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Uber die Konstitution der Amidosulfonsaure Von HANS SIEBERT Mit 1 Abbildung Inhaltsubersicht Das RAMAN-Spektrum der Amidosulfonsaure in waRriger Losung sowie das Ultra- rotspektrum im festen Zustand werden gemessen. Die Zwitterion-Struktur NH:SO, wird bestatigt. Die Symmetrie der Molekel ist C, oder (2%". Die beobschteten Frequenzen werden zugeordnet, Frequenzformeln abge- leitet und die Kraftkonstantcn von NH,SO, uiid NH,SO, berechnet. Die Valcnzkraft- konstante der (SN)-Bindung ist im NH,SO, urn 29% niedriger als im NH,SO,, wahrend die (SO)-Bindungen in der Siiure starker sind als im Ion. Die Amidosulfonsaure kann als Anlagerungsverbindung von Aminoniak an Schwefel- trioxyd H,N + SO, aufgefaBt werden. Sie rlimmt einc Mittelstellung zwischen dem Ion NH,SO, und dem SOs ein, wie an Hand des entsprcchenden spclttralen Ubcrganges gezeigt wird. Der groBe (0SO)-Valenzwinkel (117") wird so verstandlich. Die Schwachung der (SN)-Bindung bei Protonenanlagerung erklart die Hydroly- sierbarkeit der Stickstoffsulfonsauren in saurem Medium. Einleitung Die Amidosulfonsaure NH,SO,H unterscheidet sich auffallig von anderen substituierten Schwefelsauren wie etwa CH,SO,H oder FSO,H dadurch, daIj sie hei gewohnlicher Temperatur fest ist, sich nicht unzer- setzt schrnelzen lafit. und sich nicht unbegrenzt mit Wasser mischt. BAUMGARTEN~) nahm daher an, da13 die freie Amidosulfonsiiure als Zwitterion NH; SO; zu formulieren ist, entsprechend den organischen Aminosauren. Es hefinden sich also alle H-Atome am Stickstoffatom. Diese Struktur erklart zwanglos die abnormen Xigenschaften der Saure. In der vorliegenden Abhandlung wird das Schwingungsspektrum der Amidosulfonsaure einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Hierzu wurde das RAMAN-Spektrum der Saure in waflriger Losung sowie das Ultrarotspektrum .im festen Zustand gemessen. Das RAMAN- Spektrum wurde schon mehrfach angegeben 2-4). Da die Ergebnisse l) P. BAUMGARTEN, Ber. dtsch. chem. Ges. 62, 820 (1929). ,) S. J. GUPTA u. A. K. MAJUMDAR, J. Indian chem. SOC. 18, 457 (1941). 3, W.R. ANGUS, A. H. LECKIE u. T. I. WILLIAMS, Trans. Faraday SOC. 54, 793 (1938). 4, H. J. HOFMANN u. K. ANDKESS, Z. anorg. allg. Chem. 284, 234 (1956).

Über die Konstitution der Amidosulfonsäure

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Uber die Konstitution der Amidosulfonsaure

Von HANS SIEBERT

Mit 1 Abbildung

Inhaltsubersicht Das RAMAN-Spektrum der Amidosulfonsaure in waRriger Losung sowie das Ultra-

rotspektrum im festen Zustand werden gemessen. Die Zwitterion-Struktur NH:SO, wird bestatigt. Die Symmetrie der Molekel ist

C, oder (2%". Die beobschteten Frequenzen werden zugeordnet, Frequenzformeln abge- leitet und die Kraftkonstantcn von NH,SO, uiid NH,SO, berechnet. Die Valcnzkraft- konstante der (SN)-Bindung ist im NH,SO, urn 29% niedriger als im NH,SO,, wahrend die (SO)-Bindungen in der Siiure starker sind als im Ion.

Die Amidosulfonsaure kann als Anlagerungsverbindung von Aminoniak an Schwefel- trioxyd H,N + SO, aufgefaBt werden. Sie rlimmt einc Mittelstellung zwischen dem Ion NH,SO, und dem SOs ein, wie an Hand des entsprcchenden spclttralen Ubcrganges gezeigt wird. Der groBe (0SO)-Valenzwinkel (117") wird so verstandlich.

