25
XXXIX. Aus dem Institute ffir allgemeine u. experimentelle Pathologie in Wien. Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmbliiterherz. Von Privatdocent Dr. Hoinrieh Winterberff. (Hierzu Tafel XVI--X¥III.) Den Anstoss zu der vorliegenden Untersuchung gaben Erfahrungen~ welche bei tier Priifung des Einflusses verschiedener Gifte auf alas durch eine elektrische Reizung ausgelSste Flimmern der Vorkammern des S/~ugethierherzens gewonnen wurden. Nachdem ich zun/~chst festgestellt hattel)~ dass durch Reizung des Vagus die Dauer des Vorhofdeliriums sehr erheblich verl/~ngert wird, fand ich auch die Erwartung in vollem Umfange best/trigS, dass alle Gifte, welche den Hemmungsapparat zu erregen im Stande sind, den gleiehen Effect auf das Plimmern des Vorhofes haben wfirden, wie eine direete ,iiberdauernde" Reizung des peripheren Vagusstumpfes. So reizen bekanntlich Musearin; Pilocarpin oder Nieotin wenigstens in einem gewissen Stadium der Vergiftung die eardialen Vagusendigungen. Werden nun w/~hrend des Bestehens einer solehen toxischen Er- regung des Herzhemmungsapparates die VorhSfe dutch einen auch nur ganz kurze Zeit (1--2 Secunden) einwirkenden faradischen Strom zum Plimmern gebracht, so erffihrt alas Vergiftungsbild in allen diesen F~llen eine ganz charakteristische Ver/tnderung. Dieselbe besteht darin-°), dass das Flimmern des Vorhofs nieht wie beim unvergifteten Herzen mit dem Einwirken des Reizes zusammenfftllt oder dasselbe nut kurze Zeit iiberdauert, sondern dass nunmehr das Delirium weiter bestehen bleibt, so ]ange eben die toxisehe Erregung des Hemmungsapparates anh/~lt. Gleiehzeitig geht die durch die Gift- wirkung verlangsamte aber regelm~tssige Ventrikelth/ttigkeit in arhyth- mische, mehr oder wcniger beschleunigte Zusammcnziehungen fiber. 1) Studien fiber tterzflimmern. Pfliiger's hrchiv. I. 1907. Bd. 117. S. 233ff. 2) Eine ausffihrliehe Publication der betreffenden Versuche erfolgt in Pflfiger's Archly.

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

XXXIX.

Aus dem Institute ffir allgemeine u. experimentelle Pathologie in Wien.

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmbliiterherz.

Von

Privatdocent Dr. Hoinrieh Winterberff. (Hierzu Tafel XVI--X¥III.)

Den Anstoss zu der vorliegenden Untersuchung gaben Erfahrungen~ welche bei tier Priifung des Einflusses verschiedener Gifte auf alas durch eine elektrische Reizung ausgelSste Flimmern der Vorkammern des S/~ugethierherzens gewonnen wurden.

Nachdem ich zun/~chst festgestellt hattel)~ dass durch Reizung des Vagus die Dauer des Vorhofdeliriums sehr erheblich verl/~ngert wird, fand ich auch die Erwartung in vollem Umfange best/trigS, dass alle Gifte, welche den Hemmungsapparat zu erregen im Stande sind, den gleiehen Effect auf das Plimmern des Vorhofes haben wfirden, wie eine direete ,iiberdauernde" Reizung des peripheren Vagusstumpfes.

So reizen bekanntlich Musearin; Pilocarpin oder Nieotin wenigstens in einem gewissen Stadium der Vergiftung die eardialen Vagusendigungen.

Werden nun w/~hrend des Bestehens einer solehen toxischen Er- regung des Herzhemmungsapparates die VorhSfe dutch einen auch nur ganz kurze Zeit (1--2 Secunden) einwirkenden faradischen Strom zum Plimmern gebracht, so erffihrt alas Vergiftungsbild in allen diesen F~llen eine ganz charakteristische Ver/tnderung.

Dieselbe besteht darin-°), dass das Flimmern des Vorhofs nieht wie beim unvergifteten Herzen mit dem Einwirken des Reizes zusammenfftllt oder dasselbe nut kurze Zeit iiberdauert, sondern dass nunmehr das Delirium weiter bestehen bleibt, so ]ange eben die toxisehe Erregung des Hemmungsapparates anh/~lt. Gleiehzeitig geht die durch die Gift- wirkung verlangsamte aber regelm~tssige Ventrikelth/ttigkeit in arhyth- mische, mehr oder wcniger beschleunigte Zusammcnziehungen fiber.

1) Studien fiber tterzflimmern. Pfliiger's hrchiv. I. 1907. Bd. 117. S. 233ff. 2) Eine ausffihrliehe Publication der betreffenden Versuche erfolgt in Pflfiger's

Archly.

Page 2: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblfiterherz. 637

Im Verlaufe meiner Untersuchungen glaubte ieh den vaguserregenden I-Ierzgiften im Physosfigmin ein nur die Muskulatur des Herzens reizendes Nittel entgegensetzen zu kfnnen. Es zeigte sieh aber~ dass das Vorhof- delirium dureh Physostigmin in ithnlieher Weise beeinflusst wurde, wie dutch die die kardialen Vagusendigungen direkt reizenden Substanzen.

Aus diesem Verhalten musste ieh den Sehluss ziehen, dass auch das Physostigmin entgegen den zur Zeit herrsehenden Ansehauungen den Hemmungsaioparat des Herzens errege. Das Studium der einsehli~gigen Literatur best~rkte diese Vermuthung.

Sehon die ersten Untersuehungen fiber das Gift der Calabarbohne batten die den tterzsehlag verlangsamende Wirkung desselben aufgedeekt. Dieselbe wurde yon versehiedenen Forsehern 7 so yon Len z l ) , v. B e z o l d und Gftz2) , A r n s t e i n und S u s t s e h i n s k y a ) , yon R o s s b a e h und F r S h l i e h 4) und Anderen auf eine Beeinflussung tier Vagusenden im Herzen bezogen und zum Theil auf eine Steigerung ihrer Erregbarkeit zuriiekgefiihrt.

Am klarsfen wurde die Wirkung des Calabar yon A r n s t e i n und S u s t s e h i n s k y I)r/ieisirt. Diese Autoren sagen:

,Darch das Calabar wird die Erregbarkeit der Vagusendigungen im Iterzen be- deutend erhiiht. Wurde z. B. vor der Vergiftung das Herz durch Vagusreizung bei einem K. A. yon 100 mm zum Stillstand gebraeht, so erfolgte Letzterer nach tier Vergiftung' schon bei einem I~. A. yon 290 mm. Die Steigerung der Erregbarkeit ist um so bedeutender~ je sehwiicher der Vagustonus vor der Vergiftung war. Diese Er- hShung der Erregbarl~eit erfolgte 7 gleichgiiltig, ob verhiiltnissm~issig schwache oder starke Dosen gegeben wurden. Die Wirkung des Calabar auf den Vagus gussert sich bei Reizung desselben mittelst des elektrischen Stromes auch dutch eine prolong'irte Naehwirkung, deren St~irke und Zeitdauer im Verhiiltnisse steht zu der St~rke des angewandten Stromes. Die l~ingste Dauer der Naehwirkung betrug 15 Sec. Die Ein- wirkung des Calabar auf die Vagusendigungen ist eine directe. Hat man dureh Atropin die Vagusendigungen vollkommen paralysirt~ so kann ihre Leitf~higkeit durch Calabar wieder vollkommen restituirt werden) ~

Diese interessanten Angaben, sowie aueh die yon anderen Beob- aeh~ern erhaltenen '~hnliehen Resultate verloren jedoeh vollsfftndig ihre Beweiskraft, als H a r n a e k und W i t k o w s k i 5) an Stelle des Calabar- extraetes oder anderer unreiner Pr/~parate die Wirkungen des chemiseh reinen Alkaloids in griindlichster Weise priiften.

1) L enz~ Versuche fiber die Einwirkung der Calabarbohne auf den Blutkreis- lauf. Centralbl. f. d. med. Wissensohaft. 1865. S. 386.

2) v. Bezold u. G~itz, Ueber einige physiologisehe Wirkung'en des Calabar- giftes. Centralbl. f. d. reed. Wissenschaft. 1867. S. 241.

3) Arnstein u. Sus tsehinsky, Ueber die Wirkungen des Calabar auf die hemmenden und beschleunigenden Nerven. Centralbl. f. d. reed. Wissenschaffen. 1867. S. 625.

4) gossbach u. FrShlich, Untersuchungen fiber d. physiologisehenWirkungen des Atropin und Physostigmin auf Pupille und Herz. Verhandl. d. physik.-med. Ges. in Wfirzburg. 1874. Bd. V. S. 1 ft.

5) Harnack u. Witkowski, Pharmakologische Untersuchungen tibet' das Physostigmin a. Calabarin. Aroh. f. exp. Pathol. u. Pharmak. 1896. Bd. V. (S. 401.) S. 418 ft.

Page 3: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

638 H. Win te rberg ,

Durch die Arbeit dieser Autoren (daselbst eine ausfiihrliche Ueber- sicht der /~lteren Literatur!) wurde die jetzt fast allgemein acceptirte Anschauung begriindet, dass das Physostigmin ein die Erregbarkeit der Muskelsubstanz und insbesondere die des Herzmuskels steigerndes Gift sei, welches den Vagus selbst g/~nzlich unbeeinflusst 15sst.

Harnack und Witkowski fanden, dass das Physostigmin die Contractionen des Froschherzens verlangsamt und gleichzeitig versti~rkt. ,l~eizt man nach erfolgter Vergiftung den Vagusstamm oder den Venensinus, so erh~lt man keinen diastoliszhen Stiltstand mehr, sondern nur Verlangsamung tier Herzaction und auch letztere nur durch relativ kr~ftige StrSme". Der Muscarinstillstand des Froschherzens l~sst sich nach Harnack und Witkowski durch Physostigmin aufheben und ein durch Physo- stigmin vergiftetes Herz wird durch Muscarin nicht mehr stillgestellt. Auf die pri- mere Verlangsamung der Herzaction bleibt Durchschneidung der Vagi oder Liihmung der Vagusenden durch Atropin ohne Einfluss, sie kann also nach Harnack und Witkowski weder yon einer centralen noeh yon einer peripheren Erregung des Vagus abhi~ngen. Ebenso wenig kann nach diesen Autoren die relative Erfolglosigkeit der Vagus- und Sinusreizung, sowie die Aufhebung des Muscarinstillstandes auf eine Liihmung der Vagusendigungen zuriickgefiihrt werden: da ja sonst durch Vagusreizung die Action des mit Physostigmin vergifteten Herzens nicht noch welter verlangsamt werden kSnnte.

