109
“Lizenziatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich“ Verortung, Vernetzung, Verhandlung Eine kulturwissenschaftliche Betrachtung urbaner Garteninitiativen in Zürich Eingereicht bei Prof. Dr. Thomas Hengartner am Institut für populäre Kulturen von Reinhard Benedikt Pestalozzi im Dezember 2012

Urban Farming in Zürich

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Eine rhizomatische Ethnographie des "Grünkontinents" in Zürich.

Citation preview

Page 1: Urban Farming in Zürich

“Lizenziatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich“

Verortung, Vernetzung, Verhandlung

Eine kulturwissenschaftliche Betrachtung urbaner Garteninitiativen in Zürich

Eingereicht bei Prof. Dr. Thomas Hengartner

am Institut für populäre Kulturen

von Reinhard Benedikt Pestalozzi

im Dezember 2012

Page 2: Urban Farming in Zürich

2

Verortung, Vernetzung, Verhandlung

Eine kulturwissenschaftliche Betrachtung urbaner Garteninitiativen in Zürich

Page 3: Urban Farming in Zürich

3

1 Vorwort ..........................................................................................................................5

2 Einleitung .......................................................................................................................9

2.1 Das Rhizom ..............................................................................................................9

2.2 Kulturbegriffe......................................................................................................... 11

2.3 Der Essay ............................................................................................................... 14

2.4 Urban Gardening – Die Bewegung weltweit und vor Ort ........................................ 16

2.4.1 Feststellungen ................................................................................................. 16

2.4.2 Ansichten der Akteure ..................................................................................... 18

3 Das Feld ....................................................................................................................... 23

3.1 Kronenwiese .......................................................................................................... 23

3.2 Dunkelhölzli ........................................................................................................... 25

3.3 Pflanzlabor ............................................................................................................. 27

3.4 Seedcity.................................................................................................................. 29

3.5 Ortoloco ................................................................................................................. 30

3.6 Stadiongarten ......................................................................................................... 32

3.7 Kulturgarten ‚Pflanz dich frei‘ ................................................................................ 35

3.8 Frau Gerolds Garten ............................................................................................... 37

3.9 Brauergarten ........................................................................................................... 39

3.10 Typisierungen......................................................................................................... 40

4 Ansätze zur Interpretation ............................................................................................. 42

4.1 Der Stadiongarten als anthropologischer Ort ........................................................... 44

4.1.1 Die ‚Möblierung‘ des Stadiongartens............................................................... 47

4.1.2 Die Beschriftung des Stadiongartens ............................................................... 54

4.2 Das Heterotop ........................................................................................................ 59

4.2.1 Theoretische Merkmale des Heterotops ........................................................... 59

4.2.2 Der Garten als Heterotop ................................................................................. 60

Page 4: Urban Farming in Zürich

4

4.3 Das Aneignen von Orten ........................................................................................ 66

4.3.1 Die Voraussetzung der Gruppe ........................................................................ 66

4.3.2 Ausgangsbasis Fabritzke-Areal........................................................................ 67

4.4 Der Ort und die Sprache ......................................................................................... 71

4.4.1 Umdeutungen .................................................................................................. 71

4.4.2 Namens- und Sprachspiele .............................................................................. 78

4.4.3 Verhandeln von Regeln ................................................................................... 80

4.5 Das Narrativ ........................................................................................................... 83

4.5.1 Narrative in der Presse..................................................................................... 90

4.5.2 Narrative in der populären Literatur ................................................................. 91

5 Traditionslinien ............................................................................................................. 93

5.1 Gartenvereine in Zürich .......................................................................................... 95

5.1.1 Verein für Schülergärten ................................................................................. 95

5.1.2 Verein für Familiengärten................................................................................ 97

5.2 Die Herkunft von Urban Farming ........................................................................... 99

6 Fazit und Ausblick ...................................................................................................... 102

7 Literaturverzeichnis .................................................................................................... 107

Page 5: Urban Farming in Zürich

5

1 VORWORT

Sonntag, 16.10.2011

Ich nähere mich dem Unterstand. Er liegt mitten auf der mit

hohem Gras und Buschwerk überwachsenen Seite der Baubrache

des ehemaligen Hardturmstadions. Das Gerüst aus Holzlatten

und einem Blechdach überdeckt einen mannshohen Brotofen.

Mit seiner grauen Lehmummantelung und dem über der

Eingangsluke aufgesetzten Kamin gleicht er einem Schlümpfe-

Haus. Es ist kurz vor halb sechs an einem Sonntagabend im

Oktober. Es dämmert und aus dem Kamin steigt weisser Rauch.

Vor dem Ofen sitzt Steffi und liest die WOZ. Einmal

wöchentlich bringt jemand die Zeitung vorbei und legt sie

in den blechernen Kasten gleich hinter dem Ofen.

In der Woche zuvor erfuhr ich vom Hörensagen, dass auf der

Brache des ehemaligen Hardturmstadions gegärtnert würde.

Ich fuhr aufs Geratewohl hin und sah auf einem Anschlag die

Ankündigung: „Neu: regelmässige Backtage. Jeweils am

Donnerstag und Sonntag heizen wir ab 17 Uhr den Ofen ein.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, mit oder ohne

Teig vorbeizukommen und mitzumachen! Bis bald,

Projektgruppe brotoloco.“ Die Mitteilung stand auf einem

Briefpapier mit dem Signet „ortoloco, Die regionale

Gartenkooperative“.

Dies ist der erste Eintrag in das Forschungstagebuch, als sich das Thema der vorliegenden

Arbeit vor einem Jahr zu konkretisieren begann. Hinweise aus verschiedensten Quellen

verdichteten sich zu einem Ganzen. Scheinbar unabhängig voneinander berichteten sie von

Stadtgeschichten rund um die Welt und aus Zürich. Sie hatten alle einen gemeinsamen

Nenner: sie erzählten von der unerhörten Begebenheit, dass Städter sich für

landwirtschaftliche Themen interessierten, oder bäuerische Tätigkeiten gleich selbst

ausprobierten. Einige Beispiele: Im Zuge der Wirtschaftskrise war zu lesen, wie in New York,

dem Sinnbild für westliche Urbanität, vermehrt Hühner im Hinterhof zwecks Eierproduktion

oder Suppenergänzung gezüchtet würden1. Eine Bloggerin aus Wien war an meinen

Erfahrungen im Landdienst vor zehn Jahren interessiert:2 Sie berichtet regelmässig von neuen

Projekten, porträtiert innovative Bauern und rezensiert einschlägige Literatur. Auf ihre

Anfrage zu weiterer Zusammenarbeit berichtete ich von einem Imker in Zürich, der mitten im

Hochschulquartier direkt neben der Tram-Haltestelle Pfauen und der stark befahrenen

1 Vgl. Tages Anzeiger, 27. 07.2010: „In der Not hält der Amerikaner Hühenr“;

http://www.tagesanzeiger.ch/20895542/print.html 2 http://www.ueber-land.eu/landdienst-agriviva-lebensmittel-landwirtschaft/

Page 6: Urban Farming in Zürich

6

Heimstrasse seine Bienen hält. Er erzählte von der neuen Erkenntnis, dass Bienen auf

städtischem Gebiet mehr Honig sammelten als auf dem Land.3 In einem Praktikum beim

Hilfswerk HEKS diskutierten wir, inspiriert von Projekten aus Deutschland, über den

integrativen Charakter von Gemeinschaftsgärten. Solche werden mittlerweile in

verschiedenen Schweizer Städten wie in Zürich betrieben4. Eine Freundin etablierte einen

interkulturellen Garten auf einer Baubrache in Seebach: die Seebrache5. Nach drei Jahren

musste der blühende Garten einem Neubau weichen. Die Stadt begrüsste jedoch das Projekt

und etablierte in Zusammenarbeit mit der Initiantin den Gemeinschaftsgarten Kronenwiese,

ebenfalls eine Zwischennutzung: Der Baubeginn der städtischen Wohnsiedlung Kronenwiese

ist im Sommer 2014 geplant6.

Im Freundeskreis wurde über das Fleischessen und Vegetarier diskutiert, über das Rauchen

und gesundes Leben, Ressourcenverbrauch und Peak Oil, über die Lebensmittelindustrie und

das Gärtnern, Kochen, Einmachen und Beeren pflücken. Es fiel der Name der

Gartenkooperativen Ortoloco und Dunkelhölzli, und jemand wusste, dass auf der Brache des

ehemaligen Stadions Brot zum Selbstzweck gebacken wurde. Mir reichte es. Da war etwas in

Gange. Da war etwas, das all diese Themen verband. Diesem Etwas wollte ich auf den Grund

gehen und fuhr an jenem Sonntag im Oktober 2011 auf die Stadionbrache, brachte meinen

Teig mit und backte mein Brot mit den anderen Back-Aktiven im vorgeheizten Holzofen und

unterhielt mich mit den Leuten. Hielten auch sie Hühner im Hinterhof? Kannten sie den Imker

vom Pfauen? Was hatten sie mit Ortoloco zu tun und was ist das, eine regionale

Gartenkooperative? Waren all diese Phänomene nicht Ausdruck derselben Bewegung? Oder,

um mit Michel de Certeau zu sprechen: waren es nicht Alltagspraktiken, abgeleitet aus ein

und demselben System, das sich Kultur nennt? Was ist das für eine Kultur? Wie lässt sie sich

aufspüren? Wie lässt sie sich beschreiben?

Fortsetzung Tagebucheintrag vom Sonntag, 16.10.2011

Steffi legt Holz nach. Bald kommen hoffentlich ein paar

Leute und einige ihrer Freunde vorbei und dann soll der

Ofen backbereit sein. Sie erklärt mir, wie es zu Brotoloco

kam. Seit der Saison 2010 baut die genossenschaftlich

organisierte Gruppe Ortoloco auf einem gepachteten Feld in

Dietikon Gemüse an und verteilt es den Genossenschafter.

3 http://www.ueber-land.eu/urban-farming-stadThomker-regionale-lebensmittel-zurich/ 4 http://www.heks.ch/schweiz/regionalstelle-zuerichschaffhausen/heks-neue-gaerten-zuerich/ 5 http://www.stadt-zuerich.ch/content/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/zwischennutzungen/ 6 ebd.

Page 7: Urban Farming in Zürich

7

Diese finanzieren mittels Anteilsscheinen den Betrieb und

unterstützen mehrmals jährlich die ausgebildete

Gemüsegärtnerin mit Feldarbeit. Einmal die Woche erhalten

alle ‚Gnossis‘, je nach gewähltem Abo, eine grössere oder

kleinere Tasche voll frisch geerntetem Gemüse. Diese

können sie in ihrem Quartierdepot abholen.

Neben dem Gemüsebau entwickelten sich schnell Nebenprojekte wie die Kultivierung von

Beeren und Pilzen mit den sprechenden Namen Beeriloco und Fungoloco, und seit 2011 eben

Brotoloco, die genossenschaftliche Brotproduktion. So entfaltete sich das Netz: Zuerst war da

die Grundidee des Gemüsebaus und die Organisationsform der Genossenschaft. Dann das

Feld in Dietikon. Es folgten weitere Projekte und der Brotofen auf der Hardturm-Brache. Ein

Mitglied der Betriebsgruppe versuchte zu rekonstruieren, wie es dazu kam:

Weiss nicht wie im Detail das gelaufen ist. Man hat lange von diesem Ofen gesprochen, dass man den bauen will, und erst gesagt, das machen wir gleich auf dem Fondli [Hof in Dietikon], weil es ja ein Teil von Ortoloco war. Und da war ja Esther vom Kraftwerk [Wohngenossenschaft Nähe Hardturm], die fest mitgetan hat beim Brachenverein, weil sie hier gerade wohnt und – das ist auch so eine herzige Geschichte. Sie ist mit ihren Kindern hier vorbeigelaufen, die Securitas bewachte das Gelände blablabla, "kein Zutritt" papipapo, und die Kinder haben immer gefragt, "warum dörfet mir da nöd ie?", völlig bescheuert, ich meine das isch, da isch en uhuere ruum.. Ich: ah, da hast du nicht einmal hinein dürfen. Claude: Nein, da war zu, zu zu zu, da war ein Schloss am Tor, da hat niemand reingekonnt. Und sie hat nach dem fünften Mal Fragen ihrer Kinder sich auch gefragt: ja, eigentlich, warum dürfen wir hier nicht rein? Ist ja völlig bescheuert und hat dann bei der Stadt gefragt, warum dürfen wir hier nicht rein. Und die hat dann gesagt, ja, was, gut, ihr dürft hier schon rein, oder. So hat das angefangen. Und dann hat sich das einfach für diesen Ofen angeboten, ja. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:11:04)

Die Brache blieb ein öffentlicher Raum. Der Ofen wurde für die Brotproduktion nur einmal in

der Woche geheizt. Es passte in das Konzept von Ortoloco und Brotoloco, dass der Ofen auch

von anderen Leuten genutzt werden kann. So organisierten sie das freie Backen an Sonn- und

Donnerstagen. Hier stiess ich dazu.

Dieses Netzwerk ist eines von vielen in Zürich. Und das Netz über Zürich ist eines von vielen,

die sich überall auf der Welt ausbreiten. Soziale ‚Netze‘ werden von allen Gruppen und

Gesellschaften gebildet. Diese hier sind im Entstehen begriffen indem sich Menschen

Page 8: Urban Farming in Zürich

8

entgegen der verbreiteten Alltagspraktik zwischen Erwerbsarbeit und Supermarkt

organisieren, um ihre Lebensmittel zu produzieren.

Kultur ist nicht nur ein System, aus dem sich verschiedene Alltagspraktiken ableiten. Kultur

ist auch ein Netz mit einer unüberblickbaren Anzahl Unternetzen. Dies ist bei jeder

Feldforschung zu erfahren: Geht der/die Forschende ins Feld und nistet sich ein in

vermeintlich überblickbare und feste Gruppen, sind sie meistens doch nur Abschussrampen in

ein vielfältiges Netzwerk von Kontakten und Orten. Dies stellt die Kulturwissenschaftlerin

Gisela Weltz in ihrem Aufsatz Sighting/Siting Globalization7 fest, und genauso ist es mir

ergangen: Über die Leute von Ortoloco und Brotoloco erfuhr ich von anderen Netzen, so z.B.

vom Permakulturgarten Seedctiy oder vom Milieugarten Brauergarten. Katja Keller,

Initiatorin des Gemeinschaftsgarten Kronenwiese, erzählte mir von der Genossenschaft

Dunkelhölzli. Über Umwege erfuhr ich von Wissenschaftlerinnen der ETH, die die

Auswirkungen des kommunalen Gartenbaus auf Mensch und Umwelt untersuchen. Diesen

Verästelungen bin ich gefolgt. Es stellte sich die Frage, ob und wie sich diese

mehrdimensionale Netzstruktur sichtbar machen lässt samt ihrer geschichtlichen Entwicklung

und geographischen Ausbreitung. Diese Arbeit soll diese Komplexität nicht auf eine Ebene

herunter brechen. Da ich die meiste Zeit auf der Stadionbrache und mit Leuten von Ortoloco

verbrachte, werden diese Orte mehr Platz beanspruchen als die anderen Projekte. Es ist eine

subjektive Annäherung an das Feld ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit und erst in einem

Essay werden Verwebung von theoretischen Ansätzen und Beschreibung des Gegenstandes

möglich. Dies entspricht der Tatsache von kulturwissenschaftlicher Theorie und ihrem

Untersuchungsgegenstand, die nicht ohne Verlust voneinander zu trennen sind.8

In der folgenden Einleitung finden verschiedene Berichte von Urban Farming ihren Platz. Aus

soziologischer Sicht beobachtet Christa Müller verschiedene Begebenheiten mit globaler

Reichweite, die für eine Hinwendung zum Gärtnern führen. Sie gehen ebenfalls dem Wesen

dieser scheinbar neuen Bewegung auf den Grund und erklären deren Zustandekommen.

Dazwischen teilen Protagonisten aus Zürich ihre Sichtweise mit. Ebenfalls in diesem Kapitel

sollen die Ansätze der Kulturwissenschaft erörtert werden. Mit dem Thema gleichsam

verwachsen ist die Vorstellung des Rhizoms. Dieses beschreibt eine Denkart oder Weltsicht,

auf der verschiedene hier verwendete Methoden aufbauen.

7 Gisela Welz: „Sighting/Sitin globalization“. Gegenstandskonstruktion und Feldbegriff einer ethnographischen

Globalisierungsforschung. 8 Vgl. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur.

Page 9: Urban Farming in Zürich

9

2 EINLEITUNG

2.1 DAS RHIZOM

Eine umfassende Herangehensweise lässt an das Modell des Rhizoms denken, das die totale

Verknüpfung aller Phänomene unter einen Hut bringt. Der Begriff kommt ursprünglich aus

der Botanik und bezeichnet eine Art von Wurzelgeflecht. Im Gegensatz zur Pfahlwurzel

verläuft ein Rhizom horizontal, dicht unter oder über der Erdoberfläche und hat verschiedene

Funktionen: es hat aber wie die Pfahlwurzel die Funktion der Wasseraufnahme, bildet aber

auch Knöllchen als Nahrungsspeicher. Es sprosst an geeigneten Stellen wieder aus, um eine

neue Pflanze zu bilden und wächst auch dann weiter, wenn es von der Mutterpflanze

abgetrennt wird. Ein Rhizom ist im Gegensatz zur Pfahlwurzel nicht in sich abgeschlossen.

Als Modell zur Betrachtung von Gesellschafts- und Wissensstrukturen fiel es Mitte der

Siebzigerjahre auf fruchtbaren Boden, als grossflächig die in der Gesellschaft verwurzelten

Hierarchien und Autoritätsgläubigkeiten hinterfragt, überdacht und bekämpft wurden. Das

rhizomatische Denken beruht nicht auf eindeutigen Schlussfolgerungen und Abhängigkeiten.

Die im Strukturalismus etablierten Gesetze, auf denen die Welt und ihre Organisation beruhen

sollten, werden in Frage gestellt. In den linguistischen Theorien von Saussure oder Chomsky

wird der Aufbau der Sprache nach binären Modalitäten erklärt. In diesem Denkmuster wird

die Welt an sich wahrgenommen. Gegen diesen Determinismus wehren sich Deleuze und

Guattari und liefern mit dem Rhizom ein Gegenprogramm:

„Ein Rhizom verknüpft unaufhörlich semiotische Kettenteile, Machtorganisationen,

Ereignisse in Kunst, Wissenschaft und gesellschaftlichen Kämpfen. Ein semiotisches

Kettenglied gleicht einer Tuberkel, einer Agglomeration von mimischen und

gestischen Sprech-, Wahrnehmungs- und Denkakten: es gibt keine Sprache an sich,

keine Universalität der Sprache, sondern einen Wettstreit von Dialekten, Mundarten,

Jargons und Fachsprachen.“9

Der Begriff stellte die ganze Tradition der herkömmlichen Wissenschaft in Frage und wird

auch dem entsprechend kritisiert. Die Beliebigkeit seiner Anwendung und der Anspruch auf

eine umfassende Erklärung der Welt dienen als Vorwurf an einen Begriff, der sich einer

exakten Definition per se zu entziehen scheint. Trotzdem, oder gerade deshalb, erlangte er

eine Popularität, die ihn in philosophischen Abhandlungen bis hin zum Rockmagazin

9 Gilles Deleuze/Félix Guattari: Rhizome, S. 12.

Page 10: Urban Farming in Zürich

10

auftauchen liessen.10

Besonders in den Sozial-, Medien- oder Kulturwissenschaften werden

unübersichtliche, mehrschichtige Netzwerke und Systeme als Rhizome beschrieben.

Die Wahrnehmung eines Phänomens hängt von dessen Beschreibung ab. Eine hierarchische

Beschreibung der Gesellschaft bewirkt ein unflexibles Verständnis von deren Kultur. Die

Loslösung einer eindimensionalen Struktur durch das Rhizom öffnet auch das Verständnis hin

zu einem Zusammenspiel von verschiedensten, unübersichtlichen Verbindungen. Rhizome

wuchern, angetrieben von unzählbaren Elementen auf unterschiedlichsten Ebenen zu einem

Geflecht zusammen, das dann eine Gesellschaft bildet, oder ein System, oder eben, eine

Kultur. Ein Mitglied der Betriebsgruppe Ortoloco stellt ähnliche Strukturen fest in ihrem

Wohnatelier wie beim genossenschaftlichen Betrieb.

Dort geschehen ähnliche Dinge wie hier auf dem Fabritzke-Areal.11 Man hat eine gemeinsame Infrastruktur, die man aus einem alltäglichen Bedarf benutzt, man trifft sich, koordiniert den alltäglichen Bedarf, und nebenbei entstehen wie so Zusatzgeschichten zwischen den Leuten, die dann eine starke soziale Vernetzung bilden, die dann wiederum Ideen generieren. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 01:27:50)

10 Vgl. Jörg Seidel: Rhizom; http://seidel.jaiden.de/rhizom.php, zuletzt 26.07.2012. 11

Seit 20 Jahren werden die Räume der drei ehemaligen Industriegebäude der Labitzke Farben AG für

verschiedene Zwecke vermietet: Kunstatelier, Tanzschule, Fotostudio, Architekturbüro, Proberaum, etc. 1999

wurde eine grosse Halle zum Wohn-Atelier umfunktioniert. Dort werden die Grenzen von privatem und

gemeinsamen Raum neu ausgelotet. Diese Gross-WG ist unter dem Namen Fabritzke bekannt geworden. Vgl.

dazu Kap. 4.3.2. Ausgangsbasis Fabritzke-Areal, S. 59.

Page 11: Urban Farming in Zürich

11

2.2 KULTURBEGRIFFE

Kultur habe ich oben mit Michel de Certeau als System bezeichnet, das als

Orientierungsmuster den Leuten ihr Alltagshandeln ermöglicht. De Certeau vergleicht es mit

der linguistischen Theorie von Type und Token, resp. langue et language, also aktualisierter

Sprachgebrauch vom inhärenten Sprachsystem: Sprachbenutzer schöpfen ihre Wörter aus dem

Sprachschatz, den sie sich in ihrer Kindheit aus ihrer Umgebung angeeignet haben. Um das

Sprachsystem zu verstehen, müssen gesprochene oder geschriebene Äusserungen und

Formulierungen analysiert werden. Adäquat muss zur Analyse eines kulturellen Systems das

Alltagshandeln der Angehörigen dieses Systems betrachtet und in einen Zusammenhang

gestellt werden.

Wer als Kulturwissenschaftlerin im herkömmlichen Sinn einen Ort und seine Bewohner

erfassen will, sehe sich oft „in ein vielfältiges Netzwerk von Kontakten und Orten“ befördert,

schreibt Gisela Welz im oben genannten Aufsatz. Das hänge damit zusammen, dass die

Grenzen von bisher scheinbar homogenen Grössen wie soziale Gruppe, territoriale

Raumbindung oder historische Kontinuität sich auflösen. Räume werden zu Teleräumen. Das

heiss, wir sind nicht unbedingt an den Grund und Boden gebunden, auf dem wir uns befinden.

Wir fliegen für einen symbolischen Preis um den ganzen Globus oder pendeln tagtäglich von

einer Stadt in die andere. Effizienter geht es durch das Internet. Bild, Schrift und Ton

wechseln in Nullzeit die Kontinente. Die Bedeutung zum eigenen Ort und Raum verändert

sich.

Sind diese Begriffe und Abstraktionen fruchtbar für meine Arbeit? Ermöglichen sie die

Verdichtung meiner Beobachtungen zu aussagekräftigen Beschreibungen, die die seit 2009

medial präsente und sich ausbreitende Bewegung des Urban Farmings bestätigten?

Eine plakative Beschreibung könnte wie folgt heissen: eine Kultur wird von einer

Gesellschaft verkörpert, die sozial fest umrissen und geographisch an einem festen Ort

angesiedelt ist. Mit dieser Definition würde eine Kulturwissenschaft betrieben, die

Entwicklungen der Kommunikationstechnologie und deren miteinhergehenden

Veränderungen von Gesellschaftsstrukturen und Weltwahrnehmung nicht berücksichtigt.

Deshalb werden neue Sichtweisen diskutiert, die den Fokus der Kulturwissenschaften öffnen,

um sie den gegebenen Verhältnissen anzupassen. Dazu nimmt Gisela Welz im oben zitierten

Aufsatz Sighting/Siting globalization Stellung und gibt Einblick in die Fachdiskussion. Ihr

Ansatz ist der internationale und interkontinentale Fluss von Waren, Menschen und

Page 12: Urban Farming in Zürich

12

Organisationen, sowie Abhängigkeiten, Ideen und Bewegungen in der fortschreitenden

Globalisierung. So wie ein Lichtstrahl erst durch die Reflexion an Staubkörner oder

Tautropfen erkennbar wird, werden Phänomene der Globalisierung erst in örtlichen

Fallstudien sichtbar. Dafür verwendet Welz den Begriff „sighting globalization“ – sichtbare

Globalisierung. Diese Studien werden an lokal beschränkten Orten durchgeführt. Daher

„siting globalization“. Erst nach dieser Zuordnung werden auch globale Phänomene für

Kulturwissenschaftler handhabbar. Die traditionelle Methode beschränkte sich auf die

Erforschung von regionalen und überblickbaren Feldern und vernachlässigte den Bezug zum

globalen Kontext.

Urban Farming ist ebenso Makro- wie Mikrokultur. Die konkreten Gärten bilden die

Mikroebene. Der ganze Hintergrund jedoch, die Ideen für urbane Gärten, die Techniken und

die Motivationen, die Hoffnungen und die Ängste verlaufen auf unsichtbaren Bahnen auf der

globalen Ebene. Diese Polarität ist in dieser Arbeit ersichtlich. Einerseits kamen Ansätze und

Theorien zur Erfassung der ganzen Welt zur Sprache. Andererseits hörten wir sie Stimmen

von Steffi und Claude, die die Vorgänge vor Ort ohne Gesamtreflexion beschreiben und ihre

Sichtweise darlegen. Ich als kleiner Forscher versuche nun, diese Ebenen zu verknüpfen und

Orientierung im Raum zu finden.

Die verschiedenen urbanen Gärten werden anhand der dichten Beschreibung dargestellt. Das

heisst, als Ausgangsmaterial dient meine subjektive Wahrnehmung der verschiedenen

Projekte. Nach Lehrbuch werden die subjektiven Beobachtungen mit kulturwissenschaftlichen

Theorien verglichen und zur handfesten Beschreibung verdichtet. Anhand der imaginären

Linien von kulturwissenschaftlichen Konzepten sollen diese Beobachtungen interpretiert und

zu einer dichten Beschreibung verarbeitet werden. Das erste dieser Konzepte ist der

anthropologische Ort. Damit kann ein Raum, z.B. ein Dorf, definiert und die Bedeutung der

verschiedenen Bauwerke für die Einwohner untersucht werden. Das Konzept des Heterotops

fokussiert auf die unterschiedliche Wahrnehmung verschiedener Orte und deren Verhältnis

und Funktionen zueinander. Wie lässt sich ein Ort in Abgrenzung seiner Umgebung

definieren? Wo hört z.B. eine Stadt auf? Wo sind die Grenzen, z.B. eines Quartiers? Was sind

die Funktionen eines Ortes, z.B. eines Parks? Wie beeinflusst der Ort die Zeitwahrnehmung,

oder wie strukturiert umgekehrt der Rhythmus einen Ort, z.B. einen Bahnhof? Ein drittes

Konzept führt eine Sprosse höher auf der Abstraktionsleiter: es fokussiert die Sprache und

Page 13: Urban Farming in Zürich

13

untersucht sie auf ihr Funktion in der Gruppenbildung einerseits und in den mit-

kommunizierten Werthaltungen und Weltsicht andererseits.

Page 14: Urban Farming in Zürich

14

2.3 DER ESSAY

Würden die rhizomatischen Überlegungen konsequent umgesetzt, wäre jede Struktur und

jeder Aufbau einer ethnographischen Arbeit legitim. Denn die Schrift soll ja einerseits die

gemachten Überlegungen darstellen. Diese entspringen dem menschlichen Gehirn, einem

rhizomatischen Gewebe aus Nervenzellen. Andererseits sollen sich thematische Darstellungen

auch in einen Bezug zu ihrem Untersuchungsgegenstand bringen lassen. Die hier

ausgewählten Urbane Gärten aus Zürich und deren Vernetzung sind als kulturelles

Phänomene von einer unüberblickbaren Anzahl Beziehungen und Verflechtungen geprägt.

Deren Darstellung müsste dieser Komplexität entsprechen. Die vorliegende Arbeit ist aber

nicht irgend eine schriftliche Darstellung, sondern muss in den wissenschaftlichen Diskurs

eingeordnet werden können. Nach einer fünfjährigen Schutzfrist ist sie in der

Zentralbibliothek der Öffentlichkeit zugänglich. Deshalb muss dieser Text auch diesen

Anforderungen genügen und sich dem Anspruch einer Wissenschaftlichkeit stellen. Diese

beschreibt Michel de Certeau so: „Ein Diskurs lässt sich also dann als wissenschaftlich

kennzeichnen, wenn er die Bedingungen und Regel seiner Produktion verdeutlicht, und vor

allem die Verhältnisse, unter denen er entstanden ist.“12

Ein rhizomatischer Text zur

Beschreibung eines rhizomatischen Phänomens ist im wissenschaftlichen Diskurs dann

legitim, wenn sein Zustandekommen beschrieben und wie mit einer Stimme aus dem Off

kommentiert wird.

Ein Essay folgt keiner linearen Struktur, sondern springt von einem Gedanken intuitiv zum

anderen springt. Die Kunst besteht darin, trotzdem einen roten Faden beizubehalten, der dem

Text eine kohärente Struktur verleiht. Für Clifford Geertz ist der Essay deshalb die

angemessenste Form zur Darstellung und Formulierung von Untersuchungen und der daraus

abgeleiteten bzw. für sie hergestellten theoretischen Rahmung, weil theoretische

Begrifflichkeiten und Beschreibung des Gegenstandes schwer zu entweben sind. Dies

entspricht der Tatsache, dass kulturwissenschaftliche Theorie und ihr

Untersuchungsgegenstand nicht ohne Verlust voneinander zu trennen sind. Zudem

ermöglichen im Essay übliche Perspektivenwechsel eine mehrdimensionale Darstellung des

Gegenstandes, als wenn dieser anhand der Linie einer einzigen Theorie abgehandelt wird.

