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IV. Ucber Erkrankungen des Ohres bei Diabetikern. Von Prof. Dr. Kuhn in Strassburg i, E, Vortrag~ gehatten am 19. September 1889 in der Section fiir Ohren- heilkunde der Naturforscherversammlung zu Heidelberg. (Von der Redaction ~berr~ommen am 7. October 1889.) Meine Herren! Zu den so zahlreichen und werthvollen Stu- (lien tiber Diabetes mellitus in den beiden letzten Decennien haben die 0hreniirzte~ im Gegensatz zu den Vertretern anderer medicinischen Specialwissenschaften, so wenige Beitr~ge geliefert, dass S e n a t o r t) in seinem ausftihrlichen Artikel tiber Diabetes mit Recht sagen durfte: .Es masse die Schwerh(irigkeit bei tier Zucker- harnruhr selten sein, da so wenige Erfahrungen dartiber vor- li~gen." Ist nun diese Art der Beweisftihrung bis zu einem gewissen Grad bereehtigt, so wird jedoeh die Thatsaehe selbst yon einem jeden nut etwas beschi~ftigteu Ohrenarzte bestritten werden mtissen. Alle LehrbUeher tier Ohrenheilkunde zi~hlen den Diabetes zu den ittiologisehen Momenten des Ohrfurunkels, der acuten Mittel- ohrentzt~ndungen und der Aeustieusst~rungen. Oscar Wolf sagte aueh mit Reeht in seiner Mittheilunff tiber die Aetiologie der Ohr- krankheiten (Wiesbadener Naturforscherversammlung 1887), dass eigenthamliehe Erkrankungen des sehallleitenden Geh~rapparates bei Individuen im mittleren und h~heren Alter auf Diabetes hin- weisen: h~ufig wiederkehrende Furunkel, dann auch acute Er- krankungen der Paukenh(ihle, die unter dem Bilde einer Otitis reed. aeuta purul, beginnen und zur Nekrose kleinerer und gr~sserer 1) v. Ziemssen's Handbuch dor spee. Pathol, u. Theraioie. 1876. Bd. XIII, 2. S. II.

Ueber Erkrankungen des Ohres bei Diabetikern

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Page 1: Ueber Erkrankungen des Ohres bei Diabetikern

IV.

Ucber Erkrankungen des Ohres bei Diabetikern. Von

Prof. Dr. Kuhn in Strassburg i, E,

Vortrag~ gehatten am 19. September 1889 in der Section fiir Ohren- heilkunde der Naturforscherversammlung zu Heidelberg.

(Von der Redaction ~berr~ommen am 7. October 1889.)

Meine Herren! Zu den so zahlreichen und werthvollen Stu- (lien tiber Diabetes mellitus in den beiden letzten Decennien haben die 0hreniirzte~ im Gegensatz zu den Vertretern anderer medicinischen Specialwissenschaften, so wenige Beitr~ge geliefert, dass S e n a t o r t) in seinem ausftihrlichen Artikel tiber Diabetes mit Recht sagen durfte: .Es masse die Schwerh(irigkeit bei tier Zucker- harnruhr selten sein, da so wenige Erfahrungen dartiber vor- li~gen."

Ist nun diese Art der Beweisftihrung bis zu einem gewissen Grad bereehtigt, so wird jedoeh die Thatsaehe selbst yon einem jeden nut etwas beschi~ftigteu Ohrenarzte bestritten werden mtissen.

Alle LehrbUeher tier Ohrenheilkunde zi~hlen den Diabetes zu den ittiologisehen Momenten des Ohrfurunkels, der acuten Mittel- ohrentzt~ndungen und der Aeustieusst~rungen. Oscar Wolf sagte aueh mit Reeht in seiner Mittheilunff tiber die Aetiologie der Ohr- krankheiten (Wiesbadener Naturforscherversammlung 1887), dass eigenthamliehe Erkrankungen des sehallleitenden Geh~rapparates bei Individuen im mittleren und h~heren Alter auf Diabetes hin- weisen: h~ufig wiederkehrende Furunkel, dann auch acute Er- krankungen der Paukenh(ihle, die unter dem Bilde einer Otitis reed. aeuta purul, beginnen und zur Nekrose kleinerer und gr~sserer

1) v. Ziemssen's Handbuch dor spee. Pathol, u. Theraioie. 1876. Bd. XIII, 2. S. II .

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Knochenstellen ftihren; er nennt diese Form ,,0titis media neero. titans s. diabetica".

In der allgemeinen Literatur tiber Diabetes finden wit zum ersten l~1ale bei G r i e s i n g e r ' ) eine auf unseren Gegenstand sich beziehende Bemerkung; dieser Autor hat unter 7 Fallen yon Diabetes 3 real SchwerhSrigkeit beobaehtet, deren hi,here Ursache er aber nicht nachweiscn konnte. Jorda(32) und Ktilz 3) er- wahnen je 1 Fall yon Taubheit bei ihren Diabetikern, abet gleich- fails ohne nahere Angaben tiber die Erkrankung des Geh(frorgans selbst. Bei dem Kranken yon J o r d a6 bestand neben der Schwer- h(irigkeit auch Verminderung des Geruehs und Gesehmacks. Fer- nerhin giebt uns W. R o s e r 9 die interessante Beobaehtung einer diabetischen Caries des Warzenfortsatzes bei einem 70jahrigen 3'Ianne; der Kranke sollte des anderen Tages operirt werden, starb aber pltitzlieh in dcr Nacht und ohne dass man bei der Section die niihere Todesursache auffinden konnte. Wit finden cndlich in dem klassischen Werke tiber Diabetes yon F r e r i e h s 5) unter den 55 Obduetionsbefunden yon Affectionen des Nerven- systems bei Diabetikern nut cinen einzigen Fall yon Otitis interna mit Caries proc. mast. nnd Thrombose des Sinus transversus (39jahrige Frau); ausserdem fand sieh noeh ,,Verdiekung und Ver- wachsung der Dura und Pia mater, bis tiber das Kleinhirn rei- chend".

