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172 INTERDISZIPLINÄR Jg. 17, Ausg. 3, 2009, 172 - 181 Von der Bindung zur Trennung zur Sprache Schlüsselwörter Individuation Bindung Trennung Spracherwerb Spracherwerbsstörung Symbolspiel Übergangsobjekt Triadische Kompetenzen Key Words individuation attachment social separation language acquisition language impairment symbolic play transitional object capacities for triadic communication Sylvia Sassenroth-Aebischer Z u s a m m e n f a s s u n g Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Deutung eines möglichen Zusammenhanges zwischen häufig auf- tretenden erschwerten Trennungssituationen und Sprach- erwerbsstörungen bei kleinen Kindern. Die Beobachtun- gen aus der Praxis bestätigen die Annahme, dass Auffäl- ligkeiten oder Störungen in der frühkindlichen Mutter- Kind-Beziehung eine zentrale Rolle in der Dynamik früher Spracherwerbsstörungen spielen. Anhand der mo- dernen Bindungstheorie und der Entwicklung von frühen triadischen Kompetenzen werden die Wechselwirkungen von Bindung, Trennung, frühesten Interaktionen und Spracherwerb aufgezeigt. Basierend auf diesen Entwick- lungsprozessen interessiert die Dynamik von Spracher- werbsstörungen in Bezug zu frühen Bindungserfahrun- gen. Es ist eine offene Frage, ob es direkte Zusammen- hänge zwischen frühen Bindungsstörungen und Spracher- werbsstörungen gibt, doch erlauben erste Beobachtungen aus der eigenen noch laufenden Untersuchung der Tren- nungssituationen, die Bedeutung der Bindungsentwick- lung für die logopädische Therapie aufzuzeigen. Summary: The pre- sent article reviews the assumed asso- ciation between frequently occur- ring, socail separa- tions and difficulties with language acquisi- tion in very young children. Observations from practice confirm the assumption that a- nomalies and disorders in the early mother-infant relationship play a decisive role in the process of primary language impair- ments. The interdependency of attachment, social se- paration, earliest interaction and language acquisition are dis- cussed on the basis of attachment theory and the development of early triadic competences. Based upon these developmental processes we spe- cifically address the dynamics of language impairments in respect to pri- mary attachment-experiences. Although the question about a causal as- sociation between early reactive attachment disorders and developmen- tal language impairments remains open we are able to present first da- ta to demonstrate the relevance of the attachment process for early speech therapy. TEIL 8 der Serie „Forschungsgruppe CH. Logopädie im Frühbereich“ Eine Untersuchung der Trennungssituationen in der logopädischen Frühtherapie From attachment to separation to language – A study on the impact of socail separation in early speech intervention

Von der Bindung zur Trennung Trennungssituationen zur Sprache - Trennung... · zur Sprache Schlüsselwörter Individuation Bindung Trennung Spracherwerb Spracherwerbsstörung Symbolspiel

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Von der Bindung zur Trennung

zur Sprache

SchlüsselwörterIndividuationBindungTrennungSpracherwerbSpracherwerbsstörungSymbolspielÜbergangsobjektTriadische Kompetenzen

Key Wordsindividuationattachmentsocial separationlanguage acquisitionlanguage impairmentsymbolic playtransitional objectcapacities for triadic communication

Sylvia Sassenroth-Aebischer

Z u s a m m e n f a s s u n gDer vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Deutungeines möglichen Zusammenhanges zwischen häufig auf-tretenden erschwerten Trennungssituationen und Sprach-erwerbsstörungen bei kleinen Kindern. Die Beobachtun-gen aus der Praxis bestätigen die Annahme, dass Auffäl-ligkeiten oder Störungen in der frühkindlichen Mutter-Kind-Beziehung eine zentrale Rolle in der Dynamikfrüher Spracherwerbsstörungen spielen. Anhand der mo-dernen Bindungstheorie und der Entwicklung von frühentriadischen Kompetenzen werden die Wechselwirkungenvon Bindung, Trennung, frühesten Interaktionen undSpracherwerb aufgezeigt. Basierend auf diesen Entwick-lungsprozessen interessiert die Dynamik von Spracher-werbsstörungen in Bezug zu frühen Bindungserfahrun-gen. Es ist eine offene Frage, ob es direkte Zusammen-hänge zwischen frühen Bindungsstörungen und Spracher-werbsstörungen gibt, doch erlauben erste Beobachtungenaus der eigenen noch laufenden Untersuchung der Tren-nungssituationen, die Bedeutung der Bindungsentwick-lung für die logopädische Therapie aufzuzeigen.

Summary:The pre-sent articlereviews theassumed asso-ciation betweenfrequently occur-ring, socail separa-tions and difficultieswith language acquisi-tion in very young children.Observations from practiceconfirm the assumption that a-nomalies and disorders in the earlymother-infant relationship play a decisiverole in the process of primary language impair-ments. The interdependency of attachment, social se-paration, earliest interaction and language acquisition are dis-cussed on the basis of attachment theory and the development of earlytriadic competences. Based upon these developmental processes we spe-cifically address the dynamics of language impairments in respect to pri-mary attachment-experiences. Although the question about a causal as-sociation between early reactive attachment disorders and developmen-tal language impairments remains open we are able to present first da-ta to demonstrate the relevance of the attachment process for earlyspeech therapy.

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Eine Untersuchung derTrennungssituationen in der logopädischenFrühtherapie

From attachment to separation to language – A study on the impact of socail separation in early speech intervention

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Trennungsszenen in der Logopädie

Viele kleine Kinder mit Spracher-werbsstörungen haben Trennungs-schwierigkeiten. Folgende Szenen sindLogopädinnen und Logopäden inihrem beruflichen Alltag vermutlichsehr vertraut. Die Trennung zwischendem Kind und seiner Mutter istmanchmal über mehrere Wochen hin-weg durch große Ängste erschwert undwird von beiden als schmerzhaft er-lebt: Das Kind klammert sich an dieMutter und lässt sie nicht gehen.Manchmal sind Trennungsaggressio-nen oder spürbare Doppelbotschaftenvorhanden, wenn Mütter mit gleichzei-tig wachsender Anspannung und ver-haltenem Ärger im Wechsel mit für-sorglicher Zuwendung und Zurück-weisung ihr Kind verabschieden. DasVerhalten dieser Mütter scheint durchein hohes Maß an Nähebedürfnis undgleichzeitiger Abwehr durch Autono-mie bestimmt zu sein. Andere Mütterkommen nach der gelungenen Tren-nung nochmals zu ihrem Kind zurückum ihm die Flasche oder den Schnullerzu geben, worauf das Kind die Mutternicht mehr gehen lässt. Manche Müt-ter und Kinder verabschieden sich übereine längere Zeit mit innigen Küssen;oftmals wischen die Kinder den Kussder Mutter weg und gehen eines Tagesohne den obligaten Kuss und ohneVerabschiedung ins Zimmer, machendie Türe zu und lassen die erstaunteMutter alleine im Wartezimmerzurück. Andere Kinder registrieren dieTrennung von ihrer Mutter kaum undgehen von Beginn an ohne Verabschie-dung mit der Therapeutin ins Zimmer.Nach einigen Wochen Therapie zeigensie heftige und ungewohnte Reaktio-nen auf die Trennung und klammernsich an die Mutter oder fragenwährend der Therapiestunde häufignach ihr. Andere Kinder wühlen nachden Therapien in der Tasche der Mut-ter und fordern die stets „verdiente“Belohnung. Beziehungsszenarien zei-gen sich auch in Suchen-Finden-Spie-len bei Therapieende, welche einige

