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15 missio 6/2020 | 14 | missio 6/2020 Die Menschen werden umgesiedelt, ihre Felder bringen keinen Ertrag mehr. Lethargie und Hoffnungslosigkeit machen sich breit. Im Süden von Sambia zerstört der Kohlebergbau die Lebensgrundlage vieler Dorfbewohner. TEXT: KLAUS SIEG FOTOS: JÖRG BÖTHLING VOR ORT SAMBIA Die Mine der Misere

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Die Menschen werden umgesiedelt, ihre Felder bringen keinen Ertragmehr. Lethargie und Hoffnungslosigkeit machen sich breit. Im Süden vonSambia zerstört der Kohlebergbau die Lebensgrundlage vielerDorfbewohner.

TEXT: KLAUS SIEG FOTOS: JÖRG BÖTHLING

VOR ORT SAMBIA

Die Mine der Misere

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BENSON SIAKABANZE zeigtauf ein kleines Viereck aus Mauerresten.„Das war das Haus, in dem ich zur Weltgekommen bin“, sagt er und macht einePause. „Und unter dem Baum dort habenwir immer im Schatten gesessen.“ Erneutverstummt der 43-Jährige und lässt denBlick über Steinhaufen, verwilderte Beeteund einige wenige zurückgelassene Haus-haltsgegenstände schweifen.

Der Besuch geht dem Farmer sichtlichnahe. Zusammen mit seiner Nachbarin,Rose Chulou, zeigt er anschließend dieehemaligen Felder der beiden Familien.„Die Äcker haben unsere Familien nochbis vor kurzem gut ernährt.“ Heute ziehensich dunkle Risse durch das Ackerland.Bäume stehen schief. Ein Schild verbietetden Zutritt.

Aufgestellt hat es „Collum Coal Mine“,die chinesische Betreiberfirma der Kohle-mine, für die drei Viertel der Dorfbewoh-ner weichen mussten. Rose Chulou stehtmit verschränkten Armen am Feldrand.Die Farmerin kommt regelmäßig, um dieMangos von den Bäumen zu pflücken, diesie selber neben ihrem ehemaligenWohn-haus gepflanzt hatte. „Das fühlt sich jedesMal sehr schlecht an.“

Bereits die Anfahrt in das Dorf Sia-majele im Süden Sambias lässt nichts Gu-tes erahnen.Auf der von schwarzem Koh-lestaub bedeckten Piste rumpeln voll-beladene Lastwagen durch tiefe Schlag-löcher. Am Rande stehen lange Reihenleerer Fahrzeuge, die auf ihre Beladungwarten. Die Fahrer hocken im Schattendaneben, einige schlafen auf Matten.„Früher gab es hier nur das Dorf, die Fel-der und den Busch“, erinnert sich LillianHamusiya. Die Mitarbeiterin einer Hilfs-organisation grüßt einige Frauen amStraßenrand, die Obst und Gemüse andie Fahrer verkaufen.

Prostitution und Kneipen laufen gutNicht das einzige Gewerbe, das durch dieMine boomt. In schummrigen Kneipenmit Namen wie Bana Bangu Bar vertrin-ken Minenarbeiter, die meist aus weiterentfernten Orten zum Arbeiten hierherkommen, ihren kargen Lohn. „Auch dieProstitution hat sehr zugenommen, undmit ihr die HIV-Ansteckungsrate.“

Die Frauen sind nicht die letzten, dieLillianHamusiya grüßt. Bis vor einem Jahrhat sie hier noch mit den Dorfbewohnerngearbeitet, hat sie in nachhaltiger Land-wirtschaft beraten, Ernährungskurse ge-geben, verbessertes Saatgut verteilt oderüber sparsame Bewässerungsmethoden re-feriert. Mit Erfolg, die Menschen konntensich von ihrem Land ernähren, was in die-ser Region im Süden Sambias keine Selbst-verständlichkeit ist.

Alles das war zu Ende, als vor rund zweiJahren über den Stollen derMine die Erdeaufzureißen begann.„Sie untersagten uns,weiterhin auf den Feldern zu arbeiten, vielemussten wegen der Risse ihre Häuser ver-lassen“, erinnert sich Benson Siakabanze.Einige Bewohner erhielten Unterschlupfin der Kirche, andere mussten fürMonate

Oben: Eingang zur chinesischen Kohlemine.Unten: Schwerlastwagen für den Kohletransport stehenin langen Warteschlangen vor dem Bergwerk.

Frauen verkaufen Obst und Gemüse an die Lastwagenfahrer.Abenteuerliche Schienen führen in einen Schacht des Kohlebergwerks.

BENSON SIAKABANZEhat durch den Kohlebergbaudas Haus verloren. Im Hínter-grund die Überreste.

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Vorher bewirtschafteten sie drei Hektar.So wie Benson Siakabanze und seine Fa-milie haben sich auch die anderen ausdemDorf entlang der schwarzen Piste mitder langen Reihe Lastkraftwagen angesie-delt, nur ein bis zwei Kilometer von ihrenalten Häusern entfernt.

