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Aus XVII. der Abteilung fur Ohren- l~asen- und Halskranke im k. u. k. Garnisons-Spital Nr. 1 in Wiem (Vors~and Regimentsarzt Privatdozent Dr. C. BiehL) 0bet eine Sohussverletzung des 0hres. ~) Von Regimentsarzt Dr. W. Zemann. Sekundarius der Abteilung. (Mit 1 Abbildung.t Im April I. J. hatten wir Gelegenheit folgenden Fall zu beobachten: Der Ulaa O. I. -- aufgeaommea am 12. 4. -- maeht fol- gende Angaben: Am 6. 4. soll ihm eia sogenannter Gurtenspitz in das reehte Ohr gestel~en women sein. Der Gurtenspitz ist ein pfriemenartiges gut 20 em langes Eisensttick, welches zum GrSl~ermaehen der LSeher in den Riemen dieat. Hierbei habe er einen sehr heftigen Sehmerz im Ohre empfunden~ es wurde ihm sehwarz vor den Augen, er wankte, fiel jedoeh nieht zu Boden, sondern konnte sieh an einem in der N~he befindliehen Futtertroge festhalten. Naeh einer Viertel- stunde sehoa konnte er sieh in den Hof begeben und das stark blutendo Ohr waseben. Darauf versah er weiter seinen Dienst. In ~rztliche Behandlung trat er jedoeh nieht und h~tte sicher- lieh yon seiner Yerletzung keinerlei Erw~ihnung getan, wenn er am 9. 4. nieht neuerlieh yon einem Unfall betroffen worden wgre. Veto 9. zum 10. 4. hatte er Waehdienst im Stalle. Gegen 9 Uhr abeads ri~ sieh ein Pferd los, iadem es den Halfter ab- streifte. Er wollte es an der Stirnm~hne festhalten, wurde 1) Der Fall wurde im wissenschaftlichen Verein der Milit~r~rzte der Garnison Wien am 16.4. vorgestellt.

Über eine Schussverletzung des Ohres

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Page 1: Über eine Schussverletzung des Ohres

Aus XVII.

der Abteilung fur Ohren- l~asen- und Halskranke im k. u. k. Garnisons-Spital Nr. 1 in Wiem

(Vors~and Regimentsarzt Privatdozent Dr. C. BiehL)

0bet eine Sohussverletzung des 0hres. ~) Von

Regimentsarzt Dr. W. Zemann. Sekundarius der Abteilung.

(Mit 1 Abbildung.t

Im April I. J. hatten wir Gelegenheit folgenden Fall zu beobachten:

Der Ulaa O. I. - - aufgeaommea am 12. 4. - - maeht fol- gende Angaben: Am 6. 4. soll ihm eia sogenannter Gurtenspitz in das reehte Ohr gestel~en women sein.

Der Gurtenspitz ist ein pfriemenartiges gut 20 em langes Eisensttick, welches zum GrSl~ermaehen der LSeher in den Riemen dieat.

Hierbei habe er einen sehr heftigen Sehmerz im Ohre empfunden~ es wurde ihm sehwarz vor den Augen, er wankte, fiel jedoeh nieht zu Boden, sondern konnte sieh an einem in der N~he befindliehen Futtertroge festhalten. Naeh einer Viertel- stunde sehoa konnte er sieh in den Hof begeben und das stark blutendo Ohr waseben. Darauf versah er weiter seinen Dienst. In ~rztliche Behandlung trat er jedoeh nieht und h~tte sicher- lieh yon seiner Yerletzung keinerlei Erw~ihnung getan, wenn er am 9. 4. nieht neuerlieh yon einem Unfall betroffen worden wgre.

Veto 9. zum 10. 4. hatte er Waehdienst im Stalle. Gegen 9 Uhr abeads ri~ sieh ein Pferd los, iadem es den Halfter ab- streifte. Er wollte es an der Stirnm~hne festhalten, wurde

1) Der Fall wurde im wissenschaftlichen Verein der Milit~r~rzte der Garnison Wien am 16.4. vorgestellt.

