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Arch. exper. Path. u. Pharmakol., Bd. 228, S. 501--512 (1956) Aus dem PathologischenInstitut der Universit~t Greifswald (Direktor: Prof. Dr. reed. HOLLE) Uber ¥er~/nderungen der Wasserstoffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere nach Arterienligatur Von G. HOLLE und CHIt. MULLER M.it 2 Textabbildungen (Ein~egangen am 28. Januar 1956) Berichte fiber histologisehe oder biochemische Nierenver~nderungen nach lokalen oder allgemeinen Sch~digungen der verschiedensten Art finden sich sowohl im ~lteren (LITTEN, B~ODERSE~) als auch im neusten Schrifttum (KETTLER,HOI~LEund Mitarbeiter). Sie haben entweder das Ziel, die Art des Gewebesschadens bei der Entstehung des an~mischen Infarktes aufzukl~ren (LITTEN, BORGER) oder sie bemfihen sich um die gestaltliche AbgrerLzung anabiotiseher yon katabiotischen oder kada- verSsen Ver~nderungen (F)L~R, GttOLLund Mitarbeiter). Einige Unter- sucher schlieBlich sind der Frage nachgegangen, wie sich die Nekrose nach Einwirkung bekannter und experimentell reproduzierbarer Sch~di- gungen (Arterienligatur) zeitlieh entwickelt und wie der Sch~digungs- mechanismus zu denken ist (MoE(~EI~, KETTLER,HOLLE und Mitarbeiter). Aus den Arbeiten der GROLL'schen Schule geht hervor, dal3 das Bfld der acidophilen Koagulationsnekrose unter Mitwirkung yon Calcium durch Aktivierung gerinnungsfSrdernder ZeUfermente entsteht (BAUER). Auch die einfache intravitale Karyo- und Zytolyse ist wahrscheinlich ein enzymatischer Vorgang (LETTERER). Damit war klargestellt, dab das histologische Bild der Nekrose als Ergebnis komplizierter vitaler Reak- tionen aufzufassen ist (V. Bv.cxv.R). ~ber die Herkunft und den Akti- vierungsmechanismus der beteiligten Fermente herrscht jedoeh noch groBe Unsieherheit. Zweffellos handelt es sich bei der Autolyse groBen- teils um die gleichen biologischen Katalysa~oren, welche unter physio- logischen Bedingungen den Stoffwechsel der Zelle regulieren. Sie erleiden w~hrend des Absterbens dutch Wegfall yon Steuerungsmechanismen und Abbau ihrer wasserunlSslichen Tr~gerstoffe Ver~nderungen, die often- bar ein Oberwiegen abbauender, proteolytischer Leistungen fiber solehe syn~hetischer Art zur Folge haben (GRAsS~A~N und M~LT.ER). Ffir einzelne yon ihnen, wie das im Sauren wirksame Kathepsin, is¢ allerdings eine physiologisehe Funktion bisher nocht nicht bekannt. Andere Arch. exper. Path. u. Pharmakol., Bd. 228 33

Über Veränderungen der Wasserstoffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere nach Arterienligatur

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Page 1: Über Veränderungen der Wasserstoffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere nach Arterienligatur

Arch. exper. Path. u. Pharmakol., Bd. 228, S. 501--512 (1956)

Aus dem Pathologischen Institut der Universit~t Greifswald (Direktor: Prof. Dr. reed. HOLLE)

Uber ¥er~/nderungen der Wasserstoffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere nach Arterienligatur

Von G. HOLLE und CHIt. MULLER

M.it 2 Textabbildungen

(Ein~egangen am 28. Januar 1956)

Berichte fiber histologisehe oder biochemische Nierenver~nderungen nach lokalen oder allgemeinen Sch~digungen der verschiedensten Art finden sich sowohl im ~lteren (LITTEN, B~ODERSE~) als auch im neusten Schrifttum (KETTLER, HOI~LE und Mitarbeiter). Sie haben entweder das Ziel, die Art des Gewebesschadens bei der Entstehung des an~mischen Infarktes aufzukl~ren (LITTEN, BORGER) oder sie bemfihen sich um die gestaltliche AbgrerLzung anabiotiseher yon katabiotischen oder kada- verSsen Ver~nderungen (F)L~R, GttOLL und Mitarbeiter). Einige Unter- sucher schlieBlich sind der Frage nachgegangen, wie sich die Nekrose nach Einwirkung bekannter und experimentell reproduzierbarer Sch~di- gungen (Arterienligatur) zeitlieh entwickelt und wie der Sch~digungs- mechanismus zu denken ist (MoE(~EI~, KETTLER, HOLLE und Mitarbeiter).

Aus den Arbeiten der GROLL'schen Schule geht hervor, dal3 das Bfld der acidophilen Koagulationsnekrose unter Mitwirkung yon Calcium durch Aktivierung gerinnungsfSrdernder ZeUfermente entsteht (BAUER). Auch die einfache intravitale Karyo- und Zytolyse ist wahrscheinlich ein enzymatischer Vorgang (LETTERER). Damit war klargestellt, dab das histologische Bild der Nekrose als Ergebnis komplizierter vitaler Reak- tionen aufzufassen ist (V. Bv.cxv.R). ~ber die Herkunft und den Akti- vierungsmechanismus der beteiligten Fermente herrscht jedoeh noch groBe Unsieherheit. Zweffellos handelt es sich bei der Autolyse groBen- teils um die gleichen biologischen Katalysa~oren, welche unter physio- logischen Bedingungen den Stoffwechsel der Zelle regulieren. Sie erleiden w~hrend des Absterbens dutch Wegfall yon Steuerungsmechanismen und Abbau ihrer wasserunlSslichen Tr~gerstoffe Ver~nderungen, die often- bar ein Oberwiegen abbauender, proteolytischer Leistungen fiber solehe syn~hetischer Art zur Folge haben (GRAsS~A~N und M~LT.ER). Ffir einzelne yon ihnen, wie das im Sauren wirksame Kathepsin, is¢ allerdings eine physiologisehe Funktion bisher nocht nicht bekannt. Andere

