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Aus der Universit~its-Klinik ffir Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten zu Tfibingen. Ober Schufiverletzungen des Halses. Von Prof. Dr. W. Albrecht. Mit i Abbildung. Im Laufe der letzten Monate hatte ich folgende Ffille zu beobachten Gelegenheit : I. E. R. 25 J. Aufgenommen am 22. VIII. Der Patient wurde am x8. VIII. durch einen GewehrsclmB ver- wundet. Die Kugel drang links neben dem Ponmm Adami ein, lief parallel dem Schildknorpel und durchschlug den Sternoeleidomastoideus und den lateralen Teil der Nackenmuskulatur. Der Schildknorpel selbst wurde nicht verletzt, die groBen Get,Be waren nicht getroffen. Der Patient gibt an, seit der Verwundung heiser zu sein. An der linken Halsseite sieht man eine klaffende, breite, sagittal verlaufende Wunde, die bis auf den Schildknorpel reicht. ])as Kehlkopf- geriist ist nicht verletzt. Die Wunde ist nicht infiziert, war jedoch auf dem Verbandplatz tamponiert worden. Das Kehlkopfbild war folgendes: Das linke Taschenband ist geschwollen, zeigt etwas h6ekerige Oberfl~iche und macht den Eindruck eines derben Tumors. Auf der rechten Seite ist die Schleimhaut des Morgagnischen Ventrikels entziindet und infiltriert, sie iiberragt das Stimmband bis zu seiner Mitte. Die Hinter- wand zeigt eine h6ekerige, infiltratartige Sehwellung yon der Form eines Dreiecks. -- Bei der Phonation schliefien beide Aryknorpel genau in der Mitte, das linke Stimmband erscheint exkaviert. 28. VIII. Sehwellung des Morgagnischen Ventrikels nicht mehr zu erkennen, Sehwellung der Hinterwand geringer, Tasehenband un- ver~indert. 7. IX. Die Infiltrate sind verschwunden, doch blieb die Exkavation des linken Stimmbandes zuriiek. Der Patient spricht noch heiser. Die ~uBere Wunde granuliert gut. 2o. IX. Beide Stimmb~inder schlieBen exakt in der Mitte. Normales Kehlkopfbild. Die Wunde hat sich wesentlich verkleinert. -- Entlassen. 2. A.S. 3~ J. Leutnant d. R.

Über Schußverletzungen des Halses

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Aus der Universit~its-Klinik ffir Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten zu Tfibingen.

Ober Schufiverletzungen des Halses. V o n Prof. Dr. W. Albrecht .

Mit i Abbildung.

Im Laufe der letzten Monate hatte ich folgende Ffille zu beobachten Gelegenheit :

I. E. R. 25 J. Aufgenommen am 22. VIII . Der Patient wurde am x8. VIII. durch einen GewehrsclmB ver-

wundet. Die Kugel drang links neben dem Ponmm Adami ein, lief parallel dem Schildknorpel und durchschlug den Sternoeleidomastoideus und den lateralen Teil der Nackenmuskulatur. Der Schildknorpel selbst wurde nicht verletzt, die groBen Get,Be waren nicht getroffen. Der Patient gibt an, seit der Verwundung heiser zu sein.

An der linken Halsseite sieht man eine klaffende, breite, sagittal verlaufende Wunde, die bis auf den Schildknorpel reicht. ])as Kehlkopf- geriist ist nicht verletzt. Die Wunde ist nicht infiziert, war jedoch auf dem Verbandplatz tamponiert worden. Das Kehlkopfbild war folgendes: Das linke Taschenband ist geschwollen, zeigt etwas h6ekerige Oberfl~iche und macht den Eindruck eines derben Tumors. Auf der rechten Seite ist die Schleimhaut des Morgagn i schen Ventrikels entziindet und infiltriert, sie iiberragt das Stimmband bis zu seiner Mitte. Die Hinter- wand zeigt eine h6ekerige, infiltratartige Sehwellung yon der Form eines Dreiecks. - - Bei der Phonation schliefien beide Aryknorpel genau in der Mitte, das linke Stimmband erscheint exkaviert.

28. VIII. Sehwellung des Morgagn i schen Ventrikels nicht mehr zu erkennen, Sehwellung der Hinterwand geringer, Tasehenband un- ver~indert.

