2
KINDER IM KZ ZUR VERFOLGUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN IM NATIONALSOZIALISMUS DIE VERWEIGERER. WAS MENSCHEN IM 20. JAHRHUNDERT BEWOG, SICH NICHT AM MASSENMORD ZU BETEILIGEN PROF. DR. PHILIPPE BRETON (STRASSBURG) DR. HARRY STEIN Kinder und Jugendliche im KZ Buchenwald DR. MADELEINE LERF „Buchenwaldkinder“ in der Schweiz – Realitäten einer Hilfsaktion WIESłAW WYSOK Das tragische Schicksal der Kinder von Zamość PROF. DR. ALFONS KENKMANN Überleben als Zufall. Frühe Erinnerungsberichte jüdischer Kinder aus Polen PROF. DR. PHILIPPE BRETON Die Verweigerer. Was Menschen im 20. Jahrhundert bewog, sich nicht am Massenmord zu beteiligen (Vortrag in französischer Sprache, übersetzt von Franka Günther) DAS PROGRAMM 22. Oktober 2010 19.30 Uhr 29. Oktober 2010 19.30 Uhr 5. November 2010 19.30 Uhr 12. November 2010 19.30 Uhr 19. November 2010 19.30 Uhr der Stiſtung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen in Verbindung mit dem Förderverein Buchenwald e.V. und der Stadt Weimar im 65. Jahr nach der Rettung der Kinder von Buchenwald durch die Widerstandskämpfer im Lager und Angehörige der 3. US-Armee. Kontakt: Gedenkstätte Buchenwald Telefon: 03643/430 156 | Mail: [email protected] Ansprechpartner: Philipp Neumann www.buchenwald.de VORTRAGSREIHE www.werkraum-media.de ÜBERLEBEN ALS ZUFALL. FRÜHE ERINNERUNGSBERICHTE JÜDISCHER KINDER AUS POLEN PROF. DR. ALFONS KENKMANN (LEIPZIG) Befreite Häftlinge mit dem dreijährigen Stefan Jerzy Zweig im Kleinen Lager. Im Vordergrund Häftlinge, die die Befreiung nicht mehr erlebten. Gérard Raphaël Algoet, nach dem 11. April 1945, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald Befreite Kinder mit einem älteren Häftling an einem Stacheldrahtzaun des Kleinen Lagers. U.S. Signal Corps, nach dem 11. April 1945, National Archives, Washington (Vortrag in französischer Sprache, übersetzt von Franka Günther) Im Mittelpunkt der Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus stehen bisher insbesondere Opfer, Täter und Widerstandskämpfer; selten interessierte sie sich bislang für jene, die nicht mitmachten. Der franzö- sische Soziologe Philippe Breton fragt nun erstmals nach Beteiligten, die sich in Mordsituationen der Mittäterschaſt verweigerten; nach Menschen also, die nicht im eigentlichen Sinne dem aktiven Widerstand zuzurech- nen sind, die aber dennoch – gleichsam in letzter Minute – vor der Beteili- gung am Äußersten zurückschreckten. Diesen “Refusants” (Verweigerern) und ihren Motiven widmet sich der Vortrag von Philippe Breton. Prof. Dr. Philippe Breton, Jg. 1951, ist Sozio- loge, forscht am CNRS (Centre national de la recherche scientifique; Nationales Zentrum für wissenschaſtliche Forschung) und lehrt an der Universität Straßburg. Er promovierte mit einer sprachpsychologischen Arbeit und habilitierte sich im Bereich Informations- und Kommunikationswissenschaften. Die Fran- zösische Akademie für Moral- und Politik- wissenschaſten verlieh ihm den Preis für Moralphilosophie. Er war u.a. Gastprofessor für Kommunikationssoziologie an der Universität Montreal, Kanada. Wichtigste Veröffentlichungen: Les Refusants : comment devient-on exécuteur, comment refuse-t-on de l’être ? (Die Verweigerer. Wie man zum Täter wird oder sich verweigert), Paris 2009; Le silence e la parole : contre les excès de la communication (Schweigen und Reden. Gegen Kommunikations- exzesse; gemeinsam mit David Le Breton), Toulouse 2009 sowie Histoire des théories de l’argumentation (Geschichte der Argumentationstheorien; gemeinsam mit Gilles Gauthier) Paris 2000. 22. / 29. OKTOBER 5. / 12. / 19. NOVEMBER 2010 JEWEILS 19.30 UHR TOURIST-INFORMATION WEIMAR Landeszentrale für politische Bildung Thüringen Stiſtung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Förderverein Buchenwald e. V. Tourist-Information Weimar Mit dem Vorrücken der Roten Armee begann eine Zentrale Jüdische His- torische Kommission in Polen, die überlebenden Juden zu befragen, um Zeugnisse von den nationalsozialistischen Verbrechen und vom Leidens- weg der polnischen Juden während der deutschen Besatzung zu sammeln. Unter den Interviewten waren auch mehrere Hundert Kinder. Das Vorha- ben der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zentralen Jüdischen Histo- rischen Kommission, Holocaust-Überlebende in großer Anzahl zu befra- gen, war ein sehr frühes Großvorhaben der oral history. Es gab schon in unmittelbarer Nachkriegszeit den ´Stummen´ unter den Verfolgten, den Kindern, die beschwerliche Chance, ihre Überlebensgeschichten mitzu- teilen. Die Gesprächsprotokolle erlauben eine erfahrungsgeschichtliche Perspektive auf das Überleben. Sie schildern den ´Alltag´ im Versteck – auf dem Dachboden, im Wald und im Lager. Sie sprechen von uneigennütziger Hilfe ebenso wie von deren Verweigerung und von der Nachstellung durch die deutschen Besatzer, aber auch durch Angehörige der polnischen oder ukrainischen Gesellschaſt. Über die Interviews gewinnen wir heute einen Eindruck von den Gefühlen und Erfahrungen im kindlichen Überlebens- kampf. Im Rückblick stellt die Arbeit der Jüdischen Historischen Kom- mission den Beginn der Geschichtsschreibung über den Holocaust dar. Prof. Dr. phil. Alfons Kenkmann, Jg. 1957, ist Universitätsprofessor für Geschichtsdi- daktik und Direktor des Zentrums für Leh- rerbildung und Schulforschung der Universi- tät Leipzig. Für seine Leistungen im Bereich der Gedenkstättenarbeit erhielt er im August diesem Jahres das Bundesverdienstkreuz am Bande. Forschungs- und Veröffentlichungs- schwerpunkte: Didaktik der Geschichte, Ge- schichte des 20. Jahrhunderts, Geschichte der Jugend, Geschichtskultur und Erinnerungspolitik, Historische Ausstellungen. Neueste Publikati- onen: (Hg. zus. mit Feliks Tych / Elisabeth Kohlhaas /Andreas Eberhardt) Kinder über den Holocaust. Frühe Zeugnisse 1944-1948. Interviewprotokol- le der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen, Berlin 2008; Fokussierung oder Vielfalt? Aktuelle Diskussionen um die Struktur der NS- Gedenkstätten – Berlin und Nordrhein-Westfalen im Vergleich, in: Hammer- stein, Katrin u.a. (Hg.), Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbei- tung, Göttingen 2009.