Urban Farming kann als eine neue Bewegung gelten, deren Ideen nicht in den Strukturen und

Normen von Politik und Gesellschaft vorgesehen sind. Auch diese Arbeit ist wie jede

12 Michel de Certeau, Kunst des Handelns, S. 102.

Page 15: Urban Farming in Zürich

15

Neuschaffung mit einer Kultivierung von Brachland vergleichbar: es müssen Beete bepflanzt,

Gartenwege angelegt, ein Werkzeugschuppen gebaut und für die Wasserversorgung geschaut

werden. In dieser Arbeit stehen die verschiedenen Schriftarten für die verschiedenen

Quellenarten: Forschertagebuch in Courir New, Interview-Zitate in Goudy Old

Style, Lauftext in Times New Roman, Auszüge von Homepages in Areal kursiv und

Zitate aus der Literatur in Times New Roman kursiv. Somit entsteht eine Art Collage, die das

wild wachsende Feld der Gärten, die Verschiedenheit ihrer Bewohner und meine Rolle als

Feldforscher beleuchtet. Der Text wird nicht in einen Blocksatz gepasst. Es entstehen

Unebenheiten am rechten Textrand, dafür bleibt der Wortabstand konstant, was den Lesefluss

begünstigt. Die Gespräche sind Experten-Interviews, wobei die Beiträge zwischen

persönlichem Zugang und objektivierten Erklärungen schwanken. Ich habe sie in

Schriftsprache transkribiert und den Wortlaut für eine bessere Lesefreundlichkeit leicht

verändert.

Diese Arbeit ist der Versuch einer Formulierung der Interpretation des Materials, das ich

generierte. Die Bilder wurden nicht verfälscht, die Stimmen wahrheitsgetreu aufgenommen

und nach bestem Gewissen transkribiert. Die Auswahl und Zusammenstellung der Kapitel

und der Zeugen geschah durch meine Intention. Die Namen wurden geändert.

Page 16: Urban Farming in Zürich

16

2.4 URBAN GARDENING – DIE BEWEGUNG WELTWEIT UND VOR ORT

In den Medien war in den letzten Monaten und Jahren vermehrt von solchen Projekten

berichtet worden. Von der wiedergekehrten Mode, in der Stadt mit einfachsten Methoden

Blumen oder Gemüse zu ziehen. Wer kennt sie nicht, die Bilder aus New York, wo trendige

Mitdreissiger im Gärtnerlook sich an langen Gemüse-Beete zu schaffen machen, hoch über

den Dächern, im Hintergrund die Wolkenkratzerlandschaft: Roof-top-Farming heisst das.

Da gibt es innovative Ideen wie Aquaponic, die Produktion von Fisch und Gemüse in einem

zweigeteilten Container: unten ein Aquarium, oben eine Gemüsezucht. Das Wasser befindet

sich im Kreislauf, wird im Aquarium von den Fischen gedüngt, zum Gemüse gepumpt, und

fliesst gereinigt zurück zu den Fischen. Solche Container lassen sich auf jedem Untergrund

aufstellen und sollen ungenutzte Flächen besser verwerten. Leerstehende Betonplätzen,

Baubrachen und Flachdächer.13

Andere stellen dort ihre Kisten auf, füllen sie mit Gartenerde und pflanzen was sie gerne

mögen. Sie betreiben Urban Gardening. Beide Beispiele sind Versuchsanordnungen, um

alternative Produktionsweisen von Nahrungsmittel zu erproben. Zugleich lassen sie sich in die

Kultur des Selber-Machens einordnen. DIY – Do It Yourself.

Woher kommen diese Trends?

Dazu möchte ich Christa Müller das Wort geben. Die promovierte Soziologin beobachtet das

Phänomen seit längerem und publizierte 2011 das programmatische Buch „Urban

Gardening“. Darin nähern sich gut zwei Dutzend Aufsätze verschiedener Disziplinen dem

Phänomen an.

2.4.1 FESTSTELLUNGEN

Zur Einordnung der Bewegung einige Nebenentwicklungen: 2007 war der Urban Population

Peak. Ab 2007 leben global mehr Leute in der Stadt als auf dem Land.14

Zuvor war das

Verhältnis seit der Entstehung der ersten Städte vor ca. 20‘000 Jahren immer umgekehrt: es

lebten immer mehr Menschen in ländlichem Gebiet. Und die globale Landflucht hält an.

Gartencenter füllen sich an den Samstagen, es werden vermehrt Samen für Gemüse und Salat

gekauft als für Zierpflanzen.15

Dies bestätigt auch Claude im Gespräch:

13 Vgl. http://www.urbanfarmers.ch/ 14 Vgl. NZZ, 27. 06. 2007: „Erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land“. 15 Christa Müller: Urban Gardening, S. 22.

Page 17: Urban Farming in Zürich

17

Also wir hatten nie etwas auf dem Balkon, dass man nicht essen kann. Oder, das war klar, wir hatten nie Zeugs, das man nicht essen konnte, und jetzt, am neuen Ort wo wir wohnen, können wir ein Beet haben. Janine [seine Frau] hat sich schon mit einer Nachbarin angefreundet. Sie hat ihr gesagt, du, da vorne wachsen so Ziersträucher, das braucht doch eigentlich kein Mensch, dort können wir doch super Kürbisse machen. Und haben das schon beschlossen. <lachen> (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:14:02)

Das ZDF nannte im Oktober 2009 einen Beitrag der Sendereihe aspekte „Die neue Lust am

Gärtnern.“ Inzwischen sind die Sendungen zum Thema auf allen Kanälen wie Pilze aus dem

Boden geschossen. Je nach zugrunde liegendem Modell erreichen wir heute bis in wenigen

Jahrzehnten den sogenannten Oil Peak, die maximale Fördermenge von Erdöl.16

Danach wird

es nur noch weniger Öl geben. Dies lenkte die Aufmerksamkeit auf die Endlichkeit aller

abbaubaren Ressourcen und deren bereits stark reduzierten Bestand.

Das Phänomen Garten repräsentiert das Modell einer besseren Gesellschaft mit Werten wie

„Kooperation, Gelassenheit, handwerkliches Können, Lebendigkeit, Empathie und

Grosszügigkeit, aber auch die Kunst des ‚einfachen Lebens‘“, die nötig sind für die

bevorstehenden Transformationsprozesse.17

Das Internet verändert die Welt. Wenn wir nicht schon als digital natives geboren wurden, so

sind wir digital immigrants. „Netzwerke, die prägende Charakteristik räumlicher

Organisation im 21. Jahrhundert, haben die Art verändert, in der Räume produziert und

erfahren werden“.18

Netzwerke stellen Beziehungen in den Vordergrund und ‚verflüssigen‘

vormals feststehende Grenzen. Das Internet sensibilisiert für Geschehen auf der ganzen Welt.

Die Nachrichten von Katastrophen erreichen uns unvermittelter und erhöhen Empathie und

Betroffenheit.19

Seit den 60er Jahren wird Hardins tragedy oft the commons20

akzeptiert und nicht hinterfragt:

Gemeingüter und öffentliche Ressourcen werden so lange ausgebeutet bis sie verschwinden.

Das ist das Schicksal der Menschheit, der egoistische Homo Oeconomicus ist unverbesserlich.

Elinor Ostrom widerlegt diese These mit Untersuchungen von Genossenschaften und

16

http://www.economist.com/node/15065719?story_id=15065719/ 17 Christa Müller: Urban Gardening. 18 Silke Borgsted: Das Paradis vor der Haustür. Die Ursprünge einer Sehnsucht aus der Perspektive

sozikultureller Trendforschung. 19 Ebd. 20 Garret Hardin: The Tragedy of the Commons. In: Science, Nr. 162 (1968), S. 1243–1248.

Page 18: Urban Farming in Zürich

18

Allmenden. Mittels dezentraler Selbstorganisation kleiner Gruppen kann der Schutz von

Ressourcen erreicht werden und auch globale Probleme wie der Klimawandel angegangen

werden. Für ihre Erkenntnisse erhielt sie 2009 den Nobelpreis für

Wirtschaftswissenschaften.21

In diesem Sinne setzten sich verschiedene Modelle dem ständigen Wachstum als Mythos der

Moderne entgegen. Locavores ist eine Bewegung, die es sich zur Regel macht, nur Esswaren

und Konsumgüter zu kaufen, die nicht weiter als 100 Kilometer weg produziert wurden. Via

Campesina ist ein weltweiter Zusammenschluss von Kleinbauern, die sich gegen die

Ausbeutung von Lebensmittelkonzernen und die Verdrängung von ihrem Land wehren.

Gartengemeinschaften jeglicher Couleur leben nach derselben Idee der Subsistenz:

Lebensmittel selber zu produzieren ist gut für die Umwelt, fürs eigene Budget und für den

sozialen Zusammenhalt. Dafür muss jedoch Raum zur Verfügung gestellt werden, denn

Subsistenz schreibt sich eben nicht in die gängige Marktlogik ein. Kommunal verwaltete

Fläche und Gartenprojekte bedürfen daher nicht nur der Anerkennung, sondern einer aktiven

Unterstützung durch die Politik.

Die politische Dimension von urbanen Gärten reicht von institutioneller Nutzung bis zu

autonomem Guerilla Gardening. Von der Kronenwiese, die der Stadt Zürich als

Experimentierfeld dient für effektive Zwischennutzung von Brachland bis zum Pflanz-dich-

frei-Kulturgarten, der die Öffentlichkeit auf die Verdrängung durch den Immobilien-Markt

aufmerksam machen will.

2.4.2 ANSICHTEN DER AKTEURE

Christa Müller zählt verschiedene Fakten auf, die das Interesse an Urbanen Gärten

begünstigen oder als Auslöser der lokalen Projekte gelten, die weltweit die Form einer

Bewegung annehmen. Urban Population Peak, Oil Peak, das Internet.

Was sagen Stadtgärtner selber? Wie ist es dazu gekommen, dass mindestens drei Projekte im

Raum Zürich im Jahr 2010 ihren Produktionsstart hatten? Thom und Michi vom Dunkelhölzli

wagen eine These:

Ich: Warum liegt das so in der Luft?

21 Vgl. Die Zeit, 16.10.2009: „Wir dürfen uns nicht nur auf Klimaabkommen verlassen“;

http://www.zeit.de/wirtschaft/2009-10/interview-ostrom/

Page 19: Urban Farming in Zürich

19

Michi: Das ist eine gute Frage. Das weiss ich auch nicht.<seufzt> Also es wollen ja alle gärtnern. In den 90er Jahren hatten sie Mühe, Schrebergärten zu verpachten. Ich: Jaha Michi: Und dann so um das Jahr 2000 hat sich das wie gekehrt, die Schrebergärten sind plötzlich überquollen. Thom: War es 2000 oder 2002? Michi: Ja, oder fünf, weiss es auch nicht so genau. Thom: Nach NINE-ELEVEN oder so. Michi: Jaha,vielleicht, das könnte sein, das hat schon damit zu tun. Thom: Das wäre so eine Spekulation. Michi : So eine gewisse Sicherheit oder so eine Verbundenheit. Die Idee dein eigenes Gemüse zu produzieren, was zwar total unrealistisch ist, was dir aber auch ein gewisses Vertrauen gibt und ein Gefühlt von Sicherheit und Verbundenheit, vielleicht ist es da, ja. (Thom und Michi im Dunkelhölzli, 28.02.2012, 00:03:41)

Michi stellt fest, dass es um das Jahr 2000 eine Trendwende gab. Zuvor hatten die

Gartenvereine Mühe, gewisse Gärten zu verpachten. Dann wendete der Trend und die

Nachfrage stieg an, Interessierte liessen sich auf Listen setzen, es gab kaum freie Gartenblätze

mehr. In dieser Zeit fand der Terroranschlag auf das World Trade Center statt. Gut möglich,

dass dies eine Verunsicherung bei den Menschen auslöste, welche sich bei der Gartenarbeit

legte.

Zu dieser Trendwende befrage ich auch Pia. Sie ist im Organisationsteam für den

Stadiongarten und in der Betriebsgruppe von Ortoloco. Sie studiert Biolandbau in Wädenswil

und wohnt in der Ateliergemeinschaft Fabritzke resp. Vorwerk. Wie erklärt sie sich, dass mit

Ortoloco 2010 noch mindestens zwei andere Projekte mit ähnlicher Absicht in der Stadt

entstanden, nämlich das Dunkelhölzli in Altstetten und Seedcity am Hönggerberg, Und in

Winterthur entstand die Gemüsekooperative StadtLandNetz und in Bern die

Vertragslandwirtschaft Soli Terre. Alle im Jahr 2010. Das war noch vor der Publikation von

Christa Müllers Urban Gardening. Wie also kam es, dass alle wie auf den Startschuss mit

ähnlichen Projekten begannen?

Ich: Es ist auffällig, dass gleichzeitig so viele begannen 2009/10. Ortoloco ist dann, Dunkelhölzli ist auch dann, Seedcity glaub ich auch,…

Page 20: Urban Farming in Zürich

20

Pia: Ja, es ist schon auffällig, also man kann es Trend nennen oder Bewegung oder Lauffeuer oder was auch immer. Aber es ist schon <überlegt lange> ja, es ist irgendwie faszinierend. Also ich frage mich manchmal was die Auslöser gewesen sind. Da war sicher das Bedürfnis da von den Leuten, die es machen, das ist das eine. Und es ist das Wissen da, wie z.B. der Artikel in der WoZ, der uns prägte. Oder von Agricole in Basel, die es schon lange gibt und uns viel erzählte. Und dann ist es auch ein glücklicher Zufall, wie die Leute so aufeinander gestossen sind. (Pia im Alten Botanischen Garten, 08.05.2012, 00:39:35)

Also ein Trend? Ein Bedürfnis der Macher? Motivation vermittelt durch den Zeitungsartikel?

Schon nur für das Zustandekommen von Ortoloco ist es schwierig, die Gründe zu benennen.

Nick sieht den Auslöser in den Verunsicherungen nach dem Beginn der Wirtschaftskrise:

Ich: Wie erklärst du dir, dass gerade das Jahr 2009, in dem ihr Ortoloco gegründet hatten, auch der Pflanzplatz Dunkelhölzli startete, die ja ein ganz ähnliches Prinzip haben. [Mit dem Gemüsebau begann Ortolco 2010, wie auch Dunkelhölzli u.a.] Nick: Ja und in Winterthur gibt es auch welche, die haben im selben Jahr begonnen. Ich: Das ist schon noch auffällig. Nick <lacht>: Allerdings, und in Bern Solliterre hat auch gerade dann angefangen, einige Monate früher sogar. Ich weiss auch nicht, wahrscheinlich, also, also bei uns mit der Montagswerkstatt und dem Versuch die Wirtschaft neu oder anders zu organisieren, das hat schon mit dieser Wirtschaftskrise zu tun, 2008 der Lehman-Crash, der uns und alles so durchschüttelte, dass danach alle sagten, oh shit, äh, sogar Allan Greenspan, der so ein totaler Markt- also freier-Markt-Fetischist war, hat dann öffentlich bekundet, äh tschuldigung Leuts, funktioniert doch nicht, habe mich geirrt, sorry [lachen], und äh, die Leute die sich im Kasama getroffen haben, die fanden Kapitalismus, Wachstum und Profitorientierung etc., alles schon vorher scheisse. Aber es ergab sich dann wie eine Gelegenheit, sich mal ernsthaft mit alternativer Wirtschaftsform auseinanderzusetzen, mit einer gewissen Chance, dass das auch realisiert werden könnte, wenn schon dieses konventionelle eigentlich am versagen ist. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 00:12:15)

Die Frage nach dem Anfang der Bewegung wird verschieden beantwortet, z.B mit dem

Attentat auf die Zwillingstürme des World Trade Centers 2011 als Anfang einer

fundamentalen Verunsicherung. Die in Feuersbrunst einstürzenden Twin-Towers gingen als

Fernsehbilder sofort um die Welt und konnten nur schwer gegenüber fiktionalen Hollywood-

Inszenierungen abgegrenzt werden. Und niemand wusste, wann und wo der nächste Anschlag

ausgeübt werden würde. Es könnte jeden von uns treffen, das Unvorstellbare löste sich von

Page 21: Urban Farming in Zürich

21

der Mattscheibe und trat in unsere Wohnzimmer. Als Reaktion eine Hinwendung zum

Gärtnern, das einen universalen Bezug der eigenen Existenz zum Boden und zur Welt

herstellt. Ein menschlicher Trieb, formuliert in dem zum Sprichwort avancierten Zitat: Wenn

ich wüsste, dass morgen der jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen

pflanzen.22

Oder die Wirtschaftskrise, losgetreten durch den Banken-Crash der Lehman-Brothers 2007,

die in den Folgejahren als Subprime-Krise weltweit die sogenannte ‚Realwirtschaft‘

beeinträchtigte. Seit 2009 hat sie sich in die Staatsschuldenkrise der europäischen Länder

verwandelt. Die Staaten zogen mit unvorstellbaren Krediten die scheinbar unersetzbaren „too-

big-to-fail“-Banken aus dem Sumpf. Es wurden reihenweise Steuer- und Boni-Skandale

aufgedeckt, der Wert des Euros sackte ab, in den EU-Ländern steigt die Arbeitslosigkeit nach

wie vor, die Schweizer Exportindustrie muss sich mit Preisen unter den Produktionskosten

begnügen. Die Krise herrscht zwar überall, bei uns aber vor allem in den Medien, abgsehen

davon ist der Alltag von Normalität geprägt. Wie lange wir diese aufrechterhalten können,

weiss niemand. Aber wer Gärtnern kann, vermag sich unabhängig von Lohn und Arbeitsplatz

Nahrung zu beschaffen und ist besser fürs Überleben gerüstet. Dieses Bewusstsein sorgt für

eine vermeintliche Sicherheit.

Die Frage nach den Anfängen der Bewegung muss nicht in einer umfassenden These

beantwortet werden. Pia versteht die Frage nach dem Anfang konkret auf Ortoloco bezogen,

das ja auch ein Teil dieser Bewegung ist. Es war erstens das Bedürfnis der Organisatoren nach

einem solchen Projekt, zweitens das Umfeld, das die Umsetzung ermöglicht, und nicht zuletzt

der Zufall, der die richtigen Leute zusammenführte und die anderen Bedingungen

ermöglichte, die zur Umsetzung notwendig waren. Es war nicht das Bedürfnis von

‚Konsumenten‘, die zur Initiative motivierten, sondern das Bedürfnis der Gründer selber, ein

solches Projekt auf die Beine zu stellen. Es verortet sich ausserhalb vom tief verwurzelten

binärem Denken von Produzent vs. Konsument, Angebot vs. Nachfrage, Preis vs. Leistung.

Darauf soll später im Kapitel zum Narrativ eingegangen werden. Projekte des Urban Farming

stellen Plattformen dar, wo alternative Denk-, Wirtschafts-, oder Lebensweisen je nach

Bedürfnis im kleinen oder allumfassend gelebt werden können. Das Narrativ als Begriff und

Methode kann solche Ansätze aufspüren und beschreiben. Dazu mehr im Kapitel 4.4.

22 Das Zitat wird fälschlicherweise Luther zugeschrieben. Erstmals belegt sei es in einem Rundbrief der

hessischen Kirche 1944. Vgl. http://de.wikiquote.org/wiki/Martin_Luther/, zuletzt 01.11.2012.

Page 22: Urban Farming in Zürich

22

In den Kapiteln 2.1. bis 2.3. stellte ich den theoretischen Hintergrund vor, der als Einordnung

der Arbeit gelten soll. 2.4. verortete die Bewegung Urban Farming im internationalen und

historischen Kontext. Im Folgenden wird der Fokus auf die Zürcher Gärten gerichtet. Was ist

ihre Charakteristik? Mit welcher Motivation sind sie gestartet worden? Mit welchen

Konzepten lassen sie sich beschreiben? Dazu stelle ich zuerst die Projekte vor, bevor ich dann

zwei exemplarisch genauer unter die Lupe nehme.

Page 23: Urban Farming in Zürich

23

3 DAS FELD

Im folgenden Kapitel werden die prominentesten urbanen Gärten in und um Zürich

vorgestellt.23

Ein Foto, Auszüge aus dem Forschertagebuch oder Interview-Zitate illustrieren

die Projekte. Je nach Relevanz für die Arbeit werden sie unterschiedlich detailliert

beschrieben.

3.1 KRONENWIESE

12. Mai 2012, Kronenwiese vom ‚Alterskänzeli‘ aus, Gartenfest ‚Frühlingserwachen‘ bei Regen.

Freitag, 28. Oktober 2011

Ich besuche Katja auf der Kronenwiese. Die Brache ist auf

verschiedene Aktivitäten/Vereine aufgeteilt. Die untere

Hälfte wurde zum BMX-Parcours ausgebaut, auf der oberen

Hälfte gibt es einen Bauspielplatz unter der Leitung des

Gemeinschaftszentrum Schindlergut, ein Hühnergehege mit

eigenem Verein und Gartenbeete mit Betreuung von Katja in

zwei langen Reihen bis an die Kornhaustrasse.

23 Vgl. Tages Anzeiger, 17.10.2012: „Blühende Brachen“.

Page 24: Urban Farming in Zürich

24

Der ‚Generationengarten‘ Kronenwies ist eine Fortführung des ‚Interkulturellen Gartens

Seebrache‘, der 2010 einer Überbauung weichen musste. 2009 suchte die Stadt Ideen für eine

Zwischennutzung in Seebach. Katja Keller wollte einen Gemeinschaftsgarten verwirklichen

und fand grosses Gehör. Die Seebrache war beschlossene Sache und wurde ein grosser Erfolg.

Zwanzig BewohnerInnen des Quartiers mit acht verschiedenen Nationalitäten bebauten

gemeinsam Gartenbeete, 70 Kinder aus dem benachbarten Schulhaus beackerten ein

Kartoffelfeld und ernteten 150 kg Erdäpfel.

Also das auf der Seebrache war ein stiller Erfolg. Nach der Seebrache ist eine Gruppe von Leuten, die dort war, weitergezogen und ist als erstes Kollektiv aufgenommen worden in den Schrebergärten von Zürich. Das ist wirklich etwas Neues das entstanden ist aus diesem Projekt. Ich: Und das hättest du dir wie nicht denken können vor fünf Jahren. Katja: Nein, und das ist mega toll. Es ist zu einem Selbstläufer geworden. Und das ist ein riesiger Erfolg für einen Garten, dass es zu einem Selbstläufer wird. Da kann man von einer Bewegung reden. (Katja im Stadiongarten, 11.04.2012, 00:10:54)

Die im Kapitel 2.4.2. zitierten Stimmen mutmassen über das Zustandekommen des eigenen

Projekts oder die ‚Bewegung‘ im Allgemeinen. Hier zeigt sich, was Bewegung heisst,

nämlich, dass sie nicht beim eigenen Projekt aufhört, sondern da vielleicht erst beginnt und

weitergeht. Das Rhizom bleibt nicht bei einzelnen Knollen stehen, sondern wächst immer

weiter. Nach 2010 war mit der Kronenwiese der Standort für ein Nachfolgeprojekt gefunden,

bis 2014 der Spatenstich für eine neue Wohnsiedlung erfolgen wird. Für Christoph Widmer

von Grün Stadt Zürich ist auch hier die soziale Durchmischung der NutzerInnen das

Spannendste. Die Seebrache war ein Interkultureller Garten, es trafen sich da Menschen aus

allen Weltregionen (ausser Australien, wie Ruedi bemerkt). Auf der Kronenwiese ist es eher

die Altersdurchmischung die auffällt. Auf dem Lehmspielplatz können sich die Kleinkinder

austoben. Der Bauspielplatz ist für Kinder zwischen acht und fünfzehn Jahre gedacht, ältere

können auf der Velobahn herumkurven. Auf den Beeten dominiert die Gärtner- und

Familienszene, und oben auf dem sogenannten Känzeli können die Leute aus dem Altersheim

nebenan ihre Blumen und Gemüse ziehen, eine Art Aktivierungstherapie. Eine Gruppe von

Studierenden baute einen Pizzaofen, Schulklassen zogen ein Weidehäuschen.

Wenn man es vergleicht mit einem Fussballfeld, wo ein kleiner Sektor immer gleich tätig ist, finde ich das eine irrsinnig schöne Form von einem Quartiertreff. Da treffen sich Leute, wirklich, von der Wiege bis zur Bahre. (Christoph Widmer, 13.06.2012, 00:31:00)

Page 25: Urban Farming in Zürich

25

3.2 DUNKELHÖLZLI

Dunkelhölzli, 28. März 2012, in der Stadt oder auf dem Land?

Dienstag, 27. März 2012

Die Arbeit ist sehr meditativ. Ich stehe an einem

Gartentisch mit zwei Kistenstapel. Vor mir die Sicht über

das Feld, drei-, vierhundert Meter bis zum Waldrand,

hinter mir die Remise mit Werkzeugen und Kühlraum, rechts

die Anzuchtbeete, die Komposthaufen und dahinter der

Acker, ca. 25 Aaren, das sind 25x100 Quadratmeter. Mit

einem Griffel löse ich im linken Kistchen Eichblattsalat-

Sprösslinge aus der Erde, und setzte sie einzeln in die

Löcher von kleinen Töpfchen.

Es ist ruhig. Blauer Himmel und Sonnenschein.

Rabengekrächze, Hundegekläff vom Waldrand, dann wieder

nichts. Ein Motorflugzeug. Fernes Geklapper von trabenden

Pferden. Der Motor eines Gartengerätes von der

Grossgärtnerei nebenan.

Am Mittag erzählen mir Thom und Michi von den Plänen der

Stadt, hier Schrebergärten zu installieren, die auf dem

Vulkanplatz wegen eines Autobahnanschlusses weichen

müssen. Der Boden ist jedoch sehr schlecht wegen dem

Schiessstand früher und einer Gärtnerei, die den Boden, wo

Page 26: Urban Farming in Zürich

26

jetzt Gras wächst, überdüngte und kaputt machte. Aber

sicher sei nichts bei der städtischen Planung. Etwas

verloren das Bienenhaus neben dem Asthaufen in der Mitte

des Feldes.

Auf der Homepage stellt sich das Dunkelhölzli so vor:

Der Pflanzplatz Dunkelhölzli ist eine Ackerfläche am Stadtrand von Zürich. Das Land wird durch eine Anbaugemeinschaft - unter der Schirmherrschaft des Vereins „Stadtrandacker“ - bewirtschaftet. In Zusammenarbeit mit einem Landwirt aus der Nachbarschaft und unter Fachkundiger Anleitung wird gemeinschaftlich und nach biologischen Richtlinien Gemüse angebaut.

Alles auf dem Pflanzplatz geerntete Gemüse wird in Form von Gemüsetaschen an die beteiligten AbonnentInnen weiter gegeben.

Die Gemüsetaschen können in den Räumen der Foodcoop Tor 14 abgeholt werden, doch es

handelt sich beim Pflanzplatz und bei der Foodcoop um zwei unabhängige Organisationen,

wenn auch mit ähnlicher Philosophie und personellen Überscheidungen. Das Wissen um die

Herkunft der Lebensmittel besitzt hier einen hohen Stellenwert. Deshalb werden sie gleich

selbst produziert, wie das Gemüse auf dem Pflanzplatz Dunkelhölzli, oder die Foodcoop

bestellt bei den Produzenten ohne Zwischenhändler. Dies kommt der Qualität der Produkte

und der Transparenz der Preise zugute.

Page 27: Urban Farming in Zürich

27

3.3 PFLANZLABOR

Pflanzlabor ETH Institut für Agrarwissenschaften, 13. April 2012. Wie wachsen Pflanzen unter

klimatischen Bedingungen wie in 50 Jahren?

Freitag, 13. April 2012

Treffe um 14 Uhr Silvia Meyer-Miller in ihrem Büro in

einem Gebäude der ETH, vis-à-vis vom Hot Pasta. Sie

spricht ein sympathisches Schweizerdeutsch mit

amerikanischem Akzent. Seit 1997 an der ETH Zürich,

studierte Kommunikation, Soziologie und Wissenschaft aber

sieht sich als Künstlerin. Die Kunst soll zwischen der

Wissenschaft und der Öffentlichkeit vermitteln. Sie war

verantwortlich für eine Ausstellung am Paul-Schärrer-

Institut und kam dabei mit verschiedenen BiologInnen und

KlimatologInnen in Kontakt. Am meisten war sie vom Klima-

Forscher Michi Fischlin beeindruckt, der u.a. für das IPCC

[International Panel for Climate Change] arbeitete. Sie

machte es sich zur Aufgabe, seine Modelle, die sonst in

der Öffentlichkeit wenig Gehör fanden, künstlerisch zu

gestalten und so unter die Leute zu bringen.

Der Treffpunkt Science City, eine Präsentationsplattform von Uni und ETH zu einem

bestimmten Thema, lud sie daraufhin ein, ihr Experiment Klimagarten auszustellen. Darin

Page 28: Urban Farming in Zürich

28

lässt sie verschiedene Pflanzen unter den bis 2080 prognostizierten klimatischen Bedingungen

wachsen. Die Folgen der Veränderungen sollen so direkt sicht- und erfahrbar werden.

Ich formuliere zu Beginn mein Interesse an ihrer

Motivation für das Thema Urban Farming. Sie schwenkt dann

jedoch schnell auf Objektives ab. Sie gab mir sofort den

Tipp vom ‚Besuchstag‘ auf dem Permakulturgarten Seedcity.

Sie meinte einen der zwei mal wöchentlich stattfindenden

Aktionstage, wo Interessierte unter Anleitung einer

erfahrenen GärtnerIn den Garten bestellen.

Page 29: Urban Farming in Zürich

29

3.4 SEEDCITY

Blick vom Hönggerberg über die Landschaft, verhangener Himmel, 15. April 2012.

