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Vorlesung19. Januar 2010
Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Dipl.-Psych. Harald ZäskeForschungsgruppe Destigmatisierung psychisch Kranker
LVR-Klinikum DüsseldorfKliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Platzhalter Changing Minds Tube Card
Platzhalter Time to Change Plakat
Übersicht
• Einführung• Stigmatisierungserlebnisse• Entstehung• Stragegien und Maßnahmen zur Bekämpfung• Aktivitäten in der LVR-Klinik und in Düsseldorf
Wortbedeutungen:
Stigma und Diskriminierung
Stigma:
• Altgr. stigma: Stich oder Brandmal zur Kennzeichnung von Sklaven und Verbrechern
• Heutiger Sprachgebrauch: ein negativ bewertetes Merkmal, das jemanden deutlich sichtbar von anderen unterscheidet, als „andersartig“ erkennbar macht
Diskriminierung:
• Besondere Behandlung von Personen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe
• Unmittelbare und mittelbare Diskriminierung
• Strukturelle Diskriminierung
Link BG, Phelan JC (2001). Annu Rev Sociol 27: 363-385
Labeling: Wahrnehmung und Etikettierung von Unterschieden in Persönlichkeit oder Verhalten (Abweichung von sozialen Normen)
Stereotypisierung: Verknüpfung der Unterschiede mit negativen Stereotypen (z.B. „Menschen mit psychischen Erkrankungen sind grundsätzlich gefährlich“)
Abgrenzung: negativ etikettierte Personen sind grundlegend unterschiedlich von nicht etikettierten - sie sind eine andere Art von Mensch, im extrem: sie sind minderwertig
=> Statusverlust und Diskriminierung
Stigma als Prozess:Sozialwissenschaftliche Definition
EinführungHistorische Entwicklung
• Antike und Christentum• Bewältigung beschädigter Identität (Goffman)• Etikettierungsansatz (Scheff), Psychiatriekritik und
Antipsychiatrie (Cooper, weitere)• „Gotland-Studie“ (Rutz 1989)• Modifizierter Etikettierungsansatz (Link 1989)• Advocacy (NAMI)• Nationale Antistigma-Programme (Defeat
Depression)• Internationale Antistigma-Programme (WPA, WHO)
EinführungDie Situation in Deutschland
• 2. Weltkrieg: Aktion „T4“• 50er Jahre: Entdeckung erster Psychopharmaka• Enquête-Kommission (1975)• „Geistig-moralische Wende“ (1983)• Selbsthilfebewegung (Gründung BPE 1991)• 11. WPA Weltkongress Hamburg (1999)• Antistigma-Projekte / „Open the doors“• Aktionsbündnis für Seelische Gesundheit
22,925,7
71,3
18,6
6,7
65,2
73,9
56,450,2
77,3
52,9
28,9
70,8
77,8
18,622,3
8,14,2
38,1
52,446,9
0
10
20
30
40
50
60
70
80
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100
Schwer
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Gefahr für andere
Unberechenbar
Sollten sichzusammenreissen
Crisp et al. 2000: Br J Psychiatry 177: 4-7
UK: Representativumfrage (1998; N=1737; Labels)
%
Öffentliche Meinungen über verschiedene psychische Erkrankungen
9,4
6,7
7,0
55,3
16,2
12,3
53,9
10,4
8,4
13,2
37,5
8,0
53,4
45,8
23,4
40,6
81,4
72,6
38,7
60,4
52,7
51,3
58,5
40,1
37,2
47,5
69,7
4,1
2,4
15,1
7,4
29,1
38,9
35,5
3,9
51,8
0% 20% 40% 60% 80% 100%
gefährlich
kreativ
unberechenbar
gesund
dumm
verwahrlost
beherrscht
abnormal
hochbegabt
unzuverlässig
vernünftig
unheimlich
weniger
gleich
mehr
„Wie stark unterscheiden sich Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, von Menschen, die nicht erkrankt sind?“ (N=4586)
Stereotype über Schizophrenie
Telefonische Bevölkerungsbefragung in 6 deutschen Großstädten (2004)
Gaebel, Zäske, Baumann (2004)
Lauber C et al. (2000). Acta Psychiatr Scand 102 (suppl 407): 26-32
1 - Entzug der Fahrerlaubnis2 - Kein Wahlrecht3 - Sollte bei Schwangerschaft abtreiben
Schweizer Bevölkerung
0
10
20
30
40
50
60
70
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100