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jedoeh yon ihm gegen eine Holzs~tule gesehleudert, auf welehe er mit der rechten Wange auffiel. Er sttlrzte ohnm~tehtig zu Boden, verblieb 1/2 Stunde bewul~tlos und wurde dann tier arzt- liehen Behandlung zugefUhrt. Von seinem Truppenehefarzt wurde er der Ohrenabteilung des Garnisons-Spitals ~qo. I tiber- geben.

Bei seiner Aufnahme klagte er fiber hoehgradige Sehwer- hSrigkeit reehts und m~fiige Kopfsehmerzen. Bisher soil er tiberhaupt nieht krank gewesen sein, speziell war er hie ohrenleidend und habe immer gut gehSrt.

Die Untersuehnng ergab: alas Allgemeinbefinden ist nieht gestSrt, der Untersuehte ist fieberfrei.

R e e h t e s Ohr: In tier Umgebung des reehten Ohres und an der Ohrmusehel ist keine Spur einer stattgehabten Be- seh,~tdigung siehtbar. Aus dem GehSrgang entleert sieh serSses Sekret. An der GehSrgangsSffnung" und zwar im hinteren oberen Anteil ist alas Integument an der ~bergangskante der Ohr- musehel in den GehSrgang in einer Breite yon 3 mm stark ge- quetscht. Die membranSse Auskleidung an der hinteren Ge- hSrgangswand fehlt, so dal~ der Knorpel und der Knoehen des GehSrgangs - - letzterer zum Teil yon Periost entbl~i~t - - frei l i e g e n . - Dieser Defekt beginnt an der gequetsehten tIaut- stelle tier GehSrgangsSffnung und setzt sieh streifenfSrmig in die Tiefe fort. Die Breite dieses Streifens entsprieht tier ge- quetsehten Hautpartie an tier GehSrgangsSffnung.

In den freiliegenden Knoehen des GehSrganges sieht man einen glanzenden Metallsplitter eingesprengt. In der Gegend des Isthmus ist das Lumen des GehSrganges versehlossen und zwar dutch eine harte, metalliseh gl~tnzende mit zahlreiehen, unregelmal~igen Erhabenheiten versehene Masse. Vor derselben liegen freie Metallsplitter, Blutgerinnsel und Gewebsteile. Die noeh erhaltene GehSrgangsauskleidung ist nieht verandert, die den Defekt begrenzenden R~inder sind unregelm~tfiig zerrissen und eitrig belegt.

L ink s ist das Trommelfell starker eingezogen, atrophiseh. Die bIaseng~tnge sind sehr weit, die Sehleimhaut atrophiseb, ebenso im Nasenraehenraum, die Tubenmtindungen sind sehr weir.

F u n k t i o n s p r i i f u n g : a. R a m u s e o e h l e a r i s . Subjektive Ger~tusehe werden nieht angegeben.

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228 XVII. W. ZEMANN.

(Zeiehenerkl~rung unteu). W

R ~ L U15

-{- .{ uwUS Jl q- Untere Wongrenze RL ---- ac2

R 20 Cp 15 Obere Tongrenze Galtonpfeife - - Co 25 R und L 2 Pfeifenl~tnge,

- - I F1 -t- 6 20 em vor dem Ohre St.

2 G t . 2

b. R a m u s v e s t i b u l a r i s . Sehwindelgeflihl, Gleiehgewiehtsst5rungen sind nieht vor-

haIiden, ebenso spontaner Nystagmus. Stehea mit gesehlossenen Augen, sowie das Gehen nach vorne, hinten and seitlieh ohne Wanken mSglieh, ebenso ttlipfen auf einem Bein.

