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1 -VORLESUNG 1: DER WORTSCHATZ: EIN ‘SCHATZ’ MIT STRUKTUR 1. Struktur des Wortschatzes Der Wortschatz: ein ‘Schatz’ mit Struktur: primärer Wortschatz vs. sekundärer Wortschatz; aktiver Wortschatz vs. passiver Wortschatz vs. potentieller Wortschatz. Wortschatz als Speicher lexikalischer Mittel umfasst den Gesamtbestand der Lexeme einer Sprache (Inventar an Ausdrucksmitteln {Simplizia vs Komplexe}) und mobilster Teil/offenes System mit gröβter Bereitschaft zur Weiterentwicklung ('Dynamik' der Lexik einer Sprache: es kommen mehr Einheiten hinzu als solche, die verschwinden) → Frage des Umfangs (Abschätzung): Wortformen, Wortbildungen, Fachwortschätze → was soll einbezogen werden? Wichtiger als die Frage nach dem Umfang ist die nach der Benutzungshäufigkeit → primärer Wortschatz [Grundwortschatz] vs. sekundärer Wortschatz [abgeleiteter Wortschatz; Wörter, die mit Hilfe von Wortbildungsregeln vom Grundwortschatz abgeleitet sind] → Inhaltswörter [offene Klasse] in ständiger Entwicklung; Anpassung an neue Kommunikationsbedürfnisse; laufend entstehen neue Wortschatzelemente/Bedeutungen (Substantive, Adjektive, Verben) vs. Strukturwörter [geschlossene Klasse]: Pronomina, Artikel, Konjunktionen, Präpositionen Grundwortschatz [beständiger, produktiver und zentraler Teil; Zweitsprachenerwerb, Grundschulunterricht, Wörterbuch- herstellung] → häufigster Wortschatz [wiederkehrende Lexeme im Text] → lexikalisches Minimum [Menge lexikalischer Einheiten, die zur Lösung bestimmter Kommunikationsaufgaben erforderlich ist]. Im FSU: 1 Schwerpunkte ⇨ Struktur des Wortschatzes ⇨ Markierungsprädikate im Überblick ⇨ Wortschatzarbeit und Wortschatzvermittlung ⇨ Wörter als Zeitzeugen: die Dominanz des Englischen in der Wirtschaft, im Computerwesen und in der Werbung

Vorlesung Wortschatzerweiterung

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1 -VORLESUNG 1: DER WORTSCHATZ: EIN ‘SCHATZ’ MIT STRUKTUR

1. Struktur des Wortschatzes

Der Wortschatz: ein ‘Schatz’ mit Struktur: primärer Wortschatz vs. sekundärer Wortschatz;

aktiver Wortschatz vs. passiver Wortschatz vs. potentieller Wortschatz. Wortschatz als

Speicher lexikalischer Mittel umfasst den Gesamtbestand der Lexeme einer Sprache

(Inventar an Ausdrucksmitteln {Simplizia vs Komplexe}) und mobilster Teil/offenes System

mit gröβter Bereitschaft zur Weiterentwicklung ('Dynamik' der Lexik einer Sprache: es

kommen mehr Einheiten hinzu als solche, die verschwinden) → Frage des Umfangs

(Abschätzung): Wortformen, Wortbildungen, Fachwortschätze → was soll einbezogen

werden? Wichtiger als die Frage nach dem Umfang ist die nach der Benutzungshäufigkeit →

primärer Wortschatz [Grundwortschatz] vs. sekundärer Wortschatz [abgeleiteter Wortschatz;

Wörter, die mit Hilfe von Wortbildungsregeln vom Grundwortschatz abgeleitet sind] →

Inhaltswörter [offene Klasse] in ständiger Entwicklung; Anpassung an neue

Kommunikationsbedürfnisse; laufend entstehen neue Wortschatzelemente/Bedeutungen

(Substantive, Adjektive, Verben) vs. Strukturwörter [geschlossene Klasse]: Pronomina,

Artikel, Konjunktionen, Präpositionen → Grundwortschatz [beständiger, produktiver und

zentraler Teil; Zweitsprachenerwerb, Grundschulunterricht, Wörterbuch-herstellung] →

häufigster Wortschatz [wiederkehrende Lexeme im Text] → lexikalisches Minimum [Menge

lexikalischer Einheiten, die zur Lösung bestimmter Kommunikationsaufgaben erforderlich ist].

Im FSU: → aktiver Wortschatz [Wörter, die die Lerner produktiv verwenden] → passiver

Wortschatz [Wörter, die die Lerner einmal gelernt haben, aber nicht produktiv verwenden

können] → potentieller Wortschatz [abgeleitete/zusammengesetze Wörter, die neu für den

Lerner sind, die er aber auf Grund der Wortbildung erschließen kann, wenn er die

Wortbildungsregeln kennt]. Die deutsche Sprache hat ihren Umfang im 19./20. Jh. stark

vergrößert [300000 – 500000 + Fachwörter → 5-10 Mio. Wörter; Durchschnittssprecher:

6000 bis 10 000 aktiv beherrschte Wörter]. Laut IdS Mannheim gehören der, die, den, und,

von zu den häufigsten Wortformen; sein, haben, konnte, kommen, stehen, macht,

Modalverben, mehr, nicht, schon, wieder, immer, doch, keine, neue, neuen, ersten →

zentrale vs. periphere Einheiten. Die deutsche Sprache weist sowohl flektierende

Wortklassen (Nomen, Verben, Adjektive, Pronomen) als auch isolierende morphologische

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Schwerpunkte ⇨ Struktur des Wortschatzes ⇨ Markierungsprädikate im Überblick ⇨ Wortschatzarbeit und Wortschatzvermittlung ⇨ Wörter als Zeitzeugen: die Dominanz des Englischen in der Wirtschaft, im Computerwesen und in der Werbung

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Wortklassen (Adv., Partikeln, Konj.) auf. Die meisten dt. Wörter sind morphologisch komplex,

d.h. sie bestehen aus mehreren Morphemen und sind mittels Komposition oder Derivation

entstanden. Das Sprachsystem braucht Kontinuität für eine Verständigung → Notwendigkeit,

sich den kommunikativen und kognitiven Bedürfnissen anzupassen → die größte

Entwicklung verzeichnen die Fachwortschätze → durch neue Bezeichnungen werden neue

Gegebenheiten benannt → Wortschatzentwicklung: → Bildung und Übernahme neuer

lexikalischer Einheiten vs. → Rückgang oder Ausscheiden vorhandener lexikalischer

Einheiten.

Im Wortschatz sind neutrale Einheiten von markierten Einheiten zu unterscheiden →

Schwankungen in der Kenntnis lexikalischer Markierungen bei den Sprachteilhabern [berufs-,

ausbildungs-, alters-, sozialbedingt] → Relevanz für die Textproduktion und -rezeption →

Sprachwissen [funktional-stilistischer vs. kommunikativ-pragmatischer Einsatz von

Wortschatzelementen].

Der Wortschatz ist ein vielschichtiges Gebilde; er kann nach folgenden

Gesichtspunkten gegliedert und beschrieben werden:

a) etymologische Gliederung: Gruppierung der Wörter nach deren historischen

Gesichtspunkt der Abstammung, nach der Grundbedeutung der Wortwurzel: Etymon)

Wortfamilien

b) semantische Gliederung: Einteilung des Wortschatzes in Gruppen von Wörtern,

die semantische Gemeinsamkeiten haben Wortfeld (Farben, Temperaturen, Berufe)

c) die regionale oder diatopische Gliederung des Wortschatzes: Feststellung und

Lokalisierung von regional verbreiteten Elementen des Wortschatzes; kann sich auf

Existenzformen verteilen (z.B. Umgangssprache, Mundart, Standardsprachen). Innerhalb des

Deutschen haben sich verschiedene Schichten herangebildet, die den Menschen zur

Erfüllung ihrer kommunikativen Bedürfnisse dienen. Für die Gegenwart lässt sich das an

bestimmten Merkmalen unterscheiden: regionaler Geltungsbereich, unterschiedliche

Anwendungsgebiete (kommunikative Bereiche), stilistische Markierung, heute an Stelle einer

sozialen Markierung. Es gibt drei Existenzformen (Varietäten), die nicht auf den Wortschatz

beschränkt sind: Mundart, Umgangssprache und Standardsprache. Mundartliche

Wortschätze sind durch einen engen regionalen Geltungsbereich im Sprachgebiet

gekennzeichnet. Im Zuge der Veränderung der Umgangssprache gehen die mundartlichen

Wortschätze mehr und mehr zurück. Die Schweiz hat z.B. nur eine Standardsprache und

Mundarten, die Rolle der Mundarten im süddeutschen Sprachraum ist stärker, ein

Rückgangsprozess ist aber erkennbar. Eine Beschränkung von Sprechern auf die reine

Mundart gibt es nicht mehr, aber Beschränkung auf regionale Eigenheiten. Mundartforschung

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gibt es seit ca. 120 Jahren (Wörterbücher, Wortatlanten). Der standardsprachliche

Wortschatz bildet den Gegenpol dazu. Der standardsprachliche Wortschatz bietet vielfältige

stilistische Differenziertheit und ist universell einsetzbar. Mit der Standardsprache kann alles

ausgedrückt werden, mit Mundart und Umgangssprache nicht. Die meisten Wörterbuchtypen

beziehen sich auf den standardsprachlichen Wortschatz. Die Umgangssprache ist umstritten

in ihrer Abgrenzung. Historisch ist sie relativ jung (19. Jahrhundert). Sie ist erwachsen aus

der Tendenz, sich über lokale Mundartgrenzen hinweg zu verständigen. Es gibt nicht DIE

deutsche Umgangssprache. „umgangssprachlich“ hat auch eine stilistische Bedeutung –

Wörter mit pejorativem Charakter werden zur Umgangssprache gezählt, selbst wenn sie

überregional sind, daraus entstehen Schwierigkeiten. Zur Umgangssprache gehören: a) nicht

mundartliche Wörter mit nicht nur regionaler Verbreitung im Sprachgebrauch; b) nicht-

standardsprachliche Wörter mit abwertender stilistischer Markierung, auch überregionaler

Bedeutung (z.B. „Scheiße“, konnotiert pejorativ, ist aber im ganzen deutschen Sprachgebiet

verbreitet – funktioniert aber in der Standardsprache nicht; „Karfiol“, ist in Österreich

Standardsprache, aber nur auf Österreich beschränkt). Die Umgangssprache ist die

mehrheitliche Alltagssprache, Mundart und Standardsprache kommen nur in spezifischen

Situationen vor.

d) diastratische, soziologische Gliederung: Untersuchung der spezifischen

Wortschätze soziologisch differenzierter Gruppen. Mannigfaltige Gruppen definieren sich

durch die Sprache Gruppenwortschätze und Fachwortschätze Sonderwortschätze von

Berufsgruppen Wortschatzbesonderheiten von Interessensgruppen, Altersgruppen usw.

Diese Differenzierung kann alle Teile des Sprachsystems umfassen. Sie ergibt sich aus den

Bedingungen der sprachlichen Tätigkeit der Menschen, die zur Ausbildung sprachlicher

Besonderheiten führen. Die Sonderwortschätze sind Resultat der kommunikativen

Bedingungen und Anforderungen innerhalb sozialer Gruppen. Diese entstehen auf

Grundlage von Beziehungen und Gemeinsamkeiten (fachlich, beruflich, weltanschaulich,

altersmäßig, interessenmäßig). Alle diese Kleingemeinschaften entwickeln Normen speziell

beim Wortschatz, wodurch eine optimale Verständigung erreicht werden soll. Die Gruppen

konstituieren die Sprachunterschiede – nicht umgekehrt! Die allgemeinsprachlichen Mittel

reichen oft nicht aus. Die Ausbildung sprachlicher Besonderheiten dient: a) der Effektivität

der Kommunikation; b) dem Ausdruck der Integration und der Abgrenzung der

Gruppenteilnehmer. Sonderwortschätze sind: a) Fachwortschätze: Lexikalische

Besonderheiten, die sich in der Sphäre der Arbeit und des Berufs ergeben; b)

Gruppenwortschätze: Lexikalische Besonderheiten, die sich in anderen Gruppierungen und

Interessen ergeben. Manchmal findet man auch Sonder-, Fach- und Gruppensprache als

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Ausdruck (weil Sprache mit Wortschatz verwechselt wird). Diese Differenzierungen sind im

Wesentlichen auf den Wortschatz beschränkt. Es gibt keine scharfen Grenzen zwischen den

Sonderwortschätzen insgesamt. Zwischen den verschiedenen Ausprägungen gibt es viele

Übergänge. Die zunehmende fachliche Differenzierung führt zur Ausbildung von

Wortschatzbesonderheiten, die der Beschreibung des Gebietes dienen. Der Umfang der

Fachwortschätze ist größer als der Allgemeinwortschatz. Von zehn Millionen Wörtern des

deutschen Thesaurus sind 500000 Allgemeinwortschatz. Anwendungsbereich ist das

entsprechende Fachgebiet, die Fachwortschätze sind der Allgemeinheit nicht so zugänglich.

Der Kraftfahrzeugwortschatz ist jedoch allgemeiner als der Medizinwortschatz. Folgende

Merkmale sind prototypisch für Fachwortschätze: a) Fachbezogenheit; b) Begrifflichkeit und

Exaktheit. Der Grad der Exaktheit ist abhängig von der Anzahl der verwendeten Termini; c)

relative Eindeutigkeit von Fachwörtern innerhalb des Rahmens der Fachgebiete; d)

Systematik: Begriffsreihen von Fachbegriffen; e) Knappheit (relativ): Tendenzen zu geringer

Redundanz; f) stilistische Neutralität: Fachwörter sollten keine Konnotationen haben. Diese

Merkmale sind nicht alle gleichermaßen ausgeprägt. Die Differenzierung erfolgt in

verschiedenen Fachwortschätzen. Mundartliche Fachwortschätze existieren heute kaum

noch. Die diatopische Differenzierung geht mehr und mehr zurück, während

Fachwortschätze sich ausweiten. Bei Gruppenwortschätzen handelt es sich um lexikalische

Besonderheiten bestimmter Gruppen, d.h. um besondere Wortschätze, bei denen eine

gewisse Konnotation effektiv erforderlich sein soll. Sofern sie umgangssprachlich und

pejorativ sind, wird das als Jargon und Slang bezeichnet.

e) historische oder diachronische Gliederung des Wortschatzes

Zusammenstellung der Bestandteile des Wortschatzes, die zu einem bestimmten Zeitpunkt

veraltend bzw. neu sind: Archaismen z.B. „Eidam“, „Muhme“; Neologismen: keine exakte

Klassifikation, keine ewigen Neologismen, z.B. „Flugzeug“ war vor dem 1. Weltkrieg ein

Neologismus.

f) diaintegrative Gliederung der Sprache: entlehnte oder fremde Wörter in der Sprache „Fremdwort“. Mit der Wortentlehnung ist ein Prozess der Integration verbunden Lehnwörter = Fremdwörter, die man nicht als Fremdwörter erkennt (Mauer, Tafel).

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2. Markierungsprädikate im Überblick. Zur Einordnung einer lexikalischen Einheit

Die wichtigsten MARKIERUNGEN sind [nach den vorhherrschenden und relevanten

Merkmalen]: diaintegrativ, diachronisch, diatopisch, diastratisch, diatechnisch, diaevaluativ,

diafrequent, diatextuell, diamedial

nach der HERKUNFT [als Fremdwort vs. Lehnwort]: diaintegrativ

nach der CHRONOLOGIE [als Archaismus/Historismus vs. Neologismus]: diachronisch

nach der RÄUMLICHEN Beschränkung [als Regionalismus]: diatopisch

nach der SOZIALEN Beschränkung [als Gruppen- oder Sonderwortschatz]: diastratisch

nach der FACHLICHEN Beschränkung [als Terminus]: diatechnisch

nach der emotionalen WERTUNG [als neutral oder emotional bewertend]: diaevaluativ

nach der TEXTFREQUENZ [als sehr beliebt oder selten im Gebrauch]: diafrequent

nach der BEVORZUGUNG oder MEIDUNG in bestimmten

Kommunikationsbereichen/Textsorten: diatextuell

nach der BEVORZUGUNG oder MEIDUNG in der schriftlichen oder mündlichen

Kommunikationsform: diamedial

Archaismus/Historismus vs. Neologismus

Historismen: die Denotate, die bezeichnet werden, sind als historisch zu betrachten:

Landgraf Archaismen: die Denotate werden heute meist durch andere Wörter bezeichnet:

Lusthaus (Bordell), Advokat (Rechtsanwalt) → Lexeme oder Lexembedeutungen, die von

einer Gemeinschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als veraltet und nicht mehr zeitgemäß

empfunden werden → sie sind noch Bestandteile des Wortschatzes mit abnehmenden und

zunehmend spezialisiertem Sprachgebrauch → untergegangene Wörter sind keine

Archaismen, da sie ja gar nicht mehr zum Wortschatz gehören, sie sind ja verschwunden!

Neologismen und Archaismen sind parallele Vorgänge

zeitliche Differenzierung: veraltete Wörter/Wortbedeutungen vs. veraltende

Wörter/Wortbedeutungen. Unterscheidung von Denotatsarchaismen und

Bezeichnungsarchaismen

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Diese Markierungen überschneiden sich, man kann aber eine lexikalische Einheit auch mehreren Markierungen zuordnen.

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1. Denotatsarchaismen: ein Gegenstand kann sich verändern oder verschwinden,

dadurch veraltet die Bezeichnung. Die Wörter, deren Denotate veralten, nennt man

auch Historismen

2. Bezeichnungsarchaismen: die sprachliche Benennung der Sache veraltet. Der

Gegenstand besteht unverändert weiter, die sprachliche Bezeichnung wird nicht

mehr als zeitgemäß angesehen; es veralten nur einzelne Sememe eines Lexems,

das Wort bleibt bestehen. Archaismen haben eine wichtige Funktion in bestimmten

Textgestaltungen, z.B. Geschichtsschreibung, historische Romane.

Mit der Entwicklung der Wisenschaft, Kunst, Religion, später Technik hat das Wortmaterial

der Sprache zugenommen, darunter findet man selbstverständlich auch Neuwörter, die zu

einem bestimmten Zeitpunkt aufgekommen sind. Es handelt sich um Bildungen, die von der

Sprachgemeinschaft als ‚neu‘ empfunden werden, die Neuartiges benennen. Es ergeben

sich eine Reihe von Schwierigkeiten bei der Zuordnung einer Einheit zur Erscheinung

Neologismus aus der Sicht mancher Sprachforscher, darunter auch Schippan (1992).

Als Neologismen werden nach Schippan (1992, 243ff.) „gewöhnlich Neubildungen

(nach Wortbildungsmodellen gebildeter Wörter) und Wortschöpfungen (erstmalige

Verbindungen von Formativen und Bedeutungen - Entstehung neuer Morpheme)

bezeichnet“. Schippan präzisiert: Die Vorsilbe neo- verleitet aber zu einer zeitlichen

Zuordnung, deshalb kommen bei der Einordnung eines Wortes zu dieser Erscheinung

Fragen auf: Sie definiert Neologismen als Lexeme, deren Entstehungszeit bekannt ist, die

aber für die Sprachteilhaber noch als neu empfunden werden, obwohl sie zum Sprachbesitz

der Sprachgemeinschaftsmitglieder gehören. Okkasionelle Einheiten zählt sie nicht zu den

Neologismen, es sei sie gehen in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Manche Forscher

gehen bei der Definierung noch weiter, indem sie auch Neuentlehnungen mit einbeziehen.

Von so einer weiten Begriffsauffassung distanziert sich Schippan. Die Ursachen, die zur

Entstehung von Neologismen führten, liegen z.T. in dem Bedarf an neuen Benennungen.

Mit der Werbung werden Neologismen zur Benennung der Produkte eingeführt. Das

Aufkommen von Neologismen ist im Zusammenhang mit dem Prozess der Veralterung der

Wortschatzeinheiten zu betrachten. Durch die Einfuhr oder das Entstehen von neuen

Lexemen kommt es zu Synonymien im Wortschatz, zu Bedeutungsdifferenzierungen und

Bedeutungserweiterungen, zu Veränderungen des Stellenwertes eines Lexems, zu

Verdrängungen (Restaurant hat Gasthaus verdrängt), zu ungleichmässigen Erweiterungen

(so ist der Bedarf an neuen Benennungsmittel im technischen Bereich größer als in anderen

Bereichen; die Werbung und der Handel benötigen auch Neuwörter, um ihre Produkte zu

benennen).

