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(Aus der Universit~its-Kinderklinik Frankfurt a. M. -- Direktor: Prof. v. Mettenheim.) []ber die Verwertbarkeit des weillen Blutbildes bei der Bronchialdriisen. und Lungentuberkulose im S~iuglings- und Kindesalter. Von F. Miinflel. (Eingeganffen am :~.3. Januar 1924.) Io Schon das Normalblutbild im S~uglings- und Kindesalter zeigt unter ver. schiedenen zum Tell noch nicht n~her definierten endogen und exogen bedingten Einfliissen eine nicht unerhebliche Zahlenm~Bige und strukturelle Inkongruenz. Die pathogenetische Bewertung der Leukocytengesamtzahl und der Leukocyten. formel hat daher den auch schon normalerweise vorhandenen quantitativen und qualitativen Spielraum zu beriicksichtigen. Fiir unsere besonderen Untersuchun- gen kamen nur fieberfreie, niichterne Patienten, bei denen keine leukocyt~ren Prozesse und kein st~rkerer Husten bestanden, in Betracht. Als Kontroll- und Richtza.hlen fiir unsere Ergebnisse dienen die zahlreich in der Literatur, wenn auch oft nur an kleinem Material, niedergelegten Normal- werte fiir das S~uglings- und Kindesalter. So finden: Tabelle I. Leukocyten Pol. Leuk. Lymph. Gesamtzahl Prozentzahl Prozentzahl Benjamin i ! 8--12000 Heubner 10--14000 Lust . . . 8--10000 ~eer . . . --12000 Carstenjen il 11--13000 25--35 25~035 25--35 50--60 50--55 50---55 50 EOS, Prozentzahl 2--7 2--7 4 2---4 Basoph. Leuk. Gr. Monon. Prozentzahl Prozentzahl 0,1--4),3 bis 15 8--15 12 2--10 Carnitzki differenziert wiederum innerhalb der ersten 12 Lebensmonate: Tabelle I I. Alter Neutroph, Leukocyten Lymphocyten Prozentzahl Prozentzahl 2.--4. Lebensmonat 4.--6. ,, 6.--8. ,, 8.--10. ,, 10.--12. ,, Beitr~lgr zur Klintk der Tuberkulose. Bd. 58. 29,1 27,9 28,1 28,0 33,7 56,3 56,9 58,5 61,2 56,2 20

Über die Verwertbarkeit des weißen Blutbildes bei der Bronchialdrüsen- und Lungentuberkulose im Säuglings- und Kindesalter

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Page 1: Über die Verwertbarkeit des weißen Blutbildes bei der Bronchialdrüsen- und Lungentuberkulose im Säuglings- und Kindesalter

(Aus der Universit~its-Kinderklinik Frankfurt a. M. - - Direktor: Prof. v. Mettenheim.)

[]ber die Verwertbarkeit des weillen Blutbildes bei der Bronchialdriisen. und Lungentuberkulose im S~iuglings- und Kindesalter.

Von

F. Miinflel.

(Eingeganffen am :~.3. Januar 1924.)

Io

Schon das N o r m a l b l u t b i l d im S~uglings- und K i n d e s a l t e r zeigt u n t e r ver . schiedenen zum Tell noch n ich t n~her def in ie r ten endogen und exogen bed ing t en Einfl i issen eine n ich t unerheb l iche Zahlenm~Bige und s t ruk tu re l l e Inkongruenz . Die pa thogene t i sche Bewer tung de r L e u k o c y t e n g e s a m t z a h l und de r L e u k o c y t e n . formel h a t dahe r den auch schon normalerweise v o r h a n d e n e n q u a n t i t a t i v e n u n d qua l i t a t i ven Sp ie l r aum zu ber i icksicht igen. F i i r unsere besonderen Un te r suchun- gen k a m e n nur f ieberfreie, n i i ch te rne Pa t i en t en , bei denen keine l eukocy t~ren Prozesse und ke in s t~rkere r H u s t e n bes tanden , in Be t rach t .

