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Uber den Zusammenhang des S~barachnoidealraumes mit den Lymphbahnen der peripheren Nerven im Bereich des Riickenmarkes. Von Dr. tI. Sardeman und Dr. H. Spitzer. (Eingegangen am 16. Mai 2932.) Die ungekl~rten Anschauungen fiber den Zusammenhang des Subarachnoideal- und des Subduralraumes mit den peripheren Lymphgef~f~en im allgemeinen und den perineur~len Lymphgef&13en im Bereich des Rfickenmarkes im besonderen haben Key und Retzius zu Injektionsversuchen an der Leiehe veranla~t. Es gelang ihnen (1875--76) schon bei niedrigem Druck die peripherischen Nervenst~mme vom Subarachnoideal- und Subduralraum aus zu injizieren. Nach ihrem Befund stehen die beiden Hiillr~ume nirgends in offener Verbindung miteinander, doch geht die v611ige Scheidung innerhalb der Wurzelnerven mehr oder weniger ver- loren. Eine Verbindung der zentralen R~ume mit anderen Lymphgef~i3en im Bereich des Rtickenmarkes konnten sie nicht linden. Der Liquor zirkuliere somit in den geschlossenen HiiUr~umen, von wo aus die Spalten der Wurzetnerven seinen Ab- fluB in die Lymphbahnen der peripheren Nerven vermitteln, ohne dal3 er einen direkten Weg zu den iibrigen Lymphgef~l]en des K6rpers flnde. Diesen fiberzeugenden Versuchen und Ergebnissen ist Fischer (1879) ~uf Grund eigener Experimente entgegengetreten. Trotzdem haben sp~ter viele Autoren die Angsben yon Key und Retzius for richtig gehalten (Xageotte u. a.), allerdings ohne sich durch weitere Untersuchungen davon zu tiberzeugen. Welm wir selbst auf diese Frage zuriickkommen, so geschieht es, well yon Richter (1921) Anschauungen ge- gul~ert wurden, die sich mit denen yon Key und Retzius nicht vereinbaren lassen. Nach Richter endet der Subduralspalt im Wurzelnerven durch Verwachsung yon Dura und Arachnoidet~, wghrend sieh der Subarachnoidealraum verschieden welt in den Wurzelnerven fortse~zt, um endlich blind zu enden. Es bestehe also im Be- reich des Riickenmarkes keine Verbindung der zentralen Hfillrgume peripherwt~rts in die Nerven. Allerdings entstammten diese Ergebnisse nur histologisehen Unter- suchungen, die auch nicht ohne Widersprueh geblieben sind (Spitzer, 1926). Richter berief sieh auch ,~uf die Befunde yon Tinel, der naeh Tuscheinjektionen in den Subarachnoidealraum die Tuschbr6ckel in den Ecken bei den austretenden Nerven- wurzeln wiederfand. Wir gl~uben, dal3 die Wichtigkeit der Frage eine endgtiltige Beant- wortung erfordert. Zu diesem Zweck bentitzten wir Injektionsversuche am lebenden Tier. Zur Verwendung gelangten Meerschweinchen, Hunde und Ziegen 1. Wir tiberzeugten uns, dsl~ der Liquor cerebrospinalis eine 0,5 % ige Methylen- 1 Wir danken Herrn van Leeuwen fOr die l~berlassung der Hunde.

Über den Zusammenhang des Subarachnoidealraumes mit den Lymphbahnen der peripheren Nerven im Bereich des Rückenmarkes

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Page 1: Über den Zusammenhang des Subarachnoidealraumes mit den Lymphbahnen der peripheren Nerven im Bereich des Rückenmarkes

Uber den Zusammenhang des S~barachnoidealraumes mit den Lymphbahnen der peripheren Nerven im Bereich des Riickenmarkes.

Von

Dr. tI. Sardeman und Dr. H. Spitzer.

(Eingegangen am 16. Mai 2932.)