In unserer Specialliteratur finden wir gleichfalls nur einige wenige Angaben tiber die Betheiligung des Geh~rapparates an dieser schweren Allgemeinerkrankung. So besehreibt Toy n b e ee) die acute eitrige Otitis media dextra eines 29jlihrigen Diabetikers~ die unter heftigen Schmerzen im Warzcnfortsatze~ Schwindel- erscheinungen und Stupor verlaufen war; bet der Section land sich Perforation des Trommelfells, ausgedehnte cariSse Zerst~rung des Warzenfortsatzes~ Durchbruch nach dem Sinus lateralis. T o y n b e e macht hierzu die kritische Bemerkung, dass das Leben dieses Patienten wahrscheinlich hlitte gerettet werden kiinnen~ wenn man einen freien Ausweg fur den Eiter zu irgend einer frtiheren Zeit angelegt hi~tte.

i) Archiv f. physiolog. Heilkunde. 1859. S. 2t. 2) Considerations sur un cas de diab~te. Paris /857. Dissertat. 3) Beitr~ge zur Pathol. u. Therap. des Diabetes. Marburg t874. Bd. I, 4) Diabetes u. Sepsis. Deutsehe med. Wochenschr. 1830, S. 1 ft, 5) Der Diabetes, Berlin I884, Obduct, 12. 6) Diseases of the ear. London 1860, Deutseh v, Moo s. S. 327.

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Ueber Erkrankunge~ des Ohres bei Diabetikern. 31

Ueber einen weiteren Fall yon Otitis diabetiea beriehtet R a y n a u d 1) bei einem 47jahrigen Manne; die Ohrerkrankung hatte unter intcnsiven Sehmcrzen und mit einer starken Ohrblu- tung begonnen, nach wetcher dann tange Tage hindureh ein pro- fuser serSser Ausfluss aus dem rechten Ohre eingetreten war i der Kranke starb 23 Tage sparer unter den Erseheinungen grosser Schwliche und Prostration. Bei der Section fand sich eine grosse Pertbration des rechten Trommelfells und profuse Mengen blutigen Eiters im Innern des cariSsen Warzenfortsatzes.

K i r c h n e r 2 ) hat auf dem internationalen otologisehen Con- gresse zu Basel (1884) unseren Gegenstand in etwas eingehender Weise behandelt; er theilt die Krankengesehichte eines 22j~ihrigen Diabetikers mit, bei dem wegen vorgesehrittener Osteitis des linken Warzenfortsatzes der Knoehen aufgemeisselt werden musstc. Der Kranke hatte schon seit mehreren Wochen an einer doppel- seitigen eitrigen Mittelohrentztindung gelitten~ als sieh plStzlich unter sehr heftigen Sehmerzen Ansehweltung des linken Process. mastoideus und Eitersenkung unter die Halsmuseulatur einstellten. Der Patient starb 5 Tage nach der Operation~ und bei der Autopsie fanden sieh in b e i d e n GehSrorganen ausgedehnte Zerst(frungen in den Warzenknoehen, in beidea Paukenhiihleu und eariSse Durchbrtiehe nach den Sinus sigmoidei. Ki r eh n e r wirt~ bei dieser Mittheilung die Frage auf, ,,ob es gerathen sei, bei den mit Diabetes mellitus behafteten Kranken~ besonders wenn sic in ibrer Erniihrung schon ziemlich heruntergekommen sind~ eine Operation wie in dem oben gesehilderten Falle vorzunehmen".

Hierzu gehSrt ferner der yon S e h w a b a eh ~) gut beobaehtete Fall yon sehwerer Mittelohrerkrankung bei cinem 43ji~hrigen Mann, der seit 6 Jahren sehon an Diabetes litt; aueh hier ist es wieder das rechte Ohr, wie sonderbarerweise in nahezu fast allen ver(iffentliehten Beobaehtungen, das plStzlieh unter sehr hef- tigen Schmerzen, besonders in der Gegend des Proeessus mast., erkrankt; es treten starke Ohrgerausche und hoehgradige Sehwer- hSrigkeit ein, zu denen sich alsdann die iibrigen Zeiehen einer eitrigen perforativen Mittelohrentztindung gesellen; allmiihlich tritt eine Remission aller Erscheinungen ein, die mehrere Wochen an- halt; pl(ftzlieh, aber ohne besondere Veranlassung, treten yon Neuem starke Schmerzen im Warzenknoehen auf, der ttautiiber-

1) Annales des malad, de l'oreille. Mai 1881. p. 63. 2) Troisi~me Cengr~s international d'Otologie. B~Ie 1885. p. 83. 3) Deutsche reed. Wochenschr. 1887. Nr. 52.

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zug des Processus and die Hautdecken vor dem Ohre werden (idematiis, es zeigt sich anf der entspreehenden Gesichtshiilfte eine Facialislahmung, die K(irpertemperatur erhSht sich imrner mehr und mehr, and es rnusste schliesslich die ErSffnung des Process. mast. vorgenomrnen werden. Derselbe erwies sich aus- gedehnt carl(is and grosse Mengen iibelriechenden Eiters ent- leerten sich aus seinen Knoehenzellen. Der Ohrproeess heilte crst nach rnehreren Monaten, ebenso die Facialisparalyse. Kurze Zeit nachher iiberstand der Kranke eine Panophthalmie, 2 Jahre spi~ter stellte sich Gangrlin des linken Fusses ein und einige Woehen nach diescm letztcn diabetisehcn Symptom starb Patient an einer Gehirnapoplexie. Wiihrend dcr Obraffection hatte der Zuckergehalt des Urins ca. 4 Prec. betragen and hielt sich die einzelnen Jahre hindurch fast auf gleieher HShe (2--5 Prec.), bis kurzc Zeit vor dern Tode er auf Null gesunken war.

Schliesslich erwi~hne ich noch den Fall yon Moose) , in welchem es sieh um einen 55jiihrigen Mann handelt, der seit 3 Jahren schon an Diabetes gelitten hatte (3 Prec.). Mo os ver- iSffentlicht diese Beobachtung nicht direct wegen der Abh~ngig- keit der Ohraffection veto Diabetes, sondern der Fall ist urn deswitlen interessant, weil gewisse Mikroorganismen in dern eitrigen Secrete der Mittelohrentztindung und der consecutivcn Phlegmone des Warzenfortsatzcs gcfunden worden waren. - - Es m(igen sich woht in unserer Literatur noch andere Beobaehtnngen yon 0hrkrankheiten bei Diabetikern vorfinden, allein es figurirt hierbei die Zuckerharnruhr nut als ein so nebensachliches i~tio- logisches Moment, dass ich dieselben ftir racine Arbeit nicht be- nutzen konnte. - - In diesern Falle yon M o o s handelte es sich urn eine seit 5 Monaten bestehende Otitis rned. par. dextra; wieder- holt waren Schmerzcn and Ansehwellung des Warzenfortsatzes aufgetreten; es hatte sich ausserdem an der hintcren und oberen Gehtirkanalswand eine teigige Anschwellung gcbildet. Bei der tiefen Hautincision, die der beabslchtigten Er(iffnung des War- zenfbrtsatzes vorausging~ trat eine so profuse and wahrend 3/4 Stunden kaum zu bew~iltigende Blutung ein, dass yon dem tieferen chirurgischen Eingriffe Abstand genommen werden rnusste. 7 Tage spi~ter bildete sich ein Abscess in der Schl~fengegend and ein zweiter ~hnlicher nach weiteren 3 Woehen; beide wur- den er~iffnet und mit Sublirnat liingere Zeit hindurch ausgespritzt

1) Deutsche reed. Wochenschr. 1888. ~'r. 44.

