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54 Thornson, U6er die GrZfie der Atonie. Es ist sonach eine ganz allgemeine Eigenscliaft der Aldehyde, dafs sie sich init Amiden unter Wasseraustritt zu wolilcharacterisirten neutralen Verbindungen vercinigen. Ueber die Gr&e der Atoine; von W. Thomson *). Der Begriff eines Atomes ist so bcstandig verkniipft worden mit unglaublichen Voraussetzungen unbegrenzter Witlerstandsf~higkeit,absoluter Starrheit, mystisclier Wirkun- gen auf Entfernungen und von Uiitheilbarkeit , dafs den Chcmikern und manclien anderen Naturforschern dcr neueren Zeit die Gcduld ausgegangen ist und sie ihn den Gebieten der Jletapliysik iberlassen haben, ein Atom selbst als etwas bezeichnend, .Jes kleiner sei nls irgend etwas, was man sich vorstellcn kbnne." Aber wenn die Atome uber allc Vor- stellung klein siiid, warum sind nicht alle chemischen Wir- kungen uncndlich rasch vor sich gehend ? Die Clicinie vcr- mag nicht sich init dieser Frage uiid mit inanchen anderen yon der allergrijfsten Wichtigkeit zii beschiiftigen , wenn sie in Folge der Schwierigkeiten der fundamentalen Voraus- setzungen daran verhindert wird , das Atom zu betrachten als einen realen Theil der Materie, welcher eincn begrenzten Raum cinnimmt und eincn nicht unmefsbar kleincii Bestand- thcil eines jeden deli Sinnen wahrnehrnbaren Korpers nus- macht. Es sind mehr als dreifsig Jahre her, dafs die Nalur- forsclier durch eine kiihne Behauptung C a u c 11 y 's befremdet ") Aus (1. Xature, So. 22, 31. hIad 1870 in Siiliman's Amcr. Ju111m. of Gcicncc and Arts [?] 12, 38.

Ueber die Grösse der Atome

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54 T h o r n s o n , U6er die GrZfie der Atonie.

Es ist sonach eine ganz allgemeine Eigenscliaft d e r Aldehyde, dafs sie sich init Amiden unter Wasseraustritt zu wolilcharacterisirten neutralen Verbindungen vercinigen.

Ueber die Gr&e der Atoine;

von W . Thomson *).

Der Begriff eines Atomes ist so bcstandig verkniipft worden mit unglaublichen Voraussetzungen unbegrenzter Witlerstandsf~higkeit, absoluter Starrheit, mystisclier Wirkun- gen auf Entfernungen und von Uiitheilbarkeit , dafs den Chcmikern und manclien anderen Naturforschern dcr neueren Zeit die Gcduld ausgegangen i s t und sie ihn den Gebieten der Jletapliysik iberlassen haben, ein Atom selbst als etwas bezeichnend, .Jes kleiner sei nls irgend etwas, was man sich vorstellcn kbnne." Aber wenn die Atome uber allc Vor- stellung klein siiid, warum sind nicht alle chemischen Wir- kungen uncndlich rasch vor sich gehend ? Die Clicinie vcr- mag nicht sich init dieser Frage uiid mit inanchen anderen yon d e r allergrijfsten Wichtigkeit zii beschiiftigen , wenn sie in Folge der Schwierigkeiten d e r fundamentalen Voraus- setzungen daran verhindert wird , das Atom zu betrachten als einen realen Theil der Materie, welcher eincn begrenzten Raum cinnimmt und eincn nicht unmefsbar kleincii Bestand- thcil eines jeden deli Sinnen wahrnehrnbaren Korpers nus- macht.

Es sind mehr als dreifsig Jahre her , dafs die Nalur- forsclier durch eine kiihne Behauptung C a u c 11 y 's befremdet

") Aus (1. Xature, So. 22, 31. h I a d 1870 in Siiliman's Amcr. Ju111m.

of Gcicncc and Arts [?] 12, 38.