Sonntag, 15. April 2012

Besuch bei nass-kaltem Wetter Seedcity. Peter ist da und

ein Agronomie-Student. Wir philosophieren ab über

Lebensmittelindustrie, Notwendigkeit lokaler Produktion

und Bienenhaltung und –facts. Ich schlage Bienen-Projekt

vor, Peter findet das eine gute Idee.

Seedcity ist ein Garten auf dem Gelände der ETH Hönggerberg. Er ist ein

Gemeinschaftsgarten in dem Sinn, dass alle, die daran interessiert sind, mitgärtnern dürfen

und sich dann auch an der Ernte beteiligen. Die Idee hatten einige Studenten der ETH Zürich

und gewannen damit den Wettbewerb ecoworks. Seit 2010 wird der Garten mit einer

Anschubfinanzierung von der ETH unterstützt. Er wird nach den Richtlinien der Permakultur

betrieben. Gartenexperten sind regelmässig vor Ort und unterstützen die Gartengemeinschaft.

Dank seiner Lage kommen viele Studenten hierher, aber auch Leute, die in der Nachbarschaft

wohnen.

Page 30: Urban Farming in Zürich

30

3.5 ORTOLOCO

Gemüsefelder von Ortolco, 11. August 2012. Im Hintergrund nördlicher Rand vom Limmattal,

Zersiedlung auf der rechten Seite der Limmat.

Ortoloco ist eine selbstverwaltete und genossenschaftlich organisierte Gemüsekooperative mit

200 Genossenschafter und einer Betriebsgruppe von sieben Personen. Ziel der Genossenschaft

ist es, nach dem Prinzip der Vertragslandwirtschaft Gemüse anzubauen und zu konsumieren.

Vertragslandwirtschaft bedeutet, dass ein Bauernbetrieb von den Leuten unterstützt wird, die

dafür in den Genuss von seinen Produkten kommen. Der Garten liegt auf dem Fondli-Hof,

zwischen der Stadthalle Dietikon und Spreitenbach beidseits des Landweges. Auf

1,4 Hektaren Anbaufläche und in zwei grossen Plastiktunnels werden über das Jahr hinweg

über 60 verschiedene Gemüse produziert und an die Genossenschafter verteilt. Die Idee

entstand während einer Diskussions-Plattform zu alternativen Wirtschaftsweisen, die 2009 in

Folge der Wirtschaftskrise stattfand.

Dietikon liegt an der Grenze vom Kanton Zürich, Spreitenbach gehört schon zum Kanton

Aargau. Die genaue Grenzlinie durchquert den von Ortoloco bebauten Acker. Dieses Stück

scheinbar heile Ackerland wird politisch einvernommen und auf seine Potentiale hin

Page 31: Urban Farming in Zürich

31

untersucht. Voraussichtlich wird in den nächsten Jahren die Limmattalbahn das Gebiet die

wirtschaftliche Attraktivität des Gebiets erhöhen. Falls sich die Entwicklung in den nächsten

zehn bis zwanzig Jahren so fortsetzt wie in den letzten zehn Jahren, wird bis dahin das

Limmattal zur attraktiven Wohn- und Arbeitsgebiet umgestaltet worden sein. Aus dieser

Perspektive handelt es sich bei den heutigen Landwirtschaftszonen bereits um

Zwischennutzungen, die bald umgezont werden sollen, weil sich mit Überbauungen mehr

Geld generieren lässt und der Boden effektiver genutzt werden kann. Die Zukunft lässt sich

jedoch nicht voraus sagen. Und die Frage nach dem Wert von Geld oder Wert von Profit ist

auch relativ. Dies wird in Äusserungen verschiedener Gespräche deutlich.24

24 Vgl. Kap. 4.5. Das Narrativ, S. 71.

Page 32: Urban Farming in Zürich

32

3.6 STADIONGARTEN

Üppiger Stadiongarten im Sommer. Im Hintergrund die Swisscom mit Antenne und ein Zirkuszelt.

August 2012.

Der Stadiongarten ist ein mobiler Mitmachgarten auf der Hardturm-Brache, einer der letzten

und grössten Baubrachen im Raum Zürich. Um dem Bedürfnis nach einem Zentrum im

Quartier einerseits und nach der Gelegenheit zu gärtnern andererseits entgegenzukommen,

lancierte eine Gruppe von fünf Personen den Stadiongarten. Dies war auch eine Gelegenheit,

etwas auszuprobieren, was es in dieser Art in Zürich noch kaum gab: Urban Gardening. Als

Vorbilder dienten der Berliner Prinzessinnengarten und der frisch entstandene urbane Garten

auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof, ebenfalls in Berlin: der Bodenqualität auf

städtischem Gebiet kann oft schlecht, zu hoch ist das Risiko industrieller Kontamination oder

Auslaugung durch frühere Übernutzung. Zudem herrschen oft Besitzverhältnisse, die keine

dauerhaften Plätze für solche Projekte garantieren. Darum bieten sich Holzkisten und

Palettrahmen als Pflanzbeete an: sie sind transportierbar. Zudem fördern sie die Kreativität:

welche Behälter lassen sich alles zu Blumenbette umfunktionieren? Auf der Brache finden

sich auch Badewannen, Reissäcke oder Fahrradkörbchen. Der Reiz liegt in der Verbindung

gegensätzlicher Ästhetiken: die Wiederverwertung industrieller Behälter als Boden für

Page 33: Urban Farming in Zürich

33

organisches Wachsen. Grüne Wildnis und graue Industrie. Darum sind Urbane Gärten auch

Magnete für Kunstinstallationen. Die Stadionbrache ist von vornherein von solchen

Gegensätzen geprägt. Dazu zwei Fotos von der Stadionbrache im April 2012:

14. April – Stadionbrache Seite Trainingsplätze

Richtung Nord-Westen

14. April – Stadionbrache Seite Betonplatz

Richtung Süden-Westen

Ein Merkmal von Urban Farming ist für Christa Müller das hybride Wesen: „grossstädtische

vs. kleinbäuerliche Ästhetik“ resp. ländliche vs. urbane Ansichten. Diese Spannung sorgt für

eine grosse mediale Aufmerksamkeit. Sie ist auch eines des Merkmale von Kunst: es entsteht

Spannung in der Verfremdung von gewohnten Bildern. Vielleicht nicht zufällig kam die

Installation mit dem Namen Apolitico des Kunstfestivals Art and the City genau auf dem

Grenzwall dieser beiden Flächen zu stehen. Der Titel der Installation verweist auf das

Gegenteil: die Symbolik von Nationalflaggen ist hoch politisch. Aber deren Deutung ist frei.

Page 34: Urban Farming in Zürich

34

Installation Apolitico von Wilfredo Prieto im Rahmen von Art and the City. Welche Symbolik tragen die

Flaggen? (Foto: http://www.artandthecity.ch/de/kunst/wilfredo-prieto/)

Die politische Dimension von urbanen Gärten: Sie hinterfragen überkommene Normalitäten:

wie wird mit Landeigentum umgegangen? Welchen Raum darf öffentlich zugänglich gemacht

werden? Wie gehen wir mit industriellen Abfällen und nicht mehr benutzten Gegenständen

um?

Die weit sichtbaren Nationalflaggen in schwarz-weiss als Kunstinstallation lassen sich auf

vielfältige Weise interpretieren: Die Brache wird als Ort als Kunstraum inszeniert. Weshalb

eignet er sich dazu? Nationalflaggen haben eine starke Symbolik. Indem sie der Künstler in

schwarz und weiss gestaltete, weckten sie Assoziationen wie der Gleichheit aller Länder oder

der kritische Zustand aller Länder. Eine Flagge symbolisiert einen Besitzanspruch, auch wenn

sie künstlerisch gestaltet wird. Dazu die fast schon rhetorische Frage: Was bedeutet es, dass

der Hauptsponsor des Kunstfestivals Art and the City zugleich der grösste Investor im

Quartier ist, nämlich die Mobimo Immobilien AG? Wie lassen sich die Flaggen in Schwarz

und Weiss selbst deuten? Das sind interessante Fragestellungen für Forschungen rund um

Kunst, Raum und Öffentlichkeit, die in einer anderen Arbeit ihren Platz finden.

Page 35: Urban Farming in Zürich

35

3.7 KULTURGARTEN ‚PFLANZ DICH FREI‘

Der Kulturgarten als Protestgarten. Mit Erde gefüllte Kisten bilden den Boden, um den grauen Vorplatz

zu begrünen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit anzuregen. (Photos: 3. Juli, 29. August, maetti)

Page 36: Urban Farming in Zürich

36

Der Kulturgarten auf dem Labitzke-Areal entstand im Juli 2012 unter dem Motto „Pflanz dich

frei!“. Die erklärte Idee war, ungenutzte Grauplätze in lebendige Grünräume zu verwandeln.

Tatsächlich wurde der Garten als eine Intervention verstanden, deren Protest sich gegen die

Gentrifizierung im Allgemeinen und in diesem Fall gegen die Mobimo Immobilien AG

richtet. Diese hat das Grundstück aufgekauft und möchte darauf Wohnungen mit grosser

Rentabilität errichten. In einer Medienmitteilung von Bewohnern des Labitzke-Areal heisst

es:

Der Garten steht der ganzen Bevölkerung für (agri-)kulturelle und künstlerische Aktivitäten zur Verfügung. Es gibt noch viel Platz für deine Beiträge: Bring Blumenkisten, Setzlinge, Kunst, Musik, Brot und Rosen!

Aus dem Forschungstagebuch:

Sonntag, 1. Juli 2012

Seit Freitagabend lief ja die Aktion „Pflanz dich frei“,

die Guerilla-Gardening-Bepflanzung auf dem Vorplatz des

Labitzke-Areals. Dabei wurde in einer Nacht-und-Nebel-

Aktion Erde vom Stadiongarten ‚ausgeliehen‘ und in die

selbst gezimmerten Pflanzkisten gefüllt. Diese bilden den

Boden für die Begrünung des grauen Platzes mitten auf dem

Areal. Die Idee ist, dass mehr Raum entsteht, der zu

sozialem Austausch einlädt. Damit werden auch die Pläne

der Mobimo Immobilien AG hinterfragt, die neue Besitzerin

des Geländes. Per Ende 2013 kündigt sie allen Mietparteien

und will das ganze Areal mit Neuwohnungen überbauen. Am

Tag danach war ich ja auf dem Feld und abends zu müde, um

noch ans Fest zu gehen. An den Brunch am Sonntag-Morgen

hätte ich es geschafft, aber habe ihn vergessen. Es ist

alles ein bisschen viel.

Page 37: Urban Farming in Zürich

37

3.8 FRAU GEROLDS GARTEN

Bewährte Pflanztechnik in mit Erde gefüllte Paletten. Im Hintergrund die Containerkonstruktion, Bar

und Aufgang zur Terrasse von Frau Gerolds Garten (21.08.2012, Handy-Photo)

Freitag, 20. Juli 2012

Ich treffe einen Freund auf ein Feierabendbier. Es regnet

den ganzen Tag ohne Unterbruch. Ich wollte ihm erst den

Stadiongarten zeigen, wir weichen aber aus, gehen ein Bier

trinken im „Frau Gerolds Garten“. Mit grösstem Aufwand

wurde da ein zum Konsum einladender Park geschaffen:

spektakuläre Schiffscontainer-Landschaft mit integrierter

Aussichts-Terrasse, eine grossflächig mit „Urban Art“

bemalte Hauswand, drei Masten stützen ein Trinkzelt als

wäre es ein Zirkus. Eine Bar mit voll aufgefüllten

Spirituosen-Auswahl; zwar nur drei Sorten, dafür über ein

Dutzend Flaschen je Marke: Baccardi, Vodka Smirnov, eine

Whiskey-Brand. Die Bedienung ist auf Marketing geschult,

sind gut frisiert und würden mit ihrem weissen Lächeln gut

auf das Titelblatt einer Kundenzeitschrift passen: die

drei Frauen hinter dem Tresen teilen sich die Kundschaft

auf („ist gut, ich übernehme die beiden“, sagte die eine

zur anderen als wir uns näherten, wohl damit die andere

Page 38: Urban Farming in Zürich

38

nicht in Gefahr einer Doppelbedienung lief und sich somit

die Zeit bis zur Bestellung verzögerte. Die Zielkundschaft

darf nicht auf eine unnötige Geduldsprobe gestellt werden,

denn sie ist es sich Effizienz gewohnt:

Dienstleistungsfunktionäre im hippen Zürich West zwischen

Viadukt und Primetower, Angestellte der ZKB und anderen

Banken, Versicherungen, etc.) Dieser Kundschaft

entsprechen die Preise. Die Bänke unter dem Zelt sind sehr

gut besetzt. Wir finden zwei Plätze am Rand und müssen uns

laut über den Tisch hinweg zurufen, damit wir uns

verstehen. Zwischen uns auf dem Tisch eine

Reservationstafel mit exakter Zeit und Name des Kunden,

..äh Gastes.

Was soll man von diesem Projekt halten? Es scheint, als

wäre es ein erfolgreicher Versuch der Kapitalismus-

Integration: Trends werden aufgespürt, Coolness verortet,

den ideologischen Hintergrund wegseziert, das Ganze in

eine urban-arty-farty-trendy-fancy Hülle verpackt und zu

einem hohen Preis auf den Markt gestellt.

Page 39: Urban Farming in Zürich

39

3.9 BRAUERGARTEN

Ein eigentlicher Pflanzenteppich begrünt den Kiesplatz hinter Stundenhotel und exotischem Grill an der

Brauerstrasse. (Photo: www.brauergarten.ch, 2012)

Der Brauergarten stellt sich auf der Homepage so vor:

Der Brauergarten ist ein kleiner Gemüse- & Blumengarten mitten im Zürcher Langstrassenquartier. Die Bio- Pflanzen wachsen aber nicht wie üblich direkt im Boden, sondern in recycelten Beeten. Erdbeeren reifen in alten Einkaufswagen, Kartoffeln & Tomaten wachsen im Reissack, Tetrapacks dienen als Setzlingsboxen, in ausgemusterten Bausäcken wachsen ganze Bäume, eine Strassenbaukisten wurde zum Frühbeet umfunktioniert und alte Kisten übereinander bilden ein Hochbeet für Rucola, Rüebli, Salat, Erbsen, Rhabarber, Mais, Auberginen, Randen, Bohnen, Lauch, Radisli, Peperoni und vieles mehr. Alles ist mobil, alles ist Bio, alles kann gezügelt werden. Quartierbewohner mit Lust und Laune sind eingeladen, mit zupflanzen, zujäten, zuernten und zug(en)iessen. So entsteht auf kleinem Raum eine kulturelle und gärtnerische Vielfalt. Der Garten wird zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs, zu einem Sozio- und Biotop. Immer Samstagnachmittag ist der Garten für Alle offen.

Page 40: Urban Farming in Zürich

40

3.10 TYPISIERUNGEN

Die verschiedenen Gärten sind durch drei wesentliche Faktoren bestimmt. Initianten: Wer

organisierte mit welcher Absicht ein Projekt? Gärtnernde/Öffentlichkeit: Wie wird das Projekt

wahrgenommen in der Öffentlichkeit und wie wird es genutzt? Ort und Lage: Wie gross ist

das Projekt, wie ist der Boden und in welchem Quartier liegt es, wie ist die Nachbarschaft etc.

Diese Faktoren beeinflussen die Art des Gartens, die Grösse seiner Nutzer, der Grad seiner

Bekanntheit und die Stimmung, die er vermittelt. Im Anschluss an die vorgestellten Gärten

könnten folgende Typisierungen vorgenommen werden:

Kulturgarten / Generationengarten: auf der Kronenwiese steht die Gemeinschaft und die

Aktivität von Menschen verschiedenen Alters und Herkunft im Zentrum.

Mitmachgarten / Gemeinschaftsgarten: Im Stadiongarten wird ohne erklärtes Ziel drauflos

gegärtnert. Das Funktionieren einer Gruppe mit möglichst keiner Hierarchie wird erprobt.

Konsumgarten / Gastrogarten: Im Geroldsgarten werden die Gäste für einen angemessenen

Preis verpflegt.

Protestgarten / Interventionsgarten: Der Kulturgarten Pflanz dich macht auf die Verdrängung

gewachsener Strukturen durch den Immobilien-Markt aufmerksam.

Permakulturgarten : Das Ziel von Seedcity ist die Pflege eines Gemeinschaftsgartens auf der

Basis der Permakultur. Durch eine ideale Kombination der Pflanzen entstehen Synergien, die

ein möglichst nachhaltiges System ermöglichen.

Pflanzlabor / Laborgarten: Eine Simulation, die die Effekte der Klimaveränderung am

Pflanzenwachstum aufzeigt und die Menschen darauf sensibilisieren soll.

Gemüsegarten / Produktionsgarten: Mitglieder von Ortoloco und Dunkelhölzli produzieren

ihr eigenes Gemüse aus unterschiedlichen Gründen: gute Qualität, Bezug zur Nahrung,

alternatives System, soziale und ökologische Nachhaltigkeit.

Pop-Up Garten / KunstgARTen: Viele urbane Gärten sind Zwischennutzungen. Wie Pop-Up

Gallerien werden viele als alternativer Inszenierungsort mit Kunst bestückt.

Page 41: Urban Farming in Zürich

41

Experimentiergarten: Innovationen wie Kompost-Klo, Düngerkohle etc. als Pilotprojekte

kommen in urbanen Gärten zur Anwendung.

Die obigen Gartenbezeichnungen sind Prototypen. Die Kategorien überlappen sich und

können mehreren Gärten zugeordnet werden, so sind zum Beispiel alle urbanen Gärten

Gemeinschaftsgärten. Oder alle urbanen Gärten machen schon nur durch ihre Existenz eine

politische Aussage. Im nächsten Kapitel ‚Anwendungen‘ soll aufgezeigt werden, wie diese

Projekte mit den Ortsbegebenheiten und den aktiven Menschen zusammenhängen und mit

welchen Methoden sie beschrieben werden können. Es wird aufgrund meines höheren

Engagements zuerst vom Stadiongarten berichtet. Durch die grosse personelle

Verwandtschaft werden hier auch das ‚Mutterprojekt‘ Ortoloco und das ‚Schwesterprojekt‘

Brotoloco beschrieben.

Page 42: Urban Farming in Zürich

42

4 ANSÄTZE ZUR INTERPRETATION

Im folgenden Kapitel werden zwei Ansätze zur Beschreibung von Orten zur Anwendung

kommen und dann der Begriff Narrativ etabliert, um verschiedene und gemeinsame

Ansichten und Absichten hinter den Aussagen der Akteure aufzuspüren. Zuerst soll der

Begriff anthropologischer Ort den Stadiongarten fassbar machen und allgemein das

Verhältnis zwischen Menschen und Orten aufzeigen. Marc Augé konzeptualisierte den

Begriff: Menschen suchen Identität als Individuen und als Kollektive. Die Manifestation von

Identität hinterlässt Spuren, die im Raum zu finden sind: Bauwerke, Schriftstücke oder

Rückstände von Aktivitäten wie die Asche nach einem Lagerfeuer oder die Komposthaufen

nach einem Workshop dazu. Hier setzt die Anthropologie an und interpretiert das Verhältnis

solcher Spuren zu deren Verursacher und die Auswirkung auf den Ort. Wer verwandelt

städtische Brachen in Gärten? Welche Strukturen bilden sich dabei? Was für Bauwerke finden

sich auf solchem Gelände? Oder welche Absichten könnten hinter der als absichtslose

Beschäftigung deklarierten Gartenarbeit stehen?

Das Konzept Heterotop fokussiert mehr auf die Art der Wahrnehmung von Orten. Es stellt

sich die Frage, welche Bilder Leute in bestimmte Orte projizieren, nach welchen

Vorstellungen sie hier leben und welche Bedürfnisse befriedigt werden sollen. Michel

Foucault versteht ein Heterotop als eine verörtlichte Utopie. Die Utopie, dem Wortsinn nach

ein ‚Nicht-Ort‘, steht für Vorstellungen und Wünsche, die nicht oder noch nicht in der Welt

bestand haben. Ein Heterotop soll einer solchen Wunschvorstellung entsprechen. Das

Verhältnis von abstrakten, gedanklichen Vorstellungen und den konkreten Orten kann nur auf

einer sinnlichen Ebene wahrgenommen werde. Foucault definiert Heterotope durch fünf

Merkmale: 1) sie sind veränderbar, 2) sie können andere Orte abbilden, 3) sie sind

heterochron, d.h. sie akkumulieren Überreste anderer Zeiten und sie besitzen selber einen

eigenen Zeitrhythmus, 4) jedes Heterotop ist mit mindestens je einem Mechanismus zum

Öffnen oder Schliessen versehen, 5) sind Orte der Abweichung, d.h. sie haben die Funktion

von Illusions- oder Kompensationsräumen. Diese Merkmale sollen als Ausgangsbasis dienen.

Ob und wie weit sich meine Erfahrungen damit decken, wird sich zeigen. Ich ging nach

folgenden Fragen und Herangehensweise vor: Wie unterscheiden sich die sinnlichen

Eindrücke in den Gärten gegenüber anderen Orten? Welche Assoziationen werden dadurch

geweckt? Was für Wünsche oder Vorstellungen werden dadurch verkörpert? Als welche

Page 43: Urban Farming in Zürich

43

Symbole können sie gelesen werden? Zur Veranschaulichung beschreibe ich hier

exemplarisch meine Erfahrungen auf dem Dunkelhölzli.

Im dritten Teil beschreibe ich, wie die Orte besiedelt wurden und durch welche sozialen

Konstellation dies begünstigt wurde. Es sind jedoch nicht nur die Menschen, die etwas mit

den Orten machen, sondern es sind auch die Orte, die etwas mit den Menschen machen. Die

sozialen Bedingungen werden neu justiert oder gefestigt, es bilden sich Regeln im Umgang

miteinander und im Umgang mit dem gemeinsamen Ort. An der Basis von diesen Vorgängen

sitzt die Sprache: wie kann ihre Funktion im Vorgang der Raumgestaltung beschrieben

werden? Was passiert, wenn ein neuer Ort kultiviert wird und darauf eine neue Gemeinschaft

entsteht, die ihren gemeinsamen Sprachraum25

schaffen muss?

Zuletzt fokussiert der Begriff Narrativ die Sprache auf einer allgemeineren Ebene. Ideen

werden in Geschichten verpackt, die erzählt werden oder den Grundstoff von Artikeln und

Sendungen in den Medien bildet. Sie haben Neuigkeitswert und werden geglaubt oder

verworfen, weitererzählt oder vergessen. Als Narrativ soll der Teil einer Erzählung bezeichnet

werden, mit dem auf die Realität der Welt referiert wird und der zu einer Stellungnahme

verpflichtet: will ich der Aussage glauben oder nicht? Soll ich ihr Beachtung schenken oder

nicht? Ist sie dringend oder nicht? Narrative sind notwendig, um Trends auszulösen: globale

Megatrends ebenso wie individuelle Alltagsgewohnheiten.

Es wird in der Folge oft von Ort und Raum die Rede sein. Was unterscheiden die beiden

Begriffe? Für de Certeau ist ein Ort die Ordnung, in der verschiedene Dinge in festen

Verhältnissen und Beziehungen zueinander stehen. Dagegen ist ein Raum das Geflecht von

beweglichen Elementen. Ein Raum ist der Ort, an dem etwas gemacht wird.

25 Vgl. Kap. 4.4.2. Namens- und Sprachspiele, S. 68, rhetorisches Territorium.

Page 44: Urban Farming in Zürich

44

4.1 DER STADIONGARTEN ALS ANTHROPOLOGISCHER ORT

Den anthropologischen Ort gibt es nicht. Das heisst, der Begriff steht für die modellhafte

Betrachtung, mit der ‚der Anthropologe‘ sein Forschungsfeld fassbar und beschreibbar macht.

Er ist eine Abgrenzung des zu untersuchenden Ortes gegenüber den ihn umgebenden. Wenn

oben mit de Certeau ein Ort als die Ordnung und das Verhältnis verschiedener Dinge

bezeichnet wird, so ist ein anthropologischer Ort das Verhältnis von den Menschen zu dem

Ort, den sie besiedeln. Menschen und Gruppen benötigen individuelle und kollektive

Identität. Sie sind in der Welt aktiv, bewegen sich und interagieren mit Menschen und

Dingen. Sie schaffen soziale Beziehungen und Beziehungen zum Ort, an dem sie sich

aufhalten. Sie hinterlassen Spuren und Bauwerke. Die Analyse von Bauten ermöglicht

Rückschlüsse auf ihre Konstrukteure und ihr Verhältnis zum Ort.26

Mit dieser

Herangehensweise lässt sich der Stadiongarten als Ort fassbar machen. Ich trug zu seiner

Entstehung bei und konnte somit seine Entwicklung mitverfolgen. Der Platz, wo er entstehen

sollte, hatte schon vorher eine eigene Charakteristik. Vielleicht war sogar dieses Gelände mit

seinen Eigenschaften Voraussetzung, dass der Stadiongarten so entstehen konnte. Dazu also

zunächst die Geschichte der Brache.

Nach dem Abbruch des Hardturmstadions Anfang 2009 war das Gelände eine eingezäunte

Brache: auf der Stadionseite umgaben die Betonstufen der Tribünen den asphaltierten Platz

und auf der Südseite blieben eine Wand aus drei Verschalungselementen der alten

Ummantelung stehen, als sollten sie als Denkmal an legendäre Stätte des Fussballs erinnern.

Tatsächlich aber wird diese Wand als Werbefläche gegen die Verkehrsachse Aargauerstrasse

hin vermietet. Die andere Seite der Fläche, wo einst die Trainingsplätze lagen, wurde umzäunt

und so belassen. Das Gras wuchs und die Brache verwilderte. An den Grenzen gegen den

Sportweg und gegen die Förrlibuckstrasse bildeten sich Hecken mit dichtem Buschwerk und

verschiedenen Baumarten: ein Paradies für die Vogelwelt. Bald parkierte der bekannteste

Obdachlose von Zürich ‚Hanf-Ueli‘ hier seine Wohnwagen und wollte für andere Leute ohne

feste Bleibe ein eigentliches ‚Obdachlosen-Camp‘ errichten.27

Die damalige Landbesitzerin

Credit Suisse duldete dies nicht und liess ihn entfernen. Seither bewacht die Securitas das

Gelände. Der Landbesitz ist inzwischen an die Stadt Zürich übergegangen: Die CS hatte

genug von der Stadionplanung, nachdem das Grossprojekt mit integriertem Shopping-Center

und Altersheim abblitzte. Die Brache blieb unberührt und verwilderte bis im Jahr 2011:

26 Marc Augé: Nicht-Orte, S. 58. 27 Vgl. SF 1, Schweiz aktuell, „Obdachlosen-Camp statt Fussball-Tempel“, 05.10.2009.

Page 45: Urban Farming in Zürich

45

Stadionbrache und Zürich West, Februar 2011, vom Parkhaus Hardturm. (Photo: simoniini/Flickr)

Dann fragten Quartierbewohner nach, warum ihnen das Gelände verschlossen ist, obwohl es

nicht genutzt wird, worauf es geöffnet wurde. Claude erzählte die Begebenheiten:

Das ist auch so eine herzige Geschichte. Sie [Esther] ist mit ihren Kindern hier vorbeigelaufen, die Securitas bewachte das Gelände blablabla, "kein Zutritt" papipapo, und die Kinder haben immer gefragt, "warum dörfet mir da nöd ie?", völlig bescheuert, ich meine „das isch, da isch en uhuere ruum.“ Ich: ah, da hast du nicht einmal hinein dürfen. Claude: Nein, da war zu, zu zu zu, da war ein Schloss am Tor, da hat niemand reingekonnt. Und sie hat nach dem fünften Mal Fragen ihrer Kinder sich auch gefragt: ja, eigentlich, warum dürfen wir hier nicht rein? Ist ja völlig bescheuert und hat dann bei der Stadt gefragt, warum dürfen wir hier nicht rein. Und die hat dann gesagt, ja, was, gut, ihr dürft hier schon rein, oder. So hat das angefangen. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:11:04)

Es gründete sich der Verein Stadionbrache. Einige Bewohner aus der Wohngenossenschaft

Kraftwerk1 schlossen sich im April 2011 zusammen, um mit der Stadt zu verhandeln. Ende

Juni unterzeichneten sie einen Gebrauchsleih-Vertrag und durften in der Folge das Gelände

unter Einhaltung einiger Auflagen nutzen: der Platz muss für die Öffentlichkeit zugänglich

bleiben, es dürfen keine kommerziellen Einrichtungen darauf installiert werden und zweimal

jährlich wird die betonierte Seite für kommerzielle Zwecke vermietet und muss dann frei sein.

Page 46: Urban Farming in Zürich

46

Bald standen der kleine Holzofen und der Skate-Pool auf der Wiese. Ansonsten blieb das

Gelände weitgehend leer. Erste Gartenversuche fruchteten nicht, wurden dann aber neu

aufgegleist. So erzählt Martina aus dem Stadiongartenverein, wie sie auf die Brache

aufmerksam wurde.

Ich begann mich für das Projekt zu interessieren, ich sprach mit dem Brachenverein zwei-, dreimal und begann dann letztes Jahr mit so Gartensachen. Wir waren ein kleineres Grüppchen, aber nicht so effektiv. Klein und unauffällig haben wir da einfach Sachen angepflanzt. Und der Dominik hat das mitbekommen und mich dann Ende Sommer angesprochen, ob wir nicht zusammen einen Garten initiieren wollten. So quasi "ein richtiger Garten". Dann haben wir zusammen gesprochen und dann beschlossen, komm, das machen wir. Darauf gab es ein zweites Meeting mit anderen Interessierten. (Martina im Stadiongarten, 03.06.2012, 00:17:56)

Stadionbrache, 16. Oktober 2011. Der Anker als Symbol des Skate-Pools (links unten), das schwarze

Zirkuszelt vom Musical Cats (eine der beiden „Grossveranstaltungen“), die mit Absperrband

abgesteckten Gartenbereiche, „klein und unauffällig“.

