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Der Hautarzt 3•2000164
Zusammenfassung
Hintergrund und Fragestellung. Juckreiz ist ei-
ne schwer therapierbare Begleiterscheinung
zahlreicher Dermatosen und innerer Erkran-
kungen. In den letzten Jahren wurde Capsai-
cin, ein Alkaloid aus der Paprikapflanze, als
alternative Behandlungsmöglichkeit emp-
fohlen. Capsaicin blockiert bei topischer Ap-
plikation nach einer initialen Phase der neu-
rogenen Entzündung unmyelinisierte, poly-
modale C- und Ad- Nervenfasern und unter-
drückt dadurch selektiv Juckreiz und
Schmerz.
Patienten/Methodik. Es wurden 40 Patienten
mit verschiedenen juckenden und schmerz-
haften Erkrankungen mit Capsaicin behan-
delt. Im Folgenden wird über Möglichkeiten,
Nebenwirkungen und Grenzen der Capsai-
cintherapie berichtet.
Ergebnisse. Die topische Capsaicintherapie
führte in sämtlichen Fällen zum vollständi-
gen Sistieren des Juckreizes.
Schlussfolgerungen.Neben seiner ausgezeich-
neten symptomatischen antipruritischen
und analgetischen Wirkung greift Capsaicin
in pathophysiologische Mechanismen be-
stimmter Dermatosen, v. a. der Prurigo nodu-
laris und Psoriasis ein und unterstützt ihre
Abheilung.
Schlüsselwörter
Capsaicin · Juckreiz · Schmerz · Polymodale
Nervenfasern · Neuropeptide · Substanz P
Juckreiz ist eine schwer therapierbareBegleiterscheinung zahlreicher Derma-tosen und innerer Erkrankungen.Wenn eine kausale Behandlung nichtmöglich ist, gewinnt die symptomati-sche Therapie an Bedeutung. Obgleichder histaminabhängige Juckreiz leichtzu beeinflussen ist, stellen alle anderenJuckreizformen ein therapeutischesProblem dar. Zahlreiche Therapiemög-lichkeiten wie kühlende Agenzien,harnstoffhaltige Präparate, topischeAnästhetika oder UV-Bestrahlungenerweisen sich häufig als unwirksam [4,26, 41].
In den letzten Jahren wurde Capsai-cin vereinzelt in der Dermatologie alsAntipruritikum,aber auch zur topischenanalgetischen Therapie erfolgreich ein-gesetzt [6, 7, 8, 9, 20, 29, 33, 39, 59, 67, 69].Capsaicin (trans-8-methyl-N-vanillyl-6-nonenamid) ist ein Alkaloid, das nebenanderen Capsaicinoiden in der Paprika-frucht gebildet wird [18] und erstmalsim 19. Jahrhundert von Thresh isoliertwurde (Abb. 1;.[48, 53, 61]). Die Paprika-pflanze (lat.: Capsicum annuum) produ-ziert zunächst giftige Alkaloidgemische,um sie während der Fruchtreife zu un-giftigen Metaboliten umzuwandeln, dieden charakteristischen Geschmack derPaprika hervorrufen. Schoten mit einerhohen Konzentrationen an Capsaicinoi-den werden getrocknet und gemahlenals Gewürze, wie z. B. Cayenne- und Chi-lipfeffer verwandt [53]. Bei Genuss cap-saicinreicher Gewürze tritt schnell ein
Brennen und Wärmegefühl an derSchleimhaut auf (griech.: Kapso = bei-ßen; [13, 48, 57]).
Capsaicin wirkt in der Haut selek-tiv auf peptiderge, markarme Ad-Ner-venfasern und eine Subpopulation un-myelinisierter, polymodaler C-Nerven-fasern, die für dumpfen Schmerz undJuckreiz sensibel sind. Die Perzeptionvon Kälte und mechanischen Empfin-dungen bleibt dagegen unbeeinflusst[14, 31, 32, 60]. In den letzten Jahrenkonnte mittels eines ultrapotenten Cap-saicinanalogums, dem Diterpen Resini-feratoxin (RTX) sowie der kompetitivenCapsaicinantagonisten Capsazepin undRuthenium Red ein capsaicinspezifi-scher Rezeptor isoliert werden [27, 68].Es fanden sich dabei 2 verschiedene Re-zeptorsubtypen, ein 58-kD-Vanilloidre-zeptor (VN1) und ein 42-kD-Vanilloid-rezeptor (VN2), die mit ähnlicher Wirk-samkeit unterschiedlich in den sensori-schen Ganglien, peripheren Nerven,dem Rückenmark und in verschiedenenRegionen im Zentralnervensystem ex-primiert werden [3, 12, 14,27, 34, 37, 38,49,55, 58, 68]. Trotz der Expression von cap-saicinsensiblen Rezeptoren konnten bis-
OriginalienHautarzt2000 · 51:164 –172 © Springer-Verlag 2000
Sonja Reimann · Thomas Luger · Dieter MetzeUniversitäts-Hautklinik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Topische Anwendung von Capsaicin in der Dermatologiezur Therapie von Juckreiz und Schmerz
Dr. S. ReimannUniversitäts-Hautklinik,
von-Esmarch-Straße 56,
48149 Münster,
E-Mail: [email protected]
her keine endogenen Capsaicinoidenachgewiesen werden.