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wurden, nach welcher die bekannten prismatischen Farben beweisen, die ,,Sphare der merkbaren Molecularwirkung'' in durchsichtigen fliissigen und starrcn KBrpern sei vergleichbar mit der Wellenlinge des Lichtcs. Die inzwischen verflos- senen dreifsig Jahre haben diese Behauptung nur bestatigt. Sie haben eine grofse Zahl urtheilsfahiger Richter hervorge- bracht, und nur Unfahigkeit, in Fragen der Dynaniik zu ur- theilen, kann noch einen Zweifcl daran lassen, dafs C a u c h y 'S Schlufsfolgerung irn Wesentlichen richtig ist. Aber die ,$phire der Molecularwirkung" ist dern niclit rnathernakh ausge- hildeten Geiste kein ganz klarer Begriff; und der Begriff, welclien ein rnatheniatisch ausgebildeter Geist dainit verbindet, ist meiner Ansicht nach durcliaus irrig; denn ich habe keinerlei Glauben an Attractionen und Repulsionen, welche auf eine Entfernurig zwischen Kraftemittclpunliten nach ver- schiedenen Gesetzen wirkcn sollen. Was Ca u c h y's Mathe- matilr in Wirklichkeit beweist, ist diefs : dafs in den homogen ersclieinenden Kbrpern, wic z. B. Glas oder Wasser, anein- anderstofsende Theile niclit gleichartige sind , wenn ihre Dirnensionen mafsig lileine Rruclitheile der Wellenliinge sind. So sind in dcni Wasser aneinanderstofsende Wurfel, jeder von Ein Tausendlheil Centimeter Brcite, merklich gleichartig. Aber aneinanderstofsende Wurfel von j e Ein Zehninilliontheil Centinieter tniissen schr merhlich verscliieden sein. Wenn in einer soliden Masse aus Mauerwerk von zwei aneinander- liegenden Strecken, deren jede 20000 Centimeter lang ist, die eine 999 Mauersteine und zwei halbe Mauersteine, die andere 1000 Mauersteine entlialt, so werden sich so zwei aneinanderstofsende Wurfel von 20000 Centimeter Breite als merklich gleichartig hetracliten lassen. Aber von zwei an- einanderliegenden Strecken von 40 Centinicter Lange konnte die eine Einen ganzen Maucrstein und zwei halbe, die andere zwei ganze Mauersteine enthalten , und alieitiilndcrstof~ende

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Wiirfel von 40 Centimeter Breite wiirden sehr merklich un- gleichartig sein. Kurz : die dynamische Optik liifst keine Ungewifsheit beziiglich der Notliwendigkeit des Zugestiind- nisses, dafs der Durchrnesser eines Moleculs, oder der Ab- stand zwischen dcni Mittelpurlkt eines Moleculs und dem Mittelpunkt eines anstofsenden Moleculs in Glas, Wasser oder irgend einem anderen unserer durchsichligen fliissigen oder festen Riirper, griifser ist als ein Zehntausendtheil der Wellen- lange oder ein Zweihundertmillionthcil eines Centimeters.

Durch Versuche iiber die Contact-Electricitit von Metallen, welche ich vor acht his zehn Jaliren angestellt und in einem, in den Proceedings of the Literary and Philosophical Society of Manchester veroffentlichten Schreiben an Dr. J o u l e be- schrieben hahe, fand ich, dafs Platten von Zink und Kupfer, welche durch einen feinen Draht mit einander vcrbunden sind , sich gegenseitig so anziehcn, wie es gleichgestaltete Stiicke Eines Netalles thun wiirden, die mit den beiden Platten eines galvanischen Elernentes verbunden sind, welclies etwa drei Viertheile der eleclromotorischen Kraft eines D a n i e l I- schen Elementes hat.