Dagegen liisst sich durch eine bestimmte Versuchsanordnung die Annahme wahrscheinlich machen, dass das Physostigmin direkt die Muskelsubstanz des Frosch- herzens erregt. Injicirt man einem Frosche, dessen Herz zuvor durch Muscarin zum Stillstande gebracht ist, etwas Physostigmin und applicirt nach erfolgter Aufhebung des Stillstandes eine kleine Quantit~it eines muskell~hmenden Mittels z. B. Apomorphin oder oin neutrales Kupferdoppelsalz, wodurch die Erregbarkeit der Herzmuskelfasern herabgesetzt wird: so tritt bei einer gewissen Dosirung der Muscarinstillstand wieder ein. Da also die Ursachen, welche der Aufhebung des Muscarinstillstandes durch Physostigmin zu Grunde liegen, durch ein muskell~.hmendes Mittel weggeschafft werden, so muss die Aufhebung des Muscarinstillstandes durch Physostigmin auf einer Reizung des Herzmuskels beruhen."

Die durch Physostigmin bewirkte Erregung der Muskelsubstanz erkl~rt nun nach Harnaek und Witkowski die Aufhebung des Muscarinstillstandes und die relative Erfolglosigkeit der Vagus- oder Sinusreizung, weil die Hemmungsnerven das unter einem verstiirkten geize arbeitende Herz nicht vSllig ausser Action zu setzen ver- mSgen. Die prim~re Verlangsamung tier Schlagfolge des mit Physostigmin vergifteten Herzens deuten die Autoren ebenfalls dahin, dass dieselbe yon einer Reizung des Herzmuskels direct abh~ngig sei, indom das Herz sowohl zu den kr~ftigeren Con= tractionen als auch zu der Wiedererschlaffung einer l~ngeren Zeit bediirfe.

Bei SEugethieren verursacht das Physostigmin nach H. und W. ebenfalls Aende- rungen der Circulation bestehend in oiner Steigerung dos Blutdrucks und in einer Abnahme der Frequenz der Herzschliige. Die Blutdrucksteigerung beziehen dieAutoren auch bier auf eine Vermehrung der Herzenergie, weil sic auch an curarisirten, kiinst- lich ventilirten Thieren, nach Liihmung des Vasomotorencentrums durch Chloral- hydrat sowie nach Aortenklemmung eintritt und deshalb von Muskelbewegungen, Respi- rationsstSrungen oder yon einer Erregung der Gef~ssmusculatur unabhEngig sein miisse. Auch die nach Physostigmin-Vergiftung gewShnlich zu beobachtendo Zu- nahme ifi tier HShe dot Pulscurven wird yon Harnack und Witkowski auf die Steigerung der Herzenergie bezogen.

Hingegen ist d i e R e i z u n g des V a g u s b e i S ~ u g o t h i e r e n s e l b s t n a c h grossen G i f t d o s e n v o n i h r e m g e w S h n l i c h e n E f f e k t e b e g l e i t e t und zeigt ,

Page 4: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Uober die Wirkung dos Physostigmins auf das Warmbliiterharz. 639

wio d i e A u t o r e n b e s o n d e r s h e r v o r h e b o n , namen t l ioh koine Zunahme der E r r e g b a r k e i t der t I emmungsnorven .

Die Abnahme dor Pulsfrequenz ist bei S~ugethioren niemals bedeutend, abet boreits nach sehr kleinon Dosen wahrnehmbar. Sic trill auch nach Ausschaltung der Vagi durch Atropin odor Curare auf, ist also yon einer Roizung der Hemmungsnerven unabh~ngig. Harnack und Witkowski geben indessen selbst zu, dass sie die Frage nach der Ursache der Verlangsamung nicht mit Sicherhoit zu beantworten ver- mSgen.

Diese Darstel lung der Physost igmin-Wirkung land in der Folgezeit nur wenig Opposition. Am entschiedensten wurde sie yon S c h w e d e r 1) (daselbst zahlreiche Literaturangaben) in ciner unter K o b e r t ' s Lei tung ausgef(ihrten Dissertation angegriffen.

S c h w e d e r fand, dass die naeh Abschniirung an der Vorhofgronze stillstehend% abet auf jeden Reiz sich contrahirende Kammer des Froschherzens dutch Eserin nicht zum Schlagen zu bringen sei. Er schliesst deshalb eine direkto Reizwirkung auf die Musculatur aus. Auch gegen die so oft citirten und so selten naohgepriiften Muscarin- Physostigmin-Kupfersalz-Versuche yon Harnack und Witkowski erhebt Schweder sehr beachtenswerthe Einwiinde.

Die Herzwirkung des Physostigmin erkl~h't der Autor dutch die Annahme, dass das Gift alle Ganglion des Herzens in kleinen Dosen reiz% in grossen nach anfiing- lichor Reizung l~ihme.

Die Pulsverlangsamung beruhe hauptsiichlich auf einer Reizung der Hemmungs- ganglien. Zu dieser muscarini~hnlichen Wirkung geselle sich noch eine Erregung dor motorischen Ganglion~ die dos Herz zu energischon Contraetionen veranlasse.

H e d b o m = ) , weleher die Einwirkung des Physost igmins a~uf dos nach dem L a n g e n d o r f f ' s c h e n Vergahren isolirte Wa.rmblfiterherz unter- suchte, erhielt wiederum im Grossen und G anzen mit den Erfahrungen yon H a r n a . e k und (lessen Mitarbeitern iibereinstimmende Resultate.

Als constanteste Erscheinung ergab sich eino oft recht bedeutende Herabsetzung der Pulsfroquenz, welcho nach Zufuhr yon Giftblut mehr odor weniger horvortrat, nach Einleitung von Normalblut aber immer wieder zurfiekging. Doch brachte dos giftfreie Blur stets nur ein allmg~hliches Ansteigen der Pulsfrequenz horror und das Gift zeigte zuweilen insoforn eine blachwirkung: als die Verlangsamung noch ein paar Minuten nach dem Zusatze des Normaiblutes sieh welter entwickelte.

Durch Atropin gelang es H e d b o m, die dutch Physostigmin herabgesotzte Puls- zahl beinahe zu verdoppeln. Da aber Pbysostigmin auch nach der ersten htropin- einspritzung nochmals else betr~chtliche Prequenzabnahme hervorrief: gegen die eine folgende Atropingabe unwirksam blieb~ glaubt er diesen widersprechenden Thatsachen gegeniiber es kiinftigen Untorsuchungen iiberlassen zu mfissen~ die Ursache der Puls- verlangsamung bei Physostigmin-Vergiftung endgiiltig aufzukl~iren.

Die HShe der Iterzeontraetionen wurde durch ldeine Gabon (0~4--0:6 rag) ali- m~hlieh gesteigort, bei fortgesetzter Einwirkung des Giftes odor durch grSssere Desert hingegen herabgesetzt.

Bei unregelm~ssiger Herzth~tigkeit iibt das Physostigmin zuweilen einon regu- lirenden Einfluss aus; andererseits rief unter Umstiinden das Gift selbst Unregel- m~ssigkeiten hervor.

I) Schwcder , Uober Eserin und Eseridin. In.-Diss. Dorpat 1889. 2) Ilod born, Ueber die Einwirkung verschiedener Stoffe auf das isolirto S/iuge-

thierherz. Skand. Arch. f. I'hysiol. 1898. Bd. VIII. II. Abh. (S. 168). S. 209 ft.

Page 5: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

640 H. Winterberg,

Wiihrend des Versuches entwickelte sich mehr und mehr ein bis zum systoli- schen Stillstand fiihrender Contractionszustand des tterzens. ,,Diese Wirkung sowie die Steigerung der Amplituden sind wohl als Fotgen eines directen Einflusses des Physostigmins auf den Herzmuskel aufzufassen."

In neuester Zeit hat Carlson~) die Wirkung des Physostigmins auf alas Limulusherz studirt.

Es stellte sich heraus~ dass das Gift nur auf den Ganglienapparat eine prim~tre Reizwirkung entfaltet, die bei Anwendung stiirkerer LSsungen yon Lghmungserschei- nungen gefolgt ist, w~ihrend selbst grosso Dosen auf den ganglienfreien Theil des Herzens keine Wirkung ausiiben. Carlson vertritt welter die Meinung, dass sich die erregende Wirkung aueh auf die Hemmungsganglien erstreeke. Doeh sei der Einfluss derselben beim Limulusherzen so goring, dass er nicht zum Ausdruck ge- langen kSnnte. Boim Wirbdthierherzen hingegen iiberwiege rogelm~ssig der tlem- mungsmechanismus uhd die nach Physostigmin zumeist beobachtete Verlangsamung sei auf eine Reizung derselben zu beziehen, welche mS.ehtiger sei als die gleichzeitige Erregung des motorischen Ganglienapparates.

Im Uebrigen schliesst sich Car l son der Meinung yon Cushny an~ dass beziiglich des Einflusses des Physostigmins auf das Wirbeltllierherz weitere Untersuchungen am Platze w~ren~ einer hnsicht~ der jeder zu- stimmen miisse 7 der in der Literatur dieses Gegenstandes einigermaassen Umschau gehalten hat. Schon die wenigen hier angefC~hrten Proben aus derselben geniigen wohl, diese Forderung gerechtfertigt erscheinen zu 1,~ssen.

Meinen eigenen Untersuchungen gab die schon erw~hnte Beobachtung, d~Lss die Vorhgfe mit Physostigmin vcrgiftoter Herzen dutch faradischc Roizung i/hnlieh wit bei ,iiberdauernder" Vaguserrogung zu lang anhal- tcndem Flimmern gebraeht werden konnten, zunitehst Ziel und Riehtung.

Es sollte besfimmt werden, wie sieh tier Effect einer Vagusreizung vet und naeh Vergiftung mit Physostigmin gestaltet.

Als Versuehsthiere dienten moist Katzen, zuwoilen auch Hunde und Kaninehen. Mit Rfieksieht auf die namentlieh bei Katzen sehr grosse Empfindlichkeit tier N. vagi gegeniiber dora Curare, wurden die Thiere dureh Riiekenmarksdurehschneidung gel'//hmt. Die Vagi wurden am Halse freigelegt, durehsehnitten und ihr peripherer Stumpf mittels Plafin- elektroden faradisch gereizt. Die Wirkung tier Vagusreizungen sowie die tier Giftinjeetionen wurde dutch das Verhalten der Blntdruekeurvo und durch die Verzeichnung der Herzbewegungen mittels des Suspensions- verfahrens odor mit Hiilfe einer plethysmographisehen Vorriehtung eontrolirt.