Topisch angewandt, diffundiertCapsaicin schnell zu den Vanilloidrezep-toren, die auf der Oberfläche der freienNervenendigungen lokalisiert sind, undöffnet selektiv kalziumspezifische Io-nenkanäle. Der nachfolgende intrazellu-läre Ca2+-Anstieg führt neben einer De-polarisation der Nervenfaser zu einerExozytose intrazellulärer sekretorischerVesikel, die Neuropeptide enthalten [12,14, 15, 22, 23, 30, 71]. Dabei werden vor-wiegend Substanz P (SP),vasoaktives in-testinales Peptid (VIP),Calcitonin-gene-related-Peptid (CGRP) und Neurokini-n A (NKA) freigesetzt und nach Abdif-fusion enzymatisch gespalten [45, 54].Des Weiteren hemmt Capsaicin über ei-ne Unterdrückung des „nerve growthfactor” (NGF) den axonalen Transportsneu gebildeter Neurotransmitter vonSpinalganglionnähe zur Peripherie hin,was die Wiederauffüllung der Depotsverzögert [22, 23, 47].
Die depletierten Neurotransmitter,insbesondere Substanz P, setzen Hist-amin aus den dermalen Mastzellen frei,besitzen aber auch zahlreiche histamin-unabhängige Wirkungen [5, 10, 17, 23, 28,32, 45, 51, 54, 66]. In der initialen Phaseder topischen Anwendung von Capsai-cin kommt es durch Vasodilatation zueiner Rötung, gesteigerten Wärmeemp-findung oder Brennen der Haut, v. a.aber verstärken sich Schmerz- und Juck-reizempfindungen. Diese sog. neuroge-ne Entzündung („causalgia”) setzt10–20 min nach topischer Capsaicinan-wendung ein und hält für 30–60 min an[32, 56, 66]. Bei kontinuierlicher Capsai-cinanwendung ist nach 24–72 h keineneurogene Entzündung mehr auslösbar[5, 64, 66, 71]. Die vollständige Depletionder Neurotransmitter verursacht eineUnterbrechung der Schmerz- und Juck-reizempfindungen. Wird die Capsaicin-zufuhr unterbrochen, füllen sich dieNeurotransmitterdepots innerhalb von10–18 Tagen wieder auf [39]. Dabei sinddie Nervenfasern gegenüber nozizepti-ven und pruritogenen Stimuli zunächstnoch refraktär, später werden aber wie-der alle sensorischen Reize wahrgenom-men [5, 34].
Aufgrund seiner spezifischen Wir-kung auf periphere Nervenendigungenfindet topisch appliziertes CapsaicinVerwendung als Analgetikum bei Er-krankungen aus dem rheumatischen
Der Hautarzt 3•2000 165
S. Reimann · T. Luger · D. Metze
Topical capsaicin for the treatment ofitch and pain in dermatological patients
Abstract
Background and Objectives. Treatment of pru-
ritus as observed in many dermatological
and internal diseases may be very often dis-
appointing.There are many reports describ-
ing the topical use of capsaicin, the pungent
agent in red pepper. Long term administra-
tion of capsaicin depletes neuropeptides in
unmyelinated, polymodal C-type and small
myelinated Ad-type cutaneous nerves that
conduct pruritus and pain.
Patients/Methods. The aim of this study was
to evaluate the efficacy, safety and practica-
bility of capsaicin in the treatment of pruri-
tus and pain of different origin in a total of
40 patients.
Results. Capsaicin suppressed completely
itch in all patients.
Conclusions. In addition to its excellent anti-
pruritic and analgetic effect, capsaicin sig-
nificantly contributed to healing of some
dermatoses, such as prurigo nodularis and
psoriasis.
Keywords
Capsaicin · Itch · Pain · Polymodal nerve fi-
bres · Neuropeptides · Substance P
Formenkreis oder bei neuropathischenund anderen neurologischen Schmerz-formen [13, 21, 49, 69], wird aber auchzur Therapie bei der hyperreflektori-schen, vasomotorischen Rhinopathieeingesetzt [16, 49, 50, 53, 70]. Da Sub-stanz P an der Freisetzung von Histaminaus dermalen Mastzellen beteiligt ist,sprechen bestimmte Formen der Urti-karia auf eine Capsaicinbehandlung an[17, 28, 54, 62]. Des Weiteren liegen in derLiteratur Einzelberichte über die Mög-lichkeit einer Juckreiztherapie mit Cap-saicin vor [6, 7, 8, 9, 20, 29, 33, 39, 59, 67,69].
Ziel dieser Studie war es, in einemumfassenden, dermatologischen Kollek-tiv die Wirksamkeit und Sicherheit voncapsaicinhaltigen Externa in der Thera-pie von Juckreiz und Schmerz zu über-prüfen.Darüber hinaus wurde der In-vi-vo-Wirkmechanismus von Capsaicinimmunfluoreszenzoptisch mittels kon-fokaler Laserscanmikroskopie studiert.Elektronenmikroskopische Untersu-chungen von Hautbiopsien dienten zumAusschluss von Nervenschädigungenwährend der Langzeitanwendung vonCapsaicin.