Mcssungen, die in den Proceedings of the Royal Society fur 1860 veriiflentlicht sind, zeigten, dafs die Anziehung zwischen parallelen Platten Eines Metalles, die in einer, im Verhiiltnisse zu ihren Durchmessern kleinen Distanz und rnit einem solchen Element in Verbindung erhalten werden, ent- sprechen wiirde einer Anziehung in dem Betrage des Ge- wichtes von zwei Zehntausendmilliontheilen eines Grarnmes for eine Fliiche der sich gegenuber befindlichen Oberflachen, welche dem Quadrate des Abstandes zwischen denselben gleich ist. Dcnlren wir uns cine Platte von Zink und eine Platte von Kupfer, jede von einem Quadratcentimeter Fliiche und einem Hunderttausendtheil Centinreter Dicke, rnit je einer Ecke mit einer Metalllrugel von einem Hunderttausendtlieil

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Centimeter Durchmesser in Beriihrung gebracht. Denken wir uns die, in solclicr Weise in metallisclier Verbindung unter einander erhaltenen Platten erst weit von einarider abstehend, ausgenomrnen an den die kleine Kugel bcruhrenden Ecken, und dann allmalig gedreht, bis sie einander parallel und in einem Abstande von einem Iiunderttausendtheil Centimeter sich gegenirber stehen. In dieser Stellung werden sie sich gegenseitig mit einer Kraft anziehen, welche im Ganzen dem Gewichte von zwei Grammen gleichkomnit. Durch abstracte dynainische Betrachtungeri und die Theorie der Eriergie liifsst sich leicht der Beweis dafiir Mhren, dafs die durch die ver- iinderliche Attractioriskraft wahrend der Bewegung , durch welche wir uns diese Stellung als erreicht gedaclit haben, getliaiienc Arbeit gleirh ist der von einer constanten Kraft von 2 Grainmen Gewicht bei der Wirkung durch einen Raum von einem Hunderttausendtheil Centimeter ; d. h. zwei Hun- derttausendtheilen eines Centimeter-Gramms. Denken wir uns weiter cine zweite Zinliplatte durch ein iilinlichc~s Ver- fahren an dic andere Seite der Kupferplatte gebracht, eine zweite Ihpfcrplatte a n die abstehende Seite dieser zweiten Zirrkplatle, und so fort, bis eine Saule gebildet ist, bestehend aus 50001 Zinkplatten und 50000 Kupferplatten , welche durcli 100000 Zwischenraume getrennt sind , und so dafs jede Platte unbjeder Zwischenraute Ein Hunderttausendtheil eines Centimeters dick ist. Die ganze Arbeit, welche durch eleclrische Aneieliung bci der Bildung dieser Saule getlian wird, betragt zwei Centimeter-Gramm.

Die game Masse Metall ist acht Gramm. Also ist der Betrag der Arbeit ein Viertheil eines Centimeter-Grainins fiir je eiii Grm. Metall. Nun sind 4030 Centimeter-Gramme Ar- beit, gemdfs J o u 1 e's dynainiscliem Aequivalent der Warme, der dafiir erforderte Betrag dafs 1 Grninm Zink oder Kupfer UIII 1" C. erwiirmt werde. Also kijnnte die (lurch die electrische

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Anziehung gelhanene Arbeit die Substanz nur urn . - eines

