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V e r z 6 g e r t e A n g e b o t s a n p a s s u n g u n d p a r t i e l l e s G l e i c h g e w i e h t
Von Wassily W. Leontief, Cambridge, Mass.
I Die Tatsache, daft eine zeitliche Diskrepanz zwisehen Angebots. uncl
Nachfragereaktionen als wichtiger Faktor bei der Bestimmung des wirtsehaft- lichen Gleichgewichtes auftreten kann, ist schon den ~lteren Wirtschafts- theoretikern bekannt gewesen. ]~s ist aber ein besonderes Verdienst yon Professor Ricci , Professor Sehu l t z , Dr. T i n b e r g e n und Dr. R o s e n s t e i n - R o d a n , das Problem in seiner vollen Tragweite erkannt nnd einer exakten wissenschaftlichen Analyse zug~nglieh gemacht zu haben. Die folgenden Ausfiihrungen enthalten einen Versuch, die Ergebnisse ihrcr Untersuehungen in einer gewissen Richtung zu erweitern un4 hierauf einige Sehliisse in Bezug auf das Stabilit~tsproblem des partiellen Gleichgewichtes zu ziehen.
Gegeben ist einc Marshal lsche l~achfragekurve und eine Angebots- kurve (Abb. I, 2 und 3). Die erstere stellt den Nactffragepreis p a l s eine Funktion der gekauften Menge, q, dar,
p = / (q) (1)
die zwei~ gibt die Angebotsmenge als eine Funktion des Preises an, z)
q = ~ (p) (2)
Das Kurvenpaar erfiillt folgende allgemeine Bedingungen. 1. Beide ~nk t ionen sind kontinuierlich und an allen Stellen~differen-
zierbar. 2. Beide Funktionen sind monoton: Die Nachfragekurve ist~iiberall
naeh reehts abs~eigend / ' (q) < o (3)
die Angebotskurve dagegen iiberatl nach rechts ansteigend 2)
~o' (p) > o (4)
3. Beide Kurven haben einen gemeinsamen Sehnittpunkt M mit den Koordinaten Q und P. Dieser Punkt wird im weiteren als der , ,Marshall- sehe P u n k t " erw/~hnt werdcn.
I I Unsere Problemstellung entspringt der Tatsaehe, dal3 das Angebot
sieh an eine gegebene Marktsituation langsamer anpaBt als die Nachfrage. (Ira FaUe eines uingekehrten ,,lag" muI~ man alle folgende ]~rgebnisse sozu- sagen mit einem negativen Vorzeichen versehen.) Diese eigentiimliehe Kon-
1) Der Stetlenwechsel zwischen der abh~ingigen und der unabh~ngtgen Vartablen empfiehlt sich aus techntschen Gr~nden.
~) Fiir die meisten ira. weiteren gewonnenen ~rgeb~isse sind die etwas allgemeineren Bedingungcn, p (q) < o und ~ (p) > o genilgend.
W. W. Leon~ief: Verz6gerte Angebotsanpassung u. pal~. Gleichgewicht 671
stellation ergib~ Zickzack- oder weltenartige Preis- und Mengenschwankungen, welche durch das bekannte ,,Spinnwebenhild" veranschaulicht werden kSnnen.
P~
P
. / j
Abb. 1.
Ist, unter den gegebenen Bedingungen, in einer bestimmten Zeitperiode die Menge % (siehe Abb. I) angeboten worden, so wird die momentane Nach-
\ ¢ cq-)
+ A
~o gl
Abb. 2.
frageanpassung den Preis Po ergeben (Punkt too). Die Produktion wird darauf- bin gesteigert und das Angebo~ na~hhinkenderweiso im n~chsten Zeitab- sohnitte his auf ql vergr6Bert (Punkt ml)- Nunmehr f~llt der Preis bis Pl (Punkt m~) und das Angebot wird dementsprechend fiir den folgenden Zeit-
672 ~7. W. Leontief:
absehnit~ auf q2 verringer~. Dann erfolgt eine neue Preissteigerung, das Angebot w~chst wieder usw. Abb. 1 steltt einen Fall dar, in welehem die eekige Spirale der sukzessiven Preis- und Mengenschwankungen, gleiehsam durch eine ,,zentripetale" Kraft getrieben, sieh dem Marshallsehen Sehnitt- punkte M n~hert. Abb. 2 reprocluziert dieselben Angebots. und Naehfrage- kurven; der besehriebene ProzeB setz~ aber in einem anderen Punkte ein und die Sehwingungsspirale weist nunmehr eine ,,zentrifugale" Tenden~ auf. In Abb. 3 ist wiederum ein neuer Ausgaugspunkt genommen und der offene Zyklus verwandel~ sieh in ein gesehlossenes Viereek, welches ein be- st~ndiges, zyklisehes Auf und Ab der Preise und Nlengen bedeutet.
v
Abb. 3.
