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E. Wiberg. Uber die Konstitution dcr Polyborate 43 uber die Konstitution der Polyborate Von EGON WIBERC Uber die Konstitution der Polyborate ist bis jetzt, menn inan voii einigen weiiigen Ansstzen zur Deutung der Konstitution cler Tetra- borate1) und Pentaborate,) absieht , nur eine einzige unfassende Theoriu aufgestellt worden. Es ist dies die Theorie von P. H. HER MANS^), die spater von H. MENZEL~) in Gemeinschaft mit P. H. HERMANM noch etwas erweitert wurde. Die Polyboratformeln von HERMANS-MENZEL haben aber das Unbefriedigende an sich, daB ihnen kein einheitliches Aufbauprinzip zugrunde liegt; vgl. z. E. ihre Formeln fur die drei Typen von Pentaboraten (Formeln VII, VIII und IX der vorliegenden Abhandlung). Es sol1 im folgenden gezeigt werden, daB sich das Problem der Konstitution der Polyborate in uberraschend einfacher Weise losen la& wenn man dem Aufbau der letateren das Aufbauschem.a des Bor- trioxyds zugrunde legt und dabei die vom Verfasser5) aus der Elek- tronenvalenzlehre abgeleitete und von P. H. HERMAN@) aus experi- mentellen Daten erschlossene Tatsache berucksichtigt, da13 jedes Bor- atom, welches vier Kovalenzen betritigt, gleichzeitig eine negative Ladung tsragen, also eine fiinfte Valenz in Form einer Elektrovalenz betatigen mu13. Man kommt dann namlich zu den auf Seite 44 wiedergegebenen Formeln . entsprechen, ordnen sich sHmtliohe bekannte Polyborate ein. Bei- spiele fur die Triborate sind: [B,05]Li, [B30,],Mg; fur die Tetraborate : [B,O,JNa, (Borax), [B,O,JCa (Borocalcit) ; fur die Pentaborate: [B,O,]CaNa (Boronatrocalcit) ; fur die Hexaborate : [B,O,,]CaNa, (Franklandit) , [B,O,,]Ca, (Colemanit , Inyoit , Meyerhofferit), I) R . WEINLAND, Einfuhrung in die Chemie der Komplexverbindungen. Stuttgart 1924, S. 464. 2, A. ROSENHEIM, Z. anorg. u. allg. Chem. 119 (1921), 24. 3, P. H. HERMANS, Z. anorg. u. allg. Chem. 142 (1925), 95. *) H. MENZEL, Z. anorg. u. allg. Chem. 166 (1927), 90. j) E. WIBERO, Z. anorg. u. allg. Chem. 173 (1928), 208. b, P. H. HERMANS, Proc. Royal Acad. Amsterdam 26 (1922), 32. Diesen Formeln, die alle der allgemeinen Formel H,-,B,O 2n-

Über die Konstitution der Polyborate

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Page 1: Über die Konstitution der Polyborate

E. Wiberg. Uber die Konstitution dcr Polyborate 43

uber die Konstitution der Polyborate Von EGON WIBERC

Uber die Konstitution der Polyborate ist bis jetzt, menn inan voii einigen weiiigen Ansstzen zur Deutung der Konstitution cler Tetra- borate1) und Pentaborate,) absieht , nur eine einzige unfassende Theoriu aufgestellt worden. Es ist dies die Theorie von P. H. HER MANS^), die spater von H. M E N Z E L ~ ) in Gemeinschaft mit P. H. HERMANM noch etwas erweitert wurde. Die Polyboratformeln von HERMANS-MENZEL haben aber das Unbefriedigende an sich, daB ihnen kein einheitliches Aufbauprinzip zugrunde liegt; vgl. z. E. ihre Formeln fur die drei Typen von Pentaboraten (Formeln VII, VIII und IX der vorliegenden Abhandlung).

Es sol1 im folgenden gezeigt werden, daB sich das Problem der Konstitution der Polyborate in uberraschend einfacher Weise losen la& wenn man dem Aufbau der letateren das Aufbauschem.a des Bor- trioxyds zugrunde legt und dabei die vom Verfasser5) aus der Elek- tronenvalenzlehre abgeleitete und von P. H. HERMAN@) aus experi- mentellen Daten erschlossene Tatsache berucksichtigt, da13 jedes Bor- atom, welches vier Kovalenzen betritigt, gleichzeitig eine negative Ladung tsragen, also eine fiinfte Valenz in Form einer Elektrovalenz betatigen mu13. Man kommt dann namlich zu den auf Seite 44 wiedergegebenen Formeln .

entsprechen, ordnen sich sHmtliohe bekannte Polyborate ein. Bei- spiele fur die Triborate sind: [B,05]Li, [B30,],Mg; fur die Tetraborate : [B,O,JNa, (Borax), [B,O,JCa (Borocalcit) ; fur die Pentaborate: [B,O,]CaNa (Boronatrocalcit) ; fur die Hexaborate : [B,O,,]CaNa, (Franklandit) , [B,O,,]Ca, (Colemanit , Inyoit , Meyerhofferit),

I) R . WEINLAND, Einfuhrung in die Chemie der Komplexverbindungen. Stuttgart 1924, S. 464.