TEIL 8 der Serie „Forschungsgruppe CH. Logopädie im Frühbereich“

Einleitung

Immer wieder lassen sich in der logopädischen Therapie bei kleinenKindern mit Spracherwerbsstörungen über eine längere Zeit hinweg Trennungssituationen beobachten, die sowohl vom Kind wie auch von derMutter als schwierig erlebt werden. In gewissem Ausmaß ist es verständlich,dass die Trennungssituation zumindest am Anfang der Therapie zu Ver-unsicherungen führt. Bei manchen spracherwerbsauffälligen Kindern aber istdie Trennung von der Mutter über einen längeren Zeitraum stark erschwert

und mit großen Ängsten besetzt. Diese Trennungskonflikte lösen sowohlbeim Kind wie auch bei allen Beteiligten große Verunsicherungen

sowie Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit aus. Hierstellt sich die Frage: Welche Bedeutung können diese

stark erschwerten Trennungen haben? Kann es ei-nen Zusammenhang zwischen diesen schwieri-

gen Trennungen und der Spracherwerbs-störung geben?

Ausgehend von Beobachtungen in Tren-nungssituationen in der logopädischen

Praxis stellten wir uns im Rahmender „Forschungsgruppe CH. Lo-

gopädie im Frühbereich“ die Fra-ge, ob die Trennungs- und Wie-dervereinigungssituationen inder logopädischen Therapie ge-eignet sind, um Wechselwirkun-gen zwischen den Entwick-lungsprozessen ’Bindung –Trennung – Individuation’ fürdie Sprachentwicklung zu er-hellen. Spiegeln die real beob-achtbaren Mutter-Vater-Kind-

Beziehungen während der Tren-nungs- und Wiedervereinigungs-

situationen die bisherigen Bezie-hungs- und Interaktionserfahrun-

gen in der Therapie? Lassen sich dieInteraktionen im Verlaufe der Thera-

pie dahingehend verändern, dass dasKind neue Beziehungs- und Kommunikati-

onserfahrungen erleben kann? Welche Rolle inder Dynamik von Trennungen hat die Thera-

peutin?Um diese Fragen beantworten zu können, werden zu-

erst die Entwicklungsprozesse der Bindung und danachdiejenigen der Trennung anhand der Konzepte der Bindungsfor-

schung und der Entwicklung von frühen triadischen Kompetenzen fürdie Individuationsentwicklung beschrieben.In der Folge wird ein Beobachtungsbogen für die Trennungs- und Wiederver-einigungssituation vorgestellt, welchen wir auf der Basis der Konzepte der„fremden Situation“ nach Ainsworth (1967) und der Untersuchung vonKlann-Delius (2002) entwickelt haben. Abschließend erlauben erste Beobach-tungen aus der laufenden Untersuchung Rückschlüsse auf die Bedeutung derBindung und Trennung für die logopädische Therapie.

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Mütter geduldig und freudig mitma-chen, andere rasch entnervt und unge-duldig werden lassen. Bei lange andau-ernden Trennungskonflikten verspürtauch die Therapeutin manchmal Un-geduld, Ärger, Unbehagen oderOhmacht, kämpft mit dem Gefühl,ausgeschlossen oder keine genügendgute Therapeutin zu sein oder ist er-leichtert und freut sich, wenn Kindund Mutter es schaffen, sich zu tren-nen. Was ist denn so schwierig an derTrennung und gibt es einen direktenZusammenhang zu den sprachlichenSchwierigkeiten?

Von der Bindung zur Trennung

Entwicklungspsychologische und bin-dungstheoretische Untersuchungen überdie Beziehungswelt des Kleinkindesbeschäftigen sich mit der (frühen) dia-dischen Mutter-Kind-Interaktion. DieBindungstheorie geht davon aus, dassder Säugling mit einem Bedürfnis nachGebundensein und Nähe auf die Weltkommt. Fühlt sich das Kleinkind mü-de, unsicher, krank oder alleine, wer-den Bindungsverhalten wie Lächeln,Blickkontakt, Anklammern und Su-chen aktiviert, die die Nähe zur ver-trauten Person wiederherstellen sollen.Ein ebenso grundlegender Antrieb istdas Bedürfnis nach Exploration undAutonomie, welches jedoch nur aktivwerden kann, wenn das Bindungsver-halten nicht im Vordergrund steht, dasheißt, wenn sich das Kind sicher undbehaglich fühlt, macht es seine Schrit-te „in die Welt“ (Bowlby, 2005, S. 15;Ainsworth, 1967).

Halten und Loslassen in der Eltern-Kind-Beziehung sind von Lebensbe-ginn an präsente und eng miteinanderverwobene Prozesse. In vielen Interak-tionserfahrungen lernt das Kind wieverfügbar, verlässlich und durchlässigseine Eltern sind und entdeckt mithilfeseiner Eltern das Gefühl des „Selbstund des Anderen“, mit anderen Wor-ten eine erste Getrenntheit (Winnicott,2001, S. 41; Stern, 1992, S. 61). DieFähigkeit der Eltern, die Getrenntheitdes Kindes anzuerkennen und sie ihmzu erleichtern, besteht darin, das rich-tige Gleichgewicht zwischen Haltenund Loslassen und zwischen Harmo-nie und Disharmonie zu finden. Fürdie Eltern ist es keine leichte Aufgabeund oftmals ziemlich paradox undschmerzhaft, einerseits im Geiste undim Herzen ihr Kind zu lieben und zuhalten und dennoch alles zu tun, es inangemessener Weise loszulassen, weilin seiner Entwicklung der richtige Zeit-punkt dafür gekommen ist. Winnicottspricht hier von einer allmählichenaber notwendigen „Desillusionierung“des Säuglings und meint mit dem Aus-druck der „genügend guten Mutter“,dass die steten Anpassungen an die Be-dürfnisse des Kindes nicht zu eng undnicht zu lose sein dürfen, also allmäh-lich weniger werden (1985, 312). Dieoptimale Anpassung geschieht da-durch, dass die Mutter die schwer er-träglichen Gefühle und Affekte ihresKindes „verdaut“ und sie ihm in abge-schwächter Form zurückgibt (Bion,1995, S. 228). Dadurch schafft dieMutter dem Kind Erleichterung undzeigt ihm gleichzeitig, dass sie seine Af-