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und schliesslich war einige Wochen sparer vollstandige t:teilung des Ohrprocesses e inge t re ten . - Die in diesem Falle vorgenom- mene bacteriologische Untersuehung ergab den Streptococcus pyogenes und den Pritnkel'sehen Diplococeus.

Der klinische Verlauf der Ohrerkrankung bietet in den Fallen yon T o y n b e e , R a y n a u d ~ K i r c h n e r , S c h w a b a c h nnd Moo s einc Reihe yon Symptomcn, deren gleichzeitiges Auftreten wit bei den uns bekannten Formen der acuten Mittelohrentziin- dungen nicht mit dieser Rcgelmassigkeit beobachten; es siud dies der racist schon yon Anfang an sttirmische Verlauf~ die oft sehr profuse Eiterung, die starken Blutungen und hauptsaehlich die rasche Betheiligung des Warzenfortsatzes; rechnen wir vet Aliem das Ergebniss tier Seetionsbefunde in den Fallen yon F r e r i e h s T o y n b e e , R a y n a u d und K i r c h n e r hinzu, d. b. die naeh so kurzer Krankheitsdaucr aussergew~hnlich ausgedehnten Zerstii- rungen der knSchernen Mittetohrtheile, so haben wir hier das Bild einer wahren Osteitis des Felsenbeins. - - Bei Diabetikern sind Knochenentzfindungen nicht selten, und wir gehen nicht irre, wenn wir diese ,Otitis diabetica" als eine Form yon Mittelohr- entztindung ansehen, die nur zu Stande kommen kann~ wenn unter dem Einfiuss der diabetischen Allgemeinkrankheit die Ge- webssiifte und die Blutgefasse der hautigen und dcr knSchernen Gebilde des GehSrorgans derart verandert sind~ dass sic dem Ausbreiten eincs schadlichen Agens keinen oder nur ganz gerin- gen Widcrstand zu leisten im Stande sind. Unter solchen Ver- haltnissen darf ein zufalliges Zusammentreffcn der Ohrkrankheit mit dem Diabetes nicht angenommen werden, wie sich dies bei Furunkcln, GehiJrnervenaffectionen u. s. w. nicht yon der Hand weiscn liisst~ sondern es liegt unstreitig ein atiologischcr Zusam- menhang zwischen beiden Erkrankungen vet.

l%ue dcrartige Bcobachtungen sind zur Begrfindung diescr Ansicht wtinschcnswcrth, dcnn trotz unserer so mi~chtigen Litera- tur fiber Diabetes in den letzten Jahrcn ist noch Vieles tiber die atiologischen Beziehungen der Allgemeinerkrankung selbst zu ihren so zahlreichen Localisationen unbekannt. Auch in Hinsicht auf die obenerwahnte praktische Frage yon K i r e h n e r , ,,oh bei Dia- betikern sehwerere chirurgische Eingriffe gestattet sind", halte ich die Mittheilung neuer Falle fiir nothwendig. In der yon K i r c h n e r auf dem Baseter Congress hierzu angeregten Dis- cussion war diese Frage yen einzelnen Cotlegen verschieden be- antwortet worden~ ich setbst~ in der Erinnerung an einen frtiher

A:cchiv fl Ohrenheilkunde. XXIX. Bd. 3

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beobachteten f~idttichen Fall, bet dam nach ganz kurzem Krank- heitsverlauf die Zerst~rungen im Felsenbein yon einer ung'ewShn- lichen Ansdehnung waren, schloss reich denen an, die gegen sehwere Operationen bet Diabetikern waren; doeh ,,dies diem docet"~ die wenn aueh bis jetzt noeh seltenen Erfblge, welehe ia der Neuzeit die Chlrurgie be~ Diabetikern aufweisea kanu, hubert reich belehrt, dass es immerh:~n humaner ist, einem solehen Kran- ken dureh die Operation wenigs~ens noch eine ~[ 5 g 1 i e h k e i ~ der Heilung darzubieten, als ihn naeh der bis jetzt gettbten Enthal- tungsmethode dem sieheren Tode entgegengehen zu lassen.

Hier in Ktirze zwei Beobaehtungen, yen denen der erste Fail alas volle BiId ether Otitis diabetiea giebt, der zweite, wenn aueh keine so schwere Form derselben~ immerhin eine Mittelohr- erkrankung darstellt~ die nnr unter der Einwirkung des Diabetes einen so hartn~ekigen und complieirten Verlauf nehmen kounte.

1. Der 54jlthrige Lehrer L., ein Mann yon aussergew~hnlieh grossem und kraftigem K~rperbau, leidet seit 1 Jahr an Diabetes meltitus (7--8 Prec.); er war ausserdem starker Alkoholiker. Trotz- dem derselbe sich absolnt keiner dauernden antidiabetischen Behand- lung unterwerfen wollte, hatte er in seinen k~rperliehen Kr~fte- und Erni~hrungsverhitltnissen keine wesentliehe Einbusse ertitten. Seine beiden Gebbrergane waren stets gesund gewesen, bis pl~tzlieh naeh einer heftigen Angina starke Schmerzen im r e eh t e n Ohre auftraten~ nach denen sieh 2 Tage sparer ein profuser~ gelber~ eitriger Ansfluss aus dem Ohre einstellte. - - Bet der Untersuchung sah man im hinteren nnteren Quadranten des reehten Trommelfells eine kleine rundliehe Perforation, durch welche grosse Mengen hellgelben dtinnen Eiters leieht aus der Paukenh~ihte herausgepresst werden konnten; trotz des so leichten nnd profusen Eiterabfiusses dauerten in den naehsten S Ta- gen die heftigen und tiefen Ohrschmerzen fort; schon am 3. Tage der Erkrankung war das GehSrverm~gen auf dieser Seite vollsfiindig erlosehen, und die grosse C-Gabel wurde nut noeh beim festen Ein- driicken in den Meatus pereipirt. Am 7. Tage der Erkrankung liess sieh eine oberfl~ichtiehe Hautsehwellung des Proeessus mastoideus eonstatiren~ jedoch ohne besondere entziindliehe R~ithung desselben. Patient, sehr ungeduldiger Natur und einer strengen Behandlung fast unzuganglieh, glaubte seine Heilung in einem Landaufenthalte finden zu ki~nnen und reiste am 20. Tage seiner Ohrerkrankung, trotz unseres Abrathens, zu einem im Sehwarzwalcl wohnendeu be- freundeten Wirthe.