Überleben als Zufall. frÜhe erinnerungsberichte … · fenden Themen wie NS-Judenverfolgung und Widerstand zahlreiche Pu- ... Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora noch

  • Upload
    dodieu

  • View
    215

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Kinder im KZ Zur Verfolgung Von Kindern und Jugendlichen im nationalsoZialismus

die Verweigerer. was menschen im 20. Jahrhundert bewog, sich nicht am massenmord Zu beteiligenProf. dr. PhiliPPe breton (strassburg)

dr. harry steinKinder und Jugendliche im KZ Buchenwald

dr. madeleine lerf„Buchenwaldkinder“ in der Schweiz – Realitäten einer Hilfsaktion

wiesław wysoKDas tragische Schicksal der Kinder von Zamość

Prof. dr. alfons KenKmannÜberleben als Zufall. Frühe Erinnerungsberichte jüdischer Kinder aus Polen

Prof. dr. PhiliPPe bretonDie Verweigerer. Was Menschen im 20. Jahrhundert bewog, sich nicht am Massenmord zu beteiligen(Vortrag in französischer Sprache, übersetzt von Franka Günther)

das Programm

22. Oktober 201019.30 Uhr

29. Oktober 201019.30 Uhr

5. November 201019.30 Uhr

12. November 201019.30 Uhr

19. November 201019.30 Uhr

der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen in Verbindung mit dem Förderverein Buchenwald e.V. und der Stadt Weimar im 65. Jahr nach der Rettung der Kinder von Buchenwald durch die Widerstandskämpfer im Lager und Angehörige der 3. US-Armee.