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Der Neologismus aus linguistischer Sicht

Die Erscheinung Neologismen wird teilweise sowohl in Gesamtdarstellungen zur deutschen

Sprachgeschichte, Lexikologie und Wortbildung berücksichtigt. Als sprachwissenschaftlicher

Terminus der Disziplin Lexikologie und Lexikografie hat sich „Neologismus“ erst um die Mitte

des 20. Jahrhunderts – also vergleichsweise spät – etabliert, aber bis heute zeigen

Definitionen dieses Terminus eine auffällige Vagheit und Uneinheitlichkeit. Mit Neologismen

wird der Bedarf an Neubennenungen in einer Kommunikationsgemeinschaft befriedigt. Da

Neubennenungen an lexikalische Einheiten gebunden sind, bildet die als bilaterales Zeichen

aus Ausdrucks- und Inhaltsseite, also aus Form und Bedeutung aufgefasste lexikalische

Einheit den Ausgangspunkt für eine Definition des Neologismus. Von den etablierten, seit

langem gebräuchlichen Wortschatzeinheiten unterscheiden sich Neologismen dadurch, dass

entweder die Form und die Bedeutung oder nur die Bedeutung der betreffenden Einheit von

der Mehrheit der Angehörigen einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft eine zeitlang

als neu empfunden wird. Man unterscheidet demgemäß grundsätzlich zwei Arten von

Neologismen: neue lexikalische Einheiten und neue Bedeutungen. Neue lexikalische

Einheiten umfassen neue Einwortlexeme („Neulexem“) und neue Mehrwortlexeme

(„Neuphraseologismus“), die in ihrer Einheit aus Form und Bedeutung im deutschen

Wortschatz bis zu einem mehr oder weniger genau bestimmten Zeitpunkt nicht vorhanden

waren. Dabei wird kein prinzipieller Unterschied gemacht zwischen im Deutschen gebildeten

neuen lexikalischen Einheiten und als Ganzes aus anderen Sprachen neu entlehnten

lexikalischen Einheiten. Um eine neue Bedeutung („Neubedeutung“) handelt es sich, wenn

bei einer im Deutschen etablierten mono- oder polysemen lexikalischen Einheit zu deren

vorhandener Bedeutung bzw. zu deren vorhandenen Bedeutungen eine neue Bedeutung

hinzukommt. Der naturgemäß gegebene Bezug zu der jeweiligen Zeit des Aufkommen eines

Neologismus macht den Begriff „Neologismus“ zu einem relativen und historisch

gebundenen: Die Bezugnahme auf den – mehr oder wenig exakt zu bestimmenden –

Zeitpunkt des Aufkommens sowie auf die sich anschließende Ausbreitungs- und

Durchsetzungsphase ist für die Definition des Neologismus konstitutiv.

Ein Neologismus ist eine lexikalische Einheit bzw. eine Bedeutung, die

1. in einem bestimmten Abschnitt der Sprachentwicklung in einer

Kommunikationsgemeinschaft aufkommt,

2. sich ausbreitet,

3. als sprachliche Norm allgemein akzeptiert und

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4. in diesem Entwicklungsabschnitt von der Mehrheit der Sprachbenutzer über

eine gewisse Zeit hin als neu empfunden wird.

a) Usualisierung,

b) Lexikalisierung und

c) Integration

sind mithin die wesentlichen Abgrenzungskriterien des Neologismus von anderen

lexikalischen Neuheiten wie z.B. von Okkasionalismen (auch: Ad-hoc, Einmal-,

Individualbildungen) oder von neuen, den Anwendungsbereich einer Bedeutung

erweiternden Gebrauchsweisen etablierter Wörter, denen der Neologismenstatus im hier

definierten Sinne nicht zugeschrieben werden kann.

Als Neologismen werden gewöhnlich Neubildungen und Wortschöpfungen bezeichnet,

es handelt sich also um Lexeme, deren Entstehungszeit bekannt ist, die aber für die

Sprachteilhaber noch als neu empfunden werden, obwohl sie zum Wortschatz der Sprecher

gehören.

Folgende Ausführungen gehen auf http://de.wikipedia.org/wiki/Neologismus

(21.05.2009) zurück. Ein Neologismus („Wortneuschöpfung“, mit lateinischer Endung

entlehnt vom griechischen νεολογισμός neologismos, von νέος neos „neu“ und λόγος logos

„Wort“) ist ein lexikalisches Zeichen, das in einem bestimmten Zeitraum in einer

Sprachgemeinschaft aufkommt und sich verbreitet. Schließlich nehmen es die Wörterbücher

auf, die den Wortschatz dieser Sprache kodifizieren. Charakteristisch für die Neologismen ist,

dass die Sprecher sie für eine gewisse Zeit als neu empfinden. Welche lexikalischen Zeichen

(noch) Neologismen sind, hängt also auch davon ab, zu welchem Zeitpunkt man den

Wortschatz einer Sprache betrachtet oder untersucht. Neben den in allgemeinsprachlichen

Standardwörterbüchern erfassten Neologismen gibt es für viele Sprachen auch

Spezialwörterbücher, die ausschließlich diesen Teil des Wortschatzes behandeln.

Ursachen der Entstehung

Der Bedarf an neuen Benennungen und Veränderungen in der Gesellschaft, Veralterung der

Wortschatzeinheiten, Sprachökonomie in der Politk und Wirtschaft sind die Ursachen für das

Aufkommen von Neologismen. Sprecher lebender Sprachen produzieren oder erfinden

täglich neue Wörter, mit denen sie spontan entstehende Benennungslücken schließen. Die

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meisten solcher Wörter werden aber nur ein einziges Mal verwendet. Ihr Zweck ist mit der

einen Benennungssituation erfüllt. Diese Gelegenheitsbildungen (Okkasionalismen) werden

weder als Neologismen betrachtet, noch lexikographisch erfasst. Im Deutschen, das die

Bildung komplexer Komposita erlaubt, entstehen täglich solche momentane

Neuschöpfungen. Gelegentlich belebt erneuter Gebrauch lange Zeit ungenutzte Wörter

wieder, die nicht mehr lexikographisch erfasst werden (Archaismen): Auch sie sind keine

Neologismen.

Die Lexik einer lebenden Sprache ist ein komplexes Gebilde aus

allgemeinsprachlichen, fachsprachlichen und gruppensprachlichen Wörtern.

Allgemeinsprachliche Wörterbücher erfassen nur den Kernbereich der Lexik, den die

Alltagssprache verwendet. Gelegentlich kommt es vor, dass bereits lang verwendete Wörter

einer Fachsprache in den alltagssprachlichen Diskurs vordringen. Dies gilt zum Beispiel für

die Fachsprachen technischer Schlüsselbereiche wie Informationstechnik und

Telekommunikation. Auch diese Wörter werden nicht als Neologismen betrachtet, da sie in

der jeweiligen Fachsprache schon länger im Gebrauch sind. Ein besonders produktiver

Bereich ist die Gruppensprache der Jugendlichen. Viele der dort gebildeten Neuwörter sind

allerdings kurzlebig. Wörter, die aus einer anderen Sprache entlehnt sind (z. B. downloaden

aus dem Englischen) und in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen, werden oft als

Neologismen gesehen und entsprechend lexikografisch erfasst, im engeren Sinne sind sie

aber keine Neuschöpfungen, somit keine Neologismen. In der Praxis der Lexikografie ist die

Abgrenzung zwischen Neologismen einerseits und Okkasionalismen, wiederbelebten

Archaismen und Fachwörtern andererseits, schwierig. Besonders Textkorpora, die den

aktuellen Sprachgebrauch dokumentieren, leisten bei der Erfassung und Beschreibung von

Neologismen nützliche Dienste.

Typen von Neologismen

Folgende Arten von Neologismen lassen sich unterscheiden:

a) Neuwörter: Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist das Verb simsen für das

Versenden von Kurznachrichten (SMS)(Ausdruck und Bedeutung sind neu)

b) Neubedeutungen: Ein alter Ausdruck erhält lediglich eine neue (weitere)

Bedeutung. So steht als ein etwas älteres Beispiel Maus auch für „technisches Gerät, Teil

der Computerperipherie“. Oder auch: Ein Ausdruck mit ursprünglich positivem Sinnbezug

erhält eine neue, pejorative Bedeutung und findet als politisch-ideologischer Kampfbegriff

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gegen verschiedene sprachliche Konventionen und Verhaltensweisen Verwendung.

Beispiele: Gutmensch, Politische Korrektheit.

c) Neue Wortkombinationen: Hier ist das Zusammenziehen von gebräuchlichen

Wörtern (Internetcafé, Laptop-Tasche) von metaphorischen Neubildungen zu unterscheiden.

Bei letzteren entscheidet für die Verwendung nicht die tatsächliche Bedeutung, sondern eine

charakteristische Eigenschaft (Modezar, Literaturpapst, Börsenzwerg, Wirtschaftsauguren,

Erzeinwohner) d) Neuwörter als Ersatzwörter mit gleicher Bedeutung: z. B. Idemnität statt

Identität (nicht zu verwechseln mit Indemnität)

e) Neologismen und Sprachnorm: Wenn ein neues Wort in Gebrauch kommt, haben

Sprecher oft Normunsicherheiten. Da geht es u. a. um: die Rechtschreibung. Schreibt man

Spinoff, Spin-off oder Spin-Off? die Aussprache. Sie ist besonders bei Lehnwörtern

kompliziert und passt sich oft, aber nicht immer, dem Phonemsystem der entlehnenden

Sprache an. Ein Beispiel ist Download, das sich von /...loʊd/ nach /...lo:t/ entwickelt; das

Genus. Heißt es der Blog oder das Blog? die Flexion. Heißt es des Piercing oder des

Piercings? Heißt es im Plural die PC oder die PCs? Oft muss sich eine Norm auch erst

etablieren. Dies gilt zum Beispiel für das Genus von Lehnwörtern aus dem Englischen, wo

das Genussystem nur schwach ausgeprägt ist.

Sprecher, die ein Neuwort verwenden, signalisieren manchmal, dass sie das

entsprechende Wort noch nicht als Teil der Sprachnorm akzeptieren. Häufig dafür

verwendete Mittel sind Anführungszeichen (der „Breakeven“ sei noch nicht erreicht) oder

abgrenzende Ausdrücke (der sog. Breakeven, der Breakeven, wie man heutzutage sagt...).

Nicht immer besteht die Hauptfunktion eines Neologismus darin, einen neuen

Sachverhalt zu bezeichnen. Mit der Verwendung von Neologismen möchte man oft etwas

signalisieren: Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Modernität, oder einfach nur

Aufmerksamkeit erregen. Diese pragmatischen Funktionen sind die Ursache dafür, dass vor

allem die Sprache der Werbung Neuwörter verwendet. Die Signalfunktion neuer Wörter wird

bis dahin ausgereizt, dass man gegen grammatische Regeln verstößt (unkaputtbar, hier

werden Sie geholfen).

Neologismen haben auch kulturellen Wert. Durch Wortneuschöpfungen können

Denkanstöße und Neuassoziationen gefördert werden. Die zeitgenössische Kunstrichtung

expressiver Neologismus (kurz auch als neolog bezeichnet) befasst sich auf kritische Art mit

der Sprache als Massenmedium und Beeinflussungsinstrument. Neologismen werden auch

als ersetzende Bezeichnungen verwendet, wenn dem Bezeichneten eine andere Wertung

oder ein anderes Ansehen gegeben werden soll. Beispiel für eine solche Sprachpolitik ist die

Deutsche Bahn AG: (Schaffner → Zugbegleiter; Schalter → Servicepoint, neuerdings

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Counter). Zugleich entzündet sich an Neologismen als Symptom oft ein sprachkritischer

Diskurs. Konservative Sprachkritiker machen an Neologismen, und vor allem an

Lehnwörtern, einen von ihnen behaupteten Verfall der Sprache fest. Dagegen wird an den

Neologismen ebenfalls die Wandlungsfähigkeit einer Sprache und ihre Fähigkeit

festgemacht, den ständig sich wandelnden Benennungsanforderungen gerecht zu werden.

Neologismen sind auch ein häufiges Instrument von Propaganda. Beispielhaft dafür die 1942

erstmalig verwendete Bezeichnung gesetzloser Kämpfer (unlawful combatant) zur

Einführung einer Klassifizierung von Kriegsgefangenen, die das Völkerrecht umgeht. Weitere

Beispiele: internationales Finanzjudentum, Islamo-Faschismus, sozialbehinderte

Jungmigranten.

Quellen von Neuwörtern

Eine Quelle von Neologismen, die Entlehnung aus anderen Sprachen, wurde bereits genannt.

Ein Sprachsystem stellt aber noch eine Reihe weiterer Mittel für die Neuwortbildung bereit.

Hierzu gehören unter anderem:

a) Komposition. Die Zusammensetzung neuer Wörter aus existierenden ist im Deutschen der

produktivste Wortbildungsprozess und entsprechend auch eine ergiebige Quelle für

Neologismen (Dosenpfand, Genmais);

b) Derivation. Die Ableitung mittels Affixen (insbesondere Präfixe oder Suffixe) ist ebenfalls eine

ergiebige Quelle. Dabei können Affixe selber Neuprägungen sein (z. B. Cyber-) und eine

größere Gruppe von Neuwörtern prägen (Cyberpunk, Cyberkriminalität);

c) Abkürzungen sind ein wichtiges Mittel sprachlicher Ökonomie. Verfestigt sich ihr Gebrauch,

dann können auch sie als Neologismen betrachtet werden (SMS, Hiwi, Azubi);

d) Zusammenziehungen, im Englischen auch portmanteaus genannt. Diese werden aus dem

ersten Teil einen Wortes und dem zweiten Teil eines zweiten Wortes gebildet, Beispiel:

education + entertainment > Edutainment. Zusammenziehungen sind im Deutschen selten, sie

werden meist aus anderen Sprachen entlehnt;

e) Ein typischer Fall für ein neu entstehendes Wort ist, dass ein Wort durch ein anderes ersetzt

wird, oft aus Gründen des Marketing oder der politischen Korrektheit – insbesondere als

Euphemismus, also um ein negativ belegtes Wort (Pejorativ) zu verdrängen. Manche Wörter

unterliegen zudem einer „sprachlichen Inflation“ (Abnutzung, vergl. Euphemismus-Tretmühle),

und Neuschöpfungen oder die Verwendung außergewöhnlicher Bezeichnungen dienen dazu,

den Sensationswert zu steigern und Aufmerksamkeit zu erregen. Beispiele aus der Werbung: 11

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Technologie, wo eigentlich Technik gemeint ist; Zahncreme anstelle der gewöhnlichen

Zahnpasta; exklusive Schreibweise Cigaretten. Ursache dafür ist häufig, dass neue Trends und

Entwicklungen – heutzutage meist aus dem englischsprachigen Raum – zu uns gelangen

(Kulturdominanz), und die Szene bzw. das Fachpublikum die zugehörigen Begriffe (Xenismen)

unreflektiert auch im deutschen Kontext verwendet oder eine weniger gelungene Übertragung

vornimmt. Das geschieht sogar dann, wenn es einen synonymen Begriff bereits gibt, eventuell

gerade in der Absicht, den Benutzer neudeutscher Wörter als Insider auszuweisen

(Szenesprache). Das Wort Neudeutsch selbst kann als Beispiel dafür dienen: Es ist eine

Neuschöpfung in Analogie zu Neusprech (englisch: Newspeak) aus dem Roman 1984 von

George Orwell. Die Verwendung des Wortes impliziert zumindest eine kritische Distanz des

Verwenders gegenüber Neologismen und das Bewusstsein um die „Macht der Sprache“, soll

ihn also als einer gebildeten und aufmerksamen, wertebewußten Schicht zugehörig

auszeichnen.

Im Unterschied dazu stehen Fremdwörter, die sich durchsetzen, weil kein angemessener

deutscher Begriff verfügbar ist. Sie dienen oft zunächst der präzisen Ausdrucksweise in

Fachkreisen, verbreiten sich dann teilweise in das gehobene Allgemeinwissen, bis einige

schließlich im alltäglichen Sprachgebrauch landen und dann gar nicht mehr als fremd

empfunden werden. Regionale Unterschiede können über den Jargon der Massenmedien in

das Standarddeutsch eingehen. Ein Beispiel sind autochthone Varianten, die sich in den Jahren

der Trennung Deutschlands Mitte des 20. Jahrhunderts unterschiedlich entwickelt haben.

Beispiele: Podcast, zusammengesetzt aus Apples „iPod“ und „broadcast“ (engl. Sendung): Eine

Sendung, die man auf einem MP3-Player wie dem iPod nachträglich anhören kann, indem man

diese aus dem Internet herunterlädt; Politesse, aus Polizei und Hostess; sitt, als Anlehnung an

satt: nicht mehr durstig; im Rahmen eines Wettbewerbs zur Suche eines entsprechenden

Wortes erfunden; Blog, Vlog, abgeleitet von web-log bzw. video-log (engl. für Internet-/Video-

Tagebuch) – häufig aktualisierte Homepage im Internet; Folksonomy, Menschenmaterial,

Eierschalensollbruchstellenverursacher, Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, Islamophobie.

Neologismen zur Legitimierung gesellschaftlicher und politischer Veränderungen:

Gesellschaftliche Veränderungen, die eine politische Legitimation benötigen, führten oft zur

Neuschöpfung von Wörtern.

3. Wortschatzarbeit und Wortschatzvermittlung

Der Wortschatz als Speicher lexikalischer Mittel → vielfach aufgefächertes Inventar von

Erscheinungsformen → Auswahl sprachlicher Mittel ⇨ Möglichkeiten im 12

Page 13: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Kommunikationsprozess: Sprechereinstellung zum Kommunikationsgegenstand und zum

Kommunikationspartner → Emotionalität/Bewertungsrichtung → z.B. Haus, Hütte, Palast,

Bude → Ableitungsmittel → Vielschichtigkeit des Wortschatzes/Mehrdeutigkeit sprachlicher

Einheiten → sprachliche Nuancierungen/Differenzierungen in der Kommunikationspraxis. Die

Wortschatzarbeit führt neue Begriffe und Sprachstrukturen nicht isoliert ein; verwendet und

grenzt neue Begriffe/Strukturen in bekannten Wortfeldern ab; führt zu relevanten mündlichen

und schriftlichen Äußerungen und vermeidet mechanischen Sprachgebrauch; fördert das

Sprachbewusstsein und die Einschätzung der kommunikativen Situation vs. adäquate Auswahl

der eingesetzten Sprachmittel: Wer gebraucht wann welchen Ausdruck mit welcher Absicht im

Gespräch mit wem? → semantische Probleme fachspezifischer Wortschatzarbeit → Tipps zur

Wortschatzerweiterung: alternative Wörterbücher [Thesaurus, Kollokationen-Wörterbuch,

Bildwörterbuch, Slangwörterbuch, Enzyklopädien, Fachwörterbücher] und Glossare;

Internetnutzung (z.B. Tageszeitungen); Kontakt mit Muttersprachlern; Liedtexte übersetzen

(Kontrolle im Internet); Wortschatzspiele (z.B. Scrabble); Reisen, Lesen, Radio- und TV-

Sendungen → Sprachkompetenz [= internalisiertes Wissen, das die Bildung von

Sätzen/Äußerungen ermöglicht u.zw. entsprechend den Mitteilungsabsichten des Produzenten]

→ Perspektivenvielfalt: formal, inhaltlich, kommunikativ → sprachliche FERTIGKEITEN →

richtige Interpretation der Sätze/Äußerungen bzw. Mehrdeutigkeiten erfassen →

Bedeutungsfixierung vs. Disambiguierung [Aufheben der Mehrdeutigkeit].

4. Wörter als Zeitzeugen

Zwischen sprachlichem Wandel, Fachausdruck und purer Nachlässigkeit und

Gedankenlosigkeit muss unterschieden werden. Das Aufkommen und der Untergang der

Wörter spiegeln immer auch die Zeit, die Veränderungen der Lebensbedingungen und den

gesellschaftlichen Wandel wider. Bei der Durchsetzung von sprachlichen Alternativen spielt u.a.

der Einfluss der Medien oder der Werbung eine Rolle. Die Gesellschaft für deutsche Sprache

(GfdS) in Wiesbaden gibt am Jahresende die „Sprachhitliste“ “Wörter des Jahres” heraus; seit

1991 auf Grund von Umfragen auch das „Unwort des Jahres“. Die Wiesbadener Gesellschaft

wählt nicht die häufigsten Wortformen zu „Wörtern des Jahres“, sondern eher diejenigen, die für

das vergangene Jahr chrakteristisch waren. Es handelt sich um Schlüsselbegriffe, die für das

13

Page 14: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Leben und Denken, für die Kultur eines Jahres repräsentativ sein sollten: finale Vergruftung,

Nulllösung, Ozonloch, Rinderwahnsinn, Augustputsch, Zar Boris, ausländerfrei, unkaputtbar,

virtuelle Realität, Globalisierung, genmanipuliert, Klonschaf, Euro, Event, Cousinenwirtschaft,

Telefonsex, Elefantenhochzeit, Dönerkebab. Unter den 811 Vorschlägen für die „100 Wörter

des Jahrhunderts“ sind selbstverständlich auch Anglizismen anzutreffen: Aids, Pop,

Psychanalyse, Computer, Drogen, Sex, Jeans.

Das heutige Sprachbild ist nur unter Einbezug der Vergangenheit begreifbar. Sprache ist

als eine historisch entstandene Erscheinung aufzufassen und zu beschreiben →

Sprachdynamik: Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen Veränderungen und den

sprachlichen Wandlungen: Veränderungen vs. Entwicklungen in der Sprache → in der

Lexematik schlagen sich die sprachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen am

auffälligsten nieder → wechselseitige Aufnahme und Abgabe von Wortmaterial.

