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(Aus der AnatomischenAbteilung [Prof. Dr, A. Jakob] der Psychiatrischen Uni- versit~tsklinik und Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg [Professor Dr. Weygandt].) Uber histologisehe Befunde im Zentralnervensystem bei Endocarditis infeetiosa bzw. septica mit cerebralen Stiirungen. Von Dr. Fr. Brinkmann, Assistenzarzt. Mit 8 Textabbildungen. (Eingegangen am 6, Februar 1928.) (Jber histologische Veranderungen im Zentralnervensystem bei Endo- carditis mit cerebralen StSrungen liegen nur wenig Untersuchungen vor. Die meisten Angaben fiber anatomische Hirnbefunde bei Endo. carditis beziehen sich auf grSbero embolische Schadigungen, wie sie etwa den apoplektiformen Insulten zugrunde liegen kSnnen. Diese embolischen Prozesse, zu denen auch die eitrigen Encephalitiden sowie die Meningitiden und miliaren Aneurysmen geh6ren, sind nach den Un- tersuchungen yon Leschke bei Endocarditis verrueosa in 2%, und bei Endocarditis septica in 9% aller FMle nachzuweisen. Nachdem die Histopathologie dieser Prozesse im wesentlichen bekannt ist, bean- spruchen sie ein vornehmlich lokalisatorisches Interesse. Bei den feineren Hirnveranderungen handelt es sich entweder um nichteitrige Entzfindungsprozesse oder degenerative Vorgi~nge, wie sis auch sonst gelegentlich bei infektiSsen und septischen Allgemein- erkrankungen nachzuweisen sind. Die Endocarditis, obwohl nur Teil- erscheinung einer solchen Allgemeinerkrankung, dfirfte jedoch ffir das Zustandekommen cerebraler Komplikationen von besonderer kausaler Bedeutung sein. Das beweisen z. B. Beobachtungen bei Chorea infec- tiosa mit entziindlichen Hirnprozessen, die ja, obwohl sie eine Sonder- stellung einnehmen, pathogenetisch zu den sekund~iren Hirnerkrankun- gen im Verlauf infektiSser bzw. septischer Erkrankungen gehSren. L'ber feinere degenerative Ver~inderungen, die mit ausreichender Sicherheit in erster Linie auf eine Endocarditis zurfiekgeffihrt werden kSnnen, linden sich in der Literatur keine Angaben. Entziindliche Prozesse werden dagegen in grSl~erer Zahl beschrieben. In 2 Fallen yon

Über histologische Befunde im Zentralnervensystem bei Endocarditis infectiosa bzw. septica mit cerebralen Störungen

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(Aus der Anatomischen Abteilung [Prof. Dr, A. Jakob] der Psychiatrischen Uni- versit~tsklinik und Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg [Professor

Dr. Weygandt].)

Uber histologisehe Befunde im Zentralnervensystem bei Endocarditis infeetiosa bzw. septica mit cerebralen Stiirungen.

Von

Dr. Fr. Brinkmann, Assistenzarzt.

Mit 8 Textabbildungen.

(Eingegangen am 6, Februar 1928.)

(Jber histologische Veranderungen im Zentralnervensystem bei Endo- carditis mit cerebralen StSrungen liegen nur wenig Untersuchungen vor. Die meisten Angaben fiber anatomische Hirnbefunde bei Endo. carditis beziehen sich auf grSbero embolische Schadigungen, wie sie etwa den apoplektiformen Insulten zugrunde liegen kSnnen. Diese embolischen Prozesse, zu denen auch die eitrigen Encephalitiden sowie die Meningitiden und miliaren Aneurysmen geh6ren, sind nach den Un- tersuchungen yon Leschke bei Endocarditis verrueosa in 2%, und bei Endocarditis septica in 9% aller FMle nachzuweisen. Nachdem die Histopathologie dieser Prozesse im wesentlichen bekannt ist, bean- spruchen sie ein vornehmlich lokalisatorisches Interesse.

Bei den feineren Hirnveranderungen handelt es sich entweder um nichteitrige Entzfindungsprozesse oder degenerative Vorgi~nge, wie sis auch sonst gelegentlich bei infektiSsen und septischen Allgemein- erkrankungen nachzuweisen sind. Die Endocarditis, obwohl nur Teil- erscheinung einer solchen Allgemeinerkrankung, dfirfte jedoch ffir das Zustandekommen cerebraler Komplikationen von besonderer kausaler Bedeutung sein. Das beweisen z. B. Beobachtungen bei Chorea infec- tiosa mit entziindlichen Hirnprozessen, die ja, obwohl sie eine Sonder- stellung einnehmen, pathogenetisch zu den sekund~iren Hirnerkrankun- gen im Verlauf infektiSser bzw. septischer Erkrankungen gehSren.

L'ber feinere degenerative Ver~inderungen, die mit ausreichender Sicherheit in erster Linie auf eine Endocarditis zurfiekgeffihrt werden kSnnen, linden sich in der Literatur keine Angaben. Entziindliche Prozesse werden dagegen in grSl~erer Zahl beschrieben. In 2 Fallen yon

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Endocarditis verrucosa mit Chorea minor hat Alzheimer in der Um- gebung der Gefiige des Corpus striatum und der Regio subthalamica ,,Gliawucherungen und stabchenzellartige Elemente" festgestellt. In allen anderen Fallen yon Encephalitis bei Endocarditis dfirfte es sich um Endocarditiden septischcn Charakters gehandelt habcn. Die ersten einschl~gigen Befunde in FMlen ohne Chorea haben Leichtenstern, Limmeyer und Fischl bcschrieben. Neuere Untersuchungen verdanken wir WohlwiU, welcher im Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie yon Kraus und Brugsch die Histopathologie nichteitriger Encephalitiden bei Endocarditis ausffihrlich darstellt. Bei Endo- carditis septica und Chorea hat wieder Alzheimer zum erstenmal ence- phalitische Veri~nderungcn nachgewiesen. Unterschiedlich von seinen Befunden bei Endocarditis verrucosa fand er in diesen Fhllen in den erkrankten Hirnpartien Bakterien. Weitere Befunde hahen Schuster, Marie und Tr~tiako// sowie F. H. Lewy ver6ffentlicht. In allen diesen FMlen handelt es sich um spezifische Prozesse, die wir in (Jbereinstim- mung mit F. H. Lewy nicht als anatomisches Substrat der Chorea auffassen, sondern mit der gleichzeitig bestehenden sekund~ren in- fekti6sen oder septisehen Erkrankung in Zusammenhang bringen. Als anatomisehe Grundlage der Chorea minor sind vielmehr, wie an dieser Stelle nut kurz erwahnt werden kann, die yon F. H. Lewy fiber- zeugend naehgewiesenen rein degenerativen Veri~nderungen vornehmlieh der kleinen neostriiiren Ganglienzellen aufzufassen. Die bereits de- generativ gesehiidigten Hirngebiete stellen ein Locus minoris resisten- tiae fiir den sekundiiren entz/indliehen ProzeB dar.