Vor und naeh der Gifteinspritzung in oine Jugularvene wurde dot sehw/iehste Strom aufgesueht, dutch don noeh eine deutliehe ehrono- odor inotrope Hemmungswirkung yon Seiten des Vagus zu erhaken war.

Zur Injection wurde salieylsaures Physostigmin in einer 5prom. LSsung verwendet. Die auf einmal gebrauehto Giftmenge wurdc stets mit destillirtcm Wasser auf 1 ecru aufgefiillt.

1) Carlson, On the point of action of drugs on the heart with special refe- rence to the heart of Limulus. Americ. Journ. of Physiol. 1906. Bd. XVII. (p. 177) p. 196--197,

Page 6: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblfiterherz. 641

Ausser mit dem k/tuflichen Merk'schen Physostigmin wurden auch Versuche mit einem /ilteren ebenfalls yon Merck stammenden Pr@arate ausgef(ihrt. Dasselbe wurde mir iiber mein Ansuchen in der zuvor- kommendsten Weise yon Herrn Prof. H a r n a c k , dem ich hiefiir zu grSsstem Danke verpflichtet bin. zur Verfiigung gestellt.

Dieses Pr~parat ist, wie Prof. H a r n a c k bemerkte, seit 27 Jahren in seinem Besitze und stimmt wahrscheinlich mit seinem amorphen Physostigmin iiberein. Frische LSsungen desselben erwiesen sich etwas kr/iftiger wirksam als unsere Substanz; in ihrer Wirkungsweise stimmten sic jedoch mit der letzteren vollst/indig iiberein.

Bctrachten wir zun~chst die Wirkung kleiner Physostigmindosen, d. i. einer Mengc yon 0,1--0,5 mg, auf Katzen yon mittlerer GrSsse (2--3000 g).

Diese kleinen Gaben hatten auf die Pulsfrequenz entweder gar keinen Einfluss oder es kam 20--30 Secunden nach der Injection zu einer Ver- langsamung der Schlagfolge, die meist unbedeutend war (3--12 Schl~ge in 60 Secunden) und nur selten h5here Werthe erreichte.

Die HShe der Pulselevationen nahm in allen F~llen, bei welchen sich die Herzth/itigkeit verlangsamte, zu, und zwar um so mehr, je aus- giebiger die Verminderung der Schlagfrequenz war.

War die Pulszahl im Gefolge der Giftinjection unver£ndert geblieben, so kam es bisweilen nach einer faradischen Vagusreizung zu einer ge- ringen aber dauernden Herabsetzung derselben. Hiiufig stellte sich aber noch nach 1/ingerer Zeit (2--3 Minuten) die friihere Frequenz wieder her.

Die Wirkung einer Vagusreizung mit dem vor der Vergiftung gerade noch erfolgreichen Minimalreiz war schon nach Anwendung dieser 0,1 bis 0,2 mg betragenden Dosen fast ausnahmslos eine intensivere. Es zeigte sich nicht nur eine gesteigerte negativ ehronotrope, sondern insbesonderc auch eine viel bedeutendere negativ inotrope Wirkung. Die Verkleine- rung der Herzcontraetionen blieb wenigstens bei Anwendung k]einer Gift- gaben meist auf den Vorhof beschritnkt, manehmal abet war aueh die Contractionsf~higkeit der Herzkammern unzweifelhaft herabgesetzt.

Der Effect der Vagusreizung erwies sich welter nicht nur der Inten- siti~t nach gesteigert, sondern namentlieh auch in seiner Dauer wesent- lieh verliingert.

W~hrend unter normalen Verh£ltnissen selbst eine sehr kr/fftige Erregung des Vagus sp/~testens einige Secunden nach der Einwirkung des Reizstromes vollst/~ndig zuriickgegangen ist, halt die Wirkung naeh Physostigmin-Darreichung wesentlich l~nger an.

Schon nach Verabreiehung der erw~hnten Dosen yon 0,1--0,5 mg beobachtet man naeh einer nut 2- -3 Secunden dauernden Reizung des Vagus mit sehwachen StrSmcn eine 20--30 Secunden betragende ~Nach- wirkung.

Bei Einwirkung st'~rkerer StrSme tritt die Steigerung der Intensiti~t und der Da~.er der Hemmungswirkung noch deutlicher hervor,

Page 7: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

642 H. Winterberg,

Andererseits kann der zur Reizung des Vagus dienende Strom bis unter den vor der Vergiftung noch erfo]greichen Minimalreiz hinaus ab- geschw~cht werden, ohne seine Wirkung zu vcrlieren. Die nach den erw'/ihnten Physostigmingabea auftretende Steigcrung des Sehwellenwerthes fiir die Vagusreizung betritgt jedoch selten mehr a]s 10--20 mm R. A. meines Apparates.

Die verstSrkte Wirkung der Vagusreizung tritt schon 20--30 Sec. nach der intravenSsen Einspritzung des Physostigmins hervor, erreicht jedoch ihr Maximum gewShnlieh erst nach Ablauf yon 2--5 Minuten.

Dosen yon 0,1--0,2 mg vcrlieren manchma] ihre Wirkung schon naeh 5--10 Miauten, withrend Gaben yon 0,3--0,5 mg dieselbe in der Rege[ ]angc Zeit hindureh bewahren~ so dass Reizung des Vagus w'ghrend des ganzen oft dureh mehr als eine Stunde fortgesetzten Ver- suches den [iir die Physostigmin-Vergiftung eharakteristisehen verst'Srkten Effect zeigte.

Die naeh Physostigmingaben yon 0,5--3 mg auftretenden Erschei- nungen gleiehen im Wesentliehen den nach den genannten kleineren Dosen beobaehteten und sind nur viel intensiver ausgebildet.

Auch bier sieht man mitunter, dass die Pulsfrequenz zu einer Zei~ noeh keine Vcrlangsamung aufweist, in weleher der Vagus~ wenn er er- regt wird~ schon eine hoehgradig versti~rkte Hemmungswirkung ausiibt. Ein Beispiel hiefiir ist in Fig.I, Tar. XVI dargestel[~. Die Sehlagfrequenz, welehe in diesem Pallc 191/2 Schl/~ge in 5 Secunden vet der Vergiftung betrug~ hatte 30 Secunden naeh der Injection yon 1~25 mg Physostigmin noeh nicht abgenommen. Dennoeh fiihrte in diesem Stadium eine 3 Seeunden laage Vagusreizung bei R. A. 170 ram, welehe ursprgnglieh (Fig. 1 bei a) nut eine kanm wahrnehmbare Verkleinerung der Vorhofcontractionen ohne Aenderung ihrer Zahl hervorrief, zu einer mehr als 40 Seeunden anhal- tenden sehr bedeutenden Verkleinerung tier Zuc, kungsgrSsse der VorhSfc bei gleiehzeitiger Verminderung tier Pulsfrequenz~ die voriibergehend his au f t/a der anfgnglichen absank. Ueberdies kam es hier fast unmittel- bar nach der Vagusreizung scheinbar spontan zum Flimmern tier Vor- hSfe (absteigende Treppe beim Wiederbeginn der Vorhofsth'~tigkeit, siehe diesbeziiglich racine Angaben in Pfliig. Arch. 1907), welches 20 Secunden anhielt, worauf sieh allerdings noch arhythmische abet unverkennbar (aufsteigcnde Treppe) einer abklingenden Vagusl'eizung entsprechende Vorhofeontractionen einstellten. Die Schlagfolge blieb aber auch dana noch bei entsprechend vergrSsserten Pulswellen verlangsamt und kehrte iiberhaupt nieht mehr zu der friiheren Prequenz zuriick.

In anderen F'gllen sehliesst sieh unmittelbar an die Physostigmin- Injection allerdings eine geringe Pulsverlangsamung an, bildet sich aber nach einigen Minuten wieder zurack, w'~hrend die verst'~rkte Vaguswir- kung bestehen bleibt. In Fig. lla, Tar. XVI betrtigt die Prequenz 17 Schl£ge in 5 Seeunden, verlangsamt sieh im Anfang der Fig. IIb deutlich nach Injection yon 0,5 mg Physostigmin, steigt abet 2 Minutcn sp'ater (Fig. IIe) wieder auf 17 Sehl'~ge an. Die bei einem R. A. yon 180 mm fast er- folglose Vagusreizung (Fig. IIa) ist 20 Secunden naeh der Vergiftung (Fig. IIb) sehr intensiv wirksam und ruft ausserdem tin 45 Seeundcn

Page 8: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblfiterherz. 643

[ang anhaltendes Vorhofflimmern hervor. Eine zweite Vagusreizung (Fig. II e) zeigt zwar noch eine viel kr/fftigere und persistirende Wirkung, bringt abet den Vorhof nicht mehr zum Flimmern.

Das Vorhofdelirium nach Vagusreizung bei mit Physostigmin ver- gifteten Herzen ist relativ h/iufig, aber keineswegs regelm/~ssig zu be- obaehten. Nach meinen Erfahrungen hat as den Ansehein, dass das- selbe in der ersten Zeit nach der Giftinjection etwas leichter eintritt als in den sp/iteren Stadien.

Wenn aueh die angef~hrten Beispiele zeigen, dass die Pulszahl nach diesen Physostigmingaben nicht nothwendig abnehmen muss, so kommt es doeh in der weitaus flberwiegenden Zahl der F'/ille zu einer je nach der Giftdosis mehr oder weniger betr/~ehtlichen Verlangsamung. Dabei ist as auffallend, dass sieh dieselbe erst naeh einer Reizung des Vagus entwickelt oder doch noch waiter verst'/irkt.

Der urspri~nglieh wirksame Minimalstrom konnte nach Injection yon 2--3 mg Physostigmin gewShnlich um 30--40 ram, in einzelnen Fiillen selbst um 80--100 mm R. A. meines Apparates abgeschw~eht werden. Die Verstarkung des Reizerfolges der Vag'i zeigt sich manchmal bei Reizung mit schw/icheren StrSmen nur in einer anhaltenden negativ inotropen Wirkung. St~rkere StrSme f~ihren dagegen immer zu einer betraehtlichen Verlangsamung und erzeugen oft a u s s e r o r d e n t l i c h l ang a n h a l t e n d e St i l l s t i~nde des Herzens . Bei Hunden sah ich solche yon mehr als 15 Secunden Dauer. Auch die Nachwirkung ist eine sehr protrahirte. Sic betriig~ bei Katzen meist 1--2 Minuten, kann aber noch 1/tnger andauern. So f~ihrte z. B. in einem Versuche Reizung des Vagus durch 2 Secunden bei einem R. A. yon 50 mm vor der Vergiftung zu einer 8 Secuuden w'Shrenden Hemmungswirkung, welche nach tier Appli- cation yon 1,5 mg Physostigmin 200 Secunden anhielt.

