10
Z. Kinderheilk. 106, 288--297 (1969) Untersuchungen tiber den kindlichen Kopfschmerz G. HoME:cv,~ und R. LEMm" Abtei|ung ffir Jugendpsychiatrie und -neurologie (Leiter: Prof. Dr. R. L~P) der Universiti~ts-Nervenklinik Tfibingen (Direktor: Prof. Dr. W. SCH~rLT~) Eingegangen am 21. April 1969 A Study o] In/antile Headache Summary. An analysis is made of the ease histories of 208 children aged between 2~ and 17 years who were presented to the Department of Juvenile Psychiatry and Neurology as suffering from headache. Juvenile headache amounted to a total of 5.2 per cent of all cases admitted to the clinic. Post-traumatic headache ranks first amongst the causes, followed by vasomotor and vegetative headache; headache due to a slight cerebral injury in early infancy comes third. Headaches of a purely psychological origin are fairly rare, accounting for only 5 per cent of the total number. However, a partial involvement of psychological factors was found in 23.6 per cent. Compared to other organic causes, cerebral injury in early infancy is a significantly more frequent cause of juvenile headache with psychological involvement. -- Most of the children with headache came first to the clinic between the age of 9 and 11 years; the number of cases with headache which is entirely or partially due to psychological factors shows a peak at the age of 11 years. The age distribution at the onset of the headache shows two distinct peaks, one at the age of 8 the other at the age of 11 years. SchliisselwSrter: Kindlicher Kopfschmerz. W~hrend ehronisehe Kopfsehmerzen bei Erwaehsenen ein weitver- breitetes Symptom sind, das aueh in der Literatur in zahlreichen Arbeiten seinen Niederschlag finder, iSt der kindliehe Kopfsehmerz welt seltener Ziel wissenschaftlicher Untersuchung. Uber die Hiiufigkeit des kindlichen Kopfschmerzes gehen in der Literatur die Meinungen sehr auseinander. Naeh DAvis klagen Kinder nur selten fiber Kopfsehmerzen. Bei fast 5000 Kindern fiber 3 Jahre, die in einer Ambulanz einer Londoner Kinder- klinik vorgestellt wurden, war in weniger als 1 ~o fiber Kopfsehmerzen geklagt worden. MACXAY land bei 6% ambulanter Patienten Kopf- schmerzen, die er, ~hnlich wie DAvis, vorwiegend organiseh begrfindet land. v. H)~R~ACK dagegen sah die Kopfsehmerzen als ,,das hervor- steehendste Symptom vegetativer Labilit~t bei Zehnj~hrigen" an mit einer Hi~ufigkeit yon 17,2~ POPEK steUte in der Tseheehoslowakei sogar fast bei jedem zweiten Sehulkind zwischen 12 und 14 Jahren Kopf- sehmerzen lest. B~ANSBY sah in den Kopfschmerzen die h~ufigsten Ur- saehen wiederholter Sehulvers~umnisse bei Kindern. Auch SCHLACK be-

Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Z. Kinderheilk. 106, 288--297 (1969)

Untersuchungen tiber den kindlichen Kopfschmerz

G. HoME:cv,~ und R. LEMm"

Abtei|ung ffir Jugendpsychiatrie und -neurologie (Leiter: Prof. Dr. R. L ~ P ) der Universiti~ts-Nervenklinik Tfibingen (Direktor: Prof. Dr. W. SCH~rLT~)

Eingegangen am 21. April 1969

A Study o] In/antile Headache Summary. An analysis is made of the ease histories of 208 children aged between

2 ~ and 17 years who were presented to the Department of Juvenile Psychiatry and Neurology as suffering from headache. Juvenile headache amounted to a total of 5.2 per cent of all cases admitted to the clinic. Post-traumatic headache ranks first amongst the causes, followed by vasomotor and vegetative headache; headache due to a slight cerebral injury in early infancy comes third. Headaches of a purely psychological origin are fairly rare, accounting for only 5 per cent of the total number. However, a partial involvement of psychological factors was found in 23.6 per cent. Compared to other organic causes, cerebral injury in early infancy is a significantly more frequent cause of juvenile headache with psychological involvement. - - Most of the children with headache came first to the clinic between the age of 9 and 11 years; the number of cases with headache which is entirely or partially due to psychological factors shows a peak at the age of 11 years. The age distribution at the onset of the headache shows two distinct peaks, one at the age of 8 the other at the age of 11 years.