J
Die maBgebenden Eigenschaften der oben besehriebonen Preis- und Mengensehwankungen lassen sieh auf einfaehe Weise formelm~Big erfassen. Man bezeichne dureh D den Abstand zwisehen der beliebig ausgew~hlten Ausgangsmenge qo und clef Menge ~,, welehe dem SehluBpunkte n~ 8 der an qo anschlieBenden, vollen $ehwingung n~o, n~l, m2, m~ entsprieht:
D -- ~2 - - qo (5)
Die GrSl]e D kann die zyk l i s ehe V e r s c h i e b u n g cler Menge qo genann~ werden: D > 0 bedeutet eine R e e h t s v e r s e h i e b u n g (siehe Abb. 1), D < 0 eine L i n k s v e r s c h i e b u n g (Abb. 2) und D-~ 0 en~sprieh~ einer Gleieh- g e w i e h t s l a g e mit gesehlossenem Zyklus (Abb. 3). Eine n~here Betraeh~ung zeigt, da~ in allen Lagen, we qo < Q ist, D > 0 eine ,,zentripetale" und D < 0 eine ,,zentrffugMe" Tendenz des Kurvenverlaufs beden~et. Is~ abet qo > Q, so treten umgekehrt bei D > 0 erweiterte Sehwingungen und bei D < 0 zusammensehrumpfende auf.
Die Menge ~ kann als eine Funktion yon qo betraehtet werden. Die Ab. h~ngigkeitsbeziehung zwischen den beiden Mengen kann aus den folgendea vier Gleiehungen abgeleitet werden:
VerzSgerte Angebotsanpassung und partielles Gleiehgewicht 673
Po = ] (qo) ql = ~ (Po) (6)
Eine kettenweise Substitution ergibt:
~ = ~ q (~ (I (qo)))) (7)
Dutch Einse~zen in (5) erh~It man sehlieB1ieh:
D (qo) = ~ (I (~ (I (qo)))) -- qo (8)
Da sowohl ] (q) als auch ~p (p) kontinuierliche und differenzierbare Kurven sind, so mul~ aueh die Funktion D (qo) notwendigerweise diese Eigensehaften besitzen.
III
Die Bestimmungsformel (8) erSffnet uns die MSgliehkeit, das vorliegende Problem mit Hilfe der ~blichen kurvenanalytischen Methoden zu behande]n. Abb. 4 steltt den Verlauf einer beispietsweise gew~hlten Funktion J0 (q) graphisch d~r. Die variable Ausgangsmenge qo ist auf der horizont~len Koordinate aufgetragen, die vertikalen Abstiinde der dutch D (qo) bezeieh~ neten Kurve geben die entspreehenden (teilweise positiven un4 teilweise negativen) Werte dieser Funktion an.
An jeder Stelte, an weleher D (qo) die Nullaehse schneider {Q, q~, q~, q3 usw.), an der also D (qo) -~ 0 ist, befindet sieh ein Gleiehgewiehtspunkt. Alle dazwisehenliegenden Werte yon qo weisen eine Versehiebungstendenz auf. Es ist eine Reehtsversehiebung an allen Stellen, an denen D (qo) iiber der Nullaehse liegt und eine Linksversehiebung an allen Stellen, an welchen diese Kurve unterhalb der Nullaehse verliiuft.
Die obigen Betraehtungen fiihren zu einer Klassifikation der Gleieh. gewichtszust~nde in bezug auf die jeweils gegebenen S t ~ b i l i t ~ t s b e d i n - gungen . Diese letzteren h~ngen offensiehtlich yon den Verschiebungsten- denzen ab, welehe in der unmittelbaren Umgebung eines gegebenen Glelch- gewichtspunktes herrschen. Die Gleichgewichtsmenge q2 auf Abb. 4 ist z. B. stabil, weil die reehts an diesen Punkt unmittelbar ansehliel~enden (grS~eren) Mengenwerte eine linksgeriehtete Versehiebungstendenz auf- weisen, die links anschliel3enden (kleineren) Mengen aber einer reehtsgerieh- teten Versehiebungstendenz unterworfen sind. Die Versehiebungstendenzen in den an den Punkt ql angrenzenden Gebieten sind dagegen derart auseinan- dergerichtet, da9 eine Rfiekkehr zum urspriinglichen Gleichgewichtspunkte naeh einer kleinen zufiilligen StSrung tmmSglieh erseheint. Mit andern Worten: qz ist ein ~nstabfler Gleiehgewiehtspunkt.