Kleinere Physostigmingaben wiederholt beigebracht, summiren sich in ihrer Wirkung.

Die ausserordentlich intensive Wirkung einer faradischen Reizung der Vagi mit Physostigmin vergifteter Thiere fiihrt nicht selten trotz kiinstlicher Respiration und Halsmarkdurchschneidung zum Auftreten yon Erstickungskr~mpfen. Der Blutstrom in der Lunge wird infolge tier seltenen Herzcontractionen excessiv verlangsamt und iiberdies staut sich alas Blur wegen der andauernden und starken inotropen Hemmung der VorhSfe sowohl in diesen~ als auch in ihren Zuflussgebieten. Fiir die Lunge entsteh~ dadureh ein weiferes mechanisches Respirationshinderniss. In diesem yon v. Basch als Lungenschwellung und Lungenstarrheit be- zeichneten Zustande bedarf es, um die Lunge in gleichem Maasse wie friiher ventiliren zu kSnnen, einer verst~rkten Lufteinblasung.

Auch bei spontan athmenden, mit P, hysostigmin vergifteten Thieren macht sich, wenn der Vagus kr~ftig gereizt wird, die infolge der st~r- keren Spannung und Fiillung der Alveolarcapillaren behinderte Excursions- f/~higkeit tier Lungen geltend. In Fig. lII, Taf. XVI ist die Athmungs- und Blutdruckcurve eines mit 0~7 mg Physostigmin vergifteten Kaninchens dar- gestellt. Ein Vagus war erhalten, der andere durchsehnittene wurde entsprechend der Marke 3 Secunden lang bei einem R. h. yon 50 mm

Zeitscbrifl, f. exp. Pathologic u. Therapie. 4. Bd. 4 2

Page 9: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

644 H. Winterberg,

gereizt. Die dadurch erzeugte betr~chtliehe und anhaltende Verlang- samung des Herzschlages ist in dem Stadium ihrer st/~rksten Ausbildung yon einer sow, ohl die Inspiration als aueh die Exspiration betreffenden Verkieinerung der Athmungsexcursionen begleitet. (Ieh m6ehte iibrigens nieht unerw/ihnt lassen, dass diese Erscheinungen auch dutch eine ver- st~rkte Wirkung des Vagus gegeni~ber der Bronchialmusculatur erkl/~rt werden kSnnten. Auch die dureh das Gift bedingte Hypersecretion der Bronchialschleimhaut dfirfte hiebei eine Rolle spielen.)

3 mg und dari~ber betragende Physostigmingaben bedingen his zu einer gewissen Grenze eine noeh zunehmende Pulsverlangsamung und eine weitere Verstarkung der Wirkung einer Vagusreizung. Wird aber dana noch mehr Gift zugefiihrt, so sinkt die Schlagfolge des tterzens nicht mehr weiter ab und der zur Reizung des Vagus nSthige Strom muss erheblich verst~rkt werden. Ja es kann auf diese Weise tier zur Erzeugung einer Hemmungswirkung nSthige Schwellenreiz fiber den Werth des urspri~nglichen steigen, d. h. es sind, um den Vagus zu erregen, jetzt st~rkere StrSme erforderlich. Aber auch unter diesen Umst/tnden erweist sich die einmal ausgelSste Hemmungswirkung des Vagus beson- tiers nachhaltig. Ein plStzliches Emporschnellen der Pulszahl, wie dies Schweder (1. e.) gesehen hat, habe ich nieht beobachtet~ ebensowenig sah ich auch nach sehr grossen Giftdosen vollst~ndige L/~hmung des Vagus eintreten.

Es wurde sehon wiederholt der Thatsache Erw~hnung gethan, class die VorhSfe mit Physostigmin vergifteter Herzen bei Vagusreizung nicht selten spontan in Flimmern gerathen. Mit Sicherheit kann man lange anhaltendes Flimmern der Vorh6fe erzeugen, wenn man nach Intoxication mit Physostigmin kurze Zeit hindurch den Vagus und einen Vorhof gleichzeitig faradisch reizt. Die St/irke des dan Vorhof treffenden Stromes kann dabei so gew~hlt sein, dass alas dnrch densdben am unvergifteten Iterzen hervorgerufene Delirium mit tier Dauer der Einwirkung des Reiz- stromes zusammengefallen w~re. In Fig. 4a, Taf. XVII ist der Effect einer Vagusreizung vor der Intoxication, in Fig. 4 b u. c nach der successiven Einspritzung yon zusammen 5 mg Physostigmin dargestellt. Die Vagus- reizung dauerte jedesmal etwa 31/2 Secunden und erfolgte bei demselben R. A. yon 100 ram. Fig. 4 b u. c unterscheiden sich ihrer Genese nach dadurch, dass in letzterem Falle die Vagusreizung mit einer gleichzeitigen Reizung des Vorhofs bei R. A. 200 mm combinirt wurde.

Fig. 4 b zeigt die enorme Verst/~rkung der Wirkung dcr Vagus- reizung, die am klarsten an der Blutdruekeurve zu Tage tritt. Die Vor- hof- und Kammercurven sind dutch die in Folge der hochgradigen Ver- langsamung des Blutstromes ,,auftretenden Erstickungskr/impfe, sowie durch die vonder k~instlichen Athmung herrtihrenden Ausschl/ige allzu sehr deformirt. Immerhin sieht man aber, dass die Hemmung tier Vor- hofschl/~ge allm~hlich einsetzt und bei abklingender Erregung nach und nach abnimmt. Die Zusammenziehungen der gebl/~hten Kammern bleiben dabei ziemlich regelm/issig und erzeugen die charakteristischen grossen und seltenen Vaguspulse.

Page 10: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Uober die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblfiterherz. 645

In Fig. 4c, Taf. XVII geri~th der Vorhof wegen der gleichzeitigen di- recten Reizung desselben sofort in Flimmern, was zun/iehst schon aus dem plftzlichen Aufhfren und dem ebenso unvermittelten Wiedcreintritt seiner rhythmischen Bewegungen hervorgeht. Ueberdies aber fiihren die yore flimmerndcn Vorhof ausgehenden Impulse zu einer arhythmisch be- schlcunigten Kammcrth/~tigkeit, welchc hier an dem Verhalten der Blut- druck- und Ventrikelcurve ]eicht verfolgt werden kann.

Die Dauer des Vorhofdeliriums und der davon abh/~ngigen Ventrikel- arhythmie in Fig. 4c auf Taf. XVII f~llt anniihernd mit der Dauer der Nachwirkung der Vagusreizung in Fig. 4b zusammen.

Die Vorhffe des mit Physostigmin vergifteten Herzens gerathen aber nicht nur gelegentlich nach Vagusreizung, und regehn/issig infolge combi- nirter Vorhof: und Vagusreizung, sondern ebenso sicher auch dutch Vorhofreizung allein in l~nger anhaltendes Flimmern. Nur ist in letzterem Falle meist die Anwendung etwas stgrkerer Strfme nothwendig, die auch am unvergifteten Herzen ein den einwirkenden Reiz wenigstens ganz kurze Zeit fiberdauerndes Flimmern hervorrufen. Ein besonderes Beispiel hierffir anzufiihren ist wohl iiberfliissig.

Die gesteigerte Wirkung des Herzhemmungsapparates aussert sich nach Physostigminvergiftung nicht nut bei e lek t r i scher , sondern in gleicher Weise auch bei toxischer Erregung des Vagus. Als inter- essantes Beispiel dieser Art mfchte ich nur den Einfluss des Nicotins auf ein vorher mit Physostigmin vergiftetes Herz hervorheben. Das Nieotin wirkt bekanntlich erregend auf die cardialen Vagusapparate und erzeugt dadurch cine voriibergehende Verlangsamung der Pulsfrequenz und Blutdrucksenkung. Bei noch bestehender Verlangsamung beginnt indessen der Blutdruck inf()lge der Reizwirkung des Nicotins auf die peripheren gef~ssverengenden Apparate bald darauf bis weir fiber das ur- spriingliche Niveau zu steigen, wobei, wenigstens sehr h/~ufig, die herab- gesetzte Frequenz in eine mehr oder weniger bedeutende Zunahme der SchlagzahI iibergeht. Bei Thieren, welche eine gen(igende Dosis Phy- sostigmin (2--3 rag) erhaltcn haben, sind diesc Erscheinungen dahin modificirt, dass die sccundiirc Beschlcunigung des Herzschlages voll- st/tndig, und die Drueksteigerung ebenfalls entweder g/tnzlieh wegf/tllt oder doch nut sehr geringfiigig ausgepr/~gt ist, w~hrend umgekehrt der Grad und die Dauer der Frequenzabnahme ausserordentlieh zunehmen. Auf letzteren Umstand ist denn auch das Ausbleiben der Steigerung des Blulcdrucks und der besehleunigten Herzaetion zurfickzuffihren. Dass das Physostigmin nieht etwa jene Apparate 1/thmt, welche den Angriffs- iounkt der in Wegfall kommenden Ph/tnomene der Nieofinwirkung bflden, geht daraus hervor, dass wenigstens voriibergehend eine ansehnliche Er- hShung des Blutdrueks erfolgt, wenn das Nieotin nieht dureh eine Jugular- vene, sondern in das eardiale Ende einer Carotis eingespritzt wird. Das- selbe gelangt dann mit Umgehung des Herzens zun/iehst in die ioeripheren Gef~sse und kann hier seine eharakteristische Wirkung entfalten. Kleine Nicotingaben erzeugen bei dieser Versuchsanordnung sogar aussehliess- lich eine Steigerung des Blutdrueks, w/thrend nach grSsseren Mengen noch geniigend vicl Gift naeh Passiren des grossen Kreislaufes in das

42*

Page 11: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

646 H. Winterberg,

Hsrz gelangt~ um nun secund~tr die Schlagfolge zu verlangsamen und den Blutdruck demsntsprschend mshr oder weniger herabzudrficken.

Es erhebt sich nunmehr die Frage, welche Deutung wir den hier beschriebenen nach Physostigmin-Vergiftung zu beobachtender Er- scheinungen~ d. i. der Verstitrkung und Verl/ingerung der Hemmungs- wirkung des Vagus~ der Pulsverlangsamung und der VergrSsserung der Pulswellen sowie endlieh dem unter den angefiihrten wechselnden Bedingungen auftretenden Vorhoffiimmern zu geben bereehtigt sind.

