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Arch. Oto-l{hino-Laryng. 209, 107--111 (1975) by Springer-Verlag 1975 Untersuchungen fiber die Unbehaglichkeitsschwelle des stapedektomierten Ohres Ein Beitrag zur Funktion des M. stapedius G. Martin und Chl. Beck Universitits-Hals-Nasen-Ohrenklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Prof. Dr. Chl. Beck) Eingegangen am 20. Oktober 1974 Examinations of the Thresholds of Discomfort of the Ears Treated by Stapedectomy Summary. Ears treated by stapedectomy often are extremely irritated by noise. To clear up this phenomenon we plotted the thresholds of discomfort by tone- and speechaudiograms in the operated ears as well as in the non-operated. All our patients being examined had the stapedins muscle tendons cut. There was no clinical otosclerosis in the non-operated ears and the audition was the same on either side. A significant increase of the discomfort threshold was seen in the operated ears (93.80/o in the toneaudiograms and 78.1~ in the speech audiograras). In the tone audiograms the frequencies of 500, 1000 and 2000 eps were the most concerned. We consider this increase of discomfort as a consecutive result of the stapcdius tendon cutting. It verifies the protecting function of the stapedius muscle against low fre- quencies. Zusammen/assung. Da nnsere stapedektomierten Patienten hi~uflg auf dem operierten Ohr Li~rm als unangenehm empfanden, bestimmtcn wit zur Klirung dieses Ph~nomens bei einseitig Stapedektomierten die Unbehaglichkeitsschwelle ira Ton- und Sprachaudiogramm und verglichen sic mit dcr der nichtoperierten Seite. Als Ergebnis zeigte sich eine signifikante Erh6hung der Unbehaglickkeitssehwelle auf dem operierten Ohr rait 93,8% im Tonaudio- graram und 78,1~ im Sprachaudiogramm. Ira Tonaudiogramra waren besonders die Fre- quenzen 500, 1000 und 2000 Hz betroffen. Diese Verschiebung tier Unbehaglichkeitsschwelle sehen wit als Folge tier Durchtrennung tier Stapediussehne an. Sic besti~tigt u. E. die Schutz- funktion des M. stapedins in den Niederfrequenzen. Bei Kontr611untersuchungen und bei vereinzelt notwendiger HSrgers anpassung stapedektomiertcr Patienten fie1 uns auf, da$ h/iufig angegeben wurde, L/irm sei auf dem operierten Ohr unangenchmer als auf dem niehtoperierten zu ertragen. Da bei allen Patienten die Stapediussehne durchtrennt war, lag es nahe, diese Beeintriehtigung des Geh6rs auf die fehlende Funktion des M. stapedius zuriickzuffihren. Der Stapediusreflex soll ja das Innenohr vor s~arken T6nen trod Ger/iuschen schiitzen und wie ein Hochpal3filter die niedrigen ~requenzen zurfiek- halten, um die hSheren TSne nieht zu verdecken (s. Lehnhardt). Untersuehungen an einseitig wegen Otosklerose stapedektomicrten Patienten sollten zur weiteren Aufhellung dieser Problematik beitragen. Naeh Befragen der Batienten, auf welcher Seite sic L/~rm oder andere Ger/iuseharten lautheitsm/~Big friiher als unangenehm empfanden, wurde auf beiden Ohren die Unbehagtiehkeits- sehwelle im Tonaudiogramm bei 125, 250, 500, 1000, 2000 und 4000 Hz und spraehaudiometrisch mit dem Zahlentest verglichen. Da die Bestimmung der Unbehagliehkeitssehwelle, die normalerweise zwischen 80 und 100 dB liegt (Lehn-

Untersuchungen über die Unbehaglichkeitsschwelle des stapedektomierten Ohres Ein Beitrag zur Funktion des M. stapedius

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Arch. Oto-l{hino-Laryng. 209, 107--111 (1975) �9 by Springer-Verlag 1975

Untersuchungen fiber die Unbehaglichkeitsschwelle des stapedektomierten Ohres

E i n Be i t rag zur F u n k t i o n des M. s tapedius

G. Mart in und Chl. Beck

Universitits-Hals-Nasen-Ohrenklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Prof. Dr. Chl. Beck)