7. IX. Die Infiltrate sind verschwunden, doch blieb die Exkavation des linken Stimmbandes zuriiek. Der Patient spricht noch heiser. Die ~uBere Wunde granuliert gut.

2o. IX. Beide Stimmb~inder schlieBen exakt in der Mitte. Normales Kehlkopfbild. Die Wunde hat sich wesentlich verkleinert. - - Entlassen.

2. A . S . 3 ~ J. Leutnant d. R.

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Der Patient wurde am 31. VIII. durch einen GewehrschuB ver- wundet. Er hatte den Kopf etwas nach links gedreht, als die Kugel yon rechts kommend den Hals quer durchschlug. Nach der Verwundung war er am ganzen K6rper wie gel~hmt und nicht ims• mit den Armen oder Beinen die kleinste Bewegung auszufiihren. Nach etwa einer Viertelstunde kehrte jedoch die Beweglichkeit zuriick, zun~tchst in den Armen, nach kurzer Zeit auch in den Beinen. Er wurde zum Truppen- verbandplatz zuriickgebracht und dort verbunden. Am 5. September wurde er in der hiesigen chirurgischen Klinik aufgenommen.

Am 25. September wurde ich als Berater zugezogen. Der Patient gab an, seit der Verwundung schlecht schlucken zu k6nnen. Anf~inglich seien die Beschwerden geringer gewesen, doch haben sie sich im Laufe der Zeit zu schwerer Dysphagie gesteigert. Seit 8 Tagen k6nne er nur Fliissiges mit /vliihe genieBen.

EinschuB am hinteren Rande des rechten Kopfnickers, 3 Querfinger oberhalb der Clavikula, AusschuB in der Oegend des linken Unterkiefer- winkels. Ein- und AusschuB vernarbt. Keine Sensibilit/itsst6rungen an den Extremit{iten, aktive Beweglichkeit nicht behindert.

L a r y n g o s k o p i e : Beide Aryknorpel sind 6demat6s geschwollen und ragen beerenf6rmig in das Kehlkopflumen vor. Bei der Phonation keine Bewegungsst6rung. Atmung nicht behindert. - - Die hintere Pharynx- wand erscheint in der Oegend der Aryknorpel ger6tet und geschwollen.

Die 0 s o p h a g o s k o p i e wird versueht, doch hat der Patient beim Rtickw/irtsbeugen des Kopfes so starke Sehmerzen, dab sie nicht durch- gefiihrt werden kann. Dagegen gelingt die H y p o p h a r y n g o s k o p i e nach v. E i c k e n ohrm Schwierigkeiten. Man sieht die hintere Hypo- pharynxwand vorgew61bt, ger6tet und wal l gespannt. Die Vorw61bung setzt sich naeh dem Osophagusmund zu fort.

Temperatur abends 38, 9. Diagnose: AbsceB des Hypopharynx und 0sophagus. 26. IX. Die ftir heute angesetzte Incision wird unn6tig, da der

Eiter in der Nacht yon selbst durchbrach. Man sieht bei der Hypo- pharyngoskopie am Eingang zum 0sophagus - - dem h6chsten Punkt der Vorw61bung - - eine Fistel, aus der sich Eiter entleert. - - Der Patient wird in meine Klinik verlegt.

5. X. Der Patient kann ordentlich schlucken. Die Schwellung hat sich zur/ickgebildet. An der Umrandung der Fistel sind Granulationen zu sehen. Temperatur normal.

* 5. X. Kehlkopf o. ]3. Hinterwand des Hypopharynx nur wenig mehr geschwollen.

Hinter den Aryknorpeln ist eine etwa pfennigsttickgroBe granu- lierende Stelle zu sehen. Geringe Eitersekretion. Pinselung mit 5 ~o Arg: nitr. L6sung.

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7. XI. Der Patient kann pl6tzl{ch nicht mehr schlucken. Er klagt fiber stechende Schmerzen hinter dem Kehlkopf, die keine Schluckbe- wegung zulassen.