Patienten und Methodik
Patienten
Im Rahmen der klinischen Prüfungwurden insgesamt 40 Patienten mit cap-saicinhaltigen Externa behandelt (Ta-belle 1). Therapieindikationen warenJuckreiz im Rahmen von entzündlichenDermatosen (Prurigo nodularis unter-schiedlichen Schweregrades bei Diabe-tes mellitus, n=3; bei atopischer Derma-titis, Xerosis cutis, postskabiös, bei psy-chischer Genese, Polycythaemia vera, jen=1; sowie unklarer Ursache, n=13; Li-
Abb. 1 m Capsaicin, chemische Formel (aus: [49])
Hautarzt2000 · 51:164 –172 © Springer-Verlag 2000
Originalien
Der Hautarzt 3•2000166
chen simplex bei atopischer Dermatitis,n=3; Psoriasis vulgaris, n=2; nummulä-res Ekzem, n=2; Exsikkationsekzem,n=1; einer Mycosis fungoides, n=1) so-wie Juckreiz auf nichtentzündlicherHaut (HES-induzierter Pruritus, n=3; M.Hodgkin, n=1; aquagener Pruritus beiPolycythaemia vera,n=1).Alle Patientenmit Prurigo nodularis waren erfolglosvorbehandelt worden. Dabei kamen teilskombiniert sedierende und nicht sedie-rende Antihistaminika (n=13), topischeSteroide unterschiedlicher Potenz(n=15), teerhaltige Präparate (n=8), to-pische Anästhetika (n=1), Lindan (n=1),intraläsional injiziertes Steroid (n=2),aber auch UV-Bestrahlung (n=7) undsystemisch Cyclosporin A (n=1) oderHydroxychloroquin (n=1) zur Anwen-dung.Bei 2 Patienten mit Lichen simplexerfolgte eine Vorbehandlung der akut-ekzematösen Komponente der atopi-schen Dermatitis mit externen Steroi-den (6–7 Tage), bei einem dritten mitUVA1-Therapie (3 Wochen). Der Capsai-cinbehandlung der nummulären Ekze-me ging eine Therapie mit steroidhalti-gen Externa (2 Wochen) bzw.Teerpräpa-raten (3 Wochen) voraus. Eine Therapieder Mycosis fungoides mit Interferon-al-pha in einer Dosierung von 3×3×106
IE/Woche hatte auf den Juckreiz keinenEinfluss.Ebenso wenig zeigten sedieren-de und nicht sedierende Antihistamini-
ka eine Wirkung auf den Juckreiz beinichtentzündlicher Haut. Die Wirksam-keit von Capsaicin bei Schmerzen bzw.Parästhesien wurde anhand von Notal-gia paraesthetica (n=2), Leiomyomen(n=1) sowie herpetischer Neuralgie(n=2) geprüft.
Durchführung der Capsaicintherapie
Als Extrakt ist Capsaicin in Form einer1%igen alkoholischen Lösung (Rp. Ex-tractum Capsici 1%) gut in unterschied-liche Grundlagen einzubringen und so-mit einfach anzuwenden. Im Gegensatzzu dem reinen, als weißes Pulver vorlie-genden Capsaicin ist die Lösung zudemsehr kostengünstig. Zur Anwendung ka-men verschiedene Creme- bzw. Salben-gundlagen wie Unguentum leniens, Un-guentum Cordes, Neribas® Creme undandere, individuell auf den Hautzustandabgestimmte topische Zubereitungen.Die fertig gestellten Präparate zeigten ei-nen orangenen Farbton.
Zunächst wurde mit der niedrigstenKonzentration von 0,025% (z. B. Extrac-tum Capsici 1% 2,5 g in Unguentum leni-ens ad 100,0 g) begonnen und je nachVerträglichkeit und Abklingen der in-itialen neurogenen Entzündungssym-ptome alle 3–5 Tage um 0,025% gestei-gert. Die höchste Endkonzentration warin der Regel 0,1%. Nur in 5 Fällen kamen
Konzentrationen zwischen 0,2% und0,5% zur Anwendung (s. Tabelle 1). Diecapsaicinhaltigen Externa wurden 4- bis6-mal täglich appliziert. Zehn Patientenmit Prurigo nodularis erhielten Capsai-cin an den ersten 3 Behandlungstagen 1-bis 2-mal Mal täglich unter Okklusion.Erosive Hautareale wurden bis zur Re-epithelialisierung mit einer Polyvidon-jodlösung und in 4 Fällen okklusiv mitSteroiden vorbehandelt.Wegen einer zuerwartenden starken Reizung waren dasGesicht, die Schleimhäute und der Geni-talbereich von der Behandlung ausge-spart.
