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Archiv 0hr- usw. Heilk. u. Z. HMs- usw. Heilk., Bd. 168, S. 48~58 (1955). Aus der Universit~ts-HMs-Nasen-0hrenklinik Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. W. KI~DLEI~). Untersuehungen iiber das Verhalten paraoesophagealer Bariumsulfatdepots nach 0esophagusperforationL Von ULRIVH LEGLER. Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. Februar 1955.) Uber die Wirkung des RSntgenkontrastmittels Barium sulfuricum auf das lebende Gewebe bei parenterMer Einverleibung ist offenbar wenig bekannt, da Bariumsulfatbrei wohl nur durch unerwfinsehte Zwischen- f~lle, am h~ufigsten durch eine Perforationslfieke s des Verdauungs- schlauches, in das Gewebe hineingelangt. So berichten BATC~LO~ und S~A~T u. I~YMOND fiber l~uptur des I)ickdarmes bei Barium- kontrasteinl~ufen, MAYo~ fiber das Eindringen yon Kontrastmittel in den Peritonealraum infolge eines perforierten I)uodenalulcus. r das SehieksM yon Bariumsulfatbrei, weleher infolge Oeso- phagusperforation in das hintere Mediastinum bzw. in die Pleura ge- langt, liegen unseres Wissens in der Literatur kaum Mitteflnngen vor. Dies scheint verst/~ndlieh, da in der Zeit vor der Anwendung yon Anti- biotiea und Sulfonamiden eine Perforation des ttypopharynx, des cervi- eMen und oberen thorakMen Oesophagus in der l~egel zum sofortigen chirurgischen Eingriff zwang (Hi)~R~tA~, LOE~LL, MARSCHIK, SOHLEM~tER, W~SS~LY). Entweder wurde die col]are Mediastinotomie (v. HACKER, MARSOmK, S]~I~r~RT), oder bei dafiir geeigneten F/~]]en die endoskopische Schlitzung der Perforationsstelle nach SEIFFERT vor- genommen. Ein etwa vorhandenes medi~stinMes B~riumsulfatdepot wurde dutch den ehirurgisehen Eingriff zusammen mit den Entzfin- dungsprodukten mehr oder weniger vo]lst/~ndig naeh aul~en oder oeso- phaguswarts abge]eitet. Uberlebte der Kranke seine Mediastinitis, so war sp~terhin Bariumsulfatbrei nut selten und in geringer Menge im hinteren Mediastinum naehweisbar. I)aher kam der Frage naeh dem Sehicksal solcher Bariumbreidepots naturgem/il~ kein wesentliehes Interesse zu. In den letzten Jahren beobachteten wit dagegen h/iufiger das Ver- bleiben grSl3erer Mengen yon Bariumsulfatbrei im hinteren Mediastinum * Herrn Professor I~YNDLER Ztlm 60. Geburtstage.

Untersuchungen über das Verhalten paraoesophagealer Bariumsulfatdepots nach Oesophagusperforation

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Archiv 0hr- usw. Heilk. u. Z. HMs- usw. Heilk., Bd. 168, S. 48~58 (1955).

Aus der Universit~ts-HMs-Nasen-0hrenklinik Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. W. KI~DLEI~).

Untersuehungen iiber das Verhalten paraoesophagealer Bariumsulfatdepots nach 0esophagusperforationL

Von ULRIVH LEGLER.

Mit 6 Textabbildungen.

(Eingegangen am 28. Februar 1955.)

Uber die Wirkung des RSntgenkontrastmit tels Barium sulfuricum auf das lebende Gewebe bei parenterMer Einverleibung ist offenbar wenig bekannt, da Bariumsulfatbrei wohl nur durch unerwfinsehte Zwischen- f~lle, am h~ufigsten durch eine Perforationslfieke s des Verdauungs- schlauches, in das Gewebe hineingelangt. So berichten BATC~LO~ und S ~ A ~ T u. I~YMOND fiber l~uptur des I)ickdarmes bei Barium- kontrasteinl~ufen, MAYo~ fiber das Eindringen yon Kontras tmi t te l in den Peri tonealraum infolge eines perforierten I)uodenalulcus.