Grades erwirmen. Aber n u n wollen wir uns die Dicke jedes Metallstiickes und jedes Zwischcnraurnes ein Hundertrnilliontheil eines Centimeters anstatt eines Hunderttauscndtlieiles betragend denken. Die Arbeit wiirde einmillionfach vergrofsert werden, wenn nicht ein Aundertmilliontheil eines Centimeters der Kleinheit eines Molecules nahe kommt. Die iiquivalente Warmemenge wurde also hinrcichen , die Temperatur des Materials um 62O zu erhtihen. Diefs ist kaum, wenn iiberhaupt, zulassig nach dem, was wir iiher die Verbindungswrirme von Zink und Kupfer wissen oder vielrnehr nicht wissen. Aher denken wir uns, dafs die Metallplatten und die Zwischenraume noch viermal diinner waren, d. h. ein Vierliundertmilliontheil eines Centimeters dick. Die Arbeit und die ihr *quivalcnte Wiirme wurde auf das Secliszchnfache vergrtifsert. Sie w i r e also 990 me1 so grors, als zur Erwarniung der Massc urn 1" C. erfordert wird, was vie1 mehr ist, als moglicher Weise durch das Eingehen von Zink und ICupfer i n molccu!are Verbindung hervorgebracht werden kann. Ware in Wirkliclikeit die Verbindungswhme annaliernd etwa so grofs, so n~ufstc ein Cemenge von Zink- und Kupferpulver, wenn an irgend einer Stelle zurn Schrnelzen erhitzt, durch die ganze Masse hindurch in Flufs gerathen, da mchr Wirme frei wiirde, als fur das vollstandige Schrnelzen jedes dcr beiden Rletalle nothig ist ; ebenso, wie eine grofse Menge Schiefspulver, wcnn an einer Stelle entziindet, durch dit: ganze RiIasse hindurch ohne weitere Anwendung von Warme verbrennt. Denkt m a n sic11 also Platten YOII Zink und von Kupfer von eineni Dreihundert- milliontheil Centimeter Dicke abwechselnd nahe a n einander gebracht, so wurde Dieses einer chcmischen Verbindung sehr nahe kommen, wenn miin wirklich aus jedein der Metalle so diinne Platten inaclicn konnle, ohne die Atome zu spalten.

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Dic Theorie der Capillar- Attraction zeigt , dafs, wenn eine Blase - eine Seifenblase z. B. - grbfser und grofscr aufgeblasen wird, Arbeit verrichtet wird durch das Ausdelinen eines Hlutchens, welches der Ausdehnung so widersteht, wie eine elastische Membran mi t einer constanten contractilen Kraft. Diese contractile Kraft ist in Rechnung zu nehmen als eine gewisse Anzahl von Krafteinheiten fur die Einheit der Breite. Beobachtungen iiber das Aufsteigen von Wasser in Capillarrohren zeigen , dafs die contractile Kraft eines dunnen Wasserhlukhens etwa 16 Milligrarnme Gewicht auf 1 Millimeter Breite ist. Also ist die Arbeit, welche bei der Ausdehnung cines Wasserhiiutchens auf irgend eincn Grad von Dunnheit verrichtet wird , in Millimeter - llIilligrainmen gerechnet, gleich dem Sechszehnfachcn von der Anaahl Qua- dratmillirneter , um welche die Fllchc vergr8fsert wird, vor- ausgeselzt, dafs das Hlutcheii nicht dabei so d u n n wird, dafs irgend eine merltliche Verrninderung seiner contractilen Kraft statt hat. In einein Aufsatze : ,Ueber den therniischen Effect bei der Ausdehnung eines Fliissigkeitshdutcl~ens~, welcher in den Proceedings of the Royal Society fur April 1858 veroffentlicht ist , habe icti RUS den1 zweiten Gesetze der mechanischen Theorie dcr WRriae den Beweis dafur abgeleitct, dafs ungefahr halb so vie1 inehr Energie, in der Form von Warme, dem Hiutclieii gegeben werden mufs, urn fur es Temperaturerniedrigung wihrentl der Ausdehnung zu verhulen. Also wird die innere Energie einer Wassermasse, welche iri der Form eines Hiiutchens bei constantcr Tempe- rat u r er 11 a It en w ir d , um vier un d z w a n z i g M i I I i gr a ni m- bl ill i ni e t e r grcfser fur jedes Quadratmillimeter, urn welches seine Flache grofseser wird.

Dcnkcn wir uns n u n , es sei ein Hautchen gegeben von einem Millimeter Dicke, uiid die Fllche desselben werdc auf das Zehntausendundeinfnche vergrdfsert : die fur j e ein