Was zun~ehst die anhaltend verstiirkte Wirkung der Vagusreizung betrifft~ so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen~ dass dieselbe allein auf eine S te ige rung der E r r e g b a r k e i t des ca rd ia l en H e m m u n g s - a p p a r a t e s zuriickzuffihren ist. Dies geht aus dem Umsfands her - vor~ class schon ganz k l s ine Gif tmengen~ welehs wsde r die Zahl noeh die GrSsse und Form der H e r z s o n t r a e t i o n e n w a h r n e h m - bar zu vs r~nde rn im S tands sind~ eine bs t r i i sh t l i che ErhShung tier R e i z b a r k e i t des Vagus bedingen , die oft ers t in dem Mo- men te in E r s c h s i n u n g t r i t t , in we l shem der Vagus e r r sg t wird.

Wir haben es also hier mit einer Giftwirkung yon besonderer Eigenart zu thun, die der des Strychnins an die Seits gesetzt werden kann. Es mSge daran erinnert wsrden~ dass dieser Vergleich sehon friiher einmal zur Charakterisirung anderer Wirkungen des Physostigmins gezogen worden ist~ indem Bszold und GStz das Calabar :~als das Stryshnin fiir die Centra der unwillkfirlishen Bewegungsn ~ bezeichnet haben. Diesen Forschern sowie namsntlich Arns te in und Sus t - s c h i n s k y gebiihrt das Verdienst~ die die Erregbarkeit des Hemmungs- apparates steigernde Wirkung des Physostigmins zuerst erkannt und be- sehrieben zu habenl).

Viel grSsseren Sehwierigkeiten begegnen wir bei der Erkl/irung der durch Physostigmin erzeugten Pulsverlangsamung. H a r n a e k und Wi tkowsk i glaubten 7 dass dieselbe direct yon einer Reizung des Herz- musksls abh~ngig sei, indem das unter Physostigmineinfiuss starker ar- beitende Herz zur Ausfiihrung seiner Systole und Diastole einer l~tngeren Zeit bediirfe. Einen Einfiuss der Hemmungsnerven auf die Abnahme der Schlagzahl des Herzens hielten diese Autoren deshalb fiir ausge- sshlossen 7 well die Verlangsamung auch nach vSlliger Aussehaltung der Hemmungsnerven dutch Atropin oder Curare auftrat.

Ieh kann diese Angabe nur insoweit best~tigen, als thats/ishlish grosse~ 4 rag i ib s r s t s igsnde , oft s o g a r s r s t l o g b e t r a g e n d e intravenSs applicirte Physostigmingaben im Stande sind die Pulsfrequenz

1) Vor Kurzom hat v. Tab o ra (Ueber die exp. Erzeugung yon Kammersystolen- ausfall und Dissociation durch Digitalis. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therapie. S. 499) den Nachweis erbracht~ dass Digitalin ebenfalls die Erregbarkeit des Vagusapparates des S~ugethierherzens zu erhShen vermag. Doch scheint bier die Wirkung wesentlich schw~cher zu sein. Dagegen hat BShm (Pfifig. Arch. 1872. Bd. Y. S. 164) sohon friiher das Digitalin in gleichem Sinne und mit derselben ]ntensit~it auf das Frosch- herz wirken gesehen~ wi¢ es fiir Physostigmin beim S~iugethier zutrifft.

Page 12: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmbl/itorherz. 647

auch naeh vollst/indiger Curare-und Atropin-L'~hmung des Vagus herab- zuseLzen. Die unter diesen Umst'~nden auftrctcnde Vertangsamung bleibt jedoch stets hinter der durch kleinere Giftmengen (2--3 mg) bei intaeten Vagis zu erzielenden Frequenzabnahme bedeutend zuriick. Da nun dic viel ausgesprochenere Verlangsamung~ welehe schon 3 - -4 mg Physostig- min bei crregbaren Hemmungsnerven hervorrufen, nach Atropinisirung vollst'~ndig ausbleibt, so folgt daraus wohl, dass sic dutch den cardialen Vagusapparat vermittelt wird.

Einen ande ren Ursprung muss hingegen die Frequcnzabnahme haben, welche auch naeh Aussehaltung der Vagi nur durch verh';iltniss- m'Sssig sehr grosse Giftmengen crzeugt werden kann.

Die Art und Weise, wic das Physostigmin mi t t e l s der ea rd ia l en V a g u s a p ioar at e die Herzsehlagfolge verlangsamt, kann eine zweifaehe sein. Einerseits kSnnte das Gift den Vagus direct erregen, andererseits kSnnte die Verlangsamung seeunditr in Folge der gesteigerten Erregbarkeit des Vagus zu Stande kommen.

Eine Reihe yon Umstgnden seheint mir mehr fiir tin secun- d~ires, yon der gesteigerten Erregbarkeit des Vagus abhiingiges Entstehen der Frequenzabnahme zu spreehen. So die Thatsaehe, dass manehmal aueh naeh Dosen yon 1--2 mg Physostigmin die Erregbarkeitssteigerung des Vagus der Pulsverlangsamung vorangeht~ dass sieh die Prequenz- abnahme oft erst an eine direete Vagusreizung (dutch den elektrischen Strom) anschliesst und in der Regel, wit ieh sehon hervorgehoben habe) iiberhaupt keine hoehgradige wird. In gleiehem Sinne sprieh~ die ver- st~irkte Wirkung kiinstlieh beigebrachter~ den Vagus erregender Stoffe (Nicotin) naeh Vergiftung mit Physostigmin, sowie endlieh die Beob- achtung, dass auch vom eentralen Nervensystem ausgehende Einfliisse naeh Application yon Physostigmin eine vicl intensivere Wirksamkeit entfalten kSnnen.

In dieser Beziehung seheint mir der folgende Versuch yon beson- derem Interesse:

Ein leicht curarisirter~ kiinstlich geathmeter Hund zeigte geringe Schwankungen der Pulsfrequenz derart, dass periodenweise Gruppen von froquenten und verlang- samten Sehl~gen mit einandor abweehselten. Naeh Injection yon 1,Stag Physostigmin wurden dieso Schwankungen, wie dies Fig. 5, Tar. XVII, zeigt, ganz ausserordentlieh verst~rkt. Die VorhSf% wolche auoh friiher schon mit der Pulsverlangsamung zu- sammenfallend eine geringe Yerkleinerung ihrer ContraetionsgrSsse erkennen liessen, zeigten jetzt ganz enormo Sehwankungen derselbon. Gloichzeitig mit dora Eintritt tier Abnahmo tier Sehlagzah] wurden auch ihro Zusammonziehungen raseh sehw~ieher und bald kaum noeh wahrnehmbar~ worauf dann eine stufenweise Ver- gr6sserung derselben his fast zur normalen Amplitude erfolgt% wS, hrend aueh die Pulszahl wieder zunahm. Naeh der in Fig. 5) Taf. XVll~ bei -@ vorgenommonen Durehsehneidung des 2. Vagus hSrton dieso periodischen Sehwankungen der Puls- und ContraetionsgrSsse definitiv auf. Daraus kann gesehlossen werden, dass wires bier mit periodiseh in der Bahn dos Vagus verlaufenden Erregungen zu thun haben) die naeh Physostigmin-Vergiftung in Folge der gesteigerton Erregbarkeit des Vagus- apparates nebon einer miissigen chronotropen Hemmung oine miichtigo negativ-inotrope Wirkung auf die VorhSfe ausiiben.

Page 13: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

6t8 H. Winterberg,

Ueber die Genese dernach Ausscha l tung der He rzhemmungs - appa ra t e durch Curare und Atropin noch zu erzielenden Pulsverlang- samung konnte ich keinc vollst~ndige Klarheit gewinnen. Die gr(isste Wahrscheinlichkeit scheint mir noch die Annahme fiir sich zu haben, dass es sich dabei um eine vor(ibergchende Sch'~digung des die Ursprungs- reize der Herzbewegung bildenden Meehanismus handelt.

Bei tief curarisirten mit 2--3 nag Atropin vorbehandelten Katzen wirkte gewiihnlich erst 1 eg Physostigmin deutlich pulsverlangsamend. Die Frequenzabnahme bctrug auch dann nieht mchr als g bis hSehstens 12 Sehl/tge in einer Minute bei einer durehschnittliehen Sehlagfrequenz yon 250. Im Gegensatze zu dem Verhalten bei intacten Vagis war die Verlangsamung gewShnlich in 1--2 Minuten abgeklungcn und in oin- zelnen Fiillen war sis sogar yon einer Besehleunigung der Herzth/ttigkeit gefolgt. Die suspendirten Herzkammern zeigtcn racist gar keine Aende- rung ihrer ContraetionsgrSsse, doch wurde gelegentlieh sowohl Abnahme als aueh Zunahme derselben beobachtet. Der Blutdruek stieg regel- m/tssig naeh der Injection um 20--30 mm Hg an.

Versuehe an in gleieher Weise eurarisirten und atropinisirten Katzen, deren Kreislauf naeh der Methode von Boek-Her ing auf Herz und Lunge eingesehr/~nkt waq lieferten im Ganzen /thnliehe Ergebnisse. Die Blutdrueksteigerung blieb jedoeh hier mit einer einzigen Ausnahme regel- m/issig aus.

Experimente am Langendorff 'sehen Pr'~parate zeigten ebenfalls trotz vorausgegangener Atropinisirung jedesmal naeh Physostigmin Ver- langsamung der Sehlagfrequenz. Doeh erwiesen sieh hier sehon be- deutend kleinere (]iftmengen ( t - -2 rag) wirksam, ein Umstand, der leieht verst/indlieh ist, da ja bei dieser Versuehsanordnung die ganze injieirte Giftmenge direct in das Coronargef'~sssystem gelangt. Die Frequenz- abnahme war fast regelm/issig und zwar sehon bei den wirksamen Minimaldosen yon einer Verkleinerung der Zuekungsgr0sse tier Herz- kammern begleitet. In einem Palle schloss sieh an die primate Ver- kleinerung bei schon abklingender Verla.ngsamung eine W~rst~rkung tier Herzeontraetionen an.

Es liess sieh also eine gesetzm/~ssige Beziehung der Pulsverlang- samung in Folge yon Physostigmin-Injeetion naeh L~hmung tier Vagi zu dem Verhalten des Blutdrucks oder zu Aenderungen tier ZuckungsgriSsse des Herzmuskels nicht feststellen.

