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Nervenarzt 2012 · 83:595–603 DOI 10.1007/s00115-011-3417-1 Online publiziert: 26. April 2012 © Springer-Verlag 2012 P. Brieger 1  · L. Bode 2  · R. Urban 3  · A. Pfennig 4 1  Bezirkskrankenhaus Kempten, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm, Kempten (Allgäu) 2  Neurologisch-Psychiatrisches Zentrum Eisenach 3  Nervenärztliche Praxis, Berlin 4    Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum  Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Versorgung von Menschen  mit bipolar affektiven  Störungen in Deutschland Welche Relevanz hat die S3-Leitlinie? Bei einer 12-Monats-Prävalenz von 0,9% sind – wenn eine enge Krank- heitsdefinition angewandt wird – in der Europäischen Union ca. 3 Mio. Menschen von einer bipolar affekti- ven Störung betroffen [27]. Die so- zialmedizinische und versorgungs- politische Bedeutung ist erheblich: Bezogen auf die durch Beeinträchti- gung und vorzeitigen Tod verlorenen „gesunden“ Lebensjahre („disability- adjusted life years“, DALYs) steht die bipolar affektive Störung auf Platz 6 der neuropsychiatrischen Störun- gen – nach unipolarer Depression, Al- koholabhängigkeit, Demenz, Schlag- anfall und Drogenabhängigkeit, je- doch u. a. vor der Schizophrenie. Da- bei ist aber das gemeindepsychiatri- sche Versorgungssystem in Deutsch- land überwiegend am Paradigma der „Schizophrenie“ orientiert, störungs- spezifische Konzepte finden in der Gemeindepsychiatrie erst allmählich größere Beachtung [5]. Der Krankheitsverlauf bipolar affekti- ver Störungen ist interindividuell höchst unterschiedlich [15]. Ein Teil der Betrof- fenen zeigt längerfristig keine oder nur geringe Beeinträchtigungen des sozialen Funktionsniveaus, eine relevante Gruppe erleidet dagegen aber dauerhafte Beein- trächtigungen (auch im Sinne der „Be- hinderung“ gemäß dem deutschen So- zialrecht). Die 2010 durchgeführte Analy- se von Versorgungserfahrungen bipolarer Patienten in Deutschland [19] hat selbst in der Gruppe der in der Deutschen Ge- sellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) organisierten Patienten Verbesserungs- potenziale aufgezeigt. Die Verteilung von Ressourcen in unserem Gesundheitssys- tem ist ein kontroverses Thema: Stehen sie den Schwerstkranken und Bedürftigs- ten zur Verfügung oder findet eine Steue- rung dahingehend statt, dass vermeint- lich leichtergradigen Erkrankten nieder- schwelligere Hilfen zur Verfügung ste- hen? Bei begrenzten Ressourcen ist dies ein ethisches und gesundheitsökonomi- sches Problem [16, 20], das gerade ange- sichts der vielfältigen Verlaufstypen bi- polarer Erkrankungen relevant ist. »   Der Trialog bindet  Angehörige, Betroffene  und „Profis“ ein In einer Metaanalyse zur Qualität ins- titutioneller Hilfen für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen [24] wurden Faktoren identifiziert, die eine „gute Versorgung“ gewährleisten (s. . Infobox 1); in ihnen spiegeln sich auch Konzepte wider, die dem Konzept „reco- very“ entsprechen [1]. Trialogische Vor- gehensweisen – d. h. die Einbindung von Angehörigen, Betroffenen und „Profis“ – ist dabei ein Qualitätsmerkmal, das in der Entwicklung der S3-Leitlinie Bipolare Stö- rung ein Grundprinzip war [7]. Leitthema Infobox 1Evidenzgeprüfte Fak- toren einer guten Versorgung für  Menschen mit chronischen psychi- schen Erkrankungen. (Nach [24]) F   Gemeindenähe F   Flexibilität der Hilfen F   Geringe „Dichte“ für Nutzer, größtmög- liche Privatsphäre F   Spezifische, evidenzgeprüfte Interventio- nen (z. B. Psychotherapie oder „supported  employment“) als Teil der Standardver- sorgung F   Vermeidung von Zwang und Gewalt F   Angemessene Ausbildung der Mitarbeiter  einschließlich des Angebots der Super- vision und des Erlernens von Maßnahmen  der Deeskalation F   Einbeziehung der Nutzer bei Entschei- dungen F   Gewährleistung positiver therapeutischer  Beziehungen F   Umsetzen klinischer Leitlinien 595 Der Nervenarzt 5 · 2012|

Versorgung von Menschen mit bipolar affektiven Störungen in Deutschland

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Page 1: Versorgung von Menschen mit bipolar affektiven Störungen in Deutschland

Nervenarzt 2012 · 83:595–603DOI 10.1007/s00115-011-3417-1Online publiziert: 26. April 2012© Springer-Verlag 2012

P. Brieger1 · L. Bode2 · R. Urban3 · A. Pfennig4

1 Bezirkskrankenhaus Kempten, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm, Kempten (Allgäu)2 Neurologisch-Psychiatrisches Zentrum Eisenach3 Nervenärztliche Praxis, Berlin4  Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum 

Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden

Versorgung von Menschen mit bipolar affektiven Störungen in DeutschlandWelche Relevanz hat die S3-Leitlinie?

