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Über spontane Blutungen aus den Gaumenmandeln

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Page 1: Über spontane Blutungen aus den Gaumenmandeln

(Aus der Universit~itsklinik far 0hren-lNTasen-Halskr~nkheiten in Greifsw~ld [Direktor: Prof. Dr. Linck].)

Uber spontane Blutungen aus den Gaumenmandeln. Von

A. Linck, Greifswald.

Mit 4 Text~bbildungen.

(Eingegangen am 13. Juni 1988.)

Einleitung. Wenn man yon spontanen Gaumenmandelblutungen spricht, so kann

man nur solehe Blutungen meinen, we]che in den Gaumenmandeln selbst ihren Ursprung nehmen und ohne jedes yon au~en kommende artefizielle Moment ents tehen. Daz~ gehSren~ also nicht die zahlreiehen Blutungen im Gaumenmandelgebiet, ~velche aus dem: arteriellen Ton- sillenhin~rgrund, der Carot/is und ihren Asten entspringen und durch fortschreitende eitrige Phlegmonen nnd Abseesse verursacht werden. Denn sic sind weder Gaumenmandelblutungen, noch sind sic spontan. Sic sind vielmehr paratonsill~re Arrosionsblutungen, welche in der Regel auch gar nicht einmal durch die Gaumenmandeln selbst, sondern dutch den weiehen Gaumen oder noch tiefer aus den l~achen- weichteilen ihren Weg nach aui~en nehmen. Selbst wenn dabei gelegent- lich das ]~lut dutch die betreffenden Gaumenmandeln durchbricht, so bedeutet das ebensowenig eine Gaumenmandelblutung wie es eine Kehlkopfblutung bedeutet, wenn das Arrosionsaneurysma in den Sinus piriformis hinein durchbrieht. Und spontan sind die Blutungen racist deshalb nicht, weft fast immer ein artefizielles Moment, namlieh eine chirurgisehe Vorbehandlung mitte]s Incision, eine mehr oder weniger mittelbare ausl6sende oder unterstiitzende und vorbereitende Rolle spielt.

Literatur. Gaumenmandelblutungen, welche spontan auftreten und wirklieh

nur yon den Gaumenmandeln selbst herriihren, sind offenbar, wenn man yon den a l lgemein konstitutionell bedingten Blutungen bei Pm:pura absieht, au~e~ordeatlich selten. Bishcr finder sich nur ein Fall in der Literatur, den Z6Ilner 1 vor kurzem in diesem Archly ver6ffentlicht hat.

Es handelte sich um einen 8j~hrigen Jungen, bei dem gewissermal]en aus heiler Haut eine bedrohliche Blutung auftrat, welche man zuerst mi~ Riicksicht auf eine Traumaanamnese far eine inhere Blutung aus dem Magen hiclt, bis es sich dann zeigte, da$ das Blut aus der oberen Bucht der rechten Gaumenm~ndel herausquoll. Die Armahme, da$ in der Tiefe der Gaumenmandeln Bin Entzfindungsherd steeken masse, der zur Er6ffnung eines grSl~eren Gefi~Bes in Parenchym gefiihrt habe, wurde

ZSllner: Arch. Ohrenheilk. 144, tL 1/2.

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dureh das E1gebnis der histologisehen Untersuehung bestgtigt. Es fanden sieh ngm- lieh abnorm erweiterte GefgBe im Mandelparenehym, in deren eines ein laeun~rer Entztindungsherd nach ambulant verlaufener Angina durehgebroehen war. Die Tonsillektoraie braehte sofortige Heilung.

Eigener Fall.

Ich biix nun in der Lage, diesem Fal l einen zweiten hinzuzuffigen, den ieh vor einigen J a h r e n an der Greifsw&lder Klirrik beobachtete, und der in seiner Ar t fiir mich ein i~hnliches tiberraschendes Novum war, wie der

Jenaer Fal l ffir die dort igen Beobachter .

Klinischer Verlauf.

Ein 18j/~hriges M/~dchen, Fraulein P., hatte einen Scharlaeh durchgemacht. Die Xrankheit war ohne Komplikation verl&ufen. Die Scharlachangina war nicht schwerer und ausgedehnter, als sie sonst bei Scharlach beobachtet zu werden pflegt, und nach ihrer Abheilung war/~uBerlich an den Tonsillen nichts mehr yon krank- haften Befunden beobachtet worden. Um so iiberraschender war der Umstand, dab die Patientin in der Rekonvaleszenz anfing Blut zu spucken. Die Bhtung h6rte nicht auf, sondern nahm allm/~hlich in wenigen Tagcn bedrohliche Formen an, so dab die Patientin schlieBlich in starkausgeblutetem an/~mischen Zustande der Klinik fiberwiesen wurde. Es sollten Ursache und Ursprung der Blutung festgestellt und dementsprechend sine Therapie vorgenommen werden.