SchliisselwSrter: Kindlicher Kopfschmerz.

W~hrend ehronisehe Kopfsehmerzen bei Erwaehsenen ein weitver- breitetes S y m p t o m sind, das aueh in der L i te ra tu r in zahlreichen Arbeiten seinen Niederschlag finder, iSt der kindliehe Kopfsehmerz welt seltener Ziel wissenschaftlicher Untersuchung. Uber die Hiiufigkeit des kindlichen Kopfschmerzes gehen in der Li te ra tur die Meinungen sehr auseinander. Naeh DAvis klagen Kinder nur selten fiber Kopfsehmerzen. Bei fast 5000 Kindern fiber 3 Jahre , die in einer Ambulanz einer Londoner Kinder- klinik vorgestell t wurden, war in weniger als 1 ~o fiber Kopfsehmerzen geklagt worden. MACXAY land bei 6% ambulan te r Pa t i en ten Kopf- schmerzen, die er, ~hnlich wie DAvis, vorwiegend organiseh begrfindet land. v. H)~R~ACK dagegen sah die Kopfsehmerzen als ,,das hervor- steehendste S y m p t o m vegetat iver Labil i t~t bei Zehnj~hrigen" an mi t einer Hi~ufigkeit yon 17,2~ POPEK steUte in der Tseheehoslowakei sogar fast bei jedem zweiten Sehulkind zwischen 12 und 14 Jah ren Kopf- sehmerzen lest. B~ANSBY sah in den Kopfschmerzen die h~ufigsten Ur- saehen wiederholter Sehulvers~umnisse bei Kindern. Auch SCHLACK be-

Page 2: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Untersuehungen fiber den kindlichen Kopfschmerz 289

richter fiber eine Zunahme der H/~ufigkeit des habituellen Kopfschmerzes bei Kindern in der Naehkriegszeit, wobei der Beginn vorwiegend zwisehen dem 5. und 12. Lebensjahr lag.

Die psyehisehe Ursaehe oder Mitursaehe kindlieher Kopfsehmerzen wird yon vielen Autoren hervorgehoben. ArL~r konnte bei drei Viertein der Kinder mit rezidivierendem Kopfsehmerz emotionelle StSrungen fest- stellen, BLUMENTHAL U. FUCHS fanden vorwiegend unterdrfiekte Aggres- sionen gegen Eltern und Lehrer. D~HRSSEN und auch GLA~ZMANN hoben ebenfalls die Bedeutung psychoreaktiver Ko~flil~te ffir die Ursache yon Kopfschmerzen bei Kindern hervor. So fanden auch GUzMA~ u. S ~ A ~ I in 50 % der Fi~lle psyehogene Ursachen, und auch HEYcE bemerkt in seiner Monographie fiber den Kopfsehmerz: ,,lqeurotische Konflikte, einschlieB- lieh Sehulunbehagen, ffihren bei Kindern gem zu lediglich angenommenen Klagen fiber Kopfweh, wenn jemand in der Familie mit diesem ~bel behaftet ist und die Kinder nieht nur des viel zu h/~ufigen Geredes dar- fiber, sondern auch der entgegengebraehten Rfieksieht gewahr werden." Aueh bei anderen Autoren (ApT,~y; Bou~Dz~; DAws; LITCHFIELD) finden sieh Angaben, da$ sich bei Kindern mit Kopfsehmerzen in der engeren Familie oft irgendeine Form yon Cephalgie nachweisen lasse.

Eigene Untersuchungen Im folgenden soll zusammengefaBt fiber die Auswertung yon 208 Kranken-

gesehiehten aus der Abteflung ffir Jugendpsyehiatrie und -neurologie der Universi- ~ts-Nervenklinik Tfibingen beriehtet werden. Die Krankengeschiehten stammen

, f , T , , I \ \ 2 L, 5 8 10 12 1/~ 16 17 Jahre

Alter Abb. 1. Altersverteilung bei Kopfsehmerzbeginn. Knaben (n= 119) - - , ~I~d-

chert (n = 89) . . . .