Linguistische Fragestellungen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit: die

Rechtschreibung und ihre Reform; die feministische Linguistik; der angebliche Sprachverfall

und die Bedenken gegen einen übermäßigen und überflüssigen Anglizismengebrauch im

Deutschen. Große Unternehmen wie die Deutsche Post (GermanCalls, CityCalls, GlobalCalls),

die Deutsche Bundesbahn (service point, BahnCard, Fly & Drive, Rail & Fly) werden kritisiert →

Zunahme von Anglizismen im Alltagsdeutsch/Anglizismen-‚Flut‘ → die Dominanz des

Englischen wird kaum einzuschränken sein. Zahlreiche Entlehnungen aus dem Französischen

wurden durch das Englische zurückgedrängt bzw. verdrängt: Mannequin durch Modell, Revue

durch Show, Tendenz durch Trend, Playboy ersetzte Belami, Chanson wandelte sich zu Song,

Ticket hat Billet verdrängt.

Anglizismen sind auf dem Vormarsch, einst verpönt, heute “dudenreif”: Babysitter,

Comeback, clever, Feature, Publicity. Fachausdrücke im Sprachalltag: rationell statt sparsam,

Gynäkologe statt Frauenarzt, Etage statt Stockwerk, Helikopter statt Hubschrauber, Zentrum

statt Statdtmitte; Internationalismen: Demonstration, Distribution, Kompetenz, Kybernetik,

Mechanik, Psychologie. Über den amerikanischen Einfluss haben eine Reihe längst

ausgeschiedener lateinischer Fremdwörter eine „unerwartete Wiederkehr” erlebt: Divergenz,

Relevanz, Subversion, Mobilität.

Die Printmedien und die elektronischen Medien (Film, Funk, Fernsehen, Internet) sind

die Multiplikatoren, Verstärker und Beschleuniger sprachlicher Entwicklungsrichtungen. Die

Wege der Übernhame sind vielfältiger geworden: Im Unterschied zu den vorigen Jahrhunderten

sind heute durch das Informationswesen, den Verkehr, die Wirtschaft, die Werbung usw. reiche

Möglichkeiten für Sprachkontakte geboten. Der intensive Sprachkontakt, die weitverbreitete

14

Page 15: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Zweisprachigkeit und nicht zuletzt die Bezeichnungslücken in Wirtschaft, Wissenschaft und

Computer sind die Voraussetzungen für zahlreiche Entlehnungen aus dem Englischen.

Ein erheblicher Teil der Importe lebt nur kurzzeitig in der Empfängersprache; manche

Sprachimporte sind „modische Protzereien”, andere aber willkommene Bereicherungen. Der

Gebrauch englischer Wörter nimmt zu; heute wird geschätzt, dass das Deutsche aus dem

Englischen und Amerikanischen 4000 Wörter übernommen hat. Die Laienlinguistik und

Anglizismenjäger, deren Klagen über den nicht aufzuhaltenden Sprachverfall nicht aufhören

wollen, vergessen, dass jeder Sprachzustand Altes und Neues, Eigenes wie Fremdes vereint –

ein Nebeneinander, das der Sprache nicht schaden kann. Institutionen wie Post, Bahn,

Lufthansa, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens greifen immer mehr zu einer

Mischsprache. 1997 ist die Modeschöpferin Jil Sander vom „Verein zur Wahrung der deutschen

Sprache” für folgende Aussage (Beispiel für Denglisch) mit einem„Sprachpanscher”-Preis

geächtet worden: „Mein Leben ist eine giving-story Ich habe verstanden, dass man

contemporary sein muss, das future-denken haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-

Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated

concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen

muss. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewusste

Mensch von heute kann die Sachen, die refined Qualitäten mit spirit aben auch appreciaten.

[…]Wer Ladysches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless,

das magic meines Stils.”

Die Sprachschützer sprechen von Denglisch, Deutschlisch (es gibt auch überflüssige und

ärgerliche Anglizismen!); die Sprachhüter sind laut eigenen Angaben keine Fremdworthasser,

sie möchten aber gegen überflüssiges „Denglisch” antreten, das von Managern und auch

Werbeleuten gesprochen wird. Es geht nicht darum, eingebürgerte und bekannte englische

Wörter, die längst zum deutschen Sprachgebrauch hören, zu beseitigen; der Zorn der

Sprachschützer richtet sich gegen solche Fremdwörter, für die es im Deutschen gleichwertige -

wenn nicht bessere - Wörter gibt: Nutzer statt User, Ereignis statt Event oder Zeitlupe statt slow

motion.

Kaum eine Sprache kommt ohne Lehnwörter aus anderen Sprach- und Kulturräumen

aus. Die Klagen über die gefährliche Überflutung sind unbegründet und so alt, wie die Sprache

selbst. Der englische Einfluss muss zu den auffallenden Entwicklungserscheinungen der

deutschen Sprache der Gegenwart gerechnet werden. Nicht allein die Fülle, sondern die

Vielfalt der Aufnahmewege machen diese Erscheinung für die Sprachwissenschaft und -pflege

interessant.

15

Page 16: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Der Einfluss des Englischen auf die deutsche geschriebene und gesprochene Sprache

wird von den Sprachpflegern kritisch betrachtet → Konsequenzen und Status englischer

Transferenzen bzw. Dauerhaftigkeit des Vorgangs → keine Sprache der Welt kommt ohne

Fremdwörter aus. Fragen des öffentlichen Sprachgebrauchs in den Medien und der

übermäßige Anglizismengebrauch: Fremdwörter → stiften mehr Nutzen als Schaden? Ihre

speziellen Funktionen lassen sich in Opposition zu einheimischem Sprachmaterial ableiten. Aus

der Konkurrenz von Fremdwort und deutschem Wort wird der Wortbestand der

Aufnahmesprache angereichert mit neuen Bedeutungen, Nuancen, wird sich eine Verfeinerung

ihrer Ausdrucksmöglichkeiten abzeichnen.

Die politischen Vereinigungsprozesse, die Explosion der elektronischen Medien, die

rasche Verbreitung der Information und das Internet als Informationsquelle erleichtern den

Einzug der Internationalismen englischen Ursprungs. Die Tendenz der Anglisierung und

Amerikanisierung der deutschen Gegenwartssprache ist als eine europäische Sprachbewegung

(Braun 1987, 193) zu betrachten → vgl. auch den Begriff „Franglais” für anglisiertes

Französisch oder Denglitsch, Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng vs. Romengleza.

Exkurs: Computer- Internet - Werbe‘deutsch‘?

Die gesamte Internet-Metakommunikation vollzieht sich fast ausschließlich auf Englisch: Audio-,

Text-Channel, E-Mail, Internet, Local Area Network, Metro Area Network, Homebanking,

Homeshopping, Teleworking, Button, Access-Provider, Cracker, Chat, Browser, Bit, Basic, AOL,

Content Provider, Service Provider, High-Tech, Datenhighway, Imputs, Outputs.

Schlüsselbegriffe werden fast nicht mehr übersetzt: browser, chat, page, pagemaster, tools,

Cyber-Space, link, Modem, on line, server, web. Hier begegnet eine eigenartige und oft

fehlerhafte Mixtur aus amerikanischem Englisch und Deutsch. Die deutschen Fachtermini

bestehen aus Übersetzungen englischer Termini und direkten Übernahmen englischer Termini

als Fremdwörter. Für manche Begriffe aus der englischen Computerterminologie hat man

treffende Entsprechungen im Deutschen gefunden: Maus (’Mausklick’, ’Maustaste’), ’Menü’,

’Datei’. Lehnübersetzungen erscheinen vor allem im Softwarebereich: Fenster, aktiviertes

Dokument, Rollbox, Rollbalken, durchblättern, löschen, ausschneiden, Speicher,

Datenautobahn, Ordner, Suchmaschine, Menüpunkt, suchen, ändern, speichern, schließen,

numerieren, sortieren, trennen. Neben Lehnübersetzungen erscheinen unübersetzte, als

Fremdwörter gebräuchliche Termini oder Internationalismen wie aktivieren, formatieren,

adressieren, Diskette, Option, Finder, Font. Fremdwörter, direkt aus dem Englischen

übernommen, die weder in der Schreibung noch in der Aussprache dem Deutschen angepasst

16

Page 17: Vorlesung Wortschatzerweiterung

sind: File, Server, Backup, Scanner, Cursor, Desktop, Publishing, Access-Provider, Content

Provider, Service Provider, High-Tech, Imputs, Outputs. Es kommen auch zahlreiche

Abkürzungen (mit unübersetzten englischen Basen und die auch als Kompositateile

vorkommen): RAM-Disc, PC, MS-DOS; Hybridbildungen (etwa Komposita, die morphologisch

integriert sind, aber im Stamm Fremdelemente enthalten): absaven, Webseite, Zeilendisplay,

Compiliersprache, Datenhighway. Folgende Begriffe aus der Computerwelt haben Eingang in

die Alltagssprache gefunden: File, Server, Video-, Audio-, Text-Channel, E-Mail, Internet,

Homebanking, Homeshopping, Hotline, Schnittstelle, gecheckt, gebrieft, gefixt, geoutet, geliftet,

gefrustet, cancel, getrickst, gefault, ausgesurft, gelyncht, clicken.

Der Umgang mit den Computern erneuerte zum Teil das jugendtypische Vokabular:

falsch programmiert sein, ein total falsches Programm für etwas haben; einen leeren Speicher

haben, einen veralteten Prozessor haben drücken Zweifel an den Geisteskräften des

Kommunikationspartners aus. Das Computer- und Internet-Englisch zeugt von dem gewaltigen

Einfluss des Englischen auf das alltägliche Deutsch: gecheckt, gebrieft, gefixt, geoutet, geliftet,

gefrustet, cancel, getrickst, gefault, ausgesurft, gelyncht. Das Deutsche ist eigentlich durch das

technische Cyber-Deutsch nicht gefährdet, es wird durch die aus der Computersphäre

stammenden Neologismen ja nicht nur belastet, sondern auch bereichert.

„Werbechinesisch”: Advertising, Covergirl, Layout, Salesmanship, Slogan, Hot Dog, Anti

Age System, Bodylotion, High Power, High Performance, High Tech, cool - viele Fremdwörter

gehen auf lateinisches Sprachmaterial zurück, sind als Internationalismen leicht verständlich.

Die Werbung hat Tausende von Anglizismen, von denen viele mit wechselnder Mode und

verändertem Warenangebot ins Deutsche gebracht. Manche von ihnen haben deutsche

Wortbildungs- und Flexionsmorpheme angenommen: canceln, checken, computern, designen,

formatieren, jobkilling, joggen, layouten, leasen, rappend, recyclen, relaxen, saven, scannen,

skaten, snaken, soundmixen, surfen/sörfen, trampen; abgefuckt, anpowern, anturnen/antörnen,

ausflippen, reinmoven, reinpowern. Mischkomposita („übelklingende anglo-deutsche Zwitter”)

sind: Action-Film, Aerobicsocken, Brot-Shop, Country-Musik, Fitnesspfad, Frischebox,

Gartencenter, Jet-Flug, Jogginganzug, Käsetoast, Leasinggeber, light-Bier, Livesendung, Milch-

Shake, Raumdesigner, Reiseboom, Reiscrispies, Sparleasing, Wickeltisch-Service,

verfassungskonform, Third-stream-Musik, Round-Table-Gespräch, Auftragsboom,

Übersetzerteam. Wortbildungen, die man als Pseudowörter bezeichnen könnte, sind: Bahn

Card, Family & Friends Tarif; englische Warenbezeichnungen: After Shave Lotion, Cleanser;

englische Orthographie: Cigarette statt Zigarette (oft wird „c“ mit „k“ ersetzt z.B. in exklusiv,

kreativ, Klub). Werbeanzeigen erscheinen mit englischen Titeln, um die Aufmerksamkeit auf

bestimmte Produkte zu lenken. Werbetexte z.B. in der Mode für Babies, Kids, Teenies, Twens:

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Page 18: Vorlesung Wortschatzerweiterung

coloured Denim-Jeans, gebleached Jacket, Shorties, Sweatshirt, Zipper, Sweater; vgl. Das

„Jeanslatein”: stone-washed, mill-washed, pre-washed, bleached.

Scheinentlehnungen/Scheinfremdwörtern sind: z.B. Twen (zu engl. twenty)[= ’Person zwischen

20 und 29 Jahren’], eine Wortschöpfung der deutschen Bekleidungsindustrie (vgl. auch

Smoking, Pullunder. Dressman, Showmaster,Talkmaster, Happy-End, Handy). Es kommen

nicht nur englische, sondern auch italienische und französische Bezeichnungen und

Eigennamen für Produkt-/Warennamen (vor allem auf dem Gebiet der Kosmetik, der Kleidung

und der Nahrungs- und Genussmittel) vor: Astor, Lord extra, Marlboro (Zigaretten); Polycolor

Creme-Shampoo-Pastell (Haarfärbemittel); Enden-Clear golden liquid, Old Spice Stick

Deodorant, Tabac Original Deodorant Spray, Yardley Shower Talc Deodorant, Axe, Feature for

Men, Sir, Ardena Skin Deep Milky Cleanser (Kosmetikartikel), Gabriella (Dessous); coloured

Denim-Jeans, gebleached Jacket, Shorties, Sweatshirt, Sweater (Kleidung), picobello

(Kehrmaschinen); Michelangelo, Leonardo (Fernsehgeräte der Firma Philips); Admiral, Consul,

Diplomat, Mercedes, Rekord, Senator (Auto); Puschkin (Wodka), Black & White, Johnny

Walker, White Horse (Whisky); Presta Indian-Tonic-Water; Super-Patna-Selecta-Reis. Die

Sprachteilhaber greifen zu fremdsprachlichen Elementen, um Originalität, Modernität und

Werbewirksamkeit zu signalisieren. Werbetexter hoffen durch ihre Bereitschaft, Anglizismen

aufzunehmen, eine übersteigerte Werbewirksamkeit zu erreichen, entsinnen „Blä- und

Zauberworte” (Schneider, 1996,105): z.B. Creative Director (Direktor der Schöpfung !?).

Die Bezeichnungen für ‚Läden‘ (‚Verkaufsstellen‘) → Internationalisierung der

Gaststättenamen: das Denotat ‚Laden‘ als ‚öffentlich zugängliche Verkaufstelle für Waren und

Dienstleistungen‘ hat ein ganzes Feld neuer Benennungen um sich eröffnet hat, in denen

Originalität und Modernität zum Ausdruck kommen sollen; sehr beliebt sind die Ausdrücke, die

in verschiedenen Sprachen ‚Läden‘ bedeuten: Beauty-Basar, Wurst-Basar, Blühtique, Army-

Discount, Souvenir-Store, Büchermagazin, Frischbrot-Shop, Intim-Shop. Eine besondere

Gruppe umfasst die Zusammensetzungen mit ‚Centrum‘,‚Center‘ und ‚Zentrum‘: Abflusszentrale

(=Klempnerei), Car Color Center (= Autolacke), Fell-Zentrale (= Laden für Auto-Sitzbezüge);

Freizeitzentrum Muskelkater, Mietenter (= Autoverleih), Mundcenter (=Zahnputzzubehör), Self-

Wasch-Center Münzstudi (= gewerbliche Waschküche); stark verbreitet sind englische,

italienische und französische Ausdrücke und Eigennamen, die das zum Verkauf stehende

Produkt bezeichnen oder darauf verweisen: City-Wash + Proper Point (= gewerbliche

Waschküchen), Gabriella (= Dessous), modern fold (=Harmonikatüren), picobello (=

Kehrmaschinen), Bijou Bla-Bla; sehr oft erscheinen Zusammensetzungen mit ‚–in‘: Chic-in (=

Kleiderladen), Teig-in (= Nudelgeschäft) → Überfremdung des Wortfeldes durch Anglizismen

feststellbar, in denen sich Bemühungen um Originalität und Individualisierung niederschlagen:

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Page 19: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Beauty Line, Charme Beauté, Biotronic Institut für apparative Ganzheitskosmetik, Hollywood

Nail & Cosmetic Studio, Sheriffs Black Cosmetic, Spinnrad-Kosmetik zum Selbermachen;

Barbier Benny, Bellezza, Biosthetique-Haarpflege, Fanatic Cut, Figaros Locke, Inge‘s

Frisierstube, Frisurenkiste, Haircutters, City-Hairdresser, Hair-Inn, Hairpoint, Hairport, Hair-

Station, Intercoiffure, Joy of Hair, Kamm und Schere, Kojak, Lockenstübchen, Lui e Lei Stilista,

Peluqueria, La tete. Der Ausdruck ‚Laden‘ ist Bedeutungsverschiebungen ausgesetzt worden:

vgl. Gemüseladen, Bioladen, Kulturladen. Fazit: Englisch ist lingua franca in der Wirtschaft, im

Computerwesen und in der Werbung und Weder Deutsch noch Englisch: Denglitsch,

Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng, Deuglisch!

Ist in manchen Bereichen der öffentlichen Kommunikation die große Anzahl von

Anglizismen wirklich notwendig? Verdanken wir nicht einen bestimmten Umgang mit

Fremdwörtern einem Imponiergehabe, wenn z.B. Fremdwörter als Ausdruck von

Pseudogelehrtheit oder oberflächlicher Modernität gebraucht werden? Oft handelt es sich auch

um ein „bad English“, mit dem geprotzt wird. Leser verschiedener Zeitungen/Zeitschriften

äußern sich als Gegener der Anglizismen negativ zu dieser Erscheinung, beklagen die

Mißhandlung der Sprache: sie sei „nicht mehr wie früher“. Warum sollte man cool benutzen

wenn in der Muttersprache kühl zur Verfügung steht? Die gefährliche Überflutung der

deutschen Sprache von Anglizismen in Presse, Funk, Fernsehen und kommerzielle Werbung

führte zu einer „sprachlichen Verkümmerung“ des Typs „Dummdeutsch”/“Amideutsch“ →

Denglitsch, Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng, Deuglisch: BroSis Style für Ihr

Handy, HobbySwingerin, coming-out, Last minute-Angebot, Popsänger, Jetflug, Auftragsboom,

Ärzteteam, hart gefightet, handgefinishte Damenbekleidung, gehandikapte Mannschaften,

grillen, killen, trampen sind Beispiele für eine Mischsprache (Ami-Welsch), für eine „unnatürliche

Vermischung” deutscher und englischer Wörter; es werden Ausdrücke der Fremdsprache mit

Verben der Muttersprache verknüpft, englische Endungen tauchen bei deutschen Wörtern auf,

deutsche Endungen bei Anglizismen, Groß- oder Kleinschreibung, mit Bindestrich oder „in

einem Wort“, mischsprachige Satzkonstruktionen.

Die „Fremdwörterei” hat „allergische Überreaktionen“ (Stemmler 1994, 79) ausgelöst;

man kämpft mit „teutonischer Tapferkeit“ gegen die „Fremdwortflut” und die angebliche

„Kolonisierung des Deutschen durch das Englische“ (“Rheinischer Mekur”, 20. 2. 1998). Das

Werbe-Denglisch sei meistens nur dümmlich, bemerkt auch „Der Spiegel“ (20.4.1998) und

verweist besonders auf die Sprache der Firma Telekom; auch Unternehmen und Banken

greifen häufiger zu englischen Ausdrücken, auch dort, wo es nicht unbedingt nötig sei. Dass

z.B. zahlreiche moderne Berufsbezeichnungen kaum noch auf die üblichen Visitenkarten

passen, bemerkt Titus Arnu („Süddeutsche Zeitung Magazin“, 17.10.1997); hier heißt es

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Page 20: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Account Executive Marketing-Koordinator/Direct Marketing oder auch Field Application

Engineer/Compiling Solutions for Embedded Systems → auch bei den Stellenanzeigen trifft

man auf „eine Geheimsprache“ .