fekte versteht oder zumindest aner-kennt. Dies bedeutet auch, dass der Er-wachsene einerseits sein Befinden vondem des Kindes innerlich gut zu tren-nen vermag und andererseits überFähigkeiten verfügt, zu reflektieren,denn die ihm entgegengebrachten Af-fekte sind oft nicht einfach auszuhal-ten.Das Kind erkennt erst nach und nachmit den ersten kleinen Frustrationen,beispielsweise wenn sich die Mutter et-was anderem zuwendet, dass es zwi-schen ihm und der Mutter einen Un-terschied gibt. Es muss warten und ihr„Versagen“ aushalten, bis sich dieMutter wieder ihm zuwendet, diesmalmöglicherweise in einer weniger opti-malen oder veränderten Art und Wei-se. Dadurch entsteht eine Art Zwi-schenraum, in welchem das Kind einenGegenstand erfinden kann, der ihmhilft die Frustrationen und die Abwe-senheit seiner Mutter zu überbrücken.Die Wahl des Gegenstandes ist nichtzufällig: Es handelt sich dabei um ei-nen meist weichen Gegenstand, zumBeispiel einen Zipfel eines Kissens, ei-ne Windel oder ein Kuscheltier. DieserGegenstand bleibt sehr bedeutungs-voll, wird zärtlich behandelt, aberauch leidenschaftlich geliebt und miss-handelt und darf nicht verändert wer-den, außer wenn ihn das Kind selbstverändert. Winnicott nennt diese Ge-genstände „Übergangsobjekte“ weil sieim Übergangsraum zwischen dem Ichund dem Nicht-Ich und im weitestenSinne für die Mutter stehen (1985,300). Das Schaffen eines solchen Über-gangsraumes bedeutet also eine ersteTrennung zwischen Mutter und Kind,zwischen Ich und Du und ist der eigentliche Ursprung des Loslösungs-prozesses (Zollinger, 2007b, S. 156).Später verhilft das Übergangsobjektdem Kind mit schwierigen Situationenfertig zu werden, wie beispielsweise räumlicher Trennung, vor dem Ein-schlafen, beim Sich-alleine-Fühlen, beiSchmerz oder Frustrationen. In derPraxis können wir beobachten, dassviele Kinder mit einer Spracherwerbs-störung kein Übergangsobjekt erschaf-

TEIL 8 der Serie „Forschungsgruppe CH. Logopädie im Frühbereich“

Die „Forschungsgruppe CH. Logopädie im Frühbereich“ wurde von den LogopädinnenDominique Bürki, lic. phil., Susanne Mathieu, lic. phil., Sylvia Sassenroth-Aebischer und Dr.phil. Barbara Zollinger Ende 2006 gegründet.Diese Fachfrauen setzen sich seit vielen Jahren in Forschung und therapeutischer Tätigkeit mitder Früherfassung von spracherwerbsauffälligen Kindern auseinander. Zusammen mit Kol-leginnen führen sie logopädische Praxen in den Städten Bern, Luzern, Winterthur und Zürich,welche ganz auf den Frühbereich spezialisiert sind. Daneben sind sie als Lehrbeauftragte in derAus-, Weiter- und Fortbildung in der Schweiz, Deutschland und Österreich tätig.Die „Forschungsgruppe CH. Logopädie im Frühbereich“ hat zum Ziel, Wissenschaft und Praxis im Bereich früher Spracherwerbsstörungen zu verknüpfen und die entsprechendenErfahrungen und Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.Im nächsten Beitrag (Teil 9 dieser Serie) geht Judith Häusermann der Frage nach, ob Sprach-standserfassungen im Vorschulalter sinnvolle Grundlagen für die Sprachförderung sind.

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fen konnten. Die Frage nach dem Vor-handensein eines Übergangsobjektesist in der Praxis für das Verstehen deraktuellen Problematik des Kindes vonBedeutung und ist möglicherweise einwichtiger Hinweis auf die Ursprüngeseiner Schwierigkeiten.Im Laufe des ersten Lebensjahres bil-det das Kind in vielen Interaktionser-lebnissen in Trennungs- und Nähesi-tuationen sogenannte „Bindungsreprä-sentanzen“, die das Verhalten der Be-zugsperson und des Kindes in unge-wohnten Bindungssituationen vorher-sagbar und somit verlässlich machen(Fonagy, 2003, S. 43). Die Entwick-lung der Bindungsrepräsentanzen istjedoch sehr empfindlich, vor allemdann, wenn das Kind in Interaktionenhäufig Diskrepanzen, Mängel odersich widersprechende Verhaltenswei-sen erlebt. Je besser dosiert die Tren-nungen im Alltag sind, desto stabilerkann das Kleinkind innere Trennun-gen zwischen sich und den ersten Be-zugspersonen aufbauen und destokonfliktärmer werden später die rea-len Trennungen von der Mutter erlebt(Leuzinger-Bohleber & Garlich, 1993,S. 217). Das Kind kann diesen wichti-gen und gesunden Entwicklungsschrittzur Trennung und somit zur Autono-mie nur machen, wenn es sicher ge-bunden ist und auch nur, wenn dieBindung durch die Mutter gleichzeitiggelockert wird.