Die Schwachung der (SN)-Bindung bei Protonenanlagerung erklart die Hydroly- sierbarkeit der Stickstoffsulfonsauren in saurem Medium.

Einleitung Die Amidosulfonsaure NH,SO,H unterscheidet sich auffallig von

anderen substituierten Schwefelsauren wie etwa CH,SO,H oder FSO,H dadurch, daIj sie hei gewohnlicher Temperatur fest ist, sich nicht unzer- setzt schrnelzen lafit. und sich nicht unbegrenzt mit Wasser mischt. BAUMGARTEN~) nahm daher an, da13 die freie Amidosulfonsiiure als Zwitterion NH; SO; zu formulieren ist, entsprechend den organischen Aminosauren. Es hefinden sich also alle H-Atome am Stickstoffatom. Diese Struktur erklart zwanglos die abnormen Xigenschaften der Saure.

In der vorliegenden Abhandlung wird das Schwingungsspektrum der Amidosulfonsaure einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Hierzu wurde das RAMAN-Spektrum der Saure in waflriger Losung sowie das Ultrarotspektrum .im festen Zustand gemessen. Das RAMAN- Spektrum wurde schon mehrfach angegeben 2 - 4 ) . Da die Ergebnisse

l) P. BAUMGARTEN, Ber. dtsch. chem. Ges. 62, 820 (1929). ,) S. J. GUPTA u. A. K. MAJUMDAR, J. Indian chem. SOC. 18, 457 (1941). 3, W.R. ANGUS, A. H . LECKIE u. T. I. WILLIAMS, Trans. Faraday SOC. 54, 793 (1938). 4, H. J. HOFMANN u. K. ANDKESS, Z. anorg. allg. Chem. 284, 234 (1956).

168 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 292. 1957

der verschiedenen Autoren mehr oder weniger stark voneinander ab- weichen, erschien eine Wiederholung der Messung erforderlich. In jiingster Zeit wurden die Ultrarotspektren von NH,SO,H und ND,SO,D mitgeteilt 6).

Die Spektren Das RAMAN-SpektrUm einer gesattigten waI3rigen Losung der

Amidosulfonsaure ist in Tab. 1 angegeben, zugleich mit den friiheren Messungen. Im Bereich um 3000 cm-1, in dem die (NH)-Valenzschwin-

Tabelle 1 RAMAN-Spektrum von NH,SO,H i n waDriger

Losung (in cm-l)

Hier gefunden

r -

379 (4sb) 544 (6b) 593 ( lb ) 706 (3d) 809 ( lb )

1050 (3) 1063 (10)

1305 (3d)

I I

HOFMANN I. ANDRESS*)

382 (4d) 545 (6b)

703 (2sd) 809 (Id)

1063 (10) 1206 (Id)

3383 (3d) 3430 (3d)

GUPTA u. MAJUMDAR3)

380 (2,dp) 545 (3,dp)

714 (Ldp)

1072 ( 6 , ~ )

1310 (1/2,dp)

h a u s , LECXIE u.

WILLIAMS 2,

396 (1) 537 (1)

729 (1)

908 (0)

1071 (3) 1173 (1) 1263 (1) 1326 (1)

gungen liegen miiBten, konn ten hier keine RAM AN - Linien beob- achtet werden. Die von HOFMANN und AN DRESS^) angegebe- nen Linien 3383 (3d) und 3430(3d) sind keine Frequenzen der Amidosulfonsaure, sondern stammen vom Wasser.

Fur die Rs~LIAN- Linien 593(1b), 809(lb) und 1050(3) werden keine en t - sprechenden Ulttrarot- banden bobachtet. Da es sich hier nicht um

eine hochsymmetrische Molekel handelt und sicher kein Symmetrie- zentrum vorhanden ist, konnen keine RAMAN-Linien im Ultrarot ver- boten sein. Also gehoren die fraglichen Linien nicht zu Normalschwin- gungen der undissoziierten Amidosulfonsaure, sondern sind der An- wesenheit von Amidosulfonationen NH,SO; zuzuschreiben. Im RAMAN- Spektrum dieses Ions6) wurden die entsprechenden Linien 591 (5b), 813 (4d) und 1051 (10, gemessen.