Eingegangen am 20. Oktober 1974

Examinat ions of the Thresholds of Discomfort of the Ears Treated by S tapedec tomy

Summary. Ears treated by stapedectomy often are extremely irritated by noise. To clear up this phenomenon we plotted the thresholds of discomfort by tone- and speechaudiograms in the operated ears as well as in the non-operated. All our patients being examined had the stapedins muscle tendons cut. There was no clinical otosclerosis in the non-operated ears and the audition was the same on either side. A significant increase of the discomfort threshold was seen in the operated ears (93.80/o in the toneaudiograms and 78.1~ in the speech audiograras). In the tone audiograms the frequencies of 500, 1000 and 2000 eps were the most concerned. We consider this increase of discomfort as a consecutive result of the stapcdius tendon cutting. I t verifies the protecting function of the stapedius muscle against low fre- quencies.

Zusammen/assung. Da nnsere stapedektomierten Patienten hi~uflg auf dem operierten Ohr Li~rm als unangenehm empfanden, bestimmtcn wit zur Klirung dieses Ph~nomens bei einseitig Stapedektomierten die Unbehaglichkeitsschwelle ira Ton- und Sprachaudiogramm und verglichen sic mit dcr der nichtoperierten Seite. Als Ergebnis zeigte sich eine signifikante Erh6hung der Unbehaglickkeitssehwelle auf dem operierten Ohr rait 93,8% im Tonaudio- graram und 78,1~ im Sprachaudiogramm. Ira Tonaudiogramra waren besonders die Fre- quenzen 500, 1000 und 2000 Hz betroffen. Diese Verschiebung tier Unbehaglichkeitsschwelle sehen wit als Folge tier Durchtrennung tier Stapediussehne an. Sic besti~tigt u. E. die Schutz- funktion des M. stapedins in den Niederfrequenzen.

Bei Kontr611untersuchungen und bei vereinzelt notwendiger HSrgers anpassung s tapedektomier tcr Pa t ienten fie1 uns auf, da$ h/iufig angegeben wurde, L/irm sei au f dem operierten Ohr unangenchmer als auf dem niehtoperierten zu ertragen. Da bei allen Pa t ien ten die Stapediussehne durch t rennt war, lag es nahe, diese Beeint r ieht igung des Geh6rs auf die fehlende Funk t ion des M. stapedius zuriickzuffihren. Der Stapediusreflex soll ja das Innenohr vor s~arken T6nen trod Ger/iuschen schiitzen und wie ein Hochpal3filter die niedrigen ~requenzen zurfiek- halten, u m die hSheren TSne nieht zu verdecken (s. Lehnhardt) .

Untersuehungen an einseitig wegen Otosklerose s tapedektomicr ten Pa t ien ten sollten zur weiteren Aufhellung dieser Problemat ik beitragen. Naeh Befragen der Batienten, auf welcher Seite sic L/~rm oder andere Ger/iuseharten lautheitsm/~Big friiher als unangenehm empfanden, wurde au f beiden Ohren die Unbehagtiehkeits- sehwelle im Tonaud iogramm bei 125, 250, 500, 1000, 2000 und 4000 Hz und spraehaudiometr isch mi t dem Zahlentest verglichen. Da die Bes t immung der Unbehagliehkeitssehwelle, die normalerweise zwischen 80 und 100 dB liegt (Lehn-

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hardt), relativ unsicher is~, leggen wir be~ unseren Untersuchungen nicht die im Tonaudiogramm vorgezeichnete Unbehagliehkeitsschwelle zugrunde, sondern ver- glichen die Unbehaglichkeitsschwelle des stapedektomierten Ohres mit dem nicht- operierten Ohr.

Die zu tm~ersuchenden Patien~en hatten deshalb folgende Kriberien zu er- ffillen:

1. Die Sehne des M. stapedius mugte durchtrennt sein. 2. Auf der nichtoperierten SeRe durfte keine klinisch oder tonaudiometriseh

faBbare Otosklerose vorliegen. 3. Das H6rverm6gen auf dem stapedektomierten Ohr mugte dem des nicht-

operierten Ohres entsprechen. Bei 32 Patienten (100 ~ ) waren diese Bedingungen gegeben.