r das SehieksM yon Bariumsulfatbrei, weleher infolge Oeso- phagusperforation in das hintere Mediastinum bzw. in die Pleura ge- langt, liegen unseres Wissens in der Literatur kaum Mitteflnngen vor. Dies scheint verst/~ndlieh, da in der Zeit vor der Anwendung yon Anti- biotiea und Sulfonamiden eine Perforation des t typopharynx, des cervi- eMen und oberen thorakMen Oesophagus in der l~egel zum sofortigen chirurgischen Eingriff zwang ( H i ) ~ R ~ t A ~ , LOE~LL, MARSCHIK, SOHLEM~tER, W~SS~LY). Entweder wurde die col]are Mediastinotomie (v. HACKER, MARSOmK, S]~I~r~RT), oder bei dafiir geeigneten F/~]]en die endoskopische Schlitzung der Perforationsstelle nach SEIFFERT vor- genommen. Ein etwa vorhandenes medi~stinMes B~riumsulfatdepot wurde dutch den ehirurgisehen Eingriff zusammen mit den Entzfin- dungsprodukten mehr oder weniger vo]lst/~ndig naeh aul~en oder oeso- phaguswarts abge]eitet. Uberlebte der Kranke seine Mediastinitis, so war sp~terhin Bariumsulfatbrei nut selten und in geringer Menge im hinteren Mediastinum naehweisbar. I)aher kam der Frage naeh dem Sehicksal solcher Bariumbreidepots naturgem/il~ kein wesentliehes Interesse zu.

In den letzten Jahren beobachteten wit dagegen h/iufiger das Ver- bleiben grSl3erer Mengen yon Bariumsulfatbrei im hinteren Mediastinum

* Herrn Professor I~YNDLER Ztlm 60. Geburtstage.

Paraoesophageale Bariumsulfatdepots nach 0esophagusperforation. 49

bei Oesophagusperforationen. Dies erkl~rt sich offenbar dadurch, dab sich seit der Anwendung der Antibiotica und Sulfonamide die Anzeige zum operativen Eingreifen bei Perforationen des Hypopharynx und Oesophagus ge~ndert hat. Gegeniiber der grunds~tzlichen Sofort- oder Frfihoperation bei allen F~llen frischer Mediastinitis hat sich heute in vielen F~llen eine abwartende Therapie als zweckm~]~ig erwiesen. Unter der kombinierten antibiotischen Therapie besteht eine Tendenz zur Lokalisierung und Abgrenzung, ja oft zur Ausheilung der eitrigen Mediastinitis, so daI~ die Sofortoperation offenbar nur noch in besonderen F~llen notwendig erscheint (DWORACEK, HERRMANlV, LEGLER). Der frfiher nicht seltene foudroyant-septische Verlauf der eitrigen Mediasti- nitis scheint unter der heutigen Therapie zu den Ausnahmen zu gehSren. Wit konnten in den letzten 3 Jahren in der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Freien Universit~t Berlin 6 Kranke mit frischer eitriger Mediastinitis nach oesophagoskopiseh und rSntgenologisch gesicherter Oesophagus- perforation beobachten. Es handelte sich 2mal um Perforationen im untersten Bereich der Hypopharynxhinterwand und 4mal im Bereich des Pars cervicalis des Oesophagus. S~mtliche Kranken wurden zuni~chst einer kombinierten antibiotischen Behandlung unterzogen. In 4 F~llen heilte die Eiterung im Mediastinum nach einer Reihe yon Tagen spontan aus, nur in 2 F~llen wurde nach fiber einw6chiger konservativer Behand- lung die endoskopische Schlitzung der Oesophagushinterwand erforder- lich. S~mtliche 6 Fi~lle wurden geheilt. Bei 4 der Kranken war aus diagnostischen Grfinden Bariumsulfatbrei per os gegeben worden, der teilweise nach Abheilung der Mediastinitis und der Oesophagusperfora- tion im hinteren Mediastinum verblieb. Offenbar begfinstigt also die heute vielfach durchgeffihrte konservative Behandlung yon Oesophagus- perforationen das Liegenb]eiben des in das Mediastinum eingedrungenen Kontrastmittels, da es weniger als bei der chirurgischen Therapie zu einer Ableitung nach auBen bzw. in den Oesophagus kommt. D a h e r gewinnen heute folgende Fragen an Interesse:

1. Ob und in welchem AusmaB nach Abheilung der Mediastinitis all- gemeine oder 5rtliche StSrungen infolge des im Mediastinum befindlichen Bariumbreidepots auftreten.