1 2 3
Zu
stim
mu
ng
in %
deutsch
französisch
italienisch
Einstellungen zu rechtlichen Einschränkungen für psychisch schwer
erkrankte Menschen
Angermeyer 2003: Psychiat Prax 30: 358-366
Wirkmechanismen
• Reale Stigmatisierungserfahrungen
• Antizipierte Stigmatisierung
• Internalisierung des Stigmas
Reaktionstypen
• Verärgerung
• Indifferenz
• Internalisierung
Wirkmechanismen des Stigmasund Reaktionstypen
• Verlust von Selbstwertgefühl, Selbststigmatisierung
• Verbergen, Rückzug, Verringerung sozialer Kontakte
• Erschwerter Zugang zu Arbeits- und Wohnmöglichkeiten
• Verminderte Lebensqualität
Konsequenzen auf das Alltagsleben
Konsequenzen auf den Verlauf der Erkrankung
• Negative Beeinflussung des Hilfesuchverhaltens
• Erhöhter Bedarf an Rehabilitation
• Höhere Vulnerabilität
Crisp AH (ed) Every family in the land. Online book (2000)Althaus D, Hegerl U (2003) MMW- Fortschr Med 145: 42-44
Konsequenzen für die Betroffenen
• Die Familie• Das engere soziale Umfeld• In psychiatrischen Berufen Tätige• Psychiatrische Behandlungsmethoden• Psychiatrische Behandlungsinstitutionen
Das Stigma psychischer Erkrankungen betrifft neben den Erkrankten:
Ausbreitungstendenz des Stigmas
Übersicht
• Einführung• Stigmatisierungserlebnisse• Entstehung• Stragegien und Maßnahmen zur Bekämpfung• Aktivitäten in der LVR-Klinik und in Düsseldorf
Stigmatisierungserlebnisse von Betroffenen und Angehörigen
Schulze B, Int Rev Psychiatr 2007: 19: 137-155
Fast ein Viertel der berichteten Stigmatisierungserlebnisse standen im Zusammenhang mit psychiatrischem Personal und psychiatrischer Versorgung!
4,1
4,1
5,9
6,2
6,8
8,9
8,9
11,0
11,3
16,9
0 5 10 15 20 25
Ungleiche Behandlung psychischer und somatischer
Erkrankungen
Geheimhaltung
Unsicherheit und Angst
Fehlendes Wissen undInformationsangebote
Negatives Bild in den Medien
Zuschreibung von Schuld /eigener Verantwortung
Eingeschränkter Zugangzum Arbeitsmarkt
Qualität der psychiatrischenVersorgung
Kontakt mit Mitarbeiternin der Psychiatrie
Soziale Ausgrenzung /fehlendes Verständnis
Nennungen (%)
%
30
24
46
00
10
20
30
40
50
60
70
Negativ Neutral Positv Keine Angabe
Baumann AE, Zäske H, Gaebel W (2007)
INDIGO Patientenbefragung:Diskriminierungserlebnisse in der Familie
%
54
20 20
7
0
10
20
30
40
50
60
70
Negativ Neutral Positv Keine Angabe
Baumann AE, Zäske H, Gaebel W (2007)
INDIGO Patientenbefragung:Globale Beurteilung der Konsequenzen
durch die Diagnose
INDIGO Patientenbefragung:
Eigene Reaktionen
In welchem Maß haben Sie ..
.. darauf verzichtet, sich auf eine Arbeit / Ausbildung zu bewerben: 61.1%
.. darauf verzichtet, eine enge persönliche Beziehung anzustreben: 61.4%
.. auf etwas anderes verzichtet, was Ihnen wichtig ist: 71.4%
.. das Gefühl, ihre Diagnose zu verschweigen oder verbergen zu müssen: 76.7%
(etwas / viel)
Baumann AE, Zäske H, Gaebel W (2007)
• Einführung• Stigmatisierungserlebnisse• Entstehung• Stragegien und Maßnahmen zur Bekämpfung• Aktivitäten in der LVR-Klinik und in Düsseldorf
Übersicht
Ebenen der Entstehung
von Stigma
Bevölkerung
Personen mit einer
seelischen Erkrankung
Medien
• Laientheorien über psychische Erkrankung
• Stärkung von Normen und Werten der Gruppe, „kognitive Ökonomie“, Anhebung des Selbstwertgefühls
• Krankheitsbedingtes, als „anders“ wahrgenommenes Verhalten (Krankheitssymptome) • Coping-Strategien (Sozialer Rückzug, Verschweigen) • Medikamenten-Nebenwirkungen
• Medienberichte und Spielfilme fokussieren häufig auf die Darstellung psychisch kranker Gewalttäter und auf sozial abweichendes Verhalten Erkrankter
Was fällt Ihnen zum Wort Schizophrenie ein?