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502 G. ~[OLLE und CHR. MT)LLER:

Fermen te sollen aus dem Blute s t ammen u n d im Verlauf von Zirkulat ions- s tSrungen mi t dem Serum oder P lasma die Gef~l~e verlassen, also von aul~en an die Zelle herangebracht werden (Heterolyse: BORGER, TER- BRUGGE1% BAUER, CAIN). Fiir das I nk ra f t t r e t e n des einen oder anderen Mechanismus wird der Wassers toff ionenkonzentra t ion insofern eine ent- scheidende Rolle beigemessen, als , ,Autolyse" im Sauren, , ,Heterolyse" im alk~lisehen Milieu ablaufen soll (BAUER). Die Wasserstoffionenkon- zen t ra t ion w~re demnach ein Kr i t e r ium ffir die fermenta t ive Eigenar t der Zytolyse .

Die Annahme einer ,,Heterolyse" stiJtzt sich u. a. auf altere Untersuchungen BO~GERS am Infarkt, die eine zunehmende Alkalisierung vom benachbarten Gewebe her ergeben hatten, sowie die,,Modellversuche zur Coagulationsnekrose" yon BAUER und die Implantationsexperimente CAINS, ist jedoch in neuerer Zeit nieht unwider- sprochen geblieben. Festzustehen scheint, daft abgestorbenes Gewebe im Org~nis- mus infolge plasmatischer oder serSser Durchtr~nkung vonder Umgebung her ~lka- lisiert wird. Dagegen ist der Fermentgehalt derartiger Ergiisse noch unbewiesen. MSglicherweise beschr~nkt sieh ihre Wirkung auf eine pH-~_nderung nach der alkalischen Seite, zumal autolytische, zelleigene Fermente bekannt sind, deren Reaktionsoptimum im Alkalischen liegt (Polynucleotidasen, Amidasen, Tryptasen, LETTERI~R, GRASSMANN U. M~LLER). Es ist also bisher nicht bewiesen, da6 sich Alkalisierung und Autolyse gegenseitig ausschliel3en, und die Zusammenh~nge zwi- schen Wasserstoffionenkonzentration und fermentativer Gewebs~uflSsung lassen sich offenbar nicht auf einen so einfachen Nenner bringen, wie das BAUER ge- glaubt hat.

Diese allgemeine Unsicherhei t und die Tatsache, dal] den meis ten ~lteren Un te r suchungen methodische Unzul~ngl ichkei ten anhaf ten , lassen es zweckm~l~ig erseheinen, weitere Grundlagen zu erarbeiten. Be- sonders geeignet hierzu sind pH-Best immungen mi t der Glaselektrode am lebenden Versuchstier, wie sie in j i ingster Zeit FRUNDER zur Unter - suehung von Entz i indungsprozessen erfolgreich beni i tz t hat. Aber auch diese Methode ist prinzipiel len E inschr~nkungen unterworfen und ihre Ergebnisse sind weniger revolut ionierend, als m a n urspriinglieh annahm.

Zungchst hat sich gezeigt, dab Wasserstoffionenkonzentration und Funktion eines bestimmten Gewebsbezirkes eng aufeinander bezogen sind. ~ndert sich der pH-Wert, so kommt es zu FunktionsstSrungen. Umgekehrt kSnnen auch diese die Wasserstoffionenkonzentration ab~ndern. Wenn sich z. B. im entziindeten Gewebe gegeniiber dem normalen eine S~uerung findet, so ist es zun~chst fraglich, ob sie die Ursaehe der Entziindung ist oder deren Folge. Der PH sinkt bei den verschiedensten Eingriffen ab (FRu~D~.R), gleichgiiltig ob diese mechanischer oder chemischer N~tur sind, und derartige ,,physiologisehe Aeidosen" begleiten die meisten Lebens- vorg~nge im Gewebe. ])as beruht auf einer gewissen Reaktionsarmut der Zelle, die die verschiedenartigsten Reize immer in der gleiehen Weise beantwortet. Man mull sich deshalb hiiten, pH-/~derungen immer auf eine bestimmte, wohl- definierte Stoffwechselst6rung zu beziehen, da saute Valenzen auf ganz ver- sehiedenen Wegen entstehen kSnnen. Insbesondere ist es mSglich, dal3 unter krankliaften Reaktionsabl~ufen Stoffwechselprozesse ins Spiel treten, die der intakten Zelle feh|en und deshalb sehwer zu beurteilen sind.

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Sind also die Ergebnlsse derartiger pH-Messungen auf der einen Seite vieldeutig, so vermitteln sie auf der anderen nur einen verh~ltnismaBig groben Eindruek yore Chemismus der Zelle. Dieser dfirfte selbst innerhalb eines zelligen Gebildes sowohl unter physiologischen als auch pathologischen Bedingungen wechseln, da die verschiedenen Reaktionsorte nicht den gleiehen pH-Wert besitzen (NETTER und LEUTHARDT). Auch das bindegewebige Stroma und die Intercellularfliissigkeit sind mit ihren Reaktionen an der gemessenen ,,Quersumme" (LETTERER) be- tefligt. Man muB sich also stets vor Augen halten, dab selbst so diffizfle lVlethoden wie die pH-Bestimmung mit der Glaselektrode ]ediglich Summationswerte er- geben, die nicht a]lzu viel fiber den aktuellen p~ in den betefligten Zellen oder gar in den einzelnen Zellbestandtei]en aussagen. Die Ergebnisse derartiger Messungen gestatten deshalb bei Beriieksichtigung dieser methodischen Schwierigkeiten immer nur sehr vorsichtige Schliisse auf bestimmte biochemische Zusammenh~nge (NETTER U. LEUTHARDT).