Der sehwierigere Nachweis yon Parenehymdegenerationen diirfte es erkliircn, dais hiiufig sehwere eerebrale Erseheinungen (Erregungs- zustitndc, Kriimpfe, Korea, Meningismus) lcdiglieh auf ]unktionelle Hirnsehhdigungen zuriiekgeffihrt werden, lm Gegensatz zu dieser Auffassung konntcn wir nachweisen, dab den psychischen und neuro- logischen Stdrungen bei Endocarditis meist organische Verdnderungen zugrunde liegen. In 3 Fgillen, die im wesentlichen iibereinstimmende psychische Stdrungen und stridre Symptome darboten, ]anden wir ]edesmal neben ge[dfiabhiingigen cireumseripten VerSdungsprozessen di]/use Par- enchymveriinder~ngen im Cerebr~m. In dem ersteren unserer FMle be- stand eine Chorea minor.

(~ber den kli~dschen Verlau/ des erste',, Falles entnehme ich aus der Kranken- geschichte folgende Angaben: Die 23j/ihrige Kranke H. N. war bei ihrer Aufnahme am 30. IIl. 1926 psychis(.h vollkommen geordnet und machte folgende anam- nestischen Angaben: Mit 12 Jahren habe sic sehon einmal Veitstanz gehabt. Ihr Zustand sei damals so sehlimm gewesen, dab sie nicht stehen, spreehen und nieht allein habe essen k6nnen. Sonst sei sie his zum Beginn tier jetzigen Krankheit immer gesund gewesen. Sic sei seit 3 ,lahren verheiratet und habe ein Kind yon 1 Jahr. Fehlgeburten habe sic nieht durchgemaeht. Vor 3 Woehen sei sie im

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AnschluB an eine heftige Gemiitserregung (Strcit mit der Schwiegermutter) ganz pl6tzlich mit starken Kopfschmerzen und Erbrechen erkrankt. 4 Tage spiiter seien Zuckungen und unwillkfirliche Bewegungen im rechten Bein aufgetretcn. Am Morgen des 5. Tages seien auch der linke Arm und die rcchten Extremit/~ten in dauernder Unruhe gewesen. Bis jetzt habe sich ihr Zustand allmiihlich ver- schlimmert. Eine jiingere Sehwester hahe friiher aueh Veitstanz durchgemacht, sonst sei ihr von ernsten Krankheiten in der Familie nichts bekannt. Dic k&per- liche Untersuchung ergab eine kleine kri~ftig gebaute Frau in gutem Ern/~hrungs- zustand. Haut und sichtbare Schleimh/iute waren gut durchhlutet. Es bestand eine erhebliche motorische Unruhe sowohl in den Extremit/iten, als auch in den Rumpf- und Gesichtsmuskeln. Die einzelnen Bewegungen, (lie in den Armen am st/irksten waren, folgten ganz unregelm~I3ig aufeinander und wcchsclten dauernd Form und Richtung. Aktive Bewegungen wurden erst nach einer dent- lichen Pause unter sichtlicher Anstrengung ruckartig und unsicher ausgeffihrt. Die Sprache war lallend, undeutlich. Es konnten immer nur cinze]ne Worte stoB- weise hervorgebracht werden. Der Gang war infolge (let motorischen Unruhc sehr unsicher. Mund und Rachen hoten auf3er einer belegten Zunge nichts ]r sonderes. Der Thorax dehnte sich be| der Atmung ausgiebig und symmetrisch aus. An den Lungen war auscultatorisch und perkutoriseh kein krankhafter Befund zu erheben. ])as Herz lag in normalen Grenzen. An der Spitze war ein leises systolisches Gergusch zu hOren. Die Aktion war regelm~il3ig und gleich- mgl3ig, die Frequenz betrug 78. Die Bauchdcckcn waren schlaff, an den inneren Abdominalorganen war kcin hemerkenswerter Befund zu erhehen. Sehnen- und Periostreflexe an den oberen Extremitiiten some Bauchdeckenreflexc waren nicht auszul6scn. Patellar-, Achillessehncn- und Ful3sohlenreflexe ~varen recht lebhaft. Der Muskeltonus erschien vermehrt, sonst ergab die neurologische Untersuchung keinen bcmerkenswerten Befund. Alsbald nach der Aufnahme liel3en die choreati- schen Bcwegungen wohl infolge der durchgefiihrten Brom- und Arsenbehandhmg etwas nach. Es traten jedoch Angst- und Erregungszust/inde auf. Dic Kranke /s ihr Mann oder ihr Kind sei schwer krank, sie miisse deshalb rasch nach Hause. Me|st bestanden dabei auch Halluzinationen, die Kranke hOrte ihr Kind schreien und nach ihr rufen oder sah ihren Mann in der Zimmcrccke stehen. Das Sensorium war stark gctrfibt. Im allgemeinen traten diese Verwirrtheits- zustgnde bis kurz vor dem Exitus letalis recht h/iufig auf, zwischendurch machte die Kranke einen schlgfrigen aber sonst leidlich geordneten Eindruck. Am 12. V. nachmittags ging die K6rpertemperatur pl6tzlich auf 39 ~ in die H6he, um w/~hrcnd der Nacht noch weiter auf iibcr 40 ~ anzusteigen. Am Morgen des 13. V. kam es trotz Verabreichung von Analeptica zu cinem plOtzliehcn Hcrzko|laps mit Lungen6dem.

Die Sektion (Prof. Jakob) ergab keine makroskopiseh erkennbaren Ver- gnderungen am Zcntralnervensystem. Der Sch/~delinhalt betrug 1400 ccm, das Hirngewicht 1250 g. Am Herzen fanden sich mehrerc ctwa stceknadelkopfgroi3e, weiche, graur6tliche Auflagerungen auf den Tricuspidal-, Mitra|- und Aorten- klappen, besonders an den freien SchlieBungsr/indern. Die Aorta zeigte einige leicht erhabene Fettplaques. Das sehr blut- lind saftreiche Lungengewebe war frei yon irgendwelchcn herdf6rmigen Vergnderungen. Die Milz war nicht vergrS[tcrt, aber sehr blutreich und zeigte eine verwaschene Parenchymzeiehnung. Im tibrigen fanden sich be| der Scktion, abgesehen von den Zeichen cincr allgemeinen Stanung, keine fiir die Beurteihmg dieses Falles wesentlichen Befunde.