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Quadratmillimeter des urspriinglichen Htiutchens, d. i. fur j e ein Milligramm der Masse, gethanene Arbeit wiirde 240000 Millimeter-Milligramme sein. Die hierfiir aquivalentc Wiirme entspricht rnelir als l / y o C. Erhbhung der Ternperatur der Substanz. Die Dicke, auf welche das Hautchen bei der soeben gemachten Voraussctzung gebraclit wird , ist sehr nahe ein Zehntausendtheil eines Jklillimeters. Die gewbhnlichste Beob- aclitung einer Seifenblase (welche beziglich der contractilen Kraft ohiie Zweifcl nur sehr wenig von reinem Wasser ver- schieden ist) zeigt, dal's in Folge der Verringerung der Dicke auf ein Zehntausendtheil eines Millimeters keine nierkbare Verminderung der contractilen Kraft statt hat ; insofern, als die Dicke, welclie das erste Maximum von IIelligkeit urn den scliwarzen Fleck Iierum, dn \YO die Blase am Dunnesten ist, giebt, nur etwa ein Achtlausendtheil cines Millimcters ist.

Der sehr mifsige Betrag an Arbeit, zu wclchern die vor- hergelienden Schltzungen fuhrten , ist niit dieser Deduction ganz in Uebcreinstimmung. Aber denken wir uns n u n , das Hautchen warde noch weiter ausgedehnt, bis seine nicke auf ein Zwanzigmilliontlieil eines Milliinetcrs verringert sei. Die liierbei verrichtcte Arbeit betragt das Zweitausendfache von der so eben berechneten. Die iquivalente Warme ist das 1130 fachc von dcr Wlrmemenge , welche daf l r erfordert wird, daTs die Temperatur der Flussigkeit um 1" C. erhoht werde. Diefs ist weit mehr, als wir als einen Inbglichen Be- trap yon Albeit, die bei der Ausdehnung eines Fliissigkeits- haulcliens gethan werde , einriumen kbnnen. Ein kleinerer Betrag von Arbeit, welcher auf die Fllssigkeit aufgcwendet wird, wurde diase unter gewdhnlichem atmospharischein Druck in Dampf verwandeln. Die Sclrlufsfolgerung ist unvermeidlich, dafs eiw Wasscrhtiutchen betrichtlich an contractiler Kraft einbufst, bevor seine Dicke auf ein Zwanzigmilliontlieil eines blillimeters verringert ist. Es ist kauin nidglich, nach irgend

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einer denkbaren Moleculartheorie, dafs irgend eine betriicht- liche Abnahme der conlraetilen Kraft statthaben ki inne, so lange mehrere Molecule in der Richtung der Dicke vorhandcn sind. Es ist also wahrscheinlich, dafs in einer Dicke von einem Zwanziginilliontheil Millimeter bei Wasser nicht mchr mehrere Molecule vorhanden sind.

Die mcclianische Theorie d c r Gase, die vor hundert Jahren durch D a n i e 1 B e rn o u 1 I i angctleutet wurde, ist in den letzten fiinf und zivanzig Jahren durch H e r a p a t h , J o u 1 e, C I a u s i u s und M a x w e 1 1 zu so grofser Vollkommenheit ausgearbeitet worden, dafs wir jetzt in ihr genugende Er- kliirungen fur alle nicht-chcmischen Eigensehaften d e r Gase finden. Wio schwierig e s auch sein mag, sich irgend eine Vorstellung dariiber zu machen, was fur eine Art Ding das Molecul se i , so ktinnen wir es doch als eine festgestellte wissenschaftliche Wahrhei t betracliten , dafs ein Gas atis

Moleculen besteht, die sich bewegen und von ihren geradc- linigen , rnit constanten Geschwindiglteiten durchlaufenen Bahnen abgelenkt wcrden durch Zusamnicnstdfsc! oder gegcn- seitige Einwirkungen, welchc so sellen sind, dafs die niittlere Lange der nahe geradeliriigen Theile dcr nahn eines jeden Molecules vielinal grtirser ist , als der durchschnittliche Ab- stand der Mittelpunkte j e zwcier nGchstliegender nIolccule zu irgend einer Zeit. Werin wir fur einen Augenblick annehrnen, die Molecule seien harte elastische Kugeln, alle von dcrselben Grofse, und auf einander nur durch wirkliche Beruhrung Einflufs ausiibend, so haben wir fur jedcs Mulecul einfach eine Zickzack- Bahn, zusaminen g e s e t z t a u i g ern tl e I in ig en T heilen in it pldtzliclien Wecliseln der l3icI:tiiiig. Auf diese Voraussetzung hin bewcist C I a u s i u s durch eine einfachc Anwendung d e r WRh'rsclieinlichkei~srcchnung, dafs die duIchsclinittliche L I n g e d e r frcien Balin eines Partilids zwischen einem Zusammen- Stofs und den1 folgenden zu dem Durchrriesser jeder Kugel