Drehnystagmus prompt austSsbar. Die Prtifung des kalo- rischen Nystagmus unterblieb absiehtlieh and zwar aus folgen- den Grtinden: erstens war bei der vollstitndigeu Verlegung des GehSrganges eine Reaktion kaum zu erwarten, weiteres bestand immerhin die Gefahr~ dal~ dureh das Splilen infektiSses Material in eine mSglieherweise bestehende penetrierende Knoehenfissur getrieben werden kSnnte.

Es ergab somit die FunktionsprUfung ein hoehgradiges Sehalleitungshindernis und Intaktsein des inneren Ohres.

Der objektive Befund und die Angaben des Mannes riefen die begrtindete Vermutung horror, dal~ das verletzende Instru- ment abgebroehen und der abgebroehe Tell desselbeu im Ge- hSrgang eingekeilt blieb.

Die Roentgenuntersuehung, die in diesem Falle wohl ent- behrlieh war, da das Lumen des GehSrganges fi'ei und der

W ~ Weberscher Versuch. R ~ rechtes I Ohr L ~ linkes U ~ Uhr in der Luftleitung. Us ~ Uhr an der SchlM'e. Uw ~ Uhr am Warzenfortsatz. R -m-Rinnescher Vorsuch: Cp Stimmgabel am Proc. mastoideus

(normal 15 h Co vor der Ohr6ffnung (normal 32"). Gt ----- Galtonpfeifo. F1 ~ akzentuierte Fliisterstimmo in m. St -~- Stimme laut.

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FremdkSrper deuflieh siehtbar war and nur der Vollstiindigkeit halber durehgefilhrt warde, ergab einen sehr schSnea Befund and sehien diese Annahme zu best~ttigen.

Bei der Aufnahrae in transversaler Riahtung sieht man einen seharf amsehriebenen den GehSrgang ausfiillenden Sehatten, hinter demselben einen zweiten bedeutend kleineren. Dieser zweite Sehattan antsprieht dera in die GehSrgangswand einge- sprengten Metallsplitter.

In der Projektion kommt wagen der naah vorne und medial geriehteten Axe des GehSrganges, der Sahatten des ira GehSr- gang mehr lateral gelegenen Splitters hinter dera grSfieren Sehatten zu liegen.

In der sagittalen Aufnahrae sieht man einen den medialen Anteil des GehSrganges erfllllendea steifenfSrmigen Sehatten, welaher siah gegen die-Median-Ebene des Kopfes zu allm~hlieh verjUngt. Seitliah yon ihm finden wit wieder den kleinen Splitter-Schatten.

Die Extraktion des FremdkSrpers war absolut indiziert, vom OehSrgang aus ihn zu entfernen~ war wegen der festen Einkeilung ira vorhinein ausgesehlossen~ es wurde darura auah am 14. 4. die operative Entfernung vorgenoramen (R. A. Dr. Doz. Biehl). l~aah Inzision der Haut and des Periostes hinter dem Ansatz der Ohrrausahel wurde diese sowie die noah er- haltene raerabranSse Auskleidung der hinteren GehSrgangswand vorgeklappt 7 das Lumen der GehSrgangswand durch Abraeil~eln der oberen und hinteren Wand an der Einkleraraungsstelle er- weitert, der FreradkSrper h i e r a u f - naahdem seine Lage ira Geh~rgang genau festgestellt war - - entfernt.

In dera nun siehtharen medialsten Teile des GehSrganges fund sieh der vollst~ndig laxiarte Arabofi, weiters Gewebsfetzen Blutgerinnsel und feine Metallsplitter.

Die Membran war ia ihrer 6beren H~lfte mit dera am Halse abgebroahenen Teil des Hammers vom Rande abgelSst und lappenf6rmig in den GehSrgang gesehlagen, liberdies war der Hammer noah einmal in dar Mitre des Griffes gebrochem

Die mediale Wand dar PaukenhShle war unverlatzt~ der ttammerkopf noeh lose an einzelnen Bandern fixiert.