Zwei Tage naeh seiner dortigen Ankunft wurde er yon einem starken Schtittelfrost befallen, zu welehem sieh heftiges, mehrere Stun- den w~,threndes Erbreehen hinzugesellte; am folgenden Tag'e trat: eine profuse Blutung aus dem kranken Ohre auf~ die ttber 10 l~inuten dauerte and bet welcher das Blur yon auffallend dunkler Farbe ge- wesen sein 8o11. Die bis dahin massenhaft gewesene Eiterung und

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Ueber Erkranknngen des 0hres bet Diabetikerm 35

die u!lt~glich eine 10- - ! 2 malige troekeae Reinigung des Ohres noth- wendig gemacht hatte~ hiirte nach der Blutung vollstiindi~ auf und stellte sieh such nicht mehr wieder ein. Am gteichen Tsge traten starke Schwindelerscheinungen auf; der Kranke konnte weder gehcn~ noch stehen~ and als am Abend siah uueh noeh Hiimoptog einstellte~ liess er sieh in einem Wagen wieder naeh Strassburg zurlickbringen. In der darauffolgenden l~acht traten noch 2 starke Frostanfiille auf; gegen Morgen zeigten sigh Mlgemeine Convulsionen~ der Kranke wurde comat~is und starb einige Stunden spiiter.

Bet der S e c t i o n fanden sich enorme Zerst6rungen im Inn~ren des Feisenbeins; Warzenfortsatz und Pankenhiihle sind in grosse Hohl- r~iume umgewandelt~ in welehen keine Spur mehr yon ihren normalen Bestandtheilen zu sehcn ws~r~ an tier hinteren oberen Wand des Cavum tympuni bestand tin bohnengrosser Durehbrueh nach dem Sinus sig- moideus~ ausserdem war die obere Duradeeke des Sinus petros, super. in ether Ausdehnung yon 2 Cm. perforirt. Die noch vorhandenen kniichernen Theile der Pyramide waren entziindlieh erweieht und liessen sich fast wie Wachsmassen prlipariren und schneiden. Das Trommelfell war stark verdickt~ allein yon ether Perforation nichts mehr zu sehen. Es fund sich ferner eine frisehe eitrige i~Ieningitis auf der rechten Seite und an der Basis des Gehirns. Das andere Gehiirorgan durffe leider nicht nliher nntersucht werden~ iiussertich war an dem- selben, am Lebenden wie an der Latch% niehts Abnormes zu sehen.

i~. Der 50jlihr.W. wird mir im Anfang dieses Jahres wegen einer~ trotz rationeller Behandlung~ seit 2 Monaten fortdauernden Eiterung des r e c h t e n Ohres yon seinem Hausarzte zugewiesem Der gutgenlihrte, ziemlich kriiftig% aber etwas neurasthenische Patient will niemals eine schwere Erkrankung durehgamacht huben; el" giabt an~ seit 20 5ahren sehon~ auf dam 1 i n k e n Ohre niehts zu h(iren ; Eitarnng aus demselben soll jedoeh niemals bestandan haban; mehrere F~lle yon Schwerh~rig- keit existiren in seiner Familie. - - Anfangs November 1888 trateu auf dem air erkrankten linken Ohre Schmerzen ein~ 2 Tagc spiiter eiterte dasselbe~ jedoch wi~hrten diese Symptome nur kurze Zeit und schon naeh 8 Tagen war das tinke Ohr in seinen fl'iiheren Zustand zurtickgekchrt. J~tzt stellten sich~ ohne bekannte Ursaehe~ auf dem r e e h t e n Ohre intensive Schmerzen ein~ die mehrere Tage lung an- duuerten; hierzu kam am 3. Tage Eiterausfluss und hoehgradige Taubheit. Der auf dem Oebiete der Otiatrik erfuhrene Hansarzt consta- tirte eine perforativa Mittelohrentziindung; trotz aller rationclten Be- handlungsweisen besteht dieselbe in gleichem Grade bis hente hart- n~ckig fort. - - Bet meiner ersten Untersuchung fund ieh sine kleine spaltfiirmige Pert'oration im vorderen unteren Quadranten des rechten Trommelfells, mit diinnfitissigem Eiter iiberzogen. Die Membran selbst ist verdickt und glanzlos; der tlammergriff ist nicht nnterscheidbar. Auf dam linken Trommelfelt besteht gleichfalls vorn und unten eine spaltfSrmige Oeffnung, die jedoeh v~illig troeken ist; an tier verdickten und grauweissen linkan Mambran ist dar Hammerfortsatz gut zu sehen. Auf dem r e ch t e n 0hre h~rt P~ttient Yliistersprache gar nicht~ laute Conversation anf 2 Cm. ; links wird Ftiistarn auf i/~ Cm., Conwr-

3~

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sation anf 6 Gin. vernommeni StimmgabeI beim W. V. verstark~ naeh reehts~ Rinne rechts und links negativ.

Bei dieser ersten Untersuchung fNlt mir im Gespr~ehe mit dem Patienten ein intensiver Foetor ex ore an ihm auf~ der den deutlichen Charakter des Aeetongeruehes hat; zu gleieher Zeit sehe ieh, dass ein grosser Theil seiner Zti,hne verleren gegangen und die noch tibrigen wenigen missfarbig und krank sin& Der so rege gewordene Verdaeht wird spliter dureh den Naehweis yon 5 Prec. Zucker im Harn unserss Patienten besti~tigt und die Hartni~ekigkeit der Ohreiterung~ trotz der richtigen localen Therapie~ li~sst sieh dadurch vielleicht erkliirem Von dieser AUgemeinerkrankung hatte der Kranke his jetzt keine Ahnung; bei einer 4 Monate flqiher aus anderweitigen Grtlnden wiederholt vor- genommenen Urinuntersuehung war derselbe stets normal befunden worden. Besondere aufallige Symptoms waren nieht zur Beobaeh- tung gekommen~ nieht einmal Polydipsie; es existirten jsdoeh in seiner Familie mehrere F~tlle yon Diabetes.