Die zur RAMAN-Aufnahme verwandte Losung der Amidosulfonsaure war etwa 2-molar (durch Titration ermittelt). Mit der Dissoziationskonstanten bei Ziniinertem- peratur (10-I) errechnet sich fur die untersuchte Losung ein Konzentrationsverhaltnis [NH,SO,H]: [NH,SO,] = 4: 1. Dies erlrlart das Auftreten der starksten RAMAN-Linien des NH,SOy im Spektrum der gelosten Saure.

6) A.M. VUAGNATU. E. L. WAGNER, J. chem. Physics26, 77 (1957). 6, H. SIEBERT, 2. anorg. allg. Cheni. 289, 15 (1957).

H. SIEBERT, nber die Konstitution der Amidosulfonsaure 169

Im Ultrarotspektrum der festen Amidosulfonsaure wurden folgende Banden im NaCl-Bereich gefunden (in cm-1) :

686 (sst), 1004 (st), 1070 (sst), 1319 (ssst, b), 1449 (sst), 1545 + 1577 (st), 1795 (s), 2038 (s), 2150 (ss), 2388 (ss), 2462 (m), 2562 (m), 2878 (ss), 3150 (sst).

Die Werte stimmen gut mit den Angaben von VUAGNAT und WAGNER^) uberein. Diese Autoren beobachteten auch im KBr-Bereich, wo noch die Doppelbande 526 + 540 (sst) auftritt.

Beim Vergleich des Ultrarot- und RAMAN-Spektrums fallt auf, dsf3 das Ultrarotspektrum wesentlich mehr Frequenzen aufweist. Wie weiter unten gezeigt wird, sind es die (NH)-Valenz- und Deformationsschwin- gungen, die im RAMAN-Effekt nicht beobachtet wurden. Dies laBt sich dadurch erklaren, da13 die (NH) -Bindungen stark polaren Charakter besitzen. Bekanntlich sind die Frequenzen polhrisierter Bindungen im RAMAN-Effekt allgemein schwach. Im RAMAN-Spektrum des NH,SO; 6,

wurden dagegen einige - wenn auch nicht alle zu erwartenden - (NH)- Freyuenzen beobachtet.

Zuordnung Fur die Struktur der Amidosulfonsaure kommen im wesentlichen

zwei Moglichkeiten in Betracht : die Hydroxylform NH,SO,OH und die Zwitterion-Form NHiSO,. Wenn die Hydroxylform vorlage, muIjte das Spektrum Ahnlichkeit mit den Spektren der Schwefelsaure (OH),SO, und der Methansulfonsaurc CH,SO,OH aufweisen. Diese Verbindungen zeigen unter anderen RAMAN-Linien bei etwa 900 und 1130 cm-l. Die Frequenz 900 ist die Valenzschwingung der Gruppe (S-OH), 1130 die symmetrische Valenzschwingung der (SO,)-Gruppe. Im RAMAN- Spektrum der NH,SO,H wird keine dieser Linien beobachtet, daher ist die Hydroxylform auszuschlieflen.

Demnach hat die Amidosulfonsaure offenbar die Zwitterion- Struktur NH;SO; (im folgenden kurz als NH,SO, geschrieben), und tatsachlich lassen sich die beobachteten Spektren zwanglos mit dieser Struktur vereinen. Eine solche Molekel besitzt eine dreizahlige Symme- trieachse, wenn die (S0)- und (NH)-Bindungen unter sich gleichwertig sind. Die Symmetriegruppe ist dann C, oder C,,, je nach der relativen Lage der H-Atome zu den O-Atomen. Fur C, sind 12 raman- und ultra- rotaktive Grundschwingungen zu erwarten, fur C,, 11 und fijr alle nie- drigeren Symmetrien 18 Frequenzen. Beobachtet wurden 9 Frequenzen, die man als Grundschwingungen ansprechen kann, wenn man RAMAN- und Ultrarotspektrum zusammenfafit. Dies spricht fur eine Symmetrie mit dreizahliger Achse, also gleichwertigen (NH)- und (SO)-Bindungen.