Kontakt:Gedenkstätte BuchenwaldTelefon: 03643/430 156 | Mail: [email protected]: Philipp Neumannwww.buchenwald.de

Vortragsreihe

ww

w.w

erkr

aum

-med

ia.d

e

Überleben als Zufall. frÜhe erinnerungsberichte JÜdischer Kinder aus PolenProf. dr. alfons KenKmann (leiPZig)

Befreite Häftlinge mit dem dreijährigen Stefan Jerzy Zweig im Kleinen Lager. Im Vordergrund Häftlinge, die die Befreiung nicht mehr erlebten. Gérard Raphaël Algoet, nach dem 11. April 1945, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald

Befreite Kinder mit einem älteren Häftling an einem Stacheldrahtzaun des Kleinen Lagers.U.S. Signal Corps, nach dem 11. April 1945, National Archives, Washington

(Vortrag in französischer Sprache, übersetzt von Franka Günther)

Im Mittelpunkt der Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus stehen bisher insbesondere Opfer, Täter und Widerstandskämpfer; selten interessierte sie sich bislang für jene, die nicht mitmachten. Der franzö-sische Soziologe Philippe Breton fragt nun erstmals nach Beteiligten, die sich in Mordsituationen der Mittäterschaft verweigerten; nach Menschen also, die nicht im eigentlichen Sinne dem aktiven Widerstand zuzurech-nen sind, die aber dennoch – gleichsam in letzter Minute – vor der Beteili-gung am Äußersten zurückschreckten. Diesen “Refusants” (Verweigerern) und ihren Motiven widmet sich der Vortrag von Philippe Breton.

Prof. Dr. Philippe Breton, Jg. 1951, ist Sozio-loge, forscht am CNRS (Centre national de la recherche scientifique; Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) und lehrt an der Universität Straßburg. Er promovierte mit einer sprachpsychologischen Arbeit und habilitierte sich im Bereich Informations- und Kommunikationswissenschaften. Die Fran-zösische Akademie für Moral- und Politik-

wissenschaften verlieh ihm den Preis für Moralphilosophie. Er war u.a. Gastprofessor für Kommunikationssoziologie an der Universität Montreal, Kanada. Wichtigste Veröffentlichungen: Les Refusants : comment devient-on exécuteur, comment refuse-t-on de l’être ? (Die Verweigerer. Wie man zum Täter wird oder sich verweigert), Paris 2009; Le silence e la parole : contre les excès de la communication (Schweigen und Reden. Gegen Kommunikations-exzesse; gemeinsam mit David Le Breton), Toulouse 2009 sowie Histoire des théories de l’argumentation (Geschichte der Argumentationstheorien; gemeinsam mit Gilles Gauthier) Paris 2000.

22. / 29. oKtober5. / 12. / 19. noVember 2010Jeweils 19.30 uhr tourist-information weimar

Landeszentrale für politische Bildung Thüringen

Stiftung GedenkstättenBuchenwald und Mittelbau-Dora

Förderverein Buchenwald e. V.

Tourist-Information Weimar

Mit dem Vorrücken der Roten Armee begann eine Zentrale Jüdische His-torische Kommission in Polen, die überlebenden Juden zu befragen, um Zeugnisse von den nationalsozialistischen Verbrechen und vom Leidens-weg der polnischen Juden während der deutschen Besatzung zu sammeln. Unter den Interviewten waren auch mehrere Hundert Kinder. Das Vorha-ben der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zentralen Jüdischen Histo-rischen Kommission, Holocaust-Überlebende in großer Anzahl zu befra-gen, war ein sehr frühes Großvorhaben der oral history. Es gab schon in unmittelbarer Nachkriegszeit den ´Stummen´ unter den Verfolgten, den Kindern, die beschwerliche Chance, ihre Überlebensgeschichten mitzu-teilen. Die Gesprächsprotokolle erlauben eine erfahrungsgeschichtliche Perspektive auf das Überleben. Sie schildern den Alltag´ im Versteck – auf dem Dachboden, im Wald und im Lager. Sie sprechen von uneigennütziger Hilfe ebenso wie von deren Verweigerung und von der Nachstellung durch die deutschen Besatzer, aber auch durch Angehörige der polnischen oder ukrainischen Gesellschaft. Über die Interviews gewinnen wir heute einen Eindruck von den Gefühlen und Erfahrungen im kindlichen Überlebens-kampf. Im Rückblick stellt die Arbeit der Jüdischen Historischen Kom-mission den Beginn der Geschichtsschreibung über den Holocaust dar.