Ein einfaehes mathematisehes Stabflit~tskriterium wird durch das Vorzeiehen der ersten Ableitung der Bestimmungsfunktion D (q0) geliefert. Die Differenzierung yon (8) ergibt daffir folgenden Ausdruek:
D' (qo) = ~' (/(~ (/(qo)))) • / ' (~o (/(qo))) .~' (/(qo)) • ]' (go) - - I = ~' (~,~)./' (~ ) . • ~' (po). I' (qo) -- i (9)
In den F~llen, in welehen D' (qc) = 0 ist, muB aueh die zweite Ableitung, D" (qo), in Betracht gezogen wer4en. Eine allgemeine Bespreehung tier mSgliehen Gleiehgewiehtssituationen ka~n durch die folgende, setbstver- st{indliehe Tabelle ersetzt werden:
Zeitschr. I. Nationalbkonomie, V. Bd., 5. H. 43
674 W . W . Leontief:
Gleichgewiehtsart
Beiderseits stabil . . . . . . Beiderseits unstabil . . . . Stabil nach reehts, un-
stabil nach links . . . . . Stabil naeh links, nn-
stabil nach reehts . . . Neutral . . . . . . . . . . . . . .
D (q.)
0
0 0
Merkmale
D' (%)
< 0 > 0
Dr' (qo)
> 0
> 0 0
Beispiel aus Fig. 4
Q, q2 ql, q~
nieht vorhanden
q3 Alle Punkte zwi- sehen q5 und qa
Eine einfache Betrachtung des Kurvenverlaufes in Abb. 4 ergibt zwei allgemeine S/~tze bezfiglich der gegenseitigen Lage der verschiedenen Gleich- gewichtspunkte:
1. Zwischen zwei stabilen Gleichgewichtslagen muB wenigstens eine unstabile vorhanden sein.
2. Besitzen zwei beliebig gewfihlte ~rerte yon qo entgegengesetzte Ver- sehiebungstendenzen, so mul] sich zwischen ihnen wenigstens eine Gleich- gewichtslage befinden.
Eine triviale t~berlegung zeigt, dab der M a r s h a l l s c h e Kurvensehnitt- punkt M (siehe Abb. 2 oder 3) notwendigerweise eine Gleiehgewiehtsmenge ergibt. Definitionsgem~B erh/ilt man:
/ (q) = p (P) = Q (lO)
Wiederholte Substitution in (8) ergibt:
D (Q) = ~ (] (~ (] (Q)) ) ) - -Q = Q - - Q --- o (11)
Im Gegensatz zu anderen mSgliehen Gleiehgewiehtslagen, yon denen jede eine endlose Folge bestandig sieh wiederholender Preis- und Mengen- sehwankungen bedeutet, stellt der M a r s h a l l s c h e Punkt einen Grenzfall dar, tier dureh absolute Unveriinderliehkeit yon Preis nnd ~enge ausgezeieh- net ist.
Die Gleichung (9) kann fiir den Marsha l l s ehen Punkt vereinfaeht werden:
D' (Q) = [~' ( P ) . f (Q)]~-- 1 <12)
Darans ergibt sieh ein folgendes Stabilit~tskriterium:
{ > 1 stabiles Gleiehgewicht } I ~' (P) I • f (Q) I = 1 neutrales Gleiehgewieht (13)
< 1 unstabiles Gleiehgewieht
wobei I q ' (P) Iund ]' (Q) I die numerischen Gradientenwerte der l~aehfrage- und de.r Angebotskurve am Orte ihres Sehnittpunktes bedeuten, x)
Jedem links yon Q liegenden Punkte der Kurve D {qo) (siehe Abb. 4) kann ein anderer, reehts yon Q liegender Punkt derselben Kurve eindeutig zugeordnet werden. Diese Korrespondenz wird besonders deutlich, wenn man eine GleiehgewiehCslage betraehtet: Abb. 3 zeigt, dal~ ein gesehlossener Zyklus notwendigerweise zwei Angebotsmengen einsehlieBt, yon denen die
1) Man beachte, daft die Neigungstangente p (Q)auf die q-Achse, die Neigungs- tangente ~r (p) aber auf die p=Aehse aufgetragen wird.