Einer dieser Interessierten war ich. Wie ich dazu kam: ein Nebenwürzelchen des Rhizoms.

Am Backabend Mitte Oktober auf der Stadionbrache fanden sich einige Leute aus der

Betriebsgruppe von Ortoloco, besonders Nick, mit dem ich herzhaft angeregt diskutierte. Als

ich ihm von meiner Arbeit erzählte, lud er mich zu einem Workshop ein im Atelier Fabritzke,

wo eine geplante Verdoppelung der Genossenschaft Ortoloco diskutiert werden sollte. Zwei

Monate später fand ich mich ohne weitere Einladung da ein. Nach der Diskussion wurde noch

Page 47: Urban Farming in Zürich

47

geplaudert und Dominik fragte mich an, ob ich bei der Planung des Stadiongartens mithelfen

wolle. Sie hätten schon eine Sitzung gehabt, auch jemand anderem der Organisatoren diene

das Projekt als Untersuchungsgegenstand für eine wissenschaftliche Arbeit. Sehr gerne, ich

sagte zu. Wir trafen uns in der Folge erst wöchentlich, dann alle zwei Wochen. Wir

überlegten uns, wer angesprochen werden soll, wie viele Leute da mitmachen könnten, wie

das ganze funktionieren soll, wie viel das ganze kosten darf und wie wir das Geld auftreiben

würden. Wie der Garten denn aussehen soll und wo wir das nötige Material her bekommen

würden. Ende Februar veranstalteten wir einen Info-Abend im Gemeinschaftsraum der

Wohngenossenschaft Kraftwerk, einen Steinwurf von der Brache entfernt. Gut dreissig Leute

sind der Einladung auf Flyer und Plakaten im Quartier gefolgt. Ende März starteten wir mit

dem Aufbau. Es kamen etwa hundert Leute.

Der Stadiongarten ergab sich erst aus dem Zusammentreffen von zwei Entwicklungen: der

Ort Stadionbrache wurde auf das Engagement von einigen Nachbarn zugänglich gemacht und

Projekte wie Brotoloco und später der Stadiongarten liessen sich hier nieder. Für mich ist es

ein Knöllchen im Rhizom, auf das ich durch das Hörensagen, durch das Kennenlernen der

Leute auf der Brache beim Ofen, durch das Kennenlernen von Ortoloco und die Anfrage zur

Mitorganisation gestossen bin.

4.1.1 DIE ‚MÖBLIERUNG‘ DES STADIONGARTENS

In der ‚Gemeindeanthropologie‘ wird als kleinste autonome Einheit die Gemeinde oder das

Dorf angenommen. Dörfer bestehen je nach Region aus einer fixen Palette von Bauten, die sie

als Dorf klassifizieren. Die ‚Dorfstruktur‘ kann verallgemeinert für jeden bewohnten Raum

gelten. Der Dorfplatz, das Gemeindehaus, die Kirche, das Wohnhaus, der Bauernhof. In einer

Wohnung lassen sich wieder ähnliche Strukturen finden.

An WG-Partys versammeln sich normalerweise in der Küche am meisten Leute. Es ist ein

Hinweis auf die Bedeutung vom Raum der Nahrungszubereitung und Geselligkeit. In einem

Dorf befindet sich das Gemeindehaus, also die organisierende Instanz, normalerweise im

Zentrum. In der Wohnung steht das Tischchen für Post, Zeitung und Schlüsselbund im

Eingangsbereich. Das Schlafzimmer ist der private Rückzugsort. Auf ähnliche Weise lassen

sich diese funktionalisierten Orte und verörtlichte Funktionen an jedem bewohnten oder

benutzten Ort finden. Das Bild oben vom 16. Oktober 2011 zeigt die Brache im Herbst, bevor

das Gartenprojekt lanciert wurde. Mitten auf der später zu bebauenden Wiese steht zuerst der

Unterstand, etwas verlassen, scheinbar ohne Bezug zum Raum. Er überdeckt den Brotofen

Page 48: Urban Farming in Zürich

48

von Brotoloco, das Nebenprojekt von Ortoloco. Das leere Feld rundherum ist wie gemacht,

um besiedelt zu werden.

Ende März 2012 (Bild unten) findet das Aufbauwochenende statt. Vorgängig wurde ein

Baucontainer neben dem Ofen platziert und eine Holzwand gezimmert, die als Info-Pinwand

dienen soll. Dazu stehen die ca. 70 organisierten Holz-Paletten bereit und werden zu

Pflanzkisten umfunktioniert. Zwei leere Plastikbehälter mit je etwa 800 Liter

Fassungsvermögen dienen als Wassertanks, die restlichen werden in der Höhe halbiert und zu

Free-Style-Blumenkisten umgenutzt.

24. März 2012. Gartenaufbau. Links der Ofen mit Unterstand, in der Mitte der blaue Container, rechts

werden die Beete aufgebaut und mit Erde gefüllt.

Der Container bildet das Scharnier zwischen dem Holzofen und dem Garten. Er dient als

Gartenschuppen für Werkzeug, Schnüre, Samen und anderen Zubehör einerseits und als

Lagerraum für Mehl und weitere Koch- und Backutensilien andererseits. Wer über den

Eingang an der Förrlibuckstrasse das Gelände betritt, folgt quer über die Wiese dem

ausgetretenen Weg. Dieser führt zum vollständig abdeckbaren Platz zwischen altem und

neuem Ofen und dem Container.

Page 49: Urban Farming in Zürich

49

Stadiongarten, 12. August 2012, vom Kletterwürfeldach

Das Bild oben zeigt den funktionierenden Stadiongarten und seine Lage auf der Brache.

Standort des Fotografen: auf dem Dach des Kletterwürfels, ca. 3 Meter über Boden, die

Eternit-Blumenkisten markieren den Rand des Daches.

Rechts vorne im Bild: Unterstand und erster Holzofen mit aufgetürmtem Holzvorrat,

angelehntem Fahrrad, Zeitungsbox am Pfosten rechts hinten, ein Hackstock links vom Velo,

zwei Steinbänke.

In der Mitte: der Container (blau) mit grossem Vordach, Eingangstür mit Zahlenschloss,

grosser neuerer Holzofen, am Pfosten ganz rechts die Veranstaltungstafel. Links vom

Container: Leiter, Garette, Veloanhänger. Hinter dem Container: Beete, Garten.

Links im Bild eine aus Paletten gebastelte Sitzgelegenheit. Das weisse Zelt steht hinter der

Absperrung und gehört zur Vorhut des Cirque du Soleil, der in den folgenden Tagen auf dem

Betonplatz aufgebaut wird. Links vom weissen Zelt auf der Gartenfläche sind zwei weisse

Wassertanks erkennbar. Sie werden alle ein bis zwei Wochen gefüllt mit einem

Wasserschlauch, der am Hydranten auf der Aargauerstrasse ausserhalb des Areals

Page 50: Urban Farming in Zürich

50

angeschlossen werden kann. Die Fahnenmasten mit den Flaggen in schwarz-weiss gehören zu

einer Installation von Art and the City.28

In Wohnhäusern werden sanitäre Einrichtungen und andere grundlegende Elemente zum

Haushaltsbetrieb im Keller oder an peripheren Orten installiert: Heizung, Wasserleitungen,

Sicherungskasten, Tiefkühltruhe oder Vorratskeller.29

Diese Einrichtungen lassen sich in den

Gärten wiederfinden, sind hier jedoch nicht zentriert. Exemplarische das Bild oben vom

Stadiongarten: als Heizung und Koch-, bzw. Backvorrichtung der Ofen, der Holzvorrat und

der Hackstock. Im blauen Container die Lagerung von Werkzeugen für den Gartenunterhalt

und Nahrungsmittel für die Brot- und Pizzaproduktion. Die Wassertanks wurden an der

Peripherie des Gartens installiert, wo die Distanz zum nächsten Wasseranschluss beim

Hydrant auf der Aargauerstrasse am kürzesten ist. Dazwischen die Blumen- und Gemüsebeete

und zwischen den Beeten verschiedene Sitzgelegenheiten und Tischchen. Auf der Höhe der

Wassertanks ist die Kompostanlage, wie die Reservoirs ebenfalls am Rande der Pflanzzone

(auf dem Bild hinter der satt grünen Robinie links am Bildrand). Zentral neben der Infowand

gegen den Betonplatz hin liegt das abdeckbare Anzuchtbeet. Daneben der Erdhaufen mit von

Grün Stadt Zürich gekauftem Substrat.

28 Vgl. Kap. 3.6. Stadiongarten, S. 28. 29 Vgl. Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung. Der mechanische Kern des Hauses, S. 773 ff. In

diesem Kapitel beschreibt Giedion die Vereinheitlichung von Einfamilienhäusern in den USA der 40er und 50er

Jahre. Dabei war der ‚mechanical core‘ mit allen wesentlichen sanitären Anlagen im Zentrum des Hauses. Die

verschiedenen Aufenthaltsräume und Schlafzimmer umgaben diesen Kern.

Page 51: Urban Farming in Zürich

51

Wie der Container auf der Brache liegt der mechanische Kern im Zentrum eines Hauses und verbindet

verschiedene Wohneinheiten.30

Die Anordnung dieser Elemente wurde nicht geplant. Der einzige Plan war es, möglichst

offen zu bleiben und keine Regeln festzuschreiben. Ebenso sollte möglichst keine Hierarchie

entstehen. Wir wollten einen Kontrapunkt zu den starren Institutionen und der

überregularisierten Stadt setzen. Daher gibt es auch keinen Verein für die Gärtner. Es ist frei

zu kommen und zu gehen wer will, es ist ein öffentlicher Platz, wer den Newsletter

bekommen will, hinterlässt seine Email-Adresse.

Nur wir Initiatoren organisierten uns als Verein, um den Stadiongarten gegen aussen zu

vertreten. Der Garten sollte eigentlich von der Initiative der Leute leben: wer Werkzeuge

30 Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, S. 674.

Page 52: Urban Farming in Zürich

52

übrig hat, soll sie mitbringen, wer Blumenkisten im Keller stehen hat, darf ihnen im

Stadiongarten einen neuen Ort geben, wer eine ausrangierte Badewanne in einer Schuttmulde

sieht, lässt seine Kreativität spielen und funktioniert sie zum Schlüsselblumentrog um. Nur für

den Beginn brauchten wir etwas Geld, um die erste Erde zu kaufen, und das Wasser aus dem

Hydranten zu bezahlen und es nicht über hunderte von Metern hinschleppen zu müssen.

Obwohl wir es gerne so gehabt hätten: das Projekt kostete nicht nichts. Obwohl wir eine

Alternative leben wollten, gehörten wir immer noch zur Stadt und mussten mitspielen. Wir

gingen davon aus, dass sich die Leute selbst arrangieren und sich der Garten so am besten

ergeben würde. So würden wir nur den Garten ermöglicht haben, dann aber keine Rolle mehr

spielen müssen. Ganz so reibungslos verlief der Anfang aber nicht.

Samstag, 24. März 2012

Pünktlich um 10h auf der Brache. Martina ist da und

Christopher, wenig später kommt Christa, das war schön.

Wir trinken und loben meinen mitgebrachten Milchkaffee.

Leute kommen auf die Brache, zu Beginn etwa 20, später

mehr und mehr. Joana meldet sich, sie habe Verspätung,

aber komme gleich. Die Spannung steigt. Endlich ist sie da

und wir erklären den Leuten das Projekt. Es machen sich

alle motiviert an die Arbeit. Schnell entsteht eine Art

Wettkampf: wer darf welches Beet, welches sind ‚private‘,

welches Gemeinschafts-Beete, ein chaotischer Haufen, die

Leute konkurrieren um die besten Plätze, wollen sich die

besten Kisten schnappen. Joana bemerkt das, wir rufen die

Leute nochmals zusammen, und sagen nochmals unsere

Vorstellung, dass der Fokus nicht auf eigene Beete gelegt

werden soll, sondern auf den Garten als Ganzes. Wenn Leute

ihre eigenen Beete wollten, so können sie die später

‚besetzen‘ oder abtauschen.

Einige Leute quatschen, während wir sprechen, so wie in

der Schule, und ich rufe, vielleicht ein bisschen zu

scharf, „Ruhe!“. Joana erschrickt und mahnt mich, „ganz

ruhig“. Aber es nützte. Die Botschaft kam rüber und danach

ging der ganze Aufbau sehr gemeinschaftlich weiter. Wir

probierten ad hoc die Kisten zu installieren, zeigten den

Leuten, wie wir es machen oder nahmen Ideen auf, wie es

besser ging. Die Hierarchie war sehr gering, die Leute

halfen sich auch untereinander oder gaben sich Tipps:

Palette platzieren, Rahmen drauf, Plastiksack

aufschneiden, unter den Rahmen klemmen, Löcher hinein

stechen, Erde in die Garette und die Kisten füllen, fertig

ist das Beet.

Ich half mit, zwei grosse Wassertanks als Reservoir in der

Ecke des Gartens aufzustellen. Joana gab gute Tipps: drei

Paletten darunter, dass der Ausfluss erhöht ist, und so

aufstellen, dass sie sich leicht gegen hinten neigen, so

Page 53: Urban Farming in Zürich

53

dass das Wasser nicht aus dem Ausfluss tröpfelt und den

Boden aufweicht. Wir schieben die Tanks auf dem Boden

herum, entscheiden uns, hinten eine Delle in den Boden zu

graben, so dass die Lage stimmt. Was ich davon halte,

„Chef“, fragen sie mich. Ich bin nicht der Chef, sagte

ich, was denn sie davon halten. Es kommt gut.

Wir stellten uns zu Beginn vor, dass sich der Garten ohne Plan ergeben sollte. Trotzdem

musste einen Rahmen gesetzt werden. Sonst hätten sich Muster reproduziert, wie wir meinten,

dass sie in Zürich vorherrschen. Wir wollten eine Alternative. So wie die Bestückung des

Gartens, sollten sich auch die Leute ohne ‚Anleitung von oben‘ organisieren. Minima le

‚betriebliche Regeln‘ ergaben sich aber trotzdem. Sie entstanden aus der Tätigkeit der

Gärtnernden und durch die (Selbst-)Darstellung des Projekts. Dies hinterliess schriftliche

Spuren. Einige davon werden im nächsten Kapitel dargestellt. .

Die Stadionbrache war zu Beginn leer. Durch die Etablierung des Gartens wurde das Land

kultiviert und somit bewohnbar gemacht. Dies ist eine Charakteristik von Urban Farming: es

kultiviert Brachland, das aus unterschiedlichsten Gründen nicht genutzt wird, indem Gärten

angelegt werden. Gärten sind Siedlungen. Wie in Wohnungen bilden sich die sanitären

Einrichtungen, Wasserversorgung, Kochmöglichkeit, Heizsystem, Werkzeugkasten. Im

Stadiongarten gibt es den Informations- und Organisationsbereich wie das Gemeindehaus in

einem Dorf oder die Briefablage in der Wohnung. Diese Strukturen ergaben sich durch ihre

Funktionalität. Es gab keinen Aufbauplan. Es war die ‚cloud‘, die ‚Schwarmintelligenz‘31

, die

zur Grundstruktur des Stadiongartens führte. Es ist davon auszugehen, dass eine solche

Grundeinrichtung universeller Natur ist und überall vorkommt, wo Menschen sich an einem

Ort einrichten.

31

Zum Begriff und vgl. Manfred Fassler: Der Infogene Mensch. Interkation und Kooperation. Fassler erkennt Schwarmintelligenz in Smart Populations. Das sind Gruppen, die nicht mehr durch traditionelle und statische Faktoren wie Nation, Religion, Ortschaft, Familie etc. bestimmt sind. Sie sind temporale, vom Ort losgelöste Gemeinschaften, d.h. Schwärme, die sich je nach Interessenlage zusammenfinden.

Page 54: Urban Farming in Zürich

54

4.1.2 DIE BESCHRIFTUNG DES STADIONGARTENS

Stadiongarten, 25. März 2012, Container und Infowand.

In grossen Lettern ist auf die Info-Wand gepinselt: STADION GARTEN. Auf der rechten

Seite ein Plan des Gartens mit der Anordnung der Paloxen, links als Illustration ein weisses

Huhn auf schwarzem Hintergrund und das Plakat mit einer Begrüssung in gut leserlicher

Handschrift:

Herzlich Willkommen im Gemeinschaftsgarten

Am Wochenende vom 24./25. März bauten rund hundert Menschen Beete, Bänke und

Blumentöpfe auf. Die StadiongärtnerInnen pflegen ihre Pflanzkisten mit Liebe, Lust und

Leidenschaft. Alle sind für ihre Beete selber verantwortlich, zudem gibt es in der Gartenmitte

einige Gemeinschaftskisten. Mitmachen können alle. Interessierte kommen jeweils am ersten

Sonntag des Monats um 17 Uhr hierher an die Gartenversammlung, nächste Termine:

Sonntag, 1. April, 6. Mai, 3. Juni. Weitere Infos auf www.stadiongarten.ch

Es soll ein Gemeinschaftsgarten sein, wo jeder für sich selber verantwortlich ist, aber mit den

magischen drei ‚L‘s hier seine Wonnen finden soll: Liebe, Lust und Leidenschaft. Eine

ironische Zuspitzung. Trotzdem sollen nicht Geld und Hierarchie und festgeschriebene

Page 55: Urban Farming in Zürich

55

Vorschriften den Garten organisieren, sondern Engagement und zwischenmenschliche

Beziehungen. Rund hundert Leute waren beim Aufbau dabei, weitere GärtnerInnen sind

immer willkommen. Das weisse Huhn auf schwarzem Hintergrund könnte ein Maskottchen

und Stellvertreter des Gartens darstellen, als ob es den Willkommensgruss gackerte. Es ist

gerade im Begriff, ein Ei zu legen mit einem aufgepinselten Fragezeichen. Das Ei als Symbol

für das Projekt: Wir sind am Anfang und wissen nicht, wie es sich entwickeln wird. Wer

dieses Huhn aufgehängt hat, weiss ich nicht, wahrscheinlich bastelte es ein Kind aus der

Nachbarschaft. Ungeplant kam es hier zu hängen und passt perfekt. Auf der rechten Seite der

Tafel ein Gartenplan mit der Anordnung der Kisten. Mit Filzstiftschrift ist das Kroki verortet.

Im Uhrzeigersinn sind das Baucontainer, Ofen/Feuerstelle, Boulderwürfel, Skate-Pool, Boule-

Bahn, Stadion und auf der rechten Seite des Plans: Eingang. Dies sind die verschiedenen Orte

auf der Brache. Diese Orte sind Projekte, die schon vor dem Gartenaufbau bestanden, oder

sich in der Planung befinden. Es sind materielle Bauwerke aber auch konzeptuelle,

anthropologische Orte: ohne die gedankliche Aneignung durch die Menschen würden sie

nicht wahrgenommen und akzeptiert.

Stadionbrache, 19. April 2012. Angepinnter Ortoloco-Flyer auf der Rückseite der Infowand.

Die Info-Wand ist eine ideale Fläche für Werbung im Bereich Garten und Do-It-Yourself. Sie

besitzt ein einnehmendes Flair: selbstgemacht aber stabil steht sie mitten auf der Wiese und

fügt sich gut in den Raum neben dem blauen Container. Auf der Rückwand ist hier ein

Page 56: Urban Farming in Zürich

56

Faltblatt von Ortoloco zu sehen. Auf der Vorderseite angebracht wäre es zu aufdringlich

erschienen. Die Stelle auf der Rückseite der Wand symbolisiert auch die Herkunft der

Initiative: das Mutterprojekt ist Ortoloco, über das Nebenprojekt des ‚Brot-Abos‘ Brotoloco

wurde die Stadionbrache ‚entdeckt‘, und es entstand die Idee des Gemeinschaftsgartens.

Später wird ein besserer Standort gefunden, um Präsenz zu markieren: die Flyer-Säule kommt

am zentralsten Punkt zu stehen. (s. Bild unten)

Stadionbrache, 12. August 2012, grosser Brotofen, Container, Ortoloco Info-Säule.

Später wird die Wand als Informationsplattform zur Selbstverortung genutzt. Links ein Papier

der Stadionbrache und in kurzen Worten die grundlegendsten Regeln. Daneben eine Spontan-

Botschaft: der Kompost-Workshop wird um eine Woche verschoben. Darunter ein Saisonplan

verschiedener Gemüse. Daneben der monatliche Giessplan, der an der Gartenversammlung

immer am ersten Sonntag im Monat abgemacht wird. In der Mitte Absenzfähnchen: „Wir sind

in den Ferien – Bitte Giessen und Ernten-Fänli“ (sic!), eine Massnahme gegen die

Verwahrlosung und Verwaisung von Pflanzkisten. Eine andere Sorte Fähnchen „Bitte bis in

zwei Wochen zurück bringen“ sorgt dafür, dass Beete, denen nicht mehr geschaut wird,

weitergegeben werden können. Es sind nicht alle GärtnerInnen so engagiert, dass sie sich

Page 57: Urban Farming in Zürich

57

komplett selber organisieren. Die Schriftspuren üben die minimale Autorität aus, um das

Projekt am Laufen zu halten. Ein Garten muss gepflegt werden, sonst verkommt er. Mit

Gartenwerkzeugen werden die Pflanzen kultiviert, die Schrift sorgt für das Fuktionieren der

Gruppe.

Stadionbrache, 12. August 2012, Infowand, Giesskannendepot, kurz-Infos, Spatz-Werbung.

Auf der rechten Tafel gibt es eine Kurzfassung des Stadiongartens. Daneben eine Präsentation

von Art and the City. Weiter rechts eine Ankündigung für den nächsten Event: ein einmaliges

Spielfest für Kinder und Jugendliche organisiert von den GZ Loogarten, Bachwiesen und

Grünau. Im rechten Ecken eine Werbung, die ohne Rücksprache aber mit Gegenleistung

angebracht wurden. „Ihr bekommt einen feuerfesten Kochkessel samt Dreibein, dafür

hinterlassen wir hier unser Logo.“ Hier findet sich das ideale Publikum für Qualitätzelte und

Camping-Artikel. Besprochen wurde der Tausch Topf gegen Werbung nicht und

stillschweigend angenommen.

Die Möblierung folgt universalen Bedürfnissen einer Wohneinrichtung, obwohl es keinen

Masterplan gab, nachdem die Einrichtung aufgestellt worden wäre. Aber: die Anordnung lässt

sich mit standardisiertem Wohnungsbau vergleichen. Daraus kann geschlossen werden, dass

Page 58: Urban Farming in Zürich

58

es eine allgemeine Vorstellung gibt, wie die Elemente angeordnet werden müssen, damit der

Ort möglichst funktional und zugleich möglichst wohnlich herauskommt.

Ein anthropologischer Ort besteht in der Verbindung eines Raumes mit einer Gruppe. Diese

gestaltet ihn nach ihren Bedüfnissen und gibt ihm eine Identität. Die Schriften prägen den Ort

und verkörpern diesen Anspruch. Sie sind Spuren und lassen sich auf das Verhältnis Mensch-

Raum, resp. die Absichten der Gruppe zur Gestaltgebung deuten. Da es sich bei der

Gestaltung des Stadiongartens um eine offene Gruppe handelt, die sich erst duch das Ziel, den

Raum so zu gestalten, dass er für weitere Leute offen bleibt, erfüllen Schriftspuren

unterschiedliche Zwecke: Selbstdarstellung, Information, Planung, Werbung, Verweis auf die

Herkunft.

Page 59: Urban Farming in Zürich

59

4.2 DAS HETEROTOP

Dienstag, 27. März 2012

Nachmittags im Dunkelhölzli. Ich übernehme die

Setzlingsarbeit von einer Tanja, die mich auf Anhieb

wiedererkannte: „Germanistik oder Kunstgeschichte?“ Mir

kommt ihr Gesicht erst nach nochmaligem Anschauen bekannt

vor. Sie bezieht ihr Gemüse vom Dunkelhölzli, dafür hilft

sie mit, wenn sie gerade Zeit dazu hat.

Die Arbeit ist sehr meditativ. Ich stehe an einem

Gartentisch mit zwei Kistenstapeln. Vor mir die Sicht über

das Feld, dreihundert Meter bis zum dunklen Waldrand,

hinter mir die Remise mit Werkzeugen und Kühlraum, rechts

die Anziehkästen, die Komposthaufen und dahinter der

Acker, ca. 25 Aren, das ist ein Feld von 25x100 Meter. Mit

einem Griffel löse ich im linken Kistchen zarte

Eichblattsalat-Sprösslinge aus der Erde, und setzte sie in

der rechten Kiste einzeln in die Löcher von kleinen

Töpfchen.

Es ist ruhig. Blauer Himmel und Sonnenschein.

Rabengekrächze, Hundegekläff vom Waldrand, dann wieder

Stille. Ein Motorflugzeug. Fernes Geklapper von trabenden

Pferden. Der Motor einer Gartenmaschine von der Gärtnerei

linkerhand.

Der Griffel in der Hand, die feinen Pflänzchen aus der Erde lösen und vom einen ins andere

Kistchen verpflanzen (‚pikieren‘ heisst das in der Gartenfachsprache), wenig Bewegung um

einen herum, die grünen Wiesen, die Feldwege, Fussgänger aus weiter Distanz gemächlich

durch die Landschaft ziehend. Die Zeit tickte anders. Langsamer? Beruhigender? Bin ich

noch in der Stadt oder schon auf dem Land? Steht dieser Gegensatz überhaupt in Frage?

Wie sind solche Wahrnehmungen zu theoretisieren? Dazu passt das Konzept des Heterotops

(gr.: topos = Ort, hetero = unterschiedlich; Heterotop = der andere/unterschiedene Ort).

4.2.1 THEORETISCHE MERKMALE DES HETEROTOPS

Im Gegensatz zum anthropologischen Ort, der durch seine Möblierung und seine

Bewohnbarkeit objektiv fassbar ist, beschreiben die Ansätze des Heterotops die Qualitäten

und Erlebbarkeiten eines Raumes. Dadurch wird ein Heterotop klar von seiner Umgebung

abgrenzbar. Michel Foucault nennt als typische Heterotopien Kino, Museum, Gärten, Spitäler,

Friedhöfe, Gefängnisse oder das Doppelbett ihrer Eltern, wenn diese nicht da sind und die

Kinder darauf herumhopsen und sich alle möglichen Welten vorstellen. Diese Orte haben eine

besondere Wirkung auf ihre ‚Bewohner‘: Raum und Zeit werden anders erfahren als im

Alltag. Heterotope zeichnen sich dadurch aus, dass sie andere Räume abbilden (Kino,

Page 60: Urban Farming in Zürich

60

Museen). Sie sind von einer Grenze umgeben und durch bestimmte Passagen betretbar. Wer

ein Heterotop betritt, begibt sich in eine Heterochronie, d.h. erlebt eine spezifischen

Zeiterfahrung, die nicht der gewohnten alltäglichen entspricht. Mit der Bezeichnung Illusions-

oder Kompensationsraum will Foucault das Verhältnis des Heterotops zu Nicht-Heterotopien

erfassen:

„Hier stoßen wir zweifellos auf das eigentliche Wesen der Heterotopien. Sie stellen

alle anderen Räume in Frage, und zwar auf zweierlei Weise: entweder […] indem sie

eine Illusion schaffen, welche die gesamte übrige Realität als Illusion entlarvt, oder

indem sie ganz real einen anderen realen Raum schaffen, der im Gegensatz zur wirren

Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist.“32

4.2.2 DER GARTEN ALS HETEROTOP

Lässt sich nun dieser Begriff auf meine Erfahrung im Dunkelhölzli übertragen? Am

auffälligsten war für mich die Ruhe, die weite Sicht, die meditative Arbeit. Diese in der Stadt

ungewohnten Eindrücke veränderten mein Zeitgefühl. Im Verhältnis zur meinem

Wohnquartier Wipkingen als Vergleichsgrösse ist das Dunkelhölzli ein Heterotop.

32 Michel Foucault: Heterotopien, S. 19 f.

Page 61: Urban Farming in Zürich

61

Dunkelhölzli, 28. März 2012. Im linken Haus mit Dachschräge der Gartenschuppen. Im Hintergrund

Wohnsiedlungen von Zürich Altstetten. Der Stadtrand dehnt sich aus.

Ansonsten ist der Pflanzplatz einfach ein Ort des Stadtrands. Da gibt es keine bestimmte

Öffnungen, um den Ort zu betreten und keine Schliessmechanismen, um das Feld von der

Umgebung zu isolieren. Der Acker ist ein Acker und will keine andere Welt sein. An den

geernteten Rüben klebt noch etwas Erde und zwischen den Salatblättern verkriechen sich

kleine Schnecken. Das ist Realität und an sich kein Illusionsraum. Aber wenn Menschen mit

einer anderen Lebenswirklichkeit diesen Raum betreten, kann eine Gegenwelt entstehen. So

z.B. Stadtbewohner, die in der Gemüseabteilung von Grossdetaillisten ihre Rüben in der Kilo-

Packung kaufen, mit oder ohne aufgedrucktem Bio-Label, haben diesen Bezug nicht. Die

Erde wurde entfernt, Schnecken und andere ‚Schädlinge‘ sowieso. Im Alltag wird nicht

danach gefragt, woher die Karotte kommt. Erst wenn der Nachwuchs fragt, Papi, woher

kommen die Rüebli, wird dieses alte Wissen wieder hervorgekramt, „vom Feld, Eugen, da

wächst es in der Erde und über der Erde wächst das Kraut und wenn es genug gross ist, wird

es aus dem Boden gezogen und es klebt etwas Erde dran. Da gibt es so grosse Rüebli wie

dieses da, aber auch ganz kleine, so klein wie dein kleiner Finger. Die meisten sind schön

gerade, wie diese hier, aber andere sind zusammengewachsen oder sind ganz knorrig. Zum

Page 62: Urban Farming in Zürich

62

Essen sind sie trotzdem gut.“ Dieses Wissen ist Erfahrungswissen. Vielleicht hat es dieser

Papi es in der Primarschule gelernt, hat darüber gelesen oder eine Bauern-Doku gesehen und

war von der Rübenernte besonders beeindruckt. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Erfahrungswissen muss selbst gelebt werden. Wer nie selbst eine Rübe aus dem Boden

gezogen hat, kann sich nur schlecht vorstellen, wie verschiedenartig die Erde daran kleben

bleiben kann. Dunkel, schwer und feucht, wenn der Boden nach starkem Regen durchnässt ist.