Prof. Dr. phil. Alfons Kenkmann, Jg. 1957, ist Universitätsprofessor für Geschichtsdi-daktik und Direktor des Zentrums für Leh-rerbildung und Schulforschung der Universi-tät Leipzig. Für seine Leistungen im Bereich der Gedenkstättenarbeit erhielt er im August diesem Jahres das Bundesverdienstkreuz am Bande. Forschungs- und Veröffentlichungs-schwerpunkte: Didaktik der Geschichte, Ge-

schichte des 20. Jahrhunderts, Geschichte der Jugend, Geschichtskultur und Erinnerungspolitik, Historische Ausstellungen. Neueste Publikati-onen: (Hg. zus. mit Feliks Tych / Elisabeth Kohlhaas /Andreas Eberhardt) Kinder über den Holocaust. Frühe Zeugnisse 1944-1948. Interviewprotokol-le der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen, Berlin 2008; Fokussierung oder Vielfalt? Aktuelle Diskussionen um die Struktur der NS-Gedenkstätten – Berlin und Nordrhein-Westfalen im Vergleich, in: Hammer-stein, Katrin u.a. (Hg.), Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbei-tung, Göttingen 2009.

„buchenwaldKinder“ in der schweiZ – realitäten einer hilfsaKtiondr. madeleine lerf (basel)

Kinder und Jugendliche im KZ buchenwalddr. harry stein (weimar)

Buchenwald wurde im Juli 1937 als Männerlager gegründet. Jugendliche befanden sich erst seit Kriegsbeginn und auch nur vereinzelt unter den Deportierten. Doch im Laufe des Krieges veränderte sich diese Situation; Ende 1944 war jeder dritte Insasse von Buchenwald jünger als 21 Jahre. Sogar Kinder befanden sich unter ihnen; die meisten hatten Familie und Zuhause verloren. 1.600 Jugendliche und Kinder starben in Buchenwald oder einem seiner Außenlager. 904 wurden am 11. April 1945 durch die Widerstandskämpfer im Lager und Angehörige der 3. US-Armee befreit. In den Baracken 8 und 66, beschützt von politischen Häftlingen, überleb-ten sie das Grauen. Wer waren sie, wie kamen sie in dieses Lager, was ist aus ihnen geworden und wie dachten sie später über diese Zeit? Diesen Fragen geht der Vortrag nach und erhellt anhand von Bilddokumenten sowie prominenten wie weniger bekannten Biografien einen Abschnitt der Lagergeschichte, über den schon manches berichtet worden ist, vieles aber noch zu erzählen bleibt.

Dr. Harry Stein, Jg. 1956, ist Kustos für den Bereich Konzentrationslager Buchenwald an der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er hat intensiv zum KZ Bu-chenwald und seinen Wechselbeziehungen zu Weimar und Thüringen gearbeitet und bei zahlreichen Ausstellungs- und Publikations-projekten mitgewirkt. Das Spektrum seiner Veröffentlichungen umfasst neben übergrei-

fenden Themen wie NS-Judenverfolgung und Widerstand zahlreiche Pu-blikationen zur Geschichte des KZ Buchenwald. Er erarbeitete die 1995 er-öffnete ständige historische Ausstellung „Konzentrationslager Buchenwald 1937 bis 1945“ mit und kuratierte neben anderen Expositionen gemeinsam mit Sabine Stein die im Bauhausjahr 2009 in Weimar gezeigte Ausstellung „Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager“ so-wie zuletzt „Buchenwald-Kinder. Eine Hörinstallation an drei Orten“ (Block 8, Kleines Lager, Block 66) anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung im April 2010 in der Gedenkstätte Buchenwald.

Die hochkarätigen Vortragsreihen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Weimarer Tourist-Information gehören inzwischen zu den wichtigsten Bestandteilen des Herbstprogramms in unserer Stadt. Die Veranstaltungen stoßen über den festen Zuhörerstamm, der sich inzwischen gebildet hat, hinaus auf reges Interesse. Wissenschaftlich fundierte und gut verständli-che Vorträge auf höchstem Niveau durch renommierte Referenten machen diese Abende je neu zu Momenten berührender Aufklärung. Zu verdanken ist dies einer wunderbaren Kooperation der Gedenkstätte Buchenwald mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, dem Förderverein Bu-chenwald mit der Tourist-Information der Stadt Weimar.