170 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 292. 1957

Aus einer Kristallstrukturanalyse7) ergab sich allerdings, da13 die (SO)- Bindungen und -Winkel nicht ganz gleich sind. Jedoch ist diese Sym- metriestorung offenbar so geringfugig, dafi sie sich im Schwingungs- spektrum nicht durch Aufspaltung der entarteten Frequenzen benierk- bar macht. Es ist also berechtigt, die Symmetrie der MolekelNH,SO, mit C, oder C,, anzunehmen. Zwischen diesen beiden Gruppen kann nich t entschieden werden. Sie unterscheiden sich schwingungsspek- troskopisch nur dadurch, dal3 in C, die Torsionsschwingung der (NH,)- Gruppe gegen die (SO,)-Gruppe sowohl im Ultraroten wie im RAMAN- Effekt erlaubt ist, dagegen ist sie in C,, verboten. Es wurde keine Bande beobachtet, die man der Torsionsschwingung zuordnen konnte. Der Einfachheit halber wird im folgenden die Symmetrie C,, angenommen. Fur die Modellrechnung und die Erorterung der Konstitutionsfragen ist eine genaue Entscheidung awischen C , und C,, ohne Belang.

Eine solche achtatomige Molekel der Symmetrie C,, hat 1 2 Normal- schwingungen, 5 einfache der Klssse A, und 6 zweifach entartete der Klasse E. Diese 11 Schwingungen sind raman- und ultrarotaktiv. Die 12. Schwingung (die Torsionsschwingung) fallt in die Klasse A, und ist nicht beobachtbar.

Die Zuordnung der beobachteten Frequenzen zu den Normal- schwingungen gelingt sehr einfach durch Vergleich mit dem isosteren Ion CH,SO,. Fur dieses ist die Zuordnuilg durch eingehende Unter- suchungen gesichert 6 , s). Da bei isosteren Molekeln Massen und Kraft-

Tabelle 2 N o r m a1 s c h w i n g u n g e n d e s is o s t e r eii

P a a r c s NH,SO, u n d CH,SO, i n cm-l ~ .-

Klasse

A,

E

Schwingungs- NH3S0, form

CH3S0,

2945 1330 1055

790 53 1

3020 1465 1200 964 562 348 '

konstan ten von vergleichbarer GroBe sind, ist die Frequenz- verteilung in ihren Schwin- gungsspektren meist gleich- artig Dies ist auch bei dem hier behandelten Paar CH,SO; --NH,SO, der Fall. Die hieraus resultierende Zu- ordnung ist in Tab. 2 darge- stellt. Zum Vergleich ist das Spektrum des CH,SO, mit aufgenommen.

I n der Spalte ,,Schwingungs- form" bedeuten Y Valenzschwingun- gen, 8 Deformationsschwingungen und e die sogcnannten ,,rocking"-Frequen-

7) F. A. KANDA u. A. J. KING, J. Amer. chem. SOC. 73, 2315 (1951). 8 ) A. SIMON u. H. KRIEGSMANN, Cliem. Ber. 89, 1718 (1956).

H. SIEBERT. uber die Konstitution der Amidosulfonsaiire 171

Zen. Der Index s bedeutet symmetrisch zur dreizahligcn Achse, as asymrnetrisch bzw. tntartct.

Die beiden (NH) -Valenzschwingungen haben offenbar annahernd gleiche Frequenz, ebenso die Deformationsschwingungen der (SO,)- Gruppe. Die in Tab. 2 gegebene Zuordnung durfte gesichert sein. unterscheidet sich aber in einigen Puckten von der anderer Autoren. ANGUS, LECKIE und WILLIAMS^) halten 1067, HOFMANN und AN DRESS^) 544 fur die (SN)-Valenzschwingung. VUAGNAT und WAGNER^) sprechen 1067 als symmetrische (SO,)-Deformationsschwingung an. Die symme- trische (SO,)-Valenzschwingung wird von ihnen mit 1262 angegehen. Diese Freyuenz ist eine im Ultrarotspektrum kaum erkennbare Schulter im Anstieg der breiten Bande 1319 cm-l.

Modellrochnung Urn zii genaueren Aussagen iiber die Konstitution der Amido-

Die Bcrechnung erfolgte nach dem WrLsoNschen hfatrizcnverfahren!’). Zur Ver- einfachung der Berechnung wurden die (NH)-Valenzschwingungen nach einem ebenfalls von WILSON angegebenen Verfahren abgespalten. Nach eigenen Erfahrungen entsteht hierdurch kein nennenswerter Fehler in den. Kraftkonstarltenlo). Die Winkel am Stick- stoff wurden als Tetraederwinkel angesetzt, die am Schwefel zunachst offen gelassen.

sulfonsiiure zu gelangen, wurden die Kraftkoristanten berechnet.