Die 0 s o p h a g o s k o p i e l~iBt sich ietzt, wenn auch unter Schwierig- keiten, durehfiihren. Das Rohr wird sehend eingefiihrt. Beim Eingehen in den 0sophagusmund sieht man ein spitzes Knochenstiick, das sieh in die rechte Wand eingespiegt hatte. Es lggt sich leicht mit der Zange fassen und extrahieren. Dabei zeigt sich, dal3 es sich um einen dorn- artigen Knochen yon etwa I cm Lgnge bandeR, d e r m i t einem zweiten kleineren Knochenstiick dutch ein Bindegewebsband verbunden ist.

Nach der Extraktion geht das Schlucken gut. 25. XI. Die Wunde granuliert noch, doch hat sic sich wesentlich

verkleinert. Io. XII. Der Patient fiihlt sieh wohl. Keine Schluckbeschwerden.

Doeh gibt er an, beim Gehen mitunter das Gefiihl zu haben, als ob ihm die Beine pl6tzlich den Dienst versagen. Er habe dabei das Empfinden, als ob die Beine wie gelShmt seien, speziell das rechte Bein k6nne nut mit Miihe bewegt werden. Nach einigen Sekunden seien jedoch die Erseheinungen stets wieder verschwunden. - - Obiektiv l~Bt sich keinc dcutliche St6rung naehweisen.

2o. I. Der Patient hat •ich bisher sehr wohl gefiihlt. Die St6rungen in den Beinen sind in letzter Zeit nicht mehr aufgetreten. Seit gestern hat er jedoch wieder Sehluckbesehwerden. Bei der Laryngoskopie l~tgt sich eine erneute Sehwellung der reehten Arygegend feststellen, die sigh naeh dem Sinus pyriformis zu fortsetzt. Die Wunde im Hypopharynx granuliert noch. Heifiluft, tgglich �89 Stunde. Ioo ~ C.

25. I. Die Besehwerden sind geringer. Objektiv keine Ver~inderung. 5- i i . Im rechten Sinus pyriformis hat die Schwellung zugenommen.

In der granulierenden Wunde sieht man ein Meines, spitzes Knochen- stiick liegen. Es wird versucht, es mit der Kehlkopfzange unter Leitung des Spiegels zu extrahieren, doch steckt es zu lest in den Oranulationen, und die Zange gleitet ab.

6. iI. Nach Kokainisieren des Kehldeekels wird dig granulierende Stelle im Hypopharynx im R6hrenspatel eingestellt und die Fistel stumpf erweitert. Mit der Krallenzange lgBt sich das Knoehenstfiek lest fassen und extrahieren. Es ist ein etwa kubiseh geformter K~ochen yon 3 cm L~tnge und 2 cm Dieke und Breite. An seiner medialen Fl~iehe ist er zylindrisch exkaViert, naeh lateral hat er einen spitzen Fortsatz. - - Es ist kein Zweifel, dab es sich um das Segment eines Halswirbels handelt.

7. II. Das R 6 n t g e n b i l d der Halswirbelsgule zeigt die Konturen des 6. Halswirbels verbreitert, die seitlichen Grenzen etwas verwasehen (Callusbildung). Zentral lggt sich ein Defekt yon etwa Zweimarkstfick- gr6Be erkennen (s. Abb. I).

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Der Patient fiihlt sich sehr wohl. Die Bewegung des Kopfes ist in keiner Weise behindert. Das Schlucken geht gut. Die Wunde hat sich verkleinert.

Iz. iI. Allgemeinbefinden ausgezeichnet. Der Patient wird ent- lassen mit dem Bescheid, sich zur Kontrolle einmal w6chentlich vorzu- stellen.

3. Ph. U. 2 5 J. Aufgenommenam I. X. 14. Am ~5. IX. platzte neben dem Patienten eine Granate und ver-

brannte seine rechte Hand. AuBerdem wurden Brust und Hals yon feinen Granatsplittern bestreut.

Bei der Aufnahme sieht die Haut der rech- ten Hand sehwarz ver- brannt, wie verkohlt aus. Es fehlt jegliehes Gefiihl fiir Bertihrung und Na- delstiche, Am Hals und tiber der Brust sieht man zahlreiehe schwarze Punkte als Residuen der Oranatstreuung.

Das Allgem( inbefin- den ist gut. Temperatur normal.

