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Z Rechtsmed(1990) 103: 463-472 Zeitschrift for ' Rechtsmedizin © Springer-Verlag 1990 Ver inderungen der Skelettmuskulatur beim Tod durch Unterkiihlung T. Sigrist 1, C. Markwalder 1 und R. Dirnhofer 2 1GerichtsmedizinischesInstitut, KantonsspitalSt. Gallen, Rorschacherstrasse93, CH-9007 St. Gallen, Schweiz 2Institut for Gerichtsmedizin,Universit~tBasel, Pestalozzistrasse22, CH-4056Basel, Schweiz Eingegangen ll. Dezember 1989 Alterations of sceletal muscle in death due to hypothermia Summary. The review of 32 deaths resulting from hypothermia yielded mostly the common pathological findings as bright red livores, haemolytic frost marks of the skin and Wichnewski erosions of the gastric mucosa. In addition the muscle system of the body core (musc. ileopsoas) showed hemorrhages and histologically necrosis of its fibres in form of segmental and discoid sar- coplasmatic alteration. These changes are a quite specific sign of death due to hypothermia, as far as mechanical injury can be excluded. For best result however a special autopsy technique and an appropriate histological staining are advisable. Key words: Death due to hypothermia, alterations of muscle system in the body core and ileopsoas muscle - Vital reaction Zusammenfassung. Bei 32 Todesffillen nach Unterktihlung fanden sich in un- terschiedlicher Hfiufigkeit die klassischen Zeichen der Hypothermie (hell- rote Blutfarbe, Frostflecken, Wischnewski-Erosionen des Magens, Aceton im Urin). Mit Regelmfigigkeit waren Ver~inderungen in der K6rperkernmus- kulatur (Musculus ileopsoas) vorhanden, nfimlich Blutungen sowie mikro- skopische Myonekrosen in Form segmentaler und diskoider Faserzerffille. Sie k6nnen - nach Ausschlug anderer Schfidlichkeiten, insbesondere mechani- scher Einfl~sse - als relativ spezifisches Unterktihlungszeichen angesehen werden. Eine besondere Pr~iparationstechnik und eine geeignete histologi- sche Ffirbung (PWS = PTAH) sind ftir die Erfassung dieser Befunde emp- fehlenswert. Schliisselwiirter: Tod durch Unterktihlung, Verfinderungen in der K6rper- kernmuskulatur - hypotherme Muskelverfinderungen Sonderdruckanfragen an: T. Sigrist

Veränderungen der Skelettmuskulatur beim Tod durch Unterkühlung

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Page 1: Veränderungen der Skelettmuskulatur beim Tod durch Unterkühlung

Z Rechtsmed (1990) 103 : 463-472 Zeitschrift for '

Rechtsmedizin © Springer-Verlag 1990

Ver inderungen der Skelettmuskulatur beim Tod durch Unterkiihlung

T. Sigrist 1, C. Markwalder 1 und R. Dirnhofer 2

1Gerichtsmedizinisches Institut, Kantonsspital St. Gallen, Rorschacherstrasse 93, CH-9007 St. Gallen, Schweiz 2Institut for Gerichtsmedizin, Universit~t Basel, Pestalozzistrasse 22, CH-4056 Basel, Schweiz

Eingegangen ll. Dezember 1989

Alterations of sceletal muscle in death due to hypothermia

Summary. The review of 32 deaths resulting from hypothermia yielded mostly the common pathological findings as bright red livores, haemolytic frost marks of the skin and Wichnewski erosions of the gastric mucosa. In addition the muscle system of the body core (musc. ileopsoas) showed hemorrhages and histologically necrosis of its fibres in form of segmental and discoid sar- coplasmatic alteration. These changes are a quite specific sign of death due to hypothermia, as far as mechanical injury can be excluded. For best result however a special autopsy technique and an appropriate histological staining are advisable.

Key words: Death due to hypothermia, alterations of muscle system in the body core and ileopsoas muscle - Vital reaction

Zusammenfassung. Bei 32 Todesffillen nach Unterktihlung fanden sich in un- terschiedlicher Hfiufigkeit die klassischen Zeichen der Hypothermie (hell- rote Blutfarbe, Frostflecken, Wischnewski-Erosionen des Magens, Aceton im Urin). Mit Regelmfigigkeit waren Ver~inderungen in der K6rperkernmus- kulatur (Musculus ileopsoas) vorhanden, nfimlich Blutungen sowie mikro- skopische Myonekrosen in Form segmentaler und diskoider Faserzerffille. Sie k6nnen - nach Ausschlug anderer Schfidlichkeiten, insbesondere mechani- scher Einfl~sse - als relativ spezifisches Unterktihlungszeichen angesehen werden. Eine besondere Pr~iparationstechnik und eine geeignete histologi- sche Ffirbung (PWS = PTAH) sind ftir die Erfassung dieser Befunde emp- fehlenswert.