Die G-Matrizen lauten dann fur die Klassc A,:

811 = kl Pi.7 + bs g,, = 3 cos2 a ps + yo

g,, = - 3 cos a p,

g13 = k 3 sin a y1 ps 1- .

2 g,, = luf ( 3 sin2 a ps + P o )

g44 = 3 kl E”N + pH

g14 = 3 v6 “1 p N

g,, 7 - 3 cos a sin a y1 ps 8

gz, = g34 = 0. Fur die Klassc E ergibt sich:

8 5

3

3 .

g,l = kZ PN f S pH nl “2 P N g15

g , , = 2 T ~ P ~ + 6 t ; . k 2 P N + p H

-

1 . 3

3

g,, = - T ~ l sin a ps

g,, = - Tzl y2 sin2 a ps g,,= y 5111, a ps + Po

1 1

3 g, = - y , sin3 a ps 2

3 g,, = -

g4, = V i [+ sin4 a ps + ( I + cos2 a) po 1 g25 == ‘2 kZ pN f O2 ‘1 f‘%

3 3

1 2

g,, = 0: k, 11% + 2- 4 Ps + Po

- c2 sin a ,us g12 = PH - ‘?J-’Z k, ILN

3 2 g,, = y z (cos Ly y o - - o, sin2 n ,us g13 = g14 =

9, E. B. WILSON jr., J. chem. Physics ‘7, 1047 (1939); 9, 76 (1941). 10) H. SIEBERT, Z. anorg. allg. Chem. 268, 117 (19.52).

172 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 292. 1957

Hierin bedeuten pi die reziproken Massen der Atome i ; a ist dcr Supplementwinkel zum 0: (NSO). Mit dem Winkel (OSO) besteht die Beziehung

2 3 sin2a = - {I - cos (OSO)].

Ferner wurden als Abkurzungen verwandt : ~ _ _ _

3 k, = _ _ _ ~ ~

3PH . k, = - - r - , ILN + 3 p H 1 + 3 cos2 Ly

worin rik die Kernabstande der Atome i und k in der Ruhelage sind. Als Potential wurde ein Valenzkraftsystein angenommen, das noch Wechselwir-

kungsglieder der (SO)-Bindungen unter sich, der (0SO)-Winkel unter sich und der (HNS)-Winkel unter sich enthalt. Dann lauten die F-Matrizen f u r die Klasse A,:

1

0 1 W i 1 2

f33 = doso -t 2 dbso + ~ .> d ~ s o fll = fSN

f,, = f,, + 2 fko 4 4 = d,,, + ., d,,, + z, dLNS

f i k = 0 fur i + k. Fur die Klasse E erhalt man:

fll = dIXNH f44 = doso -- doso

fzz = - ~ H N S - -

f33 = fso - f io Aus diesen Matrizen erhalt man die Sakulardeterminanten des Problems nach

1 1 , 1 a1 TI 71

f55 == - dNSO

f,,= 0 f u r i $. k.

I GF - E A\ = 0,

worin E die Einheitsmatrix ist, ferner 4n2c2 2

v11 Ai = ~

NL wenn die Massen in Atomgewichtseinheiten angegeben werden. Fur die abgetrennten (NH)-Valenzschwingungen hat man die Gleichungen :

\

\ '

= fNH ($ !% + pH,) *

Die Sakulardeterminante von Al wurde algebraisch ausgerechnet, die yon E nur numerisch. Die Kri~tallstrukturanalyse~) ergab im Mittel f u r den Winkel (OSO) 117', also ist a- = 79"55'. Fur die Kernabstande wurde eingesetzt rNII = 1,0, rSN = 1,s und rso = 1,5 A.

Die beste Ubereinstimmung mit der Beobachtung erhalt man mit den Konstanten :

fsN = 2,70, fso = 9,13, fm = 5,56, doso 1 0,83, dNso = 0,56, dHNH = 0,52, d,,, = 0,32, f k o = 0,39, dbso = 0,13, d b s = -0,02 mdyn/8.