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in demselben Verhaltnisse s k h t , wie der ganze nauin, in welcheni sicli die Kugeln bewegen, zu dem Achtfachen von dcr Summe der Volume der Kugeln. Es folgt hieraus, dafs die Zahl der Kugeln in der Volurneinheit gleich ist dein Qua- drate dieses Verlialtnisses getheilt durcli das Volum einer Kugel , deren Ilalbmesser gleich ist dieser durchschnittliclien Llnge der freien Bahn. Aber wir kijnnen nicht glauben, dafs die einzelnen Molecule Je r Gase im Allgemeinen oder auch nur in irgend einem Gas harte elastische Kugeln seien. J e zwei der sich bewegenden Partikeln oder Molecule miissen irgendwie auf cinander einwirken, so dafs sie, wenn sie sehr nahe an einander vorbeigehen , betriichlliche Ablenkungen yon der Bahn und Ablnderung der Geschwindigkeit f i r jedes hervorbringen werden. Diese gegenseitige Einwirkung (welche als Krafk bezeichnet w i d ) ist verschieden in verschietlenen Abstanden, und mufs mit dem Abstand in solcher Weise sich lndern, dafs einem bcslimmten Gesetze entsprochen wird. Wl ren die Partikel harte elastischc Kijrper, welche auf ein- ander nu r durch Beriihrung wirken, so wiirde das Gesetz der Kraft sein : keine Kraft, wenn der Abstand von Mitte zu Mitte grbfser ist als die Suinme dcr Halbmesser, und unendlich grofse Abstofsung fiir jeden Abstand, welcher lileiner ist als Summe der Halbmesser. Diese Hypothese, mit der schroffen Abgrenzung zwischen keiner Kraft und unendlich grofser Kraft, scheint cine Mildcrung zu benijthigen. Ohne f i r jetzt auf die Theorie der Wirbel- Atonie einzugehen darf ich wenigstens sagen, dafs weiclic elastische feste Kijrperchen, welche niclit nothwendig kugelfijrmig sein miissen, rnelir ver- sprechen, als absolut h a r k elastische Kugeln. Und gliick- licherweise sind wir niclit lediglich unserer Laune in Be- ziehung darauf tberlassen, was wir hinsichtlich des Gesetzes der Kraft als wahrscheinlicli zu bctrachten haben. Waren die Partikel h a r k elastische Kugeln, so wiirde die durch-

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schnittliche Zeit zwischen zwei auf einander folgenden Zu- sammenstdfsen der durchschniltlichen Geschwindigkeit der Partikcl umgekehrt proportional sein. Aber M a x w e 11’s Versuche iiber die Aenderung der inneren Reibung der Gase mit der Aenderung der Teinperatur beweisen, d a h die mittlere Zeit zwischen eiiieni Zusarnmenstot und dem folgenden un- abhlngig ist von der Geschwindigkeit , wenn wir als Zu- sammenstbke nur diejenigen wechselseitigen Einwirkungen bezeichnen, welche mehr als einen bestimmten Grad von Ab- lenkung von der Bewegungsrichlung hervorbringen. Diesem Gesetze kBnnte durch weiche elastische Partikel (kugelfiirmige oder nicht kugelfbrmige) geniigt werden; aber, wie wir ge- sehen haben, nicht durch harte elastische Kugeln. Solche Einzelnheiten gehen jedoch iiber das, was uns hier in Betracht kommt, hinaus. Auf was es uns jetzt ankommt, ist, rohe Anniiherungen an absolute Werthe, in Beziehung auf Zeit oder Raum oder Masse, zu erhalten, nicht Resultate, die sich auf fcine Unterschiede beziehen. Durch J o u 1 e’s , M ax w e 11’s und C I a u s i u s ’ Untersuchungen wissen wir , dafs die durchschnittliche Geschwindigkeit der Mole- cule von Sauerstoff oder Sticlistoff oder atmosphiirischer Luft, bei gew8lrnlicher Temperatur und unter gewbhnlicheni Druck der Atmosphiire, etwa 50000 Centimeter in der Secunde ist, und die durchschnittliche Zeit zwischen zwei Zusammen- stBfsen ein Fiinftausendmilliontheil einer Secunde. Hiernach ist die durchschnittliche Llnge der Bahn jades Moleculs zwischen