Schliisselwiirter: Tod durch Unterktihlung, Verfinderungen in der K6rper- kernmuskulatur - hypotherme Muskelverfinderungen

Sonderdruckanfragen an: T. Sigrist

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Einfiihrung

Die Klassiker unter den Lehrbt~chern zur gerichtlichen Medizin und das reich- haltige Schrifttum bringen zum Thema des K~iltetodes eine breite Palette von morphologischen und humoralen Befunden, die im Rahmen einer letalen Er- frierung auftreten und dementsprechend ftir die Diagnose richtungsweisend sein k6nnen.

1888 hat Falk [7] erstmals auf die hellrote Farbe der Livores und v.a. des Herzbluts als Diagno- stikum fur den K~iltetod aufmerksam gemacht. Keferstein [14] hat 1893 auf die sog. H~imolyse- fleeken der Haut und Wischnewski [35] 1895 auf h~morrhagische Schleimhauterosionen der Magenschleimhaut hingewiesen; dazu auch Krjukoff [16] und Birchmeyer [2]. Es wurden ver- schiedene weitere morphologische Ver~inderungen an den thermoregulatorischen und -geneti- schen Organen und zudem humorale Ver~inderungen - z.B. hohe Katecholamin- und Aceton- spiegel - als Ausdruck der reaktiven W~irmebildung mitgeteilt [6, 11, 12, 15, 20, 21, 25, 29, 32].

Zusammenstellungen yon k~ltetypischen morphologischen Merkmalen und humoralen Ver~inderungen finden sich sehon 1914 bei Krjukoff [16], sp~iter bei Smith et al. [26], dann etwa bei Trube-Becker [28], Gillner und Walz [8], Hirvonen [13], Unterdorfer [30] und neu bei Ma- dea und Oehmichen [17]. Wessel und Schneider [33] nehmen zur Saisonalit~it des Unterkiih- lungstodes Stellung.

Allein schon die Vielfalt verschiedener Befunde, die im Fall einer Unterki~hlung an der Leiche erhoben werden k6nnen, zeigt deren geringe Spezifit~t auf. Ftir sich allein ist jedes der ,Unterktihlungszeichen" wenig typisch, zusammenge- nommen aber machen sie die Diagnose eines Kaltetodes wahrscheinlich, wobei auch die Gesamtumst~inde mitzuverwerten sind [5, 8, 20, 27, 28, 31].

1979 berichteten wir erstmals tiber Blutaustritte [5] und 1981 tiber mikrosko- pische Ver~inderungen [22] in der Skelettmuskulatur im K6rperkern - nament- lich in der Ileopsoasmuskulatur - bei Personen, die an Unterktihlung gestorben waren. Schneider und Klug [21] haben in der Folge unsere Beobachtungen be- stfitigt, ebenso Buchholz [4]. Wit erkl~rten ihre Entstehung dutch die lokale Hypoxie einerseits zufolge des erniedrigten O2-Angebots bei h~imodynamischer Zentralisation und k~iltebedingt gehemmter O2-Dissoziation und andererseits dutch den hohen O2-Bedarf bei gesteigerter W~irmeproduktion in der Rumpf- muskulatur. Der morphologische Nachweis der Blutungsquelle gelang uns nicht; wit dachten an eine Erythrozyten-Diapedese durch hypoxisch gesch~idigte Ka- pillarw~inde. Die Muskelpr~iparate waren damals quer zur Faserrichtung ent- nommen und untersucht worden.

Neuere systematische Untersuchungen zur Frage des morphologischen Ver- haltens der Skelettmuskulatur auf exogene Sch~idigung haben uns gezeigt, dal3 die Muskelfasern weitgehend unabh~ingig yon der Schadensart mit einem ein- heitlichen Muster reagieren [23, 24], worauf sp~iter noch eingegangen wird. Der- artige Faseralterationen fanden wit auch in der Beckenbinnenmuskulatur bei K~iltetodesf~illen. Erstmals haben wit 1981 dartiber berichtet [22]; Buchholz [4] hat sie sp~iter auch erw~ihnt. Wit m~3chten im folgenden tiber die Resultate wei- terer Untersuchungen berichten.