Was nun weiter die VergrSsserung der Pulswellen betrifft 7 so l'~sst sieh dieselbe nieht ohne Weiteres, wie dies Ha rnack annimmt, auf eine Aenderung des Muskelzustandes zuriiekfiihren. Bei erhaltenen Vagis fehlt constant jedes Anzeiehen fiir eine solehe gesteigerte Th/~tigkeit des Herzens. Die ZuekungsgrSsse dcr VorhSfe und Kammern bleibt ent- weder unveritndert oder nimmt sogar ab. Reizt man hingegen im Sta- dium einer dureh Physostigmin erzeugten ausgesproehenen Pulsvergrgsse- rung den Aeeelerans und erzeugt so wirklieh eine Zunahme der Ven- trikelamplituden, so werden die Pulselevationen nieht grSsser, sondern in der Regal kleiner und zugleieh frequenter. In dan Fal len , wo dis Aece l e r ans re i zung keine augmen ta to r i s ehe Wirkung entfaltet~

Page 14: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmbliiterherz. 649

sondern nur die vor der P h y s o s t i g m i n - V e r g i f t u n g b e o b a c h t e t e P r e q u e n z wiederhers te l l t~ k o m m t aueh die u rspr i ing l iche H6he der P u l s w e l l e n wieder zum Vorschein. Diese Beobachtungen deuten darauf hin~ dass die H6he der Pulssehwankungen in erster Linie yon tier Zahl der Herzschl~ige abhiingig ist.

Es liegt demnach um so n/iher, die VergriSsserung der Pulse bei der Physostigmin-Vergiftung mit der Verlangsamung des Herzsehlages in Zu- sammenhang zu bringen, als beide Erscheinungen stets miteinander parallel verlaufen, ohne dass sieh wenigstens in den bisher angefiihrten mehrfaeh variirten Versuchen eine /ihnliche Beziehung zu einer aus der GrSsse der Zuckungscurve erkennbaren Verstiirkung der tferzaetion feststellen liesse.

Um jedoeh Aenderungen der Herzth/ttigkeit riehtig beurtheilen zu k6nnen~ ist es nothwendig, alle einzelnen Faetoren derselben zu be- stimmen. Es miissen also Schl~gvolum und Sehlagfrequenz, sowie der Widerstand, gegen welchen sieh das Herz entleert, gemessen werden~ GrSssen, deren Beziehungen zu einander iibersiehtlieh dureh die jeweilige Herzarbeit, d. i. durch das Product der in der Zeiteinheit gef6rderten Blutmenge (Seeundenvolum) in den Druck dargestellt werden. Die Schwierigkeit dieses Problems lieg~ bei Warmbliitern vet allem in der Methodik einer verl~ssliehen Bestimmung des Schlagvolums.

Ich habe zu diesem Zweeke ein yon J o h a n s s o n und T i g e r s t e d t 1) angegebenes Verfahren benutzt. Dasselbe besteht darin, dass die Herz- kammern in einen Plethysmographen eingeschlossen werden, dessen Hiihle mit einem Pistonreeorder e()mmunicirt. Als Plethysmograph diente ein naeh den Angaben yon R o t h b e r g e r zweekm/tssig geformtes Glasgef/iss, welches w)r anderen Instrumenten gleieher Art den Vortheil voraus hat, dass es w~ihrend des Versuches eine direete Beobaehtung des Herzens gestattet. Ueber die Miindung dieses Apparates wird eine Gummimembran gespannt, welehe in jedem Falle gerade soweit durehlocht wird, da~s die Kammern ohne Behinderung der Vorhofentleerung noeh luffdieht in den A1)parat eingeNhrt werden kiinnen. Das ist dann der Fall, wenn der Hebel des Recorders die ibm dutch verschiedene Fiillung des Plethys- mographen mit Luft gegebenc Lage dauernd beibehNt und wenn der Blut- druek bei Einf/ihrung des Herzens in den Apparat weder sinkt noeh bei Entfernung aus demselben erheblieh steigt.

Dureh die Ausschl/tge des Pistonreeorders werden unter diesen Be- dingungen die Volumsehwankungen beider Kammern registrirt. Dieselben werden naeh M i 11 i m e t e r n gem ess en und der Aiehu ng des Pistonreeorders entspreehend auf die riehtigen Werthe reducirt. Da jeder Ausschlag des Recorders der dutch die Entleerung beider Kammern bewirkten Volum- sehwankung entsprieht, so muss man, da ja beide Ventrikel gleichviel Nut auswerfen, nach dem Vorgange yon Roy und Adami 2) die bestimmte Zahl halbiren, um das eigentliehe Sehlagvolum zu erhalten.

1) Johansson und Tigerstedt~ Ueber die Herzthiitigkeit bei verschieden grossem Widerstand in den GefS~ssen. Skand. Arch. f. Physiol. 1891. Bd. II. (p.409). Cap. Ill. p. 422 u. ft.

2) Roy und Adami, Contributions to the Physiology and Pathology of the mammalian heart. Philosoph. Transactions. 1892. Bd. 183 B. (p. 199). p. 204.

Page 15: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

650 H. W i n t e r b e r g ,

W/ihrend J¢)hansson und T i g e r s t e d t der Ansieht sind, (lass die durch diese Methodc erhaltcnen Werthc nur fiir relative Bcstimmungen gut verwendbar sind, ist R . t h b e r g c r 1) in scinen Untersu(;hungen, auf welehe ich aueh beziiglieh der iibrigen Details des Verfahrens hin- weisen mSehte, zu dem Ilesultate gelangt, dass in guten Versu(',hen die gewonnenen Zahlcn mit den abs,duten innerha|b oiner Fchlergrenze yon maximal 7 i)Ct. iibercinstimmcn.

In den folgenden Tabellen sind zwei mit Halle der geschilderten Methede aus- gefiihrte Expelimente wiedergegeben. Der erste Stab enthi~lt die Angabe der laufen- den Zeit, der 2. die Freq,enz des Herzschlages in 5 Secunden~ dot 3. den Druck in mm Hg. Der 4. Stab giebt die Summo der in je 5 Secunden gemessenen Ausschliige des Pistonrocorders in Millimetern wioder, wobei je 26 mm gem~iss dot Aichung desselben 5 ccm Fliissigkeitsvelum entsprechen. Im 5. und 6. Stabe sind daraus das durchschnittlicho Secunden- und Schlagvolum berechnet. Der 7. Stab enthiilt sodann das Product aus Seeundenvolum in den herrschenden Druck, also den Werth der Herzarbeit in Grammcentimetern (gem), wobei das specifische Ge- wicht des Blutes mit 1, das des Hg mit 13,6 in Rechnung gestellt wurde. Die dem Blute bet der Austreibung ertheilte Geschwindigkeit wurde bet der Berechnung dot Herzarbeit nicht berficksichtigt.

T a b e l l e I. Yersuch veto 25. September 1906. Katze 2000 g. Halsmark und Vagi durchschnitten.

Zeit

Druck ! Summe Fre- der Aus- ] ~ e c . -

quenZin m minHg RecordersSChl~ge d. I Volum. 5Sec. in 5 Sec. mccm

Schlag- Herzarb@

Velum in gem

in ccm pro Sec.

A n m e r k u n g e n

1045 105o 1052

1055 l 057 1 1 °°

1 l 2 116 1110 1112 1115 1117 l12t 1128

1125 1 l~S 1129

11 ao 11a2

1183 1 l s~

16 16 16

15'/2 14 15

131/2 13 13 13 12 1 l I/2 12 llV2

10 3 9

8 '/1/2

7 5'/2

86 92 92

94 94 94

102 88 84 80 78 72 66 98

68 34 62

44 54

38 32

192 192 19"2

180 170 180

160 174 179 160 153 144 140 176

155 73

220

150 165

120 130

3,7 3,7 3,7

3,5 3,3 3,5

3,l 3,3 3,4 3,1 2,9 2,8 2,7 3,4

3,0 1,4 4,2

2,9 3,2

2,3 2,5

1,1 1,1 1,1

1,1 1,1 1,1

1,1 1,3 1,3 1,2 1,2 1,2 1,1 1,4

1,5 2,3 2,3

1,8 2,1

1,6 2,3

43"2 462 462

434 412 434

430 394 388 .%7 321 275

2 4 2 453

277 65

353

174 243

118 109

Injection yen 0,2 mg Physostigmin.

Injection von 0,5 mg Physostigmin.

Inj. v. 5 mg Physostigmin. Kriimpfe, Drucksteige- rung.

Abklingen der Kr~mpfe. Vagus-Reizung R.-A. 12. Nachwirkung der Vagus-

l~eizung.

Inj. v. 5 mg Physostigmin. FibrillSre Zuckungen.

1) R e t h b e r g e r , Ueber eine Methedo zur directen Bestimmung der Herzarbeit im Thierexperimente. Pfliiger's Arch. Bd. 118. 1907. S. 353 u. ft.

Page 16: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber dis Wirkung des Physostigmins auf das Warmbliiterherz. 651

T a b e l l e ]1.

Versueh vom 4. October 1906. Katze 5000 g. Halsmark und Vagi durehsehnitten.

Zeit

Fre- quenz

in 5 See.

Druek

m:nHg

Summe I der Aus- See.- Schlag-lHerzarbeit

sehlgge d. IVolum[ ¥olum I in gem

iP~:e~r~: rs in ecru in ecru pro See.

A n m e r k u n g e n

1 142 l 14~ l14S 11 ~o

1155

1157 l 15s 12 124

125 12s

12~o 12ta 1214 1215 121s

122o 1222 12 -~4 1"2~

1227 12~1

1233 1236 12a7

123s 1242

1243 1244 1247 125a

1254 1257 1253

171/2 17 17 151/2

14

I3 11 101/2

46 46 42 37

36

36 36 34

280 290 272 256

235

237 234 227 248

240 230

235 234 180 247 234

228 250 221 245

230 240

232 224

200 212

360 363 260 236

390 260 377

5,4 5,6 5,2 4,9

4,5

4,6 4,5 4,4 4,8

4,6 4,4

4:5 4,5 3,5 4,8 4,5

4,4 4,8 4,3 4,7

4,4 4,6

4,5 4,3

3,8 4,1

6,9 7,0 5,0 4,5

7,5 5,0 7,3

1,5 1,6 1,5 1,6

1,6

1,8

2,1 2,4

2,3 2,2

2,4 2,5 3,5 2,8 2,5

2,4 2,5 2,5 2,6

2,2 2,9

2,6 2,7

2,4 2,3

2,5 2,5 1,8 1,9

2,9 1,9 2,8

337 351 297 246

219

226 218 204 235

212 197

208 195 120 208 184

174 196 163 192

180 188

177 170

155 156

601 438 218 171

1040 204

1132

Vide Taf.XVHI, Fig. Via.

Vide Taf. XV [II, Fig. VI b. Vagus-Schwellenwerth = P~.-A. 2"20 mm.

Injection yon 0,5 mg Physostigmin.