Page 3: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

290 G. HoM]~YE~ und R. LEMPP:

Tabelle 1. Kop/schmerzursachen und deren H~iufiglceitsverteilung

Gesam~ Knaben M~dchen

n = 2 0 8 % n = l 1 9 % n : 8 9 %

1 Posttraumatischer Kopfschmerz

2 Vasomotorische und vegetative S~rung ( = vasovegetative StSrung)

3 Friihkindliehe Hirn- seh~digung (ohne ?)bersehneidungen) 24 11,5 15 12,6 9 10,1

4 Epilepsie 16 7,7 11 9,2 5 5,6 (3) a (1,4) a (2) a (1,7) ~ (1) ~ (1,1) ~

5 Chron. entziindliche 17 8,2 6 5,0 11 12,4 Liquorver~nderung (i) a (0,5) a (1) a (0,8) a

6 Intrakranieller Tumor 10 4,8 6 5,0 4 4,5 7 Nur psychisch be-

dingter Kopfsehmerz 10 4,8 3 2,5 7 7,9 8 Andere Ursachen 15 7,2 8 6,7 7 7,9

(1) ~ (0,5) ~ (1) ~ (0,8) ~ 9 Ungekli~rt 39 18,8 19 16,0 20 22,5

208 99,9 119 99,9 89 100,1

Friihkindliche Hirn- schi~digung (mit ~berschneidungen) 32 15,4 22 18,5 10 11,3

40 19,2 28 23,5 12 13,5

29 13,9 16 13,5 13 14,6 (3) a (1,4) a (3) a (2,5) a

a Die Zahlen in Klammern bedeuten Anzahl bzw. Prozentzahlen der Fi~lle, die zusatzlich unter ,,Friihkindliche Hirnsch~digung (mit t?berschneidungen)" an- gefiihrt sind.

aus dem Zeitraum der Jahre 1959--1963. Bei einem ambulanten und station~ren Durchgang yon 4012 (2363 Knaben und 1649 M~dchen) dieses Zeitraums wurde in 263 F~llen (6,6%) Kopfschmerzen geklagt. Nach Aussonderung nur konsiliarisch untersuchter F~lle blieben zur Auswertung 208 Fi~lle (119 Knaben und 89 M~idchen) (5,2%) fibrig.

Das Alter dieser Kinder lag bei der ersten Untersuchung zwischen 26/1~ und 17 Jahren, durchsehnittlich bei 105/12 Jahren, 20,2~ der Kinder waren zwischen 9 und 11 Jahre alt. Der Zeitpunkt des Kopfschmerzbeginns, der ja mit dem Unter- suehungstermin nieht fibereinstimmt, konnte bei einer Genauigkeit yon seh~tzungs- weise � 89 Jahr festgestellt werden. Daraus ergibt sich ein Durchschnittsalter yon 95/12 Jahren. Die Altersverteilung zeigt hier einen Gipfel bei 7--8 und bei 10 bis 11 Jahren. Bei M~dehen liegen die Gipfel jeweils um etwa 1 Jahr sparer (Abb. 1).

Die Verteflung der Kopfschmerzursache ergibt sich aus Tabelle 1. Die Gesam~gruppe der 208 K i n d e r liil3t s ich n a c h A u s w e r t u n g der

K r a n k e n g e s c h i c h t e n i n fo lgende grol3e G r u p p e n u n t e r t e f l e n :

Page 4: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Untersuchungen fiber den kindlichen Kopfschmerz 291

Tabelle 2 Die Verteilung psychischer und organischer Ursachen des kindlichen Kop/schmerzes

Gesamt Knaben M~dchen

n=208 % n = l 1 9 % n = 8 9 %

1 Nur organisehb 86 41,3 54 45,4 32 36,0

20rganisch insgesamt 120 57,7 76 63,9 44 49,4 3 Psychisch insgesamt 49 23,6 24 20,2 25 28,1 4 Ungekl~irt 39 18,8 19 16,0 20 22,5

Summe der Gruppen 2, 3 u. 4 208 100,1 119 100,1 89 100,0

b Diese Gruppe ist vollstandig in der Gruppe ,,organiseh insgesamt" enthalten.