Die pathologisch-anatomische Diagnose l a u t e t e : Z e n t r M n e r v e n -

s y s t e m m a k r o s k o p i s c h o. B. E n d o c a r d i t i s ve r rucosa , S t a u u n g s o r g a n e .

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bei Endocarditis infectiosa bzw. septica mit cerebralcn StSrungen. 737

Die histologische Un te r suchung ergibt nur stellenweise eine ganz minimale bindegewebige Wucherung der Pia. In einigen gr6Beren Gef~tBen liegen reichlich polynucle/~re Leukocyten, die jedoch nicht in das perivascul~tre Gewebe vor- dringen. Degenerative oder progressive Ver/tnderungen an den Gef~lBen sind nicht nachzuweisen. An einigen Stellcn der Marksubstanz und der basalen Stamm- ganglien sin(t die kleinen Gef/iBe mit Lymphoeyten und wenigen polynuele/iren Leukocyten infiltriert. In der Rinde zeigcn sich in der Umgebung der Gef/ige zahl-

Abb. 1. VerOdungsherde in der Area triangularis (F~T v. Ec. u. K.) Vergr. 40 lath.

reiche kleine und vereinzelte grOIBere Herde, in denen die Ganglienzellen v611ig verschwunden sind. Schon bei schwaeher Vergr6Berung ist der geringe Zellgehalt und die scharfe Begrenzung der Herde auffallend (Abb. 1). Bei st~rkerer Ver- gr6Berung ist festzusteilen, dalB ein kleiner Tell der in diesen Herden gelegenen Zellen einen gr6Beren unregelm/~f~ig gestalteten Kern yon mittlerem Chromatin- gehalt und cinch sehwach gefiirbten Protoplasmasaum besitzt. Ob es sich um fascrbiidcnde oder protoplasmatische Elemente handelt, ist schwer zu entscheiden, d~ sich auch mit dcr Viktoriablauf5rbung keine Fasern darstellen lassen. Etwas zahlreicher als diese griifJcren Zellen finden sich ()ligodendroglia- und Hortega-

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zellen. Withrend die gr6Beren Zellen und die Oligodendrogliazellen einen un- verkennbar regressiv ver~nderten Eindruck machen, sind die Hortegazellen leicht gewuchert. Das zeigt sich besonders deutlich in den nach der Silberimpr~gnations- methode Hortegas hergestellten Pr~tparaten. Eine Neubildung mesenchymalen Gewebes kann auch mit Hilfe der van Gieson- und Achucarro-Methode nicht nachgewiesen werden. Abbaustoffe sind nicht festzustellen. Das nerv6se Grund- gewebe ist iiberall vollkommen intakt. Die strenge Abh/ingigkeit der Parenchym-

Abb. 2. Sehr zellarmer radi~r verlaufender VerSdungsherd in der Area front, agranul. (F~) v. Ec. u, K.). Au~erdem mehrere circum-

scripte kleine Ausfiille. Vergr. 80 fach.

erkrankung vom Gefi~13prozeB wird besonders eindrucksvoll demonstriert durch den in Abb. 2 dargestellten genau radi~ir verlaufenden Ver6dungsherd, welcher offensichtlich dem Versorgungsbezirk eines langen Rindengef/tfles entspricht. Das Gef~13 selbst ist auf der Abbildung nur im Bereich einer kurzen Strecke an der tiefsten Stelle des Herdes getroffcn. Auffallend ist der besonders geringe Zell- gehalt dieses Herdes, welcher nur wenige regressiv ver/inderte Oligodendroglia- zellen und vereinzelte protoplasmatische Elemente enth/ilt.

Neben diesen gr613eren Herdbildungen sind zahlreiche kleine Liicken, welche entweder circumscript, wie z. B. auf Abb. 2, oder infolge undeutlicher Begrenzung

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bei Endocardi t i s infectiosa bzw. septica mit cerebralen St6rungen. 7 3 9

und dichter regelloser Verteilung kontinuierlich zu mehr diffusen Rindenst6rungen iiberleiten. Solche diffus geschiidigten Rindengebiete zeigen etw~t einen Befund, wie wir ihn besonders ausgepr/igt in der riesenganglienzel|haltigen Area prae- centralis nachweisen k6nnen (Abb. 3). Die Ganglicnzellen sind diffus an Zahl verminder t und blaI3 gef/~rbt, die gesamte Rinde ist auBerdem yon fleckfSrmigen AusfMlen durchsetzt , so dal3 cinc deutliche Archi tcktur nicht mehr vorhanden ist. Die Ganglienzellen zeigcn eincn schwach und diffus blaugriin gef/irbten Kern

Abb. 8. Area giganto-i)yramidalis (F,~y v. E<'. u. K). Diffuse Zell- verarnmng, auBerdem herdf6rmige Ausf~lle. l~anglienzellen infolge nekrobiot. Degeneration besonders ill Lamina lII a schtecht gefiirbt.

Vergr. 80 fach.

mit einem deutlichen KernkSrperchcn. Nur die Kerne der st~irkcr gesch~idigten Zellen sind mehr oder weniger geschrumt)ft und yon einer undeutl ichen Kern- kapsel begrenzt. Der Protoplasmaleib ist verschm~lert, cbenfalls unscharf be- grenzt, trfigt keine Nissl-Strukturen mehr und zcigt einc vcrklumpte kSrnige Zeichnung. Die Zellforts~tze sind kaum noch zu erkennen. Es scheint sich somit um eine v o n d e r Peripherie aus fortschreitende Cytolyse (ter Ganglienzellen zu handeln, welche den nekrobiotischen Ganglienzcllver~nderungen A . J a k o b s z u -

zurcchnen sein diirfte. Auch die Gliazellcn sind degenerativ ver~ndert. Wir sehen

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ganz vornehmlich protoplasmatische Zellen mit mehr oder weniger ausgepr/igten Zeichen regressiver Ver/~nderung. Oligodendrogliazellen und St/ibchenzellen sind nur vereinzelt vorhanden. Relativ wenig gesch&digt sind die Betzschen Riesen- zellen. Sonst sind laminitre Unterschiede hinsichtlich der Intensit/~t der Ver- &nderungen nicht festzustellen.