Zur Validierung des Therapieer-folgs kam Capsaicin ausschließlich alsMonotherapeutikum zur Anwendung;andere antipruritische systemische undtopische Vortherapien wurden abge-setzt. In 8 Fällen einer schweren Prurigonodularis wurde eine additive Medika-tion mit sedierenden Antihistaminikabis zum Einsetzen des vollen antipruri-tischen Effektes für maximal 10 Tageweitergeführt. Die spezifische Behand-lung der Mycosis fungoides mit Interfe-ron-alpha bzw. der Polycythaemia veramit Hydroxycarbamid wurde fortge-setzt. Die Capsaicintherapie wurde beisämtlichen Patienten stationär eingelei-tet, um die fachgerechte Anwendung,das Auftreten von Nebenwirkungen unddas therapeutische Ansprechen zu kon-
Tabelle 1Topische Capsaicintherapie
Indikation Dauer der Symptomatik Patienten Konzentration Dauer der vor Therapiebeginn (Anzahl, Geschlecht, Alter) (minimal und Capsaicinanwendung
maximal)
Pruritus auf entzündlicher HautPrurigo nodularis 5 Monate bis 42 Jahre 21 (6 m, 15 w); 23–85 Jahre 0,025–0,3% 2 Wochen bis 33 MonatenLichen simplex 2 Woche bis 5 Jahre 3 (1 m, 2 w); 23–26 Jahre 0,025–0,1% 4–8 Wochen Psoriasis 8 Monate 2 (w); 50 Jahre, 53 Jahre 0,025–0,1% 4 Wochen, 10 MonateNummuläres Ekzem 10 Monate, 17 Monate 2 (1 m, 1 w); 20 Jahre, 66 J 0,05–0,1% 4 Wochen, 9 MonateExsikkationsekzem 5 Monate 1 (w); 73 Jahre 0,075% 2 MonateMycosis fungoides 3 Monate 1 (m); 60 Jahre 0,3% 4 Wochen
Pruritus auf nichtentzündlicher HautHES-induziert 4 Wochen bis 21 Monate 3 (1 m, 2 w); 21–67 Jahre 0,025–0,5% 5 Wochen bis 6 MonateMorbus Hodgkin 28 Monate 1 (w); 60 Jahre 0,05% 2 MonateAquagener Pruritus 4 Jahre 1 (m); 75 Jahre 0,025% 3 Wochen
Parästhesien, SchmerzenNotalgia paraesthetica 2 Jahre, 10 Jahre 2 (w); 31 Jahre, 46 Jahre 0,025–0,5% 2 MonateLeiomyome 41 Jahre 1 (m); 58 Jahre 0,1% 2 MonateHerpetische Neuralgien 7 Tage, 9 Tage 2 (w); 36 Jahre, 54 Jahre 0,025–0,05% 1 Woche, 4 Wochen
Der Hautarzt 3•2000 167
trollieren. Der Behandlungserfolg wur-de anhand der Besserung der subjekti-ven Symptome bzw. des Hautzustandsbewertet. Die Dauer der Therapie rich-tete sich nach dem therapeutischem An-sprechen und dem Auftreten von Ne-benwirkungen.
Entnahme von Biopsien
Bei 7 Patienten mit Prurigo nodulariswurden vor und während der Capsaicin-therapie (am 15. Tag, n=1; am 24. Tag,n=2; im 3. Monat, n=2; im 8. Monat, n=1;im 33. Monat, n=1), bei 2 Patienten aucheinen Monat nach Absetzen einer 2- bzw.10-monatigen Behandlung Stanzbiopsi-en entnommen. Die Biopsien wurden in4% Glutaraldehyd fixiert, mit Osmium-tetroxid nachfixiert, in Epon eingebet-tet, ultradünn geschnitten und nachUranylacetat und Bleicitratkontrastie-rung elektronenmikroskopisch unter-sucht (Philips EM10). Zusätzlich wurdevon einem Patienten vor und am 24. Tagder Capsaicintherapie eine Biopsie auseiner Prurigo nodularis entnommen,mit 15% Pikrinsäure fixiert und in flüssi-gem Stickstoff tiefgefroren. Kryoschnit-te wurden mit einem Antikörper gegenSubstanz P (Firma Sera-Lab, Verdün-nung 1:200) und anschließend einem se-kundären FITC-konjugierten Antikör-per (Firma Dako, Verdünnung 1:30) im-munfluoreszenzoptisch markiert undmit einem konfokalen Laserscanmikro-skop (Leitz, Heidelberg) untersucht.
Klinische Ergebnisse
Die topische Capsaicintherapie führte insämtlichen 35 Fällen eines Juckreizes aufentzündlicher und nichtentzündlicher
Haut zu einem vollständigen Sistierender Symptomatik. Der antipruritischeEffekt setzte mit einer unterschiedlichenLatenz innerhalb von 6 Tagen ein.Wäh-rend der ersten 5 Behandlungstage kames nach Auftragen der capsaicinhaltigenExterna für durchschnittlich 20 min zueiner leichten Rötung, zu Brennen,Wär-megefühl, seltener zu einer Juckreizver-stärkung. Entsprechend der schnellerenPenetration bei normaler Hautdicke,setzten bei Patienten mit Juckreiz aufnichtentzündlicher Haut die Zeichen derneurogenen Entzündung rascher undmit stärkerer Intensität ein. Patientenmit sehr starkem Juckreiz bei MorbusHodgkin und nummulärem Ekzemempfanden das anfängliche Brennen als
deutliche Erleichterung, weil dadurchder ursprüngliche Juckreiz teilweiseüberdeckt wurde. Häufig war zu beob-achten, dass bei warmen Außentempe-raturen im Sommer erneut neurogeneEntzündungszeichen mit Hautbrennenauftraten. Dieses Phänomen machte in 9Fällen (Prurigo nodularis, n=8; Notalgiaparaesthetica, n=1) eine Reduktion derKonzentration notwendig, 5 dieser Pati-enten (Prurigo nodularis, n=5) brachennachfolgend die Therapie ab.