Die nachfo lgenden Messungen wurden durch Befunde angeregt , die bei k o m b i n i e r t e n his tologischen, h i s toehemischen und manome t r i s ehen Un te r suchungen der Meersehweinchenniere nach Ar t e r i en l i ga tu r ver- sehiedener Ze i tdaue r e rhoben wurden . 0 b w o h l dabe i die A t e m i n t e n s i t a t de r Nie renr inde sehnel l u n d sehon in den e rs ten S t u n d e n a u f 50% der Ausgangswer te abs ink t , t r e t en die e rs ten morphologischen Merkmale einer Ze l l schadigung frf ihestens nach e twa 4 S td au f .Wir h a t t e n das Vor- handense in eines solehen , ,freien In t e rva l l e s " , fiber das auch andere A u t o r e n be r i ch ten (MOEoEN, BitCHiER u. LUCADOU), m i t Ausgleichs- mechan i smen in Z u s a m m e n h a n g gebrach t , welche die Zelle mSglicher- weise befahigen, e inen vor f ibergehenden Sauers tof fmangel zu kompen- sieren. I n d iesem Z u s a m m e n h a n g schien uns die F r a g e be de u t s a m, welchen Ante i l pH-~nderungen a m A b l a u f einer i schamischen H y p o x y - dose besi tzen. K e n n t m a n ferner den PH, un te r dessen Einflul~ die K a t a - biose ablauf t , so kSnnen wi t a u f die F e r m e n t e schliel~en, welehe be i der jeweils vor l iegenden F o r m des Gewebstodes die Zel len zur Auf lSsung br ingen.

M e t h o d i k "

Den folgenden Ergebnissen lJegen Untersuchungen an 41 Meerschweinchen zu- grunde. Die Tiere wurden zur Ruhigstellung in Narkose eingegipst. Naeh Anlegung eines Fensters auf dem Rficken wurde jewefls die linke Niere yon dorsal freigelegt. Zur l~-'Messung diente zunachst eine niederohmige Glasnadelelektrode (nach VOEGTLIN, KAHLER U. FITCH), die etwa 10 mm in die Niere eingefiihrt wurde. Zur Vermeidung yon CO~- und Feuchtigkeitsverlusten wurde das Operationsgebiet mit weichem Paraffin, Clauden und feuchten Tupfern abgedeckt. Die Tiere standen 1 Std im Versuch. Alle 5 min wurde der pH-Wert abgelesen. Naeh Beendigung der Messungen wurde die Niere entfernt und der Stiehkanal histologiseh untersucht. Die Elektrode wurde fiir jeden Versuch naehgeeieht. Wahrend des gesamten Ein- griffes sorgte kfinstliche W~rmezufuhr mit Hilfe einer Rotlichtlampo fiir konstante K6rpertemperatur. Nach entsprechenden Vorversuchen wahlten wir folgende Versuchsanordnungen:

1. Gru~pe: 6 Tiere. Die Nierengefafle wurden nieht unterbunden und der pH im freigelegten Organ 1 Std lang verfolgt.

33*

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2. Gruppe: 15 Tiere. Vor Beginn der Messungen wurde naeh Freilegung des Organs eine Schlinge um den Gef~l]pol gelegt und 15 rain naeh Beginn der Ablesungen zugezogen. Weitere Verfolgtmg des pa in Abst~nden yon 5 rain fiber 1 Std.

3. Gruppe: 7 Tiere. Die Arterie wird vor Einffihrung der Elektrode in die Niere unterbunden. Dauer der Messung 1 Std in Abst/~nden yon 5 min.

Zur KontroUe der auf diesem ~rege gewonnenen Werte und zur Vermeidung des bei Anwendung yon Nadelelektroden unumg~nglicben Stichkanals nahmen wir weitere Messungen mit der Aufsatzelektrode naeh MCINNES und DOLE (in der Modifikation nach FRV~DER) vor. In einer

4. Gruppe yon 3 Tieren wurde eine sehr dfinne Schicht der Nierenoberfi&che abgetragen und die Membran der Elektrode fest auf die so entstandene Wund- fl~che aufgesetzt. Die Zwischenlagerung yon Bhtgerinnseln l~l]t sich dabei durch entsprechende Sorgfalt vermeiden.

Um Sehwankungen der Wasserstoffionenkonzentration in der ligierten Niere fiber ldngere Zeit verfolgen zu k6nnen, erwies sich eine weitere Modifikation dieser Versuehe als notwendig. In einer

5. (Truppe wurde bei 10 Tieren die Nierenarterie unterbunden und die Operationswunde hierauf verschlossen. Bei je einer Niere wurde dann nach 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 12, 15 und 18 St(] die Niere wieder freigelegt und eine PH- Messung mit der Aufsatzelektrode vorgenommen. Nach AbschluB der Messung auch hier Exstirpation und histologisehe Kontrolle der Organe. Eine fortlaufende KontroUe des p~ an einem Tier fiber mehrere Stunden gelang nicht, da nach etwa 2 Std Kreislaufunregelm~Bigkeiten einsetzen, so dab die Messungsergebnisse un- genau werden. Ein groBer Tell der Tiere ging dabei zugrunde.