Im Bereich der basalen Stammganglien treten, wie bcreits erw~hnt, die infiltrativen Ver~nderungen etwa'~ starker hervor. Besonders dicht mit Lympho- cyten infiltriert ist ein lateral vom Corpus mammillare aufsteigendes und in die Capsula interna einstrahlendes gr61~eres Gefal~, welches als Ast der Arteria thalamico-lenticularis aufzufassen sein diirfte. Auch das Ependym des Seiten- ventrikels tri~gt stellenweise einen feinen Belag yon Lymphoeyten, die in das darunter gelegene Parenehym eindringen. Das Striatum (Abb. 4) zeigt eine diffuse

Abb. 4. Putamen mit gesch/tdigten und all Zahl verringerten Ganglienzellen. Kleine Ver6dungsherde (vgl. mit Abb. 2 in A. Jakob.

Die extrapyramidalen :Erkrankungen).

Verminderung der kleinen Ganglienzellen, welche ebenso wic die Ganglienzellen in der Rinde alle Stadien der nekrobiotischen Degeneration erkennen lassen. Stellenweise sind im Striatum kleine VerOdnngsinseln entstanden. Die Glia ist hier ebenfalls regressiv ver/~ndert. GrSBere circumscripte herdf0rmige Ausf~ille, wie wir sie in der Rinde angetroffen haben, sind nirgends festzustellen. Im Palli- dum und im Thalamus sired die Ver/~nderungen weniger intensiv, ohne sich aber sonst yon den Ver~nderungen ira Striatum wesentlich zu unterscheiden.

Die histologische Untersuchung der iibrigen KSrperorgane ergibt lediglich am Herzen den typischen Befund einer /flteren verrukSsen Endocarditis mit abgeheilten Aschoffschen KnStchen. Alle fibrigen Organe sind frei yon irgend- welchen entzfindlichen oder degenerativcn Veri~nderungen. Mikroorganismen sind nirgends nachzuweisen.

Zusammenfassend l~il~t sich fiber diesen Fal l sagen: Die 23jhhrige Kranke , die offenbar schon li~ngere Zeit eine Endocardi t is verrucosa hat te , e rk rank t plStzlich an Chorea minor. Zu den allm~hlich zunehmen- den choreatischen BewegungsstSrungen gesellen sich Verwirrtheits-

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bei Endocarditis infectiosa bzw. septica mit cerebralen StSrungen. 741

zust~inde mi t Hal luz ina t ionen ~ingstlichen Inhal ts . l0 Wochen nach

dem Beginn der K r a n k h e i t k o m m t es zu einem Herzkol laps mi t plStz-

l ichem Exi tus letalis. Die Hi rnunte rsuchung ergibt circumscripte ge-

f~il~abh~ingige und diffuse Ver~inderungen, (tie sich dutch das Fehlen

einer mesenchymalen s o m e stiirkeren gliSscn Reak t ion auszeichncn.

l )eut l iche Entz i indungserscheinungen sind in diesen Herden nicht nach-

zuweisen. Wir haben es also offenbar mi t toxisch bedingten, allmi~hlich

en t s tandenen Pa renchymdegenera t ionen zu tun, wie sic bei den ver-

schiedensten K r a n k h e i t e n im Gehirn vorkommen. Daneben f inden

sich unabh~ingig yon den VerSdungsherden entzi indliche Inf i l t ra te ,

die abe t nur ganz vereinzel t die mesenchymalen Schranken iiber-

schr i t ten haben. Wahrscheinl ich handel t es sich hierbei um frischere

Reak t ionen auf dieselbe Schiidigung, welche auch die VerSdungsherde

bedingt hat .

Die Kra~ke~tffeschichte des 2. Falles besagt: Die 40jiihrigc Ehefrau E. R. machte am 20. IN. 1924 einen Abort dnreh und erkrankte anschlieBend an Sepsis. Anfang Novembtr zeigten sich psychisehe StSrungen. Die Kranke wurdt ver- wirrt und unruhig, glaubte, sie solle umgebracht werden. Am 14. XI. wurde sie in das hiesige Krankenhaus St. Gcorg eingeliefert, l)ort traten schwtre Erregnngs- zust/tnde auf, die Kranke schrie laut und schlug mit den Steckbrettern um sich. Sic halluzinierte, sah einen Doleh an der Wand hin ,rod herschweben und auf sich zukommen. Die kSrperliehe Untersuchung ergab einen m/iBigen Kr/~ftc- und Ern/ihrungszustand, An/~mie und Cyanose der Haut und Sehlcimhiiutt. Die linke Grcnze der Herzditmpfung lag dreifingerbreit auSerhalb der Mammillarlinie. Es t)estanden extrasystolische Unregtlm~Bigkeiten und ein lautes svstolisches Gt- ritusch. L'~ber den Lungen waren feinblasige Rasselger/tusche zu h6rcn. Dit Leber war vergr6ftert, der Leib oberhalb der Symphyse stark druckempfindlich. Es bestand sehmitrig-eitriger AusfluB aus dem Genitalc. Am folgenden Tag wurde (lie Krankc wegen ihres st6renden Verhaltens in die Staatskrankenanstalt Fried- richsberg verlegt. Hier war sit zun/ichst cinigermal~en besonnen und geordnet, sie zeigte Krankheitseinsieht, war orientiert und gab auf Fragen sachgem~iB Antwort. Die k6rperliche Untersuehung ergM~ keinc wesentliche ~'~nderung des am Tage zuvor im Krankcnhaus St. Georg festgestellten Befundes. Die Wasser- mannsche Reaktion im Blur war negativ. Die K6rpertemperatur 1)etrug 39 ~ Bald nach der Aufnahme wur(le die Kranke wieder sehr erregt und verwirrt, sic hallu- zinierte und sprach in einem fort ganz unzusammenh/~ngend: , , . . . nun kommt es da wiedcr ganz griin unten raus, erst babe ich geleuchtet und dann auf der Wage . . . ich bin noch hie im Krankenhaus gewesen. . , ich will ihnen sagen, wenn sie jetzt noeh einen FuB r i ihren . . , du Saumensch bleibst hicr, du kannst (leine FiiBe selber fressen. . , du t)ist wohl verr i ickt . . . Hilfe, H i l f e . . . alle die Verriickten haben sic ja verriickt gemacht, sie sollen mal sehen, sic altes Schwein, . . und ich will dir was sagen, dtl kannst dein Totenkltid stlbst anziehen. . , gestern morgtn ging so 'n kleiner Mann . . . nun ist das andere wieder weg, es war tin Ger/tusch... oh, das Teufelskind, yore einen En(le bis zum andercn betriigen sie einen, diest Pfuscherei. . . in unstrem Haus da wird gepfuscht, und da wird das Abschlagen yon K6pfen geh6rt." Aus einem am 17. XI. festgestellten k6rperlichen Befund hcbe ich hervor: starke Anitmie, ltichte 0deme an den unteren Extremi- t~ten. Sehr beschleunigte Herzaktion (Frequenz 175), Pulsfreqnenz 90, fehlende Patellarsehnenreflexe bei sonst normalem Reflexbefund. Am 18. XI. wurden in