Außer den Symptomen der neuro-genen Entzündung am Behandlungsbe-ginn traten keine Nebenwirkungen auf,insbesondere kam es zu keinen anaphy-laktischen Reaktionen oder Kontaktall-ergien. Nach Absetzen der Therapie wa-
Abb. 2 m a Prurigo nodularis vor der Therapie. b Abheilungszustand nach einer 9-monatigen0,2%igen Capsaicintherapie.
Abb. 3a,b m Prurigo nodularis. a Massive Exkoriationen vor der Therapie.b Zustand nach einer 5-wöchigen 0,075%igen Capsaicintherapie.
Originalien
Der Hautarzt 3•2000168
ren selbst bei 33-monatiger Anwen-dungsdauer und höchsten Capsaicin-konzentrationen von 0,5% keine Sensi-bilitätsstörungen zu verzeichnen. In Ein-zelfällen wurde über ein Abfärben derorangenen Externa auf Kleidungsstückeberichtet.
Bei der Capsaicinbehandlung derPrurigo nodularis (n=21) berichtetendie Patienten über ein rasches Nachlas-sen des Juckreizes innerhalb der ersten 5Tage bei vergleichsweise geringer neu-rogener Entzündung. Es wurden haupt-sächlich mittlere Konzentrationen von0,05 % (n=5), 0,075 % (n=7) und 0,1 %(n=6) verwendet, in 2 Fällen wurde 0,2%bzw. 0,3% Capsaicin appliziert. Die Dau-er der Therapie betrug in der Regel zwi-schen 2 Wochen und 9 Monaten, imSchnitt 11 Wochen (2 Wochen, n=4;3 Wochen, n=1; 4 Wochen, n=3; 2 Mona-te, n=5; 4 Monate, n=3; 5 Monate, n=1;7 Monate, n=1; 9 Monate, n=2); in einemFall wurde die Therapie mit Unterbre-chungen und wechselnder Applikations-frequenz über insgesamt 33 Monatedurchgeführt. In den therapeutischenEndkonzentrationen war neben dem an-tipruritischen Effekt ein deutlichesNachlassen der Kratzaktivität festzustel-len, wodurch die Prurigoknoten lang-sam abflachten (n=15) bzw. mit Narben-bildung und Hyperpigmentierung ab-heilten (n=6; Abb. 2a,b und Abb. 3a,b).Bei 2 Patienten mit Prurigo nodularistrat nach einer Therapiedauer von 5 bzw.6 Monaten ein Wirkverlust bei gleich-bleibender Anwendungsfrequenz undCapsaicinkonzentration (0,1%, 0,2%)auf. Zum Ausgleich der Tachyphylaxiewurde die Anwendung für 3 Wochen un-
terbrochen; danach konnte die Therapieunter langsamer Konzentrationssteige-rung wieder erfolgreich eingeleitet wer-den.
Ein ähnlich rascher antipruritischerEffekt bei relativ milder neurogener Ent-zündung stellt sich bei Lichen simplexein, die notwendigen Endkonzentratio-nen waren jedoch niedriger. Nach 4–8Wochen war in allen Fällen ein Abfla-chen und anschließend eine Abheilungder lichenifizierten Läsionen zu erken-nen.
Beide Patienten mit stark juckenderPsoriasis vulgaris sprachen mit gutemErfolg auf die Capsaicintherapie an. Beieiner Patientin bestand eine Psoriasisinversa der Achsel- und Leistenregion.Unter Verwendung von Capsaicin alsMonotherapeutikum in einer Konzen-tration von 0,025% kam es nach Abklin-gen des Juckreizes innerhalb von 4 Wo-chen zu einem Abblassen des Erythemsund zu einer Rückbildung der Schup-pung. Bei der zweiten Patientin mitchronisch-stationärer Psoriasis vulgarishatten sich sekundär auf einem starkjuckenden Plaque in der Lumbalregiondurch ständiges Kratzen pruriginöse Ef-floreszenzen entwickelt (Abb.4a).Capsai-cin in hohen Konzentrationen bis 0,1%unterbrach effektiv den Juck-Kratz-Zir-kel, wonach innerhalb von 10 Monatendie Prurigoknoten abheilten (s.Abb. 4b).In beiden Fällen wurden nach Absetzender Capsaicintherapie die psoriatischenRestherde ohne Wiederauftreten jucken-der Hautsensationen mit Vitamin-D-Analoga weiterbehandelt.
Alle Patienten mit nummuläremEkzem, Exsikkationsekzem und Myco-
sis fungoides zeigten eine vollständigesAnsprechen des Juckreizes auf Capsai-cin. Nach Absetzen der unterschiedlichlang durchgeführten Lokaltherapie kames jedoch zu einem Wiederauftreten derjuckenden Hautsensationen; lediglichdas nummuläre Ekzemen war zwischen-zeitlich abgeheilt.