zwei ZusnmmenstBfsen etwa - - -- - Centimeter. Nun nlufs,

nachdern wir die Vorstellung von harten Kugeln aufgegeben haben, nach welcher die Diinensionen eines Moleculs und die Unterscheidung zwischen Zusammenstofs und Nicht-Zusammen- stofs vollkommcn scharf s ind , etwas von anscheinender Um- schreibung a n die Stelle dieser einfachen Ausdriicke treten.

i 1ocm

64 T h o m s o n , uber die Griifse der Atome.

Zuerst ist zu hemerken, dafs zwei Partikel bei dem Zu- sammenstofs eine gegenseitige Abstofsung ausiiben mussen, in Folge deren der Absland zwischen ihren Mittelpunkten, nachdem er bis zu einem Minimum verringert w a r , wieder beginnt in dem Mafse, als die Molecule auseinander gehen, zu wachsen. Dieses Minimum des Abstandes wiirde gleich der Sumrne der Halbmesser sein, wenn die Molecule unend- lich harte elastische Kugeln w l r e n ; aber in Wirklichkeit haben wir es als sehr verschieden grors bei verschiedenen Zusammenstbfsen vorauszusetzen. Betrachten wir nur den Fall gleichartiger Molecule, so kBnnten wir also den Halb- messer eines Molecules dahin definiren, dafs wir darunter die Halfle des durchschnittlichen kiirzesten Abstandes ver- s tehen, welcher in einer sehr grorsen Zahl von Zusamrnen- slcirsen erreicht wird. Die Definition, welche ich fur die liier anzustellende Betrachtung annehme, ist nicht genau diefs, sondern so gewahlt , d a k die Darlegung, welche ich iiber eine Combination der Resultate von C l a u s i u s und von 1\1 a x w e 11 zu geben hobe, niogliclist vereirifacht wird. Nach- dem ich den Halbmesser cines Gasmoleculs definirt habe, nennc ich das Doppelte des Halbmessers den 1)urrhmesser; und das V O ~ U R I einer Kugel von demselhen Halbrnesser oder Durchrnesser nenne i rh das Volum des Molcculs.

Die Versuche r o n C a g n i a r d d e l a T o u r , F a r a d a y , R e g n a u 1 t untl A n d r e w s iiber die Verdichlung der Gaso gestalten uns nicht zu glauben, dafs irgend eines der ge- wiihnlichcn Gase vierzigtausendtnal diclitrr gemacht wcrden kbnne , als es unter gewviihnlichern atniospliarischem Druck und bei gewfihnlicher Ternperatur ist , ohnc dafs das ganze Volurn auf etwas Klcineres gehraclit wiirde, als die Surnrne d e r Volume der Gasmolecule, nach der je tz t gepchenen De- finition, ist. Hiernach kann , nach dem vorltin in Eririnerung gebrachten grofseri Lehrsat te CI a u s i u s ’ , die durchschnitt-

T h o m s o n , fiber die Grijfse der Atome. 65

liche L l n g e d e r Bahn zwischen eineni Zusammcnstofs und einem folgenden nicht niehr als dns Fiiiiflausendfache von dem Durchrnesser des Gasmoleculs sein, und die Zahl d e r Molecule in der Volumeinheit kann nicht grXs'ser sein; als 25000000 dividirt durch das Volum einer Kugel, dcren Halbmesser diese durchschnittliche L l n g e d e r Bahn ist.