Als Kon t ro l l - u n d Richtza.hlen fiir unsere Ergebnisse d ienen die zahl re ich in de r L i t e r a tu r , wenn auch oft nur an k le inem Mater ia l , n iederge leg ten Normal - wer te fiir das S~uglings- u n d Kindesa l t e r . So f inden :

Tabelle I.

Leukocyten Pol. Leuk. Lymph. Gesamtzahl Prozentzahl Prozentzahl

Benjamin i ! 8--12000 Heubner 10--14000 Lust . . . 8--10000 ~eer . . . --12000 Carstenjen il 11--13000

25--35

25~035

25--35

50--60

50--55 50---55

50

EOS, Prozentzahl

2--7

2--7 4

2---4

Basoph. Leuk. Gr. Monon. Prozentzahl Prozentzahl

0,1--4),3 bis 15

8--15 12

2--10

Carni t zk i dif ferenzier t wiederum innerha lb de r e rs ten 12 L e b e n s m o n a t e :

Tabelle I I.

Alter Neutroph, Leukocyten Lymphocyten Prozentzahl Prozentzahl

2.--4. Lebensmonat 4 . - -6 . ,, 6 . - -8 . ,, 8.--10. ,,

10.--12. ,,

Beitr~lgr zur Klintk der Tuberkulose. Bd. 58.

29,1 27,9 28,1 28,0 33,7

56,3 56,9 58,5 61,2 56,2

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294 F. Mfindel: l~ber die Verwertbarkeit des weii~en Blutbildes bei der

Alle dlese bier angeffihrten Arbeiten besch~i/tigen sich ausschlielMich mi~ der Gesamtleukocytenzahl und deren Differentialformel im S~uglingsalter. Be- deutend spi~rlicher abet sind die systematisch durchgeffihrten Blutuntersuchungen in der Zeit yore Ende des ersten Lebensjahres bis zur Pubert~t.

Eine ausfiihrliehe ZusammensCellung dieser Zeitspanne verdanken wi t Gundobin, dessert Gesamtleukocytenzahlen und deren Differenzierung im wesent- lichen mi t den Unfersuehungen an unserer Klinik fibereinstimmen.

Bisher untersuehten wit 40 F/~lle, und zwar: 30 Pat ienten mi t Bronchial- driisentuberkulose und 10 Pat ienten mit oftener progredienter Lungentuber- kulose, bei denen die Schwere der Erkrank{mg klinlsch, r6ntgenologisch, sero- logisch (Matd/y, eigene Methode) und dutch positiven Bacillenbefund nach- gewiesen wurde.

Tabelle I I I bring% eine dem Alter nach geordnete Zusammenstel lung fiber das Ergebnis der Leukocytenzahlen mud die Struktur der Leukocytenformel bei der Bronchialdriisentuberkulose.

Tabelle III.

Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11 12 13! 14

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Name "~ ~ Pirquet ~ "

F. H. E.D. M.U.

G~ Sch. A. Sch. H.G. I .D. E.W. H.H. E.C. K.R. F.C. H.A. M.B. E.P. W.G. t t .B. A.L. E.W. A.S. A.W. S. Sch. W.A. G.B. G.P. A.M. H.M. G.K.

D. Sch. G.K.

*) Die eingeklammerten

2

2 A- 3 + 3 + 3 + 3 § 3 + 5 + 5 + 5 + 6 + 7 + 7 + 7 + 8 + 8 + 8 + 8 + 8 + 8 + 9 + 9 + 9 + ~0 + L0 + II A- 11 + 12 + 12 -4-

Im ~ vm. ~ Im

Dnrch- ~ ~ , :Durch- sehnitt [ ~ ~ sehnitt

63,5 (54,5)

47,5 (53)

38,3 (43)

41,5 ~(34)

�9 34,8 (30)