VORLESUNG 2: MÖGLICHKEITEN DER WORTSCHATZERWEITERUNG

1. Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung im Überblick

1. Wortschöpfung [= Neuprägung eines Wortes z.T. ohne Rückgriff auf vorhandene

Wörter/Morpheme]: Töfftöff, klicken [Onomatopoetikon; Neuwort], simsen [Neuwort],

Pendlerpauschale [Neuwort], Maus [Neubedeutung], O2 [Markenname]; Kunstwort [nicht mit

den natürlichen Mittel der Wortbildung einer Sprache gebildet, keine Entlehnung: Teuro, Q10,

Aktiv-Sauerstoff]; Gelegenheitsbildungen [einmal oder selten im Gebrauch; besteht meist nur

im Kontext; vgl. Ich-kann-nicht-anders-als-weinen-Gefühl]

2. Wortbildung [= Bildung eines komplexen Wortes aus vorhandenen Wörtern/Morphemen:

Kombination, Konversion, Kürzung]: Zusammensetzungen, Ableitungen, Kürzungen,

Kontaminationen, Zusammenrückungen, Reduplikationen, Lautnachahmung,

Analogiebildungen: Literaturpapst

3. Phraseologisierung [und das ist gut so]

4. semantische Transfers/Bedeutungswandel [neue Seme: Netz, Seiten]

5. Homonyme und neue WB-morpheme [die Ex, Ex-Chef, Ex-Innenminister]

6. Entlehnungen: [= Übernahme eines Wortes aus einer anderen Sprache: Fremdwort,

Lehnwort, Lehnübersetzung, Lehnübertragung, ab 1945 vorwiegend Anglizismen: Manager,

Airbag, skaten, Gag; zusätzliche Seme: feuern; Fenster, Keller, Wein, Königinmutter,

Wolkenkratzer]

2. Ursachen für die Wortschatzerweiterung

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Schwerpunkte: ⇨ Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung im Überblick ⇨ Ursachen für die Wortschatzerweiterung (sprachinterne und sprachexterne Faktoren) ⇨ Verfahren der Wort- (Weiter)Bildung: Die Wortbildung als Mittel der Wortschatzerweiterung: Faktoren der Wortbildung ⇨ Hauptformen der deutschen Wortbildung: die Ableitung (Derivation) und die Zusammensetzung (Komposition)

Page 21: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Sprachexterne Faktoren: Bezeichnungsbedarf durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle

Veränderungen [neue kommunikative Anforderungen durch außersprachliche soziokulturelle

Veränderungen: Medien, Technik, gesellschaftliche Verhältnisse]; aktuelle Ereignisse

[Bankenkrise]; Erfindungen und neue außersprachliche Referenten [iPhone]; orthografische

Regelungen; Terminologien [DIN]; Vorschriften [Feminisierung: Lehrerinnen und Lehrer vs.

Lehrer/innen; LehrerInnen]; neue Ideologien; Sprachkontakt [Aftobus, Pomodore]

Sprachinterne Faktoren: neue Lexeme: durch Wortbildungsprozesse < einfache oder

komplexe Lexeme, mit/ohne neuer Bedeutung; neue lexikalische Einheiten: durch

semantischen Transfer, neue Bedeutung (Polysemie); neue Morpheme: freie/gebundene

Morpheme, neue Lexikonregeln; Verstöße → gegen Bestehendes → Normen → übliche

Verwendungsregeln; die Veränderungen im Wortschatz sind bestimmt durch: → das

sprachlich-kommunikative Handeln → kommunikative und kognitive Bedürfnisse →

Reduktionen → Entfaltungen → Strukturveränderungen → Bedeutungswandel →

Übernahmen fremden Wortgutes; füllen Lücken im WS aus oder verdrängen andere Wörter →

bestimmte Wörter rücken an die Peripherie des WS; sie veralten, sterben aus und sind den

Sprechern nicht mehr bekannt; Wörter werden aus anderen Sprachen entlehnt bzw.

eingedeutscht; Wörtern tauchen in anderen Gebrauchssphären auf; sie erscheinen in einem

neuen Kontext; ihre Bedeutung verändert.

3. Verfahren der Wort- (Weiter)Bildung: Die Wortbildung als Mittel der WSE: Faktoren der

Wortbildung

Die Wortbildung ist die Bildung neuer Wörter durch Kombinationen vorhandener Wörter oder

mit Wortbildungselementen nach bestimmten Strukturtypen oder Mustern. Die Wortbildung

aus vorhandenen Worten ist die wichtigste Möglichkeit bei der Wortbildung der deutschen

Sprache, das spricht sehr für die Sprache. Andere Möglichkeiten wären die Entlehnung oder

der Bedeutungswandel. Es gibt bestimmte Strukturmodelle, die man Wortbildungsarten nennt.

Die Ursachen der Wortbildung ergeben sich aus den Gründen der Wortschatzerweiterung.

Die Mehrzahl aller Wörter entsteht durch Wortbildung. Die Gründe für die Wortentstehung

sind mannigfaltig:

a) Benennungsbedürfnis,

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Page 22: Vorlesung Wortschatzerweiterung

b) die Erfordernis, Bezeichnungslücken zu schließen,

c) Bedürfnis, vorhandene Bezeichnungen zu ersetzen und zu ergänzen,

d) pragmatische Gründe (Wandel von Fremdarbeiter – Gastarbeiter –

ausländische Mitbürger; Altersheim – Feierabendheim – Seniorenheim),

e) Sprachökonomie (z.B. Rundtischgespräch),

f) Expressivität und Ausdrucksstärke (z.B. sauber – blitzsauber, reaktionär –

erzreaktionär).

Die Wortbildung ist weitgehend auf die Wortarten Substantiv, Adjektiv (sowie Adverb) und

Verb beschränkt, zu deren Ausbau sie auf verschiedene Weise und in ganz unterschiedlichem

Maße beiträgt. Laut der Duden-Grammatik (1995, 427) hängt die Verteilung der Bildungen auf

die verschiedenen Wortarten u.a. von folgenden Faktoren ab:

vom Anteil, den die Hauptwortarten am Grundwortschatz der Ausgangswörter haben (bei

den Adjektiven werden z.B. nur einige hundert Simplizia gezählt);

von der Produktivität der Suffixe (bei -bar ist sie z.B. sehr groß, bei -sam gering) und der

Leistung der sie ergänzenden Halbsuffixe (neben verwendbar auch verwendungsfähig

usw.), ähnlich wie bei den Präfixen im Zusammenspiel mit Halbpräfixen;

von der Tendenz, Lexeme der Hauptwortarten zu einem Wort zu verbinden

(Univerbierung); Bei den Substantiven ist sie sehr groß, bei den Adjektiven hingegen nur

mäßig und bei den Verben kaum vorhanden;

von dem Bedarf an Bildungen, der sich z. B. in den Fachsprachen in erster Linie auf den

Ausbau des substantivischen Wortschatzes richtet, besonders im Hinblick auf die vielen

benötigten Gegenstandsbenennungen und Begriffe, die - wie die Determinativkomposita -

gewissermaßen eine Definition in sich enthalten;

von Rahmenbedingungen des allgemeinen Sprachgebrauchs, im heutigen Deutsch z.B. von

der Neigung zum Aufbau umfangreicher Nominalgruppen (die verwaltungsmäßige

Verzögerung der Ausstellung von Ausnahmebewilligungen);

von zahlreichen sozialen und geistigen Rahmenbedingungen, z.B. von der Bereitschaft zur

Übernahme von Fremdwörtern oder zu ihrer Umbildung (auch Übersetzung) ins Deutsche

(vgl. Heroentum neben Heroismus; im 19. Jh. Volkstum statt Nationalität);

von Bedingungen der Kommunikationsmedien, die etwa zur Wortverdichtung in den

Schlagzeilen der Presse führen usw.

Die Wortbildung wird durch gewisse Faktoren bestimmt, auf die im Folgenden eingegangen

werden soll (vgl. Duden-Grammatik 1995, 430-432):

1. Die Art einer Substantivzusammensetzung bestimmt das, was damit ausgedrückt

oder bezeichnet werden soll. Bei neuen Produkten wird beispielsweise das

22

Page 23: Vorlesung Wortschatzerweiterung

übliche Gattungswort zum Grundwort der Wortbildung gewählt, wobei ihm das

sinnwichtigste oder präziseste Wort, das das Produkt beschreibt, als

Bestimmungswort vorangestellt wird z.B. Brotmaschine – eine Maschine, mit der

Brot geschnitten wird; Bohrmaschine – eine Maschine zum Bohren von Löchern.

Im Grundwort kommt ein Oberbegriff (Genus proximum) vor, der durch das

Bestimmungswort, das ein spezifisches Merkmal darstellt (Differentia specifica),

näher bestimmt wird. In unserem Beispiel ist die Maschine Oberbegriff

(Grundwort) und Brot- bzw. Bohr- Bestimmungswort. Der Oberbegriff ist zugleich

auch grammatisch dominant. Die beiden Konstituenten des Kompositums

brauchen vor der Zusammensetzung in keinerlei semantischer Beziehung

zueinander gestanden zu haben.

2. Bei Komposita, die schon vorhandene Bezeichnungen ersetzen sollen, sind eher

psychologische Motivationen am Werk. Die neue Bildung soll leicht merkbar sein,

sich an geläufige Gebrauchsmuster anlehnen und gewisse Assoziationen

auslösen. Ein Beispiel dafür wären die neuen Berufsbezeichnungen, die zur

Beseitigung negativer Konnotationen eingeführt wurden: Die Putzfrau wurde zur

Raumpflegerin, die Blumenhändlerin zur Floristin, das Dienstmädchen zur

Haushaltshilfe. Für Krankenschwester wurde die Bezeichnung Krankenpflege

erfunden, die auch eine maskuline Form hat. Bezeichnet wird hier jeweils

dasselbe, aber die Bewertung ist eine andere.

3. Die Wortbildung kann auch von fremdsprachlichen Mustern bestimmt werden. Es

geht dabei um Lehnübersetzungen und freiere Lehnübertragungen wie etwa

Wolkenkratzer aus engl. skyscraper oder Gipfeltreffen von engl. summit meeting.

4. Ferner ist die Wortbildungsart durch innersprachliche Bedingungen bestimmt:

der Zusammenhang zwischen bedeutungsverwandten Wörtern wird leicht verständlich,

wo die Wörter gemeinsame Teile haben, seien es Wortstämme (wie bei den Mitgliedern

einer Wortfamilie z.B. hör-en, hör-bar, Hör-er, Hör-barkeit usw.) oder Wortbildungsmittel

(wie -bar in hör-bar, ess-bar, genieß-bar);

bei gleichlautenden Wörtern (Homonymen) wie Tor (1. breiter Eingang in einer Mauer,

Vorrichtung aus Holz, 2. durch zwei Pfosten u. eine sie verbindende Querlatte markiertes

Ziel, in das der Ball zu spielen ist, 3. durch zwei in den Schnee gesteckte Stangen

markierter Durchgang, der bes. beim Slalom passiert werden muss) werden sie durch

ein Bestimmungswort eindeutig (1. Haustor, 2. Fußballtor, 3. Skitor).

23

Page 24: Vorlesung Wortschatzerweiterung

innerhalb von Fachsprachen werden weitere Differenzierungen durch zusätzliche

Bestimmungswörter vorgenommen (z.B. Purpurfarbstoff, Karminfarbstoff, Indigofarbstoff,

usw.);

der grammatische Formenbau (die Morphologie) kann für die Entstehung von

Wortbildungen bestimmend sein. Zu manchen Substantiven, die keinen Plural haben

(Regen, Unglück) gibt es zusammengesetzte Ersatzformen (Regen- bzw. Unglücksfälle).

Dasselbe gilt für Pluralwörter (Pluraliatantum) mit zusammengesetzten Ersatzformen für

den Singular (Unkosten - Unkostenbeitrag, Eltern - Elternteil); Wortbildungen können

auch syntaktisch begründet werden. Attributive Wortgruppen werden durch Komposition

zu einem zusammengesetzten Wort (z.B. Fremdherrschaft für fremde Herrschaft,

Adoptivkind für adoptiertes Kind, Leichtkost für leichte Kost);

die Zusammensetzung kann im Rahmen des Textaufbaus der Themabildung

(Topikalisierung) dienen. z. B. Tierfütterung – die Tiere werden gefüttert. Solche

Komposita eignen sich besonders als Überschriften für Zeitungsmeldungen oder

Schlagzeilen.

oft werden Wortbildungen durch soziologische Faktoren bestimmt. Das ist der Fall der

Neuprägungen und Augenblicksbildungen, die dem Erwartungshorizont ihrer Empfänger

- Leser oder Hörer - angepasst werden oder der Wortprägungen der

Gruppenzugehörigkeit und -unterscheidung, die meistens nur „für andere“ verwendet

werden: Kleinbürgertum, Großbürgertum. Hierher gehören auch Bildungen aus dem

Bereich der unterschiedlichen Gruppensprachen.

4. Die Hauptformen der deutschen Wortbildung

Ein zentrales Thema der germanistischen Sprachwissenschaft ist die Wortbildung als Teilgebiet

der Lexikologie, das sich mit den Regeln der Neubildung von Wörtern auseinandersetzt.

Folgende Ausführungen beruhen auf die von Pelz (2007) und Miclea (2002)

zusammengestellten Einführungen zur deutschen Wortbildung. Das wichtigste Mittel des

Ausbaus des Wortbestandes der deutschen Sprache ist die Wortbildung. Sie nimmt im System

der Sprachwissenschaft eine besondere Stellung ein, ihr Gebiet ist sehr umfangreich. Ein Wort

besteht entweder aus einem einzelnen lexikalischen Morphem oder aus einem einzelnen

grammatikalischen Morphem oder aus einer Kombination aus lexikalischen und

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Page 25: Vorlesung Wortschatzerweiterung

grammatikalischen Morphem(en). Für deren Zusammentreten zu Wörtern gibt es in jeder

Sprache eigene verschiedene Muster. Dabei können freie Morpheme wieder mit freien

Morphemen zusammentreten (z.B.: Haus/tür, schall/dicht) und/oder mit gebundenen (z.B.

Schön/heit, zer/reiß, schnell/er; -heit, zer-, -er sind gebundene Morpheme). Die gebundenen

sind auf die Kombination angewiesen und treten nur zusammen mit einem oder mehreren

anderen (freien oder gebundenen) Morphemen auf (z.B.: schnell/er: freies lexikalisches +

gebundenes grammatikalisches Morphem). Die grammatikalischen Morpheme lassen sich nach

ihrer Funktion einteilen in Flexionsphormene (z.B. -t in er sagt) und Wortbildungsmorpheme

(z.B. -heit in Krankheit). Die Möglichkeiten der Wortbildung sind im Deutschen besonders

vielfältig. Zwei Wortbildungsmuster fallen im Deutschen durch sehr große Produktivität auf: die

Ableitung und die Zusammensetzung.

Die Ableitung (Derivation)

Die Ableitung besteht aus einem lexikalischen Morphem und einem oder mehreren

Wortbildungsmorphemen; ein Flexionsmorphem kann hinzutreten. Wortbildungsmorpheme

können zwei Funktionen haben: eine inhaltliche und/oder eine morphologische Funktion,

nämlich die, das lexikalische Morphem in eine andere Wortart abzuleiten.

Wortbildungsmopheme treten als Präfixe (= Vorsilben) oder als Suffixe (= Nachsilben) oder als

Infixe (= Zwischensilben) auf; Prä- und Suffixe werden unter dem Begriff Affixe

zusammengefasst. Man unterscheidet: die äußere Ableitung (explizite Derivation) und die

innere Abeitung (implizite Derivation). Die äußere Ableitung erfolgt durch Hinzufügung von

Affixen: dien-en, be-dien-en, Be-dien-ung, Dien-er, Dien-st, dien-lich; arbeit-en, ver-arbeit-en,

Ver-arbeit-ung, Arbeit-er, arbeit-sam. Die innere Ableitung erfolgt durch Stammveränderungen:

Ablaut, Umlaut, Konsonantenwechsel (ohne erkennbare Affixe): trinken-Trank-Trunk; biegen-

beugen. Die Ableitung tritt vorwiegend in den romanischen und slawischen Sprachen auf. Es

gibt eine große Zahl von Wörtern, die heute nicht mehr als Komposita gelten (obwohl sie es

ihrer Entstehung nach sind). Sie gelten nicht mehr als Komposita, weil einer ihrer Bestandteile

aufgehört hat, als selbständiges Wort zu existieren. Z. B.: ding-lich, er-lauben, Freund-schaft,

Un-ehre, Weis-heit. Hier erkennen wir jeweils nur ein selbständiges Wort, an das ein

(unselbständiges) Wortmittel getreten ist. Auch heute ist die Grenze zwischen einem

selbständigen Wort- und Ableitungsmitteln unscharf, denn es gibt zahlreiche Wörter, die

selbständig stehen können, trotzdem aber die Neigung zeigen, gruppenbildend, wie Affixe,

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Page 26: Vorlesung Wortschatzerweiterung

aufzutreten: Biedermier, Blätterwerk, Gasmann, hoffnungsvoll, Marktweib, Prahlhans, ratlos,

redselig, Schlaumeier.

Die Ableitungen mit Hilfe von Präfixen werden in der Sprachwissenschaft unterschiedlich

behandelt. Manche Grammatiken ordnen sie unter historischem Gesichtspunkt als sogenannte

Präfixkomposita den Zusammensetzungen zu. W. SCHMIDT, der vom gegenwärtigen

Sprachstand ausgeht, betrachtet diese Bildungen jedoch als Ableitungen. Er begründet seine

Einstellung folgendermaßen: da die Morpheme:be-, ent-, er-, erz-, ge-, miß-, un-, ur-, ver-, zer-

in unserer Sprache nicht mehr selbständig auftreten können, gehören die damit gebildeten

Wörter zu den Ableitungen: z.B. begrüßen, entlaufen, erwarten, Erzbischof, Gefährte, Mißklang,

Unlust, Urlaub, vermieten, zerstören. Es gibt aber auch eine zweite Art der Ableitung, die ohne

erkennbare Affixe vor sich geht und seit JAKOB GRIMM „innere Ableitung“ genannt wird: z. B.

trinken - Trank – Trunk; binden - Band – Bund; biegen - beugen – brechen; heilen - heil – Heil.

Die Ableitung mit Suffixen

Suffixe zur Bildung von konkreten Substantiven

Zur Bildung männlicher Personenbezeichnungen (Personalia) dienen die Suffixe): -er (-ler, -

ner), -ing, -rich und die fremden Suffixe: -ant, -aster, -ian, -ist, -ikus.

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Page 27: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Das Suffix -er tritt bei der Bildung von Maskulina am häufigsten auf. Es dient zur Bildung

von Substantiven aus Substantiven und Verben, in einigen Fällen auch aus Adjektiven

und Numeralien: Schule - Schüler; weben - Weber, schuldig - Schuldiger, hundert -

Hunderter.

Mit dem Suffix -er werden Bezeichnungen für Personen nach ihrer Tätigeit gebildet.

Diese Bezeichnungen für Personen nach ihrer Tätigkeit heißen nomina agentis.

Berufsbezeichnungen sind z. B. Böttcher, Gärtner, Köhler (hier hat das Suffix -er die

Umlautung des Stammvokals bewirkt), dann: Maurer, Sattler, Schreiber. Aus den

Nomina agentis sind von Verben abgeleitete Ausdrücke entstanden, die auch die

Tätigkeit selbst bezeichnen. Bezeichnungen für Werkzeuge sind: Schalter, Klammer,

Drucker, Zeiger. Münzbezeichnungen (hier eine Übertragung auf leblose Gegenstände):

Kreuzer (eine mit einem Kreuz bezeichnete Münze), Heller (Münze aus Schwäbisch

Hall), Taler (Münze aus Joachimsthal), und aus Zahlen abgeleitete Bezeichnungen:

Dreier, Sechser.

Mit Hilfe des Suffixes -er werden aus nomina actionis (Bezeichnungen für Tätigkeiten)

nomina agentis gebildet: Mörder - aus Mord abgleitet; Lehrer - aus Lehre; Spieler - aus

Spiel. Sie erweckten den Eindruck, dass sie direkt auf Verben zurückgehen. Deshalb

entstanden auch direkte Ableitungen aus Verben. Substantive auf -er können sich

inhaltlich auf eine einzelne Tätigkeit beziehen - Erbauer (der Stadt), Gründer (der

Firma) als auch auf eine wiederholte oder gewohnheitsmäßige Tätigkeit: Bäcker,

Bauer, Färber, Jäger, Schneider usw.

Allerdings liegt nicht bei allen Wörtern auf -er das Suffix -er vor. Z. B. Ausdrücke, die

schon im Ahd. einen leblosen Gegenstand bezeichneten, sind lateinischer Herkunft:

Becher <bicarium; Pfeiler <pilarius; Söller<solarium; Speicher<spicarium.

Herkunftsbezeichnungen, die mit -er von Orts-und Läündernamen gebildet werden,

gehen auf ein pluralisch auftretendes Suffix für Völkernamen: Bukarester, Prager,

Berliner, Wiener, Kölner: Amerikaner - hier ist das -er pleonastisch an fremde

Ableitungsilben getreten; auch Afrikaner, Venetianer, Athenienser. Aus dem Suffix -er

haben sich durch Verschmelzung mit einem vorangehenden Suffix oder einem

stammschließenden Konsonanten die Suffixe -ner und -ler entwickelt. Sie bilden

Ableitungen von Substantiven und Verben: Harfner Häusler, Hinterwälder, Lügner,

Redner, Schaffner, Tischler.

Die Suffixe -ing und -ung sind altgermanischer Herkunft; sie stehen im Ablautverhältnis

und bezeichnen die Zugehörigkeit und die Herkunft von Personen oder Sachen. Sie

bilden Vaternamen (Patronymika) aus Personennamen: Waelsing = Sohn/Abkomme

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Page 28: Vorlesung Wortschatzerweiterung

des Waelse. In dieser Funktion erscheinen sie in Namen von Dynastien, Stämmen,

Bewohner einer Landschaft: Merowinger, Karolinger, Thüringer, Nibelungen. So erklären

sich zahlreiche Ortsnamen auf -ing(en) - Dat.Pl; -ing(hofen); -ing(hausen); -ing(dorf):

Meiningen, Bozingen, Sigmaringen. Sie bezeichnen Siedlungen von einem Meino, Bozo,

Sigmar. Als Familiennamen haben sich die Bildungen auf -ing und -ung bis heute

erhalten: Henning, Adelung, Hartung.