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den Extremitaten leichte klonische Zuckungen festgestellt. AuBerdem bestanden in beiden Armen Parakinesen, es wurden rasche reibende und kratzende Be- wegungert ausgeffihrt, dabei wurden die H/inde in Pillendreherstellung gehalten. Die Kfrpertemperatur stieg auf 41 ~ ohne sich wieder zu senken. Die psychischen und stri/~ren Symptome blieben unver/indert bestehen bis zu dem am 20. XI. erfolgten Exitus letalis.

Die klinische Diagnose lau te te : Endocardi t is septica, Verwirrt-

he i t szus tand auf Grund organischer Hirnschadigung.

Aus dem Sektionsprotokoll (Prof. Jakob) fasse ieh folgende Befunde kurz zusammen: Das Zentralnervensystem ist frei von makroskopisch erkennbaren Ver/~nderungen. Hirngewicht 1300 g, Sch/~delkapazit~t 1400 ccm. Das Herz ist stark vergr66ert und sehr schlaff. Die Ventrikel sind dilatiert. Am freien Rande der Mitralklappen sitzen mehrere kleine warzen/~hnliche graurote Auflagerungen. Die Mitralklappen sind miteinander verwachsen und stark verkiirzt, so daI~ ihr freier Rand in einer geraden Linie verl~uft; das Myokard ist graubraunrot und matt. Die Milz ist nicht vergr613ert aber etwas derb. Auf der Schnittfl~che ist keine Zeichnung zu erkennen, die Pulpa ist abstreifbar und dunkelblaurot. Die Leber ist yon braungelber Farbe, die L~ppchenzeichnung tritt deutlich hervor. Sonst ergibt die Bauchsektion nichts Bemerkenswertes, insbesondere sind alle Organe frei von metastatischen Herden. Der Uterus ist von entsprechender GrSBe und sehr derb. Das Endometrium ist gewulstet, verdickt und schmierig belegt. Tuben, Parametrien und Beckengef/~I~e sind frei von irgendwelchen pathologisehen Ver/inderungen.

Die pathologisch-anatomische Diagnose laute te : Endocardi t i s mi- tralis septica, Herzhyper t rophie und Dila ta t ion, Leberverfe t tung, En-

dometr i t is septica.

Bei der histologischen Untersuchung zeigt sich an einigen scharf begrenzten Stellen eine leichte Verdickung der Pia info|ge entziindlicher Infiltration und Vermehrung der bindegewebigen Elemente. Das Infiltrat besteht fast ausschlieB- lich aus Lymphocyten mit kleinen dunklen, also regressiv veranderten Kernen. Nur vereinzelt sind auch polynucle/~re Leukocyten und Plasmazellen naehzuweisen. Die Gef/~6e sind sowohl in der Pia als auch in der Rinden- und Marksubstanz stark progressiv ver/~ndert. Schon bei schwacher VergrSBerung zeigt sich eine deutliche Vermehrung sowie stellenweise Gef/~6bfindel- und Schlingenbildung. Bei n/~herer Untersuehung sind auch feine Gef/iSspro$bildungen zu erkennen (Abb. 5). Die unregelm/~6ig angeordneten Endothelzellen enthalten gro6e helle Kerne und ein stark gef/irbtes Plasma. Einige Gef/~13e, und zwar vornehmlich diejenigen, die aus einem entzfindlich infiltrierten Abschnitt der Pia in die Rinde einstrahlen, sind mit regressiv ver/~nderten Lymphocyten und polynucle~iren Leukocyten an- gefiillt. Ganz vereinzelt finden sich auch Abr/iumzellen mit griinem, anseheinend eisenhaltigem Pigment. In der Marksubstanz ist die Anzahl der infiltrierten Gef/i6e geringer, w/~hrend die progressiven Ver/~nderungen ebenso intensiv sind wie in der Rinde.

Ia der Rinde finden sieh in der Umgebung yon Gef/~Ben wieder zahlreiche kleinere und grSf3ere Ver6dungsherde. Die grSl~eren Herde (Abb. 6) enthalten, abgesehen yon den z.T. leicht infiltrierten Gef/~Ben, ledighch Gliazellen, deren Zahl jedoeh geringer ist a|s an intakten Rindenstenen. Bei st/~rkerer VergrSBerung sind die weitaus meisten Gliazellen als Oligodendrogliazellen zu erkennen. Sie besitzen einen kleinen pyknotischen, sehr chromatinreichen Kern, d e r n u r yon einem minimalen 1)lasmasaum umgeben ist. Einige Kerne sind bereits karyorrhek-

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bei Endocarditis infectiosa bzw. septica mit eerebralen St0rungen. 743

tiseh in feine St/~ubehen zerfallen. Vereinzelt finden sieh auch St/~bchenzellen, die aber neben den Zeichen leimht progressiver Umwandlung aueh regressive Ver- /~nderungen erkennen lessen. Eine wesentliche Gliafaserbildung ist weder mit HiKe der Viktoriablauf/irbung yon Weigert noch durch Silberimpr/~gnations- methoden (Ca]al, Hortega) nachzuweisen. Nur wenige dieser Herde, wie etwa der in Abb. 5 dargestellte, sind gef/~Breicher als die iibrige Rinde. Wir sehen aber auch in diesen Herden (auf van GiGson- und Achucarro-Pr/~paraten) lediglieh eine

Abb. 5. {;ef~.gbiindel mit gewueherten und gequollenen tgndothel- und AdventitiMzellcn am Rande einerVerSdung in der Area front.

granltl. (F.~) von Ec. u. K.)