Bei einer 12-Monats-Prävalenz von 0,9% sind – wenn eine enge Krank-heitsdefinition angewandt wird – in der Europäischen Union ca. 3 Mio. Menschen von einer bipolar affekti-ven Störung betroffen [27]. Die so-zialmedizinische und versorgungs-politische Bedeutung ist erheblich: Bezogen auf die durch Beeinträchti-gung und vorzeitigen Tod verlorenen „gesunden“ Lebensjahre („disability-adjusted life years“, DALYs) steht die bipolar affektive Störung auf Platz 6 der neuropsychiatrischen Störun-gen – nach unipolarer Depression, Al-koholabhängigkeit, Demenz, Schlag-anfall und Drogenabhängigkeit, je-doch u. a. vor der Schizophrenie. Da-bei ist aber das gemeindepsychiatri-sche Versorgungssystem in Deutsch-land überwiegend am Paradigma der „Schizophrenie“ orientiert, störungs-spezifische Konzepte finden in der Gemeindepsychiatrie erst allmählich größere Beachtung [5].

Der Krankheitsverlauf bipolar affekti-ver Störungen ist interindividuell höchst unterschiedlich [15]. Ein Teil der Betrof-fenen zeigt längerfristig keine oder nur geringe Beeinträchtigungen des sozialen Funktionsniveaus, eine relevante Gruppe

erleidet dagegen aber dauerhafte Beein-trächtigungen (auch im Sinne der „Be-hinderung“ gemäß dem deutschen So-zialrecht). Die 2010 durchgeführte Analy-se von Versorgungserfahrungen bipolarer Patienten in Deutschland [19] hat selbst in der Gruppe der in der Deutschen Ge-sellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) organisierten Patienten Verbesserungs-potenziale aufgezeigt. Die Verteilung von Ressourcen in unserem Gesundheitssys-tem ist ein kontroverses Thema: Stehen sie den Schwerstkranken und Bedürftigs-ten zur Verfügung oder findet eine Steue-rung dahingehend statt, dass vermeint-lich leichtergradigen Erkrankten nieder-schwelligere Hilfen zur Verfügung ste-hen? Bei begrenzten Ressourcen ist dies ein ethisches und gesundheitsökonomi-sches Problem [16, 20], das gerade ange-sichts der vielfältigen Verlaufstypen bi-polarer Erkrankungen relevant ist.

»  Der Trialog bindet Angehörige, Betroffene und „Profis“ ein

In einer Metaanalyse zur Qualität ins-titutioneller Hilfen für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen [24] wurden Faktoren identifiziert, die

eine „gute Versorgung“ gewährleisten (s. . Infobox 1); in ihnen spiegeln sich auch Konzepte wider, die dem Konzept „reco-very“ entsprechen [1]. Trialogische Vor-gehensweisen – d. h. die Einbindung von Angehörigen, Betroffenen und „Profis“ – ist dabei ein Qualitätsmerkmal, das in der Entwicklung der S3-Leitlinie Bipolare Stö-rung ein Grundprinzip war [7].

Leitthema

Infobox 1  Evidenzgeprüfte Fak-toren einer guten Versorgung für Menschen mit chronischen psychi-schen Erkrankungen. (Nach [24])

F  GemeindenäheF  Flexibilität der HilfenF  Geringe „Dichte“ für Nutzer, größtmög-

liche PrivatsphäreF  Spezifische, evidenzgeprüfte Interventio-

nen (z. B. Psychotherapie oder „supported employment“) als Teil der Standardver-sorgung

F  Vermeidung von Zwang und GewaltF  Angemessene Ausbildung der Mitarbeiter 

einschließlich des Angebots der Super-vision und des Erlernens von Maßnahmen der Deeskalation

F  Einbeziehung der Nutzer bei Entschei-dungen

F  Gewährleistung positiver therapeutischer Beziehungen

F  Umsetzen klinischer Leitlinien

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Methodische Aspekte

Besonders beim Thema „Versorgung“ waren in der Leitlinienentwicklung die unterschiedlichen Interessen der beteilig-ten Akteure zu bedenken: Niedergelasse-ne Psychiater und Nervenärzte, niederge-lassene Psychologen verschiedener The-rapierichtungen, Hausärzte, Klinik ärzte, Betroffene und Angehörige haben je-weils ihre eigenen Vorstellungen und Er-fahrungen, wie eine „gute Versorgung“ zu gewährleisten ist. Natürlich ist eine Leit-linie eine Verlockung, dem „eigenen“ Sek-tor eine besondere Betonung zukommen lassen. Es gelang aber im Leitlinienprozess Partialinteressen hintanzustellen und aus der vorhandenen Evidenz Empfehlun-gen zu extrahieren, die im Konsens aller beteiligten Gruppen verabschiedet wer-den konnten und der Methodik einer S3-Leitlinie folgen. Die trialogische Orien-tierung, die professionelle Moderation durch die Arbeitsgemeinschaft der Wis-senschaftlichen Medizinischen Fachge-sellschaften (AWMF) und eine konstruk-tive und lösungsorientierte Herangehens-weisen der Leitlinienarbeitsgruppen wa-ren hier entscheidend. Folgende Schwie-rigkeiten zeigten sich bei der Evidenz-bewertung:F  die Tatsache, dass evidenzbasierte