Untersuchungsergebnisse I. Ergebnisse der pH:Messungen

1. Gruppe: p a - M e s s u n g e n an de r f re ige leg ten , n i ch t l i g i e r t en Niere .

D ie fo lgende T a b e l l e g i b t M i t t e l w e r t e y o n jewefls 6 T i e r e n wieder .

Tabdle 1 PH bei Beginn der Messung 6,29--0,20 p~r nach 35 rain 6,50--0,17 laH naeh 5 rain 6,28~0,27 pH ,, 40 ,, 6,51--0,17 p~ ,, 10 ,, 6,38--0,22 pH ,, 45 ,, 6,52--0,15 p~ ,, 15 ,, 6,47--0,22 pH ,, 50 ,, 6,50--0,04 pu ,, 20 ., 6,47---0,14 pH ,, 55 ,, 6,52---0,04 PH ,, 25 ,, 6,41---0,17 p~ ,, 60 ,, 6,55---0,04 p~ ,, 30 ,, 6,44---0,14 pn ,, 65 ,, 6,55---0,14

Die anfi~ngliche leich~e Ac idose i s t Ms F o l g e des E i n s t i c h e s zu we r t en . N a c h e t w a 15 m i n i s t sie w iede r abgek lungen . V o n d a a n bis z u m E n d e des Ver suches ~ n d e r t s ich de r PH n u r n o c h unwesen t l i ch . D ie

m i t t l e r e S t r e u u n g i s t wert iger (]as E r g e b n i s e ines u n t e r s c h i e d l i c h e n Ver-

h a l t e n s de r T ie re als e ines v e r s c h i e d e n h o h e n Anfangs-pH.

2. Gruppe. I n d ieser G r u p p e y o n T i e r e n e r fo lg t en d ie pH-Messungen v o r u n d n a c h L i g a t u r des g e s a m t e n Gehl~s t ie les . U m die anf i ing l iche

Ac idose a b k l i n g e n zu lassen, w u r d e n zun~chs~ 4 A b l e s u n g e n a m n o r m a l e n ,

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Wasserstoffionenkonzen$ration in der Meerschweinchenniere usw. 505

n ich t u n t e r b u n d e n e n Organ vorgenommen. D a n n erfolgte das Zuziehen der Schlinge bei l iegender Elektrode. Die Ergebnisse dieser Messungen gehen aus Tab. 2 hervor.

Tabelle 2 pH bei Beginn der Messung 6,67---0,32 pH nach 35 min 6,32--0,32 pE nach 5 rain 6,69--4),31 PH ,, 40 ,, 6,26--0,33 p~ ,, 10 ,, 6,72--0,24 p~ ,, 45 ,, 6,21---0,31 p~ ,, 15 ,, 6,77---0,27 pK ,, 50 ,, 6,19--0,31 Ligatur PH ,, 55 ,, 6,18--0,30 p~ nach 15 rain 6,69--0,24 pE ,, 60 ,, 6,16---0,30 p~ ,, 20 ,, 6,60--0,27 p~ ,, 65 ,, 6,15--0,30 PH ,, 25 ,, 6,47--4),31 pH ,, 70 ,, 6,18--024 p~ ,, 30 ,, 6,38---0,32

Aus der Tabelle geht hervor, dab der pH-Abfall zuniichst schnell, spiiter langsamer erfolgt. Von der 50. Minute an stabil is ieren sieh die Wer te u n d die Wassers tof f ionenkonzent ra t ion ble ibt nahezu gleich. Auch bier be ruh t die S t reuung der aus 15 Tieren berechneten Mittel- werte auf Unte rsch ieden im Anfangs-pH der e inzelnen Tiere. Der K ur ve n - ver lauf ist bei si~mtlichen Tieren ziemlich f ibereinst immend, so dal3 die in tier Tabel le wiedergegebenen Wer te als recht gut gesichert angesehen werden kSnnen.

3. Gruppe. Hier erfolgte vor Beginn tier Messungen eine Arter ien- l igatur , pH-Messungen der freigelegten, aber n icht l igierten Niere wurden hier n ieh t vorgenommen. Die Ergebnisse der Versuehe s ind in der folgenden Tab. 3 zusammengeste l l t .

Tabelle 3 PE bei Beginn der l~essung 6,74--0,17 p~ nach 35 min 6,14--0,32 pH nach 5 min 6,52--0,30 pE ,, 40 ,, 6,13--0,32 PH ,, 10 ,, 6,41--0,30 PH ,, 45 ,, 6,01--0,23 PH ,, 15 ,, 6,34---0,35 p~ ,, 50 ,, 6,01--0,24 PH ,, 20 ,, 6,30---0,31 p~ ,, 55 ,, 6,03--0,26 p~ ,, 25 ,, 6,25--0,34 p~ ,, 60 ,, 5,99---0,22 PH ,, 30 ,, 6,19--0,35

Auch hier erfolgt naeh Anlegung der Liga tur ein schneUer Abfal l der pH-Werte, der sogar steiler ist, als nach U n t e r b i n d u n g des gesamten Gef~l~stieles. Die Wassers tof f ionenkonzent ra t ion n i m m t anfangs schnell, sparer langsamer zu. Gegen E n d e des Versuches ble iben auch hier die Wer te nahezu kons tan t . Man mul~ daraus den SehluB ziehen, dab die durch Gef~fMigatur ausgelSste pH-Abnahme bereits am Ende der ers ten S tunde zu e inem gewissen Stf l ls tand kommt . Wir werden au f diese Tatsache zurf iekkommen mfissen. Der K u r v e n v e r l a u f ist bei s~mtl ichen im Versueh s tehenden Tieren ziemlieh gleiehfSrmig.