Benson Siakabanze hat an seinemneuenWohnort noch ein Stück Land voneinemHektar, das er von seinemVater ge-erbt hatte. Es ernährt die Familie einiger-maßen.Weniger gut sieht es für Rose Chu-lou und die meisten anderen aus. DieWitwe konnte sich von der Entschädigunggerade einmal einenViertel Hektar Acker-land kaufen. Sie muss zusätzlich zur Land-wirtschaft Geld verdienen mit der Her-stellung von Holzkohle, wie viele andereKleinbauern in der Region.

Mit ihrenMacheten hacken sie Bäumeund Buschwerk ab und verkohlen dasHolz, um es an der Straße zu verkaufen.Mit schlimmen Folgen für Umwelt undMenschen. „Die Arbeit in dem ständigenQualm ist sehr anstrengend.“ Rose Chu-lou hustet. „Und die Einnahmen sindsehr gering.“ Sie reichen gerade einmalfür die drei Waisen, um die sie sich küm-mert. Selbst muss die 49-Jährige zusam-men mit den anderen sechs Erwachse-nen im Haushalt meistens eine Mahlzeit

am Tag auslassen. Und bald könnte esnoch schlimmer kommen.

Wie lange wird Rose Chulou denneuenHof und ihr kleines Ackerland nut-zen können? Die Kleinbauern haben keinegerichtsfesten Titel auf ihr Land. Die chi-nesische Firma hingegen verfügt seit 2001über eine Konzession der sambischen Re-gierung. Und die Nachfrage nach Kohlewächst. Vor allem aus dem Kupferabbau-gebiet im Norden Sambias, dem so ge-nannten Copper Belt, und den zahlrei-chen Zementwerken im Land, aber auchaus Nachbarländern wie der Demokrati-schen Republik Kongo.

Zurzeit holen die 500 Minenarbeiter50 000 Tonnen im Monat aus den bis zu350 Meter tiefen Stollen. Die Sicherheits-und Umweltstandards sind katastrophal.Regelmäßig gibt es Unfälle, nicht selten en-den diese tödlich.Hinzu kamen in derVer-gangenheit immer wieder Konflikte umnicht gezahlte Löhne und Steuerschulden.Es gab gewaltsame Auseinandersetzungenbis hin zu Schießereien. Arbeiter und einchinesischer Manager wurden getötet.

Zwischenzeitlich entzog die sambischeRegierung „Collum Coal Mine“ die Kon-zession. Seit 2015 aber ist die Firma wie-der im Geschäft. Und ihr wurde sogar

VOR ORT SAMBIA

ROSE CHULOUwurde für den Kohlebergbauumgesiedelt, Felder hat siejetzt keine mehr.

in Zelten wohnen, die nur allmählich undnach mehrmaligen Beschwerden von denBehörden aufgestellt wurden. Erst nacheinem von Lillian Hamusiya und ihrer Or-ganisation angestoßenen Fernsehberichterhielten erste Bewohner Entschädigun-gen. „Mindestens ein Viertel von uns hataber immer noch nichts bekommen.“

Benson Siakabanzes Augen funkeln vorEmpörung. „Diese Menschen wohnennach wie vor im alten Dorf und arbeitenauch auf ihren Feldern.“ Seine Familie hatdas Geld zwar endlich im vergangenenJahr erhalten.Doch für mehr als ein StückLand, auf das ein paar Wohnhütten fürdie 25-köpfige Großfamilie passen, habendie umgerechnet 250 Euro nicht gereicht.

Häuser der zwangsumgesiedelten Dorfbewohner. Oben: Aufbereitung der geförderten Steinkohle; Mitte: Feierabend in der Bana Bangu Bar; Unten: Zwischengelagerte Kohle der Dorfgenossenschaft.

Bauern bestellen ihre kleinen verbliebenen Parzellen.

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eine Erweiterung der Mine in Aussichtgestellt. Das Vorkommen ist Teil einesKohlegürtels, der sich bis nach Südafrikazieht. Keine guten Nachrichten für RoseChulou, Benson Siakabanze und die an-deren ehemaligen Bewohner von Siama-jele. So wie auch für ArnodMaiya, einemNachbarn von Benson Siakabanze.

Viermal wurden sie schon vertriebenDer 63-Jährige vertritt eine Genossen-schaft von Menschen aus der Region, dieim Klein-Tagebau hinter dem ehemaligenDorf Siamajele neben ihrer Landwirt-schaft selbst Kohle gewinnen. Der Tage-bau wurde Ende der 1960er Jahre von ei-ner italienischen Firma gestartet. Ihreschweren Maschinen fraßen einen tiefenKrater in das Land. Ein plötzlicher Was-sereinbruch setzte dem ein schnellesEnde – und verwandelte den Krater ineinen See. „Das ging so schnell, dass sienicht einmal die Lastwagen und dieschweren Fräsmaschinen bergen konn-ten“, erinnert er sich.

