Kindstö-
tung“).
Markus A. Rothschild (Köln)
C. Dierks, A. Wienke, W. Eisenmenger
MedR: Rechtsfragen der PräimplantationsdiagnostikBerlin-Heidelberg: Springer-Verlag 2007,
136 S., (ISBN 3-540-45042-9), 59.95 EUR
In diesem Band sind diejenigen sechs Refe-
rate enthalten, die seinerzeit im Herbst 2004
auf dem Symposion der Deutschen Gesell-
schaft für Medizinrecht in Einbeck vorgetra-
gen worden und deren Ergebnisse in die Ein-
becker Empfehlungen 2004 (veröffentlicht in
MedR 2005, 117) eingeflossen sind.
Mit dem aktuellen Leistungsstand in der IVF-
Therapie beschäftigt sich Tinneberg. Schwin-
ger referiert zur Methodik und den Ergebnis-
sen der Präimplantationsdiagnostik. Mit der
Ethik der Präimplantationsdiagnostik befasst
sich der Vortrag von Woopen (Substanzonto-
logie versus Funktionsontologie – wie be-
stimmen wir den Beginn und die Ansprüche
schutzwürdigen menschlichen Lebens?) Den
Blick über den deutschen Tellerrand nach
Österreich leistet Bernat (Pränatale Diagnos-
tik und Präimplantationsdiagnostik auf dem
Prüfstand des österreichischen Rechts). Den
straf- und den verfassungsrechtlichen Fragen
der Präimplantationsdiagnostik gewidmet
sind die Referate von Erlinger und Kluth.
Das Thema war 2004 aktuell und ist es auch
über den zwischenzeitlich eingetretenen Re-
gierungswechsel hinaus geblieben. Nur: bei-
de Regierungen, die alte wie die neue zeigen
immer noch wenig Neigung, sich des The-
mas anzunehmen. Katastrophen, die zum
Handeln (über wohlfeiles Geschwätz hinaus)
zwingen würden, sind nicht in Sicht. Also
bleibt alles erst einmal beim alten. Die Reak-
tion auf die Einbecker Empfehlungen haben
jedenfalls die nach oben offene Richterskala
bei weitem nicht ausgeschöpft. Das Erdbe-
ben ist ausgeblieben. Einerlei wer sich mit
dieser speziellen Materie der In- Vitro- Fertili-
sation zu befassen hat: zu diesem Band sollte
er unbedingt gegriffen haben.
Dr. Hans-Dieter Lippert (Ulm).
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