Tabelle 3 Kop/schmerzursachen bei psychisch bedingten und psychisch iiberlagerten Kop/schmerzen

Gesamt Knaben M~idchen

n = 4 9 ~ n = 2 4 ~ n = 2 5 %

l~rfihkindliche Hirn- sch~digung 16 32,7 9 37,5 7 28,0

Vasovegetative StSrung 9 18,4 5 20,8 4 16,0

Posttraumatiseher Kopfschmerz 4 8,2 3 12,5 1 4,0

Chron. entziindliche 3 6,1 2 8,3 1 4,0 Liquorver~nderung (1)c (2,0)e (1)e (4,2)c

Epilepsie 2 4,1 1 4,2 1 4,0 Tumor 0 0 0 Andere Ursaehen 5 10,2 1 4,2 4 16,0

Nut psyehiseh 10 20,4 3 12,5 7 28,0

49 100,1 24 100,0 25 100,0

e I)ie Zahlen in Klammern bedeuten Anzahl bzw. Prozent derjenigen F/~lle, bei denen auBerdem eine friihkindliche Hirnsch~digung diagnostiziert wurde.

Die Gruppe ,,organisch insgesam%" enth~lt neben den ,,nur organisch beding$en" aueh einen Teil der vasomotorisch und vegetativ gestSrten (19 F/~lle yon 29) sowie die Gruppe mit ,,anderen Ursaehen", die die Ursaehenfaktoren umfaB~, die in an- deren, niche neurologischen oder psyehiatrisehen Faehgebieten begrfinde~ waren.

Die Gruppe ,,psychisch insgesamt" umfaBt die 10 Fiflle mit rein psyehiseh be- dingten Kopfsehmerzen. Darfiber hinaus abet noch 39 Fiille, bei welehen organisehe Ursachen festzusteUen waren, sich abet andererseits eine milieureaktive psychische t?berlagerung und Fixierung der Symptomatik naehweisen lielL Diese Feststellung

Page 5: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

292 G. HOMEYER und R. LEMPP:

Abb. ( n = 120)

2A

22

20

18

I~ .i

,ii' i i A . l ] / k

. - l o i \ ,1', i// ' \\ / 1 '

-~ \,, X Ai

N 71 '~: i "7 \1 \i ~ \ / " 7

V ~ I \

// i ~.J, #- r I / I

2 4 6 I I 8 10 12 1/+ 15 17 Jahre

Alter

2. Altersverteilung bei Einweisung. Organische Kopfschmerzen insgesamt , nur organische Kopfschmerzen ( n = 86) . . . . . , psychisch be-

dingte Kopfschmerzen (n = 49) . . . . .

stiitzte sich, ebenso wie diejenigen der nur psychisch bedingten Kopfschmerzen, auf positive Befunde in der Anamnese sowie aber vor allem auf testpsychologische Ergebnisse (Tabelle 3).

Untersucht man die vergleichbaren Gruppen ,,posttraumatischer Kopfschmerz", ,,frfihkindliche Hirnsch~digung", ,,Epilepsie", ,,chronisch entziindliche Liquorver- ~nderungen" und ,,vasovegetativer Kopfschmerz", aufgeteilt in organische und psychisch iiberlagerte Symptomatik, mit statistischen Testmethoden, so ergibt sich kein Unterschied in der Verteilung der Geschlechter. Es l~Bt sich aber sichern, dab auf der Grundlage einer fffihkindlichen Himsch~digung psychisch beding~e Kopf- schmerzen gegeniiber organischen eindeutig h~iufiger auftreten als bei Fehlen friih- kindlicher Hirnsch~digung. (Der z2-Test zeigt Signifikanz mib p < 0,005/.)

Die projektiv testpsychologischen Untersuchungen ergaben zusammen mit den Verhaltensbeobachtungen und der Anamnese, dab die Mutter Ms Objekt der Kon-

1 Die fachliche statistische Beratung geschah dankenswerterweise durch d a s Institut fox medizinische Biometrie der Universit~t Tiibingen (Direktor: Frau Prof. Dr. M, P. G~PERT).

