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Ober das Verhalten der Haut-nnd Sehnenreflexe bei vollst tndiger Querschnittsl sion des Riickenmarks. Von Dr. I. Rasdolsky, Ins~itut fiir Gehirnforschung, St. Petersburg'. Im Jahre 1890 stellte B a s t ia n i) den Satz auf: eine volls~s Querschnittsls des Riickenmarks tuft ein vollsts Ausbleiben sowohl der Haut-als der Sehnenreflexe hervor, abws yon der Be- schs nach unten. Die Ursache des Verschwindens de~ Reflexe glaubt B a s t i a n in der Unterbrechung der herabsteigenden Kleinhirnbahnen suchen zu diirfen, welche nach If. J a c k s o neine stimulierende Wirkung anf die reflektorischen Funktionen des l~iicken- marks ausiiben. Viele klinischen Tatsachen schienen die Auffassung yon B a s t i a n zu bestiitigen, nnd, nachdem B r u n s 2) einen Fall yon Areflexie be- schrieben hatte, we ein vollst~ndiges Unterbrechen des Riickenmarks stattgefunden hatte, wie es die Autopsie bestgtigte, wurde diese Auf- fassung yon mehreren Klinikern (D e j e r i n e, N o n n e, M a r i n e s c o, Cestan, Winter, gabel u. a.) angenommen und bekam die Geltung eines ,,Gesetzes yon B a s t i a n". Aber heute fehlt es nicht an klinischen Beobachtungen, we dutch die Autopsie nachgewiesene Querschnittsl~tsion des Riickenmarks in den Ha]s- und oberen Brustsegmenten yon keiner Areflexie begleitet wurde (Schultze, Fiirbringer, Senator, Gerhardt, Kau sc h, Jell y,g e nne b erg,L a p ins k yu.a.)undanderer- seits wissen wit F/ille, we eine partielle L~sion des Riickenmarks mit Areflexie verbunden war (0 p p e n h e im). Eine hSchst interessante Beobacht~mg iiber den Zustan4 tier 8ehnenreilexe bei vollstgndiger Quersehnittsliision des Riiekenmarks gehSrt B a r b 6. B a r b ~ unter- suehte die Kniereflexe eines Guillotinierten und es gelang ibm, die- 1) Ned. ehir. Transact. London 1890. 2) Arehiv f. Psych. XXV.

über das Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe bei vollständiger Querschnittsläsion des Rückenmarks

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Page 1: über das Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe bei vollständiger Querschnittsläsion des Rückenmarks

Ober das Verhalten der Haut-nnd Sehnenreflexe bei vollst tndiger Querschnittsl sion des Riickenmarks.

Von

Dr. I. Rasdolsky, Ins~itut fiir Gehirnforschung, St. Petersburg'.

Im Jahre 1890 stellte B a s t ia n i) den Satz auf: eine volls~s Querschnittsls des Riickenmarks tu f t ein vollsts Ausbleiben sowohl der H a u t - a l s der Sehnenreflexe hervor, abws yon der Be- schs nach unten. Die Ursache des Verschwindens de~ Reflexe glaubt B a s t i a n in der Unterbrechung der herabsteigenden Kleinhirnbahnen suchen zu diirfen, welche nach If. J a c k s o n e i n e stimulierende Wirkung anf die reflektorischen Funktionen des l~iicken- marks ausiiben.

Viele klinischen Tatsachen schienen die Auffassung yon B a s t i a n zu bestiitigen, nnd, nachdem B r u n s 2) einen Fall yon Areflexie be- schrieben hat te , we ein vollst~ndiges Unterbrechen des Riickenmarks stat tgefunden hatte, wie es die Autopsie bestgtigte, wurde diese Auf- fassung yon mehreren Klinikern (D e j e r i n e , N o n n e , M a r i n e s c o , C e s t a n , W i n t e r , g a b e l u. a.) angenommen und bekam die Geltung eines ,,Gesetzes yon B a s t i a n".