Bindung zur Sprache

Der Spracherwerb beginnt noch bevordas Kind seine ersten Wörter von sichgibt und ist von Anfang an untrennbarmit den frühesten Interaktionserfah-rungen verbunden (Bruner, 2002; Zol-linger, 2007a, S. 23).In der ersten symbiotischen Phase derBindung bilden Kind und Mutter eineZwei-Einheit, in der es vom Kind ausgesehen zwischen ihm und der Mutternoch wenige Unterschiede gibt. Durchdie Stimme und die spiegelnden Ant-worten der Mutter wird das Kind(sprachlich) „getragen“, sodass es sicheins fühlen kann. In diesem „psychi-

schen Halt“ der Mutter findet dasKind die Ruhe zum Spielen und letzt-endlich zum Entdecken der Welt undder Sprache (Zollinger, 2008, S. 63).Meins und Russell (1998, S. 249)konnten in einer Studie eine positiveBeziehung zwischen Bindung und Wort-schatzentwicklung in Abhängigkeitvon mütterlicher Bedeutungszuschrei-bung feststellen. Die Mütter notiertenin Tagebucheintragungen den aktivenWortschatz und das Sprachverhalten,wobei sie besonders auf Äußerungenachten sollten, die für sie unverständ-lich waren und welchen sie keine spe-zifische Bedeutung geben konnten. DieUntersuchung ergab einen signifikan-ten Unterschied in der Wortschatz-größe zwischen sicher und unsicher ge-bundenen Kindern. Sicher gebundeneKinder äußerten häufiger spezifischeund bedeutende Lautgebilde. Die Müt-ter dieser Kinder konnten die unspezi-fischen Äußerungen ihrer Kinder bes-ser interpretieren, benannten häufigeremotionale Zustände und konnten denAufmerksamkeitsfokus eher auf ihrKind richten. Andererseits zeigten un-sicher gebundene Kinder überzufällighäufiger scheinbar bedeutungsloseund für die Mutter unverständlicheLautgebilde.Die Ergebnisse dieser Untersuchungbestätigen die Wichtigkeit des „Bedeu-tung-Gebens“ durch die Erwachsenen.Das Kind entdeckt dadurch, dass esmit seiner Äußerung etwas bewirkenkann, im Sinne von „das, was dusagst, das, was du machst, ist von Be-deutung“ (Zollinger, 2007b, S. 15).Man kann also davon ausgehen, dasseine emotionale Verfügbarkeit der El-tern sowie die Möglichkeit, die Signa-le ihres Kindes aus dessen Perspektivezu verstehen mitbestimmend dafürsind, dass das Kind aus dieser Sicher-heit heraus die Welt der Objekte undderen Namen realisieren kann. Dazubraucht es eine gemeinsame Aufmerk-samkeit, damit das Kind die Spracheentdecken kann (Zollinger, 2007a, S.20). In dieser gemeinsamen Aufmerk-samkeit stellt es mit dem triangulärenBlickkontakt nun laufend und unzäh-

lige Male die Verbindung zwischensich, der Mutter und den Dingen her,teilt und tauscht auf diese Art mit demErwachsenen Bedeutungen aus undwird dadurch fähig ein Sprachver-ständnis zu entwickeln (Mathieu,2007, S. 7). Empirische Untersuchun-gen zur Korrelation zwischen Bin-dung, Interaktion und Spracherwerbkonnten zeigen, dass der trianguläreBlickkontakt ein zuverlässiger Prädik-tor für eine sichere Bindung ist(Bretherton, Bates, Benigni, Camaioni& Voterra, 1979; Meins & Russell,1998, S. 63, u. a.).

In anderen Untersuchungen (vgl. Bee-be, Jaffe, Lachmann, Feldstein, Crown& Jasnow, 2002, S. 62) wurde beob-achtet, dass sicher gebundene Kinderbereits mit 31 Monaten die Erwachse-nenperspektive einnahmen und dieselustvoll in ihr Symbolspiel integrierten.Sie erkundeten ihre Umwelt aktiverund explorierten die Welt der Sprachedementsprechend häufiger und inten-siver. Sie konnten sich in Geschichteninhaltlich besser in die verschiedenen

TEIL 8 der Serie „Forschungsgruppe CH. Logopädie im Frühbereich“

K U R Z B I O G R A F I E

Sylvia Sassenroth-Aebischer, dipl.Logopädin/Sprachheilpädagogin,hat ihre Ausbildung am Heil-pädagogischen Institut der Univer-sität Freiburg/Schweiz abgeschlos-sen. Sie war mehrere Jahre als Lo-gopädin an der Universitätsklinik inBern tätig. Seit 2003 führt sie ge-meinsam mit drei Kolleginnen eineauf die Früherfassung spezialisiertelogopädische Praxis in Bern. Siesetzt sich seit vielen Jahren in For-schung und therapeutischer Tätig-keit mit der Früherfassung vonspracherwerbsauffälligen und stot-ternden Kindern auseinander undist als Lehrbeauftragte in der Aus-,Weiter- und Fortbildung tätig. Sieist in Ausbildung zur Psychoanalyti-kerin für Kinder und Jugendlicheam Psychoanalyti-schen SeminarZürich.

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Rollen einfühlen als unsicher gebunde-ne Kinder. Diese Untersuchungen be-stätigen die Annahme, dass aus denErfahrungen positiver „gegenseitigerAbstimmung“ (Stern, 1992) das Kinddie Fähigkeit zu vergnüglichem Spiel,gemeinsamer Aufmerksamkeit und Ab-wechseln der Initiative entwickelnkann. Dies sind letztendlich wichtigespracherwerbsbestimmende Merkma-le.

Trennung und Sprache

Die Phase der Loslösung und Individu-ation geht zeitgleich mit dem Gehen-lernen einher. Sobald das Kind sich al-leine fortbewegen kann, ändert sichvieles: Einerseits erforscht es eigenak-tiv in „Guck-guck- und Such-mich-Spielen“ lustvoll und neugierig dasVerschwinden und Wiedererscheinen,das sich Trennen und sich Wiederfin-den: „Die Mama kommt wieder, dieMama findet mich“ Oder: „Ich geheganz alleine weg – und die Mama istimmer noch da.“ Erste kleine Sätzewie „Mama weg – Mama da!“ symbo-lisieren die gleichzeitige Trennung undErinnerung an die Mutter. Anderer-seits erkennt das Kind über immerhäufigere Konflikte, dass die Wünscheseiner Eltern keinesfalls immer mit sei-nen eigenen Übereinstimmen (Mahler,Pine & Bergman, 1989, S. 118; Zol-linger, 2007a, S. 24). Das Wort„Nein“ spielt dabei eine wichtige Rol-le. Ein Beispiel soll diese verdeutlichen:Die Mutter sagt zu ihrem Kind: „Wirwollen jetzt ins Bett gehen“. Darauf-hin schreit das Kind und sagt: „Nein!“Jetzt kann die Mutter sagen: „Dugehst jetzt ins Bett!“ Die Wirkung desWortes „Nein“ bedeutet folglich eineklare Trennung zwischen Mutter undKind, zwischen dem Du und dem Ichund ist ein Ausdruck von Beziehung.