Material, Ergebnisse

32 Todesf~ille (26 m~nnlich, 6 weiblich) im Alter von 28 bis 82 Jahren (Durchschnitt: 59 Jahre). Sie ereigneten sich haupts~ichlich zwischen November und M/irz (23 Ffille). Bei der Sektion fanden sich oft die klassischen Unterkfihlungszeichen, n~imlich eine hellrote Farbe der Toten-

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Ver~nderungen der Skelettmuskulatur beim Tod durch Unterkfihlung 465

Abb. 1. Blutaustritte in der Ileopsoasmuskulatur sind - nach Ausschlug anderer Schadensar- ten - kennzeichnend ffir einen Tod durch Unterktihlung; sie sind nicht immer so deutlich aus- gebildet wie in diesem Fall (Nr. 14: 79j~ihriger Mann, in stark unterktihltem Zustand aufgefun- den, Tod nach 2 Tagen / L~ngsschnitt durch den M. posas)

flecken und des Blutes (25mal vorhanden, 3mal fehlend, 4mal im Sektionsprotokoll nicht er- w~hnt), Frostflecken der Haut (22mal vorhanden, 4mal fehlend, 6mal unerwfihnt) sowie Wi- schnewski-Blutungen im Magen (19mal vorhanden, 5mal fehlend, 8mal nicht erwfihnt). Zu- sfitzlich waren in 24 Ffillen makroskopisch Blutaustritte in der Beckenbinnenmuskulatur (M. ileopsoas) festgestellt worden; sie reichten von Bohnen- bis knapp Reiskorngr613e. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel. In 8 FNlen waren mit blogem Auge keine Hfimorrhagien zu erkennen; 5 davon zeigten solche erst histologisch. Diese Befunde sowie weitere Details zur Anamnese, Fundsituation und Leichenuntersuchung sind in Tabelle 1 enthalten.

Histologische Untersuchung der Ileopsoasmuskulatur

Pr~iparation in kgnstlicher Blutleere (Details dazu werden spfiter gebracht); Aufblfitterung durch mehrere L~ngsschnitte; faserparallele Probenentnahme (im Durchschnitt 5-6 struck pro Fall); Fixation in Formol (4%); Paraplast; Ffirbung mit H~imatoxylin-Eosin (HE) und Phos- phorwolframs~iure (PWS = PTAH).

In allen 32 F~illen sind Ver~inderungen an den Muskelfasern festzustelten, namentlich Querbrache oder ein blockfOrmiger Zerfall (Fragmentationen, Segmentationen) mit konkaven Bruchfl~ichen sowie scheibenf6rmige (diskoide) Sarkomerabtrennungen. Die Sarkolemmschl~iu- che sind meist intakt und sanduhrf6rmig eingezogen. Die Querstreifung ist verschwunden; an deren Stelle ist eine lfings-fibrillfire Struktur getreten. Solche Verfinderungen sind in Abb. 2 dargestellt. Unterschiedlich dichte Blutaustritte finden sich in 29 F~illen. Zeichen der Entzgn- dung fehlen.

Diskussion

Eigene frfihere Un te r suchungen haben gezeigt, dag die Skele t tmuskula tur auf sch~idigende Einflfisse mit bes t immten mikroskopischen Ver~inderungen reagiert [23, 24]. Grundlage dieser Erkenntnisse war die Auswer tung von fiber 1000 Muskelpr~iparaten von 210 Leichen, deren Muskula tur auf unterschiedliche Ar t Schaden erlitten hatte, sowie von 70 Vergleichsffillen ohne Muskellfisionen. Das Reak t ionsmus te r des Skele t tmuskelgewebes ist gekennzeichnet durch eine St6- rung der Faserintegritfit in F o r m von Brfichen (Fragmenta t ionen) oder eines block- und scheibenf6rmigen (segmenta len bzw. diskoiden) Zerfalls der Mus- kelfasern bei zumeist erhal tenen, oft sanduhrf6rmig deformier ten Sarko lemm- schl~iuchen. Z u m Bild geh6ren eine konkave Gestal t der Bruchflfichen und obli- gat ein Verlust der sarkoplasmatischen Quers t re i fung mit Ersatz derselben durch