Trotz einer yon jetzt an eingeleiteten und in der Heimath des Patientsn~ iirztlieh tiberwachten~ strengen antidiabetisehon Behandlung~ trotz einer gut ausgefiihrten localen Therapie wichen Taubheit und Eiterung nieht; im Gegentheil~ es stetlte sieh Anfangs Februar 1889 unter ziemlieh starken, mehrt~igigen Schmerzen eine Ansehwellung des rschten Warzenfortsatzes ein und zu gleicher Zeit entwickelte sich an tier hinteren Wand des Gehiirkanals, ungef•hr 2 Cm. veto Orifie. ext. entfernt~ eine rundlich% weiche Gesehwulst. Be ide r vom ordinirenden Arzte vorgenommenen Incision beider Ansehwellungen entleerten sieh ziemliehe Mengen dtinnen gelbliehen Eiters. In den darauffolgenden Wochen tratsn wiederholt, d. h. jsdesmal, wenn sich die eine oder die andere der kleinen Ineisionen geschlossen hart% sehmerzhafte Anschwellungen hinter und im 0hre selbst auf. Die Eitsrung aus der Paukenhiihle dauerte ununterbroehen for L abet stets in mltssigem Grade. W~ihrend dieser Zeit ergaben wiederhslte und exact ausgeftihrte Urinuntersuchungen, dass trotz strengster Diiit and hiiufigsm Gebrauehe von Antipyrin tier Zuekergehait sick niemals vollsti~ndig verlor; es war derselbe zuweilen flit kurze Zeit auf V.) Prec. zurtiekgegangen~ stieg aber oft an dem darauffolgenden Tags und ohne jegliehss dii~tetisehes Versehulden wieder auf 2 - - 3 - - 4 Prec.

Bei diesem fortdauernd ungiinstigen Verlaufe der Ohrerkrankung eraehtete es der behandelnde College fiir geboten~ seinen Patienten Ende Miirz I889 meiner directen Beobachtung zu iibergeben. Thsils infolge der Reise~ theils infolgs der verschiedenen ErnKhrungsweise stieg sehon in den ersten Tagen seines hiesigen Aufenthaltes die Zuekermenge auf 6 Pros. und die Ohreiterung war eine betrlieht- lichere geworden.

Die functionelle Untersuchung der Ohren ergab das gleiche Re- suttat wis friiher~ d. h. sine auf beiden Ohren nahezu vollstandige Taubheit. Wie schon erw~hnt, hatte sieh zu den friiheren Symptomen der Mittelohreiternng noch eine Erkrankung des rechten Warzen- tortsatzes hinzugeseilt; die Hautdeeke des letzteren war leicht iide- matiis, und durch eine hinter dem oberon Musehslrand gelegene klsine

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Hant~ffnung entleerte sieh dtinner und hellgelber Eiter~ der dureh einen yon unten naeh oben auf den mittleren Warzentheil ausgeiibten Druek in betriichtlicher Menge abfloss; der Knochen selbst war auch auf st~irksten Druek an keiner SteIle schmerzhaft. Man constatirte fernerhin an der hinteren Wand des ausseren Geh~rkanales~ aber noch im Berciche des knorpeligen Absehnittes eine gleichfalls ober- fliichliche Haut~ffnung, dm eh welche ahnliche Eitermengen austraten. Mit der Sonde gelangt man yon der tlusseren Wunde her, wenn auch erst nach etwas langerem Suchen~ in die Fistel~ffnung des Geh~rkanats. Die Oberfltiehe des Processus seheint in ausgedehnter Weise blossge- legt zu sein~ ffihlt sich jedoch /iberatl votlst~ndig glatt an.

Nit Ausnahme jencr Schmerzen~ die in den ersten Tagen des Ohrproeesses selbst und die ein zweites Mal bei Beginn der Warzen- fortsatzcomplication aufgetreten waren~ batten sich in der iibrigen langen Krankheitsdauer keinerlei schmerzhaften Symptome mehr ge- zeigt; es waren ausserdem niemals st~rkere Fiebererscheinungen beobaehtet worden; sehliesslich konnte man bei der Sondenunter- suchung nirgends rauhen Knochen fllhlen. Dies Alles zusammen- genommen~ handelte es sick in erster Linie um eine Periostitis des Warzenfortsatzes infoige einer Otitis media. Bei der diabetisehen Atlgemeinerkrankung lag jedoch die grosse Wahrscheinliehkeit vor~ dass es sich auch hier~ wie in unserem ersten Falle und wie in allan obenerwahnten frfiheren Beobachtungen, um einen viel tieferen Ohr- process~ um eine ,Otitis diabetiea" handle~ bei welcher der gauze l~tittelohrapparat und vorzugsweise die Knochenraume der Warze be- fallen waren~ als deren secundare Folge die Periostitis erschien.

Und somit war die Indication gegeben~ nieht allein den Knochen durch einen ausgiebigen Hauteinsehnitt blosszulegen~ sondern auch die Er~ffuung des Knochens selbst vorzunehmen.

Die grosse Aengstliehkei$ des Patienten vor cinem erneuten und besonders vor einem tieferen chirurgisehen Eingriff~ vor Atlem aueh der hartniickige Charakter seiner _Allgemeinerkrankung bestimmten mieh~ die Autoritttt unseres Klinikers~ des Geh. Ruth N~tunyn~ zu Rathe zu ziehen.

Es wurde vorl~lufig yon einer Operation Abstand genommen und zuerst versueht~ durch eine strenge antidiabetische Diat die Zucker- krankheit zu bek~£mpfen; gleichzeitig wurden Tags fiber Milehs'fiure und gegen Abend Extr. opii aquos. (0~05) gegeben. Die locale Be~ handlung des 0hres beschrankte sich auf die Anwendung you Sublimat- alkohol per aurem ext. und per tubam und auf die Einlegung eines Kautschukdrains~ der yon der ~usseren Hautwunde bis in den Geh0ro kanal durchgezogen wnrde~ und dutch weIchen ich Morgens und Abends SublimatlSsungen (J/a pr. mille) einspritzte. Die ersten 4 Wochen dieser Behandlung braehten keine Besserung~ die Eiterung daucrte gteich stark fort. - - Bei mehrfachen in dieser Zeit vorgenommenen mikroskopischen Untersuchungen des Eiters fanden sieh grosse Men- g e n d e r bekannten Ei~erkokken, besonders Streptococcus pyogenes und Staphylococcus albus. - - In dem Allgemeinbefinden des Patienten war eine wesenstliche Besserung ebenfalls nieht eingetreten; sein