Hellbraun, leicht und krümelig bei trockener Erde. Dieses Erfahrungswissen kann nur in einer

Realität ausserhalb vom Shopping-Center oder schön sortierten Gemüse-Händler erworben

werden. Eine solche Gegenrealität gibt es auf dem Dunkelhölzli.

Tag der offenen Äcker am 12. Mai: es regnete in Strömen. Zu viert schauen wir die Äcker an

im Ifang bei Schlieren. Michi , Thom, ein benachbarter Landwirt und ich. Wir spazieren über

das Herrenbergli zum Dunkelhölzli. Eine Mitpflanzerin ist schon da, kocht Suppe, gesprächelt

über den Salat. Thom versucht sich am Feuer unter einer wackeligen Konstruktion gegen den

Regen. Gegen Mittag kommen doch noch ein halbes Dutzend Leute und geniesst eine

Bratwurst an den aufgestellten Bänken im Schuppen. Das Gespräch entwickelt sich etwas

zögerlich, wie immer, wenn Leute zusammensitzen, die sich nicht kennen. Dann wird die

Qualität des Gemüses gelobt, die Entspannung beim Gärtnern, das Unverständnis, dass nicht

mehr Leute gärtnern. Die Empörung, dass Pflanzenkunde und Heilkräuterwissen von hiesigen

Blumen und Pflanzen in der Schule verhindert würde von der Pharma-Lobby, die so die

Abhängigkeit von ihren Medikamenten vergrösserte und sich so Kundschaft und Rendite

sicherten. Dabei könne so viel behandelt werden mit Kräutern, sogar solchen, die unscheinbar

am Wegrand wachsen. Dieses Wissen müsse doch wieder gepflegt werden. Es sei so schön,

dass sie jetzt wieder Gemüse säen und ernten könnten, dieser Bezug zur Natur habe ihnen so

gefehlt. So stellt das Projekt Dunkelhölzli eine ideale Gegenwelt dar, in der noch (oder

wieder) ein Bezug zur Natur hergestellt wird. In der Welt des Marketings, der Werbung, der

Gross-Detail-Händler gehe es ja nur noch um Konsum und Profit. Das Dunkelhölzli

verkörpert eine Heterotopie, in der entgegen dem Trend ideale Vorstellungen von

Stadtbewohnern gelebt werden können.

Page 63: Urban Farming in Zürich

63

Pflanzplatz Dunkelhölzli, 12. Mai 2012: Im Ifang bei Schlieren.

Unten: Dunkelhölzli am Stadtrand bei Altstetten.

Page 64: Urban Farming in Zürich

64

Ein Heterotop ist heterochron. Auf dem Dunkelhölzli besteht die Vorstellung, wieder nach

altem Wissen zu handeln. ‚Altes Wissen‘ ist das Wissen um die Pflanzenpflege, den Zeitpunkt

der Aussaat, die Bearbeitung des Bodens, die Zeit der Ernte, die Kultivierung eines Komposts

für nahrhafte Erde im Folgejahr. Zum alten Wissen gehört aber auch Spezialwissen wie

Wirkungen und Nebenwirkungen von Gemüse und Kräutern.

Wo sind die Grenzen vom Pflanzplatz Dunkelhölzli? Beim Waldrand am Horizont? Hinter

dem Acker? Für mich spielte das keine Rolle. Am Tisch stehend, die Hände ihre Arbeit

verrichten lassend, über die Fläche schauend, die ruhigen Geräusche hörend: plötzlich gab es

mehr Raum für die Aufmerksamkeit, plötzlich wurde einem die Wahrnehmung bewusst, es

gab eine Aufmerksamkeit für die Aufmerksamkeit. Auf der Hinfahrt per Fahrrad war höchste

Konzentration gefordert. Autos, Busse und Trams, Fussgänger, Verkehrsampeln,

Ausweichmanöver, Gangschaltung, vorbeisausende Ladenschilder, Werbeplakate, Baustellen,

Umleitungen, sich orientieren, Strassen wiedererkennen und andere zum ersten Mal befahren.

Die Arbeit dann an den Setzlingen auf dem Pflanzplatz Dunkelhölzli eine Welt der Ruhe, der

Übersicht, der Geborgenheit.

Durch die auffällig unterschiedliche Zeiterfahrung ist mir das Dunkelhölzli als Heterotop

aufgefallen. Ähnliche Erfahrungen lassen sich auch in den anderen Gärten machen: auf der

Kronenwiese, auf dem Feld in Dietikon, auf der Fläche der Stadionbrache, in der Gegend von

Seedcity. Physische Grenzen mit besonderen Zugängen gibt es im Dunkelhölzli nicht. Die

Beschränkung zeigt sich dann, wenn sich die Nachbarn der roten Neubauwohnungen33

an den

Leuten stören, die um das Feuer herumstehen, oder wenn die Kinder im Planschbecken

spielen. Der Streit ging so weit, dass jemand von der Stadt vermitteln kam. Als Beitrag zur

Lösung des Konflikts schlugen Michi und Thom vor, das Planschbecken auf die andere Seite

des Schopfes zu stellen, auch wenn sie dafür noch einen Schattenplatz schaffen müssen. Die

Grenzen wurden von den gereizten Nachbarn gesetzt und vom Dunkelhölzli überschritten.

Am Tag der offenen Äcker lobten die Besucher das alte Wissen des Gärtnerns und der

Pflanzenkunde. In dieser Hinsicht ist das Dunkelhölzli eine Vorlage zum Aufleben anderer

Welten. Es ist ein Kompensationsraum für Leute, die die Wirksamkeit der eigenen Hände

erfahren, die ihrer Nahrung beim Entstehen mithelfen und sich ein Gefühl der Autonomie

gegenüber Detailhandels-Multis bewahren wollen.

33 Vgl. Bild S. 54.

Page 65: Urban Farming in Zürich

65

Merkmale des Heterotops sind in den Gärten nachvollziehbar. Das Modell, resp. das

Radiogespräch von Michel Foucault lotet die Denkmöglichkeit zur Beschreibung und

Unterscheidung verschiedener Orte. Die Unterschiedliche Wahrnehmung verschiedener Orte

begründete sich in diesem Beispiel hauptsächlich durch die unterschiedlichen Lokalitäten.

Vieles wird von den ‚Bewohnern‘ und ‚Nutzern‘ der Heterotope intendiert.

Page 66: Urban Farming in Zürich

66

4.3 DAS ANEIGNEN VON ORTEN

4.3.1 DIE VORAUSSETZUNG DER GRUPPE

Die Voraussetzung zur Gestaltung von Räumen ist der Mensch. Die Kultivierung von Natur

ist vielleicht eine der grundlegendsten Tätigkeiten in der Entwicklung des Homo Sapiens. Sie

emanzipierte ihn vom rastlosen Jäger und Sammler zum sesshaften Viehzüchter und

Feldbauer. Voraussetzung zum Überleben des Individuum und der Gattung ist in beiden

Entwicklungsstadien jedoch die Gruppe. Im Jahr 2012 mögen sich die Lebensbedingungen

mit Medienwandel und Verstädterung geändert haben. Es sind aber nach wie vor

Zusammenschlüsse von Menschen notwendig, um grössere Projekte umzusetzen. Dies geht

aus den folgenden Zitaten hervor.

Also ich habe früher auch mit verschiedenen Gruppen zu tun gehabt. Ich war mal im Blauring und dort Leiterin. Und ich habe mal Volleyball gespielt. Und auch dort haben wir als Gruppen Dinge angepackt und zusammen gemacht aber es war nie diese Begeisterung drin. Vielleicht weil wir uns nie so nahe kamen, oder weil uns die Dinge nicht so wichtig waren. Etwas von beidem. Also es braucht wie beides: die Sache muss dir viel bedeuten und sie muss Erfolg haben und vorwärts gehen. Und andererseits musst du dich auch gerne treffen, um zu organisieren. (Pia im Alten Botanischen Garten, 08.05.2012, 00:39:46)

Es sind nicht alle Gruppen gleich. Pia denkt, dass besonders gute Gruppen dann entstehen,

wenn sich die Leute gut kennenlernen und wenn die Leute von der Absicht der Gruppe

begeistert sind. So war es für sie bei Ortoloco der Fall.

Auch der Stadiongarten entstand durch die Initiative von Leuten aus dem Umkreis von

Ortoloco. Der Elan aus dieser Gruppe übertrug sich auf die Stadionbrache.

Ich mag den Personenkult nicht, aber es zeigt sich schon, dass wenn sich einige initiative Menschen finden, die gut zusammen arbeiten, ist extrem vieles möglich. Dann sind die paar Hindernisse recht schnell überwunden. Und einfach überwunden. Es müsste ein Beispiel sein, dass es so einfach anfangen kann. Weil solche Plätze wirklich vielen Leuten fehlen. (Joana im Stadiongarten, 30.05.2012, 00:23:07)

Doch die Idee für den Garten bestand schon vor der Gründung des Vereins zur Planung des

Stadiongartens. Martina äussert sich über den Anfang, warum es zuerst nicht so recht geklappt

hat, aber dann mit Dominik und dem Stadiongarten schon.

Page 67: Urban Farming in Zürich

67

Wir waren ein kleineres Grüppchen, aber nicht so effektiv. Klein und unauffällig haben wir da einfach Sachen angepflanzt. Und der Dominik hat das mitbekommen und mich dann Ende Sommer angesprochen, ob wir nicht zusammen einen Garten initiieren wollten. So quasi "einen richtigen Garten". Dann haben wir zusammen gesprochen und dann gab es ein zweites Meeting mit anderen Interessierten. Und schnell wurde es konkret und alle wussten: „das wollen wir machen, das müssen wir gar nicht lange diskutieren, das sieht so und so aus.“ Man war sich auch über den Namen extrem schnell einig, es war alles total einfach dann, von diesem Moment weg. (Martina im Stadiongarten, 03.06.2012, 00:17:56)

Mit dem Ansatz des anthropologischen Ortes könnte interpretierte werden, dass die erste

Gruppe zu wenig initiativ war. Erst mit der Lancierung eines „richtigen Gartens“ kam

Schwung in die Planung, eine Name wurde gefunden und die Basis für den Stadiongarten

gelegt.

4.3.2 AUSGANGSBASIS FABRITZKE-AREAL

„Das „Eigene“ ist ein Sieg des Ortes über die Zeit. Es ermöglicht, aus den

errungenen Vorteilen Gewinn zu schlagen, künftige Expansionen vorzubereiten

und sich somit eine Unabhängigkeit gegenüber den wechselnden Umständen zu

verschaffen.“

(Michel de Certeau)34

Zurück an den Anfang: Nachdem ich die Leute auf der Stadionbrache rund um den Brotofen

im Oktober 2011 kennengelernt hatte, wurde ich zu einen Vortrag-Abend im Vorwerk

eingeladen. Das Vorwerk ist eine der Wohngemeinschaften auf dem Labitzke-Areal35

. Zwei

Lizenziats-Arbeiten wurden vorgestellt, die eine mit dem Titel Ökologie und Freiheit. Die

Geschichte der Öko-Bewegung in der Schweiz. Die andere: Freiheit und Eigentum. Eine

vergleichende Untersuchung von Locke, Kant und Marx- mit Bezügen auf die Gegenwart. Die

Vorträge sind sehr informativ. Etwa 20 Leute, rund die Hälfte davon wohnt auf dem Labitzke-

Areal, bedienen sich beim Apéro, hören die Vorträge, diskutieren danach über die Schweizer

Landwirtschaft, über die Subventionspolitik, über die ideologische Verortung des Bio-

Landbaus, dessen Geschichte und Zusammenhänge. Jemand möchte mich für die

Organisation einer Lebensmittel-Kooperative gewinnen. Jemand hat Beziehungen zum

Präsident des kantonalen Imkerverbandes, falls ich eine weitere Geschichte über Bienen und

Imker in der Stadt schreiben möchte. Jemand erzählt mir von einem Guerilla Gardener, der

auch in einer WG der Labitzke wohne.

34 Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Strategien und Taktiken, S. 88. 35 Diese Wohngemeinschaften sind eigentliche „Wohn-Ateliers“. ca. 10 Personen teilen sich eine grosse Halle

und richten da ihre wenige Quadratmeter Privatsphäre ein ohne Türen und Wände zur Abgrenzung.

Page 68: Urban Farming in Zürich

68

Ich werde zu einer weiteren Veranstaltung eingeladen: ein Workshop über die Verdoppelung

der Genossenschaft Ortoloco. Fünfzehn Genossenschafter überlegen sich Vor- und Nachteile

einer solchen Vergrösserung: Auswirkungen auf die Finanzen, Auswirkungen auf die Arbeit

und auf die Stimmung zwischen den Genossenschafter und die Zukunft des Projekts. Es ist

eine angeregte und produktive Runde. Verschiedene Arbeitsgruppen diskutieren

unterschiedliche Bereiche: Infrastruktur, Finanzen, Ausweitung des Abonnentenkreises. Nach

der Arbeitsrunde erzähle ich Dominik von meiner Arbeit und er fragt mich, ob ich bei der

Organisation des Stadiongartens mithelfen will. Ich sage zu. Auch dieser Abend fand in einer

Räumlichkeit des Labitzke-Areals statt, in der Fabritzke, dem grossen und vermutlich ersten

Zürcher Wohn-Atelier seiner Art. Welche Bedeutung hat der Ort und die spezielle Wohnform

für die verschiedenen Projekte?

Dazu sagte Nick im Mai:

Ja, da bin ich überzeugt davon, dass es ein grosse Rolle spielt, dass es sehr fördernd war am Anfang, weil so wie man heute normal lebt, nämlich so individualisiert, jeder hat eine Wohnung und eine komplette Lebensinfrastruktur innerhalb dieser Wohnung, muss nur raus um einzukaufen oder um zu arbeiten, oder. Man trifft zwar viele Leute aber spricht nicht mit ihnen, versucht an ihnen vorbeizuschauen und so <lacht>. Das ist da anders. Es gibt Infrastrukturen, die wir teilen. Man muss miteinander zu tun haben, aber das empfinden wir hier nie als Zwang oder unangenehm, sondern im Gegenteil, das ist etwas total Positives. Und man tauscht sich ständig aus. Und zwar einerseits auf der Basis dieser Infrastrukturen, die wir gemeinsam nutzen, aber dann auch über andere Dinge, man kommt auf Ideen und merkt dass man zusammen ganz viele Dinge tun kann, die man alleine nicht tun kann. Ja. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 00:04:30)

Nick betont, wie sich durch das Benutzen einer gemeinsamen Infrastruktur öfters Gelegenheit

bietet, sich informell auszutauschen. So entstehen Ideen und Synergien, die in der

individualistischen Lebensweise innerhalb der Kleinwohnungen bleiben. Auf dasselbe Thema

angesprochen, betont Pia die persönliche Nähe, die dabei entsteht und den Vorteil geteilter

Infrastruktur, die viel effektiver Genutzt werden kann, wenn sie vielen Leute zur Verfügung

steht:

Page 69: Urban Farming in Zürich

69

Das Areal ist schon recht wichtig für all das Zeugs. Einerseits weil wir uns dort dadurch gut kennenlernten, andererseits weil wir den Raum haben für Sitzungen, für Workshops, für Depots fürs Gemüse und weil sonst noch viel läuft, was gut zusammenspielt. Es gibt Veloanhänger und Zeugs um zu transportieren, es gibt Maschinen, um Dinge zu bauen. Dann gibt es viele Leute, die gerade mitmachen, wenn du etwas machst. Obwohl wir trotzdem viel mailen, obwohl wir gleich nebeneinander wohnen. (Pia im Alten Botanischen Garten, 08.05.2012, 00:32:11)

Menschen verschiedenster Kulturen sind mit dem Gelände verbunden. Sie leben da, arbeiten,

gestalten ihre Zeit. Es gibt Autogaragen, Tanzkurse, Trommelkurse, Bandräume, ein

Architekturbüro, verschiedene Kunstateliers, ein Fotostudio, ein Bordell, eine Moschee, ein

Café, eine Velowerkstatt, etc. 36

Die Grenzen zwischen Wohnort, Arbeitsort, Privatsphäre und

öffentliche Sphäre verschwimmen, neue Strukturen werden verhandelt. Es handelt sich um ein

Pioniermilieu, wo sich Menschen nicht in die bestehende Ordnung einschreiben und andere

Lebensentwürfe gestalten als klassische Erwerbsarbeit, Mittelstandswohnung und

Standardbiographie. Fehlende Organisationsstrukturen erfordern hohen

Kommunikationseinsatz und Schlüsselkompetenzen wie Flexibilität und

Transformationsbereitschaft.37

Pioniermilieus bevorzugen Orte ohne fest definierte Regeln.

Zu finden sind sie oft auf Brachen und anderen Zwischennutzungen. Durch ihren Einsatz

werden diese Orte ‚aufgewertet‘: sie werden gestaltet, sie stehen am Anfang des Prozesses der

Gentrification: sie verleihen dem Nicht-Ort eine Identität, gewinnen Kult-Status, es erhöht

sich die öffentliche Aufmerksamkeit, dadurch der Bodenpreis und es etablieren sich

geldbringende Einrichtungen, Wohnungen, Büros, Läden. In solchen Milieus finden sich

Künstlerinnen und Kreative, Handwerker und Ideenköpfe. Es ist eine „Kultur des selber

Machens“, die auch das Umfeld der Urbanen Gärtner bestimmt.

Es bleibt eine hinterfragbare These, dass Pioniermilieus Bedingung sind, um Projekte wie

Ortoloco zu ersinnen und zu betreiben. Denn es gibt auch Stimmen, die den ganzen Betrieb

eher hinderlich finden.

36 Kulturen am Rand: Zürich Labitzke. Eine Feature aus dem „Wilden Westen“ der Boomstadt Zürich, Porträt

einer Verdrängung. Radio Lora, 31.08.2012. Archiv: http://www.freie-radios.net/50535. 37 Bastian Lange: Koop Stadt? Was ist von der „kreativen Stadt“ zukünftig zu erwarten?

Page 70: Urban Farming in Zürich

70

Ich: Und es ist ja nicht nur wohnen, sondern auch Atelier, man hat Sitzungen, Workshops zu Ortoloco auf dem selben Areal und es bewegt sich ja auch viel, mit dem AutoBeautySalon, wo du noch eine Velowerkstatt hast und einen Gratisladen… Joana: Dass alles gerade so zusammenkommt ist Zufall. Es gibt viele Leute, die dort nur ihr Atelier haben oder nur dort wohnen, oder nur an Sitzungen gehen, und das nicht mehrfach nutzen. Das finde ich auch gut. Es wäre sonst eine rechte Anforderung, wenn du alles in diesem Kuchen machen müsstest. (Joana im Stadiongarten, 30.05.2012, 00:14:55)

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Wohnform und der sozialen Durchmischung auf

dem Labitzke-Areal und Ortoloco. Zwei der Beteiligten sehen dies als Bereicherung, eine

findet den ganzen Betrieb eher hinderlich. Joana war allerdings nicht in der

Gründungsgruppe. Sie wurde erst durch ein Inserat auf Ortoloco aufmerksam und wurde als

Gemüsefachkraft angestellt. Nach eigener Aussage hätten ihr Profil und das von Ortoloco

perfekt zusammengepasst (Joana im Stadiongarten, 30. Mai 2012, 00:06:38). Dann zog sie

auch in eine der Wohngemeinschaften auf dem Labitzke-Areal.

Page 71: Urban Farming in Zürich

71

4.4 DER ORT UND DIE SPRACHE

„Orte werden durch die Zeichen geschaffen, die ihm im Raum eine

Charakterisierung geben: Anweisungen und Verbote im öffentlichen Raum,

Ortsschilder, Informationen, Ideogramme, Werbung und Plakate, Firmen-Namen,

Slogans, Urban Art.“

(Marc Augé)38

Das Grundlegende einer Gruppe ist ihre Kommunikation. Für mich als Feldforscher ist

deshalb ihre Sprache eine Spur, die Rückschlüsse auf deren Verständnis vom Ort und sich

selbst zulässt. Die vorhergehenden Kapitel illustrieren die Bedeutung der Konstellation einer

Gruppen zur Gestaltung von Orten. Im Kapitel 4.2. bin ich auf die Beschriftungen im

Stadiongarten eingegangen. Diese organisieren die Gruppe im Garten. Im Folgenden wird auf

die mündliche Sprache fokussiert. Diese werden spontaner geäussert und lassen Schlüsse auf

die Weltsicht der Sprechenden zu.

Eine Gruppe muss eine gemeinsame Sprache haben, damit sie als Gruppe funktioniert. Von

den Initiatoren des Stadiongartens kannten sich einige schon zuvor, andere lernten sich erst

kennen. Wir sprachen zwar die selbe Sprache, aber wir mussten uns auf Ziele und Strukturen

des Gartens einigen, um diesen zu organisieren. Dies zeigte sich in den Formulierungen. Mit

einer Neugründung geht immer eine Namensgebung einher. Das Wichtigste war der Name

des Gartens: Stadiongarten. Der stand schon, bevor ich dazu stiess und passte so gut, dass

daran nichts mehr zu ändern war: Stadionbrache – Stadiongarten.39

4.4.1 UMDEUTUNGEN

In den Sitzungen zur Planung des Stadiongartens stellten wir unsere Visionen vor, verteilten

Aufgaben, machten neue Termine ab. Eine Einladung für den Info-Abend musste geschrieben

werden, Begleitbriefe für die Stiftungsanfragen, der Willkommenstext im Stadiongarten40

, die

Newsletter für Gartenversammlungen und Protokolle derselben. Der Garten kam ins Laufen,

ein Kompost wurde aufgesetzt und in Workshops Gartentricks verraten. Um eine

Verbindlichkeit gegenüber uns selbst, gegenüber den Interessierten und nicht zuletzt

gegenüber dem Garten an sich herzustellen , wurde ein Gartenteam gegründet. Dieses sollte

aus Leuten bestehen, die Regelmässig vor Ort sein würden, sich in Gartenfragen auskannten,

die Workshops planten und gelegentlich thematische Abende mit Konzert organisierten.

38 Marc Augé: Nicht-Orte, S. 80. 39 Vgl. zum Namen Stadiongarten Kap. 4.3.1. Die Voraussetzung der Gruppe, S. 58.

40 Vgl. Kap. 4.1.2. Die Beschriftung des Stadiongartens, S. 48.

Page 72: Urban Farming in Zürich

72

Einmal fand mit grossem Erfolg ein Kasperlitheater statt. Dieses Team sollte aus vier

Personen bestehen und jede sollte einen Lohn von tausend Franken pro Monat bekommen.

Dazu notierte ich im Forschungstagebuch:

Donnerstag, 24. Mai

Sitzung zum erweiterten Gartenteam. Anstatt „Lohn“ soll es

heissen „Ermöglichungspauschale“.

Der Stadiongarten soll nicht ein ‚Dienstleistungs-Betrieb‘ werden, der Leute anstellt und

ihnen einen ‚Lohn‘‘ auszahlt. Die ‚Ermöglichungspauschale‘ soll einen Raum für

Engagement eröffnen. Sie soll sicherstellen, dass Ideen nicht verhindert werden, weil es an

Geld fehlt. Eine regelmässige Anwesenheit und ein Grundengagement sind wichtig, um das

Projekt am Leben zu halten. Das Gartenteam kommt zustande.

Das Engagement soll erst Gastfreundschaft heissen und das Team Gastfreundschaftsteam.

Dann finden wird diesen Namen zu vereinnahmend oder aufdringlich. An der

Gartenversammlung vom 3. Juni stellen wir das Projekt als Stadiongarten-Erweiterung vor.

Die Zusammensetzung des Begriffs verkürzt sich in der Folge wieder zu Stadiongarten. Das

Team gehört zum Garten, der Name wird identisch. Die Teammitglieder entscheiden selbst,

wie stark sie sich engagieren wollen oder können. Die Ermöglichungspauschale verpflichtet

sie nicht zu einer bestimmten Leistung. Es funktioniert gut.

Ende Juni wird ein Wechsel im Team absehbar. Jemand verreist für längere Zeit und soll

ersetzt werden. Verschiedene Personen werden vorgeschlagen. Alle sollen die gleiche

Möglichkeit haben, im Team mitzumachen. Plötzlich jedoch wird bei den einen betont, dass

sie gerade keine Arbeit haben. Die ‚Ermöglichungspauschale‘ verliert plötzlich ihren rein auf

das Projekt bezogene Funktion und wird als ‚Lohn‘ gehandelt. Damit bekommt das

Engagement im Gartenteam einen Job-Charakter.

Donnerstag, 28. Juni

Sitzung erweitertes Gartenteam

Die Diskussion wird ziemlich emotional geführt, wo es um

die Nachfolge von Joana geht. Christa schlägt Katja vor,

Pia hat Patrizia angefragt. Bei einem gemeinsamen Treffen

werden sie sich einigen und wohl beide mitmachen. Da es

bei dem Engagement ja auch um eine kleine Entlöhnung geht,

und weil Christa anmerkt, dass Katja froh ist um jedes

Einkommen, ist bald die Rede von fifty-fifty der

Entlöhnung, so als ob die vom Freundschaftsteam einen

Page 73: Urban Farming in Zürich

73

festen Job bezögen. Es vermischen sich die Interessen.

Oberflächlich wird zwar so geredet, dass es nur um die

Unterstützung der Garten-Nutzer geht und das Geld der

Unterstützung des Garten-Teams dient. Der Fokus steht

jedoch auf der Kippe, so dass es schnell mehr um das Geld

geht, und das Engagement als Mittel zum Geld und nicht

Mittel zum Zweck degradiert wird. Die Diskussion verläuft

so, dass dies gar nicht betont wird. Da bringe ich mich

ein, und sage das, und sage, dass das einfach zu Kenntnis

genommen werden müsse, ich sei persönlich nicht dagegen.

Das Votum wird jedoch kaum aufgegriffen.

Der Begriff ‚Lohn‘ kann immer relativiert werden und als ‚Ermöglichungspauschale’

verstanden werden. Er ‚ermöglicht‘ uns zu essen und zu wohnen und somit eine Tätigkeit

auszuüben. Bekämen alle eine berufsunabhängige Grundpauschale, könnten wir unseren

Projekten nachgehen und müssten uns nicht dem Machtgefüge der Lohnarbeitsverhältnisse

unterwerfen. In diesem Sinne ist der Stadiongarten auch ein Experimentierfeld der Initiative

Bedingungsloses Grundeinkommen, die sich hier auch präsentiert. In der oben skizzierten

Sitzung wurde diese Bedeutung des Begriffs übernommen.

Stadiongarten, 12. August 2012, linke Containerwand. Unterschriften-Bögen für die Initiative

Bedingungsloses Grundeinkommen und Schliessmechanismus gegen ungebetene Gäste.

Page 74: Urban Farming in Zürich

74

Auf ähnliche Weise dreht die regionale Vertragslandwirtschaft den Mechanismus von Preis

und Ware um: anstatt das Produkt wird der Betrieb finanziert. Mit dem jährlichen Beitrag der

Genossenschafter wird das Land gepachtet, die professionellen GemüsespezialistInnen

vergütet, die nötige Infrastruktur beschafft und unterhalten. Neben dem Gemüse können

Zusatzprodukte wie Pilze, Käse, Beeren oder Eier bezogen werden. Zur Unterscheidung der

Bezugsprodukte wird von Gemüse-Abo, Pilz-Abo, etc. gesprochen. Dazu Claude:

Ich: Also nochmals wegen Ortoloco. Dort brauchst du ja einen Anteilsschein und dann zahlst du noch so ein Gemüse-Abo. Claude: Nein du zahlst nicht ein Gemüse-Abo. Du zahlst einen Betriebsbeitrag. Du zahlst Saatgut und die Gärtnerinnen, die den ganzen Betrieb am Laufen halten und die ganze Infrastruktur. Das Gemüse fällt dann einfach an und man verteilt das unter die Leute. Das ist nicht dasselbe. Das ist schlussendlich nur dialektisch. Ich: Aber dann ist auch der Begriff Abo falsch. Claude: Ja das mag sein. Ja gut, oder er ist in unseren Köpfen falsch oder anders abgespeichert. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:37:22)

Es wird zwar der Begriff ‚Abo‘ verwendet. Anders zu einem Zeitungs-Abo beispielsweise

wird den Abonnenten aber nicht ein Produkt garantiert, sondern den Betrieb. Dadurch ist ein

Gemüseproduzent nicht vom momentanen Gemüsepreis und vom Markt abhängig, sondern

produziert nach seinen Kräften und die Konsumenten bekommen, was anfällt. Dafür können

sie mitbestimmen und mithelfen und bekommen so einen Bezug zu ihren Lebensmitteln.

Durch eine einfach Umbesetzung des Begriffs ‚Abo‘ wird hier ein ganzes Hierarchiegefüge

auf den Kopf gestellt. Oder die Umnutzung des Begriffs ‚Abo‘ ist ein Teil dieser Umkehrung

des Blickwinkels.