5. X. W~ihrend bis- her das Schlucken ohne jede Beschwerden ging, klagt heute der Patient dariiber, dab das Hinab- schlingen der Speisen Schwierigkeiten mache. Er babe das Gefiihl, als Abb. i. ob ibm bei jedem Bissen ,,die Kehle zugeschniirt wiirde". Fliissigkeiten k6nne er noeh besser schlucken als feste Speisen. Aueh tue ihm das Schlucken web.

6. X. Die Beschwerden sind dieselben, eher gesteigert. Die Beweg- liehkeit des Halses ist nicht behindert.

Das R 6 n t g e n b i l d zeigt einen bohnengrogen Granatsplitter vor dem 5. Halswirbelk6rper.

O s o p h a g o s k o p i e : Man sieht im Hypopharynx oberhalb der Aryknorpel eine umschriebene Vorw61bung der Hinterwand, die sich bei Beriihrung hart anfiihlt (Granatsplitter). Die Schleimhaut der Um- gebung erseheint etwas ger6tet. Das Rohr wird unter Gesichtskontrolle

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tiefer gefiihrt, doch ist es trotz griindlicher Kokainisierung des Larynx nicht m6glich, hinter die Aryknorpel zu kommen, da der Patient mit einem ausnahmsweise starken Wiirgreflex zu k/impfen hat. Nach sub- kutaner Injektion yon 2 Zentigramm Morphium ist es m6glich, das Rohr zum Ringknorpel vorzufiihren. Ein tieferes Eindringen wird durch den krampfhait verschlossenen 0sophagusmund unm6glich gemacht. Da ein peri6sophagealer AbsceB vermutet wird, w i rd dutch das Rohr hindurch die Schleimhaut der hinteren Hypopharynxwand punktiert, doch ohne Erfolg.

II . X. Seit 2 Tagen k6nnen auch fliissige Speisen nicht mehr ge- schluckt werden, so dab der Patient rektal ern~ihrt werden muB. Er klagt fiber Schmerzen im Hals. Der Kopf wird stark vorgestreckt und hyperextendiert gehalten, etwas nach rechts gedreht. Be ide K o p f - n i c k e r s ind k r a m p f h a f t g e s p a n n t . Temperatur abends 37,9.

Es wird ein tiefliegender AbsceB vermutet und der Patient zur Operation in die chirurgische Klinik verlegt.

12. X. Operation in Athernarkose. Einige Zeit nach Beginn der Narkose wird der Patient pl6tzlich

hochgradig cyanotisch und h6rt auf zu atmen. Die Trachea wird frei- gelegt, doch nicht er6ffnet, da mit der tiefen Narkose wieder normale Atmung eintritt.

Vom rechten vorderen Kopfnickerrand wird der retropharyngeale und retrotracheale Raum ohne Komplikationen freigelegt, der Splitter oberhalb des Speiser6hrenmundes gefunden und entfernt und der 0so- phagus bis zum 2. Trachealring bloBgelegt. Ein AbsceB wird nicht ge- funden. Drainage. Naht.

I3. X. Gegen Abend wird der Patient wieder pl6tzlich apnoisch. Er ringt nach Luft und wird blau im Gesicht. Die Atmung hat voll- kommen aufgeh6rt. Er6ffnung der Trachea. Die Atmung wird darauf normal. Aus der Trachea wird eitriges Sputum ausgehustet. Tempe- ratur 38, 9. Allgemeinzustand schlecht.

15. X. Der Patient ist benommen. Er phantasiert viel. Temperatur abends 39,5. Aus der Trachea kommt dicker Eiter.

I6. X. Der Patient ist moribund. 17 . X. Exitus. Auszug aus d e m Sektionsprotokoll: Zahlreiche gr613ere und kleinere SchuBverletzungen dutch Granat-

splitter. Verbrennung der rechten Hand. Vernarbte SchuBwunden der rechten seitlichen Pharynxwand und des linken Leberlappens. Leber- absceB in der N~ihe der LeberschuBnarbe. Endocarditis valvularis mitra- lis verrucosa recens. Schwere eitrige und eitrig fibrin6se Tracheobronchi- tis mit bronchopneumonischen Herden links unten.

Der lokale Befund war folgender:

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Der Wunde in der rechten Halsseite (Operationswunde) entspricht ein Narbenstreif in der Wand der reehten Pharynxh/ilfte, welcher nach innen in ein seichtes, im Verheilen begriffenes Geschwiir yon ~ qcm Umfang iibergeht.