2. Mit welcher Reaktion des mediastinalen Gewebes auf den dauern- den Fremdk6rperreiz des Barinmsulfats zu rechnen ist.

3. Ob es zu einer Wanderung und Verschleppung yon Teilen des Kontrastmittels in andere Organe (Srtliche Lymphknoten, Milz, Leber, Niere) auf dem Lymph- oder Blutwege kommt.

Es so]] im folgenden versucht werden, diese Fragen einer L6sung n~her zu bringen.

Zuni~chst seien aus der Reihe klinischer Beobachtungen 2 typische Fi~lle herausgegriffen :

Arch. Ohr- usw. n e i l k , u. Z. Hals- usw. Hei lk . , Bd. 168. 4

50 U. LEGL~R:

Fall 1. Pat . K. Sch., 56 Jahre . Infolge FremdkSrperverletzung durch ein spitzes Knochenst i iek im Jun i 1952 kommt es zu einer Perforat ion des oberen cervicalen Oesophagus. Oesophagoskopisch wird die zerfetzte Perforationsstelle e rkannt und der FremdkSrper extrahier t . Naeh der Oesophagoskopie t r i t t ein ausgedehntes mediastinales Luf temphysem auf. Die am n~ehsten Tage vorgenommene R6ntgen- untersuchung mi t Kont ras tbre i zeigt, dab der Bariumsuffatbrei zum Teil durch die PerforationsSffnung fast 20 cm fief ]/~ngs dem Verlauf des Oesophagus in das hintere Mediast inum gelangt. Es gliiekte in diesem Falle, allein mi t tfiglieher Ver- &bfolgung von 1 Mill. OE Depotpenicillin, 0,5 Streptomycin n n d 8,0 Supranal

a b

Abb. 1, a Der Kontrastbrei ist dm'ch die Perforations]ticke des oberen cervicalen Oesophagus gelang~ und ]ieg~ re~rooesophageal im bAn~eren Medias~inum, Konservative :Behandlung, - - b 2 Jahre sp~ter:

Der Kontras~brei im hfllteren Mediastinum stellt sieh nut wenig ver~nder~ dar.

innerhalb yon 8 Tagen die Infekt ion zu beherrsehen. Unte r laufenden RSntgen- kontrollen zeigt sich bis heute - - d. h. fiber 2 Jah re lang - - ein naoh Sitz u n d Ausdehnung nur wenig ver&ndertes Bariumsulfatdepot im hinteren Mediast inum (Abb. l a u. lb).

Fall 2. Pat . P. 1~., 70 Jahre (1952). I m AnsehluB an eine Oesophagoskopie wegen eines im Oesophaguseingang festsitzenden Knoehenstfiokes mi t L~sion der Oesophagushinterwand t r i t t am 14. 1. 1952 ein rSntgenologisch und palpatoriseh naehweisbares Luf temphysem am Halse auf. Der FremdkSrper konnte oesoph~go- skopiseh entfernt werden. Das Luf temphysem naeh 0esophagoskopie bewies eine perforierende Verletzung der SpeiserShre. Zun~chst konservative Behandlung mi t Penicillin (3stiindlich 50000 E) und Supronal (t~glieh 10,0 g). Der Pat . wurde dureh rektalen und intravenSsen I )auer t ropf Flfissigkeit, Kochsalz und Trauben- zueker zugefiihI~. I n den folgenden Tagen trotz Rfickgang des Luf temphysems zunehmende Versehlechterung des Allgemeinzustandes. Tempera turen am 38 ~ Oh

Paraoesophageale Bariumsuffatdepots nach Oesophagusperforation. 51

Die R6ntgenaufnahme der seit- l ichen tIalsregion zeigte die ffir eine Mediastinitis typische m~eh- tige Verbrei tung der prgvertebra- len Weichteile mi t mgl~igem Luftemphysem. Am 7. Tage nach der Oesophagoskopie wurde eine RSntgenbreipassage versucht.