Ergebnisse

Bereits bei der Befragung gaben 20 Patienten (62,50/0) an, dab L/~rm bzw. bestimmte Ger/~uscharten wie laute Musik, schreiende Kinder, vorfiberfahrende Eisenbahn an der Bahnschranke oder lauter Straflenverkehrsl/~rm auf dem operierten Ohr als unangenehmer empfunden wurden (Abb. 1).

Im Tonaudiogramm wurde bei 30 Patienten (93,8)~ zumindest bei einer Frequenz die Unbehaglichkeitsschwelle auf dem operierten Ohr um mindestens 5 dB eher erreicht als auf dem nichtoperier~en Ohr (Abb. 1). Kein Patient gab die Unbehaglichkeitsschwelle im Tonaudiogramm auf dem nich~stapedek~omierten Ohr friiher an.

Die H/~uflgkeit tier ErhShung in den einzelnen Frequenzen gibt Abb.2 wieder. Das Maximum stellt sieh bei 78,1 ~ bis 84,4 ~ bei 500 Hz, 1000 Hz und 2000 Hz, also den Haupffrequenzen im Spraehbereich, dar. Aus Abb. 3 ist die Erh6hung

Potienten Anzeht

32 93,6%

,24

16

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A B C

Abb.1. UnbehaglichkeitsschwellenerhShung des s~apedektomiert~n Ohres: A subjektiv; B im Tonaudiogramm; G im Spraehaudiogramm

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Untersuehungen fiber die Unbehagliehkei%ssehwelle des stapedektomierten Ohres 109

Patilnten % Anz-hL loo .3"z

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125 250 500 1000 2000 4000 Hz

Abb.2. Unbehagliehkeitsschwellenerh6hung in den einzelaen Frequenzen im Tonaudiogramm (ZusCand naeh Stapedektomie)

55- I .............. 250 Hz . . . . . . 500 Hz

1000 Hz ]... ./-: ~ 2000 Hz ~5 . . . . . . . . . 40~ Hz

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121

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Abb. 3. UnbehaglichkeitssehwellenerhShung in 5 d_B-Stufen und in den einzelnen Frequenzen im Tonaudiogramm (Zus~and naeh Stapedektomie)

tier Unbehagliehkeitsschwelle in den einzelnen rrequenzen in 5 dB-Stufen zu ersehen. Auch die Anzahl der 10-und 15-dB-StufenerhShung der Unbehaglichkeits- schwelle nimmt in den einzelnen Frequenzen des Hauptspraehbereichs zu.

Im Sprachaudiogramm wurde beina Vergleich der Unbehaglichkeitsschwelle beider Seiten diese auf dem stapedektomierten Ohr bei 2g Patienten (78,1o/o)

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110 G. Martin und Chl. Beck

%

-100

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0 5 10 15 20 25 dB

Abb.4. Unbehaglichkci~sschwellenerhShung in 5 dB-Stufon im Sprachaudiogramm (Zus~and nach Stapedektomie)

frfiher als auf dem nichtoperierten Ohr erreicht (Abb. 1). Bei keinem Patienten wurde die UnbehaglichkeitsschweUe im Sprachaudiogramm auf dem nieht- operierten Ohr frfiher registriert. Die un~erschiedliche Unbehaglichkeitsschwelle im Sprachaudiogramm in 5 dB-Stufen gibt Abb.4 wieder. Obwohl 5 dB eine relativ geringe HSrver~nderung sind, wurde yon den Patienten subjektiv ein recht deutlieher Unterschied sowohl imTon- wie im Sprachaudiogramm angegeben.

Diskussion

Unsere Untersuchungen an 32 stapedektomiertenPatienten mit Durchtrennung der Stapediussehne zeigten eine signifikante ErhShung der Unbehaglichkeits- schwelle des operierten Ohres beim Vergleich mit dem gesunden Ohr sowohl sub- jektiv (62,5 ~ ) als auch im Tonaudiogramm (93,8 ~ ) und im Sprachaudiogramm (78,1 ~ ). Im Tonaudiogramm land sich ein Maximum bei 500 bis 2 000 Hz. Gleich- zei~ig war in diesem Frequenzbereich auch die Differenz zwischen den Unbehag- ]ichkeitsschwellen beider Ohren am grSBten.