Der Umwertung des Begriffs ‚Abo‘ liegt ein differenziertes Verständnis von ‚Wert‘ im

Allgemeinen zu Grunde. Als Gemüseabonnent bei Ortoloco werde ich immer gefragt, was es

denn kostet und was ich für den Preis bekomme. Dann wird abgeschätzt, ob eine volle

Gemüsetasche in der Woche für einen jährlichen Gemüsebeitrag von 1100 Franken günstiger

oder teurer kommt als im Migros oder in einem Bio-Laden. Und dann muss noch die Arbeit

kalkuliert werden, die jeder Abonnent zu leisten hat. „Also fünf Halbtage pro Jahr? Wie viele

Stunden sind denn das?“ Dabei werden in einem Garten auch andere Ebenen berücksichtigt,

die sich nicht einfach in Zahlen ausdrücken lassen. Dazu sagt Nick:

Page 75: Urban Farming in Zürich

75

Man kann es eigentlich gar nicht rechnen, weil die Produktionsbedingungen dieses Gemüses kannst du auf dem Markt nicht bekommen. Die vier Aspekte lokal, saisonal, bio und ohne sklavenähnliche Arbeitsbedingungen, das kannst du auf dem Markt nicht bekommen. Ausser bei irgend einem Kleinstproduzent, der gerade mal seine Freunde versorgen kann. Also das, und dann deine Zeit, also wie sinnvoll dass du sie verbringst, dass du hinausgehst mit Familie oder WG oder so, dass du dich körperlich betätigst. Also für den Tunnel [Gewächstunnel] mussten wir eine Wasserleitung verlegen, dafür mussten wir graben, das heisst einen ganzen Tag hacken und schaufeln und spaten. Das ist anstrengend und du schwitzst aber das ist auch geil. Und dann gibt es an diesen Aktionstagen immer jemanden der kocht, und das ist budgetiert, also das ist im Betriebsbeitrag drin, den du zahlst für das Abo. Das heisst wenn du an einen Aktionstag kommst, dann holst du dir etwas, das im Betriebsbeitrag drin ist. Wenn du nicht gehst, holst du dir das einfach nicht ab. Es gibt ganz viele Aspekte und die sind unzahlbar. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 00:32:31)

Dem monetären Preis und der zu leistenden Arbeit steht nicht nur wöchentlich eine volle

Gemüsetasche gegenüber, sondern ein umfänglicher Bezug: Die Betätigung im Freien, die

Beteiligung an der Produktion, soziale Beziehungen, gemeinsames Essen. Es ist eine

ganzheitliche Herangehensweise und ein Angebot von Sinn. Dieses lässt sich nicht mit einem

Geldpreis beziffern.

Ähnlich stellt auch Silvia Meyer die Bedeutung von Wert zur Diskussion.

Was ist der Wert davon, selber Gemüse anzubauen. Ich hatte die Idee, das für meinen Schrebergarten zu messen: was sind meine Inputs, was sind die Outputs. Dabei kommt es darauf an, wonach man fragt, worauf man Wert legt. Wenn nur nach den Arbeitsstunden und dem Ernährungswert der Gemüse gefragt wird, dann lohnt es sich nicht. Aber wenn man andere Werte berücksichtigt, z.B. dass meine Tochter jetzt Gemüse essen will, weil sie es selber gepflanzt hat, was ist denn das Wert? Das sind Millionen Dollar wert, das kann man nicht messen. Was ist denn die Biodiversität wert? Solche Fragen sind mehr und mehr prägnant in unserer Gesellschaft. (Silvia im Pflanzlabor, 13.04.2012, 00:07:50)

Nick und Silvia stellen die einseitig mit Geld ausgedrückten Wertgebungen in Frage. Zu viele

Faktoren sind mit der Produktion von Nahrungsmittel verbunden, die nicht mitberechnet

werden können. Es sind emotionale und persönliche Bezüge, die vernachlässigt werden. Dies

führt zur Labilität von Mensch und Umwelt. Der Bezug zu den Nahrungsmitteln wird umso

Page 76: Urban Farming in Zürich

76

intensiver, je mehr wir uns darum kümmern. Dies wird in den Gärten gefördert. Joana bringt

dies auf den Punkt:

Es gibt den offenen Markt, wo eine Zucchetti nichts Wert ist quasi, weil du sie dir mit zwei Minuten deiner Arbeitszeit verdienen kannst. Hier im Garten ist eine Zucchetti extrem viel Wert. Bei allem, was du aus so einem Kistchen [Pflanzkiste] rausholst, hast du eine extreme Freude und du hast noch hundert Anekdoten dazu. Es geht um die Möglichkeit, dies zu erfahren. Aber das sind alles so Mutmassungen, ich weiss auch nicht um was es den Leuten im einzelnen geht. (Joana im Stadiongarten, 30.05.2012, 00:21:43)

Es sind die Geschichten, die den Wert von den Dingen ausmachen. Indem wir Gemüse selbst

kultivieren, gibt es einen ganz anderen Bezug dazu. Blasen an den Händen vom Jäten, das

unterschiedliche Wetter auf dem Feld oder im Garten, das Bangen bei Hagelsturm, die

Erleichterung, wenn es doch nicht so schlimm war und die Freude, wenn etwas reif geerntet

werden kann.

Wert entsteht auch durch die gemeinsam erlebten Geschichten und durch deren erzählen.

Darin kommen auch die Werthaltungen zum Ausdruck. Claude beschreibt, wie er Ortoloco

wahrnimmt und wie es funktioniert:

Ortoloco ist wie ein Labor. Also wir, irgendwelche Freaks, haben wir gesagt, ja machen wir doch Holzofenbrot. Wir haben zwar keine Ahnung von Backen, wir haben keine Ahnung von Öfen, wir haben keine Ahnung wo und wir wissen nicht warum, aber komm, wir machen doch mal. Jetzt stehen da zwei Öfen, die jassen schnell am Sonntag 600 Pizzas raus [am Frühlingsfest] und die Leute sind bereit, Geld dafür zu geben. Nicht dass Geld jetzt wichtig wäre, aber das ist halt in unserer Gesellschaft immer noch ein Massstab. Und das läuft einfach, und da ist kein Stutz involviert. "Jäh, was verdient ihr denn", wird gefragt. Nein, wir machen doch einfach mal, dann ist es irgendwie cool und wenn nicht, dann lassen wir es wieder. Das ist ein Gegenkonzept, das finde ich schon. Nach dem Bigger-better-faster-more-Scheiss. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:31:27)

Die tradierten Begriffe werden als solche und auf spielerische Weise hinterfragt. So z.B.

Claude, als er erzählte, dass er die Rechnungen und die Buchhaltung seiner Frau überlassen

kann:

Page 77: Urban Farming in Zürich

77

So Zeugs kümmert mich einfach überhaupt nicht, weil meine Frau kümmert sich um den ganzen Scheiss. Das ist Gold wert. Ähm, wenn Gold denn etwas wert wäre, aber ist ja Wurst, ist ja eine Redensart. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:38:26)

Ähnlich wird auch das Verständnis von ‚Garten‘ ausgedehnt. Unter Garten werden nicht nur

schön umzäunte Vor- oder Schrebergärten verstanden. Michi im Dunkelhölzli sprach immer

vom Garten und zeigt auf den 15 Aren grossen Acker. Für Pia ist auch Ortoloco ein

Gartenprojekt:

Und dann das letzte, was fast am wichtigsten ist zeitlich und emotional, das sind meine Gartenprojekte. Das eine ist Ortoloco und das andere, das jetzt neu das dazu gekommen ist, ist der Stadiongarten. (Pia im Alten Botanischen Garten, 08.05.2012, 00:27:14 )

Auch Nick spricht von Garten und meint das Feld in Dietikon:

Ich: Du spricht immer von Garten, obwohl es fast ein Landwirtschaftsbetrieb ist. Nick: Also nicht fast. Es ist ein landwirtschaftlicher Betrieb. Ich: Man sagt Garten, aber Garten ist ja auch vieldeutig. Andere stellen sich nur einen Rosengarten darunter vor, oder einen englischen Garten mit feinem Rasen und so. Nick: Also ein Garten, auch ein Gemüsegarten wird ja oft, also wird vor allem assoziiert mit Freizeitbeschäftigung. Und bei Ortoloco ist es wirklich eine Bedarfsdeckung. Also hundert Haushalte bis jetzt, und ab diesem Jahr zweihundert Haushalte werden ihren Gemüsebedarf so decken. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 00:20:44)

Wobei Ortoloco ja eine alternative Wirtschaftsform darstellt, wo die Trennung von Produzent

und Konsument verschwimmt und wo Freizeit und Arbeitszeit zusammenfallen oder

verschwinden. Ortoloco produziert Gemüse zur Bedarfsdeckung. Die Tätigkeit ist je nach

Perspektive anregend oder ermüdend, entspannend oder monoton. In der Landwirtschaft

werden Leuten für diese Arbeit tiefe Löhne bezahlt. Es ist für sie Erwerbsarbeit. Der Lohn

reicht jedoch nur für einen Lebensstandard, der unter dem westeuropäischen Anspruch liegt.

Wird der ‚Arbeitsort‘ jedoch nicht als ‚Feld‘ oder ‚Acker‘ sondern als ‚Garten‘ bezeichnet,

verwandelt sich die Erwerbsarbeit in eine Freizeitbetätigung. Je nach Bezeichnung variieren

die Assoziationen für die selbe Arbeit sehr stark. Der Begriff ‚Garten‘ kommt ganz

unscheinbar daher, aber er hat politisches Potential. Wer den Garten als Lebenskonzept

Page 78: Urban Farming in Zürich

78

versteht, stellt ganze Strukturen der Öffentlichkeit auf den Kopf. Dieses Potential steckt wohl

nicht zufällig auch im Sprachspiel ‚Orto-loco‘.

4.4.2 NAMENS- UND SPRACHSPIELE

„[…] oder aber man untersucht die Produktionsformen, so zum Beispiel das

Verfahren, durch das bei den Sprichwörtern […] die Eindringlichkeit des Sinns

verstärkt wird, indem die klanglichen Differenzen (durch Reim, Alliteration etc.)

abgeschwächt werden.“

(Michel de Certeau)41

Hypothese: Äusserungen jeder Art weisen auf die Kultur einer Gesellschaft oder

Sprachgemeinschaft hin. Äusserungen haben immer zwei Bezüge: einerseits rekurrieren sie

auf die Sprache, aus der sie gemacht sind, andererseits gewinnen sie ihren aktuellen Sinn erst

durch die Situation, in der sie geäussert werden. Gleichzeitig schaffen sie erst diese Situation

oder soziale Praktik.42

Mit dieser Ausgangslage kann durch die Interpretation von sprachlichem Material auf das

(Selbst-)Verständnis ihrer Produzenten geschlossen werden. Zwei bekannte Anwender dieser

Methoden sind Vladimir Propp, er sammelte und klassifizierte Volksmärchen und Fabeln,

Claude Lévi-Strauss schloss aus der Analyse von Mythen auf das Wesen ihrer Kulturen. In

derselben Weise können auch Sprichwörter und Redewendungen untersucht werden.

Es müssten dann entweder der Inhalt klassifiziert und nach Elementen wie Aktanten, Themen

und Wortfelder etc. aufgeschlüsselt werden. Oder es wird die Form fokussiert (formale

Eigenschaften: z.B. Länge, Reime, Alliterationen). Mit dem Wissen um die Form wird die

Produktionsweise erlernt und damit die Fähigkeit, selbst Sprichwörter herzustellen.43

Der Name „Ortoloco“ symbolisiert Vielfalt und Flexibilität als Ideal der Genossenschaft,

gespickt mit einer Prise Humor. Es ist ein Kompositum mit spanisch-italienischer

Doppelbedeutung. Die italienisch ist dabei die seriösere Übersetzung: orto heisst

Gemüsegarten, (in) loco (an) Ort und Stelle: orto loco ist etwas wie ein regionaler

Gemüsegarten. Ein spanischer loco ist ein Verrückter, orto hat als vulgär-poetische

Doppelbedeutung Arsch und Sonnenaufgang. Im Dokumentarfilm über Ortoloco „Eine Hand

voll Zukunft“ sagt Steffi: Die italienische Übersetzung passt trifft gut auf die Kooperative zu,

die spanische Doppeldeutigkeit nehmen sie gerne in Kauf. Leute, die etwas anders machen als

41 Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Die sprichwörtliche Äusserung, S. 60. 42 Vgl. Sprechakttheorie nach John Searle und John Austin. 43 Michel de Certeau: Kunst des Handelns. S. 60 ff.

Page 79: Urban Farming in Zürich

79

der Mainstream gelten ja oft als etwas verrückt. Orto-loco ist auch deshalb als Namen

geeignet, weil sich die beiden Wortteile sehr ähnlich sind. Das Komposita erhält so einen

Klang und musikalischen Rhythmus, der es eingängig und gut merkbar macht.

Die vielen Nebenprojekte von Ortoloco haben alle ähnlich klingende Namen, die auf ihre

‚Verwandtschaft‘ verweisen: Brotoloco, Fungoloco, Beeriloco, Önoloco, etc. Ähnlichkeiten

gibt es auch auf der Stadionbrache mit dem Stadiongarten, die schnell miteinander

verwechselt werden. Ähnlich ist auch die Bezeichnung ihrer Mitglieder: bei Ortoloco sind das

Locos und Locas, beim Stadiongarten heissen sie Stagas. Die Ähnlichkeit der Namen

verbindet sie wie ein Netz, das ihre Verwandtschaft zur Schau trägt. Es entsteht ein

rhetorischer Raum, der nur betreten kann, wer diese Namen akzeptiert und sich mit ihnen

anfreunden kann. Die Sprache von Gruppen, die einen Raum als ‚anthropologischen Ort‘

definieren, kann selbst als ein ‚sozialer Ort‘ begriffen werden. Augé zitiert Vincent

Descorbes, ein Proust-Analytiker, der bei der Figur Françoise ein rhetorisches Territorium

feststellt, zu dem sich diejenigen zugehörig fühlen, die ihrer Sprache und Ausdrücke familiär

sind. Andere, die mit diesen Ausdrücken nichts anfangen können, sind von diesem

rhetorischen Ort ausgeschlossen.44

Der Stadiongarten wird also auf vielfältige Weise als Ort gestaltet. Zuerst ermöglichte das

initiative Vorgehen des Vereins Stadionbrache einen Zugang. Dann gab es das Nebenprojekt

von Ortoloco, Brotoloco. Dadurch kamen mehr Leute auf die Brache, der Ort wurde belebt,

neu Interessierte waren immer willkommen, es blieb ein offener Ort. Der Stadiongarten wurde

geplant und konnte erst mit dem Einsatz vieler Leute realisiert werden. Diese wurden durch

Flyer und Plakate auf die Infoveranstaltung aufmerksam gemacht. Eine Präsentation auf der

neuartigen Fundraising-Seite www.wemakeit.com zog weitere Kreise. Der Züritipp machte

auf den Gartenstart aufmerksam, das Schweizer Fernsehen war vor Ort, der mediale Anstupf

war riesig, der Rest war Mund-zu-Mund-Propaganda. So wurde der Garten mit vereinten

Kräften möbliert, alle waren eingeladen, sich einzubringen. Die, die sich am meisten

engagieren, prägen den Raum: durch Konstruktionen, durch Aktivitäten, durch das Anbringen

von Schriften, durch das Verhandeln von Regeln.

44 Marc Augé:Nicht-Orte. S. 80 ff.

Page 80: Urban Farming in Zürich

80

4.4.3 VERHANDELN VON REGELN

„Die Erzählung geht der Rechtsprechung voraus und liegt ihr zugrunde.“

(Michel de Certeau)45

Erzählungen sind Narrative. Ohne Erzählungen wäre Gesellschaft nicht möglich, es bilden

sich keine Gruppen. Erzählungen bilden Identität und sie organisieren Gemeinschaften: sie

Verweisen auf ihre Herkunft, sie regeln die Hierarchiestruktur, sie bilden latente Regeln, nach

denen sich alle Mitglieder Ausrichten, wenn die Gruppe als solche funktionieren soll. Um

Erzählungen aufeinander abzustimmen, müssen Regeln etabliert werden, die bestimmen,

welche Erzählungen möglich und welche unmöglich sind. Soll eine Gruppe oder deren

Regelwerk verändert werden, müssen deren Geschichten verändert werden.

Bei der Installierung des Stadiongartens wurde versucht, einen Gegenraum zur

übernormierten und durchstrukturierten städtischen Öffentlichkeit zu schaffen. Eine gute

Portion Unordnung sollte möglich sein, Strukturen sollten organisch wachsen und sich den

Bedürfnissen anpassen, im Gegensatz zur Gefühlten Realität, die sich an den gegebenen

Gesetzen unterordnen muss, über die wir kein reales Mitbestimmungsrecht haben.

Geschichten im Sinne des Narrativs entwickeln sich spontan im Alltag, in der

Kommunikation von Menschen, die dadurch in den Status einer Gruppe treten. Sie

legitimieren immer die bestehenden Regeln, oder sie legen die Basis zur Bildung von neuen.

Die folgenden Transkripte sind Ausschnitte aus dem ersten Gartenworkshop im Stadiongarten

nach der Bildung des Gartenteams. Joana als ausgebildete Gärtnerin und Mitglied des

Gartenteams führt ein Grüppchen durch den Garten, um den angehenden und oder schon

aktiven GärtnerInnen Tipps zu geben und ihnen die Pflanzen vorzustellen, denen sie

begegnen. Leute aus dem Grüppchen stellen Fragen oder bringen Ideen ein, wie sie sich

organisieren könnten, dass z.B. der Kompost funktioniert, dass gegossen wird, dass die Beete

gepflegt werden, auch wenn nicht bekannt ist, wem das Beet gehört. Auch Lolo ist dabei,

selber engagierter Gärtner mit grossem Vorwissen (später sollte er selber ein Teil des

Gartenteams werden) und übernimmt die Rolle des Co-Moderators, die ihm auch

zugeschrieben wird von uns weniger fachkundigen Leuten. Hier geht es gerade um

Nutzpflanzen und Unkräuter. Lolo ist gegen eine solche Hierarchisierung.

45 Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Berichte von Räumen. Grenzziehungen. S. 232.

Page 81: Urban Farming in Zürich

81

Lolo: Aber ich denke, es geht ja auch nicht darum, rigoros irgend ein Beikraut, ich sage bewusst Beikraut, auszurotten. Es ist ja schön wenn immer wieder mal etwas wächst, und man kann sie ja einfach ein bisschen regulieren, die Population. (Gartenführung, 03.06.2012, 02:26:20)

Joana pflichtet ihm bei, wendet aber ein, dass wir im Garten nur einen beschränkten Raum

haben. Deshalb können wir nicht alles pflanzen was es gibt, sondern müssen uns beschränken.

Joanas Kommentar zu einem Beet: Das ist ein Beet, das ich schon zweimal gejättet habe und das immer so krass aussieht, das ist für mich ein Kandidat zum Freigeben. Ich <murmelnd>: das gehört Andrea. <Alle durcheinander> ah das gehört Andrea, ah d'Andrea, Andrea. Aber die ist immer da. Die Andrea ist doch immer da. Aber man könnte ihr mal sagen, du, übrigens, es hat eine Kritik gegeben. <lachen> (Gartenführung, 03.06.2012, 02:35:52)

Es gibt keine Regel, wie gut ein Beet gepflegt werden muss. Im Prinzip sollte es allen

freistehen, selbst über die Ordnung in ihrem Beet zu befinden. Die einzige Bedingung ist, dass

sich die Person anwesend ist, sich darum kümmert. Wenn festgestellt wird, dass es sich um

ein verwaistes Beet handelt, wird es anderen interessierten weitergegeben. Die obige Szene

sollte noch weitreichende Folgen haben, die ich im folgenden Kapitel beschreiben möchte.

Andrea wird nämlich von dieser Kritik erfahren und darauf reagieren. Auch dazu gibt es keine

Regel: wie soll einen Kommentar über seine Gartenkiste bewertet werden? Andrea wählte die

Konfrontation: einige Tage später wird sie Joana in einem den Verhältnissen unangepassten

Ton zur Rede stellen. Sie und ihre Freunde hätten keinen Kommentar nötig, Joana solle sich

um ihr eigenes Beet kümmern. Dieses Scharmützel kann als Hierarchiebehauptung in der

Gruppe gedeutet werden.

Zurück zur Gartenführung. Wir stehen immer noch am Rande der Pflanzkiste von Andrea und

begutachten die Vegetation. Lolo besteht auf seiner Meinung, dass alle Pflanzen gleiches

Recht auf Leben haben.

Lolo: Das ist jetzt da ein problematisches Beikraut. Aber ich finde das müssen wir ein bisschen differenzieren. Wenn es unordentlich aussieht, heisst das für mich: 'in unserem Sinn unordentlich', nicht für die Natur. ‚Unordentlich‘ heisst ja nicht, dass es nicht gepflegt ist. Das finde ich einen heiklen Punkt. Joana: Also ich sehe einfach nicht, dass da jemand etwas getan hat an dieser Kiste in den letzten Monaten. (Gartenführung, 3.06.2012, 02:36:16)

Page 82: Urban Farming in Zürich

82

Es wird sich die Haltung durchsetzen, dass die Pflanzenpopulation frei gewählt und auch nach

eigenem Gutdünken gepflegt werden darf. Dass man sich darum kümmert, ist jedoch Pflicht.

Ein Vorschlag aus der Runde:

Jeder, der Verantwortung für ein Beet übernimmt, sollte dort seine Telefonnummer lassen. Oder wäre dann zu viel preisgegeben? Oder die Emailadresse, dann könnte man schnell kontaktieren. Das wäre weniger Aufwand. Und wenn jemand in zwei Wochen nicht kontaktierbar ist, dann wäre das Beet freigegeben. (Gartenführung, 03.06.2012, 02:16:06)

Damit möglichst wenig Administration anfällt und das Gärtnern auf der Brache möglichst

ungezwungen bleibt, wird sich ein Fähnchensystem etablieren. Auf der Info-Wand

festgeschrieben: Fähnchen werden in scheinbar ungepflegte Beete gesteckt. Werden diese

nicht in einem bestimmten Zeitraum zurückgebracht, wird das Beet weitergegeben.

Die in dieser Situation entstandenen Geschichten werden auf ihre Akzeptanz geprüft. Ein

Saatplan-Regime kann sich nicht durchsetzen. Die Anwesenheit und Sorge um sein Beet wird

jedoch zur Regel und mit dem Fähnchensystem gewissermassen institutionalisiert. Nicht alle

Regeln durchlaufen die Metamorphose von der Geschichte zum Gesetz. Der Aufwand dazu

wäre zu gross. Einige werden direkt umgesetzt und diktiert, wie folgendes Beispiel zeigt.

Donnerstag, 21. Juni

Auf der Brache: Sabine (eine der Köchinnen vom 3. Juni)

scheint deprimiert. Sie findet ihr Regal samt den

gepünktelten Gummistiefeln nicht mehr, die sie neben ihrem

Beet aufgestellt hatte. Später stellte sich heraus, dass

Esther es auf den Material-Haufen tat. Dem Sinn nach sagte

sie: „Die Brache ist ein öffentlicher Raum, wo die Dinge

je nach Gebrauch verschoben werden dürfen, wo es keinen

‚Besitz‘ gibt. Diese Spielregeln müssen die Leute

akzeptieren, die mitmachen wollen.“

Sabine habe ich dort zum letzten Mal gesehen. Vielleicht weil sie diese Regeln nicht

annehmen wollte.

Page 83: Urban Farming in Zürich

83

4.5 DAS NARRATIV

„Das erzählte Reale diktiert unaufhörlich, was geglaubt und gemacht werden muss. Und

was kann man den Fakten schon entgegensetzen? Man kann sich ihnen nur beugen und

dem gehorchen, was sie ‚bedeuten‘, wie das Orakel in Delphi.“

(Michel de Certeau)46

Narrative sind Geschichten. Sie werden von den Medien transportiert oder zwischen

Menschen weitererzählt. Die Sprachdeutungen oben sind in Narrative verpackt. Diese Arbeit

nährt sich aus unterschiedlichen Theorien und Ansätzen. Als ganzes produziert sie ein eigenes

Narrativ.47

Der Begriff verweist auf den Inhalt einer Geschichte, aber auch auf die Form.

Reportagen und Berichte in Zeitung, Radio und Fernsehen sind Narrative. Wissenschaftliche

Arbeiten als Ganzes, aber auch spezifische Textsorten oder Unterkapitel sind Narrative, so

z.B. die Auszüge aus dem Arbeitsjournal, die Interview-Zitate oder die Fotos. Auf inhaltlicher

Ebene sind die verschiedenen kulturwissenschaftlichen Ansätze, die jeder für sich als Narrativ

gelten kann, der anthropologische Ort, der Nicht-Ort, das Heterotop und das Narrativ selbst

als Konzept sind Narrative. So ist auch das Bild des Rhizoms eines, das das Wesen von

Narrativen bezeichnet: sie wuchern und breiten sich entlang von Strömungen in der

Gesellschaft aus.

Das von mir definierte Feld, die urbanen Gärten in Zürich, ist ein konstruierter Ort. Die

Analysen dieses Feldes sind Geschichten. Diese produzieren Sinn und nicht beweisbare

Wahrheit. Wenn uns bestimmte Geschichten ansprechen, machen sie für uns Sinn. Häufig

werden Geschichten als unwiderlegbare Fakten präsentiert. Dann haben sie einen Anspruch

auf Wahrheit und werden nicht hinterfragt, bis die Beweise widerlegt werden. Solche

Narrative haben beeinflussen unsere Sicht der Welt und unser Alltagshandeln. Der Begriff

und das Phänomen Urban Farming ist ein Narrativ, das seine Traditionen amalgamiert und

reproduziert. Die Motivationen, Urban Farming zu betreiben werden aus Narrativen genährt,

so z.B. die Sorge um die Gesundheit, die Klimaerwärmung oder die Wirtschaft, die für

soziale, ökologische und ökonomische Missstände verantwortlich gemacht wird.

Narrative sind also entweder die physische Botschaft („The medium ist the message“), ein

Überthema wie die globale Erwärmung, oder ein Begriffsfeld wie Urban Farming.

46 De Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Politische Glaubwürdigkeit. Die Instituierung des Realen. S. 328. 47 Zum Begriff vgl. Einführung Kapitel 4., S. 36.

Page 84: Urban Farming in Zürich

84

Narrative reichen um die ganze Welt und wandern entlang der ‚Globalisierungsrouten‘

(historischer Sklavenhandel, moderner Menschenhandel, Landflucht in Städte und Megacities,

Alternativ-Tourismus in Kuba für westdeutsche Globetrotter aus dem Prinzessinnengarten48

).

Eine These von Christa Müller für das Aufkommen von Urban Farming ist die weltweite

Bewegung vom Land in die Stadt49

: die Menschen geben ihre landwirtschaftliche

Lebensweise auf, ziehen in die Städte, behalten aber ihren Habitus bei. Daher die

Verschmelzung vom ländlichem Habitus und urbanem Umfeld und die Verschiebung

unterschiedlicher Narrative.

So wie in den Betrachtungen zum Ort und der Sprache gründet auch das Narrativ auf dem

linguistischen Konzept des Speech Act, das Sprache und Alltagshandeln von Menschen

verbindet. Für jede Äusserung bedient sich der/die Sprechende dem zu Verfügung stehenden

Sprachsystem und formuliert damit Aussagen über die Welt. Diese Aussagen werden

Wahrgenommen, können gespeichert und analysiert werden.50

Äquivalent ist jede Handlung eine Formulierung des zugrunde liegenden kulturellen Systems

und vollzieht sich im Raum. Dadurch entsteht durch das Handeln von Personen ein kultureller

Text im Raum, dessen Spuren Aufschluss über die Faktoren der Motivation und der Art des

Handelns geben. Die Regeln, nach denen solche Spuren gelegt werden, sind diffus. Jeder

Akteur und Produzent von Spuren richtet sich nach verinnerlichten oder auferlegten Normen.

Diese leiten ihn an, lassen ihn so und nicht anders handeln. Diese Regeln legt er sich fest in

Interaktion mit seinem Mitmenschen und durch Interpretation seiner Umwelt.

Äusserungen und interpretierbare Handlungen, die von anderen Akteuren rezipiert, gedeutet

und in irgend einer Form übernommen werden, sind Narrative. Ein Narrativ vollzieht sich in

jeder Kommunikation, verbal und nichtverbal.

Implizite Narrative bezeichne ich Handlungsmuster, die sich nicht als Handlungsanleitungen

zu erkennen geben oder sich bewusst oder unbewusst hinter absichtslosen Äusserungen

verstecken. So z.B. spontanes, alltägliches Sprechen, situative Reaktionen, etc. Explizit

bezeichne ich Narrative, wenn sie durch ihre Realisierung etwas mitteilen. In Mitteilungen

48

These von Christa Müller: Die Macher vom Prinzessinnengarten waren fasziniert von der Alltäglichkeit der

Urban Farmings in Kuba und setzten dieselbe Idee in Berlin um. Der Prinzessinnengarten entstand im Sommer

2009 und ging medial um die ganze Welt. Und löste zumindest in Europa die Urban-Farming-Bewegung aus:

Leute hörten davon, sie lasen davon, es wurde ihnen davon erzählt. Diese Geschichten sind Narrative. 49 Christa Müller: Urban Gardening. Grüne Signaturen neuer urbaner Zivilisation. S. 22. 50 Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Strategien und Taktiken, S. 85.

Page 85: Urban Farming in Zürich

85

oder Geschichten sind leitende Normen und Weltsicht des Produzenten inhärent. Medien

produzieren und reproduzieren Narrative und multiplizieren deren Aufmerksamkeitsradius.

Die Gesetzgebung produziert Narrative. Werbung produziert Narrative. Sprechende Menschen

produzieren Narrative und Transkrpite reproduzieren diese Narrative. Texte produzieren

Narrative. Und Narrative können als Text gelesen werden. Die Gesamtheit aller Narrative, die

ein Mensch aufnimmt, bilden den Text, der als Hintergrundfolie die Handlungs- und

Entscheidungsmöglichkeiten für den Alltag bereitstellt. Die Texte verschiedener Menschen

unterscheiden sich alle, sind sich aber auch alle ähnlich. Die Gesamtheit der individuellen

Texte bildet einen Meta-Text. Dieser Text ist das „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe, in

das der Mensch verstrickt ist“ und könnte das Wesen der ‚Kultur‘ bedeuten.

Narrative werden dann signifikant, wenn sie von mehreren Personen, unabhängig

voneinander, geäussert werden. Die Bedeutung von ‚Wert‘ war ein Thema, das viele

erwähnten.51

Ein anderes war die Bedeutung von ‚Garten‘. Das am häufigsten angesprochene

Thema waren die Kinder. Ich liste hier die Zitate in chronologischer Reihenfolge auf. Es

ergaben sich erst vier Auszüge aus dem Forschertagebuch, dann vier Interview-Zitate, die alle

das ‚Kind‘ zum Thema hatten.