H. SIEBERT, uber die Konstitution der Amidosulfonsaure 173

Die hiermit berechneten Frequenzen sind in Tab. 3 der Beobachtung gegenubergestellt. Die Ubereinstimmung ist im allgemeinen gut, nur bei den beiden Frequenzen v(SN) und 6,(SO,) ,van A, treten gronere Abweichungen auf. Dies ist durch die starke mechanische Kopplung beider Schwingungen bedingt. Nach der Rechnung stehen beide in

Vs(NH3) UNH,)

A1 vLSSO3) v(SN) w303)

vas(NH3) 4,,(NH,)

E V,S(SOd

~-

Tabelle 3 Berechnete u n d b e o b a c h t e t e Frequenzen von NH,SO, u n d ND,SO,

NH,SO, ND ber. 1 beob. 1 ber.

1449 3100 1453 1067 1067 1060 766 696 ~ 744 483 544 I 450

3204 3150 2363 1564 1561 1127 1312 1312 1303 1010 1004 769 544 1 544 529

369

-

_-__ 379 1 379

;0, beob.

2299 1108 1057 675 520

2370 1108 1300

797 520 -

voller Resonanz, so da13 man nicht genau sagen kann, welches die (SN)- Valenz- und welches die (SO,)-Deformationsschwingung ist. Zur Be- seitigung der Unstimmigkeit zwischen Rechnung und Beobachtung miil3te im Potentialansatz noeh eine Wechselwirkungskonstante zwischen f,, und do,, berucksichtigt werden. Dies ist jedoch nicht ohne Willkur moglich.

Mit den Konstanten des NH,SO, wurden auch die Frequenzen des ND,SO, berechnet und in Tab. 3 den Messungen von VUAGNAT und WAGNER^) gegenubergestellt. Hieraus ist die Zuordnung fur diese Molekel abzulesen. VUAGNAT und WAGNER geben wieder eine abweichende Zu- ordnung.

Zu Vergleichszwecken wurden auch die Kraftkonstanten des NH,SO,- Ions naherungsweise berchnet .

Hier wurden alle (NH)-Schwingungen vernachlassigt und fur die Masse des N- Atoms 16 angesetzt. Man erhalt die G- und F-Matrizen dieses Systems, wenn man in den oben angegebenen Matrizen fur A1 die Zeilen und Spalten mit g,, und f4, streicht, in E die Zeilen und Spalten mit glp fil, g,, und f2,. Ferner ist hier kl = k, = 1 zu setzen. Fur den Winkel (OSO) wurde 112" angenommen, entsprechend a = 73'12'. Die Kernabstande wurden mit rSN = 1,75 und rso = 1,50 eingesetzt.

174 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 292. 1957

Die gemessenen Freyuenzen sind (Ultrarot- und RAMAN-Daten ge- mittelt) 6, :

A, 1063, 804, 564; E 1247, 591, 401 cm-'.

Damit berechnen sich die Kraftkonstanten :

fso = S,O3, fs, == 3,80, doso = 1,19, dNso = 0,50,

fgo = -O,OI, dbso = 0,19 mdyn/B.

Mit diesen Konstanten werden die beobachteten Frequenzen gut wieder- gegeben (Abweichung unter 'I,%). SchlieBlich wurde noch aus den ge- messenen (NH)-Valenzschwingungen (3278 und 3322 cm-l) mit, den Gleichungen :

2 fNH (T PN + PH)

4 L ( N H 2 ) = f,, (z Px + Pa)

die Konstante f,, zu 6,03 rndyn1.A ermittelt

Iionstitutions~rragen Die Valenzkraftlronstanten fNH, f,, und f,, der Amidosulfon-

saure unterscheiden sich betrachtlich von denen des Amidosulfonat- Ions. f,, ist in der Saure groBer, die (SOj-Bindungen sind dort also starker als im Ion. Andererseits zeigt die Erniedrigung von f,, und f,, eine Schwachung der (NH)- und (SN)-Hindungeri in der Saure gegeniiber dem Ion an. Dieser Sachverhalt ist qualitativ aus den Spektren direkt abzulesen, denn die (NH)-Valenzfrequenzen erniedrigen sich von 3300 em-1 im Ion auf 3150 em-l im NH,SO,. Ebenso sinkt die (SN)- Frequenz von 804 auf 696cm-1. Die fur die (SO)-Bindungen charak- teristische asymmetrische (SO,)-Valenzschwingung steigt dagegen von 1254 cm-1 in1 Ion auf 1312 em-1 in der Saure.