Die Sprache bekommt ab diesem Zeit-punkt eine ganz neue Funktion: Siewill mit Gemeinsamkeiten und Unter-schieden vor allem Beziehungen her-stellen. Das Kind möchte mit dem Ent-decken des Du und der gleichzeitigen

Auseinandersetzung mit der Gegen-standswelt die Mutter immer mehr inseine Errungenschaften einbeziehen.Auf der einen Seite stellt die Sprachefolglich eine Trennung dar, das heißt,dass es für das Kind eine neue Mög-lichkeit gibt, sich von der Mutter zutrennen, und auf der anderen Seite er-möglicht die Sprache dem Kind mitder Mutter in Verbindung zu bleiben.Das Kind kann durch seine Sprache„keine Illusion mehr aufrechterhal-ten“ und erfährt somit die Bestätigungder Getrenntheit zwischen ihm undseiner Mutter (Pelikan, 2004, S. 141).Nach Winnicott hat Sprache die Be-deutung eines Übergangsobjektes (2002,S. 10), welches ebenso herumgetragenwerden kann wie ein Teddybär odereine Schmusedecke. Wörter könnenhelfen Trennungsängste zu überwin-den, sich zu beruhigen, Erleichterungzu verschaffen und seine Gefühle, Frus-trationen und Erlebnisse mit Spracheauszudrücken. Später können auchBücher als „physische Behälter“ vonSprache den Kindern als Übergangsob-jekte dienen (Pelikan, 2004, S. 158).Sprechenlernen ist somit „etwas, dasdie Trennung zwischen Menschen ver-deutlichen, füllen, überbrücken oderverbinden soll“ (Gori, 1977, S. 110).Erste Wörter schaffen einen erstendeutlichen Raum zwischen Ich und Duund vereinfachen den Separations-und Individuationsprozess (Zollinger,2008, S. 63). Für diesen wichtigen Ent-wicklungsschritt braucht das Kindnicht nur Feinfühligkeit, sondern aucheinen „Spiel- und Übergangsraum“, inwelchem es seine Wünsche nach Indi-viduation und Separation in Sicherheitemotional ausloten kann (Scheerer,2008, S. 126; Winnicott, 2002, S. 65).In diesem Kontext ist auch die früheBedeutung des Vaters zu finden.

Die Bedeutung des Vaters für die Sprache

In den letzten Jahren bekam der Vaterauch aus wissenschaftlicher Sicht einewichtige und emotional notwendigeBedeutung (Bürgin, 1998, S. 193).

Durch seine physische und/oder psy-chische Präsenz hilft er dem Kind undder Mutter bei der Ablösung, damitdie Beziehung nicht zu symbiotischwird und das Kind seine ersten Schrit-te „in die Welt“ machen kann. DerPsychoanalytiker Lacan (1973) hatdiese doppelte Bedeutung treffend mitdem Ausdruck „avec le Nom/le Nondu père“ (mit dem Namen des Vatersund dem Nein des Vaters) beschrieben.Der Vater unterstützt mit seinem Spiel-und Beziehungsstil, der oft lebhafter,körperlicher, kraftvoller und unvor-hersehbarer als jener der Mutter ist,das Explorationsstreben des Kindesauf eine andere Art. Der Umgang unddas Erleben von Unterschieden zwi-schen den Bezugspersonen helfen demKind, sich selber zu finden und zu an-deren Anpassungen zu gelangen. Mut-ter, Vater und Kind erleben und übenschon von Beginn an in vielen alltägli-chen Erlebnissen kurze Trennungenund somit auch erstes Ausgeschlossen-sein, wenn beispielsweise das Kind„nur“ von der Mama gefüttert werdenoder „nur“ mit dem Papa spielen will.Dieses erste empfindliche „Trennungs-Lernen“ kann Kränkungen auslösenund braucht vonseiten der Eltern psy-chische Stabilität. Kann das Kind indieser „Trennungslern-Zeit“ mithilfeder „triadischen Kompetenzen“ seinerEltern spielerisch experimentieren, ge-lingt der Übergang von einem dyadi-schen zu einem triadischen Bezie-hungserleben (Scheerer, 2008, S. 126;von Klitzing, 2002, S. 878).Triadische Kompetenz bedeutet, dassdie Eltern das Kind als Drittes auf derEbene der Vorstellung in die eigene Be-ziehung integrieren können, ohne denPartner/die Partnerin aus der Bezie-hung zum Kind auszuschließen. Ergeb-nisse einer Längsschnittstudie konnteneinen engen Zusammenhang zwischeneiner gelungenen triadischen Bezie-hung ’Mutter-Kind-Vater’ und denVorstellungs- und Erzählfähigkeiteneines Kindes zeigen (von Klitzing,2002, S. 865ff.). Für die Dynamik vonSpracherwerbsstörungen stellt sich da-mit die Frage, in welchen Wechselwir-

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kungen frühe Bindungserfahrungenund Spracherwerbsstörungen stehen.

Frühe Bindungserfahrungenund Spracherwerbsstörungen

Die ersten Ergebnisse des aktuellenForschungsprojektes der „Forschungs-gruppe CH. Logopädie im Frühbe-reich“ (Bürki, Mathieu, Sassenroth-Aebischer & Zollinger, 2008) zeigenbei mehr als 50 Prozent aller spracher-werbsauffälligen Kinder Unsicherhei-ten in der Individuationsentwicklung.Diese Beobachtungen bestätigen dieAnnahme, dass Auffälligkeiten oderStörungen in der frühkindlichen Mut-ter-Kind-Beziehung eine zentrale Rollein der Dynamik früher Spracherwerbs-störungen spielen. Als kritische Phasefür die Entstehung von Spracher-werbsstörungen aufgrund einer Bezie-hungsunsicherheit werden in vielenUntersuchungen die ersten 36 Lebens-monate genannt (Dieter, Walter,Brisch, 2005, S. 177), ein Zeitraum al-so, in welchem das Kind mit verlässli-chen Beziehungen und Dialogerfah-rungen den Schritt in die Welt und inBeziehungswelten mit Sprache sicherbewältigen möchte.

Das folgende Fallbeispiel soll dies ver-deutlichen:Sonja wurde mit 30 Monaten zur Ab-klärung angemeldet, da sie noch nichtsprach. Aus der Anamnese ging her-vor, dass sie das erste Lebensjahr prak-tisch „verschlief“. Sie war an der Um-welt nicht interessiert, exploriertekaum und hatte kein Übergangsob-jekt. Ab dem zweiten Jahr wurde Son-ja „mühsam und unaushaltbar“: Siewarf die Spielsachen weg, schrie viel,warf sich oft auf den Boden und konn-te sich nicht beschäftigen. Der Mutterselbst fiel es von Geburt an schwer, mitihrer Tochter zu spielen und zu ku-scheln; sie litt unter einer postpartalenDepression. Sonja hatte keine Loslö-sungsprobleme; im Gegenteil, sie gingauf alle Leute zu und „vergaß“ dieMutter. So war auch die Situationwährend der Abklärung und zu Beginn

der Therapie: Sonja beachtete wäh-rend der ersten Wochen das Weggehenihrer Mutter nicht. Zwei Monate nachTherapiebeginn zeigte sie erste Tren-nungsreaktionen und konnte sichkaum mehr von ihr trennen. Die Mut-ter fühlte zum ersten Mal, dass Sonjasie brauchte und sie vermisste. In die-ser Zeit sagte Sonja erstmals „Mama“zu ihrer Mutter, auch zu mir als The-rapeutin und zur Großmutter, was dieMutter zwar irritierte, jedoch sehrrührte. Einige Wochen später sagt sie„Papa“. Mit diesen ersten Wörternzeigte Sonja, dass sie eine Trennungzwischen ihr und der Mutter herstellenkonnte. Anhand dieses kurzen Fallbei-spiels kann man annehmen, dass Stö-rungen in der frühen Beziehung zwi-schen Mutter und Kind verbunden mitden Schwierigkeiten des Kindes zuschweren Interaktions- und Sprachent-wicklungsstörung führen können.