Osophagus und Kehlkopf zeigen keine Ver/inderungen.

Bei dem e r s t e n d e r b e s c h r i e b e n e n F~ille erscheint die Art der reaktiven Schleimhautschwellung bemerkenswert. Das Kehlkopfgerfist selbst war nicht getroffen worden, und doch zeigte sich die Sehleimhaut erheblich ver~indert. Die Form der Schwellung war nicht, wie man er- warren sollte, die des Odems, sondern sie hatte ausgesprochen i n f i l t r a - r i v e n Charakter. Als ich den Kehlkopf zum erstenmal sah, hatte ich den Eindruck, eine Tuberkulose vor mir zu haben. Der Verlauf bewies die rein reaktive Entziindungsform. Die voriibergehende einseitige Internusparese ist wohl auf eine L~sion des M. cricothyreoideus ant. zuriickzufiihren.

Im z w e i t e n Fa l l handelte es sich um einen QuerschuB, wobei das GeschoB zwischen Aryknorpeln und Halswirbels~iule durchgeschlagen war und den 6. Halswirbelk6rper gestreift hatte. Trotzdem Ein- und AusschuB reaktionslos verheilte, entwickelte sich ein hypopharyngealer und peri6sophagealer AbsceB. Er Ifihrte zur Sequestierung der vorderen Platte des 6. Halswirbels. Einige Splitter wurden verschluckt und mul3ten 6sophagoskopisch entfernt werden. Der Rest des Sequesters wurde nach Erweiterung der Fistel auf direktem Wege extrahiert. Schwere St6rungen yon seiten des Riickenmarks waren auffallenderweise, obwohl der ganze vordere Tell des Wirbelk/Srpers bis an die Dura sich als sequestriert erwies, nut direkt nach der Verletzung aufgetreten. Der Patient ftihlte sich, als er den SchuB bekommen hatte, Itir etwa �88 Stunde am ganzen K6rper wie gel~ihmt. Sp/tter machte sich yon Zeit zu Zeit eine Schw/iehe in den Beinen bemerkbar, die sich im Laufe der Monate vollst/indig verlor.

Es verdient hervorgehoben zu werden, dab die Diagnose des hypo- pharyngealen Abscesses nur mit Hilfe d e r v . E i ckenschen Hypopha- ryngoskopie gestellt werden konnte.

Die Deutung des d r i t t e n F a l l e s macht Schwierigkeiten. Dcr Patient wurde am 25. September durch Granatstreuung am Hals ver- wundet. Er hat anfangs iiberhaupt keine Beschwerden, bis sich am 5. Oktober, also Io Tage nach der Verwundung, Schluckbeschwerden zeigen. Das Hindernis sitzt nach den Angaben des Patienten hinter dem Kehlkopf und hat krampfartigen Charakter. Anfangs k6nnen Fliissigkeiten noch geschluckt werden, nach 4 Tagen ist auch dies un- m6glich. Der Patient muB rektal ern/ihrt werden. Das R6ntgenbild zeigt einen Granatsplitter vor dem 5- Halswirbel. Die Osophagoskopie

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stellt einen krampfhaft geschlossenen Osophagusmund lest. Am II. Ok- tober, I6 Tage nach der Verwundung, sind auch die Kopfnicker krampf- artig kontrahiert. Die Fehldiagnose eines tiefliegenden Abscesses ver- anlaBt zur Operation yon auBen. Bei der Narkose tritt ein schwerer Glottiskrampf auf, der mit Beginn der tiefen Narkose aufhSrt, sich jedoch am niiehsten Tage ohne Ursache wiederholt und zur Tracheolomie fiihrt. Nach 4 Tagen geht der Patient an Pnemnonie zugrunde. Die Sektion stellt lest, dab die \u im Halse, die dutch den Granat- splitter verursacht war, nahezu verheilt isl und dab Kehlkopf und Oso- phagus kcinerlei Veriinderungen zeigen.

