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Uber Schwerhiirigkeit fiir Sprache bei erhaltenem Tongehiir ~. Von ProL Max de Crinis. Mit 1 TexCabbfldung. (Eingegangen am 7. Oktober 1940.) Ein Patient bekam beim Bau eines Luftschutzkellers, Ms er auf der Leiter stand, plStzlich einen Schwindelanfall und Ohrenschmerzen. Spiiter trat auch Erbrechen auf. Er suchte einen Ohrenarzt auf, der am Trommelfell keine Vers fand, jedoch eine Faeialisl~hmung aller drei Aste feststellte. Das Schwindelgeffihl blieb drei Wochen lang bestehen, und zwar in solcher Stiirke, dal~ Bettruhe nStig war. W~hrend dieser Zeit wiederholte sich das Erbrechen noch mehrere 5~ale. Dann konnte er wieder aufstehen, klagte jedoch fiber qu~lendes 0hrensausen; auch kormte er ohne fremde ttilfe nieht gehen. Er wurde nun der •erven- klinik fiberwiesen. Pupille und Lidspalte waren rechts grSBer als llnl~s. In rechter, seitlicher Einstellung ziemlich grobschls Iqystagmus nach reehts, Facialis rechts nur noch eine Kleinigkeit schws als links, Cornealreflex rechts deutlich herabgesetzt, beim Zeigeversuch Vorbeizeigen mit dem rechten Arm nach rechts. Augenhintergrund ohne wesentliehe Vers Auf dem linken Ohre wird :Flfister- sprache fiber 5 m geh6rt, TongehSr links normal, Flfisterspraehe wird rechts bei einfaehem VerschluI~ des linken Ohres nur in tmmittelbarer Niihe der 0hrmuschel gehSrt. Jedoch gibt der Patient an, dal~ er bis zu einer Entfernung yon 5 m bei Verschlul3 des anderen Ohres das Ger~usch des Flfisterns einwandfrei wahrnehmen kSnne, ohne die Worte als solche zu verstehen. Er kann auf 4 m Gers die so leise wie die Fliistersprache gehalten sind, riehtig erkennen, z.B. Husten, ~iesen, an Metall klopfen, Pfeifen, Klappern der Schreibmaschine, Schlag ans Glas usw. TSne werden links im gleichen Umfange wie rechts wahr- genommen, sie kSnnen in TonhShe und Melodienfolge wiedergegeben werden. Bei diesem eigenartigen Befund war natiirlich eine genaue Vesti- bularispriifung angebraeht. Diese wurde in der 0hrenklinik vorgenom- men: Kalorische Reaktionen linkerseits normal ausl6sbar, dagegen auf dem reehten Ohr mit ~Vasser yon 170 vollkommen negativ. Bei Prfi- fung mit Eiswasser fanden sich links wieder normale Reaktionen, 1 Herrn Professor Zange zum 60. Geburtstag.

Über Schwerhörigkeit für Sprache bei erhaltenem Tongehör

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Uber Schwerhiirigkeit fiir Sprache bei erhaltenem Tongehiir ~.

Von ProL Max de Crinis.

Mit 1 TexCabbfldung.

(Eingegangen am 7. Oktober 1940.)

Ein Patient bekam beim Bau eines Luftschutzkellers, Ms er auf der Leiter stand, plStzlich einen Schwindelanfall und Ohrenschmerzen. Spiiter t rat auch Erbrechen auf. Er suchte einen Ohrenarzt auf, der am Trommelfell keine Vers fand, jedoch eine Faeialisl~hmung aller drei Aste feststellte. Das Schwindelgeffihl blieb drei Wochen lang bestehen, und zwar in solcher Stiirke, dal~ Bettruhe nStig war. W~hrend dieser Zeit wiederholte sich das Erbrechen noch mehrere 5~ale. Dann konnte er wieder aufstehen, klagte jedoch fiber qu~lendes 0hrensausen; auch kormte er ohne fremde ttilfe nieht gehen. Er wurde nun der •erven- klinik fiberwiesen. Pupille und Lidspalte waren rechts grSBer als llnl~s. In rechter, seitlicher Einstellung ziemlich grobschls Iqystagmus nach reehts, Facialis rechts nur noch eine Kleinigkeit schws als links, Cornealreflex rechts deutlich herabgesetzt, beim Zeigeversuch Vorbeizeigen mit dem rechten Arm nach rechts. Augenhintergrund ohne wesentliehe Vers Auf dem linken Ohre wird :Flfister- sprache fiber 5 m geh6rt, TongehSr links normal, Flfisterspraehe wird rechts bei einfaehem VerschluI~ des linken Ohres nur in tmmittelbarer Niihe der 0hrmuschel gehSrt. Jedoch gibt der Patient an, dal~ er bis zu einer Entfernung yon 5 m bei Verschlul3 des anderen Ohres das Ger~usch des Flfisterns einwandfrei wahrnehmen kSnne, ohne die Worte als solche zu verstehen. Er kann auf 4 m Gers die so leise wie die Fliistersprache gehalten sind, riehtig erkennen, z .B. Husten, ~iesen, an Metall klopfen, Pfeifen, Klappern der Schreibmaschine, Schlag ans Glas usw. TSne werden links im gleichen Umfange wie rechts wahr- genommen, sie kSnnen in TonhShe und Melodienfolge wiedergegeben werden.