Vide Taf. XVIII, Fig. Yl c.

Bei abklingender Vagus- reizung.

Injection yon 0,5 mg Physostigmin.

Vide Taf. XVIII, Fig.Vid. Vagus-Reizung R.-A. 220 ram.

Injection yon 0,5 mg Physostigmin. Darmeontraetionen und

schwaehe Muskelzuck.

Injection yon 0,5 mg Physostigmin. Unruhe des Thieres.

Vide Taf.XVl[I, Fig. Vie. Unruhe, sehwache Zuckungen.

Inj. v. Img Physostigmin.

Injection yon 1,5 mg Physostigmin.

Injection yon 0,1 ecru Adrenalin.

Injection y o n 0,2 ecm Adrenalin.

Inj. v. 0,3eemAdrenalin. Vide Taf. XVI[I, Fig.VI f.

Betrachten wir zun/ichst die Tabelle I, so sehen wi 5 dass tier Werth der Herzarbeit im Allgemeinen continuirlich sinkt, wiihrend alas Schlag- volum zunimmt. Vergleicht man hingegen das Verhalten des Schlag- volums mit dem tier Schlagzahl, so zeigt sich sofort, dass mit jedem Schlage um so mehr Blur gcfSrdert wird: je langsamer das Herz schliigt.

Page 17: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

652 It. Winterberg,

Es ist also die Pulsverlangsamung und die damit verbundene bessere diastolische Ftillung des Herzcns und nicht etwa eine bessere Arbeit desselben, welche nach Physostigminvergiftung das Schlagvolum und damit auch die Pulswellen vergrSssert. Nur unmittelbar nach Injection grSsserer Physostigmindosen sieht man die Herzarbeit zugleich mit dem Schlagvolum anwachsen. Da abet" die Pulsfrequenz weiter abf£1lt und iiberdies gleichzeitig in Folge der Giftinjection Muskelzuckungen sowie mehr oder weniger ]ebha:fte Darmcontractionen eintreten, so wird man nicht fehlgehen, wenn man auch hier in der se]teneren Schlagfolge und in dem dureh die Muskelzuekungen und Darmcontractionen vermehrten Blutzufluss zum Herzen die Ursache der gesteigerten Auswurfsmenge erkennt. Auch in der Nachwirkung einer Vagusreizung kSnnen Schlag- velum und Herzarbeit parallel verlaufen. Die in Folge der Physostigmin- vergiftung besonders starke und anhaltende Pulsverlangsamung fiihrt zu einer so sehr vermehrten Ftillung des Herzens, dass trotz der viel aus- giebigeren Schl~ige dennoch ein gr5sseres Quantum Blui~ in den Kammern zuriickbleibt. Man erkennt dies sehr deutlich aus dem Sinken des Seeundenvolums und dem Ansteigen der systolischen Fusspunkte des Kammer-Plethysmogrammes (z. B. in Fig. r id , Taf. XVIII). In der Folge wird nun bei abklingender Vaguswirkung dieses remanente Blutquantum ausgeworfen und da gleichzeitig auch der Druck ansteigt, ergiebt sieh eine Steigerung der Herzarbeit. Dieselbe ist jedoeh nicht die Ursache, sondern die Folge des vcrmehrten Schlagvolums.

Dieselben Betrachtungen haben auch fiir das in Tabelle II wieder- gegebene Experiment Geltung. Einzelne Phasen dieses Versuches sind in Fig. Via--f, Taf. XVIII graphisch dargestellt. In den Anmerkungen zur Tabelle II ist auf die zugehSrigen Plethysmogramme und Blutdruck- curven, welche der Berechnung zu Orunde liegen, jedes Mal hingewiesen. (Die Abscisse fiir den Blutdruek lieg4 18 mm iiber tier Linie der Zeit- markirung.) Fig. Via u. b, Taf. XVIII zeigt die VerMltnisse vor der Ver- giftung. Vagusreizungen haben in diesem Stadium die gewShnliche mit dem Reize rasch abklingende Wirkung. Und zwar ist in Fig. VI% Taf. XVIII die Wirkung einer Vagusreizung von mittlerer St/~rke, in Fig. VIb, Taf. XVIII der Effect der Vagusreizung mit dem in diesem Falle vor der Vergiftung noch wirksamen Minimalstrom dargestcllt. Fig. Vie, Taf. XVIII 2~/2 ' naeh Injection yon 0~5 mg Physostigmin 1/~sst bereits die Ver- grSsserung des Schlagvolums und der Pulse k ei gleiehzeitiger Verlang- samung derselben erkennen. In Fig. VId~ Tar. XVIII sind diese Ver~nde- rungen naeh einer zweiten gleieh grossen Giftgabe noch deutlicher aus- gepr/igt. Auch gelangt hier der verst'//rkte und anhaltende Effect der friiher (Fig. VIb, Taf. XVIII) fast wirkungslosen Vagusreizung bei R. h. 220 mm zu klarem Ausdruck. Fig. Vie, Taf. XVIII stellt die weitere Entwicklung der nach Physostigminvergiftung am Kammerplethysmo- gramm und der Blutdruekenrve zu beobachtenden Erseheinungen dar. Fig. VIf~ Taf. XVIII zeigt endlich~ dass nach Injection yon Adrenalin, nachdem der Blutdruek wieder sein friiheres Niveau erreieht hat~ zu- gleich mit der Zunahme der Frequenz sowohl der Puls als auch das Schlagvolumen entsprechend abgenommen haben. Eine weitere Injection

Page 18: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblfiterherz. 653

yon 0,3 ccm Adrenalin l/isst aber erkennen, dass unter Umst/inden Puls und Schlagvolumen auch bet unveri~nder~er F r e q u e n z erheblich an- steigen kann. Dieses Vcrhalten ist hier im Gegensatze zum Physos~ig- rain auf die bessere Herzarbeit zu bcziehen. Das unter dem Einfluss des Adrenalins kr/fftiger schlagende Herz wirft grSssere Blutmengen (ver- mehrtes Sehlagvolum) in das verengerte Gef/~sssystem. TrQtz seiner grSsseren Spannung werden deshalb in demselben hShere Pulswellen verzeichnet.

Naeh Untersuchungen yon T i g e r s t e d t ~) nimmt in Folge der dutch Adrenalin bewirkten starken Gef/isseontra~tion die pro Minute aus dem Herzen herausgetriebene Blutmenge oft in sehr erhebliehem Grade ab. Das abweiehende Verhalten in dem vorliegenden Versuehe ist darauf zuriiekzufiihren, dass grosse in Folge der Halsmarkdurchsehneidung im Splanchnicusgebiete stagnirende Blutmengen durch die Adrenalininjection wieder in Circulation kommen.

In Fig. VII~ Taf. XVIII sind die in Tabelle II bestimmten Werthe ffir die Schlagzaht, das Schta~volum, das Secundenvolum und die Herz- arbeit als 0rdinaten zu den auf der Abseisse verzeiehneten zugeh~irigen Zeiten graphiseh dargestellt.

Jeder Theilstrich auf der Abscisse entsprieht einer Minute, jeder Theitstrieh auf der Ordinate mit Bezug auf die Frequenz einem Herzschlag 7 mit Bezug auf das Schlag- und Secundenvolum 0:1 cem und in Bezug auf die Herzarbeit 10 gem. Die ausgezogene starke Linie verbindet die fiir die Frequenz~ die ausgezogene feine Linie die fiir das Schtagvolum erhaltenen Werthe. Die gebrochene starke Linie entspricht den fortlaufenden Ver~nderungen des Secundenvolums~ die gebrochene feine Linie den Schwankungen der Herzarbeit.

Nur das Verhalten des Blutdrucks wnrd% um die Darstellung nioht allzu sehr zu eompliciren~ weggelassen.

Die erhaltenen Curven zeigen 7 dass withrend der Physostigmin- vergiftung nut alas Schlagvolum ansteigt, withrend das Seeundenvolum die Sehlagfrequenz und die Herzarbeit absinken.

Das Bild iindert sich jedoch naeh der Injection yon Adrenalin (@). Jetzt bewegen sich Frequenz, Schlag- und Secundenvolum sowie (lie Herzarbeit in gleicher Richtung.

Es ze igt s ieh also, dass un t e r w e c h s e l n d e n Bed ingungen die Werthe fiir die Schlagf requenz~ das Sehlag- und S e c u n d e n - velum sowie fiir die H e r z a r b e i t (ebenso auch fiir den Blut- druck) unabh i ing ig yon e inande r var i i ren kSnnen.

Ein Sehluss auf die Th/itigkeit des Herzens ist deshalb nur mit Beriicksiehtigung a]ler in Betraeht kommenden GrSssen und ihres Ver- hiiltnisses zu einander gestattet, eine Vorsieht, die nur allzu h/iufig ver- nachti~ssigt wird.

Das Sinken der Herzarbeit in den zuletzt angefahrten Versuchen kSnnte dazu verleiten, eine Sch/idigung des Herzens dutch Physostigmin anzunehmen. Einc solche Annahme erscheint jedoeh deshMb nicht ge- rechtfertigt~ well naeh Section der Medulla oblongata inl'olge des sin-

1) Tigerstedt~ Neue Untersuchungen fiber die vom linken Herzen heraus- getriebene Blutmenge. Skand. Arch. f. Physiolog. Bd. 19. S. l f. 1907.

Page 19: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

654 H. Winterberg~

kenden Gef'/tsstonus und der Vermlnderung der eirculirenden Blutmenge (Ueberfiillung des Splanchnicusgebietes) die Herzarbeit schon an und fiir sieh eine Abnahme erfahren muss.

Relativ einfach gestaltet sieh die Erkl~trung des Verhaltens des mit Physostigmin behandelten Herzens bei faradischer Reizung der VorhSfe. Dasselbe erseheint geradezu postulirt dutch die zwischen dem Einfluss des Vagus auf das Flimmern der VorhSfe bestehenden gesetzm/~ssigen Beziehungen. Werden VorhSfe und Vagus gleichzeitig und gleichlang gereizt, so wird mit der infolge der Physostigminvergiftung anhaltenden Wirkung der Vagusreizung aueh die Dauer des Flimmerns eine eorre- spondirende Verl/~ngerung errahren. Und man sieht in der That (Fig. 4, Taf. XVII), dass das Flimmern bei combinirter Vorhof- und Vagusreizung ungef/ihr so ]ange anh/tlt, wie die Nachwirkung einer einfachen Vagus- reizung.

Da ferner die gesteigerte Erregbarkeit des Vagus liingere Zeit hin- durch bestehen bleibt, so ist es aueh begreiflich, dass jedesmal 1/tngeres Flimmern auftritt, wenn der Vorhof so kr/tftig gereizt wird, dass auch der intracardiale Hemmungsapparat miterregt wird.

