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andrologia 14 (1): 86-87 (1982) Received December 1.1981 Andrologie in der Praxis Abteilung fiir Andrologie (Direktor: Prof. Dr. C. Schirren) Universitats-Hautklinik Hamburg-Eppendorf Vesikulo-Deferentographie in der Andrologie C. SCHIRREN Die Durchgangigkeitsprufung der ableitenden Samenwege mittels Vesikulo-Deferento- graphie ist eine Untersuchungsmethode, die nach der allgemeinen Erfahrung vie1 zu oft praktiziert wird. Die hierfur angegebene Begriindung lautet u.a.: Man habe die Durchgan- gigkeit iiberpriifen miissen, da eine Oligozoospermie vorliege und dementsprechend ein AbfluBhindernis ausgeschlossen werden m a t e . In anderen Fallen gilt diese Untersuchungs- methode bei Azoospermie zur Lokalisierung des Verschlusses. Auch zur diagnostischen Abklarung bei Haematospermie und unklaren, dysurischen Beschwerden wird die Vesiku- lo-Deferentographie von urologischer Seite herabgezogen. Der Indikationsbereich reicht also iiber die rein andrologischen Aspekte hinaus (Maar et al. - 1977). So wertvoll das diagnostische Resultat im Einzelfall auch sein mag, unter andrologi- schen Gesichtspunkten ergibt sich immer wieder das Problem, ob diese Untersuchungsme- thode arztlich zu verantworten ist. Es kann namlich davon ausgegangen werden, dat3 bei der Verletzung eines Hohlorgans mit Langs- und Ringmuskulatur eine Narbe resultiert, die in ungiinstigen Fallen an der Stelle der Punktion zu einem artifiziellen, iatrogen gesetzten VerschluB fiihrt. Hieriiber haben Klosterhalfen und Schirren schon friiher berichtet und daher grundltzlich von der diagnostischen Vesikulo-Deferentographie ohne gleichzeitig mogliche therapeutische Konsequenz abgeraten. Um diese Fragen von experimenteller Seite schliissig beantworten zu konnen - vor allem im Hinblick auf die Moglichkeit einer Gewebsschadigung durch Kontrastmittel - haben Wagenknecht et al. (1982) Tierversuche an Ratten durchgefuhrt. Hierbei stellten sie fest, daB bei allen Rontgenkontrastmitteln Schaden am Epithel des Ductus deferens, Entzundungserscheinungen, Infiltration, Fibrose der Wand, Septumbildung und Fensterbildung im Lumen des Samenleiters aufzutreten pflegen; bei den niedrigprozentigen, hydrophilen Kontrastmitteln waren diese Schadigun- gen am geringsten ausgepragt, sie waren jedoch auch hier vorhanden. Aus andrologischer Sicht ergeben sich unter diesen Voraussetzungen klare Konsequen- zen, die Beachtung finden sollten. Es mu& hier ausdriicklich darauf verwiesen werden, daB im Vordergrund der eigenen Uberlegungen die Tatsache der Kinderlosigkeit einer Ehe steht. Hier muB alles vermieden werden, was in irgendeiner Weise den gegenwartigen Be- fund noch zultzlich verschlechtert, ohne daB dabei ein Gewinn fur die Behandlung er- reicht wird. Dementsprechend gilt: 1 .) Eine Vesikulo-Deferentographie bei Oligozoospermie ist so lange kontraindiziert, wie durch den klinischen Befund keinerlei Anhalt fur einen moglicherweise vorhandenen einseitigen VerschluB besteht. 2.) Eine Vesikulo-Deferentographie bei Azoospermie ist nur unter den Bedingungen ei- ner gleichzeitig moglichen operativen Korrektur des Verschlusses durch Vaso-Vasostomie andrologia 14 (1982)

Vesikulo-Deferentographie in der Andrologie

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Page 1: Vesikulo-Deferentographie in der Andrologie

andrologia 14 (1): 86-87 (1982) Received December 1.1981

Andrologie in der Praxis

Abteilung fiir Andrologie (Direktor: Prof. Dr. C. Schirren) Universitats-Hautklinik Hamburg-Eppendorf

Vesikulo-Deferentographie in der Andrologie

C. SCHIRREN

Die Durchgangigkeitsprufung der ableitenden Samenwege mittels Vesikulo-Deferento- graphie ist eine Untersuchungsmethode, die nach der allgemeinen Erfahrung vie1 zu oft praktiziert wird. Die hierfur angegebene Begriindung lautet u.a.: Man habe die Durchgan- gigkeit iiberpriifen miissen, da eine Oligozoospermie vorliege und dementsprechend ein AbfluBhindernis ausgeschlossen werden m a t e . In anderen Fallen gilt diese Untersuchungs- methode bei Azoospermie zur Lokalisierung des Verschlusses. Auch zur diagnostischen Abklarung bei Haematospermie und unklaren, dysurischen Beschwerden wird die Vesiku- lo-Deferentographie von urologischer Seite herabgezogen. Der Indikationsbereich reicht also iiber die rein andrologischen Aspekte hinaus (Maar et al. - 1977).