Studien in der Versorgungsforschung deutlich komplexer durchzuführen sind als in der pharmakologischen Forschung [10] und entsprechend ein prinzipielles Ungleichgewicht bezüg-lich entsprechender randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) besteht;

F  die geringe Zahl an störungsspezifi-schen RCTs, die speziell die Versor-gung bipolar affektiver Störungen untersucht haben;

F  das Problem, wie aus unspezifischen Studienstichproben (z. B. zu Popula-tionen, die mit „severe mental disor-ders“ [17] definiert waren) Evidenz für Menschen mit bipolar affektiven Störungen extrahiert werden kann;

F  die begrenzte Übertragbarkeit inter-nationaler (vor allem britischer und US-amerikanischer) Studien auf das deutsche Gesundheitssystem.

Auch wenn eine kleine, aber wachsen-de Zahl von Untersuchungen darauf hin-weist, dass in der Gemeindepsychiat-rie störungsspezifische Kompetenz der Standardversorgung überlegen ist [14], wird dieses Thema emotional diskutiert; für manchen „Sozialpsychiater“ ist „Stö-rungsspezifität“ bis heute nicht akzepta-bel. Für die jetzt vorgelegte Leitlinie folg-ten wir dennoch diesem Paradigma der Störungsspezifität.

Trialogische Hilfen – Selbsthilfe

Mehr als die Hälfte der psychisch kranken Menschen leben in der Familie. Während die professionelle Seite „von der Krank-heit lebt“, müssen die Angehörigen „mit der Krankheit leben“. Viele Angehörige chronisch psychisch kranker Menschen erkranken aufgrund des anhaltenden Dauerstresses langfristig selbst und wer-den behandlungsbedürftig belastet. Häu-fig, insbesondere bei wiederholten aku-ten Manien, führt die bipolare Erkran-kung letztlich zum Zerbrechen der Part-nerschaft bzw. der familiären Bindung. Eine psychische Erkrankung trifft nie nur den Betroffenen allein, sondern immer das ganze soziale Umfeld mit. Einbezie-hung der Angehörigen in die Behandlung einer bipolaren Störung sollte immer an-gestrebt werden – das sollte auch spezielle Angehörigengruppen umfassen. Eine ran-domisierte kontrollierte Studie hatte ge-zeigt, dass eine Familienintervention bei den Angehörigen einen signifikanten Ef-fekt auf depressive Symptomatik der Be-troffenen hatte [18] – ein Hinweis, wie be-deutsam Angehörigenunterstützung ist.

Der Bereich der Betroffenenselbsthil-fe wird in diesem Heft von Gielen et al. dargestellt [7]. Selbsthilfegruppen und der Einsatz von „Genesungsbegleitern“ ( EX-IN) im Versorgungssystem sind wertvolle Ansätze [25]. Solche Angebote profitieren oft von der Unterstützung pro-fessioneller Helfer, zumindest in der Im-plementationsphase.

Versorgungskonzepte für Menschen mit bipolar affektiven Störungen

Zwei große US-amerikanische RCTs be-trachteten die spezifische Versorgung bi-polar affektiver Störungen. Das Collabo-rative-Care-for-Bipolar-Disorders-Pro-gramm [3, 4] und eine Studie aus Wa-shington State [21] stellten eine Interven-tionsgruppe einer Gruppe mit Standard-behandlung gegenüber. Die Collabora-tive-Care-for-Bipolar-Disorders-Pro-gramm untersuchte 306 Patienten über 3 Jahre, die Untersuchung von Simon et al. 441 Patienten über 2 Jahre. Es gelang jeweils, in der Interventionsgruppe ma-nische Episoden zu reduzieren. In der Untersuchung von Simon et al. waren dies 5,5 Wochen in 2 Jahren [21], in der Unter-suchung von Bauer et al. 6,2 Wochen in 3 Jahren [3, 4].

Beide Studien brachten vergleichbare Interventionen zur Anwendung: Jeweils waren Psychoedukation, Supervision der Behandler und ein verbindliches Behand-lungskonzept mit Terminmanagement und telefonischen Kontakten, teilweise auch nachgehenden Hausbesuchen, zen-tral. Dahinter steht letztlich die Erkennt-nis, dass wohl drei Aspekte für die Versor-gung von Menschen mit bipolar affektiven Störungen relevant sind und gestärkt wer-den müssen: Qualität der gemeindepsych-iatrischen Hilfen, Kontinuität und Koor-dination, Psychoedukation und Emp-owerment ([2], s. . Infobox 2).