Verziigerte Angebotsanpassung und par t ie l les Gleichgewicht 675
eine, qo, (identisch mit q,t) rechts, und die andere, qz, l inks yon der der M a r s h a l l s c h e n Gleichgewichtslage M entsprechenden Menge Q gelegen isk ~)
Wendet man sich nunmehr wieder zu Abb. 4 und be~rachtet ein be- tiebig herausgew~hl~es Paa r solcher korrespondierenden Gleichgewichts- punkte, so zeigt es sich, dal3 die Neigung (die erste Ableitung) der Kurve D (qo) an beiden Stellen dieselbe sein muB))
Der Variabili t~tsbereich der Mengo qo kann fo]genderweise bes t immt werden: Man verschiebe den Ausgangspunkt der hypothetischen Preis- Mengenschwankungen, yon der M a r s h a l l s c h e n Gleichgewichtsmenge Q ausgehend, nach links. Die untere Schranke yon q0 (sie kann dutch mln qo bezeichnet werden) wird an dem Punk t erreich$, an welchem die eine yon den vier yon qo dlrek~ oder indirekt abh~ngenden Funk~ionen, ] (qo), ~ (Po), ] (qz), • (P~), zuerst entweder gleich Null wird, oder abe t wieder ihre obere oder untere Schranke finder,
~, (~ ) o (ca)
, . / " , , " [ ' ~ , . . , / I / ,-, , - [ '~
~ ' J ¢ , , ',../~~ ': \,~i /,~ ' , ~ l k / I ', I I m / ~ ', f - , . co--> i ~ ~ ~ - ~ - ~, ~ ~, , i •
\ o (qo)
Abb. 4.
Die obere Schranke yon qo (max qo) wird dutch den korrespondierenden, rechts yon der M a r s h a l l s c h e n Menge Q liegenden and dttrch die Gleichung max qo ~ ~ (] (rain qo)) definierten Mengenpmlk~ angegeben.
Die meisten empirisch vorkommenden Nachfrage. und Angebotskurven sind ~venigstens an einem ihrer Enden yon einer positiven, endiichen Gr6i3e begrenzt, der sie sich asymptot isch ann~hern. Als Beispiel genfigt es, auf
1) D e f i n i t i o n s g e m ~ erhi i l t m a n
~ = ~ (t (qo)) (14) Die Gle ichgewich tsbed ingung ftir qo l a u t e t :
( l (~ d (%)))) = qo (15) Durch eine beiderse i t ige Ver lSngerung der F u n k t i o n s k e t t e in (14) und Subs t i t u t ion
aus (15) erhfil t m a n : (/(~1)) = ~ (f (~ (/(q~)))) = qo (16)
E i n e wei tere Ver l~ngerung de r F u n k t i o n s k e t t e und Subs t i t u t i on aus (14) e rg ib t :
(~ (~ (] (q,)))) = ~ (] (qo)) = ~, (17) Die obere Gle ichung s te l l t a b e r d ie Gle ichgewich tsbed ingung fiir den P u n k t q~ dar .
~) Dif ferenzierung y o n (17) e rg ib t :
D, (~,) = ~, (~,). p (q~). ~, (po). I, (~) - - 1 (~s) Die rech te SeRe dieser Gle ichung i s t iden t i sch m i t dem en t sp rechenden A u s d r u c k
in Formel (9), Daraus foIgt abe r die Ident i t~i t der be iden Di f fe renz ia lquo t ien ten
D ' ( ~ 1 ) = D I (qo) (19)
43*
676 W.W. Leonfief: Yerz~ger~e Angebotsanpassung u. part. Gleiehgewicht
die physisohen Grenzen hinzuweisen, denen die Erweiterung eines jeden Produk4ionsprozesses notwendigerweise unterliegen muB.
Besltzt abet / (q) oder ~ (p) entweder eine obore oder eine untere Grenze, der sioh diese Funktion asymptotisoh annRher~, so wird die entsprechende Ableitung ]' (q) o4er ~' (p) in der N~he dieses Grenzwertes aUe Sohranken fibersteigen mfissen. Daraus folgt abet, dab aueh der Differentialquotient tier Bestimmungsfunktion D (q0),
9 ' (qo) = ~' (23~) • i ' (,~) • ~' (po). i' (qo) - - :L an den entspre~henden Stellen fiber alle Schranken s~eigen muB, solange die Yariablen Pl, qi, Pound qo grSi3er ~ls Null bleiben und keiner tier vier in die ree~e Seite der obigen Formel eingehenden Differenziatquotienten gleich- zeitig unendlieh klein wir4.
Es besteht ein guter Grund, anzunehmen, dab diese letzteren Bedin- gungen in der Mehrzahl der empirisoh vorkommenden 8ituationen tats~ach- lich effii]l~ wer4en. Das bedeutet aber, dai~ die l~enge qo in der unmi~elbaren Nghe ihrer beiden (der oberen und tier unteren) Schranken notwendigerweise eine ,,zentripe~ale" Tendenz auf~eisen muB (D' (rain qo) ~ 0, D' (max qo) ~ 0). ,,Zentrifugale" Kr~fte, falls sic innerhalb des gegebenen Systems fiberhaupt aufgewiesen werden k6nnen, werden, unter den gegebenen Umstgnden, yon aul~en her durch eine stabile Gleiehgewiohtslage (geschlossenen Schwingungs- zyklus!) in Sehach gehalten.