i Nehinen wir nun die vorhergehende Schltzung, ___ ioO000 Centimeter, fur die durchschnittliche L i n g e der Bahn zwischen je zwei ZusammenstBfsen, SD kommen wir zu der Schlufsfolge- rung, dafs d e r Durchmesser des Gasmoleculs nicht kleiner

sein kann als __ ' Centimeter, und die Anzahl von

Moleculen in einem Cubikcentimeter des Gases (bci gew8hn- lichcr Dichtigkeit) nicht grofser als 6 x iOZ1 (d. i. Cins Sechs- tausendmillionfache von den1 Millionfachen einer Million).

Die Dichtigkeitcn d c r bekannten fliissigen und festen Kcirper sind fiinfhundert- bis sechszehntausendmal so grofs, als die Dichtigkeit der atmosphirischen Luft unter gewBhn- lichem Druck und bei gewBhnlicher Temperatur , und d ie Anzahl der Molecule in einem Cubikcentinieter mag also zwischen 3 x iOZ4 und lozG sein (d. i. zwischen dem Drei- millionfachmillionfachcn von dem Millionfachen einer Million und dem Hundertmillionfachmillionfachen von dem l'vlillion- fachen einer Million). Hieraus liifst sich (wenn wir fur eineii Augenblick eine cubische Anordnung der Molecule annehmen) der Abstand zwischen einem Mittelpunkt uiid dem nichsten Miltelpunkt in festen und flussigen K8rpe:n als

500Wi)O

Centimeter betragend und --__- 14oooO000 460000000

i i zwischen

schitzen. Die vier Richtungen, in welchen die angegcbenen Be-

trachtungen angeslellt wurden , fuhren alle ini Wesentlichen

Annal. d. Chem. n. Pharm. CLVII. Bd. 1. Heft. 5

66 Kr a u t , iiber Essigyiperidii~verlrin~~cngen.

zu dernselben Resultate beziiglich der Dimensionen der mokcularen Slruclur. Gemeinsam ergeben sie, in einer Weise welcher wir nur einen sehr hohen Grad von Wahrschein- lichheit zusprechen kbnnen , die Schlufsfolgerung, dafs in jedem gewblinlichcn fliissigen , durcbsiclitigen festen oder scheinbar undurchsichtigen festen Kijrper der mittlere Ab- stand zwischen den Miltelpunkten aneinanderliegender Mole- cule kleiner ist als ein Hunderlniillionthcil und grbfser ist als ein Zweitausendmilliontheil eines Centimeters.

Um sich eine Vorstellung zu bilden von dem Grade der Grobkoriiigkeit , welcher durch dicse Schlufsfolgerung ange- zeigt wird, denke man sich einen Regentropfen, oder eine erbsengrofse Glaskugel, vergro ter t bis zu der Grd'se der Erde, so dafs jedes darin cnthaltene Molecul in demselben Verhiltnisse vergrtif'ssert werde. Die so vergrijf'sert sich zeigende Structur wiirde grobkbrniger sein als die eines Haufens von feinem Schrot , a t e r wahrscheinlich weniger grobkornig als die eines Haufens von Cricket-Ballen.

Ueber Essigpiperidinverbindungen ;

von Ii. I i h u t .

Eine wlsserige Lbsung von Piperidin bildet mit Mono- chloressigsiiure sehr bald salzsaures Piperidin und einen zweiten Korper, welchen ich als Essigyi~eridiniumox~d~ydhydral bezeichne. Man stellt denselben dar, indem man ein Gemisch yon mindestens zwei Atornen wlsserigem Piperidin und einem Atom Monochloressigslure einige Tage stehen lafst, das iiber- schiissige Piperidin abdestillirt rind den Riickstand mit Silber- oxyd schattelt. Die vom Chlorsilber abfiltrirle Losung ist