Wenn diese drei Aspekte realisiert wurden, führte dies im Gruppenmittel zu einer Verbesserung des Verlaufs bipolar affektiver Störungen (weniger manische Episoden). Ob hier einzelne Versorgungs-elemente oder ihr Zusammenspiel wirk-sam sind, ist nicht berichtet.

Positive Effekte sind möglicherweise bereits mit überschaubarem Ressourcen-

Infobox 2  Essenzielle Faktoren einer guten Versorgung von Men-schen mit bipolar affektiven Stö-rungen. (Vgl. [2])

1.   Qualität der gemeindepsychiatrischen Hilfen Eine an Leitlinien orientierte The-rapie (insbesondere medikamentös), die einfach verfügbar ist und zuverlässig im Alltag umgesetzt wird.

2.   Kontinuität und KoordinationHier sind Konzepte von Case-/Care- Management und ein hohes Maß an  Verbindlichkeit erforderlich.

3.   Psychoedukation und EmpowermentStärken die Selbstverantwortung und Autonomie der Betroffenen

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Leitthema

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aufwand erreichbar: Eine Cluster-rando-misierte kontrollierte Interventionsstudie im britischen Gesundheitssystem unter-suchte eine störungsspezifische 12-stün-dige Schulung von gemeindepsychiatri-schen Teams zur besseren Rezidivprophy-laxe bipolarer Störungen im Vergleich zur Standardversorgung. Patienten, die in Re-gionen mit geschulten Teams betreut wur-den, hatten geringere Rezidivraten und ein über die Zeit besseres psychosoziales Funktionsniveau als Patienten aus Stan-dardversorgungsregionen. Da es sich um eine Machbarkeitsstudie handelte, waren die Fallzahlen mit 50 vs. 40 Patienten re-lativ gering [14].

D Bedeutsam sind aufsuchende, teambasierte gemeinde-psychiatrische Behandlungen.

Eine modellhafte Intervention im Sin-ne des „assertive community treatment“ wurde in Deutschland im Rahmen eines RCT, bei dem in der integrierten Versor-gung von Psychosekranken im Universi-tätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) auch bipolare Patienten behandelt wur-den, realisiert. Die bislang verfügbare wissenschaftliche Publikation berichtet aber nur die schizophrene Population der Untersuchung [13]. Es wurde eine kom-plexe Versorgungsstruktur geboten, die im Arbeitsbereich Psychosen des UKE ge-schaffen wurde. Diese umfasst eine Psy-chosespezialambulanz, eine Krisentages-klinik für junge Erwachsene, ein ACT-Team, eine Psychosenspezialstation und eine Tagesklinik der Klinik für Erwachse-nenpsychiatrie sowie Kooperationen mit niedergelassenen Fachärzten. Die Finan-zierung erfolgt durch verschiedene Kran-kenkassen. Es zeigte sich, dass durch das Therapiekonzept, das ein hohes Maß an Konstanz und Verbindlichkeit einschließt, weniger Symptome, ein besseres Funk-tionsniveau, höhere Lebensqualität und mehr Autonomie bewirkt wurde. Dass solche Effekte auch für bipolar erkrank-te Patienten gelten, kann gemutmaßt wer-den, auch wenn es nicht belegt ist.

Die Leitlinie kommt deswegen zu nachfolgenden Empfehlungen:

Statement der Leitlinie: Anzustre-bende Versorgungsstruktur (Versor-gung5). Ein strukturiertes Vorgehen be-stehend aus leitlinienorientierter ärztli-cher (medikamentöser) Therapie, ver-bindlicher und kontinuierlicher Behand-lung inklusive Telefonkontakten und Kri-senmanagement wie auch Angeboten der Psychoedukation und des Empowerments (d. h. Stärkung der eigenen Fähigkeiten) für Betroffene reduziert die Dauer mani-scher Episoden (Statement).

Statement der Leitlinie: Versorgungs-strukturen (Versorgung6). Für eine qua-litativ gute Versorgung von Menschen mit bipolar affektiven Störungen ist zu for-dern:F  zeitnaher Zugang zu entsprechen-

der qualifizierter störungsspezifischer psychiatrischer Behandlung, Psycho-edukation und psychotherapeutischer Behandlung,

F  Verfügbarkeit verbindlicher und bei Bedarf nachgehender Hilfen,

F  Verfügbarkeit von Kriseninterven-tionsbehandlungsplätzen (stationär ggf. teilstationär),

F  Zugang und Verfügbarkeit zu rehabi-litativen Angeboten mit störungsspe-zifischen Schwerpunkten, wenn Be-darf besteht,

F  Verfügbarkeit und Zugang zu stö-rungsspezifischen Selbsthilfegruppen.

Dabei muss das Versorgungssystem von einer Grundhaltung des Respekts und des trialogisch-partnerschaftlichen Umgangs zwischen Behandlern, Angehörigen und Betroffenen geprägt sein (Statement).