Relativ h/iufig gerathen abet die VorhSfe mit Physostigmin vergif- teter Herzen schon bei einfacher Vagusreizung in anhaltendes Flimmern: Dieses Verhalten beobachtet man unter normalen Verh/~ltnissen nur dann, wenn sich die Erregung des Vagus zu einem direct auf die VorhSl'e applicirten Reize hinzugesellt. Es erscheint mir deshalb wahrscheinlich, dass dem Physostigmin thatsitehlich noeh eine directe Reizwirkung auf das Herz, sei es auf nervSse, sei es musculSse Theilc desselben, zu- kommt. Diese in der Regel nut sehwachen Erregungen werden /thnlich, wie ich es bisweilen bei untersehwelligen faradischen Reigen feststellen konnte, dureh die gleichzeitige Vagusreizung wirksam gemacht. Und dann sind alle nothwendigen Bedingungen zu anhaltendem Flimmern der VorhSfe erfiillt. Fiir die Riehtigkeit dieser Auffassung spricht der Umstand, dass diese Wirkung der Vagusreizung racist nur kurz nach der Vergiftung eintritt, far ihre allgemeinere Giiltigkeit die Thatsaehe, dass Vagusreizung bisweilen auch unter anderen /~hnliehen Bedingungen Vorhofflimmern auslSsen kann.

Zum Schlusse mSehte ieh noch erw~hnen, dass das Physostigmin die L~thmung des Vagus durch Atropin, Curare und Nicotin innerhalb gewisser Grenzen aufzuheben vermag.

Die Wiederherstellung der durch Atropin vernichteten Erregbarkeit des cardialen Hemmungsapparates mittels Physostigmin ist schon Arn- s te in und S u s t s e h i n s k y , F r a s e r 1) und Sch i f f 2) bekannt gewesen. Hingegen konnten R o s s b a c h und FrSh l ieh , R o t h b e r g e r 8) sowie andere Autoren diese antagonistisehe Wirkung nieht best~tigen.

1) Fraser, cir. nach l~ossbach und FrShliGh (1. c.) 2) Schiff, Physiolog. Untersuchungen tiber den Antagonismus des Atropln und

Calabar. Ctrbl. f. d. reed. Wissensehaften. 1873. S. 37. 3) Rothberger, Ueber die gcgens¢itigen BCziehungen zwiseh~n Curare und

Fhysostigmin. Pfliiger's Arch. 1901. Bd. 87. (S. 117.) S. 165.

Page 20: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmbliiterherz. 655

Der Grund dieser widersprechenden Beobachtungen diirfte darin gelegen sein~ dass die Paralysirung der Atropinwirkung durch Physostig- rain nur innerhalb engster Grenzen statttindet. So vermag das Physostig- rain naeh Injection von 0,1--0,5 mg Atropin die Vaguswirkung nicht wieder zu erwecken. Setzt man abet durch successive Einspritzung von je 0,01 mg die Reizbarkeit des Vagus so wei~ herab: dass aueh Reizung bei R. A. 0 erfolglos bleibt, so l~isst sich dureh 1--2 mg Phosostigmin die Erregbarkeit des I-]emmungsapparates nach wenigen Secunden wieder- herstellen. Doeh sind auch daun zur Erzielung der Hemmungswirkung bedeutend st~rkere StrSme nothwendig als vor der Atropinisirung. Der Effect der ¥agusreizung zeichnet sich aber auch unter diesen Bedingungen dutch seine Nachhaltigkeit aus. Neuerliehe kleine Atropinmengen l~hmen dann den Vagus vollst~ndig und racist definitiv.

Die Aufhebung der Curarel~thmung der Vagi dm'eh Physostigmin hat zuerst Ro~hbergec (1. c. S. 148) beschrieben. Auch dieser Autor konnte hierauf dutch neuerliehe Curaredosen neuerlich L~hmung erzielen. Diese zweite L~hmung ist naeh meinen Erfahrungen bei sehr vorsiehtiger Abstufung der Giftdosen bisweilen nocbmals rSckg~ngig zu machen. Dutch Application kleiner Curaregaben 1/isst sich die dutch Physostigmin gesteigerte Erregbarkeit der Vagi in beliebiger ~eise bis zu ihrem normalen Werth (Fig. VIII, Tar. XVII) und darunter va,'iiren. Das gegen- s~tzliche Verhalten yon Curate und Physostigmin ist wahrscheinlich die Ursache dafSr gewesen, dass H a r n a c k und Wi tkowsk i bei ihrcn Untersuchungen, welehe an tief curarisirten Thieren ausgeftihrt wurden, die die Vaguserregbarkeit steigernde Wirkung des Physostigmins fiber- sehen konnten.

Meine Versuche haben ferner ergeben: dass aueh die Nicotinl/thmung des Vagus durch Physostigmin prompt behoben wird. Ieh ffihre einen Versuch hier an.

Xatze 2300 g. 11 Uhr 45 Min. Vagus giebt bei l~.-A. 20 deutli~he Hemmungswirkung. 11 , 46 , Inj. yon 0,1 mg Nicotin. Vagus bei R.-A. 15 erregbar. 11 . 48 . . ,, 0,1 m g . . ,, . 5 .

11 . 50 ,, . ,, 0,1 mg . ,, . . 0 unerregbar. 11 , 5t , , ,, 2mgPhysostigmin., , , 15deutl. erregbar.

Eine neuerliche L'~hmung des Vagus dutch 0,1 mg Nicotin konnte auch dureh grosse Dosen Physostigmin nieht mehr paralysirt werden.

Abgesehen yon dem Umstande~ dass nach Aufhebung der Nicotin- 1/~hmung des Vagus dutch Physostigmin in der Regel etwas st~rkere StrSme a]s ursprtinglich zur AuslSsung einer Hemmungswirkung benStigt werden, zeigt sich /iberdies die unter normalen Yerh~ltnissen sehr kurze nur 1--2 Pulsschlgge betragende Latenzzeit der Vagusreizung of~ sehr wesentlich bis auf 4" und dar~iber verl~ngert. Ist aber dann die eharakte- ristische Vaguswirkung eingetreten, so besitzt sic noeh immer eine be-

,deutende Nachwil'kung. Es ist also unl;er diesen Bedingungen die Reactionsform des Vagus - - verzSgertes Einsetzen der Reizwirkung und nachhaltiges Bestehenbleiben derselben - - der des Accelerans~ yon

Page 21: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

656 H. Winterberg,

weleher sic sich sonst gerade dureil ihre fliichtigere N~tur unterscheidet, ~hnlich geworden.

Ein analoges Verhal~en beobachtet man iibrigens auch n~eh Auf- hebung der Atr0pin- und Cura.rel/thmung, sowie in jenem Stadium der Physostigminvergiftung, in welchem nach Application grosset Giftmengen die Erregbarkeit des Vagus wieder abnimmt.

Die Ergebnisse meiner Versuche lassen sieh in folgende Punkte zusammenfassen.

1. Das Physostigmin steigert in hohem Grade die Erreg- barkeit des cardialen Hemmungsapparates. Die Steigerung der Erregbarkeit erfolgt innerhalb gewisser Grenzen in ge-. radem Verh/tltnisse zur angewandten Giftmenge. Nach sehr grossen Dosen nimmt die Reizbarkeit des Vagus wieder ab, 6hne dass derselbe vollstandig gel/~hmt wiirde.

2. Die gesteigerte Erregbarkeit des Vagus manifestirt sich dutch den viel intensiveren und lange, se/bst 2--3Min. anhaltenden Ret'zeffect sowie durch eine oft bedeutende Herabsetzung der zur Erregung des Vagus nothwendigen minimalen Stromst/~rke.

3. Die Steigerung der Erregbarkeit des Herzhemmungs- apparates kann bei Anwendung kleiner Giftmengen (0,1--0,5 rag) ohne manileste Symptome einer gleichzeitigen Vaguserregung, namentlich ohne Aenderung der Schlagfrequenz ausgebildet sein. Sehr h/iufiggeht s iederVer langsamungdesHerzsch lages zeitlich voraus. Das umgekehrte Verh/~ltniss kommt dagegen nicht vor.

4. Die Pulsverlangsamung beiPhysostigminvergif tung ist im Wesentlichen eine seeund~r dutch die gesteigerte Erreg- barkeit des Vagus bedingte Erseheinung. Doch vermag das Physostigmin wenigstens in grossen Dosen auch nach voll- st/~ndiger L~hmung tier Vagi (Curare, Atropin) die Herzfrequenz noch in geringem Grade herabzusetzen.

5. Die VergrSsserung des Sehlagvolums bezw. dec Puls- wellen dutch Physostigmin ist von der Verlangsamung der Schlagfolge und nicht yon einer Verstiirkung der Th/itigkeit des Herzens abh/tngig.

6. Die VorhSfe des mit Physostigmin vergifteten lIerzens gerathen bei directer oder mit Vaguserregung combinirter Reizung in ein denReiz lange iiberdauerndes Flimmern. Auch diese Erscheinung ist auf die gesteigerte Erregbarkeit des Vagus zuriickzufiihren.

7. H/tufig, wenn aueh nicht constant, fiihrt aueh einfache Vagusreizung nach Physostigminvergiftung zum Flimmern der VorhSfe. Das Physostigmin besitzt daher wahrscheinlieh auch ein.e directe Reizwirkung auf das Herz.

Page 22: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmbliiterherz. 657

8. Durch Physosf igmin wird innerhalb gewisser Grenzen nicht nur die Atropin- und Curare- , sondern aueh die Nicotin- 1//hmung des Vagus aufgehoben.

Die Eigenschaft ties Physostigmins, schon in kleinsten Mengen die Erregbarkeit des intracardialen Hemmungsapparates zu erhShen, legt den Gedanken nahe, alas Physostigmin aueh therapeutiseh bei solchen tachy- ea.rdischen Anfitllen zu verwenden~ welehe nachweis l ich mit einer prim~ren Herabse tzung des Vagustonus verbunden sind. Ob man bei exacter Ind iea t ionss te l lung in geeigneten F/~llen Erfolge erzielen kSnnte, miisste dureh klinisehe Untersuehungen speciell fest- gestellt werden.

Page 23: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

\

,i

2 ~

oil

!'i ~ ' I I

4

i

~ 7 ~ ¸ ~

Page 24: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

),

>s

,>

A

h h

[-

i

151

iii I i + I !

t~ ~ D

i ~ ..,' AI~

Page 25: Ueber die Wirkung des Physostigmins auf das Warmblüterherz

!

i

~L

/

~l j ~

I

~E

i