25,5 1,5 40 31,1 4 28 (31) i 3,5 30 6,5 44 3 37 42,4 6 70 (34) 3 53 4 75,5 0,5 30,5 4 57 3,~ 50 7 43 0

4 �9 55,0 3 (46) 5,~

9,s 4 3 4 3

54,6 5 0,5

(52) 3 3~5 70

58,7 2,5

3,0

11000 I 10200 8000 j (11400)*)

12600 12900 7600 9200 9100 7500 (9450) 8500

12300 9000

104c0 8800 9700 6700

9)00 8000 (8~00

12100 10800 14600 7600

11400 7500 8500

11600 9Z00 9700 7000 (7~00 9400 5600 35 6400 8300 50 9500 (7500) 12,5

11700 42

Zahlen

Im DUtch- schnitt

2,6 (5)

4~5 (3)

4,7 (3)

~,0 (6)

3,5 (2)

beziehen sich auf die Gundoblnschen Normalbefundc.

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Bronchialdrtisen- und Lungentuherkulose im S~uglings- und Kindesalter. 295

Ein Vergleieh der Gesamtleukocytenzahl bei Bronehialdrfisentuberkulose mit der Normalleukocytenzahl bringt im Durehschnitt nieht unerhebliche Ab- weichungen. Einzelne Autoren (Grawitz, Strauer, Straus) finden bekanntlioh bereits in den ersten Anf~ngen der Ausbreitung der Tuberkulose eine deutliche Leukoeytose, die wir zwar in mehreren F~llen best~tigen kSnnen, welehe aber durehaus nicht unbedingt zum Bride der Bronchialdriisentuberkulose oder der Tuberkulose im allgemeinen zu gehSren scheint. Auch Schenitzky finder keinen pathologischen Zusammenhang zwischen der Leukocytengesamtzahl und der Tuberkulose. Der Auffassung Bosserts, dab Leukocytenzahlen yon 8--10 000 bei Lungenprozessen fast mit Sieherheit ffir Tuberkulose sprechen, w~hrend hochgradige Vermehrung der wei~en BlutkSrperehen (12000 und mehr) die Diagnose Tuberkulose aller Wahrscheinlichkeit nach ausschlieBen, k6nnen wir uns an Hand unseres Materials nieht anschlieflen. Mehrmals hat ten wir Ge- tegenheit sehwere F~lle yon Tuberkulose zu beobaehten, bei denen die Leuko- oytengesamtzahl die Grenze yon 12 000 iibersohritt.

Das prozentuale Verhaltnis der Lymphocyten zu den ne.utrophilen-poly- nucle~ren Leukooyten ergibt wiederum analog der Leukoeytengesamtzahl be- tri~chtliche Sehwankungen yon durehaus uneinheitliehem Charakter.

Auch die eosinophilen Leukoeyten sind den gleiehen Sohwankungen unter- worfen. Gerade diese Leukocytenart besitzt bereits beim gesunden Kinde eine nicht unerhebliehe Variationsbreite innerhalb der einzelnen Altersstufen, ganz abgesehen yon den Fehlerquellen, die dutch akzidentelle, ebenfalls eosinophflogene Erkrankungen entstehen kSnnen.

Gewisse Bedeutung hat die Ansicht West]als, dal3 bei latenter Tuberkulose die Zahl der eosinophilen Leukocyten fiber 5% fiir Diagnose- und Prognose- stellung gfinstig zu verwerten ist, whhrend Werte nnter 3,3% angeblieh fiir mangelnde Heilungstendenz sprechen. An unserem Material ist es bemerkens- were, dab die eosinophilen Zellen bei der Bronehialdrfisentuberkulose im all- gemeinen nicht unter 3 , 3 ~ betragen.

Unsere Ergebnisse bei der Phthisis sind folgende:

TabeUe I V.