Aus dem Suffix -ing ist durch Verschmelzung das Suffix -ling entstanden; es leitete

Substantive aus Substantiven, Adjektiven, Numeralien und Verben ab: Fäustling,

Schwächling, Drilling, Prüfling. Die Substantive auf -ling, die aus Adjektiven abgeleitet

sind, bezeichnen Lebewesen (meist Personen) nach einer hervorstechenden

Eigenschaft, z. B.: Jüngling, Neuling, Fremdling, Frischling. Nicht so alt sind

Ableitungen aus Substantiven; sie benennen Lebewesen und Gegenstände nach ihrer

Zugehörigkeit und einer dauernden Eigenschaft. Z. B. Günstling, Sprößling,

Häuptling, Fäustling, Silberling. Manche Substantive auf -ling haben einen negativen

Gefühlswert. Das gilt besonders für Personenbezeichnungen auf -er, die mit -ling

weitergebildet sind, z. B. Dichterling, Schreiberling, auch Höfling, Sonderling.

Mit Hilfe des Suffixes -ling kann man Substantive von Verben ableiten. Die von

transitiven Verben abgleiteten Substantive haben passivische Bedeutung - Pflegling,

Findling, die von itransitiven Verben abgleiteten Substantive haben aktivische Bedeutung

- Flüchtling, Säugling, Emporkömmling.

Das nhd. Suffix -rich erscheint nur in wenigen Wörtern; es bezeichnet männliche Tiere,

deren Namen Feminine sind: Enterich, Gänserich, Täuberich, Personen oder

Gegenstände nach ihrer Zugehörigkeit, nach ihrem Verhalten oder einem

besonderen Merkmal: Fähnrich, Wüterich, Knöterich (= Ackerspergel; Pflanze, die nach

den Knoten des Stengels benannt wird). Bei der Bildung männlicher Personalia haben

die Eigennamen einen großen Einfluß ausgeübt. In nhd. Zeit sind Bildungen des Typus

„Prahlhans“ sehr produktiv geworden: Großhans, Polterhans, Schnarchhans.

An die Personennamen auf -bold - Humbold und -bald - Willibald haben sich einige

moderne Bildungen auf -bold angelehnt: Saufbold, Trunkenbold, Raufbold, Witzbold,

wobei -bold zum Suffix geworden ist. Im 19.Jahrhundert treten Bildungen mit -meier, -

berger, -huber auf: Angstmeier, Kraftmeier, Biedermeier, Schlaumeier, Drückeberger,

Schlauberger, Krafthuber. Diese Bildungen haben in der Regel pejorativen Charakter.

Zur Bildung von Personenbezeichnungen dienen auch einige fremde Suffixe. Diese

Suffixe erscheinen zunächst in Fremdwörtern, treten dann aber auch an deutsche

Stämme. Z. B.

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Page 29: Vorlesung Wortschatzerweiterung

o -ant: Dilettant, Intrigant, Musikant, Lieferant, Aspirant, Maturant

o -and: Doktorand, Maturand (in der Schweiz)

o -aster: Kritikaster, Philosophaster, Politikaster

o -ent: Student, Absolvent

o -är: Aktionär, Millionär, Veterinär

o -ist: Jurist, Romanist, Anarchist, Hornist

o -eur: Ingenieur, Amateur

o -euse: Friseuse, Masseuse

o -ian: Grobian, Schlendrian

o -ier: Offizier, Grenadier

o -iker: Fanatiker, Praktiker

o -ikus: Pfifikus, Luftikus

Zur Bildung persönlicher Feminina dient im Ahd. das Suffix -in. Sie werden aus den

meisten männlichen Personenbezeichnungen gebildet, besonders aus Standes und

Berufsbezeichnungen: Lehrerin, Göttin, Sportlerin, Sängerin usw. So entstehen auch

weibliche Tiernamen: Löwin, Bärin, Hündin. Das Suffix -in diente früher zur

Kennzeichnung des weiblichen Geschlechtes bei Personennamen: Luise Millerin,

Karoline Neuberin.

Als Diminutivsuffixe treten im Nhd. -chen (in N-Dtl.) und -lein (in S-Dtl.) bevorzugt. Sie

bezeichnen etwas Kleines und Unbedeutendes: Bäumlein, Mäuslein, Hündchen,

Häuschen, drücken aus Zärtlichkeit und Liebkosung: Mütterlein, Schwesterchen,

Väterchen. Bei gutturalem Stammauslaut muss man aus Gründen des Wohlklangs -lein

setzen: z. B. Krüglein, Sträuchlein, Bäuchlein. Nach l steht -chen: Schlüsselchen,

Zettelchen. Oft kommen beide Suffixe nebeneinander vor, allerdings mit

Bedeutungsdifferenzierung (oder nicht): Fräulein – Frauchen; Männlein -Männchen (bei

Tieren) aber Märlein - Märchen. Das Suffix -lein erscheint in den Mundarten als l, le, el,

erl: Dirndl, Männle, Weibel, Hunderl.

Abgleitete Suffixe auf -nis, -sal, -heit, -keit, -tum, -in, -ling bilden kaum Diminutive.

Viele Substantive auf -en, -e stoßen das -en, -e vor dem Diminutivsuffix aus: Öfchen,

Röslein.

Andere Suffixe dienen zur Bildung konkreter Substantive und zwar Dingbezeichnungen

und Ländernamen. Z. B. bildet das Suffix -el schon in ahd. Zeit männliche

Werkzeugbezeichnungen: Schlüssel, Zügel, Löffel (ruft Umlaut hervor), aber auch

Griffel, Wirbel, Hebel. Dieser Wortbildungstypus wird in spätmhd. Zeit durch den auf -er

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Page 30: Vorlesung Wortschatzerweiterung

ersetzt: Behälter, Drucker. Dingbezeichnungen kann auch das Suffix -ling bilden:

Fäustling, Silberling. Viele Länder-und Landschaftsnamen enden auf -en: Hessen,

Sachsen, Schwaben, Thüringen. Darin steckt der D. Pl. der entsprechenen

Völkernamen; z. B. mhd. ze swâben = bei den Schwaben. Dieser deutsche

Wortbildungstyp für Ländernamen entspricht dem latenischen Wortbildungstyp auf -ia. Z.

B. Asien - Asia; Belgien - Belgia; Sizilien - Sicilia: In fremden Ländernamen erscheint das

Suffix -ei < mhd. îe. Es stammt aus dem Lateinischen und kam über das Französische

ins Deutsche: Mongolei, Türkei, Mandschurei.

Suffixe zur Bildung abstrakter Substantive

Diese abgeleiteten Wörter bezeichnen zunächst Tätigkeiten, Eigenschaften, Zustände,

Gedanken. Sie nehmen häufig aber auch gegenständliche Bedeutung an. Außerdem muss

darauf hingewiesen werden, dass die Suffixe, die abstrakte Substantive ableiten, ursprünglich

selbst konkrete Bedeutung besessen haben.

Das Suffix -ung ist das verbreiteste Suffix, das zur Bildung von femininen nomen actionis

dient. Ursprünglich bildete es Ableitungen aus Nomina: Holzung, Niederung, Waldung,

Zeitung. Die meisten Substantive sind jedoch von Verben abgeleitet: Ergebung,

Vereinigung, Bergung, Erwähnung, Zählung, Brandung, Drohung, Handlung, Hoffnung

(von reflexiven, intransitiven und transitiven Verben abgeleitet). Die femininen

Substantive mit dem Suffix -ung bezeichnen:

a.) Tätigkeiten und Vorgänge: Auferstehung, Verdummung, Wirkung

b.) Zustände als Folge einer Tätigkeit: Lähmung, Lichtung, Ordnung, Verzweiflung

c.) Gegenstände als Mittel oder Ergebnis einer Tätigkeit: Feuerung, Rüstung,

Siedlung, Schöpfung. Im ständigen Anwachsen sind die Ableitungen von

zusammengesetzten Verben aber auch die Zusammensetzung selbst im Nhd.:

Mitteilung, Instandsetzung, Überführung. Häufig sind von einem Verb sowohl der

substantivierte Infinitv als auch die Ableitung mit -ung in Gebrauch. Allerdings

haben sie meistens verschiedene Bedeutungen: das Füttern - die Fütterung; das

Rechnen - die Rechnung; das Zeichnen - die Zeichnung; das Eintragen - die

Eintragung; das Stiften - die Stiftung.

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Page 31: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Das Suffix -heit dient zur Bildung von Eigenschaftsbezeichnungen. Es geht auf mhd. und

ahd, -heit zurück und bedeutete: Art und Weise, Beschaffenheit, Eigenschaft, Person,

Stand, Rang, Ehre. Als selbständiges Substantiv ist es in allen germanischen Sprachen

zu finden.Es dient zur Bildung von Abstrakta aus: Substantiven: Kindheit, Menschheit;

Adjektiven und adjektivischen Partizipien: Klugheit, Schönheit, Gebundenheit,

Zerrissenheit, Verstocktheit; Numeralien: Einheit, Mehrheit, Vielheit.

Eine Weiterbildung des Suffixes -heit ist das Suffix -keit. Das Suffix -keit tritt an

Adjektive auf: -bar, -ig, -lich, -sam und teilweise -er, -el: Ewigkeit, Brauchbarkeit,

Bedeutsamkeit, Redlichkeit, Bitterkeit, aber Sicherheit; Eitelkeit aber Dunkelheit.

Das Suffix -igkeit ist eine weitere Sekundärform zu -heit und tritt an Adjektive,

besonders an Adjektive auf -los: Auswegslosigkeit, Bangigkeit, Dreistigkeit, Genauigkeit,

Kompormißlosigkeit, Leichtigkeit, Müdigkeit, Sorglosigkeit. Es sind auch zweierlei

Bildungen mit verschiedener Bedeutung möglich, wobei die Bildungen auf -igkeit die

konkrete Bedeutung haben: Feuchtigkeit – Feuchtheit; Kleinigkeit – Kleinheit; Neuigkeit –

Neuheit.

Das Suffix -schaft <mhd. schaft <ahd. scaf bedeutete ursprünglich Beschaffenheit/

Form, Gestalt, Eigenschaft. Es verbindet sich mit Substantiven, Adjektiven und

substantivierten Infinitven, die Ableitungen bezeichnen und weisen auf: einen Zustand,

ein Verhalten, eine Zusammengehörigkeit, eine örtliche Einheit hin.

Zustandsbezeichnungen: Knechtschaft, Gevatterschaft, Vormundschaft; Verhalten:

Freundschaft, Feindschaft; eine kollektive Bedeutung (Zusammengehörigkeit):

Bruderschaft, Dienerschaft, Genossenschaft, Gewerkschaft; eine örtliche Bedeutung:

Grafschaft, Ortschaft, Landschaft; Ableitungen aus Adjektiven: Eigenschaft,

Gemeinschaft, Liebschaft; Ableitungen aus Partizipien: Bekanntschaft, Gefangenschaft,

Hinterlassenschaft; aus substantivierten Infinitiven: Liegenschaft, Machenschaft,

Rechenschaft, Wissenschaft.

Das Suffix -tum geht auf ahd. und mhd. -tuom zurück. -tuom war im Ahd. noch ein

selbständiges Die Ableitungen mit nhd. -tum sind Eigenschaftsbezeichnungen, gehen

aber auch in Gegenstands- -und Kollektivbezeichnungen über. Aus Substantiven sind

abgeleitet: Bürgertum, Christentum, Priestertum, Rittertum. Aus Adjektiven sind

abgeleitet: Deutschtum, Eigentum, Heiligtum, Reichtum. An einige Substantive kann

außer dem Suffix -tum auch ein anderes treten; allerdings führt das zu Unterschieden in

der Bedeutung: Christentum (abstrakt) - Christenheit (kollektiv); Priesterum –

Priesterschaft; Ritterum – Ritterschaft; Heiligtum (konkret) - Heiligkeit (abstrakt).

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Page 32: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Das Suffix -e <ahd. î(n) bildet zahlreiche Ableitungen. Es bildet aus Adjektiven

Eigenschaftsbezeichnungen: Blässe, Größe, Höhe, Länge, Schärfe, Strenge, Tiefe,

Würde. Andere Bildungen sind aus Adverbien abgeleitet: Nähe, Ferne; andere

Ableitungen haben konkrete Bedeutungen erlangt: Ebene, Höhle, Fläche, Feste (Burg).

Substantive, die aus Verben abgleitet sind, bezeichnen Tätigkeiten und Zustände: Bitte,

Eile, Rede, Sorge, Taufe. Aus Verben abgeleitete Substantive bezeichnen auch

Gegenstände und Werkzeuge: Haue, Fähre, Feile, Schleppe. In gleicher Verwendung

wie das Suffix -e konnt auch -de < ahd. ida vor. Ableitungen mit diesem Suffix haben

sich nur spärlich erhalten: Begierde, Behörde, Beschwerde, Freude, Gebärde,

Gemeinde, Zierde. Es hat aus Verben Substantive abgleitet, die das Ergebnis der

Handlung bezeichnen: Diese Bildungen haben das Präfix ge-: Gebäude zu bauen,

Gemälde zu malen, Getreide zu tragen.

Sehr alt ist das Suffix -t. Es diente zur Bildung von Verbalabstrakta, insbesondere von

nomina actionis aus starken Verben. Dieser Wortbildungstyp ist schon lange nicht mehr

produktiv, es haben sich aber viele Wörter bis heute erhalten: Brut, Glut, Fahrt, Flucht,

Last, List, Naht, Macht (zu mögen), Saat, Tat, Verlust. Bei manchen tritt zwischen dem

Nasal und Dental ein Gleitlaut, z. B.: Ankunft, Vernunft, Zunft.

Das Suffix -nis <mhd. misse <ahd. missi bildet feminine und neutrale Abstrakta. Die

abgeleiteten Substantive bezeichnen einen Zustand oder das Ergebnis einer Tätigkeit:

Bedrängnis, Betrübnis, Finsternis, Geständnis, Verzeichnis, Zeugnis.

Das Suffix -sal, geschwächt -sel bildet Abstrakta und Konkreta aus Verben, Adjektiven

und Substantiven. Die Ableitungen auf -sal gehören dem hohen und feierlichen Stil an:

Drangsal, Mühsal, Rinnsal, Scheusal, Schicksal, Trübsal, Wirrsal. Das Suffix -sel

hingegen bildet meist Ausdrücke der Alltagssprache: Amsel, Rätsel aber: Anhängsel,

Häcksel, Stöpsel, Überbleibsel.

Das Suffix -ei ist fremden Ursprungs. Im Nhd. hat es weite Verbreitung gefunden. Es

bildet Abstrakta, seltener Kollektiva aus Substantiven und Verben. Der fremde Ursprung

ist daran zu erkennen, dass es entgegen den Betonungsgestzen des Deutschen den

Wortakzent trägt. Es erscheint zunächst in Lehnwörtern aus dem Lateinischen und

Französischen: Arznei, Abtei, Probstei. Die Substantive auf -ei und

-erei bzeichenen wiederholte Tätigkeiten, ihre Ergebnisse und den Ort an dem sie als

Berufe ausgeübt werden. Sie werden häufig von Berufsbezeichnungen auf -er abgleitet:

wiederholte Tätigkeiten: Betrügerei, Raserei, Hehlerei; das Ergenis wiederholter

Tätigkeit: Stickerei, Malerei; der Ort der Berufsausübung: Brauerei, Bäckerei, Molkerei,

Schlosserei, Ziegelei.

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Page 33: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Andere fremde Suffixe treten besonders in gelehrten Bildungen auf:

o -tät: Universität, Universalität, Gravität

o -tion: Kaution, Portion, Publikation, Reputation, Sektion,

o -age: Blamage, Stellage

o -(iz)ismus: Dadaismus, Klassizismus, Kubismus, Nihilismus

o -asmus: Marasmus (= körperlich-geistiger Kräfteverfall), Sarkasmus

o -ur: Garnitur, Mixtur, Natur

o -enz: Magnifizenz, Pestilenz

Andere fremde Suffixe zeigen konkrete Substantive wie: Stativ, Spital, Ventil, Element, Granit,

Komnet, Meteorit, Baldachin oder: Violine, Sirene, Amulett, Granulom, Narkotikum, Chemikalie.

Suffixe zur Bildung von Adjektiven

Die häufigsten Suffixe, die Adjektive ableiten sind: -en, -ig, -icht (heute tritt er nur noch selten

auf), -isch, -lich, -sam, -bar, -haft, -haftig und zahlreiche fremde Suffixe.

Das Suffix -en <mhd. -en, în < ahd. -în bezeichnet die Zugehörigkeit zu dem durch

das Stammwort ausgedrückten Gegenstand. Schon seit dem Ahd. dient er zur

Bildung von sogenannten Stoffadjektiven: golden (gülden), irden, papieren, seiden.

Adjektive werden auch von Substantiven auf -er abgleitet; infolgedessen entstand der

Eindruck, als ob ein Suffix -ern vorliege.

Mit Hilfe dieses Suffixes -ern sind im Nhd. verschiedene Adjektive gebildet worden:

gläsern, hölzern, tönern, wächsern. Adjektive wie lüstern oder schüchtern heißen

Neigungsadjektive.

Das Suffix -ig ist heute das gebräuchlichste Suffix zur Bildung von Adjektiven. -ig < ahd.

-ig, -ag, hat die Bedeutung „versehen mit etwas“: blutig = mit Blut versehen schimmlig

= mit Schimmel versehen. Die abgeleiteten Adjektive bezeichnen: Eigenschaften,

Ähnlichkeiten: bärtig, bergig, felsig, holzig, massig, ölig, wurmig.; diese sind von

konkreten Substantiven abgeleitet; Vorgänge, Zustände: bedächtig, eilig, geizig, hastig,

müßig, vorsichtig, zornig; diese sind von abstrakten Substantiven abgleitet. Es leitet aber

auch Adjektive aus Verben ab: ergiebig, findig, schläfrig, aus Adverbien: baldig, dortig,

gestrig, hiesig aus Adjektiven: lebendig, niedrig, untertänig.

Das Suffix -icht tritt heute nur noch selten auf. Es tritt zu Stoffnamen und hat die

Bedeutung „mit etwas versehen“. Es war im 17. und 18. Jahrhundert besonders

beliebt, ist aber heute nur noch in töricht zu finden; es wurde durch -ig oder andere

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Page 34: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Suffixe verdrängt. Alte Ableitungen sind z. B.: blumicht, dornicht, nervicht, runzelicht,

schatticht.

Das Suffix -isch <mhd. -isch < ahd. isc bildet Ableitungen aus Personen- und

Tierbezeichnungen. In Ableitungen wie z. B.: asiatisch, bäuerisch, europäisch,

gärtnerisch, kaufmännisch, städtisch, studentisch bezeichnet es die Abstammung oder

Herkunft. In Ableitungen wie: diebisch, hündisch, knechtisch, närrisch, prahlerisch,

schmeichlerisch, viehisch enthält es einen abschätzigen Gefühlswert. Besonders

häufig sind die Ableitungen aus Eigennamen; sie bezeichnen eine Herkunft oder

Zugehörigkeit: asiatisch, europäisch, indisch, kölnisch, rumänisch, ungarisch, wienerisch.

In Ableitungen aus Fremdwörtern steht das Suffix -isch für lat. -icus oder griech. -ikós:

historisch, physisch, politisch, psychisch, tragisch. Es tritt auch an fremde Suffixe:

amerikanisch, bestialisch, egoistisch, puritanisch.

Das Suffix -lich <mhd. -lich <ahd. -lîh geht eigentlich auf ein germanisches Substantiv

„lika“ = Körper, Leib zurück. Die Ableitungen auf -lich sind schon im Gotischen zu

verzeichnen, aber besonders seit dem 8. Jahrhundert häufig. Ursprünglich hatte es die

Funktion, auf etwas dem Stammwort Gemäßes hinzuweisen: königlich = nach Art des

Königs; kaiserlich = nach Art des Kaisers; päpstlich = nach Art des Pabstes; gütlich =

von guter Art. Es bildet Adjektive von Personenbezeichnungen: brüderlich, feindlich,

gastlich, väterlich; von Gegenstands- oder Dingbezeichnungen: bildlich, brieflich, leiblich,

sachlich; von Zeitbezeichnungen: abendlich, monatlich, sommerlich, stündlich, täglich,

zeitlich; von Vorgangs- und Zustandsbezeichnungen: ängstlich, dienstlich, feierlich,

freundschaftlich, gefährlich, kümmerlich, nützlich, schmerzlich, wissenschaftlich. Das

Suffix -lich leitet Adjektive auch aus anderen Adjektiven ab. Z. B. Ableitungen, die eine

Annäherung an den Begriff des Grundworts ausdrücken: ältlich, gelblich, gütlich,

rötlich. Andere Ableitungen weisen auf eine Neigung hin: kleinlich, kränklich, reinlich,

weichlich. Aus Partizipien und Infinitiven werden Ableitungen auf -en, -lich mit

eingeschobenem -t gebildet: flehentlich, geflissentlich, hoffentlich, öffentlich. Bildungen,

die direkt auf Verben zurückgehen, sind im Anwachsen: besinnlich, bestechlich, käuflich,

nützlich, verderblich. Sekundärbildungen auf -erlich sind fürchterlich, leserlich. Diese

sind nach dem Muster der Ableitungen entstanden, deren Grundwörter -er Ableitungen

waren.