Wenn in diesem Jahr die Verfolgung von Kindern und Jugendlichen wäh-rend des Nationalsozialismus im Mittelpunkt der Vorträge steht, dann nehmen diese ein zentrales Thema des 65. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora noch einmal auf und geben den großen Tagen der Begegnung mit den ehemaligen Häftlingen im April 2010 einen würdigen, nachdenklichen Jahresabschluss. Meine Erinne-rung geht zurück zu all den wichtigen Begegnungen und intensiven Gesprä-chen mit unseren Besuchern aus aller Welt, darunter viele, die als Kinder in den Lagern unsägliches Leid erfuhren, von den erwachsenen Mithäftlingen aber auch wunderbare Gesten der Solidarität erlebten und die sich nun – nicht selten zum ersten Mal – auf den Weg nach Weimar gemacht hatten.

Ich bedanke mich bei den Veranstaltern für diese dichte Vortragsreihe, nicht ohne ihnen meinen besonderen Dank dafür auszusprechen, dass sie auch dem Thema der Kinder-Deportationen aus dem polnischen Zamość, unse-rer künftigen Partnerstadt, einen eigenen Beitrag widmen. Allen Vorträgen wünsche ich einmal mehr voll besetzte Zuhörer-Reihen!

Stefan Wolf, Oberbürgermeister

Die vom Krieg unversehrte Schweiz bot den alliierten Streitkräften im Mai 1945 an, bis zu 2.000 Kinder aus befreiten Konzentrationslagern für einen Erholungsaufenthalt aufzunehmen. Im Rahmen dieser Hilfsaktion unter der Leitung des staatsnahen Hilfswerks „Schweizer Spende“ gelangten Ende Juni 1945 gut 370 Jugendliche und junge Erwachsene aus dem KZ Buchenwald in die Schweiz. Es folgte ein monatelanges Ringen um die Zu-ständigkeit für die jungen Menschen. Besonders jüdische Organisationen kämpften darum, die Verantwortung für die Überlebenden aus Buchenwald übernehmen zu können. Die beteiligten Akteure verfolgten unterschied-liche Ziele, was zu Konflikten aber auch zu überraschenden Koalitionen führte. Letztlich wanderten viele der jungen Überlebenden nach Israel, in die USA oder nach Australien aus, einige von ihnen leben noch heute in der Schweiz. Madeleine Lerf zeichnet in ihrem Vortrag ein vielschichti-ges Bild dieser Schweizer Hilfsaktion, die ganz anders verlief, als geplant. Dazu beleuchtet sie deren Zustandekommen und zeigt auf, wie die jungen Holocaust-Überlebenden betreut wurden. Sie geht der Frage nach, wie die „Buchenwalder“ die Zeit in ihrem (temporären) Gastland erlebten und wie sie von den Menschen in der Schweiz wahrgenommen wurden.

Dr. Madeleine Lerf, Jg. 1977, ist Mitarbeiterin der Stiftung Schweizer Berghilfe und betreut dort unter anderem Projekte aus den Berei-chen Tourismus, Bildung und Gewerbe. Sie studierte Geschichte, Betriebswirtschaftslehre und Kunstwissenschaft an den Universitäten Lausanne und Basel. Von 2004 bis 2008 war Madeleine Lerf als Wissenschaftliche Mitar-beiterin im Archiv für Zeitgeschichte der Eid-

genössischen Technischen Hochschule Zürich tätig. Dort arbeitete sie mit zahlreichen Quellenbeständen rund um das Thema NS-Judenverfolgung und Zweiter Weltkrieg. 2008 promovierte sie bei Prof. Dr. Georg Kreis an der Universität Basel über die Schweizer Hilfsaktion für Jugendliche aus Buchenwald. Ihre Dissertation erschien 2010 unter dem Titel ‘Buchenwald-kinder‘ eine Schweizer Hilfsaktion – Humanitäres Engagement, politisches Kal-kül und individuelle Erfahrung im Chronos Verlag in Zürich.