4. Gruppe. Zur Kontro l le der mi t der Nadelelektrode gewoimenen Wer te erfolgten die Messungen hier mi~ einer Aufsatzelektrode (naeh

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506 G. HOLLE und CHR. MULLER :

MCINNES u n d DOL~) nach Abt ragung der Nierenkapsel und einer ober- fl~chlichen Rindenschieht . Das Ergebnis dieser Messungen geht aus der Tab. 4 hervor.

Tabelle 4

p~ bei Beginn der Messung 6,93 p~ nach 35 rain 6,27 pn nach 5 min 6,86 p~ ,, 40 ,, 6,23 pg ,, 10 ,, 6,63 pg ,, 45 ,, 6,08 pH ,, 15 ,, 6,52 PH ,, 50 ,, 6,00 PH ,, 20 ,, 6,44 PH ,, 55 ,, 6,04 10H ,, 25 ,, 6,37 PH ,, 60 ,, 6,04 pH ,, 30 ,, 6,36

Da schon wenige orientierende Versuche ~ b e r e i n s t i m m u n g der Er- gebnisse mi t beiden Elek t roden ergaben, haben wir in dieser Gruppe auf Messungen an einer grSBeren Zahl yon Tieren verzichtet. Die Endwer te entsprechen fast vo l lkommen denen der Gruppe 3.

Die 5. Gruppe umfaBt pH-Messungen nach Arter ienl igatur l~ngerer Zeitdauer. Derart ige Messungen erwiesen sich als notwendig, da die bis- herigen Un te r suchungen ein K o n s t a n t b l e i b e n der Werte nach 1Std er- geben hat ten . Die Ergebnisse dieser Gruppe mfissen als vorl~ufig be- zeichnet werden, da wir aus ~u~eren Grfinden ffir jede Zeitstufe nu r ein Tier zur Verffigung ha t ten . Die Ergebnisse gehen aus Tab. 5 hervor.

TabeUe 5

PH nach 2stiindiger Ligatur 6,05 PH nach 8stiindiger Ligatur 6,17 pR ,, 3 . . . . 5,98 p~ ,, 10 . . . . 6,10 p~ ,, 4 . . . . 6,11 p~ ,, 12 . . . . 6,09 pH ,, 5 . . . . 5,90 p~ ,, 15 . . . . 6,35 pH ,, 6 . . . . 5,97 PH ,, 18 . . . . 6,20

Aus den vors tehenden Werten, ergeben sich zun~chst betr~chtl iche Schwankungen der Messungsergebnisse. ])as ist zweffellos eine Folge der zu geringen Zahl yon Einzelmessungen. Wie weir sich h in ter diesen Unregelm~Bigkeiten echte pH-Verschiebungen, etwa eine ~ e i gung zur Normal is ie rung der Acidose verbergen, liil3t sich nu r durch Messungen a n einer sehr viel grSBeren Zahl yon Tieren feststellen. Aber bereits aus den hier vor l iegenden Wer ten muB m a n folgern, dab eine weitere wesent- liche Versehiebung des PH nach der sauren Seite jenseits der 1. Unter - b indungss tunde n ieht mehr erfolgt. ] )ami t erf~hrt das Ergebnis unserer ers ten Versuchsreihen eine gewisse Best~tigung. Aber auch die schein- bare leichte Neigung zur Erholung der pH-Werte ist n icht signifikant.

I I . Ergebnis der histologischen Untersuchung

Die histologische Unte r suchung des St iehkanals nach einsti indiger Messung mi t der 2~adelelektrode ergibt zuniichst die Tatsache einer un- mi t t e lba ren Berf ihrung des Elektrodenglases mi t dem Gewebe der

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Wasserstoffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere usw. 507

~qierenrinde. In unmittelbarer Nachbarsehaft des Einstichkanals, der in der Regel vSllig frei yon Blutgerinnseln ist, in einer Breite, die dem Durchmesser dreier Glomerula entspricht, finden sich deutliche nekrobio- tische Ver~nderungen an den Tubulusepithelien (Abb. 1 u. 2). Das Cyto- plasma zeigt eine fein- tropfige Entmischung, die Zellkerne sind pyk- notisch oder in Auf- 15sung begriffen. Dem- gegenfiber erweisen sich die tieferen Tefle des ~ephrons, insbesondere die Schaltstficke, als nahezuunver~ndert. Die Glomerula sind in der ....................

Abb. 1. Glomeru lum und Tubulus in no rmale r Niere. )JIeer- erw~hnten Zone ge- schweinchen sehrumpft und vielfach deformiert. Insgesamt sind die gewebliehen Ver~nderungen auffal- lend gering, was zweifel- los auf der kurzen Dauer der Messungen beruht. St~rkere Blutungen oder h~morrhagische Infarkte sahen wit nicht. Die- jenigen :Nieren, deren lO~ mit der Aufsatzelek- trode gemessen wurde, ergaben den gleichen Befund. Unterhalb der Abb. 2. Glomeru lum und Tubulus in der N a c h b a r s c h a f t eines

Elek t rodenst ichkanals Schnittfl~ehe, aufder die Elektrode stand, fanden wir dem AusmaB und der Eigenart nach die gleichen Ver~nderungen an den Glomerulis und am tubul~ren Apparat wie l~ngs der Stiehkan~le. In nur geringer Entfernung yon der Wund- fl~ehe erwies sieh das Parenehym bei Anwendung der fibliehen F~rbe- methoden als vSllig normal. Die histologische Kontrolle der l~ngere Zeit unterbundenen Nieren ergab die gleichen Befunde, wie sie yon HOLL~ U. Mitarb. nach langdauernder Arterienunterbindung beschrieben wurden. Aueh hier ffihrte der Vorgang der pH-Messung zu keinen grSberen Ge- webszerstSrungen.