Holzinger A et al. (1998). Psychiat Prax 25: 9-13
Repräsentativerhebung 1993 in den neuen Bundesländern (Allgemeinbevölkerung, Substichprobe n=1435): Spontane Assoziationen zum Begriff Schizophrenie (n=759)
n %*
Bewusstseinsspaltung 199 13,9
Persönlichkeitsspaltung 127 8,9
andere Formen der Spaltung 104 7,2
Wahn (allgemein) 64 4,5
Wahn (spezielle Formen) 63 4,3
Verwirrtheit 37 2,6
Bewusstseinsstörung 30 2,1
Halluzinationen 29 2,0
Denkstörung 27 1,9
gestörter Realitätsbezug 16 1,1
Gedächtnisstörung 12 0,8
Störung des Handelns 12 0,8
Angst 12 0,8
* bezogen auf die Gesamtzahl der Befragten
• Einführung• Stigmatisierungserlebnisse• Entstehung• Stragegien und Maßnahmen zur Bekämpfung• Aktivitäten in der LVR-Klinik und in Düsseldorf
Übersicht
Aufklärung
• Drei Hauptstrategien: Aufklärung, Protest, Kontakt (Corrigan & Watson 2002)
• Aufklärung/Weitergabe von Informationen hat oft nur geringe Wirkung auf Einstellungen und Verhalten, ist jedoch wesentliche Voraussetzung für langfristige Veränderungen
• Nachgewiesene Verringerung der Einschätzung von Gefährlichkeit (Penn et al. 1999)
• Aufklärung über biologische Ursachen als ein Schwerpunkt akuteller Programme (Luchins 2004) mit dem Ziel der Reduktion von Scham und Schuld (Rüsch 2005) kann Zuschreibung von Verantwortung verringern, aber soziale Distanz vergrößern (Angermeyer & Matschinger 2005)
• Wirksamer in Verbindung mit „Kontakt“
Bundesweit implementierte
Antistigma-Programme
WPA Global Programme Against Stigma And Discrimination Because Of Schizophrenia
Aktionsbündnis fürSeelische Gesundheit
• Einführung• Stigmatisierungserlebnisse• Entstehung• Stragegien und Maßnahmen zur Bekämpfung• Aktivitäten im LVR-Klinikum und in Düsseldorf
Übersicht
Aktuelle Forschungsprojekte zu den Themen:
• Antistigma Interventionen(gemeinsam mit BMG und Aktionsbündnis für Seelische Gesundheit)
• Stigma of Psychiatry and Psychiatrists(mit der WPA)
• ITHACA: Menschenrechte in der psychiatrischen Versorgung(mit dem King‘s College, London)
• ASPEN: Europäisches Antistigma-Netzwerk (mit dem King‘s College, London)
=> Studentische Hilfskraft gesucht!
Forschungsgruppe Destigmatisierung
Aktionsprogramm zur Verbesserung der Früh-erkennung und Versorgung depressiv Erkrankter
• Gegründet November 2005
• 30 regionale Projektpartner
• Partnerzentrum in einem bundesweiten Netzwerk mit derzeit über 50 Zentren
• Kooperation mit Hausärzten, Kampagne zur Öffentlichkeitsaufklärung, spezielle Angebote für Betroffene und Angehörige, Zusammenarbeit mit Multiplikatoren
www.depression-duesseldorf.de
Das Düsseldorfer Bündnisgegen Depression
• Auftaktveranstaltung (April 2005)• Fortbildung: Depression bei Kindern und Jugendlichen• Patiententage (2005 und 2007)• Tagung: Depression und Alter• Berufliche Weiterbildungen zur Erkennung und Behandlung von
Depressionen (mit der Ärztekammer Nordrhein) – Fokus 2008/2009: Komorbidität
• Fortbildung von Pflegekräften und ehrenamtlichen Seniorenbegleitern
• Aktionen zum Suicide Prevention Day (10.9.09), u.a. Pressegespräch, Workshop für Fachleute im Sozialwesen
• 17.-20. Februar 2010: Aktionswoche „GRENZen erLEBEN“ zur Destigmatisierung gem. mit dem Gesundheitsamt
Aktivitäten
• Sensibilisierung und Aufklärung der Öffentlichkeit• Optimierung von (Früh-)Erkennung und Behandlung• Aufbau eines regionalen Netzwerkes
Ziele und Aufgaben
WorkshopAntistigma-Kompetenz
• Zielgruppe: Personal psychiatrischer und psychosozialer Einrichtungen
• Interdisziplinäre innerbetriebliche Weiterbildung
• 2 Workshoptage mit 4 Blöcken:
• Stigma, Diskriminierung und soziale Inklusion(Einführung, Selbstreflektion)
• Rollen, Strategien, Herausforderungen der Stigma-Arbeit(Gruppenarbeit zu eigenen Erfahrungen)
• Perspektiven von Expert/innen aus Erfahrung(Selfbsthilfegruppen, lösungsorientierte Gruppenarbeit)
• Gemeinsam gegen das Stigma (Transfer auf den Arbeitsplatz)
• Co-Trainer mit Psychoseerfahrung
• Evaluation mit pre/post/3monats-Follow-up Erhebungen
Lokale Aktivitäten in Düsseldorf
mit Selbsthilfe-Bezug
• Psychose-Forum• Selbsthilfegruppe für Psychose „Normalos“• Stammtisch für psychisch kranke Menschen• Antistigma Düsseldorf
• Schulprojekte• Filmfestival AusnahmeZustand
Termine der Frühjahrsstaffel 2010: 21.04, 05.05, 19.05, 09.06 und 30.06
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!