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Kriiftezustand hatte sich wohl etwas gehoben und sein Kiirpergewicht um 1~5 Kgrm. zugenommen, alleia der Znckergehal~ des Urins~ wenn aueh einige Male auf 1/2--1 Prec. zurtickgegangen~ erreichte schnell wiederum die Hiihe yon 3- -4 Prec. - - Ende April traten pI~itzlich und ohne bekannte nithere Ursache in den seit den ersten Insult stets trocken gebliebenen und reactionslosen l i n k e n Ohre sehr starke Schmerzen auf, die mehrere Tage unter leichten Fiebererscheinun- gen (38~5 o) andauerten. Man fund an der hinteren Wand des linken Geh~rkanals eine haselnussgrosse Anschwellung, die das Lumen des Meatus volIsti~ndig verschloss; der Hautiiberzug des Warzenfortsatzes war leicht ger•thet nnd geschwollen. Es butte sieh auch auf diesem Ohre der gleiche Process entwickel~; eine bestimmte Diagnose ffir die Erkrankung beider Ohren~ ob Periostitis und Osteitis des Mittelohres, war auch jetzt nech nicht n i t Sicherheit zu stellen. - -

Nacbdem nun unter mehrw(ichentlieher strenger Behandlung der Allgemeinkrankheit die locale Affection anch nieht im Geringsten ge- bessert worden war und eine gleiche Complication auch auf den anderen Ohre sigh entwlekelt hatte~ fund mein Vorschlag eines ernsteren ehirurgischen Eingreifens~ und zwar jetzt auf beiden 0hren~ die Znstimmung meines verehr~en Collegen.

Anfang Mai wurde die Operation in der gleiehen Sitznng auf beiden Ohren allsgeftihrt. Es wurde beiderseits dureh einen fast 4 Cm. langen Einsehnitt der Knoehen blossgelegt, dig Weichtheile waren hochgradig infiltrirt, hatten specklges Aussehen und bluteten ungemein stark~ die ausgedehnt blossgelegte Oberfl~ehe beider Pro- eessus war nicht erkrankt; der Knochen war glatt~ welch und nicht im Geringsten entztindet oder erweicht. Die beiderseitigen nach den GehSrkan~len ftihrenden Senkungs-~ resp. Fistelglinge wnrden blutig erweitert und theilweise ansgesehnitten; sic lagen beide im Bereiche des knerpeligen Gehgrgangs und warea von den Warzenknoehen selbst durch eine gut nachweisbare Schicht fibrSsen Gewebes getrennt. - - Da die Oberflaehen beider Warzenfortsittze in griisstmitglicher Aus- dehnung blossgelegt waren~ an keiner Stelle aber irgendwie erkrankt gefunden wurden~ sondern tiberall glatten und festen Knoehen zeigten~ so musste kS immerhin fiir miiglich erachtet werden~ (lass kS sieh auf beiden Ohren nur um einen periostitischen Process handle, aueh sehon in Anbetraeht, class die Senkungen nach den Meatus ni t den Knoehen gar keinen Zusammenhang zeigten. Bei der starken Blutung war tiber(ties der beiderseitige Eingriff ein reeht ernster, und wir standen deshalb vorlliufig yon der gleichzeitigen ErSffaung der Processus mast. ab. - -

Der Wundverlauf war tin etwas tr~ger~ es dauerte fast 14 Tage~ bevor slch auf der Oberfl~che der Warzenknochen ro~he gesunde Granu- lationen zeigten. Wiihrend dieser ganzen Zeit anderte sich die Ober- filtehe der beiden Knochen in niehts; yon irgend einem Durchbruch war keine Spur nnd etwas Aehnliches konnte bei den so lange Tage hindureh in ihrer ganzen Ausdehnung blossliegenden Knoehenober- flachen nicht gut iibersehen werden. Die ~usseren Wunden: sowie auch die Geh~irkanale wurden 3 real in tier Woche in ausgiebiger antisep-

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Ueber Erkrankungen des Ohres bei Diabetikern. 39

fischer Weise mit Sublimatl6sungen (J/3 pro mille) gereinigt~ mit 20 proe. Jodoformgaze ausgestopft und dariiber ein antiseptischer Oeelusiv- verband gelegt. In der 3. Woche stellten sich bei dem Patienten wi~hrend mehrerer Tage eigenthtimliehe nerviise Symptome ein: auf- geregt% fast sehlaflose Niicht% best~ndiges Unruhcgeftihl~ dana wieder melaneholiche Stimmungen, Appetitmangel u. s. w , Erscheinungen~ die wir~ nach frtlheren Erfahrungen, auf die Behandlung tier Wunde mit Jodoform zurliekftihrten und die aueh in Wirklichkeit verschwanden, sobatd wir statt des Jodoformmulls Sublimatgaze als Verbandmaterial benutzten. - - Nach 6 wSchentlieher Dauer waren beide Operations- wunden vollstandig geschlossen; cbenso die Fisteliiffnungen in den GehSrg~ingen. Die recbte Paukenh~ihle war frei von Secret und an tier Stelle der frtiheren spaltffirmigen Perforation des rechten Trom- melfells war ein grauer~ narbiger Streifen sichtbar. Die Gehtil's- function hatte sich in anffitlliger Weise gebessert; Patient vernahm rechts Fltistersprache in einer Entfernung von 3 Meter~ links yon t Meter; der W. V. ergab immer noeh eine starkere Perception der Stimmgabeln auf dem rechten Ohre und der R. V. fiel ebenfalls noch auf beiden 0hren negativ aus. - - Das Allgemeinbefinden des Kranken war insofern ein besseres geworden~ als seine Stimmung bei den gtinstigen Fortschritten seines Geh~irorgans eine gehobenere wurde; es war dies um so erkllirlicher~ als er den Ohrproeess als die primitre Ursache seiner Zuckerkrankheit ansah; sein K~rpergewicht hingegen hatte in den Ietzten 3 Wochen der Wundheilung um 4 Pfuad abge- nommen u n d e s bestanden immer noch die friihereu Schwankungen in dem Zuckergcbalte seines Urins (0~5--3 Prec.).