Bei der Untersuchung Iand sich aul3er den Anzeichen eines starken Blutverlustes bei der allgemeinenUntersuchungniehts Abweichendes. Insbesondere war niehts yon Purpurafleeken an den Haut- und Schleimhautoberfl/~chen festzustellen. W/~hrend tier Untersnehung mul3~e die Patientin immer wieder Klumpen Blut ausspueken, und kurz vor der Einlieferung hatte sie wieder einen Haufen Blut erbroehen. Die Gesamtlage sah reeht bedrohlich aus.

Die Sehleimhgute im Raehen waren blaB. Aueh die Gaumenmandeln waren anamiseh. Von beiden Seiten sah man aus den Krypten rotes Blur hervorsiekem. Bald tiberwog die Blutung auf der einen Seite, bald auf der anderen Seite. Es war aber kein Zweifel, dab in den Gaumenmandeln der Ursprung der Blutung zu sehen war, und dab beide Gaumenmandeln an der Blutung beteiligt waren. Das para- tonsillgre Gewebe war beiderseits weieh, eindrfiekbar, niehts yon l~esistenz oder yon phlegmon6serVer/inderung. Aueh die region/iren Driisen zeigten keine Sehwellung und Sehmerzhaftigkeit. Von einer Wunde neben den Gaumenmandeln war niehts zu sehen, entspreehend der Anamnese, dab kein Eingriff vorausgegangen war.

Nine Erkl~rung, warum die Ganmenmandeln bluteten, konnte ldinisch nieht gegeben werden. Das hinderte nieht, dab sofort die Therapie mit doppelseitiger Ton- sillektomie ausgeffihrt wurde. Die Operation ging glatt vonstatten and hatte den gewfinsehten Erfolg. Die Blutnng stand soforg und endgifltig. Die Patientin erholte sieh sehr schnell und konnte sehon naeh 10 Tagen geheilt entlassen werden.

Anatomische Befunde. Ma]cros/copisch zeigten die Gaumcnmandeln auf dem Durchschni~t

in den K r y p t e n zahlreiehe Blu tungspunkte und -streifen.

Mikroskopisch f iel in den verschiedenen Bezirken des lacur~ren Systems, zum~l nach tier Oberfl~che zu, eine starke Versorgung mi t t l lu t - gefi~13en auf (Abb. 1). Daneben fanden sieh ausged.ehn~e entzi indhche

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Nekrosen und Epithelverluste der Kryptenwandungen bis in die blut- reichen subepitheliMen Schichten des Parenchyms hinein. In diesen schattenhaft gefi~rbten Gewebspartien hoben sich die zahlreichen blut- gefiillten Gefiig- Querschnitte deutlich ab (Abb. 2 u. 3.) In der Lichtung der Krypten sah man neben den Anh~ufungen von Leukozyten und Epithel- triimmern zusammengeballte Blutm~ssen und reichlich grampositive

Abb. 1. Erwe i t e r t e Gefh~e im subepithel ialen R a u m des Parenehyms .

Bakterien, besonders Kettenkokken. Letztere fanden sich auch in den schattenhaft gefgrbten Gewebspartien der Kryptenwandung (Abb. 4).

SchluSfolgerungen. Nach diesen Feststellungen liegen sich die Zusammenh~nge, die zur

Gaumenmandelblutung gefiihrt h~tten, folgendermaBen erkl~ren: Dutch die besonders starke Entwicklung der Blutgef~fle im subepithelialen Kryptengebiet wurdert die Voranssetzungen fiir die Blutungsbereitschaft gegeben. Es ist aber wohl nieht anzunehmen, dag eine solehe ungew6hn- liehe Versorgung mit Blutgefi~Ben in den Gaumenmandeln yon vorn-

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herein dutch die anatomische Anlage und Ent~deklung zustande ge- kommen ist. Vielmehr d/irfte es so sein, dab dutch wiederholte Entziin- dungsattacken und infolge mangelhafter gfiekbildung der entztindlichen Ansehoppung das kavern6se Gefi~13gefleeht in Form von Teleangi- ektasien zu einem bleibenden Bestand wurde und somit ein entztind- liches Residuum darstellt. Du~'ch die infektiSs-toxischen Sch/~digungen

Abb. 2. Krys ten-Nekrose bis auf Gef~t/3e nach Scharlach.

in den Kryptenwandungen w~hrend des Scharlaehs wurde dann das Kapillargebiet mit in den I~'ankheigsprozel~ einbezogen. Der unmittel- bare Anlal~ zu den Blutungen ergab sieh aus den GewebsabstoBungen im Reinigungs- und tteilungsprozeB. Jedenfalls seheint es mir hiernaeh bereehtigt zu sein, daft man nach den yon Zgl~ner und mir gemachten Fest- 8tellungen die spontanen Gaumenmandelblutunge~, nunmehr zu den Sym- ptomen rechnet, dutch welche sich eiue chrouische Tonsitlopathie klinisch zu duflern vermag.