Das Suffix -sam geht auf einen alten Adjektivstamm zurück. Dieser Adjektivstamm trug

die Bedeutung „von derselben Beschaffenheit wie“, „ähnlich“, „zusammengehörig

mit“. Dementsprechend bezeichnen diese Ableitungen besondere

Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Neigungen. Ableitungen aus Substantiven:

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Page 35: Vorlesung Wortschatzerweiterung

arbeitsam, furchtsam, ratsam, sittsam; aus Adjektiven : gemeinsam, genugsam, sattsam;

aus Verben: duldsam, folgsam, strebsam. Doppelbildungen auf -sam und -lich sind

möglich: sittsam –sittlich; sorgsam –sorglich; bildsam – bildlich; ratsam, rätlich. Die

unterschiedlichen Suffixe dienen oft der Bedeutungsdifferenzierung.

Das Suffix -bar <mhd. baere < ahd. bâri <got. baíran bedeutet „Frucht tragen“.

Ursprünglich bedeutete es „imstande sein, etwas zu tragen“. Die ältesten Bildungen

gehen von Substantiven aus: dienstbar, ehrbar, fruchtbar. In der jüngeren Sprache sind

die Ableitungen von Verben häufiger: brauchbar, denkbar, eßbar, trennbar, vorstellbar;

diese Bildungen bezeichnen eine Möglichkeit. Auch hier gibt es Doppelbildungen auf -

bar und auf -lich: kostbar – köstlich; strafbar - sträflich oder wunderbar - wunderlich –

wundersam.

Das Suffix -haft war ursprünglich ein selbständiges Wort. Die selbständige Form ist noch

im Mhd. zu finden. Seine Grundbedeutung ist „mit etwas behaftet/ versehen sein“:

gewissenhaft, grauenhaft, fehlerhaft, herzhaft, mangelhaft, vorteilhaft. Diese

Grundbedeutung wird später zu der allgemeineren einer Eigenschaft erweitert: boshaft,

heldenhaft, knabenhaft, krankhaft, mädchenhaft, meisterhaft, stümpelhaft, wohnhaft,

zaghaft. Dieses sind Ableitungen von Substantiven und Adjektiven. Ableitungen von

Verben sind: flatterhaft, scherzhaft, schmeichelhaft, wohnhaft.

Das ahd. und mhd. -haft wird oft zu -haftig erweitert: leibhaftig, teilhaftig, wahrhaftig.

Damit sind jedoch nicht alle Ableitungsmitel der Bildung von Adjektiven erschöpft. In der

Gegenwartssprache sind Reste von Wortbildungstypen erhalten geblieben, die früher

wesentlich wirksamer waren: auswendig, inwendig, notwendig, ebenmäßig, unmäßig,

gegenwärtig, widerwärtig oder die zahlreichen Adjektive auf -artig: bösartig, fremdartig,

gleichartig, großartig, gutartig, verschiedenartig. Auch bei den Adjektiven gibt es

selbständige Wörter, die gruppenbildende Funktion haben können; solche Adjektive, die

die Tendenz haben, zu Suffixen herabzusinken sind:

o arm: blutarm, freudenarm, pflanzenarm, regenarm

o reich: arbeitsreich, freudenreich, segensreich, wasserreich

o voll: hoffnungsvoll, rücksichtsvoll, sinnvoll, trostvoll

o leer: blutleer, inhaltsleer, luftleer

o los: ahnungslos, elternlos, hoffnungslos, grenzenlos

o fähig: lebensfähig, leistungsfähig, zurechnungsfähig

o frei: fehlerfrei, giftfrei, schulfrei, steuerfrei

o fertig: friedfertig, leichtfertig, schlagfertig

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Page 36: Vorlesung Wortschatzerweiterung

o recht: aufrecht, lotrecht, senkrecht, waagerecht

o wert: lesenswert, liebenswert, lobenswert, sehenswert

o breit: fingerbreit, fußbreit, handbreit, meterbreit

Groß ist auch die Zahl fremder Suffixe, die Adjektive ableiten. Z. B. formal – formell, original –

originell, subtil, elementar, regulär, human, mondän, delikat, diskret, komplett, morbid, horrend

(= schandhaft, schrecklich, übermäßig), skandalös, rasant, dezent, virulent, dubios, operativ,

antik, grotesk, diskutabel, disponibel.

Suffixe zur Bildung von Verben

Die wichtigsten verbbildenden Suffixe sind: -eln, -ern, -igen, -zen, -sen, -schen und das

fremde Suffix -ieren.

Das Suffix -eln bildet Verben mit iterativer (wiederholender) Bedeutung: betteln,

grübeln, handeln, häkeln, klingeln, lächeln, rieseln, schmeicheln, schnüffeln, streicheln,

sticheln, wackeln. Manche Bildungen mit dem Suffix -eln haben die Bedeutung einer

krankhaften Neigung: hüsteln, kränkeln, nörgeln. Hier gehören auch lautmalende

Wörter: baumeln, bimmeln, prasslen, rascheln.

Auch das Suffix -ern bildet iterative Verben: flackern, flatteren, flimmern, glimmern,

glitzern, plappern, plätschern, plaudern, stölpern oder Schallnachahmungen: donnern,

flüstern, gackern, kichern, schnattern, wiehern.

Ableitungen mit dem Suffix -igen sind aus Adjektiven und Substantiven gebildet. Sie

erscheinen oft mit den Präfixen: be-, ent-, ge-. Z. B. einigen, kräftigen, nötigen. Aus

Adjektiven abgeleitete Verben: befestigen, besänftigen, beschönigen, berichtigen. Aus

Substantiven abgeleitet sind: entschuldigen, huldigen, peinigen, schädigen.

Die Suffixe -zen, -sen, -schen finden wir in Ableitungen von Interjektionen, Pronomen,

Substantiven. Sie bezeichnen einen Schall, eine Bewegung, einen Gemütszustand:

ächzen, jauchzen, krächzen, schluchzen; hopsen, knicksen, plumpsen; glitschen,

klatschen, quietschen.

Das Suffix -ieren ist fremder Herkunft; übernommen wurde eigentlich nur -ier. Es drang

im 12. Jahrhundert mit den französischen Ausdrücken des Rittertums in die nhd.

Literatur ein. Es war jedoch üblich, an die fremden Wörter deutsche Verbalendungen

anzufügen, so dass das Suffix -ier zum Bestandteil des Stammes gemacht wurde. Auf

diese Weise entwickelte sich allmählich ein neuer Wortbildungstyp: aus Fremdwörtern

wurden Verben auf -ieren gebildet. Das gleiche geschah auch mit deutschen Stämmen;

so entstanden Mischbildungen wie: amtieren, buchstabieren, gastieren, halbieren, 36

Page 37: Vorlesung Wortschatzerweiterung

hausieren, stolzieren. Ein Untertyp sind Wörter auf -isieren. Im 16. Jh. entstand -isieren

< fr. -iser: botanisieren, galvanisieren, später politisieren, privatisieren.

Suffixe zur Bildung von Adverbien

Solche Suffixe sind:

o -lich < mhd. liche(n): bitterlich, neulich, schließlich, schwerlich, sicherlich, wahrlich;

o -lings: blindlings, neuchlings, rittlings. Hier gehören auch die Wörter, die ihren

selbständigen Charakter aufgegeben haben und zu Halbsuffixen geworden sind. Sie

haben gruppenbildenden Charakter.

o -weise: ausnahmsweise, beispielsweise, gleicherweise, glücklicherweise,

haufenweise, kreuzweise, literweise, möglicherweise, paarweise, schluckweise,

teilweise,

o -maßen: dermaßen, einigermaßen, folgendermaßen, gewissermaßen,

o -dings: allerdings, neuerdings, schlechterdings,

o -seits: allerseits, andererseits, beiderseits, einerseits, diesseits, meinerseits

o -weg: durchweg, kurzweg, leichtweg, schlechtweg,

o halb(en): deshalb, weshalb, allenthalben, meinethalben

o -halber: beilspielshalber, krankheitshalber

o -lei und -art: allerlei, derlei, dreierlei, mancherlei und art

o -wärts: aufwärts, heimwärts, himmelwärts, landeinwärts, seitwärts, stromabwärts,

o -mal(s) bildet Zeit- und Zahladverbien: einmal, keinmal, manchmal, oftmal, damals,

einstmals, jemals, niemals, nochmals, vielmals.

Das Suffix -s ist ursprünglich die Genitivendung starker maskulinen und neutralen Substantive

oder stark gebeugter Adjektive, die zu Adverbien erstarrt sind: abend (des Abends), tags (des

Tages). Es trat dann auch an feminine Substantive, schwache Adjektiven und Numeralien

analogisch: nachts, übrigens, seitens, meistens.

Die Ableitung mit Präfixen

Auch die Präfixe waren ursprünglich selbständige Wörter. Die meisten waren

Präpositionaladverbien. Diese Präpositionaladverbien gingen Zusammensetzungen und

Ableitungen ein: Unart, Erzbischof. Dieses ist daran zu erkennen, dass sie in den

substantivischen Bildungen die Betonung tragen und somit den Charakter der

Bestimmungswörter bewahrt haben. Sie bildeten darin ursprünglich trennbare, später dann

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Page 38: Vorlesung Wortschatzerweiterung

untrennbare Teile. Einige Präfixe wie, ge- und miß- bilden sowohl Substantive und Adjektive als

auch Verben.

Die Präfixe bilden neue Wörter oder eine Flexionsform des entsprechenden Wortes. In

den meisten Fällen haben sie wortbildende Funktion: z.B. Unwetter, Mißgunst, zerfallen,

vergeben, Fehlbetrag aber: gegangen, gebraucht (ge- = Perfektpartizip). Auch die frei

verwendbaren Partikeln, Präpositionen und Adverbien: ab, an, aus, fest, frei, nach, vor,

vorher, zu, zusammen können präfixartigen Charakter haben und zwar in verbalen

Zusammensetzungen. Diese verbalen Zusammensetzungen heißen Partikelkomposita. Das

Problem der Präfixbildung ist in der Sprachwissenschaft eine umstrittene Frage. Man konnte

sich nicht darauf einigen, ob man die Präfixbildung als Ableitung oder Zusammensetzung

betrachten soll.

Die Nominalpräfixe

Diese Präfixe sind: un-, ur-, erz-, rück-, ge-, miß-.

Das Präfix un- hat verneinende Wirkung, oft hat es auch verschlechternde

Bedeutung. Es bildet Antonyme wenn kein ursprüngliches Antonym zum positiven

Begriff besteht:Es tritt an Substantive, Adjektive und an adjektivierte Partizipien: Mensch

- Unmensch;, Unsinn, Undank, Unehre, Untiefe; unbequem, unwahr; ungekocht,

unbewacht. Manche Partizipien werden nur mit dem Präfix un- adjektiviert: unerhört <

erhören; unbedacht < bedenken. Verschlechterne Bedeutung sind zu finden in: Unart,

Unfall, Unkraut. Verstärkende (augmentative) Bedeutung ist in: Unmenge, Unzahl,

Unsumme, Unwetter, Unkosten, unerhört, unglaublich. Bei Personenbezeichnungen

wird un- oft durch nicht ersetzt: Nichtraucher, Nichtschwimmer; nicht tritt auch zu

Adjektiven: nichtrostend, nichtfärbend. Das Präfix un- ist jedoch nicht das einzige Präfix

mit verneinender Wirkung; auch andere Präfixe erfüllen diese Funktion (oder andere

präfixartige Partikeln). Z. B. das fremde Präfix a-: amusisch, arhythmisch, amoralisch

oder miß- mißgünstig; wider- widerwillig; ab- abgneigt; aber: Aberglaube; anti-

Antifaschist; dis- Disharmonie; in- inhuman; non- Nonsens.

Das Präfix ur- hatte ursprünglich lokale Bedeutung: „aus“, „von - her“. Ur <ger. uz

erscheint schon im Ahd. in Verbindungen mit Nomina als ur-., kommt aber auch als

selbständige Präposition vor. Heute bezeichnet es noch immer den Ausgangs- und

Anfangszustand, das Ursprüngliche, Anfängliche, zeitlich Vorausgehende, also

auch den ersten Vertreter einer Gattung: Urform, Urgeschichte, Urzeit, Ursache,

Urtext, urgermanisch, urverwandt; Urahn, Urenkel, Urgroßvater, Ururgroßvater. Ur- hat

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Page 39: Vorlesung Wortschatzerweiterung

bei Adjektiven verstärkende Funktion: uralt, urgemütlich, urplötzlch, urkräftig,

urkomisch, urwüchsig.

Das Präfix erz- erscheint bereits in ahd. Zeit < gr. archi = der erste/ der oberste. Es kam

über das Kirchenlateinische arci ins Deutsche. Z. B.: Erzengel, Erzbischof. Es hat

verstärkende Wirkung und wurde erst in fnhd. Zeit produktiv; oft tritt es an Wörter mit

tadelnder Bedeutung: Erzdieb, Erzschelm, Erznarr, Erzbube. Es tritt auch an Adjektive:

erzfaul, erzdumm, erzböse, erzklug.

Das Präfix rück- triit seit dem 17. Jh. an Substantive: Rücktritt, Rückweg, Rückfall,

Rückfrage, Rückmarsch, Rückzug, Rücklauf.

Das Präfix ge- ist als selbständiges Wort schon früh untergegangen. Es leitet Verben ab;

es findet sich häufig in Verbindung mit den Suffixen -de, -e, -sel. Die ursprüngliche

Bedeutung war die des Zusammenhangs, der Verbindung, der Gemeinschaft. Diese

Bedeutung finden wir noch in Substantiven wie Gefährte zu Fahrt oder Genosse zu ahd.

nôz (= wertvolle Habe, Nutzvieh; später: der seinen Besitz mit anderen gemeinsam hat);

Gesinde zu ahd. sind = Weg (Weggenossen, Reisegefolge, Kriegsgefolgschaft). Bei

einigen Ableitungen hat sich eine kollektive Bedeutung entwickelt. Kollektiva werden

aber nicht nur von Personenbezeichnungen gebildet, sondern auch von

Tierbezeichnungen und Sachbezeichnungen: Gebein, Gebirge, Gedärm, Gepäck,

Gestrüpp, Geflügel, Getier, Gewürm (dieses sind Neutra). Die ursprüngliche kollektive

Bedeutung kann verlorengehen; in solchen Fällen sind die Ableitungen konkrete

Gegenstandsbezeichnungen: Gehäuse, Gelenk, Geschütz, Gewitter, Gedicht aber

auch Gerät, Gemüse. Andere Ableitungen gehen direkt auf Verben zurück: Geheul,

Gebrüll, Gekicher, Gemetzel, Gewühl. Manche, besonders die jüngeren Bildungen,

haben den Gefühlwert des Lästigen, des Verächtlichen, besonders die Bildungen

auf -el, -er, -e: Gebimmel, Gefasel, Gekicher, Geklimper, Gepfeife, Geplärre, Getue. Die

Zahl der Adjektive mit ge- ist geringer: es gibt Perfektpartizipien, die unmittelbar zu

Substantiven gebildet sind. Diese Perfektparizipien werden nur adjektivisch gebraucht:

gelaunt, gesittet, gewillt, gesinnt, gestiefelt; andere Beispiele sind: getrost, geheim,

gehässig (in Verbindung mit Substantiven), gerecht, gestreng (in Verbindung mit

Adjektiven), gemach (zu machen), gemäß (zu messen - in Verbindung mit Verben). Mit

verlorenem Stammwort sind: gering, geschwind, genug, gesund.

Das Präfix miß- <ahd. missa, missi (= verschieden, ungleich) < mhd. missi (= das

Fehlen), nhd. in missen, mißlich, Missetat hat den Sinn „fehl“, „falsch“. Es bildet

Substantive, Adjektive und Verben. Vor Adjektiven, adjektivisch gebrauchten Partizipien

und Substantiven ist es betont: mißtrauisch, mißgünstig, mißmutig, mißgelaunt,

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Page 40: Vorlesung Wortschatzerweiterung

mißtönend, Mißernte, Mißerfolg, Mißklang, Mißgeschick, Mißgriff. Eine ältere Form ist

Missetat.

Fremde Präfixe sind schon erwähnt worden: erz-, a-, und anti-, dis-, in-, non-. Andere

fremde Präfixe, die in Mischbildungen auftreten sind:

o super (lat. = über): superfein, superklug,

o hyper (gr. = „über“): hyperkritisch, Hyperkultur,

o vize (lat. = „an Stelle von“): Vizepräsident, Vizekönig, Vizefeldwebel, Vizekanzler,

o ex (lat. = „aus“): Exkönig, Exkaiser, Exweltmeister,

o quasi (lat. = „gewissermaßen“, „gleichsam“): Quasivertrag,

o pseudo (gr. = „falsch“): Pseudoname. Pseudokultur,

o anti (gr.-lat. = „gegen“) drückt einen Gegensatz aus: Antichrist, Antifaschist,

Antialkoholiker.

Die Verbalpräfixe

Verbalpräfixe verändern den Verbinhalt, im Sinne, dass sie den Beginn oder die Beendigung

eines Vorgangs ausdrücken, d. h. eine zeitliche Begrenzung des Vorgangs zum Ausdruck

bringen. Verbalpräfixe bezeichnen also perfektive Verben.

erstehen > stehen beschlagen > schlagen

entstehen > stehen erschlagen > schlagen

zerschlagen > schlagen

Durch die Perfektivierung können intransitive Verben transitiv werden: gehen - ein Fest

begehen; steigen - einen Berg besteigen / ersteigen. Die Verbalpräfixe können zusammen mit

Vebalsuffixen an Wortstämme treten; in Verbindung mit solchen Suffixen (Verbalsuffixe

genannt) leiten die Verbalpärfixe aus Substantiven und Adjektiven Verben ab. Es bestehen

dabei jedoch Zweifel, ob es sich um Ableitungen von Substantiven /Adjektiven oder von Verben

handelt. Z. B. bestrafen zu strafen oder Strafe? verspotten zu spotten oder Spott? enthärten zu

härten oder hart? verstärken zu stärken oder stark? Andererseits entstehen aber erst mit Hilfe

von Präfixen aus den Substantiven oder Adjektiven Verben: vergolden, beseelen, entfernen,

verkupfern, vergrößern.

Die Präfixverben können in vier Bedeutungsgruppen eingeteilt werden:

1) Verben des Versehens und Zuwendens: betreuen, versilbern, beaufsichtigen,

vergolden.

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Page 41: Vorlesung Wortschatzerweiterung

2) Verben des Enteignens: entziehen, entrechten, enteignen, entwässern, enttrümmern,

entgiften, entmotten, entkräften.

3) Verben des Verwandelns: vergehen, verblühen, zerfließen, betören, zerfleischen,

zerfetzen.

4) Verben des Bewirkens: versalzen, erniedrigen, befreien, veranlassen, veranstalten,

verursachen, verstaatlichen, verbilligen.

Heute noch wirksame Verbalpräfixe sind: be-, ge-, ent-, er-, ver-, zer-, miß-. Sie dienen zum

Teil auch zur Ableitung von Nomina z. B. ge- und miß-.

Das Präfix be- geht zurück auf got. und ahd. bi (Präposition) = um, herum, rundum.

Diese Grundbedeutung liegt in vielen ahd. und mhd. Verben mit bi- bzw. be- vor: ahd.

bigurten = umgurten, mhd. besliezen = umschließen, umspannen. Aus der erwähnten

Grundbedeutung um, herum, rundum hat sich eine andere Bedeutung entwickelt und

zwar die von „über etwas hin“: bespritzen, bewässern, bestrahlen, befahren, belecken.

Die heute allgemeine Bedeutung ist „mit etwas versehen/ ausstatten“: bewaffnen,

betiteln, benennen, belohnen, beseelen, beflügeln. Das Präfix be- leitet häufig Verben

von Substantiven ab; die Neubildungen stehen auf -igen oder auch nicht:

benachrichtigen, bevollmächtigen, berücksichtigen, begnadigen, beerdigen; oder:

beurlauben, bekunden, beziffern, besteuern, bestreiken. Diese von Verben abgeleiteten

Bildungen heißen Denominative. Das Präfix be- bildet in der Regel transitive Verben:

bekämpfen, bearbeiten, aber auch intransitive Verben: behagen, beharren. Die

Neubildungen können von transitiven Verben abgeleitet sein: begießen, begraben,

beschützen, behüten. Ableitungen von intransitiven Verben: beantworten, bekommen,

belügen, beschimpfen, betrachten. Die von Verben abgeleiteten Bildungen mit be- haben

meist perfektiven Sinn: behauen, beschmieren, beginnen, bewerfen, bescheinen.