Akteure

Maßgebliche Gestalter der Versorgung sind im Sinne der partizipativen Entschei-dungsfindung die Patienten selbst, ihre Angehörigen und die Therapeuten bzw. Betreuenden. Letztere umfassen ärztli-che und nichtärztliche medizinische und nichtmedizinische Berufsgruppen wie:F  Ärzte der Primärversorgung/Haus-

ärzte,F  ambulant und stationär tätige Fach-

ärzte für Psychiatrie und Psychothe-rapie/Fachärzte für Psychiatrie/Fach-

Zusammenfassung · Summary

Nervenarzt 2012 · 83:595–603DOI 10.1007/s00115-011-3417-1© Springer-Verlag 2012

P. Brieger · L. Bode · R. Urban · A. Pfennig

Versorgung von Menschen mit bipolar affektiven Störungen in Deutschland. Welche Relevanz hat die S3-Leitlinie?

ZusammenfassungBipolar affektive Störungen sind häufig und folgenreich. In der S3-Leitlinie werden evi-denzbasierte Prinzipien der Versorgung die-ses Krankheitsbildes dargestellt. Auf der Basis einer trialogisch-partnerschaftlichen Grund-haltung haben sich als bedeutsam herausge-stellt: der zeitnahe Zugang zu qualifizierter störungsspezifischer Therapie inklusive Psy-choedukation/Psychotherapie, Angehörigen- und Selbsthilfegruppen, Verfügbarkeit ver-bindlicher und bei Bedarf nachgehender Hil-fen sowie berufliche und andere rehabilita-tive Angebote (bzw. Arbeitsangebote). Das momentane Versorgungssystem sollte im Sinne der Personenorientierung stärker sek-torenübergreifend organisiert sein.

SchlüsselwörterBipolar affektive Störung · Leitlinie · Evidenzbasierte Medizin · Psychiatrische Versorgung · Psychotherapie

Psychiatric care for subjects with bipolar disorder. Results of the new German S3 guidelines

SummaryBipolar affective disorders are frequent and have severe consequences. The German S3 guidelines outline the principles of evidence-based treatment of this condition. Based on a partnership with service users and their fam-ilies accessibility to illness-specific therapy in-cluding psychotherapy/psychoeducation, self-help groups for family members and for users are important. Other significant ser-vice aspects include assertive outreach and specific rehabilitation (including work). Psy-chiatric services in Germany remain scat-tered; therefore there is a need for more co-ordination.

KeywordsBipolar disorder · Guidelines · Evidence-based medicine · Community psychiatry · Psychotherapy

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ärzte für Nervenheilkunde und Ärzte in entsprechender Weiterbildung,

F  ambulant und stationär tätige Fach-ärzte für psychosomatische Medi-zin und Psychotherapie bzw. Fachärz-te für psychotherapeutische Medizin und Ärzte in entsprechender Weiter-bildung,

F  ambulant und stationär tätige psycho-logische Psychotherapeuten,

F  ambulant und stationär tätige Fach-ärzte für Kinder- und Jugendpsychia-trie und -psychotherapie und Ärzte in entsprechender Weiterbildung,

F  Ärzte anderer Gebietsbezeichnung mit der Zusatzbezeichnung Psycho-therapie,

F  Kotherapeuten inklusive Sozio-, Ergo- und Musiktherapeuten und Sozialarbeitern,

F  Gesundheits- und Krankenpfleger.

Selbsthilfe-, Betroffenen- und Angehöri-genverbände sind für die Gestaltung des Versorgungssystems wesentliche Partner wie auch die Kostenträger (Krankenkas-sen, Rentenversicherungen, Arbeitsver-waltung, Sozialhilfeträger und andere).

Die Akteure arbeiten in verschiedenen Settings bzw. Versorgungsebenen zusam-men. Im Übergang von der institutions-zentrierten zur personenzentrierten Ver-sorgung werden die Settings vielfältiger und weniger strukturbezogen [12]:

Im stationären Bereich werden Men-schen mit bipolar affektiven Störungen überwiegend in Fachkrankenhäusern für Psychiatrie, Psychotherapie und Psycho-somatik bzw. in Abteilungen für Psychi-atrie, Psychotherapie und Psychosoma-tik an Allgemeinkrankenhäusern behan-delt. Reine psychotherapeutisch-psycho-somatische Fachkrankenhäuser und Ab-teilungen an Allgemeinkrankenhäusern dagegen sind in der Versorgung bipolar affektiver Störung nicht vordergründig.

Bei der Betreuung von Patienten mit bipolaren Störungen kommt dem statio-nären Bereich besonders bei der diagnos-tischen Abklärung, im Rahmen von Ma-nien und schweren Depressionen (u. a. mit Eigen- oder Fremdgefährdung) und bei komplexen therapeutischen und so-zialen Herausforderungen Bedeutung zu.