Zur vollsti~ndigen Heilung seines Diabetes wurde dem Patienten eine 6wSchentliche Cur in Kartsbad verordnet. Die GehSrorgane diirften~ seitdem ich den Patieaten zum letzten Male (Ende Juni) gee sehen habe~ geheilt gebIieben sein~ da im gegentheiligen Falle mir hiervon Kenntniss geworden ware. - -

Am Felsenbeine unseres ersten Kranken~ das ich Ihnen hier vorlegen kann, sehen Sie Zerst(irungen, wie wir solche bei den hochgradigstcn Formen anderer, selbst diphtheritischer Mittelohr- entztindungen kaum zu beobachten gewohnt sind; sie sind am so auffi~lliger, als sie sich in ciner verhi~ltnissm~ssig kurzen Zeit (3 Wochen) entwickelt haben. Es kann Letzteres nur daraus er- kli~rt werden, dass trotz des leiehten und hSchst profusen Eiter- abflusses aus dem Mittetohre die diabetisch ver~inderten Gewebe den Eiterkokken keinen Widerstand leisteten. Am frisehen Pri~- parat war deutlieh erkennbar, dass aueh die noch iibrig geblie- benen knSchernen Partien der Pyramide friseh entztindet and erweicht waren; sie wiiren zweifelsohne in gleicher Weise und in kiirzester Zeit der Zerst(irung anheimgefallen~ wenn durch das Uebergreifen des Ohrprocesses auf die Meningen der Kranke nicht vorher zu Grunde geg'angen wi~re. Wir sehen sehliesslieh,

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dass die friiher vorhandene Perforation des Trommelfells vernarbt ist, was im Verlaufe der letzten 3 Tags vor dem Ableben des Kran- ken, also seit der starken Ohrblutung, stattgefunden haben muss.

Die in unserem 2. Falle beobaehteten Mikroorganismen unter- seheiden sieh in niehts yon den bei anderen Eiterungen vor- kommenden Staphylokokken und Streptokokken. Diese Orga- nismen finder in den Geweben und Gewebssiiften der Diabetiker~ vielleieht dutch den grSsseren Zuekergehal~ derselben den gtin- stigsten N~ihrboden und hieraus duffle sieh, wenigstens theilweise, das Zustandekommen soleher raseh auftretender und enormer Zer- stSrungen erkliiren lassen. Bei dem anatomisehen Bau des Mittel- ohres ist dis sehnelle Ausbreitung des entztindliehen Processes bei unserem ersten Kranken aueh noeh dadureh erkliirlieh, dass trotz einer so profusen Eiterentleerung naeh aussen immer noeh weitere Mengen des sieh stets bildenden eitrigen Materials im Mittelohr selbst zurtiekgeblieben sind. Die auf diese Weise im Warzenfortsatz wie in tier PaukenhShle fortgesetzt zurtiekgehal- tenen Eitermassen mussten eine st~indige Infeetionsquelle abgeben, die im Verein mi tde r leiehten Ausbreitbarkeit der Mikroben dem Ohrproeesse einen so besehleunigten und so bSsartigen Charakter verlieh.

In Hinsich~ auf letzteren Punkt muss die Frage aufgeworfen werden, ob es in solehen Fallen yon profuser aeuter Otitis reed. put. bei Diabetikern nieht angezeigt sei, dutch breite ErSffnung des Warzenfortsatzes den profusen Eitermengen des Mittelohres einen besseren Abflnssweg zu sehaffen. Hierdureh warde es auch ermSglieht werden, die bei solehen Proeessen doppelt noth- wendigen antiseptisehen Maassregeln zur Behandlnng tier HShlen- eiternng auszuNhren.

Die Aufmeisselnng des Processus mastoideus, wie wir dieselbe naeh dem yon S e h w a r t z e so precis formulirten Operationsmodus und unter dem Schutze der modernen Antisepsis heute ausf~ihren~ kann nicht mehr als sin gefithrlicher ehirurgischer Eingriff an- gesehen werden. Es fragt sieh deshalb, ob man bei solchen Kranken~ dis ohne diese Operation sieher zn Grunde gehen, doch nieht znm Messer greifen soil, in der Hoffnung, dass wh" sie da- dureh vielleieht doeh noeh am Leben erhalten kSnnen.

Wir finden in der chirurgisehen Literatur mehr denn einen Fall, der uns zum Vorbild dienen kann; so erinnere ieh an die yon Z e t l e r I) mit gltiektiehem Eriblge operirten 2 Fatle yon

1) Wtlrttemberg. reed. Correspbl. 1886. S. 65.

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Ueber Erkrankuagen des 0hres bei Diabetikern. 41

Exarticulation des Fusses, resp. Amputation des 0berschenkels, bet deren Analyse Z e l t e r mit Recht hervorhebt, ,dass die Pro- gnose operativer Eingriffe bet Diabetikern nicht immer eine so verzweifelte ist"~ wie es nach den vorliegenden Veriiffentliehungen dan Anschein hat. In gleicher Weise sind bemerkenswerth 2 yon F. K Snig 1) veri~ffentlichte Beobachtungen yon Ampntatio cruris bet 2 diabetisehen Ma.nnern, einem 70jahrigen und einem 40jiih- rigen; der erste dieser Patienten war sehon eomattis und beim zweiten war bet hoehgradiger Abmagerung uoaufhSrliehes Sehluch- zen in den letzten S Tagen nebst Temperaturen yon 40 o einge- treten; beide Operationen batten einen glticklichen Erfolg. Im Ganzen besitzen wit bis jetzt nur eine verhaltnissmi~ssig geringe Anzahl derartiger gtinstiger Operationserfolge bet Diabetikern~); hieran jedoch mag alas van vielen Chirurgen, besonders yon fran- zSsisehen, ausgesproehene Veto Schuld seth, welches dieselben gegen atle operative Eingriffe bet Diabetikern, selbst die unbe- deutendsten, eingelegt und es dutch ihre Berichte iiber ungltick- liehe Ausgange yon Htihneraugenoperationen, Mastdarmfisteln, Phimosis bet solehen Kranken begrtindet haben. Gegen diese allzu pessimistisehe Auffassung nehmen nun, wie oben gezeigt, KSnig, S c h t i l l e r , K r a s k e u. A. dutch VerSffentliehung einiger gltiek- lieher Erfolge eine vortheilbafte und ermuthigende Stellung ein.

Bet unserem ersten Kranken war tier Diabetes sehon lange Zeit hindureh der Ohrerkrankung vorausgegangen. Bet dem zweiten Patienten dagegen konnte es fi'aglieh seth, oh die Zuekerkrank- heir sich nieht als Folgeerseheinung tier Ohreiterung entwiekelt hatte, da die wenige Monate frtlher yon sehr competenter Seite ausgeftihrte Harnanalyse keinen Zueker in demselben naehweisen konnte.