In der Praxis kann die Dynamik vonSpracherwerbsstörungen und Bindungs-unsicherheiten folgendermaßen ablau-fen:Wenn die Mutter in den ersten ge-meinsamen Lebensmonaten mit ihremKind selbst keinen sicheren Halt hat,fällt es ihr auch schwer, dem Kind einverlässliches Du gegenüberzustellen undihm dadurch zu ermöglichen, eine Vor-stellung von sich selbst als eigenständi-ge Person aufzubauen. Es sind vielfäl-tige Probleme wie Traumatisierungenwährend der Schwangerschaft oderder Geburt, Krankheiten, unverarbei-teter Kummer, familiäre Belastungen,welche die Beziehung und die Bindungbeinträchtigen können. Am häufigstenwird die postpartale Depression (PPD)der Mutter genannt, an der circa 15-20 Prozent aller Mütter nach der Ge-burt leiden (Brisch, 2006, 199; Wurm-ser & Papousek 2004, S. 64). Kinderdieser Mütter sind in den frühen Ent-wicklungsphasen oft apathisch, wenigneugierig oder werden später unruhigoder aggressiv und finden in ihrenSpielen wenig Befriedigung. Für dasKind wird es schwierig, die Sprache zuentdecken, zumal die gemeinsame Auf-

merksamkeit zu wenig verlässlich ist.Dadurch verzögert sich der trianguläreBlickkontakt und somit das Sprach-verständnis. Nach einer sehr verunsi-chernden ersten Zeit, wie dies bei-spielsweise nach einer postpartalenDepression der Fall ist, möchten dieMütter aufgrund ihrer Schulgefühlemöglichst viel „nachholen“ oder „wie-dergutmachen“ und kümmern sich da-her sehr liebevoll und oft überfürsorg-lich um ihr Kind. Um das gefundeneund schöne Gefühl von Verbundenheitherzustellen oder beizubehalten, nei-gen manche Mütter nicht selten dazu,ihrem Kind die für die Entwicklungnötigen und gesunden Frustrationenzu ersparen und erschweren ihm da-durch die Loslösung. Solche Mutter-Kind-Paare wirken manchmal, als sei-en sie noch mit einer Nabelschnur ver-bunden. In diesem Zusammenhangkann das Kind keine wirkliche Ge-trenntheit erleben und kann dadurchden Wunsch eine eigenständige Personzu sein und letztendlich auch die Not-wendigkeit zum Sprechen nicht ent-decken.Natürlich können auch Risikofakto-ren aufseiten des Kindes wie frühe Re-gulationsstörungen (exzessives Schrei-en, Fütterprobleme, Schlafstörungen,tägliche Trotzanfälle) oder Behinde-rungen die Beziehung und somit auchdie Interaktion zwischen Kind undMutter sehr belasten. Für die Muttermit einem behinderten oder sehr „an-strengenden“ Kind ist es nicht einfachund immer wieder mit großen Schuld-gefühlen besetzt, die Bedürfnisse desKindes wahrzunehmen und es in seinererschwerten Entwicklung „genügendgut“ zu unterstützen. Um die Dynamikder Spracherwerbsstörung von kleinenKindern zu verstehen, ist es folglichwichtig, eine möglichst genaue biogra-fische Anamnese des Kindes und seinerBeziehungsgeschichte vorzunehmen.

Pilotprojekt: Beobachtungenzur Trennungssituation

Unser Forschungsinteresse galt derFrage, ob die Trennungs- und Wieder-

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vereinigungssituationenin der logopädischenTherapie geeignet sind,um die Wechselwir-kungen zwischen denEntwicklungsprozessen’Bindung – Trennung –Individuation’ für dieSprachentwicklung zu er-hellen, und ob die real beob-achtbaren Mutter-Vater-Kind-Be-ziehung die bisherigen Beziehungs-und Interaktionserfahrungen wider-spiegeln. Konkret ergaben sich darausfolgende Fragen: Wie gestalten Mütterund ihre Kinder die Trennungssitua-tionen? Wie reagieren Mütter, wennihr Kind mit der Trennung nicht ein-verstanden ist? Wie gehen Kinder undMütter (die am meisten begleitendeBezugsperson) mit den eigenen Emo-tionen in der Trennungssituation um?In der Folge wird ein Beobachtungsbo-gen für die Trennungs- und Wiederver-einigungssituation vorgestellt, welchenwir auf der Basis der Konzepte der„fremden Situation“ nach Ainsworth(1967) und der Untersuchung vonKlann-Delius (2002) entwickelt haben(s. Tab. 1). Für die konkrete Beobach-tung wird jede zweite Therapiestunde,dann, ab der vierten Woche, jede vier-te Therapiestunde notiert.

Erste Beobachtungen

Im Folgenden werden erste Beobach-tungen aus dem laufenden Pilotprojektvorgestellt, um die beschriebenenWechselwirkungen zwischen den Ent-wicklungsprozessen ’Bindung – Tren-nung – Individuation’ für die Sprach-entwicklung aus dem Blickwinkel desersten Beobachtungsmaterials anzuge-hen.Unabhängig von ihrer Spracherwerbs-störung, gelingt bei den meisten Kin-dern die Trennung nach kurzer Zeitsehr gut. Sie können nach ein, zweiStunden bereits alleine mit der Thera-peutin im Zimmer bleiben. Bei Tren-nungsschwierigkeiten ist Kindern undMüttern das Problem „Trennung“ be-wusst, doch unterscheidet sich die Art