Vermehrung der kr/~ftigeren Elemente, wie sie etwa den Kapillaren entsprechen, dagegen kcine Neubildung mines feineren mcsenchymalen Faserwerks, wie w i r e s zumeist in Erweichungs- und Entztindungsherden im Verlauf der Organisation feststellen k6nnen. Die histologische Struktur der Randpartien ist die gleiGhe wig die des Zentrmns, der 0bergang in die intakte Rinde erfolgt ganz unmittelbar. Die dem Herd am n/ichsten gelegenen Ganglienzellen zeichnen sigh aus dutch eine vSllig normale Beschaffenheit. An der Glia der benaehbarten Hirngebiete, zumal der perivascul/~ren, sehen wir dagmgen leiehte regressive Ver/inderungen, insbesondere Kernentartungen.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 114. 49

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Von den gr6Beren Herden gibt es allm/~hliche (~berg~nge zu kleinen Lichtungen, die lediglich durch Ausfall weniger Zellen entstanden sind. Die kleineren dieser Herde, wie die auf Abb. 7 wiedergegebenen, stellen v611ig zelleere VerSdungen dar. Auch in der Umgebung sind keine bemerkenswerten Reaktionen nach- zuweisen. Die Lage der kleinen Herde in der Umgebung von Gef/iSen weist deut- lich auf die vascul~re Genese hin.

Hinsichtlich der Lokalisation ist festzustellen, dab das Frontalhirn (lie gr6Bte

Abb. 6. Gr613erer VerSdungsherd mit progressiv ver~tnderten (;e- fgl3en in der Area frontopollaris (FG v. E c . u. K . ) .

Anzahl von kleinen und gr6Beren Herden enthMt, dann folgen Temporal- lind Parietalhirn, w~thrend das Occipitalhirn sich am wenigsten gesch/~digt zeigt. Eine bcvorzugte Erkrankung bestimmter Laminae ist mit Sicherheit auszu- schlieBen.

Im Striatum sind die Gef~ge in gleicher Weise progressiv ver/tndert und stellen- weise infiltriert wie in der Rinde. Die perivasculi~re Glia ist leicht gewuchert. HerdfSrmige St6rungen sowie AusfMle einzelner Parenchymzellen sind jedoeh nirgends vorhanden. Selbst bei genauester Untersuchung der einzelnen Elemente sind morphologische Formver/tnderungen auszuschlieBen. Der Fettgehalt der

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bei Endocarditis infectiosa bzw. septica mit cerebralen St6rungen. 745

Ganglienzellen ist zwar etwas reichlich, hMt sich aber noch innerhalb physiologischer Grcnzen. Im Pallidum sowie in den fibrigen Kernen des Hirnstammes linden sich ebenfalls nur Ver~nderungen am Gcfit6apparat. Die Gef~e sind z.T. sehr stark erweitert. Das nerv6se Parenchym ist v611ig intakt. An einigen Stellen des Pallidums liegt reichlich Pseudokalk.

Zusammenfassend handclt cs sich auf Grund der Krankengeschichte und des anatomischen Befundes um einen Fall yon lymphogener

Abb. 7. Kleine VerSdungen und Gef~il~biindel in der Area front. agranul. (F,~ v. Ec. u. K.)

puerperaler Allgemeininfektion mit Streptokokken ohne Parametritis und Perimetritis. Etwa 6 Wochen nach dem Beginn der Krankheit treten psychische St6rungen auf, wclche charakterisiert sind durch ganz 'ghnlichc Symptome wie in Fall 1. Auf dem Boden einer alten Endo- carditis fibrosa entwickelt sich cine Endocarditis septica. Kurz vor dem Exitus treten striiire Symptome auf. Die Kranke stirbt an Herzinsuffi- zienz. Der histologische Befund ergibt neben einer Arteriitis der kleinen

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746 Fr. Brinkmann: tJber histologische Befunde im Zentralncrvensystem

Gef~i~e mi t s tel lenweiser schwacher In f i l t r a t ion in Rinde, Mark, P i a

und S t ammgang l i en grSl~ere und kle inere herdfSrmige StSrungen. Diese Herde zeigen eine deut l iche g e f ~ a b h ~ n g i g e Lage und sind scharf begrenzt . E a c h ihrer his tologischen S t r u k t u r s ind sie als VerSdungs- herde anzusehen. I m S t r i a t u m is t das P a r e n c h y m im wescnt l ichen in t ak t , obwohl der Gefa~prozel~ hier derselbe is t wie in den f ibrigen Hi rnabschn i t t en .

Im 3. Fall handelt es sich um eine 42j~hrige Frau (C. Sch.), welche am 3. ]II . 1926 aus dem hiesigen Krankenhaus Eppendorf in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg verlegt wurde. Aus der Krankengeschichte des Krankenhauses Eppendorf entnehme ich folgende Angaben: Pat. hat in friiheren Jahren Scharlach, Diphtherie und Pleuritis durchgemacht. Sie war verheiratet und hat eine lungen- kranke Tochter von 19 Jahren. Der Mann ist im Kriege gefallen. Seit dem 20. Lebensjahre leidet sie an starken Genitalblutungen und war deshalb jahrelang in ~rztlieher Behandlung. 1920 kam sie wegen Endometritis chron, und Descensus vaginae erstmalig ins Eppendorfer Krankenhaus, woselbst eine Curettage und Kolporrhaphia ant. vorgenommen wurde. In der Folgezeit verschlechterte sich ihr Allgemeinbefinden au[~erordentlich, auch traten Schwindelanf~ille und Kurz- luftigkeit bei kSrperlicher Anstrengung auf. Diese Beschwerden wurden auf eine Lungentuberkulose zuriickgefiihrt. Gelegentlich eines kfirzercn Aufenthaltes im Krankenhaus Eppendorf im Jahre 1923 wurden neben ihrem schlechten kSrper- lichen Allgemeinzustand und einem chronischen LungenprozeB alte Cervixrisse festgestellt, und deshalb eine Cervixoperation nach Emmet vorgenommen. Ende 1924 stellten sich heftigere SchwindelanfMle, Schmerzen in den Gliedern und in der Herzgegend, Beklemmungs- und Angstgeffihl ein. Wegen Zunahme dieser Beschwerden erfolgte im Februar 1925 wieder Aufnahme in Eppendorf. I)er damalige Untersuchungsbefund ergab eine starke An~mie (30% Hb. nach Sahli) und ein systolisches Geri~usch iiber der Herzspitze, dagegen kcine Ver~nderungen an den Lungen. Die An~mie wurde auf bestehende Menorrhagien zuriickgeffihrt, eine Herzaffcktion wurde damals nicht angenommen. In den folgenden Jahren war die Kranke noch mehrmals in klinischer Bchandlung. Die festgestellten Diagnosen lauten auf An~mie unklarer Genese, Neurasthenie, Pyodermie, Fluor vaginalis. Hervorgehoben wird, dag die Kranke immer einen psychisch labilen deprimierten Eindruek gemacht hat. Die letzte Aufnahme in Eppendorf erfolgte am 30. I. 1926. Bei der kSrperlichen Untersuchung wurde wieder ein systolisches Ger~usch fiber der Herzspitze nachgewiesen, der Bluthi~moglobingehalt betrug 35%. Bei Zielbewegungen der Finger und beim Knie-Hackenversuch zeigte sich ein starkes Intentionswackeln. Beim Prfifen des Rombergschen Zeichens trat deutliches Schwanken des KSrpers auf. Der Gang war ataktisch unsicher. Alle Sehnenreflexe waren sehr lebhaft, die oberen Bauchdeckenreflexe konnten nicht ausgelSst werden. Die Blur- und I,iquoruntersuchung ergab nach jeder Richtung hin negative Werte. Psychisch machte die Kranke zun~chst einen gleichm~i$ig ruhigen, etwas deprimierten Eindruck. Am 3. III . traten plStzlich HalIuzinationen mit Kngstlicher Unruhc auf, so dab die Kranke sofort nach Friedrichsberg ver- legt werden mugte. Bei der hiesigen Aufnahme war sic vollkommen verwirrt, blickte ~ngsthch im Zimmer umher, zupfte an ihren Kleidern und halhlzinierte. Sie sprach leise vor sich hin: , , O h . . . o h . . . hab ich vergessen. . , oh, mein Mann, mein Mann. Gott ne', nun l~uft e rda schon wieder rauf, mein Mann." Auf Fragen, ob sie ihren Mann gesehen babe, nickte sic mit dem Kopfe und antwortetc: ,,Oh, oh kOnnen sie sich doch denken, mein Mann, mein Mann." Die kSrpcrliche Unter-