Die großflächige Anwendung vonCapsaicin bei Juckreiz auf nichtentzünd-licher Haut unterdrückte binnen 3 Tagenvollständig den Pruritus. Die Behand-lung des HES-induzierten Pruritus wur-de für 5 Wochen bis 6 Monate durchge-führt; nach Absetzen der Therapie rezi-divierte der Juckreiz jedoch rasch. ZurTherapie des aquagenen Pruritus beiPolycythaemia vera wurde Capsaicin inder niedrigsten Konzentration (0,025%)über 3 Wochen eingesetzt.Während die-ses Zeitraums trat bei Kontakt mit Was-ser kein Juckreiz auf. Auch hierbei warnach Beendigung der Capsaicinanwen-dung ein Wiederauftreten der Sympto-matik festzustellen. Ein zunächst nichtdiagnostizierter Morbus Hodgkinsprach über 2 Monate in einer Konzen-tration von 0,05% gut auf Capsaicin an.Pruritus machte sich erst wieder be-merkbar als nach Diagnosestellung derGrunderkrankung die Capsaicinthera-pie abgesetzt und eine Chemotherapieeingeleitet wurde.
Schmerzaffektionen und Parästhe-sien sprachen unterschiedlich auf dieLokaltherapie mit Capsaicin an. EinWirkeintritt war erst nach 1–2 Wochenzu verzeichnen. Im Falle der Notalgiaparaesthetica konnte auch in höchstenKonzentrationen bis 0,5% kein völligesSistieren der Kribbelparästhesien erzielt
Abb. 4 m a Psoriasis vulgaris mit sekundär-pruriginösen Effloreszenzen vor der Therapie.b Zustand nach einer 10-monatigen Therapie mit 0,1% Capsaicin.
a b
werden. Die Lokalisation zwischen denSchulterblättern erschwerte außerdemdie Anwendung, weshalb beide Patien-ten nach 2 Monaten die Therapie been-deten. Bei schmerzhaften Leiomyomenkonnte innerhalb von 2 Monaten bis zueiner Endkonzentration von 0,1% keineReduktion der Schmerzen beobachtetwerden, sodass die Therapie abgebro-chen wurde. Herpetische Neuralgien si-stierten dagegen vollständig innerhalbder ersten 5 Tage in niedrigsten Konzen-trationen. Postherpetisch traten keineSchmerzen auf.
Ergebnisse der feingeweblichenUntersuchungen
Elektronenmikroskopische Untersuchung
Ultrastrukturell zeigten die Prurigo-no-dularis-Herde vor der Capsaicintherapieregelrechte, z. T. gering hyperplastischedermale Nervenfasern. Auch die wäh-rend und einen Monat nach längerer Be-handlung gewonnenen Proben wiesenweder degenerative noch entzündlicheVeränderungen in den Axonen und Sch-wann-Zellen der kutanen Nervenfasernauf (Abb. 5). In den sekretorischen Gra-nula der Nervenfasern war unter Cap-saicin weniger elektronendichtes Mate-rial darstellbar. Einen Monat nach Ab-setzten einer 4- bzw. 10-monatigen Cap-saicintherapie imponierten wieder dichtgepackte sekretorische Granula.
Konfokale Laserscanmikroskopie
In den fluoreszenzmarkierten Schnittenkonnte vor der Capsaicintherapie eineAnfärbung auf Substanz P in den unmy-elinisierten Nervenfasern demonstriertwerden. Zusätzlich fand sich sporadischeine extrazelluläre Immunreaktivität,die auf eine Ausschüttung von Sub-stanz P während der Juckreizphase zu-rückzuführen ist (s. Abb. 6a). Währendder Capsaicinanwendung war dagegenSubstanz P in den Nervenfasern nichtmehr nachweisbar (s. Abb. 6b).
Besprechung
Topisch appliziertes Capsaicin zeigte indem untersuchten dermatologischenKollektiv einen ausgezeichneten anti-pruritischen und guten analgetischenEffekt. Durch seinen direkten Angriffs-
Der Hautarzt 3•2000 169
punkt an den polymodalen Nervenfa-sern ist Capsaicin im Gegensatz zu Anti-histaminika auch bei nicht histaminin-duziertem Juckreiz wirksam. Der spezi-fische Wirkmechanismus von Capsaicinkonnte erstmalig immunfluoreszenzop-tisch an Hautbiopsien von Patienten be-stätigt werden.Während der Capsaicin-therapie war mittels der sensitiven kon-fokalen Laserscanmikroskopie einekomplette Depletion des Neurotrans-mitters Substanz P in den Nervenfasernfestzustellen (s. Abb. 6b).
Auch nach längerer Anwendungs-dauer war bis auf 2 Ausnahmen keinWirkverlust erkennbar. Die selten auf-tretende Tachyphylaxie wird wahr-
scheinlich durch eine zu rasche Konzen-trationssteigerung und eine Erhöhungder Applikationsfrequenz hervorgerufen[5, 32, 38]. Im Tierversuch konnte gezeigtwerden, dass das CapsaicinanalogumRTX einen reversiblen, dosisabhängigenVerlust der Vanilloidrezeptorendichteverursacht [58]. Das erneute therapeuti-sche Ansprechen der 2 Patienten nacheiner Therapiepause wäre dementspre-chend durch eine Wiederherstellung derRezeptorexpression erklärbar.