Die ungekl~rten Anschauungen fiber den Zusammenhang des Subarachnoideal- und des Subduralraumes mit den peripheren Lymphgef~f~en im allgemeinen und den perineur~len Lymphgef&13en im Bereich des Rfickenmarkes im besonderen haben Key und Retzius zu Injektionsversuchen an der Leiehe veranla~t. Es gelang ihnen (1875--76) schon bei niedrigem Druck die peripherischen Nervenst~mme vom Subarachnoideal- und Subduralraum aus zu injizieren. Nach ihrem Befund stehen die beiden Hiillr~ume nirgends in offener Verbindung miteinander, doch geht die v611ige Scheidung innerhalb der Wurzelnerven mehr oder weniger ver- loren. Eine Verbindung der zentralen R~ume mit anderen Lymphgef~i3en im Bereich des Rtickenmarkes konnten sie nicht linden. Der Liquor zirkuliere somit in den geschlossenen HiiUr~umen, von wo aus die Spalten der Wurzetnerven seinen Ab- fluB in die Lymphbahnen der peripheren Nerven vermitteln, ohne dal3 er einen direkten Weg zu den iibrigen Lymphgef~l]en des K6rpers flnde.

Diesen fiberzeugenden Versuchen und Ergebnissen ist Fischer (1879) ~uf Grund eigener Experimente entgegengetreten. Trotzdem haben sp~ter viele Autoren die Angsben yon Key und Retzius for richtig gehalten (Xageotte u. a.), allerdings ohne sich durch weitere Untersuchungen davon zu tiberzeugen. Welm wir selbst auf diese Frage zuriickkommen, so geschieht es, well yon Richter (1921) Anschauungen ge- gul~ert wurden, die sich mit denen yon Key und Retzius nicht vereinbaren lassen. Nach Richter endet der Subduralspalt im Wurzelnerven durch Verwachsung yon Dura und Arachnoidet~, wghrend sieh der Subarachnoidealraum verschieden welt in den Wurzelnerven fortse~zt, um endlich blind zu enden. Es bestehe also im Be- reich des Riickenmarkes keine Verbindung der zentralen Hfillrgume peripherwt~rts in die Nerven. Allerdings entstammten diese Ergebnisse nur histologisehen Unter- suchungen, die auch nicht ohne Widersprueh geblieben sind (Spitzer, 1926). Richter berief sieh auch ,~uf die Befunde yon Tinel, der naeh Tuscheinjektionen in den Subarachnoidealraum die Tuschbr6ckel in den Ecken bei den austretenden Nerven- wurzeln wiederfand.

Wir gl~uben, dal3 die Wicht igke i t der Frage eine endgtil t ige Bean t - wor tung erfordert . Zu diesem Zweck benti tzten wir In jek t ionsversuche

am lebenden Tier. Zur Verwendung gelangten Meerschweinchen, Hunde und Ziegen 1. Wir

t iberzeugten uns, dsl~ der Liquor cerebrospinalis eine 0,5 % ige Methylen-

1 Wir danken Herrn van Leeuwen fOr die l~berlassung der Hunde.

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biaul6sung auch nach tagelangem Stehen bei 370 C n i c h t entf&rbt. Hier- auf injizierten wit den Tieren ihrer Gr6ge entspreehende 5[engen (3-30 ecm einer sterilen LSsung lumbal. Naeh 1--'4 Tagen gelangten sie zur Sektion. Es wurden nun die peripheren Nerven pr/ipariert und darauf geaehtet , ob sic den Farbstoff angenommen hatten. So konnten wit sehen, ob die Farbe vom SubaraehnoideMraum aus in ihnen peripherw£rts gelangt W~12.

Die exakte Ausfiihrung solcher Injekt ionen gelingt nieht immer. L'ber eine Anzah[ mil3glfiekter Versuehe wollen wit nicht n'ither berichten. Zuni~ehst seheint es kaum m6glieh, den Subaraehnoidealraum allein zu injizieren. Meistens betr i t t der J~'arbstoff aueh den Epiduralraum. Von hier aus bestehen Kommunika t ionen mit der Peritonealh6hle (Spina, 1901). Bei s tarkem Injekt ionsdruck f/~rben sich - - vielleicht auf diesem Wege - - einzelne .~luskelinsertionen in der Umgebung der aus t re tenden Nerven, Hiezu kommt , dab man kaum einem lebenden Gewebe eine gewisse Permeabili~/it gegenfiber Farbstoffen abspreehen kann; doeh spielt hier der Injekt ionsdruek eine grosse Rolle. Eine ]~arbl6sung, die sieh unter natiirliehen Druekverh~iltnissen in pr£formier- ten l:~&umen bewegt, kann diese unter erh6hteln Druck auf nieht ver- folgbaren Wegen verlassen und ins umgebende Gewebe gelangen. Wit legen daher Gewieht auf die Ergebnisse jener Versuehe, bei denen eine geringe Nenge der L6sung die posit iven Result~te ergab. Wird eine grSBere Quantit/~t 5Iethylenblau unter Druek in die Muskulatur in- jiziert, so f~rbt es naeh wenigen 5Iinuten die Sehleimhaut des Mundes und der Nase, erseheint bekanntl ich in kiirzester Zeit im Urim Wird aber eine geringe Nenge vorsiehtig in dem Subaraehnoidealraum de- poniert, so kann man sic zum groSen Tell in den pr£formierten I~£umen wiederfinden - - sei es nach 1, 2 oder 3 Tagen, ohne dab sieh umgebendes Gewebe mitf~rbt. Auch in soichen F/~llen erscheint der Farbstoff im Urin. Auf welchem %Veg er die nerv6sen Lymphr~ume verlassen hat, konnten wit nieht feststetlen.