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bei Endoearditis infectiosa bzw. septica mit eerebralen St6rungen. 747

suchung ergab dasselbe Resultat wie kurz vorher in Eppendorf. In den ersten 14 Tagen trat keine Anderung im Befinden der Kranken ein. Sic war im all- gemeinen recht unruhig, verwirrt und benommen, schrie oft laut auf. Allm/~hlich wurde sie etwas klarer, blieb aber offenbar infolge yon Halluzinationen immer noch recht /ingstlich und ~ul~erte zerfahrcnc Wahnideen. Wenige Tage vor dem Exitus letalis traten an Intensit/it zunehmemle Bewegungsst6rungen haupts/ich- lich in den oberen Extrcmiti~ten auf, wclche ganz der motorischcn Unruhe bei Chorea nfinor entsprachcn. Gleichzeitig entwickelte sich eine schwere Enteritis. Die Temperatur stieg auf 40 ~ an. Psychisch wurde die Kranke ruhiger und be- nommener. Eine am 27. IV. vorgenommene Lumbalpunktion ergab keinen patho- logischen Befund. Am 28. IV. kam es infolge Marasmus zum Exitus letalis.

Die klinische Diagnos~ laute te : Organische H i rne rk rankung mit

Betei l igung des Str ia tums. Encephal i t i s ?

Bei der Sekti<m (Prof. Jalcob) wurde im wesentlichen festgestellt: SchSdel- inhalt 1340 ecru, Hirngewicht 1220 g. Das Zentralnervensystem bietet nmkro- skopisch keinen pathologischen Befund. Die Schilddriise ist gleichmiiBig leicht vergr61]ert (Gewicht 65 g). Das Myokard ist sehr schlaff, dunkelbraunrot, matt und yon grauweiften Schwielen durchsetzt. An den Mitral- und Aortenklappen sowie an den Papillarmuskeln und den benaehbarten Wandabsehnitten finden sieh grauwei6e derbe Auflagerungen. Fiir Stenose der Ostien oder Insuffizienz des Klappenschlusses besteht kein Anhalt. Beide Lungenoberlappen sind lest mit der Brustwand verwachsen und von derhen, schieferfarbenen bis walnu6groBen Knoten durchsetzt. Die Milzkapsel ist prall gespannt, das Parenchym diffus dunkelgraurot gefhrbt. Die Nieren besitzen eine fein granulierte Ot)erflache, sind recht derb und nur schwer aus der fibr6sen Kapsel herauszul6sen. Die Leber ist etwas vergr6i~ert, von schlaff-teigiger Konsistenz und enthhlt viel Fett. ]m Darm liegen groBe Mengen yon Schleim und unverdauten Speiseresten. l)ie Mucosa ist aufgelockert und leicht ger6tet. Das Endometrium ist verdiekt und yon schmierig- eitrigem Exsudat durchsetzt. Das Cawml uteri und die Vagina enthalten eben- falls schmierig-eitrige Fliissigkeit.

Pathologisch- anatomische Diagnose : Endocardi t is fibrosa, Myo-

degeneratio cordis, S t ruma parenchymatosa , anthrakot ische Schwielen in beiden Lungenober lappen, Milzschwellung, Nephrocirrhosis arteriolo- sclerotica, Fet t leber , Enter i t is acuta, Endomet r i t i s chronica, Maras- mus universalis.

Bei der histologischen Untersuchung erkennen wir sofort wieder eine erheb- liche Proliferation der Pia mit stellenweiser lymphocyti~rer Infiltration. :Die kleinen Gef~fle treten infolge einer Vergr61~erung und Vermehrung der Endothel- und Adventitialzellen als dicke Str~ngc oder Biindel hervor, (lie stellenweise bis in die Marksubstanz hinein zu verfolgen sind. Die lymphoeyt~ire Infiltration ist im allgemeinen starker als in den beiden vorigen F~tllen. Im Lumen einiger gr61~erer Piagefitl]e, die z.T. machtig erweitert sind, liegen aueh Haufen polynucleSrer Leukocyten. Pia, Rinde und Mark enthalten recht viel Eisenpigment.