2, A. ROSENHEIM, Z. anorg. u. allg. Chem. 119 (1921), 24. 3, P. H. HERMANS, Z. anorg. u. allg. Chem. 142 (1925), 95. *) H. MENZEL, Z. anorg. u. allg. Chem. 166 (1927), 90. j) E. WIBERO, Z. anorg. u. allg. Chem. 173 (1928), 208. b, P. H. HERMANS, Proc. Royal Acad. Amsterdam 26 (1922), 32.

Diesen Formeln, die alle der allgemeinen Formel H,-,B,O 2 n -

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44 Zeitschrifb ffix anorganische und allgemeine Chemie. Band 191. 1930

[B,O,,JCaMg (Hydroboracit) ; fur die Oktoborate : [B,O,,]Ag,, [B,O,,]Mg, (imGemisch mit MgC1, als Boracit) ; fur die Dekaborate: [BloOlg]Ag,, [B,,O,]Ca, (Pandermit, im Gemisch mit Kieselsaure als Howlit).

B-0-B I

0 0

- I B- 0-B--0----B-0--Rl -L.

USW.

Nebcii den neutralen Salzen gibt es auch saure 8alze. So kennt irian a. 'R. von den Pentaboraten auBer dem Typus I auch die Typan I1 und 111:

I [6,OgJMe1,, I1 [B,O,]Me',H, I11 [R,O,]Me'H,. Ueispiele fur die letzteren sind die Verbindungen [B,O,]K,H uncl 1 B,O,]KH,. Die Clem Typus I11 entsprechenden Pentaborate wurden bisher immer als [B,O,]Mel formuliert. Die Tatsache aber, da13 diese Verbindungen auch bei sehr hohen Temperaturen eines ihrer ,,Kristall- wasser"molekiile zuruckhalten, das sie schliel3lich nur unter h d e r u n g ihres Baugefuges abgebenl), aeigt, daIj dieses Wassermolekul zur Kon- stitution gehort, da13 die Verbindungen also als [B,O,]Me' + H,O 7- ~~B50g]Rle1H, zu formnlieren sind. Ebenso w i d fur die Verbindung (.B,Og]K,H- die Konstitution I1 dadurch erwiesen, da13 das Salz, auf die Fassung '2K,O* 5B,O, beaogen, selbst bei 360° nocli ein Wassermolekul gebunden hHlt, das erst uber 4OOo unter Zerstijrung des Salzes ent- weicht2), wahrend die ubrigen vier Hydratwassermolekule bereits zwischen 40 und l l O o abgegeben werden, dab ihm also die Konstitution 2K,O.5B2O3 + H,O = 2[B,0g]X,H zukommt.

I) A. ATTERBERQ, Z. anorg. Chem. 48 (1906), 371. 2, V. AUQER, Compt. rend. 180 (1925), 1602.

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E. Wiberg. Uber die Konstitution der Polyborate 45

IX

In derselben Weise gibt es auch von den ubriyen Polyborsten saure Salze. Es seien hier erwahnt die Verbindungen [R,O,,]MgW, und LB8015](NH4)2H4. Bei diesen sauren Salzen wird rnan neben der ,,Aciform" auch eine , ,Pseudoform" annehmen diirfen, genau wie msn bei der Rorsiiure eine Aciforin und eine Pseudofornt unterscheidt-4l) :

- HO \B-o,~,o-B=o +

HO/ M e .

O=B-0 / \ 0-B=O-

HO-B---OH.

OH 1

Man wird also z . B. im Falle der Pentaborate neben den oben an- gegebenen Aciformen I1 und I11 folgende Pseudoformeln IV und V diekutieren, die sich von der Pseudoform V I der Pentaborsiiure ab- leiten :

0 O O H O 0

B-0-B-0--B-O--B-O--B . VI ' I I I I/

0 bH OH OH 0 Gerade das Beispiel der drei Pentaborattypen I, 11 und I11 eeigt

besonders deutlich die fjberlegenheit der hier aufgestellten Polyborat- formeln gegenuber den von HERMANS-MENZEL abgeleiteten, nach denen den drei so eng zusammengehorenden Verbindungen gane ver- schiedene Aufbauprinzipien zugrunde liegen :

B-0-B-0-B-0-B-0-B

0 0

AH I OH

J I t)H

B-o-B-o-~o-E--o-B. 6 AH AH AH o / I ,.-__I_

I) P. H. HERMANB, Proc. Royal Acad. Amsterdam 26 (1922), 40.

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46 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 191. 1930

Die Hydrolyse der Polyborsiiuren zu niederen Polyborsguren his sclilieBlich zur Rorsiiure verliiuft demselben Schema entsprechend nmgekehrtV linter Wasseraufnahme.