Die ambulante Versorgung bipolar af-fektiver Patienten, findet überwiegend

durch Fachärzte für Psychiatrie und Psy-chotherapie bzw. Fachärzte für Psychiat-rie bzw. Fachärzte für Nervenheilkunde statt. Diese Versorgung kann in vertrags-ärztlichen Praxen oder in Institutsambu-lanzen stattfinden. Fachärzte für psycho-therapeutische Medizin bzw. Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psy-chotherapie und auch Ärzte anderer Ge-bietsbezeichnung mit der Zusatzbezeich-nung Psychotherapie übernehmen wie auch psychologische Psychotherapeuten eine wichtige Funktion in einer psycho-therapeutischen Behandlung der Erkran-kung. Hausärzte sind in vielen Regionen für die Basisversorgung bipolar affektiver Patienten unverzichtbar: Gerade im länd-lichen Raum ist die ambulante psychiatri-sche Versorgung oft so ausgedünnt, dass eine kontinuierliche Betreuung von bi-polar affektiven Patienten durch Fach-ärzte für Psychi atrie mangels Kapazitäten oder mangels Erreichbarkeit nicht reali-sierbar ist. Hier hat sich in vielen Regio-nen eine Kooperation zwischen Hausärz-ten und Fachärzten für Psychiatrie (so-wohl in der Praxis als auch in Instituts-ambulanzen) bewährt.

Die Arbeitsweise psychologischer Psy-chotherapeuten in der Versorgung bipolar affektiver Störungen hat sich in den letz-ten Jahren denen der ärztlichen Psycho-therapeuten angeglichen. Die entspre-chenden Verfahrenswege und Vorschrif-ten des Psychotherapeutengesetztes sind dabei relevant.

Psychiatrische Rehabilitation umfasst die Gesamtheit der Leistungen und Maß-nahmen, die dem Ziel einer Eingliede-rung bzw. Wiedereingliederung von Pa-tienten in die Gesellschaft dienen [22]. Wesentliche Bestandteile sind dabei Be-mühungen zur sozialen Rehabilitation und zur Rehabilitation in Arbeit und Be-ruf. Erwerbs- und andere Tätigkeiten sind für Menschen mit bipolar affektiven Stö-rung von hoher Relevanz: Sie haben ge-sundheitsfördernde und stabilisieren-de Effekte [8]. Der National Comorbidi-ty Survey [11] zeigte, dass bipolar affekti-ve Patienten in den USA 66 Tage pro Jahr arbeitsunfähig waren (im Gegensatz zu 28 Tagen pro Jahr bei unipolar depressi-ven Patienten). Bei Arbeitslosigkeit oder im Zuge der beruflichen Neuorientierung oder auch zum Erhalt oder dem Wieder-

erwerb der Arbeitsfähigkeit sind Maß-nahmen der beruflichen Rehabilitation von hoher Relevanz.

»  „Supported employment“ ist klassischen RPK-Maßnahmen überlegen

In der beruflichen Rehabilitation findet sich in Einrichtungen vom Typ der RPK (Rehabilitation für psychisch Kranke) ein nicht unerheblicher Anteil von Patienten mit bipolar affektiven Störungen. Hier ist von einer Zahl von etwa 20% der Teilneh-mer auszugehen [26]. „Supported emp-loyment“ stellt die Platzierung am al-ten oder neuen Arbeitsplatz in den Mit-telpunkt („first place, then train“). Die-ser Ansatz wurde in seiner Wirksam-keit in einer Vielzahl von Untersuchun-gen bezüglich der Wiedereingliederungs-quote belegt. Aus europäischen, diagno-seübergreifenden Studien gibt es Hinwei-se, dass „supported employment“ klas-sischen RPK-Maßnahmen überlegen ist [6, 9]. Hier bieten stärker sozial ausge-richtete Staaten, wie das die Bundesre-publik Deutschland im Vergleich zu den USA darstellt, mehr Möglichkeiten, die genutzt werden können. So ist beispiels-weise die sog. „stufenweise Wiederein-gliederung“ nach längerer Krankheit eine wertvolle Intervention: Der Patient kann unter Fortzahlung seiner Krankengeldbe-züge durch die gesetzliche Krankenversi-cherung (GKV) bis zu einem halben Jahr lang mit langsam steigender Belastung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz beschäf-tigt werden.

Statement der Leitlinie: Berufliche Re-habilitation/Arbeit (Versorgung1). Für Menschen mit bipolaren Störungen ist der Erhalt bzw. die Schaffung von Arbeitsplät-zen von hoher Relevanz, da berufliche Tä-tigkeit gesundheitsfördernd wirkt. Deswe-gen sollten Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation und Integration ausgebaut und angeboten werden. Neuere Untersu-chungen weisen darauf hin, dass „suppor-ted employment“ besonders erfolgreich ist (Klinischer Konsenspunkt, KKP).