und Weise, ob der Trennungskonfliktbewusst sein darf, oder ob er ver-drängt wird. Wir können beobachten,dass manche Mütter ihrem Kind ein-deutige Signale für die bevorstehendeTrennung geben und die vollständigeTrennung (Trennungsskript) verbali-sieren. Sie versuchen, ihrem Kind dieTrennung und das Alleinsein etwas er-träglicher zu machen, indem sie verbaldie Wiedervereinigung fokussieren und/oder Vorschläge zum Spielen geben,mögliche positive wie auch negativeErlebnisse erwähnen oder die ärgerli-chen oder ängstlichen Gefühle derKinder benennen. Insgesamt könnendiese Kinder wiederum aktiver mitihren negativen Gefühlen umgehen,sich verbal klarer abgrenzen oder ihreAngst ausdrücken. Diese eindeutigenReaktionen der Kinder ermöglichenden Müttern ihrerseits, klarer zu seinund sich besser auf ihr Kind einzustel-len. Tendenziell gelingt es diesen Kin-dern besser, sich trösten zu lassen,auch wenn sie zuerst mit Ablehnungenund teilweise mit aggressiven Hand-lungen reagieren. Einige Kinderdrücken ihren Unmut über die Tren-nung unklar aus, zum Beispiel durchJammern. Für die Mütter dieser Kin-der ist es schwieriger, auf das ’Jam-mern’ zu reagieren. Klann-Delius hatdiese Kinder in ihrer Untersuchung alsunsicher gebunden klassifiziert. Siekonnte ebenfalls beobachten, dassMütter von unsicher gebundenen Kin-dern oft mit unklaren und doppeldeu-tigen Signalen reagierten (2002, S. 98).Mütter, die ihrem Kind gleichzeitigKlarheit wie auch Einfühlungsvermö-

gen zeigen, bieten ihremKind ein für die Individua-tionsentwicklung deutli-ches Ich und Du an. Esscheint, dass diese Ab-grenzung und gleichzeiti-

ge Bezogenheit dem Kindhelfen, sich besser zu

spüren und mit der Zeit sel-ber seine Gefühle zu regulieren.

Die Klarheit der kindlichen Signale(Gefühlsäußerungen) wiederum hilftder Bindungsperson, die kindlichenBedürfnisse besser zu verstehen unddarauf zu reagieren. Das Gelingen ei-ner guten Trennung hängt also vonbeiden InteraktionspartnerInnen ab.

Bedeutung für die Therapie

Zu Beginn und während der gesamtenTherapie bei kleinen Kindern mitSpracherwerbsstörungen besteht dietherapeutische Aufgabe hauptsächlichdarin, die Bedürfnisse und Wünschedes Kindes wahrzunehmen und sich andiese anzupassen, damit es in einerverlässlichen Beziehung Entwicklungs-schritte machen kann. Eines der wich-tigsten Ziele gerade bei Kindern mitTrennungsschwierigkeiten bestehtaber darin, den Loslösungsprozess zuunterstützen. Damit das Kind dieMöglichkeiten des Anderen überhauptentdecken kann, gehören auch dessenGrenzen dazu. Sobald sich die Thera-peutin dem Kind als Person gegenü-berstellt, entstehen Situationen, in de-nen sie die Bedürfnisse oder Wünschedes Kindes nicht sofort oder nichtgenügend gut befriedigen kann und diefolglich ein „Nein“ verlangen. Wir be-gegnen in logopädischen Therapienimmer wieder Kindern, insbesondereKinder mit Trennungs- und/oder Be-ziehungsunsicherheiten, bei denen essehr wichtig ist, dass die Therapeutin„Nein“ sagen kann. Sie befürchtetzwar in solchen Momenten, dass dasKind durch das Nein wieder weinendzur Mutter gehen will, doch das Wis-sen um den therapeutischen Wert eines„Nein“ kann der Therapeutin vorersthelfen, die Frustration des Kindes

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über-haupt zu ertragen.Als Logopädin versuche ich in solchenSituationen nicht nur zu beschreiben,dass ich seine Wut gesehen und soweitverstanden habe, sondern erkläreauch, dass ich im Augenblick etwasBestimmtes nicht machen möchte oderkeine Lust dazu habe beziehungsweiseihm ein bestimmtes Verhalten zutraueund sage zum Beispiel: „Ich weiß, dassdu ohne deine Mama und alleine mitmir im Therapieraum bleiben kannst;ich halte deine Wut und Traurigkeitschon aus“. So gut es mir gelingt, ver-suche ich dem Kind in solchen Situa-tionen ein Ich und ein Du anzubieten,auch wenn es immer wieder nicht ein-fach ist, die „Böse“ zu sein.Trennungsthemen zeigen sich nichtnur in den Trennungssituationen, son-dern häufig auch in den Therapiestun-den. In wiederkehrenden Tätigkeitenscheinen Kinder ihre Loslösungsthe-men in Spielen zu verarbeiten, wie fol-gende Beispiele zeigen: Anbinden undVerknüpfen von Schnüren und Bindfä-den, Vertäuen von Schiffen, Hinterher-ziehen von Fahrzeugen oder Tieren,Gespräche mit dem Spieltelefon, Ein-wickeln von Gegenständen, Behälter-spiele, Kochen, Versteckspiele und an-deres weisen auf Themen der Bindunghin. Die Themen der Trennung zeigensich oft in sehr genussvollen Tätigkei-ten wie Abschneiden und Durchtren-nen: Alles Mögliche wird ab- und ent-zweigeschnitten und mit Klebestreifenwieder zusammengeklebt. In Spielenmit Fahrzeugen, Stopp- und anderenVerkehrssignalen wird ’autonom’ her-umgefahren, Raub- oder anderen Tie-ren werden eingesperrt und wieder

freigelassen. In anderen Spielszenenlässt sich erahnen, dass das

Kind seine Ängste, Verun-sicherungen oder Ent-

täuschungen bezüglichseiner Trennungsthe-men ’kurieren’ möch-te, wie beispielsweise

in Doktor- und Gara-genspielen. (vgl. Zollinger,

2007b, S. 19; Bürki, 2007; Sas-senroth-Aebischer, 2005, S. 270).