Vortragsreihegrusswort des oberbÜrgermeisters der stadt weimarstefan wolf

Der 65. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora im April 2010 war in besonderer Weise der Rettung der Kinder und Jugendlichen durch die Widerstandskämpfer im Lager und Angehörige der 3. US-Armee gewidmet. Dass die 904 jüngsten Buchen-wald-Häftlinge überlebten ist außergewöhnlich, wenn nicht einmalig. Das wird insbesondere dann klar, wenn man auch den weiteren Kontext der nationalsozialistischen Verfolgung von Kindern und Jugendlichen be-leuchtet. Dieses Ziel hat die diesjährige Vortragsreihe mit ReferentInnen aus Frankreich, Polen, der Schweiz und Deutschland. Zu Beginn führt Dr. Harry Stein am Beispiel Buchenwalds in die Thematik ein und macht u.a. deutlich, dass nur ein Teil der Minderjährigen das KZ überlebte. Ein weiteres Kapitel nationalsozialistischer Verfolgung thematisiert Wiesław Wysok mit der „Kinderaktion“ in der Region Zamość im heutigen Südost-polen. Viele der als „eindeutschungsfähig“ von ihren Eltern getrennten Kinder endeten in den Konzentrationslagern Auschwitz und Majdanek. Ein Teil der minderjährigen Überlebenden, darunter auch jüdische Kinder und Jugendliche aus Buchenwald, wurde nach ihrer Befreiung durch die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen (UNRRA) in die Schweiz gebracht, um sich von den Folgen der KZ-Haft zu erholen. Die Geschichte dieser Hilfsaktion hat Dr. Madeleine Lerf erforscht und wird darüber berichten. Mit den ersten überlieferten Erinnerungsberich-ten jüdischer Kinder aus Polen an ihr Verfolgungsschicksal beschäftigt sich Prof. Dr. Alfons Kenkmann. Zum Abschluss der Reihe richtet sich die Perspektive auf die Seite der Täter: Auf Grundlage einer sozialpsychologi-schen Untersuchung befasst sich Prof. Dr. Philippe Breton mit der bislang kaum untersuchten Minderheit derjenigen, die sich in letzter Minute der Tatbeteiligung verweigerten.

Die Region Zamość im heutigen Südostpolen wurde von den National-sozialisten zum ersten deutschen Siedlungsbereich im besetzten Po-len erklärt. Das Vorgehen in dieser Region sollte Modellcharakter für die Umsetzung der NS-Germanisierungs- und Kolonisierungspolitik im Osten Europas auf Grundlage des Generalplan Ost haben. Sein Ziel war es, die eroberten Gebiete durch die Vertreibung, Versklavung und Ermordung der polnischen Bevölkerung, aber teilweise auch durch „Assimilierung“ als „rassisch wertvoll“ geltender Polen, vollständig „einzu-deutschen“. Von der im November 1942 beginnenden Massenvertreibung der polnischen Bevölkerung aus der Region Zamość waren über 100.000 Menschen betroffen. Dabei wurden für „eindeutschungsfähig“ erklärte polnische Kinder selektiert, von ihren Eltern getrennt und in Viehwaggons in Übergangslager bzw. in die Konzentrationslager Majdanek und Ausch-witz deportiert. Viele Kinder starben bereits während der Transporte vor Kälte und Hunger, weitere in den Lagern. Seit Januar 1943 gingen die Kin-dertransporte aus Zamość in andere Teile des besetzten Polens, darunter in Vororte der Hauptstadt Warschau. Durch die Hilfsbereitschaft der dorti-gen Bevölkerung konnten zahlreiche Kinder gerettet werden. Das tragische Schicksal der Kinder von Zamość ist über Polen hinaus noch heute ein Symbol für die rücksichtslose Volkstumspolitik der deutschen Besatzer.

Wiesław Wysok, Jg. 1962, ist Kustos für den Bereich der Gedenkstättenarbeit im Staat-lichem Museum in Majdanek und zugleich Leiter der dortigen Bildungsabteilung. Er studierte Germanistik an der Maria Curie-Skłodowska Universität Lublin und der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehören die Theorie und Praxis der Didaktik und Metho-

dik der Gedenkstättenpädagogik. So hat er Autorenbildungsprogramme für Jugendliche und Erwachsene im Bereich der historisch-politischen Bildung in der Gedenkstätte Majdanek konzipiert und entwickelt. Sein Publikationsspektrum umfasst neben Veröffentlichungen in diesem Be-reich mit Beiträgen in den Bänden Vom Paradies zur Hölle: Das Schicksal der Lubliner Juden, Lublin 1993 und Lublin. Jerusalem des polnischen Kö-nigreiches, polnisch, Lublin 2001 auch die Geschichte der Lubliner Juden.

das tragische schicKsal der Kinder Von Zamoscwiesław wysoK (lublin)