Hierbei ffillte sich ein vom oberen Dri t tel des Oesophagus ausgehendes, nach hinten und rechts sich fiber 5 - -10 cm fief erstreckendes, paraoesol0hageales Bariumbreidepot im hinteren Mediastinum. Zunachst noeh abwartendes Verhalten. Wegen zunehmender Temperaturen, ver- st~trkter Schmerzen und der Un- mSglichkeit der Nahrungs~uf- nahme auf natfirl ichem Wege wurde am 11. Tage die Oeso- phagoskopie zwecks Ent leerung der mediastinalen Ei terung vor- genommen.

Es fand sieh am Oesophagus- round in 17 cm Tiefe eine strick- nadelgrofle PcrforationsSffnung der Hinterwand, aus der sich sparlicher fStider Ei ter entleerte (bakteriologisch wurde Proteus nachgewicsen). Mit der Schcre wurde die PerforationsSffnung gespalten, bis die mediastinale eitergeffillte Tasche im praeverte- bralen Raum frei mi t dem Oeso- phaguslumen kommunizierte. Die Spaltung wurde in etwa 6- -8 cm L~nge durchgeffihrt. Einlegen einer Nahrsonde. Schon am n~chsten Tag fielen die Temper a- turen zur Norm ab. Es erfolgte ein komplikationsloser tIeilver- lauf. Breireste im Mediast inum bleiben bis heute (3 Jahre) rSntgenologisch nachweisbar (Abb. 2 a u. 2b).

S ~ m t l i c h e 6 y o n u n s f ibe r

2 - - 6 J a h r e b e o b a c h t e t e n

K r a n k e n m i t v e r b ] e i b e n d e n

B a r i u m b r e i d e p o t s i m h i n -

t e r e n M e d i a s t i n u m b e f a n d e n

b Abb. 2. a Paraoesophageales Breidepot in] hinteren Mediastinum. :Endoskopische Spa]tung. - - b Breireste b]eiben 3 Jahre nach Abheilung der Mediastinitis

unvers ]iegen. 4*

52 U. LEGLER:

sieh eine Reihe von Woehen nach Abhe i lung der Medias t in i t i s in gu t em Al lgemeinzus tand und zeigten keine nachweisbare a l lgemeine oder 5rt- l iche au f den F remdkSrpe r r e i z zu bez iehende Seh~digung.

Bei a l len K r a n k e n h a t t e n sieh sp~tes tens 6 Monate nach der En t - lassung aus kl in ischer Behand lung d a s Blu tb i ld , d ie B lu t s enkung und die Serumeiwefl3werte vSllig normal i s ie r t . E ine Lageve r~nderung des rSntgenologisch sieh~baren Bre idepo t s war r e g e l m ~ i g nur in den ers ten Tagen, en tweder durch teflweisen Rfickflul3 des Breies in den Oesophagus oder en t l ang der Gewebsspa] ten en t sp rechend den mechanischen, au f den Bre i e inwirkenden Kr~f t en (Atmung, Gef~13pulsation, spezifisches Gewicht) nachweisbar . E t w a 1 Mona t nach Abhe i len der Pe r fo ra t ion und des k]inischen Brides der Medias t in i t i s konn t e n wir in unseren F~l len keine wei tere F o r m - oder Lagever~nderung der Bre i scha t t en mehr fest- stel]en. Offenbar war es in d iesem Ze i t r aum zu einer b indegewebigen F i x a t i o n der F r e m d k S r p e r gekommen.

W ~ h r e n d die ]clinischen Beobach tungen an 6 P a t i e n t e n ffir eine gu te Ver t r~gl ichkei t des im Medias t inum befindl ichen Bar inmsu l fa tb re i e s sprechen, ve r such ten wir die F rage der /eingeweblichen Rsalction des med ias t ina len Gewebes au f den F remdkSrpe r r e i z durch Tie rversuche zu kl~ren.