Mittwoch, 28. November 2011

Besuche Katja auf der Kronenwiese. Wir schauten, ob es auf

der Brache [Kronenwiese] genügend Platz gäbe. Es gibt zwar

noch lehrstehende Ecken, aber die sind verplant für

Kompost und Asthaufen im einen Ecken und für ein

Weidenhaus im anderen. Ein Bienenhaus hätte nur noch

gedrängt Platz und Katja rät davon ab: bei all den

Kindern.

Sonntag, 25. März 2012

Mit Claude am Diskutieren wegen dem Kletterwürfel. Er

wendet ein, dass es aufwändig wäre, einen Boulderwürfel zu

bauen, und dass der Stadionverein möglichst viel Fläche

Brach lassen will. Für die Kinder, wie Esther vom

Kraftwerk und Verein betont.

Apropos Kinder, auch Martina in ihrem Antwortmail von

heute zu meiner Frage wegen einer frei zugänglichen

Fotoseite auf der Homepage befürchtete, dass dann zu viele

Fotos mit erkennbaren Gesichter veröffentlicht würde, das

sei problematisch („Ich finde ein öffentlicher Upload von

Fotos problematisch, weil Fotos mit gut erkennbaren

Personen (und Kindern!) grundsätzlich eher nicht auf's Web

51 Vgl. Kaptiel 4.4.1. Umdeutungen, S. 67.

Page 86: Urban Farming in Zürich

86

gehören.“) Lustig fand ich das Kinder! mit Ausrufezeichen.

Fotos im Netz können problematisch sein, aber warum sollen

Kinder eher geschützt werden als Nicht-Kinder?

Freitag, 27. April 2012

Gestern auf der Brache. Diskussion mit Esther über die

Ordnung auf der Brache. Die Scherben seien gefährlich für

die Kinder. Ich erwidere, auch die Kinder müssen lernen,

die Welt ist kein Sicherheitstrakt. Und Unordnung darf

doch auch mal sein, (gerade in diesem sonst so proper

aufgeräumten Zürich. Das sagte ich nicht, aber das meinte

ich.) Sie: Unordnung lädt ein zu noch mehr Unordnung und

die Kinder hätten doch einen Anspruch auf Ordnung.

Donnerstag, 10. Mai 2012

Gespräch mit Andrea im Stadiongarten. Ich frage, wie sie

den Garten fände: Am Anfang war sie skeptisch, weil alles

zu chaotisch. Es hat sich aber gut entwickelt, mag die

verschiedenen Projekte und alles blüht, die Brache ist wie

eine Oase, ein kleines Paradies im Erholungsraum bis zum

Kloster Fahr, erlebte meditative Momente, schätzt das

Glück vom Ort. Mag die Mischung halbwild und kultiviert,

es wird nicht randaliert oder geklaut, stampfte Lehm,

erlebte vieles, es ist wie in ihrer Kindheit. Fühlt sich

als Teil des Ganzen neben all den anderen Wesen, Leuten,

Pflanzen.

Aus den obigen Tagebuch-Einträgen lässt sich der Topos Kind so zusammenfassen: Die

Kindheit als heile Welt. Die Kinder mit Recht auf Ordnung. Kinder müssen geschützt werden

vor Scherben, Bienen und frei im Internet zirkulierenden Fotos. Der Garten soll ein Refugium

für die Kinder sein, wo alles eins ist, wo es keine Bienenstiche gibt, keine herumliegenden

Scherben, wo alles in Ordnung ist.

In den Zitaten erzählt Claude den ‚Gründungsmythos‘ der Stadionbrache: die Kinder sind der

eigentliche Grund, warum die Stadionbrache geöffnet wurde, d.h. sie stehen am Anfang von

all den Projekten auf der Brache. Joana begründet den Zweck vom Gärtnern im Stadiongarten

mit der Wahrnehmung der Natur und des Lebens („zu sehen wie etwas wächst“) und dies

Kindern zu zeigen. Christoph Widmer assoziiert mit der Kindheit Natur und heile Welt. Im

letzten Zitat wartet Silvia vom Laborgarten bis ihre Kinder weg sind, bevor sie einen Seufzer

ausstösst und ihre hoffnungslose Prognose stellt: die Kinder sollen von der Wahrheit

verschont werden.

Page 87: Urban Farming in Zürich

87

Sie ist mit ihren Kindern hier vorbeigelaufen, die Securitas bewachte das Gelände blablabla, "kein Zutritt" papipapo, und die Kinder haben immer gefragt, "warum dörfet mir nöd da ie?", völlig bescheuert, ich meine da isch en uhuere ruum […] Und sie hat nach dem fünften Mal Fragen ihrer Kinder sich auch gefragt: ja, eigentlich, warum dürfen wir hier nicht rein? Ist ja völlig bescheuert und hat dann bei der Stadt gefragt, warum dürfen wir hier nicht rein. Und die hat dann gesagt, ja, was, gut, ihr dürft hier schon rein, oder. So hat das angefangen. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:11:04)

Der Fokus ist darauf gerichtet, zu sehen, wie etwas wächst, dies zu erfahren und den Kindern zu zeigen. Und Garten als Erholungsraum. Um Produktion gehe es überhaupt nicht. Es verkehrt sich im Vergleich zu Ortoloco. (Joana im Stadiongarten, 30.05.2012, 00:20:57)

…dass wir das unterstützen wollen, weil wir das Gefühl haben, es ist ja genau wieder das, dass Leute einen Zugang haben, um in der Natur etwas zu tun und sicher auch etwas erleben. Und zwar nicht irgendwo in der Natur im Bündnerland, wie ich das als Kind hatte. […] Schön ist es, wenn das auch in den Alltag integrieren kannst. Gerade mit den Kindern, am Mittwochnachmittag fünf Minuten laufen und dann das machen. (Christoph Widmer, Beatenplatz 2, 13.06.2012, 00:10:50)

Also ehrlich gesagt, also gut, die Teenies sind jetzt gegangen, ich sage das nicht vor den Jugendlichen. Aber, [seufzt], es ist eigentlich so, es gibt wenig Hoffnung. (Silvia im Pflanzlabor, 29.04.2012, 00:16:59)

In den Gesprächen gab es neben der Erwähnung vom selben Thema oder von der Umdeutung

bestimmter Begriffe auch eine parallele Erzählweise in der Motivation bzw. zu den

persönlichen Anfängen bei Ortoloco oder in der Fabritzke. Auffallend dabei ist, dass es oft

äussere Kräfte waren, die die Protagonisten zum Handeln bewegte, und nicht innere

Überzeugung. Die kam erst später. Joana sieht viermal das Ortoloco-Inserat, bis es kein Zufall

mehr sein kann, und bewirbt sich dann als Gemüsegärtnerin:

Page 88: Urban Farming in Zürich

88

Ich habe das Inserat gesehen im Bio-Aktuell und ich dachte schön, aber dort müsste man länger bleiben als ein Jahr, sonst würde es sich gar nicht lohnen. Und dann sah ich das Inserat im A-Bulletin das Inserat und dann sah ich es nochmals im Bio-Terra. Die haben ganz breit Inserate gemacht und dann habe ich es zum vierten Mal gelesen und gefunden: jetzt ist es langsam kein Zufall mehr, jetzt muss ich mich melden. Und es hat dann wirklich mein Profil und ihr Profil ziemlich perfekt zusammengepasst. Liebe auf den ersten Blick. (Joana, 30. Mai 2012, 00:05:10)

Nick wird drei Mal angefragt, ob er nicht in die Fabritzke ziehen würde, bis er zusagte, mit

der Option wieder zu gehen, wenn es nicht passen würde.

Nick: Ich kannte Leute die da wohnten, und die haben mich dreimal angefragt <lacht> ob ich kommen wollte. Das war nicht, weil sie mich unbedingt wollten, sondern einfach immer wenn es einen Platz gab, bin ich angefragt worden, und ich sagte zweimal nein. Aber mein Nein war relativ knapp, weil ich fand die Fabritzke immer irgendwie interessant und attraktiv. Beim dritten Mal war es ein Ja, auch relativ knapp. Also verändert hat sich nicht viel beim dritten Entscheid, ausser die Konsequenzen, die waren natürlich relativ stark <lacht>. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 00:06:09)

Auch Pia fand sie diese Wohnform eher kurios, aber sagte dann zu, dort zu wohnen, mit der

Option wieder zu gehen.

Thomas ging auf reisen und sein Zimmer wurde frei. Und ich musste raus und fand, ich war ja mal an einer Party dort und dachte, die spinnen völlig, ich könnte dort nie wohnen und so, aber mich hat es irgendwie noch fasziniert, und ich habe wie gedacht, hey easy, ich probiere es mal aus, sonst kann ich ja wieder gehen. Und jetzt bin ich hängen geblieben. (Pia im Alten Botanischen Garten, 8.05.2012, 00:30:39)

Claude betont, dass es sich einfach so ergeben hat, dass er und seine Frau auf Ortoloco

aufmerksam wurden:

Das war ein totaler Zufall. Meine Frau, Jeanine, und ich haben schon länger von einem Schrebergarten gesprochen, ist halt das, was man so im Kopf hat. Im Zeitpunkt [eine Zeitschrift] war die Annonce für die Gründung des Vereins Neustart Schweiz. Jeanine ging dahin. Im Zug lernte sie Nick kennen, der auch bei der Neustart-Schweiz-Gründung dabei war. Sie sprachen über Gemüse und am nächsten Tag meldeten sie sich bei Ortoloco an, obwohl das vorhin gar nicht seine Ecke war. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:04:09)

Page 89: Urban Farming in Zürich

89

Auf einer weiteren Ebene kann neben den Geschichten zu den Anfängen auch eine ähnliche

Haltung oder eine Klassifizierung der Projekte und der Gärten festgestellt werden. Und zwar

vereinigen sie verschiedene Lebensaspekte in einem. Pia tut verschiedene Dinge in ihrem

Leben, Studium, Bergwaldprojekte, Gärten. Es verbindet sich alles recht gut, Arbeit, Freunde,

und Natur.

Ich mache recht viel verschiedenes. Einerseits studiere ich in Wädenswil Umweltingenieurwesen und ich arbeite im Bergwaldprojekt, aber nur saisonal, also von April bis Oktober verteilt. Und das letzte, wahrscheinlich das wichtigste zeitlich und auch emotional, das sind meine Gartenprojekte. Das eine ist Ortoloco und das neue ist der Stadiongarten. Es ist so das, was ich als meine Tätigkeiten bezeichnen würde. Und es ist auch nicht nur Arbeit. Ich habe bei diesen Tätigkeiten auch meine Freunde und ich bin draussen und alles. Es ist alles ein bisschen eins. (Pia im Alten Botanischen Garten, 08.05.2012, 00:26:45)

Andrea, eine der aktivsten Gärteninnen im Stadiongarten spürt den Garten ganz intensiv. Die

Verbundenheit der Pflanzen und Vögel und der Projekte. Darin geht sie auf und wird ein Teil

vom Ganzen, was auch immer das genau heissen mag.

Als ich das Projekt aufbauen half war ich skeptisch, weil alles so chaotisch war. Es hat sich aber alles besser entwickelt. Gestern bin ich hier auf der Bank gesessen und hatte das Gefühl, jetzt wo alles rundherum grünt und blüht, wie in einer kleinen Oase. Es duftete, die Vögel zwitscherten, wirklich schön. Ich habe einfach die Augen geschlossen und gedacht, so muss in etwa das Paradies sein. Es war eine halbe Meditation. Und ich finde das auch jetzt. Wir sagten es vorhin beim Ofen: wir haben schon ein riesen Glück, was wir hier haben. Es ist so eine Oase, die halb wild ist und halb kultiviert und diese Projekte. Ich habe zum ersten Mal Lehm gestampft für den Ofen, vieles hat mich an meine Kindheit erinnert, an diese Bauernhof-Ferien, habe wieder vieles draussen erlebt und vieles wieder gespürt. Das ist einfach ein Gefühl, das unbeschreiblich ist. Du bist ein Teil vom Ganzen. (Andrea im Stadiongarten, 10.05.2012, 00:31:42)

Es spielt ein Element mit, das nicht erklärt werden kann und dieses wird auch

wahrgenommen. So sagte Pia über das Labitzke-Areal und die Sitzungen von Ortoloco:

Page 90: Urban Farming in Zürich

90

Ja das ist lustig, wie so alles zusammenspielt. Und obwohl wir nicht so genau begreifen, wissen wir doch, um was es geht und was es ausmacht, und das muss man gut pflegen, diese Kultur, dass diese nicht verloren geht. Ein kleines Ding ist, dass wir kochen und essen vor der Sitzung. Und dann hat man gegessen und ist gemütlich angekommen und dann gibts es schon auch mal eine fünf-sechs stündige Sitzung je nach dem. (...) Das haben wir nicht so geplant, sondern das hat sich einfach so ergeben. Weil eh alle essen müssen am Abend hat jemand gekocht und wir dachten gut, das müssen wir beibehalten. (Pia im Alten Botanischen Garten, 08.05.2012, 00:41:5)

Und Claude bringt es auf den Punkt:

Das Geile an Ortoloco finde ich wirklich, dass alles so zusammenkommt. Das Soziale, du hast gute Leute. Du hast geiles Gemüse, gute Büetz. Musst nicht, kannst aber immer. Was willst du noch mehr. (Claude im Stadiongarten, 17.05.2012, 00:30:55)

Obige Zitate können unter folgenden Narrativen zusammengefasst werden: Kinder, Zufall und

Alles ist eins. Diesen drei gemeinsam ist, dass sie über sich selbst hinausweisen. Der Sinn

produziert sich selbst und liegt nicht in der Verantwortung der Protagonisten.

4.5.1 NARRATIVE IN DER PRESSE

Urban Farming ist für die Presse ein interessantes Thema. Es ist ein Grundbedürfnis des

Menschen, Kontakt mit der Natur zu haben. Die Etablierung des Gärtnerns in städtischem

Umfeld bildet eine Alternative zum Herkömmlichen. Es ist eine Akkumulation von Krisen auf

allen Ebenen feststellbar: Wirtschaft, Klima und Manifestation sozialer Ungleichheiten. Auf

all diese Probleme scheint Urban Farming eine Lösung zu bieten

Als Beispiel hier eine Zusammenfassung eines Artikels über Urban Farming in Detroit, der

vom Niedergang der Auto-Industrie gezeichneten Grossstadt:52

Der Niedergang der amerikanischen Autoindustrie liess in den letzten Jahrzenten die

Bevölkerung von Detroit, dem Herzen der fordistischen Produktion, 900‘000 Einwohner

abwandern, das ist mehr als die Hälfte. Dem entsprechend stehen ganze Stadtgebiete brach,

Industrieruine reiht sich an Industrieruine, die Lebensmittelversorgung ist auf ein Minimum

reduziert, Arbeitslosigkeit und Kriminalität erreichen Höchstwerte. Ein fruchtbarer Boden für

Experimente mit alternativer Lebensmittelversorgung. Hier entsteht ein Mekka des Urban

Farming. Allerdings ist dieses aus der schieren Hungersnot entstanden. Prozentual gesehen

52 Vgl. „Es grünt im amerikanischen Rust-Belt“, NZZ 06.01.2012.

Page 91: Urban Farming in Zürich

91

sind es nur wenige, die vom selbstorganisierten Gemüseanbau leben könnten. Immerhin

könnten laut einer Schätzung 20 Prozent der notwendigen Lebensmittel in der Stadt selbst

produziert werden, was an die 4700 Arbeitsplätze schaffen würde.

Das Fressen kommt nicht vor der Moral, sondern das Fressen schafft die Moral. Die sonst

neben der „fairen, sauberen und guten“ Produktion hochgehaltenen positiven Nebeneffekte

von Gemeinschaftsgärten, die Subsistenz, ist nicht Ziel, sondern geht mit ihr einher. So

geschah es auch in Kuba.53

Von solchen Modellen unterscheiden sich die Zürcher Gärten klar.

Hier sind die Effekte der Subsistenz oder die politische Botschaft im Zentrum. Hier ist Urban

Farming ein Hobby oder Lifestyle, dort ist es Lebensnotwenigkeit. Dies stelle ich im

Gespräch mit Nick fest. Er relativiert oder hinterfragt aber auch diesen Begriff.

Es ist eine Mode ja, wir können es uns leisten, Gemüse zu günstigen Preisen zu kaufen, für welches andere zu billigem Lohn arbeiten. Dies ist ein Luxus in Form von Machtverhältnissen, die wir ausnutzen. Es würde uns gut anstehen, wir würden auf diesen Luxus verzichten. Also ist es zwar keine materielle Notwendigkeit, aber eine ethische Notwendigkeit, besonders auch weil die Schweiz einen ökologischen Fussabdruck von zweieinhalb Erden hat. Da müssen wir runterkommen, das ist keine Frage. Um so schöner, wenn dann so ein Bewusstsein und ein entsprechendes Handeln zu einem Lifestyle wird. (Nick im Atelier Fabritzke, 04.05.2012, 00:37:19)

Es sind nicht nur solche Grossnarrative ohne Alltagsbezug, die dank ihrem Unterhaltungswert

ihren Platz in den Medien finden. Gerade in den Wellen der Unsicherheit, ausgelöst durch die

Wirtschaftskrise, erschien 2009 ein Artikel in der WoZ zum 30-Jahr Jubiläum von Les

Jardins de Cocagne, einem Westschweizer Projekt für urbane Vertragslandwirtschaft.54

Dieser inspirierte Leute, die gerade über Alternativen zur gängigen Wirtschaftsform

nachdachten.55

So wurde Ortoloco gegründet. Das Narrativ der Vertragslandwirtschaft wurde

über die Medien transportiert und fand eine direkte Fortsetzung. Das Rhizom breitete sich aus.

4.5.2 NARRATIVE IN DER POPULÄREN LITERATUR

Wie eben gezeigt, profitieren die Medien von dieser Bewegung, die Stoff für Berichte liefert.

Diese Themen werden dadurch popularisiert und die Öffentlichkeit wird auf solche Themen,

die je nach Darstellung als Probleme oder einfach als Geschichten dargestellt werden,

sensibilisiert.In kürzester Zeit fand die Ökobewegung den Weg fort vom Bio-Hof und einigen

53 Vgl. Kap. 5.2. Die Herkunft von Urban Farming, S. 90. 54 Vgl. „Vertragslandwirtschaft. Ein kleines Stück Antwort auf die grossen Fragen“, WoZ, 14.05.2009. 55 Vgl. Beiträge von Nick und Pia, S. 17.

Page 92: Urban Farming in Zürich

92

grünen Freaks hin auf die öffentlichen Plätze der Stadt, in die Lebensmittelregale von

Grossverteilern, in Anlagestrategien von Banken, in die Politik, etc.

Auch die populäre Literatur bedient sich dieses Trends und vermarktet Bücher zum Thema als

Ratgeber. Diese Narrative verhalten sich nach einem gängigen Muster: es sind eigentliche

Glaubensbücher. „Das Unheil braut sich jetzt zusammen, die Eskalation ist in nächster Zeit zu

erwarten.“ Verantwortlich dafür sind die Menschen und ihr Fehlverhalten. Diese Literatur

deckt die Fakten und deren Zustandekommen auf und weist den Weg für eine

lebensfreundlichere Welt. Die Natur, die Mitmenschen, und die Zukunft sollen respektiert

werden, so kommt es „wieder“ zu einem Gleichgewicht. Paradiesische Zustände auf Erden

wären möglich. Ähnlich sind die Narrative der ProtagonistInnen in den Gärten aufgebaut.56

GärtnerInnen erwähnten in letzter Zeit erschienene Bücher über den ‚Ausstieg aus dem

System‘, die ‚Klimaerwärmung‘ oder die schädlichen Auswirkungen der

Lebensmittelindustrie.57

Diese zielen auf einen Ausstieg aus dem gegebenen System und eine

Veränderung unserer Lebensweise, da diese die Erde und damit die Menschheit bedrohe. Es

sägt den Ast ab, auf welchem wir alle sitzen. Wer ‚wir‘ alle sind: System-Treue und

Alternative, Konservative und Progressive, Wirtschaftsliberale und Libertäre, Grüne und

Patrioten. ‚Wir‘ leben in ‚hochentwickelten‘ Ländern oder in ‚unterentwickelte‘ Ländern im

Süden oder im Westen. ‚Wir‘ sind Halsabschneider und Samariter, Unruhestifter und

Heilsversprecher, Sozialisten, Terroristen, Kapitalisten, Fundamentalisten,

Durchschnittsbürger, Ureinwohner und Intellektuelle. Staatsoberhäupter und Staatsdiener,

Strassenwischer und Rolls-Royce-Besitzer. ‚Wir‘ sind Kanalratten, Pekinesen,

Grossmaulfrösche und Leguane, Kolibris, Ameisenbären, Stangenbohnen, Rosenstöcke,

Urwaldriesen und Finnlandbirken. FeministInnen und Männerbeauftragte. Pommes-Frites-

Esser und Stallburschen. Verlagsleiter, Sozialarbeiter, Alkoholiker und Body-Builder. Der

Ast, auf dem ‚wir‘ sitzen, ist das „Raumschiff Erde“, wo wir uns grösstenteils egal sind und

uns aneinander vorbei arrangieren, wo es aber auch grosse Zusammenstösse gibt und Kriege

uns bedrohen, Hunger und Armut herrschen aber auch Reichtum, Übergewicht, Dekadenz und

Innovation, Vorurteile und Akzeptanz.

Diese Liste ist noch zu erweitern.

56 Vgl. Norbert Bolz: Das Wissen der Religion. 57 Vgl. Literaturverzeichnis, S. 104.

Page 93: Urban Farming in Zürich

93

5 TRADITIONSLINIEN

Urban Farming ist ein globales Phänomen. Stadtgärten gibt es, seit es Städte gibt. Zu den um

1900 konstruierten Arbeitssiedlungen gehörte zu jeder Wohneinheit ein kleiner Vorgarten, die

den Anbau von frischem Gemüse ermöglichte.58

Zu den ideologischen Absichten der

Kleingärten Anfangs des 20. Jahrhunderts mehr in Kapitel 5.1.

Während des Zweitens Weltkrieges wurde in der Schweiz mit dem Plan Wahlen die

Anbaufläche für Gemüse und Kartoffeln von 183‘000 auf 352‘000 Hektaren fast verdoppelt.

Viele Brachen und selbst prominente städtische Orte wie die Züricher Sechseläutenwiese

wurden zu Äcker umfunktioniert.59

Im Wirtschaftsboom der Folgejahre und der Etablierung

der Massenproduktion wurde kaum mehr selber angebaut. Im Supermarkt gab es neben

Konserven und Haushaltsartikel auch Frischgemüse zu kaufen. Begonien und Geranien

ersetzten Karotten und Kohlrabi im Vorgarten. Die liberale Marktwirtschaft des Westens

musste sich gegen die sozialistische Ideologie behaupten, es ging um die Erhaltung der

Freiheit. Arbeitsteilung, technische Entwicklung und stetiges Wachstum galten als

nichthinterfragbare Grundkonstanten der Marktwirtschaft. Das Ende der Sowjetunion bildete

der Anfang vom Ende diese Konstanten. Denn eine direkte Folge war die Ernährungskrise in

Kuba, ein Satellitenstaat der UDSSR, welcher massiv mit Geld und Rohöl unterstützt wurde.

Dies ist ein Beispiel, das in Kapitel 5.2. beschrieben wird.

Im Gespräch über Urban Farming bemerken Leute oft, dass es sich dabei ja nicht um ein

neues Phänomen handle. Schrebergärten gebe es doch schon immer, Leute die ihren Balkon

bepflanzen auch. Dass in der Stadt Esswaren produziert werden können, wisse man seit der

Anbauschlacht in Zürich während dem Zweiten Weltkrieg. Was also ist das spezifisch neue

am Urban Farming, das sei doch nur ein Medienhype, etc. Sie erzählen dann, was sie vom

Phänomen kennen: die Gärten auf den Dächern von New York, ja genau, das Roof-Top-

Farming. Oder das Vertical Gardening, mit dessen Konstruktionen Tomaten in der Wohnung

gezogen werden könnten. Dann sind sie meistens mit ihrem Latein an ihrem Ende.

Mit Christa Müller versuche ich dann zu erklären, dass die Kulturen von Urban Farming sich

in verschiedenen Punkten vom herkömmlichen Stadtgärtnern unterscheiden. Punkte, die

58 Daniel Kurz: Die Disziplinierung der Stadt. Moderner Städtebau in Zürich. S. 200 ff. 59 Vgl. „Pflüge statt Panzer auf der Allmend“, Berner Zeitung, 04.08.2009.

Page 94: Urban Farming in Zürich

94

unerheblich erscheinen, aber doch den Unterschied machen: im Gegensatz zu den Klein- oder

Familiengärten keine strickte Parzellierung und keine Gartenzäune.60

Das bewusste Umgehen

von der Lebensmittelindustrie, weil diese in ökologischer, ökonomischer und sozialer

Hinsicht nicht Nachhaltig ist. Die Freude an der Gemeinschaft statt der Konkurrenz, die

Einsicht, dass Graben in der Erde eine kostbare Tätigkeit ist, die zwar kein Geld einbringt,

dafür einen Bezug schafft zur eigenen Lebensgrundlage, zum Boden und zur Nahrung, und

das Jäten einen schon mal in meditative Zustände versetzen kann. In diesem Sinne werde ich

die Tradition der Schrebergärten kurz skizieren, und damit die Begrifflichkeiten und

Bedeutungen relativieren.

60 Christa Müller: Urban Gardening.

Page 95: Urban Farming in Zürich

95

5.1 GARTENVEREINE IN ZÜRICH

Gärten haben eine lange Geschichte. Ihre Verknüpfung mit ideologischen und erzieherischen

Absichten lässt sich bis in die frühe Neuzeit zurückverfolgen. Diese Betrachtungen öffnen den

Blickwinkel zur Beurteilung von Urban Gardening. Sie unterstützen die Prognose, dass mit

der Etablierung von neuartigen Gärten sich auch die Werte der Gesellschaft ändern.

5.1.1 VEREIN FÜR SCHÜLERGÄRTEN

In den Volksschulgärten wurde das Gemüseproblem angegangen, indem die Schüler nicht nur

während der Unterrichts- sondern auch in der Freizeit diese bebauten. Nach Geschlechter

getrennt: die Mädchen waren für den Gemüsebau zuständig, die männliche Jugend für den

Obstbau. 61

Die Einsicht des pädagogischen Nutzens von Gärten reicht jedoch noch viel weiter zurück.

Johannes Amos Comenius (1592-1670) sprach schon davon in seinen didaktischen Schriften.

Auch Pestalozzi erkannte den erzieherischen Wert von Gartenarbeit. Friedrich Fröbel

schliesslich vereinigten 1837 die beiden Sphären, Erziehung und Natur, im Begriff

„Kindergarten“:

„Der Kindergarten, die vollständig ausgebildete Idee eines Kindergartens, der

klargelegte Gedanke desselben, fordert also notwendig einen Garten und in diesem

notwendig Gärten für die Kinder.“62

Erst in den Klosterschulen wurden die Gärten auf Produktion von Gemüse, Obst und Kräutern

angelegt. Die Volksschulgärten dienten als Anschauungsmaterial für den Naturkunde-

Unterricht. Diese Gärten, auch „Kustodengärten“ genannt, waren wie die pentrant

ordnungsbeflissenen Kustoden oder Abwarte, aufs kleinlichste aufgeräumt und unnatürlich in

Ordnung. So empfiehlt schon 1905 der Naturkundelehrer Samuel Döbeli:

„Gewiss sollen die Pflanzen nicht in kunstvollen Beeten in geordneten Reihen sich

befinden, sondern sie müssen in möglichst naturwahren Gruppen zusammengepflanzt

sein. Der Garten soll in höherem oder geringerem Grade eben ein Vegetationsbild der

Umgebung abgeben können, dann erst können wir die Schüler mit den natürlichen

Lebensbedingungen der Pflanzen vertraut machen (…).“63

Das Zusammengehen vom Bezug zum Boden und sittlichen und bürgerlichen Sitten war ein

Grundzug der gesellschaftserzieherischen Ambitionen des 20. Jahrhunderts, des Jahrhunderts

der Ideologien. 1920 schrieb Johannes Hepp:

61 Andreas Bellasi: Giftfreie Freizeit. Zürichs Schülergärten. 62 Ebd. 63 Ebd.

Page 96: Urban Farming in Zürich

96

„Wer ein eigen Stück Land bebauen darf, der kann den Glauben an das Vaterland

nicht verlieren. Es ist um ein Volk, einen Staat schlimm bestellt, wenn die Mehrzahl

seiner Glieder wurzellocker geworden sind.“64

Dieser Johannes Hepp wird später Obergartenleiter und Verwalter der Gesellschaft Verein für

Schülergärten. Gegründet wird der Verein für Schülergärten vom Pfarrer der Predigerkirche,

Gottfried Bosshard.

„Die Gartenarbeit ist wie keine andere Arbeit imstande, dem Menschen die Augen zu

öffnen für das Leben, für das Wirken und Walten der Natur. Was für eine grössere

Freude kann es für Kinder geben, als aus dem eigenen Gärtchen Blumen mit nach

hause zu bringen oder selbstgezogenes Gemüse in die Küche zu liefern. Und wer in

seiner Jugend die Erde hat bauen lernen und dafür den mannigfachen Segen erfahren

hat, den diese Arbeit mit sich bringt, der wird sein Leben lang ein Heimatgefühl in der

Brust tragen. Die bösen Geister können keine Macht über ihn gewinnen, weil er sich

gar nicht mit ihnen einlässt.“65

In einer Elternversammlung wurde die Gründung der Vereins Schülergärten beschlossen am

16. Januar 1911. Ziel war es, die Kinder, also die Knaben von ihrem ausschweifenden

Herumziehen in den Gassen, das mit etlichen Gefahren verbunden war, zu holen. Da die

Mädchen selbstverständlich zu Hause an Küche und Herd gewöhnt wurden, standen die ersten

Schülergärten nur den Knaben zu. Erst schwebte Bosshard autonome Schülergärten vor, wo

sich die Kinder selbst entwickeln, organisieren und entfalten könnten.