Wi t lassen nun die Protokolle jener ,,gegliickten" Versuehe folgen, in denen wit das subaraehnoideal injizierte 3Iethylenblau in den peri- pheren Nerven wiederfanden.

1. 25. 8.31. Meerschweinehen. 3 eem t),5 %ige MethylenblaulSsung wird lumb~l injiziert. Es treten toniseh-klonisehe I~'~,mpfe auf, dann LS, hmung der hinteren ExtremitS,ten. Spontaner Exitus 28. 8. 31. Sektion: ])as gtiekenmark ringsum bis zur )Iedulla hinauf gefS, rbt. Links der letzte Lumbalnerv blau his ins Beeken und in seine Zweige. Die andern Nerven ungef~,rbt. Kleine pr~,vertebrate Lymph- kno~en blau imbibiert. Uberdehnte Blase, blauen Urin enthaltend.

2. 8.9.31. >[eersehweinehen. 3 eem 0,5 % ige Methylenblaul6sung lumbal injiziert. Die hinteren Extremit&ten sind sofort lahm, naeh 3 Tagen erlahmen die vorderen. 12.9.31. Die Carotiden werden im Chtoraethylrauseh durehtrennt. Sektion: Him ungef~rbt, l~/iekenmark ringsum zart tingiert, l~eehts der Lumbosaer~l- plexus his ins Beeken btau gef/i, rb~. Links Mlein der 2. Lumbalnerv blau. Reehts liegt ein wenig 3'Iethylenblau im retroperitonealen hIuskelgewebe.

Z. f . d. g . Ne i t r . u . P s y c h . 1~1. 43&

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666 Sardeman u. Spitzer: t~ber den Zusammenh~ng des Subaraehnoidealraumes

3. 11.9.31. 5feerschweinchen. 5 ccm 0,5%ige Methylenblaul6sung lumbal in- jiziert. Toniseh-klonische I(r/impfe. Spontaner Exitus nach 1 Stunde. Eingeweide nicht gefii, rbt. Riickenmark ringsum blau, ebenso der tIirnstamm, besonders dorsal; Farbstoff im 4. und 3, Ventrikel; Seitenventrikel frei. :Die Basis cerebri nur wenig gefhrbt. Das Groghirn dorsal ungefS, rbt. Beide Plexus lumbosacralis blau bis ins Becken.

4. 2.10.31. Junge Ziege. 20 ecru 0,5%ige MethylenbtaulSsung lumbal injiziert. Am folgenden Tag Lhhmung aller Extremit~ten, Dyspnoe, moribund. Sektion: F&rbung des t~iiekenmarks ringsum bis zur Medulla. Die Dura ist aueh an der AuBenseite gef&rbt. ])as tt irn oberhalb der Medulla frei. Lumbalplexus beiderseits gef~rbt bis ins Becken. Links Nethylenblau im Pelveoperitoneum. Der linke Plexus brachialis hat sieh elektiv blau tingiert.

5. 20. 10.31. Itund. 10 ecru 0,5%ige MethylenbiaulOsung lumbal injiziert. Der Farbstoff fliefJt teilweise dureh deil Stiehkanal zurtiek und ergiegt sieh subeutan. 2i. i0.31. TOtung dutch Stryehin. Sektion: l]berdehnte Blase, b|~uen Urin ent- haltend. Sonst Eingeweide ungef&rbt. :Die im Becken auspr&parierten Nerven sind ungefS.rbt. N~eh Wegnahme der WirbelkSrper, sieht man die blau gef&rbten Wurzeln. Die Tinktion iibersehreitet bei einigen die Spinalganglien um ungefiihr 1 ccm. Im It~lsm~rk nut Spuren der Farbe. Him frei.