Bei dieser Beobachtung und Deutung im vorliegenden Fall wird die t'rage nahegelegt, warum nicht h~ufiger bei Scharlach und sons~igen

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tiefgreifenden nekrotisierenden Tonsil.litiden im Heilungsverlauf infolge BloBlegung yon Kapfllaren im subepithelialen Kryptenraum Blutungen zust~nde kommen. Diese Frage kann sehr einfach dahin beantwortet wel-den, dal~ in der Regel (tie AbstoBung und t~einigung der mehr oder weniger ausgedehnten Kryptengeschwtire so langsam und geweblich vor- bereitet vor sich gehen, dab mit der BloBlegung der Gef~Be auch ihr selbst-

A b b . 3. S p o n t a n e P a r e u c h y m b l u t ~ m g aus b e i d e n Tons i l l en ~nfol~e Nekrose n a c h Scha r l~ch . S e h w a c h e VergrSl~erung. N e k r o t J s i e r e n d e r T i e f e n e i n b r u c h ins Gewebe. Blutgef i i l l te

K a p i l l a r e n i m n e k r o t i s c h e n Bez i rk .

t~tiger VerschluB eintritt. Es ist j~ auch sonst bei GewebsabstoBungen in einem Geschwiirsgrund die I~ege], dab es nicht spontan zu grSgeren Blutungen kommt und diese nur uusnahmsweise auftreten.

Immerhin ist dies so ~uBerst seltene Vorkommen spontaner Gaumen- mandelbhtungen auffallend. Vie]leicht sind sie aber in Wirklichkeit aucb gar nicht so selten, wie es augenblicklich den Anschein hat. Es ist ja immer so, dab yon dem Augenblick an, wo ,,neue" Vorkommnisse in der medizini- sohen Kasuistik beobachtet und ver6ffentlicht werden, sich plStzlich herausstellt, dab auch sonst schon ~hnliches beobachtet wurde, un4 dab

10"

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sich dann die Literatur in ungeahnter Weise vermehrt. So habe ich den eben geschilderten Fall bereits lange vor der ZSlluesschen Vertiffentlichung erlebt. Ich habe ihn einmal auch schon beili~ufig in einer Diskussion 1 erwi~hnt. Zu ihrer Ver6ffentlichung wurde ich aber erst angeregt dm'ch die eben erw~hnte Arbeig yon ZSllnes aus des Jenaer Klinik. Wir werden ja sehen, ob sich nich~ jetzt nach diesen beiden Verfffentlichungen in absehbarer Zeit noch weitere F/~ile finden werden. 1Vf6glicherweise sind

A b b . 4. S p o n t a n e Parenchymblutung aus be iden Tonsi l len info lge Nekrose nach S c h a r l a c h . S t a r k e VergrSBel~ng. B a k t e r i e n s c h w l t r m e i m n e k r o t i s c h e n H e r d , S t r e p t o k o k k e n in

l~e inkul tu r .

i~hnliche Fiflle bisher, wie die meisten komplizierten Gaumenmandel- entziindungen tiberhaupt, getarnt odes nicht getarnt, in internen Khniken und Krankenhi~usern verborgen geblieben,

Was die Therapie solcher Gaumenmandelblutungen anbelangt, so gilt ftir sie heute genau dasselbe, was aueh ffir die artefiziellen Gaumenmandel- blutungen gefordert werden mul~, welche nach Tonsillotomie bzw. nach AbsceB-Incisionen auftreten. Wer heute noeh bei solchen Blutungen im Gaumenmwndelgebiet dtzt odes Klemmen anlegt und liegenla'flt, bis die Blutung steht, odes Tampons zus Stillung des Blutung hineinstop/t odes hineinndiht, an dem 8ind die Segnungen des Tonsillektomie spurlo~ vori~ber-

1 Hamburg 1932. Tagung nieders/~chsischer I-Ials-Nasen-Ohreniirzte. In der Diskussion zu Vortrag Tonndor// fiber spontane G~umenmuadelblutungen.

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gegangen, zu denen auch die M6glichkeit einer 8chnellen und gIatten und end- giiltigen Beherrschung yon Blutungen geh6rt. Auch die Anwendung einer Bluttransiusion diirfte sich erfibrigen. Es sei denn, da~ der vorangegangene starke Blutverlust zu einer Blutergi~nzung vor oder nach der Operation Veranlassung gibt.

Entsprechend der Entwicklung in der modernen Therapie unseres Fachs mul~ also die Forderung lauten, dal~ jede Form yon Gaumenmandel- blutung, aueh die artefizielle, die strikte Anzeige zur Tonsillektomie abgeben mul~. Der therapeutische Erfolg wird stets befriedigen, und der Verlust der Gaumenmandeln bedeutet ftir das betreffende individuum, nachdem durch d~s Auftreten der Blutung eine Unzul~nglichkeit des Heiiungsver]aufes manifest geworden is~, keinen Schaden, sondern einen Gewinn. A]lerdings wird es sich emp~ehlen, auch dann, wenn die Blutung nut aus einer Gaumenmandel erfolgt, gleichzeitig die Tonsillektomie auf der and_eren Seite vorzunehmen. In unserem Falle ergab sich diese erweiterte Mal~n~hme schon aus der doppelseitigen Blutung.