R 6 d a r d 3) hat naehgewiesen, dass phlegmon(fse und sep- tische Proeesse auf ihrer Akme einen vortibergehenden Diabetes hervorrufen kt~nnen. Eine derartige Annahme ist fttr unseren Fall nicht gereehtfertigt, denn erstens war die allgemeine Er- krankung keine vortibergehende und vet alien Dingen tiberdauerte die Zuckerharnruhr, wenn aueh nicht mehr in so hohem Grade, die tocale Affection.

I) Centralbl. f. Chirurg. 1887. S. 225. 2) S c h i i l l e r , Berliner klin. Wochenschr. 1888. Nr. 47--49. S o n n e n -

b u r g , Ebenda. 1885. Nr. 33--34ff. 3) De la glycosurie ~ph~m~re dans les affections chirurgicales. Revue de

chirurgie. 1886. No. 8 u, 9.

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~2 IV, KUHN

Wenn aueh der krankhafte Ohrprocess unseres zweiten Kranken kein so intensiver war, wie in unserem ersten Falle, so muss doeh dieser zweite Patient zu jener Gruppe yon DiabetesNllen gereeh- net werden, die man als die ,sehwere Form" bezeichnet; es geht dies aus der ttartniiekigkeit hervor~ mit weleher der Zuekergehalt des Urins so lange Monate hindureh trotz strengster antidiabe- fischer Di~t fortbestand, sowie aueh aus dem weiteren Umstande, dass der Kranke trotz seines guten Appe~its und guter Ern~thrung in den letzten Monarch wieder um 4 Pfund abgenommen hatte.

Wie sehon oben erwiihnt, war der Wundverlauf ein etwas trager~ die Bildung der Wundgranulationen eine verlangsamte~ aber im Grossen nnd Ganzen waren hierbei allzu auff~llige Unter- schiede yon dem Verlaufe derartiger grosser Incisionen bei Ge- sunden nieht vorhauden; in der 1. Woehe verblieben die Wund- ri~nder troeken nnd reaetionslos, dann aber stellte sieh in ge- wohnter Form dig Eiterung ein~ die nur an manehen Tagen aassergewShnlieh stark und dtinnfltissig war. Naeh der bei der Operation aufgetretenen starken parenehymatSsen Blutung trat in der Naehbehandlung keine weitere mehr auf. Es bieibt immerhin trotz der endgtiltigen t:Ieihmg beider Ohrerkrankungen naeh den einfaehen Hautineisionen~ also naeh der Behandlungsweise einer einfachen Periostitis, der Zweifel bestehen, ob nieht doeh schon im Inneren beider Warzenknoehen Eiter vorhanden war, der wi~hrend der Ansheilung des periostitisehen Processes allmahlich zur Resorption gelangte.

Bei der Therapie dieses letzten Falles sind besonders zwei Thatsaehen bemerkenswerth: 1. dass die Eiterung des reehten Mittelohres trotz strengster diatetiseher Maassregeln und ratio- neller medieamenttiser Behandlung unaufhaltsam fortsehreitet und sich complieirt, ja dass sogar das lange Zeit hindurch geheilt gebliebene andere Ohr yon der gleiehartigen Complication be- fallen wird; in zweiter Linie verdient, gegentiber der so lange auf die Loealerkrankung maehtlos gebliebenen Allgemeinbehand- hmg, hervorgehoben zu werden~ dass die Ohraffeetion erst einen gUnstigen Verlauf nimmt yon dem Zeitpunkt an, we ein gleieher operativer Eingriff vorgenommen wird, wie er bei sonst gesundeu Individuen in dieser Krankhelt indieirt isto

Wir ki~nnen nns somit such far die in unserem Speeialge- biete nothwendigen operativen Eingriffe bei Diabetikern dem Ans- spruehe KSnig ' s (1. e.) ansehliessen, ,,dass bei diabetisehem Brande u. s. w., wenn trotz antidiabetiseher Cur und antiseptiseher

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Ueber Erkrankuugen des 0hres bei Diabetikern. 43

Loealbehandlung die alI~emeinen diabetisehen und Ioeal-phlegmo- asses Erseheinungen nleht zurt~ckgehen and ein weiteres Ab- warren erhebliche Gefahr fth" den Kranken bedingt, dutch eine radieale, abet mit der grSssten Peinlichkeit durchgeftihrte anti- septisehe Operation die Lebensrettung des Kranken versueht wer- den mllSS, u

Wenn wir diesen Satz selbst auf jene FNle yon diabetiseher Otitis mit proNsen Eiterungen ausdehnen, bei welches trotz einer grosses. Trommelfell~iffnung jene enermen Zersttirungen an den Weichtheilen and an den Knoehen d'er Paukenhtihle in so kurzer Zeit auftreten, wie dies der Fall yon Ki rchner~ T o y n b e e , R a y n a u d und unsere erste Beobachtuag zur Gentige beweisen, wenn wit ein chirm'giscb.es Eingreifen aueh f~ir solche FNle be- ftirworten, so mtissen wir es vorerst einer sp~tteren Erfahrung tiberlassen, ob wir einen solehen Patienten in der his heute ttblichen Weise behandeln dtirfen oder nicht. Ieh sehliesse reich hler S c h w a b a e h (h c.) an nnd wtirde es far gestattet halten, bei einem solchen Kranken, tier dureh die in km'zer Zeit vom Ohre auf die Meninges fortgeleitete EntzUndung unrettbar verloren ist, die Er~ffnung des Warzenfortsatzes zu machen; hierdm'eh allein verm0gen wir in rationeller Weise dle antiseptischen Mittel auf die erkranktcn Mittelohrtheile elnwirken zu lasses and das Fort- schreiten des entzt~ndliehen Processes mOgticherweise noeh auf- zuhatten.

Selbstverst~ndlich ist, dass neben der localen antiseptisehen Wandbehandlung bei Diabetikern eine rationetle diatetisehe und selbst medicament~se Therapie stattfiadet.

Welchem antiseptischen Mittel wir bei solchen Verletzungen der Diabetiker den Vorzug geben sollen, wage ich naeh meinen wenigen Erfahrungen nieht zu estscheiden; ich habe alle Ursache, in meinem zweiten Falle mit dem Gebrauch des Sablimats, so- wohl in L~sung wie als Gaze, zufrieden zu sein. - - Die in den ersten 14 Tagen angewendete Jodoformgaze hatte eine leiehte Intoxication zur Polge, wie dies naeh jetzt mehrfach gemachter Erfahrnng gar nieht selten vorkommt and woven ieh vor einigen Jahren sogar einen Fall mit tSdtliehem Ausgange zn beobaehten Gelegenheit hatte (Naturforscherversammtung in Strassburg 1885).