Ableitungen mit ge-. Das Präfix ge- bedeutet ursprünglich „mit“, „zusammen“. Diese

Bedeutung zeigt es auch als Nominalpräfix. Die ursprüngliche Bedeutung von „mit“,

„zusammen“ läßt sich noch in dem mhd. gerinnen (eigentlich zusammenrinnen)

erkennen. In ahd. und mhd. Verben ist sie noch öfter festzustellen. Das Präfix ge- hatte

eine perfektivierende Wirkung; es wurde jedoch immer mehr zum Charakteristikum des

2. Partizips und infolgedessen ging die perfektivierende Wirkung verloren. Nach W.

SCHMIDT ist die perfektivierende Wirkung in der nhd. Schriftsprache nur noch beim Verb

gefrieren nachweisbar und in machen Mundarten: alemann: g-stehe(n) = zum Stehen

kommen; g-stelle(n) = zum Stehen bringen. Ableitungen mit ge- sind im Nhd. nicht sehr

häufig: gebieten, gebären, gebühren, gedenken, gehorchen, gehören, geleiten,

geschehen, gestalten, gestatten, gesunden, gewinnen, gewöhnen. Verkürzte Formen

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Page 42: Vorlesung Wortschatzerweiterung

sind: glücken < mhd. g(e)lücken; glauben < mhd. Gelouben; gleichen < mhd. ge-lîch;

gönnen < mhd. gi-unnan.

Das Präfix ent- hatte ursprünglich die Bedeutung „entgegen“. Zu vergleichen: Antwort =

Gegenwort; Antlitz = eigentlich Entgegenblickendes. Heute drücken die Ableitungen mit

ent- aus: eine Trennung: enterben, entfliehen, entführen, enhaupten, entkräften,

entlaufen; einen aufhebenden Gegensatz: entfesseln, entkleiden, entmilitarisieren,

entwickeln. Das Präfix ent- leitet Verben von Substantiven und Adjektiven ab: entamten,

entgleisen, entpuppen, enthronen; entmutigen, entledigen, entmündigen. Bei Adjektiven

mit negativem Sinn wirkt das Präfix verstärkend: entleeren, entfremden, entblößen.

Das Präfix er- hatte ursprünglich eine lokale Bedeutung. Diese lokale Bedeutung finden

wir noch in Verben wie: ergießen, erheben, erbrechen, (erschrecken, erschüttern). Die

lokale Bedeutung ging allmählich in eine inchoative Bedeutung über (inchoative

Verben drücken den Beginn eines Geschehens oder den Eintritt in einen anderen

Zustand aus): erblassen, erblinden, erblühen, erkranken, ermatten, erschrecken. Auch

transitive Bildungen sind möglich: erheitern, ermöglichen, erschrecken, erwärmen. Das

Präfix er- bildet auch resultatvie Verben (resultative Verben drücken das Ende eines

Geschehens aus oder die Erreichung eines angestrebten Ziels). resultative Verben sind:

transitiv: erhören, erleben, erlegen, erlösen, erschaffen, erschlagen, ertränken,

erwerben, erzeugen, erzielen. Intransitive Verben sind: erfrieren, erliegen, erlöschen,

ertrinken. Das Präfix er- leitet Verben auch von Adjektiven und Präpositionen ab: Von

Adjektiven: erbleichen, errröten, erblinden, erkalten, ergrauen, erhellen, ergänzen. Von

Präpositionen: erwidern, ertrotzen. Von Substantiven: sich ermannen.

Das Präfix ver- <mhd. ver- <ahd. far-/ fir-. Das nhd. ver- setzt aber nicht das mhd. ver-

direkt fort, sondern es ist die obd. Form, der LUTHER gegen das mhd. ver-/vir- zum

Durchbruch verholfen hat. Das Präfix ver- ist durch den Zusammenfall mehrerer

Partikeln entstanden, deren verschiedene Bedeutung in den nhd. Bildungen mit ver-

verzeichnet ist. Die ursprüngliche Bedeutung ist: „vorbei“, „weg“, „heraus“. Heute

bezeichnen die Bildungen mit ver-:

a.) die Veränderung eines Zustandes: verarmen, verbauen,

verkleinern, verhüllen, verfärben, verwässern,

b.) den Abschluß einer Handlung oder Zustands: verblühen,

verbluten, verbrennen, versinken, verzehren,

c.) die Trennung oder Entfernung: verdrängen, verjagen, verkaufen,

versetzen, verstoßen, vertreiben, verwerfen,

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Page 43: Vorlesung Wortschatzerweiterung

d.) die Verbindung oder Vermischung: verbinden, verbrüdern,

vereinigen, vermischen,

e.) eine Fehlhandlung: verbiegen, verdrehen, verführen, vergießen,

verleiten, sich verlaufen, sich versprechen (verschreiben),

f.) das Ergebnis einer Handlung: verfilmen, vergolden,

verstaatlichen, vertönen, verzieren,

g.) dient der Verstärkung: verändern, verbeugen, verdanken,

verwalten.

Das Präfix ver- leitet Verben aus Adjektiven ab. Die Bildungen aus Adjektiven haben

faktitiven Sinn. Faktitive Verben sind: versüßen, verdeutlichen, veröffentlichen,

verfremden. Oft haben diese faktitiven Verben den Komparativ des Adjektivs als

Ausgangspunkt: verschönern, verbessern, verschlimmern, verlängern, verbittern.

Das Präfix zer- hat die Bedeutung „auseinander“, „in Teile“ <mhd. ze(r) < ahd. za(r),

zi(r), zur. Es drückt somit eine Sonderung, Trennung, Zerstörung aus: zerschneiden,

zerstückeln, zerfließen, zerbrechen, zermalmen. Es bildet Präfixbildung zu transitiven

und intransitiven Verben: zerlegen, zerschlagen, zerfallen, zerreiben, Präfixbildungen zu

Substantiven: zerbomben, zerkörnern, zerlöchern. Manche Präfixbildungen auf zer-

werden nur als Partizipien gebraucht: zerlumpt, zerklüftet, zerfurcht.

Das Präfix miß- bildet Verben mit der Bedeutung des Schlechten, Falschen, Niedrigen:

mißachten, mißbilligen, mißbrauchen, mißdeuten, mißfallen, mißglücken, mißgönnen,

mißhandeln, missraten.

Fremde Vebalpräfixe sind: ad- adjustieren; de- demoralisieren, denazifizieren, des-

desorganisieren, dis- disponieren, e- emanzipieren, ex- exponieren, in- inhaftieren,

inter- intervenieren, kon- kondolieren, per- perkutieren, prä- prädominieren, pro-

produzieren, re- revozieren, sub- subästimieren, trans- transportieren.

Die Zusammensetzung (Komposition)

Die Komposition ist eine Wortbildungsart, bei der durch die Verbindung von zwei oder mehreren

Stämmen (Grundmorphemen) ein neues Wort entsteht. Komposita sind in der Regel binär

strukturiert, d.h. ihre unmittelbaren Konstituenten sind zweigliedrig angeordnet. Das

Kompositum stellt aus der Wortgruppe eine eigenständige Größe dar, die formal und auch

semantisch nicht mehr mit der freien Wortgruppe identisch ist.

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Page 44: Vorlesung Wortschatzerweiterung

In der Wortbildungslehre werden zwei Möglichkeiten der Klassifikation unterschieden:

nach dem semantischen Verhältnis der unmittelbaren Konstituenten von Komposita

(semantisch-syntaktische Klassifikation); nach den formalen Verfahren der Zusammensetzung

und den Kombinationsmöglichkeiten der Wortarten (morphologisch).

Die Zusammensetzung ist der gebräuchlichste Wortbildungstyp des Deutschen.

Sprachgeschichtlich ist die Zusammensetzung aus der syntaktischen Verbindung zweier oder

mehrerer Wörter entstanden: des Tages Licht – Tageslicht, Segens reich – segensreich, wohl

gesinnt – wohlgesinnt, Gewähr leisten – gewährleisten.

Die Zusammensetzung besteht aus mindestens zwei lexikalischen Morphemen; ein oder

mehrere Wortbildungsmorpheme und/oder Flexionsmorpheme können hinzutreten. Beispiele für

solche Zusammensetzungen (= Komposita) sind: Handtasche, Straßenbahnhaltestelle,

stockfinster oder hochstapeln.

Neben den Komposita gibt es als besonderen Fall der Zusammensetzung die

Zusammenrückung, das ist eine Ad-hoc-Zusammensetzung, z.B.: das Über-den-Dingen-

Stehen.

Nach dem logischen Verhältnis der Glieder in der Zusammensetzung unterscheidet man:

die determinativen (bestimmenden) Zusammensetzungen. Sie treten mit wenigen

Ausnahmen nur bei zusammengesetzten Substantiven und Adjektiven auf und

machen die Mehrzahl aller Zusammensetzungen aus.

die possessiven (besitzanzeigenden) Zusammensetzungen

die kopulativen (verbindenden) Zusammensetzungen

die verdunkelten Zusammensetzungen

Die determinativen Zusammensetzungen

Sie machen die Mehrzahl der Zusammensetzungen bei Substantiven und Adjektiven aus. Sie

bestehen aus einem Vorderglied, dem untergeordneten Bestimmungswort und aus einem 2.

Glied, das nachstehende oder übergeordnete Grundwort. Das Bestimmungswort trägt den

Haupton: Lándstraße, Frühlingsboten, Sómmernachtstraum, erfólgreich. Das Grundwort

kann sein: ein Substantiv, Adjektiv oder Partizip. Nach ihm richten sich: die Wortart, das

Geschlecht und die Zahl der Zusammensetzung. Das Grundwort ist im Vergleich zum

Gesamtbegriff immer der weitere Begriff. Diesen weiteren Begriff engt das Bestimmungswort

ein. Bestimmungswörter können sein:

Substantiv Stadtmauer

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Page 45: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Adjektiv (Partizipien) Neuland, Neustadt

Numeralien Dreiklang

Pronomen Selbstsucht, Ichbezogenheit

Verben Schlepptau, Schleppdampfer, Schlingpflanze

Partikeln (Adverbien, Präpositionen) nimmermüde, Immergrün, Widerstand,

Nachsommer, Nachwelt

Das Bestimmungswort entspricht in den meisten Fällen einem Attribut, zuweilen auch einem

Objekt oder einem anderen Satzglied. Wenn das Bestimmungswort einem Attribut oder einer

Modalbestimmung entspricht, so kann es in Bezug auf das im Grundwort genannte Wesen,

Ding oder Merkmal folgendes ausdrücken:

eine Charakterisierung: Edelmut - der edle Mut

ein Besitzverhältnis: Vaterhaus - Haus des Vaters

den Stoff oder Bestandteil: Belirohr - Rohr aus Blei, Dornbusch - Busch mit

Dornen

die Lage oder Richtung: Seebad - Bad an der See, Weltraumflug - Flug im

Weltraum

die Zeit: Sommerabend - Abend im Sommer

den Grund: Freudentränen - Tränen aus Freude

den Zweck: Augenschild - Schild für die Augen

das Mittel: mundgemalt - mit dem Mund gemalt

den Vergleich: bleischwer - schwer wie das Blei, federleicht - leicht wie eine

Feder, schneeweiß, grasgrün, blutrot

den Vergleich: Hundekälte, bitterböse

Entspricht das Bestimmungswort einem Objekt oder einem anderen Satzglied, was nur bei

Adjektiven und Partizipien der Fall ist, so werden die Beschaffenheit, die Qualität, die

Umstandsangabe oder der Zweck ausgedrückt. Z.B.: ruhmvoll - des Ruhmes voll, siegreich -

an Siegen reich, kriegsgefangen- im Kriege gefangen, tragfähig - fähig zu tragen, göttergleich

- den Göttern gleich.

Die possessiven Zusammensetzungen

Sie zeigen ursprünglich den Besitzer eines Dings, das hervorstehende Merkmale aufweist

und das Wesen dieses Besitzers kennzeichnet. Sie bezeichnen als Namen einer Sache

eigentlich deren Besitzer. Z. B. mit Dickopf bezeichnet man den störrischen Besitzer eines

solchen Kopfes, mit Langbein bezeichnet man einen Menschen der lange Beine hat, mit

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Page 46: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Stelzfuß jemanden der einen Stelzfuß (Holzbein) hat, mit Grünschnabel bezeichnet man

einen unerfahrenen Menschen. Andere Besipiele: Plattfuß, Hasenfuß, Dreifuß. Mit Bezug auf

die Bedeutung wäre wohl genauer zu scheiden in Possessivkomposita im engen Sinne

wie z.B. Langbein, Lockenkopf - ihre Bedeutung ist, dass das bezeichnete Wesen die

genannte Sache hat; Metaphern - sie drücken aus, dass das bezeichnete Wesen der

genannten Sache gleicht: Spatzenhirn, Schafskopf (eigentlich = Personifikationen). Der

Bedeutungsunterschied der verschiedenen Fälle ergibt sich vielleicht am besten aus

folgenden Definitionen: Dickkopf = Mensch mit dickem Kopf, Lockenkopf = Mensch mit Kopf

mit Locken, Flachskopf = Mensch mit Kopf mit Haaren wie Flachs, Schafskopf = Mensch mit

Kopf wie der Kopf eines Schafs. Der Ursprung solcher Zusammensetzungen geht auf die

sogenannten Spitz- oder Übernamen zurück. Hierher gehören auch Namen von Tieren,

Pflanzen, Sachen wie: Rotkehlchen, Löwenzahn, Dreifuß. Dieses sind substantivische

Komposita. Adjektivische Komposita sind: barfuß = mit bloßen Füßen; barhaupt = mit bloßem

Haupt. Die adjektivischen Komposita bezeichnen eigentlich Eigenschaften eines Wesens

oder Dings. Possessivbildungen sind auch die sogenannten Satznamen. Die Satznamen

halten eine charakteristische Eigenschaft des Trägers in der Form eines ihm

zugeschreibenen Ausspruchs fest. Sie dienen als Personenbezeichnungen, Tier-und

Pflanzennamen. Z. B. Taugenichts, Wendehals, Wagehals, Störefried, Fürchtegott,

Schlagetot, Vergißmeinnicht, Rührmichnichtan, Kehraus, Reißaus, Springinsfeld, Hupfinstroh

(Floh).

Die kopulativen Zusammensetzungen

Man spricht von kopulativen Zusammensetzungen, wenn beide Glieder der

Zusammensetzung einander gleichgeordnet sind. Man unterscheidet: eigentliche und

uneigentliche Zusammensetzungen. Die kopulativen, eigentlichen Zusammensetzungen

heißen auch noch Additionswörter. Eigentliche Additionswörter als Substantive sind selten. Z.

B. Strichpunkt = weder ein Strich, noch ein Punkt, sondern beides zugleich als Summe der

Teile. Hierher gehören auch die zusammengerückten Namen vereinigter Länder und Städte:

Schleswig-Holstein; Hamburg-Altona; Sachsen-Anhalt; Österreich-Ungarn. Häufiger sind

addierte Adjektive als eigentliche Zusammensetzungen. Zwei aufeinander bezogene

Wortstämme sind aus Nebeneinanderstellung zur Worteinheit verschmolzen. Die

ursprüngliche Bildungsweise hat sich auch in den Additionszahlwörter dreizehn bis neunzehn

erhalten. Andere solche Adjektive sind: taubstumm, naßkalt, bittersüß, schwarzweiß,

dummdreist, tollkühn, lateinisch-deutsch, helldunkel. Mehrgliedrige Reihenwörter sind:

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Page 47: Vorlesung Wortschatzerweiterung

schwarz-rot-golden; gesteigerte Adjektive: kohl-pech-rabenschwarz; Klammerformen:

schwest- und brüderlich. Isoliert steht das ältere Adjektive: jammerschade.

Die uneigentlichen Zusammensetzungen stellen nicht die Summe verschiedener Teile

oder Merkmale dar, sondern die uneigentlichen Zusammensetzungen bezeichnen zwei

Seiten derselben Person oder desselben Dinges. Z.B. Hosenrock als Ganzes = sowohl Hose

als auch Rock; Mähdrescher, Tauchsieder. Andere Besipiele: Dichterkomponist, Zwergriese

(bei Shakespeare), Königinmutter, Königinwitwe, Prinzregent, Prinzgemahl und das alte

verdunkelte Werwolf ( = Mann und Wolf). Häufig sind Zusammensetzungen, deren zweites

Glied die allgemeine weitere Begriffskategorie des ersten angibt, wie in den Beispielen:

Hirschkuh, Mutterschwein, Schafbock, Eichbaum, Kieselstein. Diese Zusammensetzungen

stehen den verdeutlichenden Zusammensetzungen nahe. In den verdeutlichenden

Zusammensetzungen wird ein ungeläufig gewordenes Wort durch Verbindung mit einem

bekannten vedeutlicht: Maultier, Maulesel = für Maul (so noch im 18. Jh. und mundartlich <

lat. mulus). Ähnlich Murmeltier, Elentier (Hirschkalb), Lindwurm, Damhirsch, Walfisch neben

Wal, Auerochse, Turteltaube, Weichselkirsche, Mohrrübe, Farnkraut, Buchsbaum,

Quaderstein, Bimsstein, Teddybär, Guerillakrieg. Auch Schwiegermutter und

Samstag<samedi wären hierher zu stellen. Diese Bildungen stehen aber auch den

tautologischen Zusammensetzungen nahen, in denen zwei Synonyme vereint erscheinen:

Schalknarr, Streifzug, Zeitalter.

Die verdunkelten Zusammensetzungen

Eine Zusammensetzung kann ihre etymologische Durchsichtigkeit namentlich aus zwei

Gründen einbüßen: das eine Glied - in der Regel das zweite - verkümmert infolge

akzentueller Unterordnung unter das andere. Die Unbetontheit führt zur Verstümmelung

eines Gliedes. Z. B. mhd. nâchgebûr = der nahe Wohnende = Nachbar; Jungfer < mhd. junc

-vrouwe = junge Herrin, Edelfräulein; Drittel < mhd. drit-teil = der dritte Teil; Kiefer < ahd.

kien-forha, dazu mhd. kienforhîn = Kienföhre. Es gibt auch Fälle, wo das eine Glied

untergegangen oder verändert ist, während die Zusammensetzung es erhalten hat. Z. B. das

erste Glied = untergegangen: Brombeere < mhd. brâm-ber < ahd. brâm-beri, die alte

Bezeichnung brâme, brâmo = Dornstrauch; Dienstag < mhd. zies-tac <ahd. zîos-tag - den

Namen des germanischen Kriegsgottes Ziu; Freitag <mhd. vrî-tac <ahd. frîa, frîje-tag - den

Namen der germanischen Göttign Freia; Maulwurf < mhd. mûl-wurf <ags. mûga, mûwa =

Hügel, Haufen, Erde; ahd. moltwerfer = Erdaufwerfer; Meineid < mhd. mein-eit <ahd. mein-

eid; ahd. mein = falsch; Wahnsinn, Wahnwitz < mhd. wan-witzec < ahd. wana wizzi =

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Page 48: Vorlesung Wortschatzerweiterung

unverständig, leer an Verstand. Das zweite Glied ist verdunkelt: Beispiel < mhd.; ahd. bî-spel

= lehrhafte Erzählung, Gleichnis, Sprichwort, altes spel = Bericht, Rede, Botschaft, Sage,

Fabel; Bräutigam < mhd. briute-gome <ahd. brûti-gomo; ahd. gomo = Mann; vgl. lat. homo =

Mensch; kostspielig < mhd. spildec = verschwenderisch; Nachtigall < mhd. nachte-gal(e) <

ahd. nahta-gala < asä. nahti-gala; altes gala = Sängerin. Beide Glieder sind verdunkelt:

Amboß < ahd. ana- bôz = Aufhau zu bôzzan = schlagen; Wiedehopf < ahd. witu-hopfo =

Waldhüpfer; ahd. witu = Holz.

Die Struktur zusammengesetzter Wörter

Man unterscheidet:

Zusammensetzung mit einem Substantiv oder Adjektiv als Grundwort

Zusammensetzung mit einem Verb als Grundwort

Zusammensetzung mit einer Partikel als Grundwort

Die Zusammensetzung mit einem Substantiv oder Adjektiv als Grundwort heißen auch noch

nominale Zusammensetzungen. Hier unterscheidet man zwei- und mehrgliedrige

Zusammensetzungen. Die Bestimmungswörter dieser Zusammensetzugen können sein:

Substantive, Adjektive, Numeralien oder Pronomina, Verben, Partikeln.