Eine Schwachung der (NH)-Bindungen wird stets beobachtet, wenn man wie hier vom dreibindigen zum vierbindigen Stickstoff uber- geht. Auch die GroBe der Depression (8% in der Kraftkonstanten) ist ganz normal.

Nicht so ohne weiteres verstandlich sind die Veranderungen von f,, und fso. Beim t'bergang vom drei- zurn vierbindigen Stickstoff werden zwar haufig die (NX)-Bindungen etwas geschwacht. Beispiels- weise ist f,, im CH,NH$ um etwa 8% kleiner als im CH,NH,. In der Amidosulfonsaure ist dagegen fSN um 29% gegeniiber dem Wert im NH,SO; vermindert. Hier liegen d s o besondere Verhaltnisse vor.

H. SIEBERT, Ober die Konstitution der Amidosulfonsaure 175

Berechnet ma'n aus den Kraftkonstanten nach fruher angegebenen Forineln 11) die Bindungsgrade N, so erhalt man

fur NH,SO;: N,, = 1,02; N,, = 1,67,

fur NH,SO,: Ns, = 0 ,72; N,, = 1,85.

In beiden Fallen ist die Summe der Bindungsgrade uber alle vier Bin- dungen des Schwefels annaihernd 6, der Valenzzustand des Schwefels ist also ungeandert. Im NH,SO; ist die (SN)-Bindung eine gewohnliche Einfachbindung, die (SO)-Bindungen haben die Multiplizitat 5/T Im NH,SO, dagegen ist die (SN)-Bindung wesentlich schwacher als fur cine reine Einfachbindung zu erwarten. Dies wird verstandlich, wenn man die Amidosulfonsaure als Anlagerungsve~rbindung von Ammoniak an Schwefeltrioxyd mit semipolarer (SN)-Bindung auffal3t :

H,N + SO,.

Semipolare Bindungen pflegen namlieh schwacher als gewohnliche Ein- fachbindungen xu sein. Allerdings ist hier der Effekt ungewohnlich grol3.

Es sei darauf hingewiesen, daB man die organischen Aminosauren nicht mit semi- polarer Bindung formulieren kann. Entsprechend ist die Bindungsschwachung der (NC)-Bindung dort nur geringfugig. Auch chemisch unterscheiden sich die Aminosauren von der Amidosulfonsaure erheblich; z. B. sind es sehr schwache Saurcn, wahrend die Amidosulfonsaure als mittelstark bezeichnet werden kann. Aus diesen Grunden ist die Schreibweisc der Amidosulfonsaure mit semipolarer Bindung der Zwitterion-Formu- lierung vorzuziehen.

200 400 600 800 7000 7200 I400 cm-'

- --- Abb. 1. Der spektrale uhergang SO~--OHSO~--NH2SO~-NH,S0,-SS0,

11) H. SIEBERT, Z. anorg. allg. Chem. 273, 170 (1953); Gl. (15) bzw. (16).

176 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 292. 1957

Die Amidosulfonsaure nimmt schwingungsspektroskopisch eine Mittelstellung zwischen dem NH,SO,-Ion und dem monomolekularen Schwefeltrioxyd ein. Dies geht gut aus dem in Abb. 1 an Hand der RAMAN- Spektren dargestellten spektralen Ubergang hervor, in welchem eum besseren Vergleich die Spektren der Ionen SO:- und OHSO, mit aufgefiihrt sind. Die angenaherten Bindungsgrade sind gleichfalls an- gegeben. Dabei bezieht sich N, auf die (SX)-Bindung, N, auf die (SO,)- Gruppe. Der dargestellte ubergang gibt das spektrale Verhalten eines Systems wieder, in welchem eine Bindung stetig geschwacht wird, wahrend die anderen entsprechend verstarkt werden. Dabei ist es wegen der mechanischen Gleichwertigkeit ohne Bedeutung, ob der Bindungs- partner X Stickstoff oder Sauerstoff ist. fiber die Bindungsgrade im OHSO; vg1.6). Der sehr gut ausgepragte Frequenzgang der Abb. 1 be- statigt die Richtigkeit der ifberlegung.