Nach dem klinischen Verlauf und dcm Ergebnis der Sektion diirfen wir wohl soviel als bewiesen ansehen, d a b s c h w e r e s p a s t i s c h e Vor - g~inge im O e b i e t de r H a l s m u ~ k e l n v o r l a g e n . Es handelte sich vor allcm - - und das ist fiir uns besonders wichtig .... mn cinch S p a s m u s des 0 s o p h a g u s m u n d e s , de r zu e i n e m t o t a l e n V e r s c h l u B de r Speiscr /Shre f i i h r t e u n d b i s z u m T o d e , a l so im g a n z e n I2 Tage , d a u e r t e . Neben dem 0sophagospasmus trat anfallsweise Stimmritzenkrampf auf, der die Er~Sffnung der Trachea verlangte. Auger- dem waren beide Kopfnicker krampihaft kontrahiert. Wit sind diese Spasmen zu erkliiren ?

Entziindliche Vorg~inge als Ursache sind mit Sicherheit auszu- schliel3en.

Eher lieBe sich daran denken, dab der Granatsplitter, der vor der Halswirbels~iute saB, dutch Druek auf den Plexus pharyngeus die Kr~impfe ausl6ste. Dem widerspricht aber die Tatsache, dab die Spasmen erst Io Tage nach der Verwundung auftraten. Es erscheint doch hSehst unwahrscheinlich, dab sich die Druckwirkung so spS~t erst ge~iuBert h~itte. Auch blicb der Krampf nach Entfernung des Fremdk/Srpers be- stehen. Vor allem aber l~igt sieh der Krampf der Kopfnicker durch diese Annahme nieht erklKren.

Ich glaube deshalb, dab wit nach einer anderen Ursache suchen miissen, und bei genauer Betrachtung des Falles bin ich mehr und mehr zu der l~berzeugung gekommen, dab wir eine beginnende T e t a n u s - i n t o x i k a t i o n vor uns haben. Es lassen sich dadurch s~imtliche Erschei- nungen zwanglos erkl~iren: der schwere Krampf des 0sophagusmundes, die Kontraktur der Kopfnicker und der Krampf der Glottisschliel3er. Es ist ja allerdings zuzugeben, dab die charakteristisehen Symptome des Tetanus - - Mundsperre und Krampf der Orbitalmuskeln ~ fehlten, allein es ist eine bekannte Tatsache, daf3 .die Infektion im B e g i n n h~ufig auf die Gegend der Verwundung lokalisiert bleibt. Es wiirde sich demnach in unserem Falle um eine noch lokale Infektion im Vagus- (Plexus pharyngeus) und Accessorius-Gebiet gehandelt haben.

Auch das Bild der wenigen in der L i t e r a t u r bekannten F~lle yon

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Halstetanus stimmt mit unseren Erscheinungen iiberein. Rose 1) hat 3 F~ille zusammengestellt, bei denen sich im Endstadium des Tetanus ein vollkommener Versehlul3 des Speiser6hrenmundes einstellte. Gleich- zeitig traten schwere Olottiskr/impfe auf, denen einer der Patienten er- legen ist.

Die vorliegenden 3 ]3etrachtungen yon Schugverletzungen des Halses sind in ihren Erscheinungen sehr verschiedenartig. Irgendwelche Regeln lassen sich daher aus ihnen nieht ableiten. Ihre Publikation erschien mir jedoch berechtigt, da die F/ille manehes Interessante bieten und unsere bisherigen Erfahrungen auf diesem Gebiet sehr gering sind. So sind, wie K 6 r n e r 2) vor kurzem mitteilte, im Jahre I87o[7x nut 43 Kehlkopfschiisse beobachtet worden. Und aueh die Beobachtungen aus dem Balkankrieg lieferten wenig Material. Es ist dies in der Gefahr der Italssehiisse begriindet, die dutch Verletzung der groBen Gef/il3e und des Riiekenmarks oder durch sekund/ir entstehendes Olottis6dem meist t6dlich wirken. Naeh der K6rnersehen Ver6ffentliehung seheint die letztgenannte Oefahr des Odems fiir das moderne InfanteriegeschoB allerdings weniger vorzuliegen, als man bei der Empfindlichkeit der Kehlkopfschleimhaut erwarten sollte.

1) Deutsche Chirurgie. e) Zei tschr i f t fiir Ohrenhei lkunde u. f. d. I ( rankh . der Luftwege, Bd. 72, I-I. I.