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Diese Feststellungen sind deshalb bedeutungsvoll, weft sie gewisse Rfiekschliisse auf die Beeinflussung unserer Messungsergebnisse durch mechanisehe Lgsionen des Gewebes gestatten. Da sich p~-Differenzen im zwischenzelligen Raum schnell ausgleichen, mul~ man annehmen, dal~ unsere Werte einem Durehschnitt entsprechen, der sich durch Ausgleieh der Sch~ligungsacidose am Ort des Einstiches (FRvNDER) mit dem 1)~ des elektrodenfernen Nierenparenchyms ergibt. Da die mechanische L~sion im Falle unserer Experimente sich lediglieh auf eine sehmale Zone erstreckt, mSchten wir diesen Fehler als gering veranschlagen.

Diskussion

Ein Vergleich der eigenen UntersuchungsergebDSsse mit denen anderer Autoren stSBt insofern auf Sehwierigkeiten, als die gew~hlten Methoden und Versuchsbedingungen stark voneinander abweichen. Eine Anzahl von Experimenten zur Frage des 5rtlichen Gewebstodes wurde an Implantaten vorgenommen (C~N, GU1LLERY). Messungen der Wasser- stoffionenkonzentration erfolgten in der Regel an Gewebsbrei und -extrakten (BAYERLE U. BORGER, BAUER) oder an Organen, die dem be- reits getStetem Tier entnommen waren und sagen dementsprechend wenig fiber die Verh~ltnisse im lebenden Organismus und bei intaktem Kreislauf oder bei Kreislaufbehinderung aus. Aueh haben gltere Unter- sucher grobe Fehlerquellen wie CO2-Verlust und unkontrollierbare fermentative Umsetzungen in dem zertrfimmerten Gewebe nicht mit der notwendigen Sorgfalt ausgeschlossen. Hinzu kommt, dab die benfitzten Elektroden (Wasserstoff- und Chinhydronelektroden) ffir das Gewebe nieht indifferent sind und daher die Messungsergebnisse in verschiedener Richtung beeinflussen kSnnen (NETTER U. LEUTHARDT, FRUNDER).

Auch der zur Erzeugung yon Nekrosen begangene Weg und die Wahl des Ver- suehstieres k6nnen die Untersuchungsergebnisse unvergleichbar gestalten. So f'fihrt beispielsweise die Unterbindung der Ar~. renalis bei Kaninchen und Hund zur Aus- bfldung typiseher an~miseher Infarkte, also umfangreicher Totalnekrosen (LITTEN, BRODERSEN, BOGER, PETERS und Km~z, KETTLER U. a.), wahrend der gleiche Ein- griff beim Meersehweinehen lediglich einen mehr oder weniger schnellen Untergang der Hauptstiickepithelien zur Folge hat. ])as beruht auf der besseren Vasculari- sierung der Meerschweinchenniere durch Nebenzufliisse, die bei der Ligatur des Hauptstammes nicht gefaBt werden und eine Restzirkulation garantieren. Die Nekrose bleibt deshalb unvollstandig und auf die besonders empfindlichen Haupt- stiickepithelien besehrankt (HOLLE U. Mitarb.). Bestimmungen der Wasserstoff- ionenkonzentration nach Arterienligatur miissen deshalb beim Meersehweinchen andere Resultate ergeben als beim Kaninchen. So ist es nieht verwunderlich, dal] :BORGER nach Arterienligatur bei dem letztgenannten Tier einen pH-Anstieg, also A]kalisierung nachgewiesen hat, da sich diese Messungen auf das :[nnere yon Infarkten, also yon Totalnekrosen beziehen, wie sie bei unseren Versuchstieren nicht vorkommen. Ergebnisse bei einer Tierart lassen sieh also nicht ohne weiteres auf eine andere iibertragen. Jeder Versuch einer derartigen Verallgemeinerung birgt jedenfalls die Gefahr sehwerwiegender Irrtiimer in sich.

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Wasserstoffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere usw. 509

AuBer diesen allgemeinen methodischen Schwierigkeiten unterliegt die Deutung yon Ergebnissen der pH-Messung im Gewebe einer Reihe prinzipieller Einschr~nkungen. Da die Zelle unter orthologischen B e - dingungen ihre eigene ,,aktuelle Reakt ion" gegeniiber der Interzellular- fliissigkeit festh~lt, gestat ten Messungen mit grob in das Gewebe ein- gefiihrten Elektroden nur ~uBerst vorsiehtige Riieksehliisse auf pH- Xnderungen im Zellinneren. Man kann allerdings damit rechnen, da~ Seh~digungen der verschiedensten Art Membranst6rungen und damit Ionenwanderungen zur Folge haben (RoTHSCHVH), SO dab es zu einem gewissen Ausgleieh zwisehen Zellinnerem und Interzellularfliissigkeit kommt. Aber aueh in diesem Falle werden zun~chs~ lediglieh die Zu- st~nde in der flfissigen Phase des Protoplasmas erfaBt (NETTER U. LEUTHARDT), da sich die strukturgebundenen Ionen der Messung ent- ziehen. Infolge dieser asymmetrischen Do~AN-Verte i lung k6nnen innerhalb de r Zelle erhebliche pH-Differenzen auftreten (ScHMIDTMANN, SP~K), die neuerdings auf bis zu zwei pH-Einheiten veransehlagt werden (NETTleR U. LEUTHARDT). W~hrend des Absterbens der Zelle und im Ver- lauf des damit verbundenen Strukturzerfalles dfifften sich diese Dif- ferenzen allerdings mehr und mehr ausgleiehen, da sieh das anfangs mikroheterogene System des Protoplasmas dureh autolytisehe Vorg~nge mehr und mehr homogenisiert. Messungen der Wasserstoffionenkon- zentration am absterbenden Gewebe kSnnen also um so grSBeren An- spruch auf Genauigkeit erheben, je weiter die Nekrose fortgeschritten ist.