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Abb. 2a-c. Histologische Vergnderungen in der Ileopsoasmuskulatur beim Tod durch Unter- k~ihlung: Faserbrfiche sowie segmentaler und diskoider Faserzerfall; stellenweise kleine Blut- austritte. Wichtigstes Kennzeichen dieses ,,vitalen" Typus der Faseralteration ist der Verlust der Querstreifung und der Ersatz durch eine l~ingsfibrill~ire Stnlktur (a unct b). Im Vergleich dazu der ,,areaktive" Typus der Alteration als Folge einer postmortalen Muskelsch~idigung; die Querstreifung ist unverfindert (c). Fall Nr. 17; Paraffin; Ffirbung mit Phorphorwolfram- s~iure (PWS); Primarvergr6gerung 100x (a) bzw. 200 x (b). Vergleichsfall (c): postmortale Muskelruptur; Paraffin; PWS; Primfirvergr6gerung 250 ×

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Verfinderungen der Skelettmuskulatur beim Tod dutch Unterkfihlung 469

eine l~ngsfibrill~re Struktur (pathologische L~ngsstreifung). Die Abb. 2a und b zeigen diese Besonderheiten. Wir bezeichnen diesen Typ der Faseralteration als ,,vital", well er nachweislich das Ergebnis intravitaler sch~digender Einwirkung ist [23, 24].

Im Falle eines Schadenseinflusses nach Todeseintritt bleibt die Sarkoplasmazersetzung aus, die ursprfingliche Querstreifung erhalten. Die Muskelfasern erscheinen reaktionslos auseinander- gebrochen. In den Zwischenrfiumen liegen oft Sarkoplasmasequester mit erkennbarer Quer- streifung. Das Endomysium ist meist zerrissen. Abb. 2c zeigt diesen ,,areaktiven" Typ der Fa- seralteration.

Die ,,vitalen" Faserverfinderungen waren bei den exogen gesch~idigten FNlen vorgekom- men, nie jedoch bei den Vergleichsf~llen ohne Schadenseinwirkung. Sie waren selbst bei jenen F~llen vorhanden, die die Sch~digung nur sehr kurz fiberlebt hatten.

Identische histologische Ver~nderungen fanden wir in der Ileopsoasmuskulatur bei s~imtlichen der vorgestellten 32 F~lle, die an einer Unterk~hlung verstorben waren. Die Diagnose der Todesart stfitzte sich zun~chst auf die Todesumst~nde und die Fundverh~ltnisse (Jahreszeit; im Freien, Schnee, Regen, K~lte) sowie auf die klassischen K~ltezeichen (hellrote Blutfarbe, Frostflecken, Wischnewski- Erosionen, Acetonurie). Darfiberhinaus fanden wir Blutungen in der Becken- binnenmuskulatur, und zwar bei 24 Leichen schon makroskopisch und in 8 F~I- len nur mikroskopisch.

Hier erhebt sich nun die Frage nach dem kausalen Zusammenhang der Be- funde der Muskelhistologie mit dem Unterkfihlungsvorgang und damit nach de- ren Bedeutung fur die Diagnose des K~ltetodes. Aus den erwfihnten eigenen Untersuchungen [23, 24] wissen wir, dab Muskelgewebe unterschiedslos auf alle Arten schfidigender Einflfisse reagiert. Von daher gesehen ist zun~chst ein ein- deutiger RtickschluB auf eine bestimmte Schadensursache nicht m6glich, wohl abet eine Eingrenzung dutch Beizug der fibrigen Sektionsbefunde. In erster Li- nie k~men eine direkte stumpfe oder scharfe Gewalteinwirkung in Frage. Sie scheiden aus, wenn Verletzungsbefunde in der ~uBeren Weichteilschicht fehlen. Es ist unvorstellbar, dab bei mechanischem EinfluB die Haut unversehrt bleibt, die Ileopsoasmuskulatur jedoch trotz geschfitzter Lage Schaden nimmt. Dies gilt sinngem~B auch ftir andere Arten von exogenen physikalischen Sch~idigungen. Toxische Agentien - speziell Ethanol - oder ein schweres infekti6s-toxisches Geschehen k6nnen ebenfalls Rhabdomyolysen hervorrufen [9, 10, 18]. Diese k~men dann abet generalisiert vor, und toxikologisch-chemisch mt~Bten irgend- welche Giftstoffe aufzufinden sein. Sind abet die Resultate der einschl~gigen Analysen negativ und die histologischen Verfinderungen auf die Rumpfmusku- latur beschr~nkt, so k6nnen toxische Einflfisse auger Acht bleiben. Unter Be- rticksichtigung der Fundsituation und der meteorologischen Umst~nde bleibt dann nurmehr die Hypothermie als Ursache des Muskelschadens tibrig, die dann auch als entscheidend ft~r das Todesgeschehen bezeichnet werden kann.