W~hrend kleinste staubfSrmige KSrnchen, yon denen kcin ffir den KSrper giftiger Stoff in LSsung geht, phagocytiert, mit dem Lymphstrom abgeffihrt und im R.E.S. abgelagert, zum Tefl auch fiber den ]:)arm und die Nieren ausgeschieden werden, kommt es bei grSfteren, in das Gewebe eingedrungenen FremdkSrpern in der Regel zu proliferativ-entzfindlichen Vorg~ngen, die gewissermal3en als Abwehr- reaktion des Gef~13bindegewebes auf den unphysiologischen Reiz anzusehen sind. Je nach Art des verwendeten Materials kann diese FremdkSrperentziindung ver- schiedene Ausdehnung und St~rkegrade aufweisen, so daft man yon ,,gewebsfreund- lichen und gewebsfeindlichen" FremdkSrpern sprechen kann. Ffir das Gcwebe vSIlig indifferente FremdkSrper sind bis hcute nicht bekannt (SeH~vTZ). Werden dutch die umspfilende Gewebs- oder Zellflfissigkeit wirksame Stoffe gelSst, so kann es zus~tzlich zu spezifischen Gewebsreaktionen kommen, wie z. B. bei der Silikose, Argyrose und Siderosc.

Bei ehemisch reinem Bariumsulfat sind wegen seiner praktischen UnlSslichkeit solche ausgepr~gten l~eaktionen yon vornherein kaum anzunehmen. Hier werden wir unspezilische FremdkSrperreaktionen erwarten kSnnen, die weitgehend yon der Menge und TeilchengrSfte des Bariumsulfats sowie yon der Reaktionsbereitschaft des befallenen Gewebes abhangen. Uber Art und GrSfte dieser FremdkSrper- reaktion konnten wit jedoch in der uns zugi~nglichen Literatur keine Angaben finden.

Wir verwandten zu unseren Untersuchungen das Barium sulfuricum purissi- mum ,,Merck" in der zur Kontrastuntersuchung fiblichen breiartigen w~frigen Aufschwcmmung. Unter dem Mikroskop stellen sich die Partikelchen des Kontrast- mittels als tropfenfSrmige, rundliche Gebilde in einer Gr513enordnung zwischen 0,3 bis maximal etwa 1 # dar. Es handelt sich um eine mikrokristalline Substanz. Die Teilchen zeigen im polarisierten Licht keine Doppelbrechung. Untersuchung im Dunkelfeld ergibt kein Aufleuchten. Unter dem Phasenkontrastmikroskop dagegen erscheinen die Bariumsulfatpartikel besonders deutlich.

Paraoesophageale Bariumsulfatdepots nach Oesophagusperforation. 53

Um die oben angeschnittenen Fragen einer K1/~rung n~her zu bringen, untersuehten wir die aUgemeinen und 5rtliehen Gewebsreaktionen des Mediastinum auf Bariumsulfatbrei in Versuehen an 3 Kaninehen.

Versuchsanordnung. In tiefer Narkose dureh Gabe yon 0,002--0,004 Morphium pro Kaninehen wurde ein diinnes Oesophagoskop (dfinnstes Si~uglingsrohr) unter Sicht des Auges eingeftihrt, was sieh trotz des fiir die Endoskopie ungiinstigen Baues der Tiere gut durehffihren ]ieB. Mit einer langen, nieht zu diinnen Kaniile wurden dann 2--3 em a einer eben

Abb. 3. tIistologischer Sehnitt dureh das paraoesophageale, yon einer Bindegewebsscheide umgebene Bariumsulfatdepot km'z oberhalb der Bifurkation der Trachea. (Kaninehen I ; 1 Mortar nach Injektion

des Kontrastmittels.)

noch die Kaniile passierenden Aufsehwemmung von Bariumsulfat in physiologiseher KochsalzlSsung langsam in das Spatium retroviseerale injiziert. Es erfolgte die RSntgenkontrolle der riehtigen Einverleibung des Bariumsulfatbreies. S~mtliehe Tiere fiberstanden den Eingriff gut, fragen am n~ehsten Tage wieder normal, nahmen an Gewicht zu und zeigten trotz der relativ groBen Menge des verabfolgten Kontrastmittels keine nachweisbare Seh~digung des Allgemeinbefindens. Die Tiere wurden naeh 1 Monat, 3 Monaten und 6 Monaten get6tet.

Im histologischen Sehnitt dureh die Halsorgane zeigt sieh regel- m~gig quer zur L~ngsaehse, kurz oberhalb der Bifurkation der Trachea, dieht dem Oesophagus benaehbart, eine mikroskopiseh sehmutzig weiB

54 U. LEGLER:

erscheinende Plombe, die im Schnitt yon einer Bindegewebsscheide um- geben ist. Die /~uBeren Schichten dieser Bindegewebsscheide um die Plombe gehen in das perioesophageale Bindegewebe fiber (Abb. 3).