6. 26.10. 31. Junge Ziege. 30 eem 0,5 %ige Methylenblaul0sung lumbal injiziert. Sofortige Dyspnoe. Spontaner Exitus ,~m 29. It). 31. Sektion: Him ungefS.rbt. t~iickenmark in den eaudalen Anteilen ringsum blau. Links der Plexus lumbo- saeralis tingiert, reehts ungefS, rbt. Einzelne retroperitoneale Drtisen imbibiert.

W i t haben n u t jene Versuehe als gegl i iekt festgehMten, in denen sieh das die per ipheren Nerven umgebende Gewebe n ieht oder n ieh t wesent l ieh mitf / i rbte , so dab sieh in diesen F/tllen k a u m ein Zweifel e rg ib t , auf welehem Wege das 5fe thy lenblau in die Nerven, bzw. in ihre L y m p h . rii, ume gel~ngte. Besonders woiien wi t den Versuch 4 he rvorheben , bei dem sich der l inke Plexus braehia l is e lekt iv gefi irbt ha t , ohne dab das Gewebe um ihn i rgend welehe VerS, nderungen aufwies. "vVir k6nnen daher niehts anderes, als in Ube re in s t immung mi t Key und YRetzius eine d i r ek te Verb indung vom Suba raehno idea l r aum in die per ipheren Nerv- l y m p h r ~ u m e annehmen. Dal3 der subdura le R a u m eine wesent l iehe Beeinf lussung der In j ek t ionsb i lde r hervorruf t , is t n ieht wahrseheinl ieh , da die in i bm zi rkul ierende Fl t i ss igkei tsmenge sehr gering sein mug . Die meis ten Auto ren nehmen an, dal3 er sieh beztiglieh der L y m p h v e r - b indungen per ipherw~r ts i ihnlieh verh~,lt, als der Subaraehno idea l - r aum, also n icht b l ind endet . ~ 'ber das Sehicksal des in die pe r iphe ren N e r v l y m p h b a h n e n gelangten Liquors kSnnen wit niehts aussagen. Bei gelegent l iehen In j ek t ionen in die per ipheren Nerven lieB sehon eine geringe Drueks te igerung den F a r b s t o f f aus dem Nerven ins umgebende Gewebe fibergehen. Wi r kSnnen in dieser Frage ohne sys temat i sehe Un te r suchungen zu keiner Ansehauung gelangen.

Zusammenfassung. Lebenden Tieren (Meerschweinehen, Hunden , Ziegen) wurde eine

0 ,5%ige Ne thy lenb lau l6sung in versehiedener 5Ienge (3- -30 ecru) l umba l

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mi~ den Lymphbatmen der peripheren Nerven im ~Bereich des l%tickenmarkes. 667

i n j i z i e r t . Be i d e r S e k t i o n n a c h 1 - - 4 T ~ g e n w u r d e de r F a r b s t o f f in d e n

p e r i p h e r e n N e r v e n g e f u n d e n . E i n d i r e k t e r Z u s a m m e n h a n g des S u b -

a r a c h n o i d e a l r ~ u m e s m i t d e n p e r i n e u r M e n L y m p h g e f ~ B e n i m B e r e i c h de s R i i c k e n m a r k e s s c h e i n t d a d u r c h b e w i e s e n zu sein.

Literaturverzei chnis. Fischer: l jn tersuchungen fiber die Lymphbahnen des Zentr~lnervensystems.

Born1 1879. - - Key und Retzius: Studien in der Anatomic des Nervensystems. Stockholm 1875. - - Arageotte: Tabes et Paralysie generale. Th~se de Paris 1895. - - Richter: Zur Histogenese der Tabes. Z. Neur. •7 (1921). - - Spice:l: Pfliigers Arch. 8:L 120 (1901). - - Spitzer: Zur Pathogenese der Tabes dorsa l i s . .k rbe i ten aus dem Neurologischen Ins t i tu t der Uuiversit~t Wien, Bd. 28, :Berlin-Wien. : Franz Deuticke 1926. - - Tinel: l~adiculites et Tabes. Leclerc Paris 1910.

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