Nach der allgemeinen Formel H2-9,B,,02n--7 fur Polyborsiiuren wird fiir n = 2 der Index fiir H gleich 0, d. h. es sind keine den ubrigen Polyboraten entsprechende Diborate zu erwarten, da wir fur n = 2 num Bort,rioxyd B,O, liornmen. Es lronnen aber dadurch Wasserstoff- atome eingefuhrt werden, da13 man an die Doppelbindungen der B=O- Gruppen im B,O, Wassermolekiile anlagert :

I?-0-B HO--B--0-B-OH I 1 1 1 i- 2H * OH ---f I 0 0 i)H OH

Von der so erhaltenen Pseudoform X leitet sich dann genau wie bei tler Borsiiure eine Aeiform XI1 ah, die der Aciform X I der Rorsiiure rntspricht :

0 0

Die beiden Siiuren unterseheiden sich dadurch von den Polybor- sguren, daB sie zwei Arten von Wasserstoffatomen enthalten, ,,ionogen" gebundene und Hydroxyl-Wasseratoffatome. Dementsprechend leiten sich von ihnen zwei Arten von Salaen ab; solohe, in denen nur die ionogen gebundenen %Tasserstoffatome durch Metalle ersetzt sind :

XIV [ HO-R-O-;-OH] (I Me, + , 0 0 0

und solche, in denen aucli die Wasserstoffatome der Hydroxylgruppen zur Salzbildung herangezogen sind :

0--B--0

- 0 0 0 xv [ li p e s

Da die Hydroxyl-Wasserstoffatome nur sehr wenig sauer sind, werden sie ineist nur im SchmelzfluB durch Metalle ersetzt.

Beispiele fur die Typen XI11 und XIV sind die Verbindungen [H,BO,]Nu und [-H,B,O,]Mg (Pinnoit), fiir die Typen XV und XVI: [B03],Ba3 und [B,O,]Mg, (Ascharit). Die Anhydride der Typen XI11 rind XIV sind in beiden Fallen die Metaboratc? [O=B=O]Me.

+

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E. Wiberg. fjber die Konstitution der Polyborate 47

Wie man an die Doppelbindungen der B=O-Gruppen im B,O, Wasser anlagern kann, so ist zu mwarten, da13 auch an die B=O- Gruppen der Polyborate Wasser angelagert werden kann. Es lie@ nahe, darauf die Hydratbildung der Sake mriickzufuhren. Aus den hier aufgestellten Polyboratformeln geht hervor, daB zwei Arten von B=O-Gruppen vorhanden sind. Solche, in denen das Bor dreiwertigl) und solche, in denen es koordinativ vierwertig ist. Berucksichtigt man weiterhin die Tatsache, da13 Wasser konstitutiv gebunden sein kann (saure Salze) und daB schlieBlich auch das Kation Bur Hydratbildung befahigt ist , so ergeben sich insgesamt vier Moglichkeiten fur die Bindung von Wassermolekulen. Vielleicht kann man diese verschie- dene Bindungsart der JVassermolekule fur die stufenweise Abgabe bei der Entwiisserung verantwortlich machen.

Das Natriumpentaborat z. B. tritt mit 10 Mol ,,Kristallwasser" auf: [B,O,]Na.lO H,O. Eins davon ist, wie wir oben auseinandergesetzt haben, konstitutiv gebunden (V). Ein weiteres kann sich an die B=O-Gruppe mit koordinativ vierwertigem Bor anlagern (XVII) , zwei weitere an die beiden B=O- Gruppen mit dreiwertigem Bor (XVIII), womit 10 - (1 + 1 -j- 2) = 6 Mol fur das Kation ver- bleiben (XIX) :

B-0-SO-B-0-B-0--B

0 OH 0 OH 0 I/ 1 l+ia

+ 1@0 I OH !

+2@ 1 OH OH OH 1 ' I + 1

XVITI I A-0-B-0-B-0-R-0-B Na

-- 1) Die Frage, wie wir uns den Elektronenzustand der Molekiilstellen mit

,,dreiwertigem" Bor vorzustellen haben, bleibe hier, um das Problem der Poly- boratkonstitutionon nicht zu komplizieren, unerortert. Ihre Beantwortung sei einer zusammenf assenden Darstellung des Valenzproblems des Bors vorbehalten.

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48 Zeitschrift fur anognnische und allgemeine Chemie. Band 191. 1930

Es ist interessant, dal3 die Entwiisserung des Salzes [B,O,]Na 10H,O in tler Tat genau diesen Stufen entsprioht. Wie A. ATTER-

I ~ O R G ~ ) geaeigt hat, werden von den 10 Mol 11,O 6 Mol rasch bei SOo abgegeben, zwei weitere anschliel3end langsam, das neunte erst bei hdherer Temperatur, wiihrend das xelinte bei 2000 noch fest gebunden bleibt und erst bei hoher Temperatur unter Vednderung der Struktur des Sabes entweiclit,, sich also rtls konstitutiv gebixnden erweist.

l) A. ATTERBxnO, z. anorg. Chem. 48 (1906), 371.

Karlsrzche, Chemisches I%stit ut dev Tec?cnLnischen. Hoclischule . Bei der RedRktion eingegangen am 23. 4priI 1930.