Page 6: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Untersuchungen fiber den kindlichen Kopfschmerz

Tabelle 4. Kop/schmerzlokalisationen

293

Gesamt Organisch Psychiseh Ungekl~rt

n=208 % n=120 % n=49 ~ n=39 ~

Kopfschmerzen ohne Lokalisation 105 50,5 62 51,7 21 42,9 22 56,4

S$irnkopfschmerzen 58 27,9 30 25,0 17 34,7 11 28,2

~brige Lokalisation ohne Stirn 45 21,6 28 23,3 11 22,4 6 15,4

208 1 0 0 , 0 1 2 0 100,0 49 100,0 39 100,0

fliktsituation die grSllte Rolle spielt. Daneben sind an affektiven StSrungen zum Teil mit ~3bersehneidungen beide Eltem beteiligt sowie der Vater allein, die Ge- sehwister, die Sehule und noeh anderes.

Soweit anamnestische Angaben zuverliissig waren, konnte in 14 Fiillen (6,7%) auch bei einem Elternteil, einem Geschwister oder einem anderen Familienmitglied Kopfsehmerzen in Effahrung gebracht werden. Zumindest waren solehe li~ngere Zeit hindureh aufgetreten. Jedoch gehSrt nut die Hiilfte dieser Kinder zu tier Gruppe mit nut psychiseh bedingten oder psychisch fiberlagerten Kopfschmerzen.

Die Altersverteilung bei der t~berweisung in die Klinik ergibt ebenfalls eine eindeutige Sonderstellung der psychisch bedingten Kopfschmerzen, die einen ein- deutigen Gipfel im Alter yon 11 Jahren und einen weiteren weniger deutliehen mit 16 gahren aufweisen. Die fibrigen Gruppen verteilen sich demgegenfiber ziem- lieh gleichm~Big (Abb. 2).

Die Latenzzeit zwisehen dem Zeitpunkt des Begirms der Kopfschmerzen, soweit er sieh anamnestisch sicher feststellen l~Bt, bis zum ersten Klinikbesuch zeigt, dall in der Gruppe der ,,nut organisch bedingten Kopfschmerzen" die Kinder zu 50% naeh 3 Monaten bereits in die Klinik gebracht wurden, wiihrend bei der psychischen Gruppe dieser Prozentsatz erst nach 6 Monaten erreicht ist. Es ist dabei allerdings zu berficksichtigen, dall diese zeitliche Differenz noeh innerhalb der Fehlerbreite liegt, die ffir die Feststellung des Kopfschmerzbeginns angenommen werden mull. Dennoch ist die Tendenz, nur psychisch bedingte Kopfsehmerzen sp~ter zum Arzt zu bringen, einsehbar.

Zur Lokalisation der Kopfschmerzen ergibt die Untersuchung, dall fiber die H~lfte der Kinder (105 Fiille) nicht fiber lokalisierten Kopfschmerz klagen. Bei der fibrigen Hiilfte wird die Stirnlokalisation in 58 Fi~llen eindeutig bevorzugt. Dabei unterscheiden sich die Tendenzen zur Lokalisation bei den Gruppen der vorwiegend organisch und der vorwiegend psychisch bedingten Kopfschmerzen nicht. Man kann lediglich feststellen, dall die psyehiseh bedingten oder mitbedingten Kopf- schmerzen eine gewisse Tendenz zeigen, in den Stirnbereich lokalisiert zu werden.