Aber heute fehlt es nicht an klinischen Beobachtungen, we dutch die Autopsie nachgewiesene Querschnittsl~tsion des Riickenmarks in den Ha]s- und oberen Brustsegmenten yon keiner Areflexie begleitet wurde ( S c h u l t z e , F i i r b r i n g e r , S e n a t o r , G e r h a r d t , K a u sc h , J e l l y , g e n n e b e r g , L a p i n s k y u . a . ) u n d a n d e r e r - seits wissen wit F/ille, we eine partielle L~sion des Riickenmarks mit Areflexie verbunden war (0 p p e n h e im). Eine hSchst interessante Beobacht~mg iiber den Zustan4 tier 8ehnenreilexe bei vollstgndiger Quersehnittsliision des Riiekenmarks gehSrt B a r b 6. B a r b ~ unter- suehte die Kniereflexe eines Guillotinierten und es gelang ibm, die-

1) Ned. ehir. Transact. London 1890. 2) Arehiv f. Psych. X X V .

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selben in dene r s t en 8 M i n u t e n h a c k H i n r i c h t u n g a u s - z u 1 5 s e n. B a r b ~ 's Beobachtungen warden yon seinen anwesen- den Schiilem best~itigt.

Sowohl die yon B a r b ~ erwiesene Tatsache, welcher die Be- deutung nines fast laboratorischen Versuchs zukommt, als die Beobaeh- tungen der oben ar~gefiihrten Kliniker erwiesen, da~ die Areflexie bei Qaersehnittsl~ision des Riiekenmarks durchaus nioht regelm~Ng vor- handen ist. Jedoch behauptete B r u n s bis zur letzten Zeit, dag B a s t i a n s Gesetz fiir Sehnenreflexe Ms festgestellt gelte.

Wenn abet die Beziehung des Gesetzes yon B a s t i a n auf 3Ien- sehen mehr als bedenklieh erscheint, so ist es in bezug auf die Tiere durchaus nieh) giiltig. Viele Forseher (L a p i n s k y , S ix e r r i n g - t o n , B a 1 i n t) beriehten, dal~ bei Tieren (Kaninehen, Katzen, Hun- den usw.) eine vollstgndige Quersehnittslgsion des Riiekenmarks in den tIals- und oberen Brustsegmenten nut ein zeitweiliges Ausbleiben yon Haut : und Sehnenreflexen hervorrnft , welehem eine Steigerung derselben naehfolgt. S h e r r i n g t o n erweiterte diese Regel auek

in bezug attf Allen. Das Bestreben meiner Versuehe war die Ergriindung der Frage

tiber die Sehnelligkeit, mit weleher sieh hack Durchsehneiden des Riiekenmarks die Reflexe winder herstellen, und fiber den Einflug

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des Durehsehneidens auf die Haut- und Sehneareflexe. Die Versuehe wurden an Hund und Kaninchen ausgefiihrt. Es wurde kein wesent- linker Untersehied zwisehen Kaninehen and Hund vermerkt . Das weitere bezieht sieh gleieherweise auI beide Tiergruppen.

Das Mark wurde in dem oberen Brustsegment durehsehnitten. Es wurde dabei auf nine minimMe ?r Aufmerksam- knit geriehtet. Der Grad des Durchsehnitts war, w i e e s bei der

Autopsie festgestellt wurde, ein totaler.

S e h n e 11 r e f ! e x e (bei Seitenlage) : 3 Minuten naeh dem Dureh-

sehneiden (bei Kaninehen nach 5 Min.) lebhafte I~niereflexe, lebhafte Reflexe yon den Knochen der Beckenzone, besonders des Obersehenkel- segmentes ~us, Sehnenreflexe konnten von den FuBstreckern aus nur mit Miihe ausgelSst werden, und es gel~ng nicht, ge~reuzte Sehnen- reflexe aUszulOsen. Naeh 20--25 Minuten ]ebhafte homolaterMe Sehnen- reflexe; veto Vorhsmdensein gekreuzter Refiexe konnte ieh reich nieht iiberzeugen. - - Nach 20 Minuten xmd spiiter: homolaterale Sehnen- reflexe sehr lebhaft; yon gekreuzten warden mit Leichtigkeit folgende ansgelSst: bei Beklopfen der ~tu/~eren Oberfl~che des unteren Segments des Oberschenkels--Kontraktion der gegenseitigen Adduktoren; bei Be-

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0ber das Verhalten der Hs.ut- und Sehnenreflexe usw. 333

klopfen des Obersehenkels und Cristae oss. ilei--Kontrak%ion der Un~er-

sehenkelstreeker; nnd.bei Beklopfen des Untersehenkelknochens -- Ein- w~rtsrotierung des Fu~es.