Die klassischen Unterkahlungszeichen (hellrote Blutfarbe/Frostflecken/Wi- schnewski-Blutungen) waren in unserem Fallkollektiv nicht durchwegs vorhan- den, sondern nur bei 11 der 32 F~lle. 15mal waren nur zwei Zeichen, 3real nur ein einzelnes Merkmal ausgebildet; bei 3 F~llen fehlten sie. Diese H~iufigkeiten decken sich einigermaBen mit der allgemeinen Erfahrung [4, 8, 30] und zeigen fiberdies, dab sich K~iltezeichen nicht in jedem Fall manifestieren mfissen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Diagnose ,,Unterk~hlung" m6glichst breit auf verschiedene Einzelbefunde abgestfitzt werden soll; oft ist sie nur per exclusio- nem zu stellen. Die zus~itzliche Verwertung der Befunde der Muskelhistologie

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ist folglich zusammen mit allen iibrigen Befunden wertvoll - gelegentlich sogar entscheidend, zumal im eigenen Kollektiv mikroskopische Fasernekrosen der I leopsoasmuskulatur mit Regelmfigigkeit, Muskelblutungen jedoch nur bei 24 der 32 F~ille vorhanden waren (Tabelle 1).

Die erfolgversprechende Anwendung der Muskelhistologie setzt voraus, dab einige Besonderhei ten bei der Probenasservierung und -verarbeitung beriick- sichtigt werden. Nach unserer Erfahrung sind die Ver~inderungen vorzugsweise in den ursprungsnahen Muskelabschnitten zu finden, und zudem scheinen sie in den Iliacusmuskeln deutlicher und zahlreicher ausgepr~igt zu sein als in den Pso- asmuskeln.

Andere Partien der Rumpfmuskulatur wurden bislang nicht systematisch untersucht, sondern nur fallweise der M. quadratus lumborum. Er zeigte die gleichen Fasernekrosen. Dies erscheint angesichts des engen topographischen Bezugs zur Ileopsoasmuskulatur nicht ungew6hnlich. Fiir sp~itere Untersuchungen wird es zweckm~if3ig sein, routinem~iBig weitere Muskelgruppen des Rumples in die Untersuchung einzubeziehen.

Die makroskopisch schon auf Anhieb erfal3baren Ileopsoasblutungen kamen nur in knapp der Hfilfte unserer F~ille vor. Die sorgf~iltige Pr~iparation in sog. ,,ktinstlicher Blutleere" bringt indessen fast immer Gewebsblutungen zu Tage. Sie kOnnen dann allerdings sehr diskret ausgebildet sein und an der Grenze der Erkennbarkei t fiir das bloge Auge liegen.

Die Untersuchung der Beckenbinnenmuskulatur in ktinstlicher Blutleere erfolgte in Anleh- hung an die entsprechende Empfehlung von Merkel und Walcher [19] ffir die Pr~iparation der Halsorgane. Zun~ichst werden die Abdominalorgane - eingeschlossen die Iliacalgef~Be - in i~blicher Weise entfernt, ohne die Faszie fiber den Ileopsoasmuskeln zu besch~idigen. Nach griindlicher Entfernung von allf~llig freiem Blut aus dem Bauchraum - speziell im kleinen Becken - werden die Faszien des Psoas- bzw. Iliacusmuskels mit Skalpell und Pinzette abge- tragen, das Muskelgewebe durch etliche faserparallele Lfingsschnitte aufgebl~ittert und die Proben sehr sorgsam und unter Vermeidung yon Zug entnommen.

Eine weitere Besonderheit ist die, dab die Verteilung der Muskelalterat ionen nicht homogen ist. Es reicht daher die Asservierung eines einzelnen Gewebe- stiickes zur Erfassung der Befunde in der Regel nicht aus; vielmehr miissen Pro- ben aus mehreren Stellen entnommen und histologisch untersucht werden. Beim eigenen Kollektiv waren es durchschnittlich 5 bis 6 Gewebsbl6cke pro Fall. Wichtig ist auch, dab die Muskelfasern mit ihrer L~ingsachse in der Schnittebene zu liegen kommen. Nur in dieser Lage k6nnen die maggebenden morphologi- schen Ver~inderungen dargestellt werden. Die Probenasservierung und -einbet- tung ist danach auszurichten.