Diskussion

Die in unserem K r a n k e n g u t gefundene H/~ufigkeit k ind l i eher Kopf - sehmerzen s t i m m t m i t 5 ,2% bzw. 6 ,6% u n t e r EinsehluB d e r n u r kon- si l iarisch un t e r such ten F/il le r eeh t gu t mi t der yon MACKAY be r i eh t e t en H/~ufigkeit y o n 6 % be i a m b u l a n t e n k ind l iehen P a t i e n t e n i iberein. Die

Page 7: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

294 G. HOMEY]~R und R. LEMPP:

yon DAvis genannte Zahl von weniger als 1% muB daher als sicher zu niedrig angesehen werden. Das Durchschnittsalter beim Eintreten der Kopfschmerzen liegt bei unserem Krankengut ~hnlich wie bei anderen Autoren (DAvis; v. HARNACK ; H~GHES U. COOP~) etwa zwisehen 10 und 11 Jahren. Dieser Altersgipfel, der ganz besonders deutlich mit dem Einweisungsalter der psychiseh bedingten oder psychogen fiberlagerten Kopfschmerzen korrespondiert, stimmt mit den Untersuehungen yon FS~STE~ fiberein, der bei fiber 600 Patienten mit Erziehungsschwierig- keiten ebenfalls im Alter yon 10 Jahren die grSBte Itguilgkeit dcr Erst- untersuchungen feststellt. Die ges~mte Erfahrung jugendpsychiatrischer Kliniken best~tigt fibrigens eine deutliche H~ufung der Erkrankungen dieses Lebensalters.

Die Angaben fiber die H~ufigkeit der einzelnen Ursachen, die zu Kopfschmerzen bei Kindern ffihren, sind verst~ndlicherweise recht unter- schiedlich, da vielfach wohl mehrere Ursachen zusammenwirken, die im einzelnen in ihrer Wertigkeit unterschiedlich beurteitt werden. Auch sind manche Ursaehen nur vermutungsweise zu kl~ren. Bei der allgemeinen hohen Unfallrate yon Kindern ist es nicht verwunderlieh, dab der post- traumatische Kopfsehmerz mit 19,2% an erster Stelle steht. Es folgen danaeh dcr ~tiologiseh sehr heterogene vasovegetative Kopfschmerz mit 15,4% und die Folgen frfihkindlicher Itirnsch~digung mit 15,4~ Wir erfassen under dem Begriff der frfihkindlichen Hirnseh~digung nicht nur die schweren, sondern vor allem auch die leichtgradigen Sch~digungs- formen, die gerade in einer jugendpsychiatrischen Spreehstunde eine besondere Bedeutung haben (L~rP) . Naeh GROH U. Z~.~K~,~ sind post- traumatisehe Kopfschmerzen bei Kindern ausgesprochen selten. Sie fin- den im Gegensatz zu unseren Untersuchungen die Cephalgia vasomotorica mit besonderer H~ufigkeit. Diese Befunde kSnnen durch uns nicht be- st~tigt werden.

Die enge Beziehung zwischen Kopfsehmerz und Psyche, sei es, dab der Kopfschmerz Ausdruck einer psychosomatischen Erkrankung ist, sei es, dab eine psyehische Fixierung der Kopfsehmerzsymptomatik fest- zustellen ist, spiegelt sieh in dem Umstand wider, dab bei 23,6% der Kinder, d. h. beinahe bei jedem vierten Kind, psychische Momente mit- wirken. Gerade innerhalb dieser Gruppe liegt als MRursache die eben erw~hnte leichtgradige Form frfihkindlicher Hirnsch~digung an erster S~elle. Die enge Beziehung zwisehen psychisch mitbedingten Kopf- schmerzen und frfihkindlicher Hirnsch~digung l~Bt sich sogar statistisch siehern. Wie wir an anderer SteUe zeigen konnten, ist die leichtgradige friihkindliche Hirnseh~digung geeignet, den Boden fiir reaktive Verhal- tensstSrungen, also auch ffir Neurosen zu bereiten, was sich hier wiederum bei den psyehisch mi~verursachten Kopfschmerzen best~tigt. Dabei ist gerade die frfihkindliche ttirnseh~digung in besonderer Weise geeignet,

Page 8: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Untersuchungen fiber den kindliehen Kopfschmerz 295

die Symptomwahl der psychosomatischen Erkrankung in Form yon Kopfsehmerzen zu begrfinden. In diesen Zusammenh/~ngen wird die enge Verflechtung und gegenseitige Beeinflussung organiseher und psyehiseher Faktoren gerade beim Zustandekommen des Symptoms der Kopf- sehmerzen im Kindesalter deutlich.