Be/und I (1 Monat nach Injektion yon Bariumsulfat). Auf dem Schnitt quer durch LEngsachse der Plombe erkennt man, dab diese yon einer gleichmKBigen, im HE-Pr/s dunkellila anf/irbbaren Masse aus kleinen und gr6Beren, dicht bei dicht gelegenen Granula und Tropfen besteht. In den Randpartien der Plombe liegen die homogenen Tropfen nicht ganz so dicht, einige Rundzelleninfiltrate sind zwischengelagert.

Abb. 4. Raudzone des Bariumstflfatdepo~s in st~rkerer VergrSBerung. Einwuchern his~iocyt~rer und lymphocytfirer Zellelemente. :~'remdkfrperriesenzellen, die sich an die Bariumsulfatpartikel anlegen.

(Kaninchen I ; 1 Monat nach Injektion des Kontrastmittels.)

Nach auBen zu nimmC die Menge und Dichtigkeit der einwuchernden histiocytgren und lymphocyt~ren Zellelemente zu. In der Peripherie liegen auch einzelne FremdkSrperriesenzellen, deren Zelleib je einen der beschriebenen Tropfen beinhaltet und dadurch deutlich aufgetrieben wird. An einigen Stellen erkennt man die Fremdk6rperriesenzellen nur an einem schmalen Saum um die Partikel, in welchen einige Zellkerne eingelagert sind (Abb. 4). Nach auBen zu folgt dann die Bindegewebs- scheide, die aber nicht sehr dicht gefiigt ist, sondern dureh zwischen- gelagerte Tropfen aufgesplittert wird.

FremdkSrperpartikel finden sich auch in ~uSeren Schichten der Bindegewebsscheide und in ganz geringer Menge sogar au/3erhalb der Bindegewebsumhfillung.

Paraoesophageale Bariumsulfatdepots nach Oesophagusperforation. 55

Be/und I I (3 Monate naeh Injektion yon Bariumsulfat). Zwischen den FremdkSrperscheiben ]iegt reichlich zell- und capfllarreiches, an manchen Stellen strangfSrmig angeordnetes Bindegewebe. An einigen Stellen finden sich Anh/~ufungen yon Rundzellen.

Die FremdlcSrper sind unterschiedlich groB, liegen in groBen oder traubigen kleineren Tropfen nebeneinander und erscheinen bei schwacher VergrSBerung homogen. Bei st/~rkerer VergrSBerung l~Bt sieh eine kr/imelige bis wolkige Struktur erkennen. Einige groBe, besonders aber die kleinen Tropfen, liegen im Zelleib yon FremdkSrperriesenzellen.

Abb, 5, Kaninchen I I I (6 h~onate nach Injektion des Kon~ras~mittels). Das Granulationsgewebe ist sehr viel s~rker ausgepr~gt als bei den vorher untersuchten Tieren. Massenhaft vielkernige Riesen- zenen, die sich um die Fremdk6rperpartikel herumlegen. Kleinere Partikel liegen im Zelleib yon

Riesenzellen.

Zwischen den einzelnen, unterschiedlich groBen Fremdk6rpertropfen oder -scheiben liegt ein sehr zellreiches Granulationsgewebe mit zahl- reiehen Riesenzellen, deren Zelleib oft g/s yon einem FremdkSrper- tropfen eingenommen wird, und deren Kerne h/~ufig an den Rand ge- dr/~ngt werden, so dab in einigen Fgllen alas Bild einer Riesenzelle yore LANGHA~s-Typ entsteht.

Das Granul~tionsgewebe ist st/~rker entwickelt als im ersten Pr/~parat, FremdkSrperriesenzellen finden sich in reicherem l~uBe. Die Binde- gewebsscheide ist ebenfalls st/~rker entwickelt.

Kaninchen Nr. I I I (6 Monate n~ch Injektion yon Bariumsulfat). Die FremdkSrpermassen bestehen aus einer Unz~hl yon kleineren und grSBeren homogenen Scheiben, zwischen denen ein sehr zellreiches

5 6 U . LEGLER:

Granulationsgewebe sich ausgebreitet hat. Das Granulationsgewebe be- steht aus Capillaren, Histiocyten, vor allem aber aus massenhaft viel- kernigen t~iesenzellen (Abb. 5 und 6).