Sie stehen heute noch auf dem Grunddes Sees, an dessen Ufer ArnodMaiya unddie anderen aus der Genossenschaft mitHacken Kohle abschlagen und auf klei-nen Booten abtransportieren. „Das ist füruns überlebenswichtig, seit wir nicht mehrauf unseren Feldern arbeiten können.“

Vier Vertreibungen hat Arnod Maiyain seinem Leben erdulden müssen. Alser ein kleines Kind war, bewirtschafteteseine Familie fruchtbares Land im Taldes Sambesi, dem Grenzfluss zum südli-chen Nachbarland Simbabwe. Für denKariba-Stausee, einem der größten derErde, siedelte die Regierung sie Ende der1950er Jahre das erste Mal hierher um.

Als die italienische Firma zehn Jahrespäter anfing, nach Kohle zu graben,mussten sie wieder umziehen. DiesesMal gab die Regierung ihnen Land einpaar Kilometer weiter, in Richtung desKariba-Stausees. „Das Land war flachund die Böden fruchtbar“, erinnert ersich. Das fand auch ein ausländischerGroßinvestor. Wieder musste die lokaleBevölkerung weichen. Mittlerweile standdie italienische, offene Kohlenmine unterWasser und die Familie von ArnodMaiyakehrte zurück nach Siamajele – nunmehran einen See.

Dieser speiste fortan sogar ein Bewäs-serungssystem, das die Bewohner vonSiamajele dank der Unterstützung einerEntwicklungsorganisation bauten. „Dasbrachte unsere Landwirtschaft sehr vo-ran.“ Doch dann begann die Erde aufzu-reißen. „Ohne den eigenen Kohleabbaukönnten wir unsere Familien nicht ernäh-ren“, sagt Arnod Maiya. Doch schon ein-

mal haben die chinesischen Minenbe-treiber versucht, das gerichtlich zu unter-binden. Ein Kompromiss wurde gefun-den. Seitdem darf die Genossenschaft, der200 Haushalte angehören, 30 Tonnen proMonat abbauen. Das hört sich zunächsteinmal viel an.

„Das ist nicht mehr als so ein Haufen.“Arnod Maiya zeigt auf einen schwarzenkleinen Berg aus Kohlebrocken, die vonden Männern der Kooperative zwischendem Ufer des Sees und dem alten Dorfaufgeschüttet wurden. Sie sind kaum hö-her, als die bescheidenenHütten derMen-schen im Dorf.

„Collum Coal Mine“ baut jede Stundedrei Mal so viel ab. ArnodMaiya zieht dieSchultern hoch und schüttelt den Kopf.„Was kommt als nächstes?“ Dann machter sich wieder auf den Weg nach Hause,über die schwarze Piste, vorbei an seinemalten Dorf mit den verfallenen Häusern.Und an den brach liegenden Feldern vonRose Chulou und Benson Siakabanze.Eine Zukunft sieht anders aus.A

UMKÄMPFTES LAND, UMSTRITTENE MINE

Oben: Gefluteter Tagebau einer italienischen Firma aus den 1960er Jahren. Unten: Der lokalen Bevölkerung bleibt als Einkommensquelle oft nur Holzkohle.

Die Geschichte der Collum Kohlemine zeigt deut-

lich, mit welchen Schwierigkeiten die Menschen

in rohstoffreichen, aber armen Ländern wie

Sambia zu kämpfen haben. Ihre Regierungen

machen ausländischen Investoren teils große

Zugeständnisse, um die Wirtschaft anzukurbeln,

und in einigen Fällen auch, um von diesen Ge-

schäften selbst zu profitieren. Für die betrof-

fene Bevölkerung bedeutet das, immer wieder

Grund und Boden zu verlieren.

Die Kohleförderung der Collum-Mine begann

1966 in der Hand der sambischen Regierung,

war aber von kurzer Dauer: Probleme mit dem

Erdreich und Überflutungen zwangen die Be-

treiber bereits nach einem Jahr zur Stilllegung.

Erst im Jahr 2000 nahm ein chinesischer Inve-

stor aus der Provinz Jiangxi den Abbau wieder

auf. Die mangelhaften Sicherheits- und Um-

weltstandards in der Mine sorgten in den Folge-

jahren wiederholt für Skandale. Auch die Ar-

beitsbedingungen und die schlechte Entloh-

nung trieben die sambischen Arbeiter in Streiks.

Einer dieser Streiks eskalierte im Jahr 2010, die

chinesischen Vorarbeiter setzten Schusswaffen

ein und verwundeten 13 sambische Minenar-

beiter. In den Folgejahren entzog die sambische

Regierung dem chinesischen Betreiber aufgrund

der massiven Umweltschäden die Lizenz und

gestand sie erst 2015 wieder zu.

VOR ORT SAMBIA

Bahnhof Lusaka:Abtransport derSteinkohle zumCopperbelt.

ARNOD MAIYAwollte die Kohlereste auseinem stillgelegten Tage-bau selbst verkaufen.Doch die Chinesen habendas gestoppt.