Die bei diesen Kindern bestehende Anf/~lhgkeit ftir psychische StS- rungen einerseits, wie aueh die Neigung zu einer cerebralen Labflit/~t andererseits, vor allem aber die Weehselwirkung beider Faktoren kSnnen die Ursaehe der Kopfsehmerzen abgeben. Wird yon einem Kind das pathogene Milieu nieht mehr kompensiert, so ist wegen der eerebralen Labilit/~t die Symptomwahl Kopfsehmerzen naheliegend. Es ist aber auch ebenso denkbar, dab organisehe Uberlastungen am Anfang der Sympto- matik stehen, welehe dann psychisch fixiert und tiberbaut werden infolge der bei diesen Kindern bestehenden erhShten psychisehen Anf/~lligkeit. Jedesmal handelt es sich um eng miteinander verbundene Wirkungen der yon uns herausgearbeiteten leiehtgradigen Form frfihkindlieher Hirn- sch/~digung.

Dagegen ist die Entstehung der Kopfsehmerzen ohne organisehes Substrat mit etwa 50//0 reeht selten, aber doeh zweifelsfrei vorhanden.

Die Feststellung von H~YcK, dab Kopfschmerzen bei Kindern be- sonders dann auftreten, wenn im famili~ren Umkreis ebenfalls das Sym- ptom des Kopfsehmerzes geklagt wird, kSnnen wir an Hand unseres Materials nicht in dieser ausgesproehenen Weise best/~tigen, bIur in 6,7 % der F/~lle ist dies der Fall. Dabei ist aber besonders zu berficksiehtigen, dab die tt/s dieser Kinder eine sicher organisehe Ursache aufweisen und nur die H/~Ifte der F/~lle psyehiseh bedingt oder psyehiseh iiberlagert waren.

Die bevorzugte Lokalisation des Kopfschmerzes in die Stirn, wie sie yon DAVIS sowie yon GLANZMANN und von HuGhEs u. CooPEI~ berichtet wurden, kann yon uns ebenfalls bestatigt werden. Es hangt wohl damit zusammen, dab der diffuse Kopfschmerz ganz allgemein in die Stirn pro- jiziert wird und dab aueh Kinder im besonderen oft zu einer differenzier- teren Angabe noch gar nicht in der Lage sind.

Insgesamt best/~tigen die Untersuehungen, dab Kopfschmerzen auch im Kindesalter ein relativ h/~ufiges Symptom sind, das zwar aueh in seiner Bedeutung als psychosomatische Erkrankung erkannt werden mug, wie dies auch yon C. u. R. HAFrT~X kiirzlich betont wurde, das aber nur in einem Viertel der F/~lle psyehiseh bedingt oder mitbedingt ist. Bei drei Vierteln aller F/~lle sind an erster Stelle organische Ursachen wirksam, die einer genauen Abklarung und gezielten Behandlung bediirfen.

Page 9: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

296 G. HOMEYER tuld R. LEMPP:

Zusammenfassung

Die Krankengesehichten yon 208 Kindern und Jugendiichen zwischen 26/lS und 17 Jahren, vorgesteUt und untersueht in einer jugendpsychia- trisehen Klinik wegen Kopfschmerzen, warden ausgewertet. Die Gesamt- hiiufigkeit kindiieher Kopfschmerzen lag hierbei bei 5,2% des gesamten jugendpsyehiatrisehen Krankengutes. Unter den Ursaehen steht an erster Stelle der posttr&umatisehe Kopfschmerz, dem der vasomotorische und vegetative Kopfsehmerz sowie Kopfschmerzen auf Grund einer erlittenen leiehtgradigen friihkindliehen Hirnschiidigung folgen. Kopfschmerzen allein auf Grund psychiseher Ursaehen sind mi t etwa 5~/o selten, eine psychisehe Betefligung und Mitverursachung finder sich dagegen bei 23,6~ Eine friihkindliehe Hirnseh~digung bildet gegeniiber ~nderen organischen Ursaehen signifikant h~iufiger die Grundiage eines psychisch mitbedingten Kopfschmerzes im Kindesalter.