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Leitthema

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Schnittstellen

In Deutschland ist die Zersplitterung der Finanzierung des psychiatrischen Versor-gungssystems ein grundlegendes Prob-lem. Eine Koordination und Abstimmung entsprechender Leistungsanbieter – auch und gerade mit den Nutzern – wird aller-orts gefordert. Durch gemeindepsychiat-rische Verbünde (GPV) bestehen in meh-reren Regionen Konzepte dafür. Es gibt hier aber Schwierigkeiten in der konkre-ten Umsetzung. Störungsspezifische An-gebote (z. B. für Menschen mit bipolar af-fektiven Störungen) stehen dabei im Hin-tergrund. Durch die Zersplitterung ist die Überwindung von Schnittstellen häufig problematisch. Unzureichende Informa-tion über Versorgungsangebote, mangeln-de Abstimmung, missverständliche Kom-munikation und längere Wartezeiten füh-ren an diesen Punkten zu Schwierigkei-ten in der Versorgung und damit oft zu einer Verschlechterung des individuellen Befindens der Betroffenen. Wartezeiten finden sich im Bereich der niedergelasse-nen Ärzte, aber auch im Bereich bestimm-ter Rehabilitationseinrichtungen, teilwei-se auch bei Institutsambulanzen und Kli-niken. Bei psychologischen und ärztli-chen Psychotherapeuten sind sie flächen-deckend die Regel. Ob Sorgen vor Über-schreitungen der von den Kostenträgern zugestandenen Leistungsvolumina dazu führen, dass Patienten Leistungen vorent-halten oder diese später ausgeführt wer-den, ist bislang wenig systematisch unter-sucht worden, Befragungen weisen aller-dings in diese Richtung [23].

Schlussfolgerung

Wie ein Hilfesystem, das bipolar affektiv erkrankte Menschen möglichst gut be-handelt, aussehen sollte, ist überraschend unstrittig. Die in . Infobox 1 und . Info-box 2 dargestellten Prinzipien sind dabei Grundlage. Die organisatorische und fi-nanzielle Zersplitterung steht dem aber oft entgegen – diese zu überwinden, muss Ziel sein:

Statement der Leitlinie: Sektorenüber-greifende Versorgungs- und Finanzie-rungsmodelle (Versorgung4). Sektor-übergreifende Versorgungs- und Finan-

zierungsmodelle, die die strikte Tren-nung in ambulant, teilstationär und sta-tionär überwinden, sollten für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und somit auch für einen Teil der bipolar affektiven Patienten in Deutschland wei-terentwickelt werden (KKP).

Ein trialogisch orientiertes Versor-gungssystem mit hoher medizinisch-psy-chotherapeutischer Kompetenz, das be-darfsgerecht und ressourcenorientiert arbeitet und Sektorengrenzen überwin-det, ist nicht nur für den Bereich bipolar affektiver Störungen wünschenswert. Das gilt auch für den Bereich der beruflichen Rehabilitation. Störungsspezifisch sind dagegen medikamentöse Therapien, Psy-chotherapie, Psychoedukation, Selbsthil-fe und Angehörigenarbeit. Auch die stö-rungsspezifische Schulung von Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern in gemeinde-psychiatrischen Institutionen hat sich als effektiv erwiesen [14], wie gerade in der Arbeit mit bipolar affektiv erkrankten Menschen ein hohes Maß an Verbindlich-keit der Hilfen bedeutsam ist.

Wir wissen in Grundsätzen, wie ein besseres Versorgungssystem für bipolar affektiv erkrankte Menschen aussehen sollte. Probleme bereitet, das in die bun-desdeutschen gesundheitspolitischen Ge-gebenheiten umzusetzen. Dem niederge-lassenen Nervenarzt, der mit seinem Bud-get kämpft, dem Klinikpsychiater, der sich mit den Folgen des § 17d KHG (Kranken-hausfinanzierungsgesetz) abmüht, dem im sozialpsychiatrischen Dienst tätigen „Profi“, den Personalknappheit und über-bordende Dokumentation immer weiter weg vom Klienten führt, all ihnen fehlt allzu oft entsprechender Gestaltungswil-le oder Gestaltungsmöglichkeit.

Fazit für die Praxis

Evidenzbasierte Studien weisen darauf hin, dass durch eine Verbesserung der Versorgung die individuelle Krankheits-last von Menschen mit bipolar affektiven Störungen gemindert werden kann. Da-für ist notwendig,F  dass psychiatrische Institutsambu-

lanz und sozialpsychiatrisch orientier-te Praxen verbindlich und aufsuchend im Sinne des „assertive community 

treatment“ (ACT) arbeiten sollten – evtl. bis hin zum „home-treatment“,

F  dass flächendeckend störungsspezi-fische Psychoedukations- und Selbst-hilfegruppen angeboten werden wie auch störungsspezifische Psychothe-rapie,

F  dass lebensweltorientierte Arbeitsan-gebote im Sinne des „supported emp-loyment“ vorhanden sein sollten,

F  dass Betroffene und Angehörige im Sinne des Trialogs als Partner in we-sentliche Organisations- und Behand-lungsprozesse eingebunden sind.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. P. BriegerBezirkskrankenhaus Kempten, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität UlmFreudental 1, 87435 Kempten (Allgäu)[email protected]

Interessenkonflikte.  Der korrespondierende Autor weist für sich und seine Koautoren auf folgende Bezie-hungen hin:Prof. Dr. Brieger hat in den letzten 5 Jahren Vortrags-honorare bzw. Reisekosten von folgenden pharma-zeutischen Firmen erhalten: AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers-Squibb, GSK, Janssen, Lilly Deutschland, Lundbeck, Pfizer, Servier.Dr. Urban und Dr. Bode geben keine Interessenkonflik-te an. Frau Prof. Dr. Pfennig erhielt finanzielle Unter-stützung für wissenschaftliche Projekte von AstraZene-ca, einen Preis für die wissenschaftliche Arbeit von Gla-xoSmithKline sowie Vortragshonorare für eigene wis-senschaftliche Inhalte von AstraZeneca.