Zu ~hnlichen Feststellungen kommen Steffen et al. Sic belasteten bei ihren Untersuchungen 12 otoskleroseoperierte Patienten sowohl auf der stapedekto- mierten als auch auf der niehtoperierten Seite 15 rain mit einem Ger~usch yon 300 bis 1200 Hz bei 90 dB. Der maximale tempor~re Tonschwellenschwund (TTS) lag nach 5-min-Belastung bei 10O0 und 1500 Hz und nach weiterer 10-min-Be- lastung bei 1590 und 3000 Hz. Bei der Ger~uschbelastung gaben die Pa~ienten an, dab das Ger~usch lauter und sch~rfer auf dem stapedektomierten als auf dem nichtoperierten Ohr war. Binaurale Lautheitsausgleichsprfifungen zeigten, da] der Unterschied der Lautheit bis 10 dB betragen kann. Daneben beriehtet Pere- kalin fiber eine HSrverschlechterung ffir Sprache und enorme Empfmdlichkeit gegen starke Ger~usche naeh Durchtrennung der Stapediussehne sowie Liden

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Untersuchungen fiber die Unbehaglichkeitsschwelle des stapedektomierten Ohres 112

fiber Pat ienten nach Stapedektomie mit herabgesetztem HSrvermSgen yon Sprache im L/irm bei normaler H6rsehwelle.

In t2~bereinstimmung mit den eben zitierten Autoren mSchten wir die bei unseren Pat ienten festgestellte I-Ieraufsetzung der Unbehagliehkeitssehwelle a]s Folge der Durehtrennung der Stapediussehne ansehen. Die Ergebnisse geben gleichzeitig einen Hinweis auf die Funktion des M. stapedius und erg/inzen die Resultate frfiherer Untersuchungen (Galambos u. Ruper t ; }tilding u. Fletcher; Meyer u. Schlosshauer). Sie best/~tigen u. E. die Annahme, wie aueh in jiingster Zeit yon Diamant aufgezeigt, dal~ die Funktion des M. stapedius das Ohr vor L/~rmseh/~den in den Niederfrequenzen, wenn auch mSglicherweise nur kurzzeitig, sehfitzen kann.

Literatur Diamant, H. : The effect of stapedius reflex on auditory fatigue. Acta oto-laryng. (Stockh.)

(ira Druck) Galambos, R., Rupert, A.: Action of middle car muscles in normal cats. J. acoust. Soc. Amer.

81, 349 (1959) Hilding, D. A., Fetcher, J. L. : The protective value of the middle ear reflex. Int. Rec. ~ed.

178, 369 (1960) Langenbeck, B., Lehnhardt, E.: Lehrbueh der praktischen Audiometrie, 4. Aufl., S. 79. Stutt-

gart: Thieme 1970 Lehnhardt, E.: Physiologie des ~ittelohres. In: Hals-Hasen-Ohrenheilkunde, Berendes-Link-

ZSllner, Hrsg., Bd. I I I Tell 2, S. 167. Stuttgart: Thieme 1966 Liden, G., Hordlund, B., Hawkins, J. E., Jr.: Significance of the stapedius reflex for the

understanding of speech. Aeta oto-laryng. (Stockh.) Suppl. 188, 275 (1964) Meyer, E., Schlosshauer, B.: ~ber die ~Funktion des M. stapedius. HN0-Wegw. (Berl.) 3,

257 (1952) Perekalin, W. E.: ~ber die Funktion des ~. stapedius. Z. Hals-, Has.- u. Ohrenheilk. 8, 472

(2924) Steffen, T., Nixon, J., Glorig, A. : Stapedectomy and noise. Laryngoscope (St. Louis) 73, 1044

(196a)

Dr. G. ~artin Prof. Dr. Chl. Beck Univ.-Hals- Nasen-Ohrenklinik Killianstral3e 5, Hochhaus D-7800 Freiburg i. Br. Bundesrepublik Deutschland