Die meisten Kinder mit Kopfsehmerzen werden im Alter yon 9--11 Jahren zum ersten Male in die Klinik gebracht, wobei der psyehisch ver- ursachte oder mitbedingte Kopfsehmerz mi t 11 Jahren ein deutliches Maximum zeigt. Die Altersverteflung bei Kopfschmerzbeginn bildet bei 8 und 11 Jahren zwei deutliehe Maxima.

Literatur

APLEY, J. : A common deniminator in the recurrent pains of childhood. Proc. roy. Soc. Med. 51, 1023--1024 (1958).

BLUMENT~AL, L.S., and M. FUCHS: Headache in children, l~Ied. Ann. DC 28, 268--272 (1959).

BOURDIER, P, : Headache in children or a contribution to the study of premorbld states in infancy. Rev. franc. Psychana] 26, 633--654 (1962).

BRA~SBu E. R. : A study of absence from school. ~Ked. Offr. 86, 223--230, 237--240 (1951) ; cir. n. L. S. BLUMENT~AL and M. FUCHS (p. 23).

])AVIS, J. A." Headache in childhood. Brit. J. clin. Pract. 14, 41--42 (1960). Di~H~SS~, A. : Psychogene Erkrankungen bei Kindern und Jugendliehen. G6ttin-

gen: Verlag for medizin. Psychologie 1965. F~RSTER, E. : Der EinfluB des Lebensalters auf den Verlauf kindlicher Neurosen.

Acta paedopsyehiat. 22, 117 (1965). GLA~TZ~-AN~, E. : Psychologic des gesunden und des kranken Kindes. In: Lehrbuch

der P~idiatrie (S. 42) yon G. FA~co~I u. A. WALLGREZ~. Basel-Stuttgart: Schwabe 1956.

GROg, CE., u. C~. ZE~KER: Chronische, vaskul~ire Kopfschmerzen im Kindesalter. Neue 6st. Z. Kinderheilk. $, 211--220 (1958).

Guz~A~, R., u. H. S~ItA~I: Cefaleas psicogenicas. Rev. m6d. Chile 78, 387--393 (1950); zit. in: ZbL Nervenheilk. 115, 281 (1951/52).

HAFFTER, C. u. R.: Zur Psychosomatik der rezidivierenden Schmerzzust~nde im Kindesalter. Landsrzt 44, 1506--1511 (1968).

HARNACK, G.A.V.: Nerv5se VerhaltensstSrungen beim Schulkind. Stuttgart; Thieme 1958.

Page 10: Untersuchungen über den kindlichen Kopfschmerz

Untersuchungen fiber den kindlichen Kopfschmerz 297

ttEu H. : Der Kopfsehmerz. Differentialdiagnostik und Therapie fiir die Praxis. 3. Aufl. Stuttgart : Thieme 1964.

HOMEYE~, G. : ~ber den kindlichen Kopfsehmerz. Inaugural-Dissertation, Tiibingen 1968.

ttUGtrES, E. L., and C. E. COOP~,R: Some observations on headache and eye pain in an group of schoolchildren. Brit. med. J . 4976, 1138--1141 (1956).

LE~IPP, ~ . : Friihkindliche Hirnsch~digung und Neurose. Bern-Stuttgart: Huber 1964.

LITCI=IFIELD, I-I. •. : Headaches in children. Arch. Pediat. 76, 157--165 (1959). MACKAY, 1~. J . : Headache in childhood. Med. Press. 5998, 377--381 (1954). - - Headache in childhood. J. roy Inst. publ. Hlth 17, 352--361 (1954). PoF~,~, K. : Headaches in children. Cs. Neurol. 23, 225--233 (1960); zit. in: Zbl.

Iqervenheilk. 16O, 19 (1961). SC~LACK, It . : Migr~ne und habitueller Kopfschmerz im Kindesalter. Dtsch. med.

Wschr. 82, 1605 (1957).

Prof. Dr. R. L v , ~ p Dr. G. HOMEYER Abteilung fiir Jugendpsychiatrie 8897 PSttmes und -neurologie Gumppenberg 1 7400 Tfibingen, Frondsbergstral~e 16

21 Z. Kinderheilk., Bd. 106