Der FremdkSrper (siehe Abbildung) war ein stark defor- raiertes an seiner Basis und an der Spitze zersplittertes Gesehog und zwar ein sogenanntes Kapselgeschofi, welches so ira Ge- hSrgang gelagert war~ dab die Spitze medial, die Basis lateral-

Archly f. 0hrenheilkunde. Bd. 82. | 6

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w~rts sah. Diese Gesehosse werden zum Sehiel~en in gesehlossenen R~umen und auf kurze Streeken verwendet.

Es ist ein 8 mm kalibriges HohlgesehoB aus'Hartblei, zylindriseh, an der Spitze halbkugelig abgerundet. Der Hoht- raum des Gesehosses ist dureh eine Querwand geteilt, so daft er in der Spitze vollsttLndig abgesehlossen ist, an der Basis jedoeh frei naeh aufien roUnder, dadureh ist beim Aufsehlagen des Gesehosses, besonders an der Spitze eine reiehe Splitter- bildung zu erwarten.

2,5 : 1

M . . . . . . . . . . . . . . .

Bei der gewShnlichen Ladung (Ztlndsatz und Pulver) ver- mag das GesehoB eine Flugweite yon 300 Sehritten zu ent- wickeln, ein 1 mm diekes Stahlbleeh wird auf eine Distanz yon 15 Sehritten nicht mehr durchbohrt.

Da[~ es trotz der hoehgradigen Deformierung des Gesehosses mSglieh war, festzustellen, weleher Tell der Spitze and weleher der Basis entsprieht, war darauf zurtlekzuftlhren, daft die an der Basis befindliehen vier Reihen yon Rillen an einer Stelle noeh deutlieh siehtbar waren, l~ur sind die Streifen der obersten - - also der Spitze zunaehst gelegenen Reihen bedeutend ktirzer, als die der anderen drei Reihen. Dies konnte zur sieheren Feststellung benUtzt werden.

Wenn wir nun jetzt die Angaben des Mannes mit dem Be- fund in Einklang zu bringen suehen, so stofien wir auf untiber- windliehe Sehwierigkeiten.

Die gequetsehte Hautpartie an der GehSrgangsmtindung, der yon hier a us beginnende Defekt in der Auskleidung der hinteren GehSrgangswand, weiterhin die Einsprengung yon Metallsplittern in den Knoehen, die Lage des Projektils, die reiehliehe Splitterbildnng vor und hinter dem hoehgradig deformierten Gesehosse, sehliefilieh die sohweren Zersttirungen im Mittelohre spreehen dafUr, daft das Projektil mit groBer Ge- walt in den GehSrgang eingedrungen ist, daft es sieh also um

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eine Sehul~verletzung des Ohres handelt, wenn aueh diesbe- ztlgliehe Angaben yon dem Verletzten nieht zu erlangen waren.

Das Projektil drang in die GehGrgangsSffnung ein, er- zeugte deft die oben besehriebene Quetschung des Integuments~ verletzte, - - da das Kaliber kleiner ist als die Weite des Ge- hGrganges, m an der hinteren Wand weitergleitend - - strcif- sohuBartig die membranGse Auskleidung desselben. In der Enge des GehGrganges kam es zur ,Deformierung und Ein- keilung m die doppelte Fraktur des Hammers mag wohl dureh das direkte Trauma der absplitternden Gesehofiteileheu ent- standeu sein e die Trommelfellzerreit~ung und Luxation des Ambol~ dureh die plGtzliehe~ sieherlieh ganz gewaltige Luft- verdiehtung.

Auffallend ist es nun~ daft das Labyrinth - - wenigstens so weit es bei der Untersuehung festgestellt werden konnte~ - - gar nieht geseh~digt war.

Dies kann nut darin seine Erkl~rung finden~ dal~ der Luft- druekausgleich duroh die abnorm weite Tube sehr leieht er- folgen konnte.

BTaehtr~glieb gestand der Ulan, dal~ er sieh die Ver- letzung selbst, dureh Absehiefien eines Kapselgesehosses in das Ohr~ beigebraeht habe.

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