In den meisten Rindenabschnitten finden wir neben kleinen, mehr eireum- scripten Gewebsschiidigungen eine diffuse Verminderung der Ganglien- und (;lia- zellen. Im allgemeinen l~l]t sich feststellen, dab die Laminae I I I und V am sehwersten, dagegen die K6rnerschiehten am wenigsten betroffen sind. Dariit)er hinaus sind jedoch irgendwelche Gesetzmai~igkeiten im Sinne der Pathoklise C. und O. Vogts nicht festzustellen. Insbesondere ist eine stSrkere Vulnerabilit~it bestimmter Regionen oder Areae nieht naehzuweisen. Abb. 8 demonstriert einen

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748 Fr. Brinkmann: Uber histologische Befunde ira Zentralnervensystem

l~indenausschnitt aus der Regio frontal, granul., welche eine recht hochgradige diffuse Sch~digung darbietet. Wir erkennen sofort, dab die Lamina I I I besonders in der linken HMfte des Bildes nur noch wenige blaBgef~rbte Ganglienzellen enth~lt. Bei Untersuchung mit starken VergrSBerungen zeigen die Ganglienzellen alle Stadien nekrobiotischer Degeneration bis zu vSlligem Untergang, die jedoch abweichend yon unseren friiheren Ganglienzellbefunden mehr dem Bilde der yon A . J a k o b eingehend beschriebenen 5dematSsen Ver~nderung (Wasserver~tnderung Niss l8) entspricht. Die Zellen haben einen undeutlich abgegrenzten, eingezogenen

Abb. 8. Besonders in Lain. III diffus gesch~idigte Rinde. Regio front, granul. (F.O v. Ec. u. K.)

Kern und ein blasses von Liicken durchsetztes Plasma ohne feinere Strukturen, welches durch unregelmM~ig gestaltete Zwischenritume vom Kern getrennt ist. Die Forts~tze erscheinen abgeschmolzen, die ituBeren Konturen der Zelle infolge- dcssen rundlich. Pericelluliire Strukturen sind nicht sichtbar. Die Glia zeigt alle Stadien der regressiven Umwandhmg yon beginnender Kernwandhyperchromatose bis zu karyorrhektischem Zerfall. Progressive Ver~nderungen liegen nicht vor. ]m allgemeinen sind die K6rnerschichten viel besser erhalten als die Laminae III und V. Die feineren Veriinderungen an den einzelnen Parenchymelementen sind jedoch im Prinzip tiberall die g|eiehen. Es fMlt auf, dab das Parenchym gewisser-

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bei Endocarditis infeetiosa bzw. septica mit cerebralen St6rungen. 749

maBen durchsetzt ist von radi/ir gestellten S/~ulen oder pallisadenf6rmigen Lticken, die wir nicht mit den normalerweise in gewissen Rindenareae vorhandenen hellcn gadi/irstreifen, wie sie etw~ (lie ,,Orgelpfeifenformation" (v. Ec. u. K.) der Tem- poralrindc bedingcn, verwechseln. Es diirfte sich vielmehr um pathologische Bildungen handeln, welche mit der vascul/iren Genese (lcr Sch/~digung, /ihnlich wic im Fall 1 (Abb. 2) in Zusammenhang stehen. Die Grundsubstanz ist fiberall intakt gebliebcn, wie insbesondcrc (lie verhMtnismS.gig gut erhalten gebliebene Architektur, (lie Radienstelhmg der einzelnen Ganglienzcllen und (lie normale Rindenbreite beweisen, l)eutlich begrenztc gr6gere Vcr6dungstmrde finden sieh nur ganz vereinzelt.

Im Mark ist, wie bereits erw/~hnt, das Gefi~Bsystem in gleicher Wcise vcr/indert wie in der Pia und in der Rinde. Die Glia zeigt iiberall regressive Ver/inderungen, die innerhalb kleiner circumscripter, tells deutlieh perivasculfir gelegener Herde besonders intensiv sind. Hier findcn wir neben eincr Verringerung der Zellzahl massenhaft karyorrhektische Triimmer und griine Pigmentschollen.

Die basalcn Stammganglien zeigcn eine mchr diffuse Sch/~digung, welche im Striatum am deutlichsten, im Thalamus am wenigsten hervortritt. Hinsichtlich des histopathologischcn Charakters und der Intcnsititt dcr Ver/inderungen bcstehen keine Unterschiede gegeniibcr den Durchschnittsbefunden in dcr Rinde.

Eine histologisehe Untersuchung der iibrigen K6rperorganc war in diesenl Fall nicht mOglich.

Zusammenfassend haben wit es mi t einer Frau zu tun, welche durch verschiedene chronische Krankhei ten, insbesondere wohl auch durch eine Endocardit is , k6rperlich immer mehr herunte rkommt . Sic erkrankt recht pl6tzlich mit Halluzinationen, Verwirrtheit und ~ngstlicher Unruhe. Kurz vor dem Exi tus t re ten choreiforme Be- wegungsst6rungen auf. Die Kranke stirbt 2 Monate nach dem Beginn der psychischen StSrungen infolge yon Marasmus. Auf Grund des Sektionsprotokolles erseheint (tie Annahme bereehtigt, dab es sieh um eine Endoeardi t is verrueosa gehandelt hat, obwohl (ter histologisehe Naehweis nieht erbraeht werdcn konnte. Der Gehirnbefund unter- scheidet sieh yon den beiden erstcn Fiillen durch den mehr diffusen Charakter des Erkrankungsprozesses. Vereinzelt finden wir at)er aueh isolierte deutlieh I)egrenzte Ver6dungsherde. Offenbar handel t es sieh um vaseuliir bedingte St6rungen, worauf insbesondere der endarterii t i- sehe Gefiigprozeft hinweist. Die stellenweise vorhandenen entziind- lichen Veriinderungen gehen nicht parallel mit der Sehwere des Ent- ziindungsprozesses.

Unsere Beflmde zeigen, dab den bei ehronisehen infekti6sen bzw. septisehen Erkrankungen gelegentlieh auf t re tenden eerebralen St6- rungen organisehe Veriinderungen zugrunde liegen k6nnen. In den von uns untersuehten 3 Fiillen war jedesmal ein positiver Hirnbefund naeh- zuweisen. Neben endarteriitischen ae/iifiprozessen, die wir in 2 Fiillen feststellen konnten, fanden sieh herd/iirmige Parenchymschiidigungen, welehe eine deutliehe Abhiingigkeit vom Gefiil.~apparat erkennen lassen. 1)aneben fanden sieh abet aueh besonders im 3. Fall di[[use Ver-

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750 Fr. Brinkmann: l~ber histologische Befunde im Zentralnervensystem.

5dungsprozesse. Alle H i r n v e r ~ n d e r u n g e n s ind a n s c h e i n e n d a lhn~h l i ch

u n t e r d e m wen ig i n t e n s i v e n Einflul~ e iner ch ron i schen Schi~digung

z u s t a n d e g e k o m m e n . Ff i r e ine E i n s c h w e m m u n g v o n B a k t e r i e n in das

C e r e b r u m b e s t e h e n ke ine A n h a l t s p u n k t e , de r B e f u n d d e u t e t v i e l m e h r

ehe r d a r a u f hin, da~ wi r es m i t t o x i s c h b e d i n g t e n P rozes sen zu t u n

haben .

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