Die eigenen Untersuchungen ergaben an der Meerschweinchenniere nach Gef~l~- bzw. Arterienligatur ein Absinken des pE y o n Anfangs- werten zwischen 6,69 und 6,93 auf 5,99 innerhalb einer Stunde, also eine deutliche Verschiebung naeh der sauren Seite. Dabei s trebt die sich hieraus ergebende Kurve allm~hlieh der Horizontalen zu, da naeh 60 rain ein pH-Wert yon etwa 6,0 erreieht wird, der sich nicht mehr wesentlieh ~ndert. Wie weir es auf hSheren Zei ts tufen jenseits der 10. Stunde zu einem erneuten geringen Ansteigen in Riehtung auf normale Werte kommt, l~Bt sich auf Grund unserer jetzt vorliegenden Ergebnisse noch nieht mit Sieherheit entscheiden.

Einen ~hnliehen, jedoeh schon innerhalb yon 2 min erfolgenden pH-Sturz land THORN bei 90 see dauernder ]:)rosselung der Blutzufuhr zum Gehirn. Iqach Wieder- herstellung der Zirkulation stieg der PH allerdings sehnell wieder auf die urspriing- liehe HShe an. Die Aeidose war also nach Beseitigung der auslSsenden Ursaehe reversibel, eine Tatsache, zu der wir auf Grund der eigenen Versuchsanordnung (Dauerligatur!) nicht Stellung nehmen kSnnen. Aueh I~RUNDER hat reversible p~-Versehiebungen naeh der sauren Seite erzielt. Er fand sie bei ganz verschiedenen Reizen (mechanisehen, ehemisehen, Sauerstoffmangel, CO-, KCN-Vergiftung)und konnte sie am lebenden Tier mit der Glaselektrode fortlaufend messen. Der Wir- kungsmechanismus ist offenbar ganz unspezifiseh und beruht auf der voriiber- gehenden Ausbfldung eines MiBverh~ltnisses zwisehen Sauerstoffbedarf und -an- gebot, das sowohl dureh veminderte 02-Zufuhr als aueh erhShten Verbrauch

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510 G. HOLL~ und CHR. MOLLER:

entstehen kann und bei zahlreichen physiologischen Prozessen eine Rolle spielt (sog. ,,physiologische Acidose", FRU~DER).

Wie seit den Untersuchungen WARBURGS bekannt ist, setzen bei verminderter Verbrennung anaerobe Spaltungsprozesse ein, die das entstandene Energiedefizit bis zu einem gewissen Grade decken und durch Glykolyse unterhalten werden. ,,Der Reiz- und Erregungsstoffwechsel" ist also ,kein reiner Oxydationsstoff- wechsel mehr, sondern eine Mischung yon Oxydations und Spaltungsstoffwechsel" (F~uNDE~).

Besitzen die angewandten Reize allerdings Sch~digungscharakter und stellt sich, wie in den eigenen Experimenten, die Blutzirkulation nicht wieder vollstandig her, so kSnnen sich irreversible StSrungen des Oxydationssystems entwickeln. Das Gewebe ware in einem solchen Falle zur Dee]rung seines Energiebedarfs ausseh|iel3- lich auf die direkte Glykolyse angewiesen. Dabel diirfte es alle ?2berg~nge zwischen geringer StSrung und teilweiser oder vollstandiger Aufhebung der Oxydation und einem jewefls verschiedenen Antefl der anaeroben Spaltung geben, was sich natur- gem~tB auf Schnelligkeit und Eigenart des geweblichen Absterbevorganges aus- wirken mull.

Auch die yon uns in der Meerschweinchenniere nach Ar te r ienunte r - b indung e inse tzende Acidose is t als , ,Sch~digungsacidose" (FRUNDER) aufzufassen und au f eine Anh~ufung ,,fixer S~uren" , d. h. von Zwischen- p r o d u k t e n des Kohlenhydra t s to f fwechse l s (Brenzt raubens~ure u. a.) zu beziehen. We i t e rh in d i i r f te der isch~misch bedingte Zerfal l energie- re icher Phospho rve rb indungen an der S~uerung mi twirken , zumal diese offenbar besonders empfindl ich gegen Sauers toffmangel s ind und sich schon nach wenigen Minuten im Gewebe ve rminde rn (ScHuMAnn, COLL- DAHL, FRU~DER, HOLLE U. BURKHARDT). Sauere Pro te inspa l tungs - p r o d u k t e spielen demgegeni iber keine Rolle, da die Zelle innerhalb des von uns gew~hl ten Un te rb indungs in te rva l l e s morphologisch noch vSllig i n t a k t ist.