Bode et al. [3] konnten imTierexperiment keine kgltebedingten Muskelblutungen im K6rper- kern auffinden vergleichbar unseren Befunden; sie zogen daher unsere Beobachtungen [5] in Zweifel. Sie hatten die Psoasmuskeln an Quer- und nicht an L~ingsschnitten untersucht. Dies k6nnte erkl~iren, weshalb sie die entscheidenden Alterationen nicht sahen.

Als histologische Farbstoffe haben sich H~imatoxylin-Eosin (HE) und Phosphor- wolframs~iure (PWS/PTAH) bewghrt [23, 24]. Die mit H E geffirbten Schnitte lassen vor allem H~imorrhagien und entziindliche Infiltrationen erkennen; die sarkoplasmatischen Umgestal tungen bleiben jedoch undeutlich. Sie werden durch F~irbung mit PWS augenf~illig. Entscheidend sind hierbei nicht Variatio- nen der Anffirbbarkeit - diese sind belanglos und ohne diagnostischen Aussage- wert - sondern ausschlieBlich die strukturellen Umgestal tungen.

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Ft~r das Verst~indnis der Kausal- und Formalgenese der histomorphologischen Verfinderungen an den Ileopsoasmuskeln ist vom Sch~digungsprinzip des Un- terktihlungsvorgangs auszugehen, n~imlich der Gewebshypoxidose aufgrund des Zusammenwirkens der Hypoperfusion zufolge der Kreislaufzentralisierung mit der starken O2-Bindung des unterkt~hlten Hgmoglobins [34]. Im K6rperkern ist die Thermoneogenese besonders aktiv, die oxidativen Vorgfinge sind entspre- chend gesteigert [1, 5, 27, 34]. Einen wichtigen Anteil an der W~rmebildung ha- ben hierbei die Rumpfmuskeln, u.a. die Ileopsoasmuskulatur. Sie kommen des- halb vorzugsweise in den Zustand der Hypoxie, wodurch die Muskelfasern im Niveau der kontraktilen Elemente Schaden nehmen. In der K6rperschale indes- sen nimmt die Temperatur im Rahmen der Unterktihlung ab, die Stoffwechsel- vorgfinge werden hier gedrosselt und folglich auch der O2-Bedarf, so dab hypo- xische Gewebssch~iden zunfichst ausbleiben.

Aus frt~herer Erfahrung wissen wir, dab nicht alle Muskelfasern gleichzeitig Schaden nehmen [23, 24]. Dies hat zur Folge, dab die noch intakten, kontrak- tionsffihigen Fasern an den schon geschfidigten Zug aust~ben, sie dadurch zerrei- Ben und auf diese Art das histologische Bild der Faserfragmentationen und -seg- mentat ionen entstehen lassen. Gleichzeitig werden die begleitenden Kapillaren tiberdehnt, wodurch sie zerreigen und bluten. Hinzu kommt noch die direkte Hypoxiewirkung an den Kapillarstrukturen, welche Diapedesis- und Rhexisblu- tungen begtinstigt.

Abschliel3end sei auch noch auf die Frage nach einem Zusammenhang zwi- schen einer Alkoholisierung und den Muskelver~inderungen eingegangen. Ver- schiedene Untersucher haben entsprechende Hinweise aus klinischen Beobach- tungen an Menschen und experimentellen Untersuchungen an Tieren gewonnen [9, 10, 18]. Weitgehende Einigkeit besteht in der Ansicht tiber den direkt zytoto- xischen Effekt von Ethanol bzw. Azetaldehyd infolge St6rung des Energiemet- abolismus. Unterschiedlich sind jedoch die Auffassungen daraber, ob eine A1- koholintoxikation allein oder nur zusammen mit weiteren Faktoren zu Rhabdo- myolysen ft~hrt. Knapp die H~lfte der eigenen 32 F~lle war alkohol-negativ, 5 F~ille hatten eine BAK bis 1 Gew%o, bei 3 F~illen lag sie zwischen 1 und 2 Gew%o und bei 6 FNlen dart~ber; 4mal war nicht auf Alkohol untersucht worden. Der Vergleich des , ,alkohol-n~chternen" mit dem ,,alkoholisierten" Fallkollektiv er- gab beztiglich der Muskelfaserver~inderungen keine aufffilligen Unterschiede. Damit ist die histiotoxische Ethanolwirkung nicht in Abrede gestellt, nur scheint sie ftir das Auftreten der beschriebenen Faseralterationen beim Unterkfihlungs- tod nicht ausschlaggebend zu sein.

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