Bei diesem eigenartigen Befund war natiirlich eine genaue Vesti- bularispriifung angebraeht. Diese wurde in der 0hrenklinik vorgenom- men: Kalorische Reaktionen linkerseits normal ausl6sbar, dagegen auf dem reehten Ohr mit ~Vasser yon 170 vollkommen negativ. Bei Prfi- fung mit Eiswasser fanden sich links wieder normale Reaktionen,

1 Herrn Professor Zange zum 60. Geburtstag.

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dagegen traten rechts erst nach 45 Sek. einige fragliche nystagmische Zuckungen nach links auf. Praktiseh muB also reehtcrseits eine Un- erregbarkeit angenommen werden.

Im Liquor hatte sich bei der Aufnahme eine starke Vermehrung der Rundzellen gefunden, sie bestand auch noch 3 Woohen sparer, und ging dann allm~hlioh zurfick. Die RSntgenaufnahme hatte keine Seitendifferenz der beiden Pori interni ergeben. Bei einer sp/~teren Nachuntersuchung auf der Ohrenklinik ergab sich, dab der rechte Vesti- bularis kalorisch unerregbar geblieben war.

Epikrise: Es handelt sieh um einen eigenartigen Symptomen- komplex, der in bezug auf das Ohr yon Giittich 1 4mal beobachtet wurde: vestibul~ire Ausschaltung bei Schwerh6rigkeit ]iir Sprache bei Erhaltung des Tongeh6rs. Nach dem Liquorbefund mug es sich um eine entztindliche Erkraxtkung gehandelt haben. Es dfirfte also eine Meningoencephalitis bestanden haben. Die Facialisparese sowie die Herabsetztmg des Cornealreflexes waren in wenigen Woehen ver- sehwunden, dagegen hatte sieh der Ohrbefund nicht gefiaadert. Es ist deshalb wohl anzunehmen, dab die Sch/idigung vom Vestibularis und Coehlearis dureh einen entzfindlichen Herd unmittelbar ausgel6st ist, dab dagegen die vorfibergehenden St6rungen im Gebiet vom Trigeminus und yore Facialis als Folgen der Begleitmeningitis an- zusprechen gewesen sind. Unter dan yon Giittich mitgeteflten F~tllen war auch einer, bei dem eine entzfindliche Erkrankung vorgelegen hat. Zwei seiner anderen Kranken hatten ein Trauma erlitten, der letzte war wegen eines Hirntumors zur tleobachtung auf der Nerven- klinik.

Im a]lgemeinen wurde bisher die ~einung vertreten, dab ,,zentrale" SchwerhSrigkeit durch L/~sion h6herer Cochlearisbahnen und -zentren dann wahrscheinlich ist, wenn die SchwerhSrigkeit auf beiden Seiten, aber ungleieh empfunden wird, oder werm eine Schwerh6rigkeit auf beiden Seiten setmell fortschreitet, vorausgesetzt, dab eine Mittelohr- und Innenohrerkrankung auszuschlieBen ist. Es war auch bekannt, dab die Sprache fiber das nach dem TongehSr zu erwartende lVIaB hinaus bei zentraler Schwerh6rigkeit schlecht verstanden wird. Das eigen- artige Bild der Schwerh6rigkeit ffir Sprache bei gut erhaltenem Ton- gehSr nur au/einer Seite ist jedoch erst yon Giittich beobaehtet worden. Die anatomisehen Verh~ltnisse, welche dieser St6rung zugrunde liegen, sind allerdings noch nicht vollkommen gekl~rt. Die Abb. 1 zeigt im Schema, dab die Cochlearisbahnen gekreuzt und ungekreuzt verlaufen, mad erm6glicht eine Erkl/irung des besehriebenen Symptoms. Liegt niimlieh die St6rung bei 1. vor, so ist es verst/~ndlich, dab Ton- und Sprachgeh6r in gleiehem 2~Ial~e geseh/~digt ist. Liegt die St6rung bei

GiBttich: Arch. Ohr- usw. Heilkunde 147, 250 (1940).

Uber SchwerhUrigkeit fiir Sprache bei erhaltenem TongehSr. 1~5

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Abb. 1.

2. vor, so sind nur die gekreuzten Bahnen getroffen, u n d e s werden Eindrticke der Schnecke auf ungekreuztem Wege zentral geleitet. Es ist mSg]ich, dal~ die Tonempfindungen auf den gekreuzten und

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ungekreuzten Bahnen weitergeleitet werden, und es wfirde duher eine StSrung bei 2. das TongehSr nicht sehs

Dasselbe grit yon einer Sch~digung im Corpus genicul~tum und den hinteren zwei Hfigeln. Ein Herd in diesen Gebieten bei 3. kSnnte somit ebenfalls nur das Sprachgeh6r, abet nieht das TongehSr schs Da bei den Fs yon Gi~ttich und aueh in unserem Falle eine Unerreg- barkeit des Vestibularis bei k~lorisehen Reaktionen einseitig nachzu- weisen war, ist die Annahme berechtigt, dab es sich um einen Mittel- hirnprozel3 encephalitischer Art handeLu diirfte, durch welehen nieht nur hShere Coehle~risbahnen, sondern aueh Vestibularisbahnen (hinteres L~ngsbfindel) betroffen sind.

Das yon Giittich erstmalig beschriebene Symptomenbild, bestehend in Schwerh6rlgkeit fi~r S~orache bei gut erhaltenem Tongehgr mit Ausschaltung der lcalorischen Realction, kann daher als ein Mittelhirn~ymptom ange- st~rochen werden.