E ine I n t e r p r e t a t i o n der eigenen Messungen muB wei terhin yon der Ta t sache ausgehen, dab die sich nach Ar t e r i enun te rb indung in der Meer- schweinehenniere en twicke lnde Z i rku la t ionss tSrung weder zu komple t t e r I sch~mie bzw. An~mie des Organs noch zu vol ls t i indiger Erho lung f i ihrt . Es k o m m t v ie lmehr zu einer in mehre ren Phasen ab laufenden Zirku- l a t ionss t5rung , die mi t 0 d e m und Hype r~mie des gesamten Organs be- g inn t und nach e twa 60 min durch das I n g a n g k o m m e n eines Ersa tz - kreis laufes v o n d e r Kapse l und vom Nie renbecken her al lm~hlich wieder abk l ing t .

Weitere interessante Einblieke in den Meehanismus der ischamisehen Hypoxy- dose ergeben sich aus der vergleichsweisen Einbeziehung manometrischer, histo- chemischer und phasenoptiseher Befunde, die HOLLE u. Mitarb. bei gleieher Ver- suchsanordnung und am gleiehen Objekt erhoben haben. Sie gehen yon der Beob- achtung aus, dab die Gesamtatmung yon Gewebsschnitten aus der Nierenrinde nach Arterienligatur im WAR~URG-Manometer nach Art einer Halbwertzeitkurve in 4,6 Std bis auf 50~o der Ausgangswerte abffi.llt. Gleichzeitige phasenoptische und histochemische Untersuchungen ergaben hinsichtlich der morphologischen Er- kennbarkeit des sieh entwickelnden Gewebsschadens insofern ein freies Intervall,

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Wasserst~ffionenkonzentration in der Meerschweinchenniere usw. 511

als die ersten sichtbaren Veranderungen friihestens nach 4 Std, also nach Verminderung der Atemintensit~t um 50% zu beobachten waren. Als Ursache fiir ein derartiges versp~tetes Sichtbarwerden yon Nekrose (Nekrophanerose, BitchiER) sind vielfach methodische Schwierigkeiten in der Erkennbarkeit feinster AbWand- lungen der Protoplasmastruktur angegeben worden. AuBerdem liegt es nahe, an das Vorhandensein yon Ausgleichsvorg~ngen in der Zelle zu denken, welche in der Lage sind. einen schnellen Zerfall der Energiegewinnung und damit den Eintritt des Zelltodes zu verzSgern.

Die jetzt vorliegenden pH-Messungen und die Annahme einer ersatz- weisen anaeroben Spaltung dfirften eine reale Grundlage ffir diese An- nahme darstellen. Die bei Behinderung der oxydat iven Energiege- winnung ansteigende Glykolyse ist nicht nur die Ursache ffir die ge- messene Acidose, sondern dfirfte auch in der Lage sein, je nach der HShe der kritischen Sehwelle der verschiedenen Gewebe, den endgiiltigen Zell- tod f i i re ine best immte Zeit hinauszuzSgern und damit die Schnelligkeit des Siehtbarwerdens morphologisch erkennbarer Absterbevorg~nge (-Nekrose) zu bestimmen. An welcher Stelle des innerzelligen Ferment- apparates sieh das entstehende Energiedefizit zuerst auswirkt und damit AnlaB zu irreversiblen Sch~digungen gibt, ist noch nicht endgfiltig ge- kl~rt. Vieles spricht fiir eine besondere Empfindlichkeit des Adenosin- triphosphors~ure-Mechanismus', also der Energiefibertragung (s. o.). Auch die erw~hnten phasenoptisehen Befunde scheinen das zu be- st~tigen, da die ersten morphologischen Ver~nderungen in Permeabili- t~tsstSrungen an den verschiedensten Membranen (Zellmembran, Mitoehondrienmembran) bestehen, deren intakte Funkt ion bekanntlieh an die kontinuierliehe Nachlieferung yon Energie gebunden ist (HSB]~R, LETTR~, ROTHSCHUH).

Was die zweite eingangs gestellte Frage nach den Fermenten betrifft, welche an der intravitalen AuflSsung der gesch~i~ligten Hauptsti ick- epithelien mitwirken, so l~Bt der eindeutige Nachweis einer Sch~digungs- acidose alle diejenigen Fermente in Betracht ziehen, deren Wirkungs- opt imum im Sauren liegt. Ob sie aus der Zelle selbst freigesetzt werden (Autolyse) oder aus dem Serum s tammen (Heterolyse), l~Bt sich auf . Grund der vorliegenden Messungen nieht entscheiden.

Zusammenfassung An 41 lYIeerschweinehen wurden pH-Messungen in der Niere des

lebenden Tieres nach vorangegangener Arterienligatur mit Hflfe der Glaselektrode ausgeffihrt.

S~mtliche Messungen ergaben iibereinstimmend in der ersten Stunde ein Absinken der pH-Werte, also eine Versehiebung der Gewebs- reaktion naeh der sauren Seite. Einze]ne KontroUmessungen fiber l~ngere Zeitr~ume lassen aber die MSglichkeit eines geringen Wieder- anstieges often.

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512 HOLLE U. MiJLLER: Wasserstoffionenkonzentration in der Meersohweinchenniere

D ie h i s to log i sche K o n t r o l l e de r E i n s t i c h - bzw. Aufsa t z s t e l l e g e s t a t t e t b e s t i m m t e Rf ickschl f i sse a u f die B e d i n g u n g e n w ~ h r e n d des Messungs-

vo rganges . U n t e r s u c h u n g e n de r v o r l i e g e n d e n A r t s ind gee igne t , E i g e n a r t u n d

V e r l a u f d e r i s eh~mischen H y p o x y d o s e w e l t e r au fzuk l~ren .

L i t e r a t u r

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Professor Dr. G. HOLLE, Greifswald, Patholog. Insti tut d. Univ.