„Die jungen Gärtner sollen unter sich ein Genossenschaft, eine Republik im kleinen

bilden.“

Im Sitzungsprotokoll vom 23. Februar 1911 heisst es:

„Disziplin in jeder Hinsicht muss streng aufrechterhalten werden. Es wird von

unschätzbarem Wert sein, wenn die junge Kraft an eine geregelte Arbeit gewöhnt und

in ihr mit der Zeit die Erkenntnis wachgerufen wird, dass ein Staat, eine noch so

kleine Republik nur gedeihen kann, wenn eine Kraft der andern sich unterordnet und

angliedert.“

Es wurde also strenge Disziplin gefordert, Ordnung und Hierarchie. Eine selbstorganisierte

Gemeinschaft war weit entfernt. 1915 äusserte sich Hepp zum Erfolgsprinzip: „Freies

Schaffen, verbunden mit straffer Führung.“

Der Garten galt also als eine Art Erziehungsexperiment. Bosshard hatte die Idee einer selbst

wachsender Gesellschaft oder Organisation mit natürlicher Hierarchie, die den Eltern die

Erziehungsarbeit abnehmen würde. Diese Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht. Zum Glück

64 Ebd. 65 Ebd.

Page 97: Urban Farming in Zürich

97

muss man sagen. Ähnliche Versuche wurden ja zur Genüge in all den totalitären Gefügen in

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa nicht nur erprobt, sondern bis ins Extreme

verwirklicht.

5.1.2 VEREIN FÜR FAMILIENGÄRTEN

Dieses Kapitel basieren auf den Recherchen von Walther Mathis zum 100-Jahr-Jubiläum des

Vereins für Familiengärten Zürich. Dieser trug alles Material, das in direktem Zusammenhang

mit dem Verein stand in einer Akte zusammen. Darunter sind Statuten, Reglemente,

Mitgliederlisten und Karten der verschiedenen Sektionen. Mathis hat einen technischen

Zugang. Der Verein sei nur zur wirtschaftlichen Verbesserung der Zürcher Bürger gegründet

worden. Heute sei die wirtschaftliche Not nicht mehr so gross, aber die Gärten immenoch sehr

wichtig, weil sie die guten Sitten aufrechterhielten.

In Zürich gebe es Familiengärten schon seit 300 Jahren. 1692 haben sich die

Lebensmittelpreise verdoppelt. Deshalb verpachtete die Stadt zwischen der Limmat und den

heutigen Geleisen, zwischen Hardstrasse und Hardturm 130 Gärten zu etwa 8 Aren für die

Selbstversorgung. Diese Gärten hatten bis 1816 Bestand. Auf dem Platzspitz gab es zwischen

1790 und 1856 bis zu 71 Parzellen zu vier Aren.

Die eigentliche Gründung des Vereins für Familiengärten in seiner heutigen Form datiert

Mathis auf den 12. Juli 1916, der Tag der ersten Vereins-Statuten. Nach einigen Jahren des

Ausprobierens auf die Anregung des Stadtrats Paul Pflüger, dass mit eigenen Gärten Familien

wirtschaftlich und sozial besser gedient wäre als in offeneren Gartenprojekten.

Mathis illustriert Organisation und Aufbau des Vereins. Die Finanzen. Reglemente. Am

Schluss der Einleitung schreibt Mathis:

„Die Entwicklung der letzten 75 Jahre hat der vorausschauenden Initiative der

Gründer unserer Familiengarten-Bewegung Recht gegeben. Zwei Krisenperioden

haben gezeigt, wie nützlich und wohltuend sich die Gärten in wirtschaftlicher und

sozialer Hinsicht auf die Pächter und ihre Familien auszuwirken vermögen. Heute, wo

wirtschaftliche Probleme eine geringere Rolle spielen, hat sich der Familiengarten

bewahrt, was andere im Zuge der Arbeitszeit-Verkürzung erst lernen mussten und

noch lernen müssen: Freizeit selbst zu gestalten, statt sich unterhalten zu lassen und

zum Funktionieren der Gemeinschaft beizutragen, statt auf die Dienstleistungen dieser

Gemeinschaft zu warten.“66

66 Walter Mathis: Zur Geschichte des Vereins für Familiengärten Zürich.

Page 98: Urban Farming in Zürich

98

Auch Mathis schreibt den Gärten eine erzieherische Funktion zu. In polemischen Ton

schwärmt er von der wirtschaftlichen Absicherung in der Vergangenheit. Heute würden sie

gegen den Verfall der Sitten und gegen das Desengagement wirken. „Wir brauchen in den

kommenden Jahren weiteres Land, auch wenn es zum Teil weiter von unseren Wohnstätten

entfernt zu liegen kommt.“ Das Ziel von 10000 Parzellen bleibt bestehen, das Bedürfnis nach

langfristig gesichertem Land.

„Eine neue, zusätzliche Aufgabe erwartet uns in den kommenden Jahren: Wir werden

uns intensiv mit dem naturgerechten Gartenbau zu befassen haben. Es gilt, die

Umweltbelastung im Boden, im Wasser und in der Luft auch bei unserer Tätigkeit auf

ein Minimum zu reduzieren.“

Page 99: Urban Farming in Zürich

99

5.2 DIE HERKUNFT VON URBAN FARMING

Als erster Urbaner Garten in Europa gilt gemäss Christa Müller der Prinzessinnengarten in

Berlin. Deren Gründer kamen gerade von einer Reise aus Havanna, Kuba, zurück und waren

fasziniert von den dortigen Pflanzkulturen in der Stadt. Etwas Ähnliches wollten sie in Berlin

versuchen und lancierten den Prinzessinnengarten. Dieser erhielt eine derartige mediale

Aufmerksamkeit, dass in vielen Städten Europas Urbane Gärten nach dem selben Prinzip

entstanden. Daher werde ich im Folgenden die Geschichte des Urban Gardenings in Kuba

erläutern.67

Seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Handelsblocks RGW („Rat für gegenseitige

Wirtschaftshilfe“) 1991 und der daraus folgenden schweren (nationalen) Wirtschaftskrise,

fördert Kuba die Selbstversorgung auf engem Raum: Obst- und Gemüseanbau und

Kleintierhaltung statt grossflächigen und industrielle Nahrungsmittelproduktion.

Das Betreiben von Gärten zur Selbstversorgung hat in Kuba eine lange Tradition. Seit Ende

des 18. Jh. wurden eingeschiffte Sklaven dazu angehalten, auf Parzellen neben ihren

Unterkünften, selbst ihre Lebensmittel anzubauen. Dabei pflegten sie traditionelle

Anbaumethoden und integrierten Südamerikanische Gewächse, die sie auf ihren Conucos

(Bezeichnung für ‚Hügelbeet‘, allg. auch ‚Subsistenzgarten‘) kultivierten. Die Gärten waren

ein Rückzugsort und dienten dabei auch der Pflege von Familie und sozialen Netzen.

So wurde zum Beispiel der spektakuläre Erfolg der spanischen Kolonisation durch den

Gebrauch, den die indianische Bevölkerung davon machte, ins Gegenteil verdreht:

unterwürfig und sogar bereitwillig gebrauchen die Indianer die Gesetze, Praktiken oder

Vorstellungen, die ihnen mit Gewalt oder durch die Verführung aufgezwungen worden waren,

oft zu anderen Zwecken als denen der Eroberer; sie machten daraus etwas anderes; sie

unterwanderten sie von innen her – und zwar nicht, indem sie sie ablehnten oder veränderten

(was allerdings auch vorkam), sondern durch hunderterlei verschiedene Weisen, sie in den

Dienst von Regeln, Gebräuchen und Überzeugungen zu stellen, die der Kolonisation, der sie

nicht entfliehen konnten, fremd waren.

Im Verlaufe der Abolition wurden nach Gewohnheitsrecht viele Hütten und Parzellen an die

Nachfahren der Sklaven vererbt, welche die Kultivierung der Stadtgärten weiterführten. Nach

67 Vgl. Daniela Kälber: Urbane Landwirtschaft als postfossile Strategie. Agricultura in Kuba.

Page 100: Urban Farming in Zürich

100

der Kubanischen Revolution 1959 führte man eine industrielle Gemüse- und

Lebensmittelproduktion ein und baute im grossen Stil Zuckerrohr an, der für den Export

bestimmt war. Conucos galten dann als ärmlich und unterentwickelt. Die intensive

Nahrungsmittelproduktion benötigte Unmengen an Dünger und Pestiziden sowie Treibstoff

für Maschinen und Fahrzeuge, was grösstenteils von der Sowjetunion zu Preisen weit unter

dem Marktwert geliefert wurde. (Die sowjetische Unterstützung erreichte in den Jahren 1986

bis 1990 einen Anteil am kubanischen BIP von 16%). Nach Auflösung der UdSSR viel auch

diese Subvention dahin und Kuba stürzte in eine Versorgungskrise: Ohne Treibstoff konnten

die Lebensmittel nicht mehr in die Städte transportiert werden und verrottete tonnenweise auf

den Feldern. Ohne Treibstoff funktionieren keine Feldmaschinen: die Ernte kann nicht

eingefahren, die Saat nicht gedüngt, die Äcker nicht gepflügt werden.

Not macht erfinderisch. In dieser Krisensituation begannen die Kubaner in den Städten jeden

Platz, jedes Fleckchen Erde, jeden bestellbaren Freiraum (Balkone, Dachterrassen,

Hinterhöfe), zu nutzen und füllten jedes erdenkbare Gefäss mit Erde, um darin essbares

Grünzeugs anzupflanzen. Knoblauch wurde in mit Sand gefüllten Joghurt bechern gezogen,

Schweine in der Badewanne gefüttert und Hühner im Verschlag auf dem Balkon gehalten.

Auch dies ist eine Umwandlung der vorgegebenen Funktionen der Infrastruktur, eine List der

Bevölkerung, die jedoch nicht gegen die Absichten des Staates sein konnte. Im Gegenteil

musste dieser es begrüssen, dass sich die Kubaner selbst um ihr Überleben kümmerten,

während er dieses nicht mehr sicherstellen konnte.

Zu Beginn noch mit wenig Gemüsebauerfahrung, wurden Joghurtbecher mit Sand gefüllt, um

darin Knoblauch zu ziehen, die effektivste aller Gemüsearten: Knoblauch schützt ja

bekanntlich nicht nur vor bösen Geistern und dient nicht nur als Abwehrwaffe gegen

aufdringliche Anmachsprüche, sondern er fördert auch die Durchlüftung der Darmflora und

stärkt das Immunsystem nachhaltig.

Die auf Export und Import angelegte Wirtschaft sollte aufrechterhalten werden, obwohl nur

noch 20% der Landwirtschaftsmaschinen in Betrieb waren. Grosse Teile der Bevölkerung

wurde als Handarbeitskräfte eingesetzt. Um für deren Unterhalt zu sorgen, wurden einzelne

Haushalte dazu angehalten, Lebensmittel für sich und die engere Nachbarschaft anzubauen.

Der Staat bestimmte und finanzierte zwar die Saat, die Experten waren jedoch die Stadt- und

Page 101: Urban Farming in Zürich

101

Gemüsebauern: „dies führte zu einer engen Kohäsion von staatlichen und privaten

Interessen“.

Rund ein Drittel dieser staatlich geförderten Gärten werden nicht direkt auf dem Boden

gepflanzt, sondern in Hochbeeten, sogenannten Organoponicos, weil viel Land überdüngt

oder sonst wie kontaminiert ist. Nach einigen Jahren soll sich die Bodenqualität wieder

normalisiert haben, dann werden die Hochbeete in den Erdboden verlegt und zu sogenannten

Huertos Intensivos umgewandelt. Nach offiziellen Zahlen existieren 3´500 Organoponicos

und 7´189 Huertos Intensivos. Auf Eigeninitiative pflegen viele Kubaner rund 412´012

Parcelas, die den nötigen Zustupf an Gemüse für den Eigengebrauch liefern und Orte für

soziale Zusammenhänge und kulturelles Leben sind.

Diese Funktionen sind auch vom Staat erkannt worden. Der zunehmenden Landflucht und

wachsenden Vierteln mit prekärer Infrastruktur, Hygiene und Sicherheit, wird mit solchen

Gärten begegnet, die einerseits für einen gewissen Grundbestand an Nahrung sorgt, der

Vermüllung entgegenwirkt und soziale Integration fördert. Eine ähnliche Entwicklung lässt

sich in amerikanischen Städten beobachten, wo wirtschaftlicher Strukturwandel und die Krise

der letzten Jahre zu Umstürzen im Arbeitsmarkt und zu einer Erosion des

Versorgungssystems führten.68

So wanderte das Narrativ aus der Karibik in die Hauptstadt Deutschlands, wurde hier von

einem Medienwirbel erfasst und in die ganze westliche Welt geschleudert, so auch nach

Zürich mit seinen Projekten. Urban Farming kann so in seinem globalen Kontext verortet

werden. Die Gärten in Zürich sind regionale Realisierungen einer um den Globusgewanderten

Idee.

68 Vgl. Kap. 4.5.1. Narrative in der Presse, S. 89.

Page 102: Urban Farming in Zürich

102

6 FAZIT UND AUSBLICK

Der erste Gang auf die Stadionbrache erwies sich als Sprungbrett in ein vielfältiges Netzwerk

von Orten, Projekten und Personen, das die Zürcher Urbanen Gärten umspannt. Allen

Akteuren gemeinsam ist der Wunsch nach gestaltbarem Raum und eine ähnliche Haltung im

Umgang mit der Ressource Boden. Es handelt sich um ein informelles Netzwerk, daher kann

nicht von einer traditionellen, sozialen Bewegung gesprochen werden. Trotzdem ist Urban

Farming als eine Bewegung zu verstehen, die auch politische Botschaften transportiert. Es ist

die gemeinsame Handlungsweise und eine ähnliche Sinnkonstruktion, die Urban Farming zu

einer eigentlichen Kultur werden lässt. Ziel war es, die Mechanismen zu Bildung dieser

Bewegung oder Kultur aufzuspüren. Ich bin einigen Verästelungen gefolgt, habe mich in das

Netzwerk des Rhizoms gewagt und versuchte mit der literarischen Form des Essays die

Darstellung dieser unübersichtlichen Zusammenhänge zu legitimieren. Die Bilder und die

Kurzbeschreibungen stecken einen Rahmen dieser Bewegung in Zürich ab. Die näher

betrachteten Gärten belegen die These von Christa Müller, dass Urban Farming das Bedürfnis

vieler Menschen nach Absicherung gegen Probleme auf verschiedenen Ebenen deckt: sozial,

ökonomisch, ökologisch, ganzheitlich. Als Ursache dieser Probleme werden Auswüchse des

Neoliberalismus und der Globalisierung verantwortlich gemacht. Projekte von Urban Farming

inszenieren sich als Alternativen und bieten Lösungsvorschläge auf regionaler Ebene. Mit der

Kultivierung von Industriebrachen und der Sensibilisierung auf die Produktionsweisen von

Nahrungsmitteln entsteht ein neuer Zugang zu Konsum und Ressourcen, zu Boden und

Pflege, zu Stadt und Land, Mensch und Natur. Diese Dialektik geht mit einer Relativierung

von überkommenen Begriffen einher und damit mit einem neuen Sinnangebot. Um dieses zu

etablieren, muss eine neue Sprache gefunden werden. Ansätze zu deren Bildung konnte ich

mitverfolgen.

Ausgegangen bin ich vom anthropologischen Ort nach Marc Augé. Dieses Konzept versteht

den Ort als eine Gestaltung des Raums durch den Menschen. Durch die ‚Möblierung‘ verleiht

er dem Ort eine Identität. Rückwirkend bildet der Ort ein wichtiger Faktor zur

Identitätsbildung von Individuen und Gruppen. Mit dem Heterotop etablierte Michel Foucault

ein Konzept zur Beschreibung von Orten als sinnlich wahrnehmbare Räume und als

Projektionsflächen für Wünsche und Vorstellungen, die im Alltag keinen Platz finden. Auf

diesen Ortstheorien aufbauend fokussierte ich auf sprachliche Spuren, die im Raum als

Schriftstücke hinterlassen wurden, oder die mündlich geäussert wurden. Die Texte sind

Page 103: Urban Farming in Zürich

103

Stellvertreter für eine Gruppe gegenüber Menschen ausserhalb der Gruppe und regeln das

Funktionieren innerhalb der Gruppe. Verortete Namen markieren Präsenz und einen

Machtanspruch über den Ort. Die Sprache ist auch ein Schmiermittel für soziale Abläufe und

Interaktionen. Deren Interpretation ermöglichte Rückschlüsse auf die ideelle Verortung einer

Gruppe.

Die Sprache ist nicht nur gegeben, sondern sie wird auch hergestellt oder ihr Sinn verändert.

Dadurch können ganze Weltsichten und Handlungsweisen beeinflusst und gestaltet werden.

Aufgefallen ist beispielsweise die Umdeutung von ‚Lohn‘ mit ‚Ermöglichungspauschale‘ oder

die Benennung des Feldes oder Ackers als Garten. Dadurch verändert sich die Bedeutung von

Lohn- und Arbeitsverhältnissen. Arbeitszeit und Freizeit verlieren ihre Trennschärfe.

Die Gestaltung von Sprache geschieht auf spielerische Weise und ähnelt der Herstellung von

Redensarten: ähnlich klingende Namen und sich reimende Ausdrücke markieren die

Verwandtschaft von Konzepten, Gruppen und Orten. Damit wird auch eine Mentalität

transportiert, die eine nachhaltige Alternative zum überkommenen Wirtschaftssystem und

miteinhergehenden Lebenshaltung bietet. Dieser Transfer geschieht jedoch nicht mit

erhobenem Zeigefinger, sondern erfolgt auf ständigem Verhandeln von Regeln. Zentral dabei

sind die Pflege des Ortes sowie die freie Zugänglichkeit für alle.

Zur Etablierung der Projekte und Kultivierung der Gärten waren Gruppen mit einem festeren

Kern und offenen Rändern notwendig. Gleichzeitig bildete sich die Identität dieser Gruppen

aus der Absicht, gemeinsam zu gärtnern. Nach den Überlegungen von Michel de Certeau sind

es Narrative, die uns zu Denk- und Handlungsweisen verleiten. Zur Erklärung der Motivation

fürs Gärtnern wurden ‚Gross-Narrative‘ genannt wie der Terroranschlag auf das World Trade

Center im September 2001 und die Wirtschaftskrise ab 2008, die weltweit und auch in der

Schweiz für Unsicherheiten im Alltag sorgten. Vorläufer von Urban Farming finden sich

jedoch schon in Kuba nach dem Ender der Sowjet Union und in amerikanischen Städten nach

dem Niedergang der dortigen Autoindustrie. Die Etablierung von Gemüsebau in der Stadt

kann auch mit der globalen Migration ländlicher Bevölkerung in die Städte erklärt werden.

Seit 2007 leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Diese Geschichten bilden

Erklärungsversuche. Die Motivation vieler StadtgärtnerInnen ist jedoch viel praktischer: sie

verspürten einfach die Lust zu Gärtnern oder machten mit, weil Freunde mitmachten.

Page 104: Urban Farming in Zürich

104

Die Etablierung des auf Konsum zentrierten Gerolds Gartens verleitet zu der These, dass es

sich bei Urban Farming nicht um eine einheitliche Bewegung handelt. Im Gegenteil:

öffentlichkeitswirksame Elemente des Urban Farming, z.B. die Hochbeete, werden hier in ein

Gastrokonzept integriert und der Charme der alternativen Bewegung als Verkaufsargument

genutzt. Dadurch grenzt er sich gegen das Bestehende ab, inszeniert privaten Raum als

öffentlichen Raum. Es ist die Finte einer Finte, die Vermarktung der Alternative zur

Kommerzialisierung. Trotzdem blühen die anderen Gärten weiter. Michel de Certeaus These

der wuselnden Massen, sich der herrschenden Ordnung zu entziehen, um ihrem Alltag einen

persönlichen Sinn zu geben und sich auf ihre Art zu verwirklichen. So lange es Machtgefüge

gibt, solange wird dieses mit Finten und Listen ausgetrickst und umgangen. So werden auch

die Gärten als Alternative zu Massenproduktion und –konsum weiterbestehen. Insbesondere

scheinen Prognosen und Erzählungen über die Bedrohungen der Welt: Peak Oil, allgemeiner

Ressourcenschwund, Wirtschaftskrisen, Klimawandel, zunehmende Wasserknappheit bei

vermehrten Überschwemmungen etc., das etablierte System von Arbeit, Konsum und

ständigem Wachstum zu hinterfragen und Gegenkonzepten wie dem Urban Farming zu

grösserer Popularität verhelfen.

Der Untertitel dieser Arbeit implizierte eine umfängliche Beschreibung: Verortung,

Vernetzung, Verhandlung. Eine kulturwissenschaftliche Betrachtung urbaner

Garteninitiativen in Zürich. Ansprüche auf Vollständigkeit sind jedoch gefährlich, denn sie

werden selten erfüllt. Immerhin wurden hier mit Bezug auf kulturwissenschaftliche Theorien

die Gärten nicht nur geographisch, sondern auch historisch und ideell verortet. Die

Vernetzung einiger Protagonisten wurde aufgezeigt und die Verhandlung, d.h. die Bedeutung

der Gärten für Stadtbewohner resp. die Aneignung der Orte und die Transformation von

Gärten dargestellt.

Page 105: Urban Farming in Zürich

105

Zur Einordnung des Forschungsfeldes und der neuen Gartenbewegung wären historische

Vergleiche mit ähnlichen Narrativen zu Sorge um die Erde in anderen Epochen und deren

Lösungsangebote interessant, so z.B. die Lebensreform-Bewegung oder das Konzept der

Gartenstadt in der frühen Moderne. Vor hundert Jahren sagte Max Weber einen langen

Bandwurmsatz, an dessen Ende wir einen neuen Satz anknüpfen könnten, der vielleicht mit

den Worten Die Rückkehr der Gärten in die Stadt beginnt:

„Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein. Denn indem die

Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die

innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teil mit daran,

jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen

Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen,

Wirtschaftsordnung erbauen, der [die] heute den Lebensstil aller Einzelnen, die in

dieses Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch

Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwang bestimmt und vielleicht bestimmen

wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist.“69

69

Max Weber: Asketischer Protestantismus und kapitalistischer Geist.

Page 106: Urban Farming in Zürich

106

Page 107: Urban Farming in Zürich

107

7 LITERATURVERZEICHNIS

Kulturwissenschaftliche Ansätze, Methodisches

Augé, Marc: Nicht-Orte. Beck, München, 2011, 2. Auflage.

(Original: Non-lieux : introduction à une anthropologie de la surmodernité. Editions du Seuil,

Paris, 1992.

Certeau, Michel de: Kunst des Handelns. Merve Verlag, Berlin, 1988.

(Original: Arts de faire. Union Générale d’Editions, Paris, 1980.)

Deleuze, Gilles, Félix Gauttari: Rhizom. Merve Verlag, Berlin, 1977.

(Original: Rhizome. Les Eitions de Minuit, Paris, 1976.)

Foucault, Michel: Die Heterotopien / Der utopische Körper: zwei Radiovorträge. Suhrkamp,

Frankfurt am Main, 2005.

Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur.

[1973] In: Uwe Wirth (Hg.): Kulturwissenschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte.

Suhrkamp, Frankfurt a/M, 2008.

Hengartner, Thomas, Waltraud Kokot, Kathrin Wildner: Das Forschungsfeld Stadt in

Ethnologie und Volkskunde. In: Kulturwissenschaftliche Stadtforschung. Dietrich Reimer

Verlag, Berlin, 2000.

Lindner, Rolf: Spür-Sinn. Oder: die Rückgewinnung der „Andacht zum Unbedeutenden“. In:

Zeitschrift für Volkskunde, 107. Jahrgang, II. Halbjahresband, Waxmann, Münster, 2011.

Lindner, Rolf: Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage.

Campus, Frankfurt a/M, 2007. Neuausgabe.

Meinrad Ziegler: Überlegungen zur Forschungslogik eines methodologischen

Nonkonformismus. In: Fröhlich, Gerhard, Ingo Mörth (Hgg.): Symbolische Anthropologie

der Moderne. Kulturanalysen nach Clifford Geertz. S. 51-66.

Seidel, Jörg: Rhizom. Was in Wirklichkeit nicht darstellbar ist, weil es ein Rhizom ist, eine

unvorstellbare Globalität. http://seidel.jaiden.de/rhizom.php, 26.07.2012.

Weber, Max: Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik. Hrsg. von Johannes

Winckelmann, 5. Auflage. Stuttgart 1973, S. 378 f.

Welz, Gisela: „Sighting/Sitin globalization“. Gegenstandskonstruktion und Feldbegriff einer

ethnographischen Globalisierungsforschung. In: Windmüller, Sonja, Beate Binder, Thomas

Hengartner (Hg.): Kultur-Forschung. Zum Profil einer volkskundlichen Kulturwissenschaft.

LIT-Verlag Münster, 2009.

Page 108: Urban Farming in Zürich

108

Urban Farming, Aufsätze, Abschlussarbeiten

Borgstedt, Silke: Das Paradies vor der Haustür. Die Ursprünge einer Sehnsucht aus der

Perspektive soziokultureller Trendforschung. In: Müller, Christa (Hg.): Urban Gardening.

Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom Verlag, München, 2011.

Gstach, Doris, Heidrun Hubenthal, Maria Spitthöver (Hg.): Gärten als Alltagskultur im

internationalen Vergleich, Universität Kassel, 2009.

Kälber, Daniela: Urbane Landwirtschaft als postfossile Strategie. Agricultura Urbana in Kuba.

In: Müller, Christa (Hg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt.

Oekom Verlag, München, 2011.

Lange, Bastian: Koop Stadt? Was ist von der „kreativen Stadt“ zukünftig zu erwarten? In:

Müller, Christa (Hg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom

Verlag, München, 2011.

Müller, Christa: Urban Gardening. Grüne Signaturen neuer urbaner Zivilisation. In: Müller,

Christa (Hg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom Verlag,

München, 2011.

Salein, Kirsten: Vom Umgang mit der Natur in Frankfurt am Main. Ein Grünprojekt als

„regionales Interventionsprogramm“. In: Kokot, Waltraud, Thomas Hengartner, Kathrin

Wildner (Hg.): Kulturwissenschaftliche Stadtforschung. Dietrich Reimer Verlag, Berlin,

2000.

Quellen

Bellasi, Andreas: Giftfreie Freizeit. Zürichs Schülergärten: Pädagogik gegen allerlei böse

Geister. Tages Anzeiger Magazin, Nr. 12, 21.03.1981.

Mathis, Walter: Zur Geschichte des Vereins für Familiengärten Zürich. Verein für

Familiengärten, Zürich, 2002.

Suter, Fritz: Lust und Frust im Schrebergarten. Vom Umgang mit eigenem Gemüse. Tages

Anzeiger Magazin, Nr. 15, 11.04.1981.

Hintergründe, Umwelt, Ideologie, Utopie

Bolz, Norbert: Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen.

Wilhelm Fink Verlag, München, 2008.

Davis, Mike: Wer wird die Arche bauen? In: Sloterdijk, Peter, Paul Crutzen, et al:. Das

Raumschiff Erde hat keinen Notausgang. Suhrkamp, Berlin, 2011.

Hessel, Stéphane: Empört euch! Ullstein, Berlin, 2011.

Original: Hessel, Stephan: Indignez-vous! Indigene, Montpellier, 2010.

Page 109: Urban Farming in Zürich

109

Hessel, Stéphane: Engagiert euch! Ullstein, Berlin, 2011.

Original: Hessel Stéphane: Engagez-vous! Édition de l’Aube, La Tour d’Aigues, 2011

Howard, Ebenzer: Gartenstädte in Sicht. Diederichs, Jena, 1907.

(Original: Garden Cities of Tomorrow. Faber and Faber, London, 1902.)

Kreutzberger, Stefan, Valentin Thurn: Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller

Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist. Kiepenheuer&Witsch, Köln,

2011.

Kreutzberger, Stefan: Die Öko-Lüge. Wie sie den grünen Etikettenschwindel durchschauen.

Ullstein, Berlin, 2009.

P.M.: Neustart Schweiz. So geht es weiter. Edition Zeitpunkt, Solothurn, 2008.

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand. Luz Schulenburg Verlag, Hamburg, 2010.

Original: Le Comité Invisible: L’insurrection qui vient. La fabrique éditions, Paris, 2007.

Gärten, Technik, Städtebau

Giedion, Sigfried: Die Herrschaft der Mechanisierung. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt

a/M, 1982.

Original: Mechanization Takes Command. Oxford University Press, 1984.

Kurz, Daniel: Die Disziplinierung der Stadt. Moderner Städtebau in Zürich. 1900 – 1940. gta-

Verlag, Zürich, 2008.

Stoffler, Johannes: Gustav Ammann. Landschaften der Moderne in der Schweiz. gta-Verlag,

Zürich, 2008.

Will, Thomas, Ralph Lindner (Hg.): Gartenstadt. Geschichte und Zukunftsfähigkeit einer

Idee. W.E.B. Universitätsverlag, Dresden, 2012.

Netzwerke

www.interkulturelle-gaerten.ch Gärten Schweiz

www.dunkelhölzli.ch Pflanzplatz Dunkelhölzli

www.ortoloco.ch Gartenkooperative Ortoloco

www.stadiongartn.ch Stadiongarten

www.seedcity.ethz.ch Seedcity

www.fraugerold.ch Geroldsgarten

www.brauergarten.ch Brauergarten

www.stadt-zuerich.ch/content/ted/de/index/gsz/ Grün Stadt Zürich

www.anstiftung-ertomis.de Gartennetzwerk Deutschland

http://diyreuse.com/ Do-It-Yourself-Re-Use

www.futurzwei.org Partizipative Projekte/Subsistenz im

deutschsprachigen Raum