Um jede der grSBeren FremdkSrperscheiben haben sich eine oder mehrere t~iesenzellen gelegt, im Zelleib jeder t~iesenzelle liegen ein oder mehrere FremdkSrpertropfen, die sich bei H/~matoxylin- oder Eosin- fi~rbung schwachgrau anf/irben. Das Granulationsgewebe dieses ]etzten Falles ist sehr viel st/~rker ausgepr/~gt als das der beiden vorher unter. suchten Tiere, wenn auch das gleiche Prinzip vorhanden ist:

Abb. 6. Kaninchen III . ])as gleiche FremdkOrpergranulationsgewebe wie in Abb. 5 in st/irkerer Ver- grOl3erung.

Eink~pse]ung des ganzen Konvolutes durch eine Bindegewebsseheide, Durchsetzung des FremdkSrperhaufens yon mehr oder weniger zell- reichem Granulationsgewebe, Aufspa]tung der Hauptmasse der Fremd- kSrper in zah]reiche kleinere homogene Scheiben und Tropfen und schlief~lich Aufnahme dieser Tropfen - - soweit wegen der GrSl~e mSg- lich - - in I~iesenzellen.

Auf Grund der histologischen Befunde kann gesagt werden, dab die Ausbildung des Granulationsgewebes im Bereiche des Bariumsulf~t- depots offenbar mit l~ngerer Verweildauer zunimmt. Das ganze Depot wird dureh eine m/s dicke Bindegewebsseheide abgekapselt. AuBerhalb dieser Bindegewebsseheidc finder sich kaum eine entziindliche oder ~ndere morphologisch erkennbare Gewebsalteration. Innerhalb der Bindegewebsscheide wird d~s Bariumsulfat yon zellreichem Granula-

Paraoesophageale Bariumsulfatdepots nach Oesophagusperforation. 57

tionsgewebe durchsetzt und in" die Einzelteilchen aufgespalten. Die homogenen FremdkSrperscheiben und Tropfen warden yon einer grSBeren Zahl von Riesenzellen umflossen, kleinere Tropfen werden im Zelleib yon einzehnen Riesenzellen aufgenommen.

Leider ist es bei den hier erhobenen Befunden - - die ja immer eine ,,Momentaufnahme" in kontinuierlichem Geschehen darstellen - - nicht mSglich, das weitere Schicksal der FremdkSrper im Zelleib zu bestimmen. Es besteht die theoretische, durch keinen der Befunde exakt unterlegte, jedoch durch die Ausbildung der zahlreichen Capillaren im Granulations- gewebe wahrscheinlich gemachte MSglichkeit, dab die Riesenze]len die in ihren Leib aufgenommenen Tropfen in die Lymph- oder Blutbahn ausschfitten. Wit konnten jedoch eine lymphogene oder h/~matogene Verschleppung und Ablagerung yon Barium sulfuricum-Partikelchen trotz eingehender Untersuchung - - einschlieBlich der phasenoptischen - - weder in den region~ren Lymphdrfisen noch in Leber oder Milz feststellen.

Nach den in verschiedenen Zeitabst/~nden im Tierversuch erhobenen histologischen Befunden kann der klinische Eindruck yon der relativen ttarmlosigkeit der nach Ausheilung der Mediastinitis im hinteren Me- diastinum verbleibenden Bariumsulfatpartikel best/~tigt werden. Wie bei allen FremdkSrpern, so finden sich auch beim Barinmsulfat proli- ferativ-entzfindliche Vorg~nge im Gewebe, die aber offenbar auf die unmittelbar vom FremdkSrper betroffenen Bezirke besehr/~nkt sind und keine erkennbare Wirkung auf die weitere Umgebung ausfiben. ])as Bariumsulfat im hinteren Mediastinum kann also als ein durchaus ,,gewebsfreundlicher" Fremdk6rper angesehen werden. Wie k]inische Beobachtungen zeigen, bleiben die Bariumsulfatmassen fiber Jahre - - wahrseheinlich fiber Jahrzehnte - - liegen, ohne erkennbare Einwir- kungen auf die augerhalb der Bindegewebsscheide liegende Umgebung oder das Allgemeinbefinden. Eine lymphogene oder h~matogene Ver- schleppung kleiner und kleinster, yon Riesenzellen phagoyctierter Par- tikel konnte histologisch nicht nachgewiesen werden. Die in der Mehrzahl vorhandenen gr6Beren Barium sulfuricum-Partikel kSnnen nieht mehr yon einer Riesenzelle aufgenommen werden, sie werden nut yon mehreren Riesenzellen gleichsam umflossen. Es ist wenig wahrscheinlich, dab bei der praktischen UnlSslichkeit des Barium sulfuricum eine Verkleinerung der einzelnen Partikel im Gewebe in Frage kommt.