So wertvoll das diagnostische Resultat im Einzelfall auch sein mag, unter andrologi- schen Gesichtspunkten ergibt sich immer wieder das Problem, ob diese Untersuchungsme- thode arztlich zu verantworten ist. Es kann namlich davon ausgegangen werden, dat3 bei der Verletzung eines Hohlorgans mit Langs- und Ringmuskulatur eine Narbe resultiert, die in ungiinstigen Fallen an der Stelle der Punktion zu einem artifiziellen, iatrogen gesetzten VerschluB fiihrt. Hieriiber haben Klosterhalfen und Schirren schon friiher berichtet und daher grundltzlich von der diagnostischen Vesikulo-Deferentographie ohne gleichzeitig mogliche therapeutische Konsequenz abgeraten. Um diese Fragen von experimenteller Seite schliissig beantworten zu konnen - vor allem im Hinblick auf die Moglichkeit einer Gewebsschadigung durch Kontrastmittel - haben Wagenknecht et al. (1982) Tierversuche an Ratten durchgefuhrt. Hierbei stellten sie fest, daB bei allen Rontgenkontrastmitteln Schaden am Epithel des Ductus deferens, Entzundungserscheinungen, Infiltration, Fibrose der Wand, Septumbildung und Fensterbildung im Lumen des Samenleiters aufzutreten pflegen; bei den niedrigprozentigen, hydrophilen Kontrastmitteln waren diese Schadigun- gen am geringsten ausgepragt, sie waren jedoch auch hier vorhanden.

Aus andrologischer Sicht ergeben sich unter diesen Voraussetzungen klare Konsequen- zen, die Beachtung finden sollten. Es mu& hier ausdriicklich darauf verwiesen werden, daB im Vordergrund der eigenen Uberlegungen die Tatsache der Kinderlosigkeit einer Ehe steht. Hier muB alles vermieden werden, was in irgendeiner Weise den gegenwartigen Be- fund noch zultzlich verschlechtert, ohne daB dabei ein Gewinn fur die Behandlung er- reicht wird. Dementsprechend gilt:

1 .) Eine Vesikulo-Deferentographie bei Oligozoospermie ist so lange kontraindiziert, wie durch den klinischen Befund keinerlei Anhalt fur einen moglicherweise vorhandenen einseitigen VerschluB besteht.

2.) Eine Vesikulo-Deferentographie bei Azoospermie ist nur unter den Bedingungen ei- ner gleichzeitig moglichen operativen Korrektur des Verschlusses durch Vaso-Vasostomie

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bzw. Epididymovasostomie statthaft. Die Vesikulo-Deferentographie hat also nur im Operationssaal ihren Platz, wenn die

Darstellung der ableitenden Samenwege mittels Einfuhrung der Kanule in den abgesetzten Samenleiter zwecks Injektion des Kontrastmittels vorgenommen wird.

ses an der Stelle der Punktion des Samenleiters gegeben sein kann, sollte die Indikation fur diesen Eingriff sehr streng gestellt werden. Bei Nachweis einer Oligozoospermie ist die Vesikulo-Deferentographie jedoch absolut kontraindiziert, zumal hierbei wenigstens ein Samenleiter durchgangig sein mui3. . . sonst wiirde man keine Spermatozoen im Ejakulat nachweisen konnen. Hiervon sollte nur dann abgewichen werden, wenn zwingende Griin- de diesen diagnostischen Eingriff rechtfertigen, d.h. aus speziell urologischer Indikation eine Notwendigkeit zur Durchf&rung gesehen wird. Entfallen diese Voraussetzungen je- doch und handelt es sich ausschliefilich um eine andrologische Indikation, dann sollten Fur und Wider sehr sorgfaltig gegeneinander abgewogen und dem alten arztlichen Grund- satz Folge geleistet werden: primum nil nocere.

Wenn man sich uberlegt, dal3 grunddtzlich die Moglichkeit eines zudtzlichen Verschlus-

Literatur Klosterhalfen, H. et L.V. Wagenknecht. 1972. Traitement chirurgical de I’infertilitk de I’homme-ana-

Maar, K., W. Wagner und N. Hofmann. 1977. Indikation und Bedeutung der Vesikulo-Deferentogra-

Wagenknecht, L.V., H. Becker, H.M. Langendorff and H. Schifer. 1982. Vasography - Clinical and ex-

lyse de 442 cas. Proc. 66. Congr. Franc. Urol. Paris: Masson.

phie bei urologisch-andrologischen Erkrankungen. Urologe A 16, 158-162.

perimental investigations. andrologia 14 (hier weitere Literaturangaben) (in press).

Anschrift: Prof. Dr. C. SCHIRREN, Abt. f. Andrologie, Martinistrasse 52, D-2000 Hamburg 20.

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