Beim obergang vom NH,SO, zum SO, ist zu beachten, da13 zwei Frequenzen auf Null absinken mussen, namlich v(SN) uud @(SO,). Ferner muIj eiu Austausch des Schwin- gungseharakters zweier Frequenzen stattfinden, da sich die Frequenzgange zweier gleich- rassiger Schwingungen nicht uberkreuzen diirfen. Im NH,SOS ist 813 sicher charakteri- stisch fur die (SN)-Valenzschwingung, ebenso 59 1 fur die (SO,)-Deformationsschwingung. Im NH,SO, zeigte die Modellrechnung, da13 der Austausch des Schwingungs- charakters zwischen diesen beiden Frequenzen schon eingesetzt hat, so da13 beide Schwin- guneen annahernd gleichviel Valcnz- wie Deformationsschwingungscharakter haben. Bei weiterer Schwachung der (SN)-Bindung wurde die hohere Frequenz dann allmahlich den Charakter einer reinen Deformationsschwingung annehmcn. Im SO, bleibt sie schlieIjlich allein iibrig. Wegen der Ebenheit dieser Molekel (Symmetrie D, h ) fiillt diese Frequenz in die Klasse A;' und wird nur in ultraroter Absorption beobachtet (in Abb. 1 gestrichelt angedeutet).

Aus der Stetigkeit des Frequenzganges lafit sich noch entnehmen, da13 auch die Valenzwinkel sich stetig andern mussen. Im SO:- ist der Winkel (OSO) der Tetraederwinkel (l09"28'), im ebenen SO, dagegen 120". Die Zwischenstellung der Amidosulfonsaure erklart zwanglos ihren ungewohnlich groBen (OS0)-Valcnzwinkel (11 705j).

Die dargelegte Konstitution der Amidosulfonsaure erklart ebenfalls die bekannte Tatsache, daB alle Stickstoff-Sulfonsauren in saurem Medium mehr oder weniger leicht hydrolysieren, wahrend das im alkali- schen Gebiet nicht der Fall ist. Der erste Schritt der Hydrolyse besteht also in der Anlagerung eines Protons, wie es auch realitionskinetisch fur NH,SO,, NH( SO,):- und N( SO,);- nachgewiesen wurde 12). Dies bedingt eine erhebliche Schwachung der (SN)-Bindungen, so da13 der Angriff des Wassers dort erfolgen kann. ~ ~

12) S. H. MASON u. A. R. BERENS, J. Arner. chem. SOC. 72, 3571 (1950); G. J. DOYLE u. N. DAVIDSON, J. Amer. chem. SOC. 71, 3491 (1949); F. SEEL, E. DEGENER u. K. KEHRER, Z. anorg. allg. Chem. 290, 103 (1957).

H. SIEBERT, uber dic Konstitution der Amidosulfonsaure 177

Experimentelles Die Amidosulfonsaure wurde nach BAUMCARTENl3) dargestellt und wiederholt aus

warmem Wasser umkristallisiert. Eine gesattigte waljrige Losung wurde mit reiner Aktivkohle versetzt und durch Blaubandfilter in das RAMAN-Rohr filtriert.

Die RAMAN-Aufnahmen wurden mit gefiltertem und ungefiltertem Licht gemacht. Belichtungszeiten: 30 bis 200 Minuten. Plattenmaterial : Perutz Persenso.

Das Ultrarotspektrum wurde von H. LUTHER (Braunschweig) aufgenommen. Die Substanz wurde in KBr gepreljt. Die Registrierung erfolgte mit dem Perkin-Elmer- Spektrometer Model1 21 im NaC1-Bereich.

Herrn Prof. Dr. H. LUTHER danke ich herzlich fur die Ausfiihrung der Ultrarot- messung. Ferner danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der Chemie fur materielle Unterstiitzung.

13) P. BAUMGARTEN, Ber. dtsch. chem. Ges. 69, 1929 (1936).

Clausthal-Zellerfeld, Chemisches Institut der Bergalcademie.

Bei der Redaktion eingegangen am 18. Mai 1957.

1;. snorg. allg. Chemie. Bd. 292. 12