Bei einigen Kindern löst die Trennungnach der Therapiestunde Wut, Traueroder Chaos aus. Manche wollen dabeietwas mitnehmen. Meist geht es dar-um, dass sie mit diesem Gegenstand ei-ne Brücke zwischen dem Therapie-raum und dem Zuhause schaffenmöchten. Diese Gegenstände sind kei-ne Übergangsobjekte; sie haben jedocheine ähnliche Funktion: Das Kindmöchte mit dem Gegenstand aus demTherapieraum die Kontinuität zwi-schen dem Erlebten in der Therapieund dem Zuhause sichern. Manchmalscheint es, als ob das Kind mit demWunsch etwas mitzunehmen, die er-forderliche Trennung zwischen ihmund der Therapeutin aufheben möch-te.Andere Beobachtungen zeigen, dasssich in manchen Trennungssituationendie Gefühle der Mutter zu einem fürsie unerträglichen Maße verdichtenund bei ihr ein großes Dilemma zwi-schen Schuld, Ärger und immensemSelbstanspruch auslösen, sodass ihremütterlichen Kompetenzen blockiertsind und sie dem Kind dadurch keiner-lei Regulationshilfen mehr gebenkann. In der Praxis zeigt sich manch-mal folgende Situation: Das Kindklammert sich schreiend an den Rock-zipfel der Mutter, quengelt, will aufihren Schoß und ihre ungeteilte Auf-merksamkeit. Die Mutter wiederumversucht einerseits ihr Kind sanft oderoftmals auch mit zunehmender Ge-reiztheit oder verhaltenem Ärger zuberuhigen. Andererseits will sie dasGespräch mit der Therapeutin weiter-führen, was jedoch in einer solchen Si-tuation kaum mehr möglich ist. Die

Therapeutin wird in solchen Situatio-nen ausgegrenzt oder fühlt sich zumin-dest ausgegrenzt und der Dialog zwi-schen ihr und der Mutter ist abgebro-chen, als ob es nur noch diese ’Zwei’geben würde. Hierbei zeigt es sich alsnotwendig, diesen Müttern die Mög-lichkeit zu geben, die ausgelösten Ge-fühle und Trennungs-Themen zu be-sprechen. Das Thematisieren der aktu-ellen elterlichen Bedürfnisse ist oftmalsein erstes zentrales Thema, das den El-tern helfen kann, die eigenen Bedürf-nisse von denjenigen ihres Kindes zutrennen. Durch diese Fähigkeit fällt esden Eltern meist leichter, ihr Kind alsgetrennt von sich selbst wahrzuneh-men, und sie können dadurch seine Be-dürfnisse oft besser verstehen. In denGesprächen versuche ich als Thera-peutin der Mutter zu erklären, dass esfür den Loslösungsprozess von großerBedeutung ist, nicht alle Wünsche undBedürfnisse ihres Kindes sofort zu be-friedigen, sondern ihm kleine Frustra-tionen zuzumuten und ihm zuzutrau-en, dass es gewisse Schritte selber ma-chen kann. Es kommt nicht selten vor,dass Mütter einige Zeit später vomersten kleinen Streit erzählen, den siesogar ein bisschen genießen konnten.Erschwerte Trennungen lösen mögli-cherweise auch bei der TherapeutinVersagensängste, Zurückweisungen,Hilflosigkeit, Ärger oder ein Unbeha-gen aus. Reflexionen darüber sind in-sofern wichtig, als sie doch oft Ergeb-nisse von Übertragungs- oder Gegen-übertragungsgefühlen des kleinen Kin-des oder eines Familienmitgliedes sind(Zollinger 2007b, S. 27). Im Konkre-ten kann das Gefühl des Ausgeschlos-senseins oder des ’Nicht-Hineinkom-mens’ ein Gefühl des Kindes odermöglicherweise des Vaters widerspie-geln, der in einer zu symbiotischenMutter-Kind-Beziehung keinen Platzfindet. Demzufolge ist es wesentlich,beide Elternteile beim Verstehen undBegleiten des betroffenen Kindes ein-zubeziehen.Die ineinander verwobenen dreifachenEinheiten zwischen Mutter-Vater-Kindund zwischen Therapeutin-Eltern-

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Kind stellen hohe triadische Fähigkei-ten an alle Beteiligten, insbesondereauch an die Therapeutin. Es bedingt,dass sie im (harmonischen) therapeuti-schen Setting mit dem Kind den Elternals Dritten einen Platz zugestehenkann, insbesondere, um einen mögli-chen Loyalitätskonflikt zwischen Mut-ter und Kind bearbeiten zu können.Die Möglichkeiten oder Schwierigkei-ten eines Kleinkindes sich zu trennenund andere Beziehungswünsche reali-sieren zu können, hängen also auchdavon ab, ob die Eltern und die The-rapeutin über ’genügend gute’ triadi-sche Kompetenzen verfügen. Esspricht einiges dafür, dass letztendlichauch unsere eigenen frühen Erfahrun-gen mit Bindung, Trennung, Unabhän-gigkeit in der therapeutischen Bezie-hung mit dem Kind eine nicht unwe-sentliche Rolle spielen, sodass auch beiuns TherapeutInnen im Umgang miteiner erschwerten TrennungssituationKonfliktabwehr oder teilweise Schuld-zuweisungen einfließen können.

Schlussbemerkungen

In der kindlichen Entwicklung gibt esnur wenige Entwicklungsschritte, diefür die seelische Entwicklung so an-spruchsvoll sind, wie die Bewegungvon einer Zweier- zu einer Dreierbezie-hung (Fonagy, 1998, S. 141). Sich vonder Mutter zu trennen und sich einemDritten hinzuwenden, ist nicht nur ei-ne unvermeidbare Notwendigkeit füreine gesunde Entwicklung des Kindes.Es ist auch ein Bedürfnis jeden Kindes,sich von der Mutter trennen zu dürfenund den Dritten und somit die Weltentdecken zu können.Wenn man die Überlegungen aus dermodernen Bindungsforschung als einesinnvolle theoretische Position be-trachtet und anerkennt, dass das Spre-chenlernen in einer Beziehungsdyna-mik eingebettet ist, dürfen die Beob-achtungen des Bindungs- und Bezie-hungsverhaltens in der logopädischenTherapie und in den Elterngesprächeneinen berechtigten Platz einnehmen.Die Trennungs- und Wiedervereini-

gungssituationen in der Logopädie eig-nen sich besonders gut dafür, die Be-deutung früher Beziehungserfahrun-gen zu untersuchen, die auf frühe In-teraktionserfahrungen des spracher-werbsverzögerten Kindes hinweisen.Sie können jedoch nur angemessen in-terpretiert werden, wenn sie in Bezugzur Interaktionsgeschichte und denBindungserfahrungen zwischen demKind und seinen Eltern gesetzt werden.Es lohnt sich daher, dem ’Sich-trennen-können’ Zeit und Raum zu lassen, dernicht nur dem Kind, sondern auch derMutter und dem Vater zugestandenwird. Wenn die Trennung zum richti-gen Zeitpunkt und für alle drei Betei-ligten gut bewältigt wird, kann sie füreinen späteren Umgang mit Trennun-gen und Beziehungen stärkend sein.

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Autorin:Sylvia Sassenroth-Aebischer

Dipl. Logopädin/SprachheilpädagoginLogopädie Bienzgut

Bernstr. 77, CH- 3018 [email protected]

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