Sowohl bei Juckreiz im Rahmen vonDermatosen als auch bei Juckreiz aufnichtentzündlicher Haut setzte die Wir-kung von Capsaicin i.Allg. binnen Tagenein. Während bei Prurigo nodularis, Li-
Abb. 5 m Kutaner Nerv mit myelinisierten und unmyeliniserten Axonen nach 8-monatiger Capsaicintherapie. Die Axone (Pfeil) und Schwann-Zellen
(Pfeilspitze) zeigen keine Zeichen der Lyse oder Degeneration.Elektronenmikroskopie (Vergr. 1:8900)
Abb. 6 m a Immunreaktivität für Substanz P (SP) in den subepidermalen Nervenfasern (Pfeil) und deren Umgebung (Pfeilspitze) bei unbehandelter Prurigo nodularis (Vergr. 1:800).
b Vollständige Depletion von Substanz P in den Nervenfasern (Pfeil) während der Capsaicintherapie.(Vergr. 1:400). Falschfarbendarstellung, konfokale Laserscanmikroskopie
Originalien
Der Hautarzt 3•2000170
chen simplex, Ekzemen und dem kuta-nem T-Zell-Lymphom Capsaicinkon-zentrationen bis zu 0,3% notwendig wa-ren, erwiesen sich bei HES-induziertemJuckreiz, aquagenem Pruritus und Juck-reiz bei M. Hodgkin in der Regel 0,05%-haltige Capsaicinrezepturen als ausrei-chend. Bei Juckreiz nach Hydroxyethyl-stärke- (HES-)Infusionen, der auf Abla-gerungen des Plasmaexpanders in denNervenfasern zurückzuführen ist [42],erklärt sich das gute Ansprechen vonCapsaicin durch seine direkte Wirkungan den Nervenfasern. Die pathophysio-logische Entstehung des aquagenenPruritus ist ebensowenig wie der M.-Hodgkin-assoziierte Juckreiz geklärt;die vorliegende Studie bestätigt jedochdas therapeutische Ansprechen auf Cap-saicin [29, 39]. Ähnlich wie bei PUVA-und hämodialyseinduziertem Juckreiz[8, 9, 24, 33, 35, 49] war die großflächige,mehrmals tägliche Anwendung vonCapsaicin schwierig durchführbar. Des-halb sollten bei diesen Indikationenneue, systemische Therapiealternativenwie die orale Gabe von Opiatantagoni-sten in Erwägung gezogen werden [43].
Neben seiner symptomatischenWirkung greift Capsaicin aber auch indie Pathophysiologie verschiedener Der-matosen ein.Unter anderem erweist sichCapsaicin bei Lichen simplex und Pru-rigo nodularis insofern als spezifischwirkungsvoll, da in der läsionalen Hauteine vermehrte Produktion von Sub-stanz P, VIP und CGRP nachweisbar ist[1, 2, 54]. Zunehmend wird die Ansichtvertreten, dass es sich dabei um unspe-zifische Reaktionsmuster der Haut aufpermanentes Scheuern oder Kratzenhandelt, die durch ein psychogen indu-ziertes automatisiertes Kratzverhaltenoder verschiedene mit Juckreiz einher-gehende Erkrankungen (entzündlicheHauterkrankungen,Stoffwechselerkran-kungen) hervorgerufen werden [4]. Ge-lingt es, mit Capsaicin den Juckreiz-Kratz-Zirkel zu durchbrechen,heilen dieLäsionen rasch ab. Die eingeschränkteDiffusion von Pharmaka macht bei derPrurigo nodularis höhere Capsaicinkon-zentrationen, initiale Anwendung unterOkklusion und eine länger dauernde
Therapie erforderlich. In ähnlicher Wei-se erklärt sich die Abheilung einer Pso-riasis vulgaris unter Capsaicin nicht aus-schließlich durch den antipruritischenEffekt und die dadurch bedingte Aus-schaltung des Köbner-Phänomens [6].In psoriatischer Haut sind erhöhte Kon-zentration von Substanz P und VIPnachweisbar [44, 46, 54]. Daher vermagCapsaicin über Depletion der Neuro-peptide die Vasodilatation aufzuhebenund eine deutliche Reduktion des Ery-thems, aber auch der Schuppung zu be-wirken [20, 49]. Dementsprechend bil-deten sich bei unseren Patienten diePsoriasisherde zurück, eine vollständigeAbheilung konnte jedoch mit einer Cap-saicinmonotherapie nicht erzielt wer-den.
Entgegen den Literaturberichtenwar bei unseren Patienten mit Notalgiaparaesthetica nur eine Teilremission derBeschwerden erreichbar [49, 65]. Cha-rakteristisch für dieses neurologischeZustandsbild sind umschriebene Paräs-thesien mit sporadisch juckendemAspekt am oberen Rücken im Rahmenvon traumatischen Schädigungen derRr. posteriores der thorakalen Spinal-nerven [11, 19, 25]. Die ungünstige Loka-lisation erschwert jedoch die Durchfüh-rung einer Lokaltherapie und erklärtmöglicherweise das Therapieversagen.Begleitschmerzen von Leiomyomensprachen in keiner Weise auf Capsaicinan. Eine mögliche Ursache für die The-rapieresistenz besteht darin, dass Cap-saicin selbst eine schmerzhafte Kontrak-tion glatter Muskulatur bewirkt [27] undso sein analgetischer Effekt aufgehobenwird. Bei der postherpetischen Neural-gie kann Capsaicin dagegen als Stan-dardtherapeutikum empfohlen werden[36, 40, 69]. Bernstein beschreibt, dass in80% der Fälle nach einer 6-wöchigenTherapie mit 0,075% Capsaicin eineSchmerzfreiheit erzielt werden konnte[7].Auch bei der herpetischen Neuralgiewaren beide Patienten in niedrigerenKonzentrationen (0,025% und 0,05%)völlig symptomfrei.