H s. L~ ~ r,e f 1 e x e : Die ers~en deutliehen Reaktionszeichen, s.ts Antwort auf l%izung dureh Stiche, konnten nur nach ~--5 Stunden nach dem Durehsehneiden erhal~en werden, wobei eine reflekt.orische Kontrs.ktion beim S~e.chen der Zehen beobachfet wurde. Naeh 20 Stun- den kosnte ms.n eine deutliche Regktion bei Stiehen nnd thermaler Reizung (l%s.genzgls.s 1nit heif~.em ~Vgsser) yon Zehen, Pug und unteren Beinsegmenten erhalten. Die Einwirkung dieser 1Reize s.uf die Haul des Oberschenkels und der nnteren Absehnitte des Rumples bis ~.uf Segmente, welche.der Stelle des Durchschnitts entspreehen, wnrde yon keiner bestimmten Reaktion begleifet. Nur in den folgenden Ts.gen verbreitete sich die Zone, yon weleher ~.us sieh Hgu~reflexe ausl8sen lie~en, gufwa.rts bis zur Stelle des Durchsehnitts.

Bei Zusammenfassung unserer Ergebaisse diirfen wir folgendes annehmen: 1. eine to,ale Querschnittslgsion des Riickenmarks im oberen Brus~segment bei Htmden uad Kaninehen ruf~ nur einen voriiber- gehenden Areflexiezustand der yon der Besehi~digungsstelle distal liegenden Absehnitte hervor; 2. dabei verhalten sieh die ttattt- und Sehnenreflexe nieht gleiehartig; die Hautreflexe stellen sieh naeh lgngerer Zeit, und zwar anfgnglieh nut in distalen KSrperabsehnitten sehr langsam wieder her,

VMe nenerdings festgestellte Tatsaehen berechtigen nns jetzt, die Ursaehe einer Areflexie bei vollst~ndigen Quersehnittsliisionen des Riiekenmarks nieht in einem Unterbreehen der Kleinhirnbahnen zu ersehen, sondern in einer ganzen Reihe yon begleitenden Ersehei- ~mngen, welche mit solchen Beseh~digungen einhergehen, wie Schoek (R o s e , 0 p p e n h e im), Blur- und LymphzirkulationsstSrungen ( S t r i i m p e l l , B r i s s a n d , L a p i n s k y , C o l l i e r , N a - g e o t t e u. a.) und die dadureh erzeugten Veriindertmgen in den Vor- derhornzellen nsw. Arts all dem Angefiihrten kSnnea wir sehliegen, dag diese Ursaehen einen grSl~eren Einflul~ attf die IIaut- als auf die Sehnenreflexe haben.

Fiir die Erklgrung mancher Eigensehaften der IIaut- und Sehnen- reflexe (Ermiidbarkeit, Latenzzeit, Zahl der bei der Reaktion be- teiligten Muskeln usw.) ist die Annahme notwendig, dal~ die Reflex- bogen der Hautreflexe dureh wenigstens drei, wahrend die Sehnen- refiexbogen nur dutch zwei Neurone gebildet seien. Andererseits wurdedurehVersuehe S h e r r i n g t o n s , V e r w o r n s ~ V e z z i s n. a. festgestellt, dal3 reflek4orisehe Bogen mit drei lgeuronen, welehe in

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ihrert Bestand zwei Verbindungsglieder (,,Synapse") einscklieSen, eine geringere Dauerhaftigkeit als Bogen mit zwei Neuronen nnd einer Synaps attfweisen.

Dadurch wird der Umstand erkls dal] ein Schock, eine StSrung der Blur- and Lymphzirkulation und andere t~olgen einer totalml Quersehnittslgsion des Riiekenma.rks mehr auf die ttaut- als auf die Sehnenreftexe einwirken.

Aui solche Weise wird dutch das verschiedene Verhalten der Hau t - and Sehnenreflexe bei vollst~ndiger Quersehnittslgsion des Riiekemmarks die Annahme bestgtigt, dag die Reflexbogen der tIaut- and Sehnenreflexe verschieden zusammengesetzt sind, nnd zwar sind die ersteren mehr kompliziert.