Literatur

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Leitthema

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U. Förstner, A.K. Külz, U. VoderholzerStörungsspezifische Behand-lung der ZwangsstörungenEin TherapiemanualKohlhammer 2011, (ISBN 978-3170194663), Broschiert

Das Therapiemanual „Störungsspezifische 

Behandlung der Zwangsstörungen“ bietet 

dem Leser eine Darstellung der klinischen 

Symptomatik der Zwangserkrankungen und 

ihrer psychologischen und biologischen Er-

klärungsmodelle sowie eine Anleitung zum 

psychotherapeutischen Vorgehen und zur 

adäquaten Psychopharmakotherapie.

Bei der Darstellung der Literatur zur klini-

schen Symptomatik und ihrer Pathogenese 

wird ausführlich auf die Epidemiologie, die 

diagnostischen Kriterien, die Differenzial-

diagnosen und häufigen Komorbiditäten, 

neurobiologische und psychotherapeutische 

Erklärungsmodelle und deren therapeutische 

Konsequenzen sowie ergänzende Therapie-

formen zur Zwangserkrankung eingegangen. 

Zu letzteren zählen die Autoren u. a. Selbsthil-

fetechniken in Form von Selbsthilfegruppen, 

Selbsthilfeprogrammen und das Lesen von 

Ratgebern. Gerade bei der Vielzahl an Patien-

ten, die auf einen hinsichtlich Zwangsstörun-

gen gut ausgebildeten und motivierten The-

rapeuten warten, sind die diesbezüglichen 

Informationen z. B. für Ärzte und Psychothe-

rapeuten, die Patienten auf eine Therapie zu 

einem späteren Zeitpunkt vertrösten müssen, 

sehr hoch zu schätzen.

Besonders wertvoll erscheint mir das Kapitel 

über die störungsspezifische Psychotherapie 

der Zwangsstörung. Es wird nicht nur die 

Durchführung von Exposition und Reaktions-

management beschrieben, sondern die 

Autoren stellen auf sehr interessante und 

praxisnahe Art und Weise typische Fehler 

und Fallstricke für den Therapeuten vor, wie 

z. B. die Einbeziehung des Therapeuten in das 

Zwangssystem. Weiterhin geben sie wichtige 

Hilfestellungen für das therapeutische Vor-

gehen – z. B. hinsichtlich des Aufdeckens der 

Determinanten der individuellen intrapsy-

chischen und interpersonellen Funktionalität 

einer Zwangserkrankung, die zu erkennen 

einen wesentlichen Schritt in der Diagnostik 

und Behandlung des Zwanges auf Patienten- 

wie Therapeutenseite darstellt. Hervorzuhe-

ben sind ihre Ratschläge hinsichtlich der Ziel-

analyse, um realistische symptombezogene 

Buchbesprechungen

und übergeordnete Ziele zu formulieren, und 

hinsichtlich des Umgangs mit Angehörigen, 

sodass das Angehörigengespräch nicht mehr 

nur als Herausforderung gesehen wird, son-

dern zur diagnostischen und therapeutischen 

Chance in störungsbezogener und syste-

misch-interpersoneller Sicht wird.

Die Ausführungen zur störungsspezifischen 

Pharmakotherapie der Zwangserkrankungen 

sind auf dem neuesten Stand der Wissen-

schaft, sie zeugen von Kenntnis der Praxis der 

Medikamentenbehandlung bei Zwängen, 

und sie geben Empfehlungen für das Vor-

gehen bei mangelndem Therapieerfolg. 

Allerdings wird nur aus der Kennzeichnung 

mit einem Sternchen in einer zusammen-

fassenden Tabelle klar, welche Substanzen in 

Deutschland überhaupt zur Behandlung von 

Zwängen zugelassen sind. 

Als verbesserungswürdig sind die Tabellen 

und Abbildungen des Buches zu erwähnen. 

Zum Teil fehlt eine ausreichende Beschriftung 

der Achsen und Kategorien, und die Unter-

schiede in den Grautönen bei Säulendiagram-

men sind teilweise schwer zu erkennen. Der 

Leser kann aber über ein internetbasiertes 

ContentPlus-System, für das ein Zugangscode 

im Buch enthalten ist, diese Abbildungen 

sowie weitere Arbeitsmaterialien und Fallbei-

spiele in digitaler Form erhalten.

Insgesamt handelt es sich bei der „Störungs-

spezifischen Behandlung der Zwangsstö-

rungen“ einerseits um eine informative und 

interessant zu lesende Zusammenfassung des 

aktuellen und relevanten Forschungsstandes 

und andererseits um eine ausgezeichnete 

Anleitung zur Psychotherapie der Zwangs-

störung für klinisch tätige Ärzte und Psycho-

logen, bei der auch wichtige Details nicht 

fehlen.

H. Himmerich (Leipzig)

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