Die Nebenwirkungen der topischenCapsaicintherapie umfassten sowohlBrennen,Wärmegefühl, Rötung als auch
Verstärkung der Schmerz- und Juckreiz-empfindungen. Diese vorübergehendenSymptome der neurogenen Entzündungtraten jedoch nur zu Beginn der Thera-pie auf und setzten bei einigen Patien-ten erst in höheren Konzentrationen ein.Ein Kontakt mit Schleimhäuten odererosiven Hautstellen ist jedoch zu jedemZeitpunkt zu vermeiden. Nach der Be-handlung blieben keine Sensibilitätsstö-rungen zurück. Entsprechend fandensich in unseren elektronenmikroskopi-schen Untersuchungen keine degenera-tiven Veränderungen in den kutanenNervenfasern, wie sie bei systemischerCapsaicingabe beschrieben wurden[60]. Eine subkutane Capsaicininjektionvon 50 mg/kg KG zerstört bei neugebo-renen Ratten irreversibel bis zu 95% derC-Nervenfasern im Hinterhorn [23, 30,32]. Die intravenöse Gabe von Capsaicinkann eine dauerhafte Unempfindlich-keit gegen chemisch ausgelöste Schmer-zen verursachen [31].Auch an kultivier-ten sensorischen Neuronen ließ sich diepotenzielle Neurotoxizität von Capsai-cin bestätigen [12], die wahrscheinlichauf einer Aktivierung intrazellulärerkalziumsensibler Proteasen mit nachfol-gender Lyse der Nervenfaser beruht [12,23, 30]. Nach topischer Capsaicinanwen-dung wurden bisher aber keine irrever-siblen Nervenschädigungen beschrie-ben. Übereinstimmend waren in unse-rem Patientenkollektiv selbst nach mo-natelanger und hochkonzentrierter An-wendung keine neurologischen Ausfällezu beobachten.
Zusammenfassend ist festzustellen,dass die topische Anwendung von Cap-saicin in der Dermatologie einen vielversprechenden symptomatischen, z. T.aber auch kausalen Therapieansatz beieinem breiten Spektrum von juckendenund schmerzenden Erkrankungen dar-stellt. Sowohl die lange Anwendungsbe-obachtung als auch die feingeweblichenUntersuchungen bestätigen, dass Cap-saicin keine unerwünschten Nebenwir-kungen aufweist. Limitierend erweistsich allerdings die häufige tägliche An-wendung, weshalb die Entwicklung vonCapsaicinderivaten mit längerer Biover-fügbarkeit wünschenswert wäre.
Der Hautarzt 3•2000 171
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Eingegangen am 7. Dezember 1998Angenommen am 16. Juli 1999
R. Jarisch (Hrsg.)Histamin-Intoleranz
Stuttgart, New York: Thieme, 1999. 124 S., DM 40.–
Die vorliegende Monographie „Histamin-Into-
leranz“ von R. Jarisch und Mitarb. beschreibt die
Physiologie des Histamins, Krankheitsbilder der
Histaminintoleranz, Medikamentenunverträglich-
keiten in einfacher, primär für den medizinischen
interessierten Laien gehaltener Sprache. Die Prä-
misse der vorliegenden Schrift ist das Histamin:
„der wichtigste Mediator bei allergischen Erkran-
kungen.“ Zusätzlich wird auf eines der wichtigen
histaminabbauenden Enzyme, nämlich der
Diaminooxidase (DAO), eingegangen.Weiter
werden Aspekte der Histamin-Intoleranz und die
pathophysiologische Bedeutung für Dysmenor-
rhoe und Neurodermitis angesprochen. Zur Auf-
lockerung und Veranschaulichung werden Fallbe-
richte vorgestellt, die die Essay-artigen Textblöcke
unterbrechen. Als „Schmankerl“ wird der sog.
Rotwein-Provokationstest vorgestellt – wohl der
Grund für die Tatsache, dass es die Liste jener
„Nahrungsmittel als Auslöser von Histamin-
Intoleranz Symptomen im eigenen Krankengut“
anführt.
Zusammenfassend kann gesagt werden,
dass die anschaulichen Informationen in Tabel-
lenformat u.a. zu den Themen „Stellenwert
verschiedener Nahrungsmittel als Auslöser von
Histamin-Intoleranz-Symptomen“ oder
„Histaminarme Ernährung“ oder „Top 11 der
meistverkauften DAO-Blocker“ besonders hilf-
reich sind. Insgesamt ist dieses Buch für den Aller-
gologen wegen der weiterführenden Referenzen
am Ende der jeweiligen Kapitel eine wertvolle
Ergänzung zur bereits bestehenden Fachliteratur.
Ganz besonders ist dieses Büchlein für Patienten
geeignet, bei denen der Arzt andere Allergien/
Intoleranzen/Ursachen ausgeschlossen hat und
aus Zeitnot dem Patienten etwas in die Hand
drücken möchte.
E. Paul Scheidegger (Zürich)