Wenn aueh die relative Harmlosigkeit des Barium sulfurieum als ruhender GewebsfremdkSrper gesichert erseheint, sollten in allen F~llen, wo der Verdacht auf eine Oesophagusl/~sion odor Perforation besteht, die heute erh/~ltliehen wasserlSslichen Kontrastmit tel zur RSntgenunter- suchung angewandt werden. Hierffir sprechen auch vereinzelte Beob- achtungen yon direktem Eindringen des ins Gewebe gelangten Barium sulfuricum in die Blutbahn mit Lungenembolle bei Kontrasteinl/~ufen und

58 U. LEGLER: Paraoesophageale Bariumsulfatdepots n. Oesophagusperforation.

bei der Urethrographie (BALL U. PELZ), (I:~OMAN, WAGNER U. STEINBACH), (BREITLXNDER).

Bei Per fora t ionen des thoraka len Oesophagus bes teht bekannt l i ch auch die MSgliehkeit des Eindr ingens yon Bar iumsul fa t in den Pleura-

raum. Die Betei l igung des P leuraraumes bei einer Oesophagusperforat ion mi t Auf t re ten eines P leu raempyems erfordert in jedem Falle die groB- chirurgisehe Versorgung und s teht aui~erhalb dieser Bet raeh tung .

Herrn Kollegen Dr. reed. V. BECKE~, wiss. Ass. des Pathol. Institutes der Freien Universit~t Berlin (Direktor Prof. DSR~), sei fiir die Hilfe bei den Tier- experimenten und ihrer histologisehen Auswertung herzlieh gedankt.

Zusammenfassung. 1. Klinische und t ierexperimentel le Un te r suchungen spreehen dafiir,

dab wesentliche allgemeine oder 5rtliehe StSrungen dureh die Ablage- rung yon Bar ium su l fur icum-RSntgenkont ras tb re i im h in te ren Mediasti- n u m naeh Abhei lung der Mediast ini t is n ieh t auf t re ten.

2. Histologisch zeigen sich, wio bei allen FremdkSrpern , so auch bei Bar ium suffuricum prol iferat iv-entzi indl iehe Vorg~nge. Die Fremdk6rper- par t ikel werden yon Riesenzellen umflossen, das Bre ikonvolu t wird allm~h- lich yon zellreiehem Granulat ionsgewebe aufgespalten. Die FremdkSrper- reakt ion des Gewebes besehr~nkt sich auf den unmi~te lbar yon dem Bari- u m sulfur icum betroffenen Bezirk, der bindegewebig eingescheidet wird. E ine e rkennbare Gewebsreakt ion der weiteren U m g e b u n g t r i t t n icht auf.

3. E in Ab t ranspor t oder eine Versehleppung auch kleinster Bar ium sul fur ieum-Par t ike lehen auf dem Lymphwege oder Blutwege in andere 0 rgane oder in das R.E.S . konn te n ich t naehgewiesen werden.

Trotz der offenbaren Harmlosigkei t von Ba r ium sulfur icum-Depots im h in te ren Medias t inum wird bei Verdacht auf eine Oesophagusl~sion die A n w e n d u n g der gut resorbierbaren, wasserlSslichen K o n t r a s t m i t t e l zur RSntgendars te l lung empfohlen.

Literatur. BALL, H., u. H. PELZ: Z. Urol. 46, (1953) zit. nach BREITL_~NDER. - - BATCHE-

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Priv.-Doz. Dr. ULriCH LEGLER, Universit~ts-Hals-Nasen-Ohrenklinik, Heidelberg.