' ~ ~ Durch- Neutr. Durch- Nr. Name Alter ~ ~ Durch- ~ ~ o ~ sehni t t Prozent-

~ Dureh- ~ N ~ sehnitt ~ ~ zahl sohnitt ~ ~ sehnitt

1 H. St. 3 i~ion. + 12000 9800 1~7 2 H.S. 4 Non. - l l (XX) I 112500) 66 30 2,5 3 K. Sch. 12 M o n . + 5600 40 ( 56 J(31) 1 (3) 4 L.S. 18 Mon. H- 7900 ~ 7600 40 ~32 56 ~ 59,5 2,5 2,5 5 E.M. 20 Mon. -- 74oo ihl1400 ) 24,5 J(54.5) 13 / (34) 2,5 (5) 6 O.H. 4 Jahre ~- 15000i 17 78 I 67.3 2 7 R.G. 5 Jahre : + 15200 13400 32,5 I 29 66 1,5 1,5 8 B.K. 7 Jahre § 10100 (8500) 35 1(43) 58 I (46) 1 (3) 9 F.B. 13 Jahre + 18300i1,16250 I 28 I 24 71 : 7:: 0 ~ 0~5

10 :F. R. 13 Jahrr -t- 14200 ) (7500)1 20 ](30) 75 I {60) 1 J (2)

Der Vergleich zwisehen der Leukoeytengesamtzahl des phthisischen und des gesunden Kindes zeigt ebenso wie bei der Bronchialdriisenfuberkulose in

20*

Page 4: Über die Verwertbarkeit des weißen Blutbildes bei der Bronchialdrüsen- und Lungentuberkulose im Säuglings- und Kindesalter

296 F. MUudel: 0her die Verwertbarkeit des wei~en Biutbildes usw.

fast keinem Falle charakteristische, diagnostisch zu verwertende Ausschl~ge. In den ersten beiden Lebensjahren finder sich eine Verminderung der Leuko. eytengesamtzahl gegenfiber der Norm, die jedoch bereits im 4. Lebensjahre einer betri~ehthchen Vermehrung Platz maeht.

Wesentlich anders als bei der Bronehialdriisentuberkulose ist bei der Phthisis aber das prozentuale VerhMtnis zwisehen Lymphocyten und neutrophilen Leuko- cyten. Hier zeigt sich durehweg eine ausgesprochene Vermehrun9 der neutrophilen Leukocyten gegeniiber der Norm und eine dementspreehende Abnahme der Lymphoeyten.

Was die eosinophilen Zellformen anbetrifft, so ist bei der Phthisis der pro- zentuale Anteil dieser Leukoeytenart auffallend herabgesetzt. Wir glauben daher mit groBer Wahrscheinliehkeit annehmen zu diirfen, dal3 die starke Ver- minderung der eosinophilen Zellen bzw. ihr Fehlen iiberhaupt als eirt eharakte- ristisehes Merkmal fiir die Schwere des l~rozesses angesehen werden kann.

Die yon Gundobi~ angegebenen Normalzahlen der eosinophilen Leuko- cyten mit einer Variationsbreite yon 2 bis hSchstens 5% erscheinen uns bei unserem, allerdings nur geringen Material zu niedrig bemessen.

In Zusammenfassung unserer Untersuehungen ergibt sieh folgendes: 1. Broehialdriisentuberkulose und Phthisis im Si~uglings- und Kindes-

alter weisen keine charakteristische Verschiebung in der Gesamtzahl der Leuko- eyten auf.

2, Bei der Bronehialdriisentuberkulose zeigt das prozentuale Verhiiltnis zwisehen polynucle~ren neutrophilen Leukoeyten und Lymphoeyten gleiehfalls keinen typisehen Untersehied.

3. Bei der Phthisis dagegen kann eine ausgesproehene Verschiebung der neutrophilen Leukoeyten und Lymphoeyten zugunsten der neutrophilen vor- handen sein.

4. Der Prozentsatz der eosinophilen Leukoeyten erscheint bei der Phthisis im Gegensatz zur Bronchialdriisentuberkul0se erniedrigt.

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