Zusammensetzungen mit einem Substantiv als Bestimmungswort

Diese Zusammensetzungen stellen unter den nominalen Zusammensetzungen die

geläufigste und umfangreichste Gruppe dar. Die Verbindung zwischen Bestimmungswort und

Grundwort ist entweder unmittelbar oder durch ein Fugenzeichen realisiert. Unmittelbare

Verbindungen haben wir z. B. bei: Grundstück, Dienstfahrt, Autofahrer, Parkanlage. Diese

bilden die Gruppe der eigentlichen Zusammensetzungen. Bei femininen Substantiven fällt oft

das -e aus. Z. B. Rachsucht, oder hilfreich, taufrisch. Hier ist das Grundwort ein Adjektiv und

das Bestimmungswort ein Substantiv.

Verbindungen durch ein Fugenzeichen oder einen Fugenlaut haben wir in den

Beispielen: Pferdeknecht, Vereinspräsident, Lindenblatt, aber Bretterzaun, Meereswasser.

Das Fugenzeichen ist in den meisten Fällen eine Flexionsendung, die eng in die

Zusammensetzung eingegangen ist: Meeresgrund - Grund des Meeres; Hirtenstab - Stab

des Hirten; Bärenfell - Fell des Bären. In manchen Fällen sind die Fugenzeichen erstarrte

Flexionsendungen: Sonnenlicht - Licht der Sonnen = alter Genitiv. Die Fugenzeichen sind

also in den meisten Fällen Flexionsendungen vorausgegangener syntaktischer Fügungen. In

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Page 49: Vorlesung Wortschatzerweiterung

vielen Fällen sind sie Analogiebildungen zu bereits bestehenden Mustern: Hühnerei - Ei

eines Huhnes; Freundeskreis - Kreis der Freunde; Liebesdienst - Dienst aus Liebe;

Königstiger - Tiger wie ein König.

Die einzelnen Fugensilben sind:

das Fugen -e ist mit der Pluralendung -e zusammengefallen: Hundehütte,

Gänsefeder;

die Fugensilbe -en. Diese entspricht der Genitivendung der schwachen

maskulinen Substantive: des Bären, des Boten; oder der Genitivendung der

früheren schwachen Feminina: der Sonnen. Sie wird meist als Pluralendung

verstanden: Rosenblatt, Botenlohn, rabenschwarz. Eine alte Genitivform haben

wir in den Zusammensetzungen: Straußenei (Ei des Straußes), Schwanenhals

(Hals des Schwans);

die Fugensilbe -er ist schon in ahd. Zeit aus einem Stammauslaut zu einer

reinen Pluralendung geworden: Lämmerwölkchen, Kindergarten, kinderlieb;

das Fugen -s oder -es (das Binde-s) entspricht bei starken maskulinen und

neutralen Bestimmmungswörtern dem Genitiv Singular: Bahnhofshalle,

Meeresstrand. Von hier ging das Fugen-s auf weibliche Abstrakta über und auf

solche Bestimmungswörter, die eigentlich im Plural stehen müßten:

Liebesdienst, Armutszeugnis, Zwillingspaar; das Fugen-s kennzeichnet die

Zusammensetzungsfrage besonders deutlich und erleichtert zwischen zwei

Konsonanten das Sprechen. Deshalb ist es sehr verbreitet: Geburtstag,

Fabrikshof, Zwangsverkauf. Das Fugen-s steht in Zusammensetzungen mit

abgeleiteten Bestimmungswörtern auf: -tum – Altertumskunde; -ing –

Heringssalat; -ling - Frühlingssturm; -heits – Schönheitswettbewerb; -schaft –

Freundschaftsbesuch; -keit – Heiterkeitserfolg; -ung – hoffnungsvoll; -ut –

Armutszeugnis. Das Fugen-s steht bei Bestimmungswörtern auf -ion und -tät

und beim Infinitv: Sensationserfolg, Universitätsgelände, Essenszeit,

Schlafenszeit, lobenswert. Das Fugen-s fehlt aber in Zusammensetzungen mit

einsilbigen weiblichen Bestimmungswörtern oder zweisilbigen weiblichen

Bestimmungswörtern auf -e: Nachtdienst, Handarbeit, Bahnhof, Wandverputz,

Wärmeleiter, Klagelied, Lagebericht, schwerelos, säurefest, Minnesang. Das

Fugen-s fehlt auch bei Bestimmungswörtern auf -er und -el: Bäckerhandwerk,

Wendeltreppe, spindeldürr. Bei deutlicher Vorstellung eines Genitiv ist das

Fugen-s auch hier schon eingedrungen: z. B. Wandersmann, Müllerstochter.

Kein Fugen-s steht noch bei femininen fremden Bestimmungswörtern auf -ur

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Page 50: Vorlesung Wortschatzerweiterung

und -ik: Kulturhaus, Kulturgruppe, Naturempfinden, Fabriktor. kritiklustig. Kein

Fugen-s steht vor allem bei Bestimmungswörtern auf sch, tz, s, ß: Fleischbrühe,

Blitzableiter, Preistafel, Flußbett. Aber: Fleischeslust, Blitzesschnelle. Im

Gebrauch des Fugen-s treten oft Schwankungen auf: Mietzins – Mietskaserne;

Bahnhofstraße – Bahnhofsplatz. In Österreich ist das Fugen-s in stärkerem

Maße üblich: Fabriksarbeiter, Zugsverkehr.

In der Neuzeit ist im allgmeinen eine wachsende Neigung zu Zusammensetzungen mit

Fugenzeichen zu registrieren. Z.B. bie Goethe und Wieland hieß es noch: Befehlhaber. Auch

heute stehen nebeneinander: Waldrand –Waldesrand; Eichwald – Eichenwald; Kirschbaum –

Kirschenbaum. Die Gegenwartssprache zielt dahin, mit Hilfe der Fugenzeichen die

Vorstellung einer syntaktischen Beziehung zwischen den Gliedern der Zusammensetzung

anzudeuten; so entstandene Neubildungen wären: Motorenlärm, Gästebuch, Bücherstube,

Ärztetagung, Ärztekongress. Diese Tendenz zur Verdeutlichung einer syntaktischen

Beziehung führt dazu, dass die gleichen Gliedwörter Zusammensetzungen mit und ohne

Fugenzeichen oder mit verschiedenen Fugenzeichen bilden. Diese Zusammensetzungen

unterscheiden sich nach landschaftlichem Gebrauch oder auch nach der Bedeutung.

Süddeutsch heißt es: Schweinsbraten, Rindsbraten, Visitkarte. Nordeutsch hingegen:

Schweinebraten, Rinderbraten, Visitenkarte. Beispiele für Unterschiede in der Bedeutung:

Landmann (Bauer) - Landsmann (Heimatgenosse); Wassernot (Mangel an Wasser) -

Wassersnot (Überschwemmung) oder Meßband und Meßtechnik (zu messen) stehen neben

Messehalle und Messeleitung (zu Messe) und Meßopfer oder Meßgewand (zu Messe als

Kirchenwort). Es können aber auch verschiedene Formen ohne Bedeutungsunterschied

nebeneinanader stehen: Schokoladefabrik – Schokoladenfabrik; Toiletteartikel –

Toilettenartikel. Es kommen auch drei oder mehrere verschiedene Formen nebeneinander

vor: Aschbecher - Aschenbecher –Aschegehalt; schblond - Aschenbahn –

Aschefangscheibe; aschfahl - aschenfarbig – Aschermittwoch. In manchen

Zusammensetzungen bilden Partizipien die Grundwörter. Diese Partizipien sind mit ihren

Ergänzungen oder Umstandsangaben so fest zusammengewachsen, dass das

Fugenzeichen seltener auftritt: friedliebend, postlagernd, stadtbezogen, inhaltbezogen,

achtunggebietend. Einige solcher Bildungen sind zu festen Substantiven geworden: der

Gewerbetreibende, der Kriegsgefangene.

Zusammensetzungen mit einem Adjektiv als Bestimmungswort

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Page 51: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Sie sind meistens aus einem attributiven oder modalen Verhältnis entstanden: der Edelmut <

der edle Mut; die Hochzeit < die hohe Zeit; die Oberfläche < die obere Fläche; eisigkalt <

eisig kalt. Flexionsendungen sind in der Zusammensetzung nicht eigegangen. Sie können

aber in Orts-und Personennamen erhalten bleiben: Stolzenburg < in (zu) der stolzen Burg;

Breitenfeld < auf dem breiten Feld. Solche Orts- und Personenamen sind als syntaktische

Fügungen nur zusammengerückt. Besonders häufig sind Zusammensetzungen mit allgemein

charakterisierenden Adjektiven und mit Ortsadjektiven: z. B. Oberhaus-stadt-kellner diese

bilden oft Wortreihen oberdeutsch; Unterarm -tasse-wäsche-stadt-unterirdisch oder Alteisen -

Altstadt, altfränkisch. Bei Zusammensetzungen gebildet aus 2 Adjektiven oder aus Adjektiv

und Partizip ist zu unterscheiden, ob eine Zusammensetzung oder eine syntaksiche Fügung

vorliegt. Z. B. spätgotisch, bitterkalt, kleinlaut, stillschweigend, blondgelockt =

Zusammensetzungen; eisigkalt, hartgekocht, weichgekocht, hellstrahlend = syntaktische

Fügungen

Zusammensetzungen mit einem Numerale oder Pronomen als Bestimmungswort

Diese Zusammensetzungen sind selten. Z.B. Zweigespann, Dreiklang, Tausendfuß,

Erstgeburt, Mittbester, Halbinsel, halbrund; hier ist das Bestimmungswort ein Numerale. In

Selbstsucht, jedermann, Nichtsnutz, selbstsicher, selbstredend ist das Bestimmungswort ein

Pronomen.

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Page 52: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Zusammensetzungen mit einem Verb als Bestimmungswort

Den Ausgangspunkt dieser Zusammensetzungen bilden Wörter mit einem Substantiv an

erster Stelle, das auch als Verbalstamm aufgefaßt werden konnte: Schlafkammer = eigentlich

ein altes Substantivkompositum, dennoch wird der erste Teil als Verbum aufgefaßt. In dieser

Lage sind auch: Werktag, Baustein, Ruhebett, reisefertig. Diese Entwicklung hat im

Althochdeutschen ihren Anfang genommen. Im Neuchochdeutschen ist die Zahl dieser

Zusammensetzungen ganz bedeutend angewachsen: Anzeigepflicht, Ausgehverbot,

Bindfaden, Fahrschein, Füllfeder, Gefrierpunkt, Leithammel, Löschblatt, Mischklasse,

Nähmaschine, Riechfläschen, Rennplatz, Saufbruder, Schmierseife, Sparkasse, Steppdecke.

In diesen Zusammensetzungen erscheint das Verb als endungsloser Verbalstamm oder mit

dem Fugenlaut -e. Fälle wie: Schlafengehen, Hörensagen, Lebenszeit - gehören nicht

hierher, weil sie nicht dem Werdegang der anderen Komposita entsprechen; z. B.

endungslosen Verbalstamm - Kampfgeist, oder der Fugenvokal -e: Schweigepflicht. Der

Fugenvokal -e steht mit Vorliebe nach einem b, d, g, s, im Verbalstamm (aber nicht

regelmäßig). Z. B. Blasebalg, Lebemann, Lesebuch, Lösegeld, Säugetier, Sterbezimmer,

Werdegang, Werkoffizier, Zeigefinger. Der Fugenvokal -e fehlt aber eher hinter dem l, m, n, r,

t als Stammauslaut: Kläranlage, Malkasten, Reithose, Schermesser, Tretmühle, Wohnhaus,

aber auch Haltestelle, Schlagzeug, Schreibtisch, Wärmeflasche, Webstuhl. (-e nach t; kein -e

nach b, g). Über das Bedeutungsverhältnis der beiden Glieder wäre verallgemeinernd zu

sagen, dass:

a.) der Verbalstamm im großen und ganzen auf einen Zweck hinweist: Schreibfeder

= Feder zum Schreiben; Brennholz, Gießkanne, Sparkassem Strikcnadel,

Trinkwasser, Webstuhl, Zündholz.

b.) seltener steht der Verbalstamm zum Substantiv im Verhältnis eines

ursprünglichen Prädikats: Stechpalme = Palme, die sticht; Säugetier,

Springbrunnen, Zeigefinger, Werbeoffizier - das ursprüngliche Prädikat ist später zum

Attribut geworden. Zusammensetzungen von Verb + Adjektiv sind selten. Beispiele:

treffsicher, denkfaul, merkwürdig, trinkfest . In diesen Zusammensetzungen fehlt der

Fugenlaut -e.

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Page 53: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Zusammensetzungen mit einer Partikel als Bestimmungswort

Ihre Zahl ist heute im Anwachsen. Bestimmungswörter sind: Raumadverbien, Präpositionen.

Man unterscheidet zwei Gruppen:

a.) das Bestimmungswort entspricht einem Adverb im attributiven Gebrauch:

Gegenmittel = das Mittel dagegen; Vorabend = der Abend davor; Rückweg = der Weg

zurück.

b.) das Bestimmungswort entspricht der Präposition eines Präpositionalgefüges: die

Nachlese = die Lese nache der Lese; Vorstadt = die Stadt vor der Stadt; überschlau =

schlau über alle Maßen. Die Partikel „zurück“ wird in Zusammensetzungen durch

„rück“ ersetzt: Rückweg, Rückzug, Rückfracht. Die Partikel „in“ als Ortsangabe wird in

Zusammensetzungen durch „ein“ ersetzt: Eingeweide - mhd. Ingeweide; einheimisch.

In Einwohner steht „ein“ für inne: mhd. innewohner. In anderen Fällen bleibt „in“

erhalten: Inhalt - mhd. Innehalt; inwendig - mhd. Innewendie. Die präpositionalen

Adverbien hinter, unter, nieder berühren sich mit den gleichlautenden Adjektiven.

Alle Bildungen, die keine Beziehung auf ein Verb erlauben, gehen hier auf die

Adjektive zurück: Hintermann, Hinterland, Unterleib, Unterhaus, Niederlagen. Andere

flexionslose Bestimmungswörter erscheinen in: Fürbitte, Fürsorge, Fürsprache,

Immergrün, Jawort, Nichterschienen, nimmermüde, wohlklingend.

Drei- oder mehrgliedrige Zusammensetzungen

Zweigliedrige Zusammensetzungen können ihrerseist den Ausgangspunkt für neue

Zusammensetzungen bilden. In diesen neuen Zusammensetzungen sind sie entweder

Grund-oder Bestimmungswörter. Sie erwecken den Eindruck der Mehrgliedrigkeit. Z.B.

Armband-uhr, Haupt-bahnhof, Straßenbahn-haltestelle. Diese sind eigentlich zweigliedrige

Zusammensetzungen. Solche Bildungen haben in der Umgangssprache wenig Verbreitung

gefunden, dafür sind sie in der Amtssprache und in der Sprache der Technik sehr verbreitet.

Die Umgangssprache hat dafür entsprechende Kurzwörter gebildet: PKW =

Personenkraftwagen; LKW = Lastkraftwagen; Flak = Flugabwehrkanone; Füller =

Füllfederhalter. Wirkliche Mehrgliedrigkeit ist in verstärkenden Wörtern wie:

mutterseelenallein, kohlpechrabenschwarz, in poetischen Ausdrücken wie:

dämmernachtverstohlen, in Zusammensetzungen wie: Dreizimmerwohnung, Unterseeboot,

Sauregurkenzeit. Das Fugen-s kann in mehrgliedrigen Zusammensetzungen stehen oder

fehlen: Eingangstor, Bahnhofshalle, Fußballmeisterschaft, Ellbogenknochen.

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Page 54: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Dreigliedrige Zusammensetzungen mit Zahlen über eins im ersten Glied können auf

drei Arten gebildet werden:

1.) durch unmittelbare Zusammensetzung - Viertaktmotor

2.) das zweite Glied steht im Plural - Vierfarbendruck

3.) das zweite Glied trät ein Fugenzeichen - Zehnjahresfeier

Zusammensetzungen mit einem Verb als Grundwort

Man unterscheidet feste und unfeste Zusammensetzungen (auch unlösbare oder

unumkehrbare Zusammensetzungen). Die Adverbpartikeln durch, hinter, um, unter, über,

wi(e)der und das Adjektiv voll bilden sowohl feste als auch unfeste Zusammensetzungen mit

Verben: durchbrechen, durchgehen, hinterbringen, hintergehen, umgehen, umstellen,

unterschreiben, übersetzen, übersiedeln, widersprechen, widerstreben. Die unfesten

Zusammensetzungen bewahren gewöhnlich die Konstruktion des einfachen Verbs:

úmgehen - es geht um; mítgehen - ich gehe mit. Als allgemeingültig erweist sich nur die

verschiedene Betonung. Die festen Zusammensetzungen haben den Akzent auf das

Verbum, die unfesten Zusammensetzungen auf den Verbzusatz (die Partikel) (aber: die

Partikel „hinter“ ist nur mit Vorbehalt hierher zu stellen: z. B. hinterbringen, hintergehen,

hinterlegen, hinterziehen sind unfeste Zusammensetzungen, kommen aber praktisch so gut

wie nicht vor). Ursprünglich stellten wider und wieder dasselbe Wort dar. Ihre

Bedeutungsspaltung erfolgte aber schon im Ahd. und wurde dann durch die Schreibweise

fixiert. Im Großen gilt die Regel, dass Zusammensetzungen mit „wider“ als fest zu behandeln

seien und Zusammensetzungen mit „wieder“ als unfest. Diese Regel stimmt aber nicht

durchweg, denn von beiden erscheinen beiderlei Bildungen: wiéderholen gegen wiederhólen;

wié+derfinden; wiédersehen.

Unfeste Zusammensetzungen

Trennbar bleiben alle anderen Partikeln: ab, an, auf, aus, bei, dar, ein, her, hin, mit, vor, zu;

heran-ab, -auf usw. Diese Adverbien behalten bei der Verbindung mit einem Verb

größtenteils ihre Eigenbedeutung, ihre semantische Selbständigkeit. Sie behalten nicht nur

die semantische Selbständigkeit, sondern auch die Stellung der freien Verbalbestimmung. Z.

B. ich schreibe bald - ich gedenke bald zu schreiben; ich schreibe ab - ich gedenke

abzuschreiben. Man kann also sagen, dass in solchen Wörtern jeder Teil seine Bedeutng

unverändert beibehalten habe; aber in einer noch viel größeren Zahl von Fällen weist die

Verbindung doch eine spezialisierte Bedeutung auf. Diese Spezialisierung kann sein:

vollständig (mitteilen, vorkommen, zutreffen) oder est steht neben der eigentlichen

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Page 55: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Bedeutung eine übertragene: annehmen heißt auch vermuten/sich kümmern um; aufgeben

= als verloren betrachten; vorwerfen = einen Vorwurf machen; aufheben = auflösen,

annullieren. Andere Beispiele: abtreten, anführen, ausführen beilegen, einschlagen,

eingehen, einstellen, herunterkommen, nachlassen, zulassen. Den heute gültigen

syntaktischen Gesetzen zufolge, ist die Stellung Patrikel + Verb ungemein häufig; regelmäßig

ist sie im Infinitiv, aber auch sonst durchgehend, außer im Präsens und Imperfekt der

Hauptsatzform. Das Bindende ist aber vollends darin zu suchen, dass Partikel + Verb eine

einzige Tätigkeit ausdrücken, nicht nur in Fällen mit spezialisierter Bedeutung z. B. zugeben,

sondern auch in anderen Fällen:): abschreiben, herunterkommen, hinaufgehen zumachen

(=schließen). Infolgedessen werden das Verb und seine Partikel als innere funktionelle

Einheit empfunden. Manche unfesten Zusammensetzungen kommen als einfache Verben

nicht mehr vor. Z. B. ausmerzen, ausrollen, ausmergeln, aufwiegeln, einverleiben. Als erstes

Glied in unfesten Zusammensetzungen erscheinen:

ursprüngliche Adverbien (heute meist Präpositionen)

zusammengesetzte Adverbien

Adjektive

Substantive

Ursprüngliche Adverbien + Verb sind z.B.: anfangen, beitreten, aufbauen, hingehen,

wiederkommen usw. Ihren ursprünglichen adverbiellen Charakter zeigen diese Partikeln in

elliptischen Wendungen wie: Das Licht ist an. Der Kranke ist wieder auf. Die Partikeln

können ein intransitives Verb in ein transitives Verb verwandeln: lachen – auslachen; blicken

– zublicken. Die Partikel kann dem Verb eine perfektive Bedeutung geben (den Sinn des

Abschlusses): blasen - ausblasen; gießen - ausgießen; laufen - ablaufen; reisen – abreisen.

Die Bedeutung des Beginnens ist in: blühen - aufblühen; gehen - losgehen.

Dementsprechend teilt man die Verben (nach der zeitlichen Verlaufsweise eines

Geschehens) ein in: a.) ingressive oder inchoative Verben (Anfang/Beginn der Handlung)

und b.) resultative Verben (Ende eines Geschehens). Zusammengesetztes Adverb + Verb:

emporsteigen, daherkommen herausgeben, herbeiführen. Laut DUDEN ist die Grenze

zwischen Prädikatsteil und Satzglied mit Gliedprägung fließend. Adjektiv + Verb: feilbieten,

fertigstellen, festbinden, freigeben, hochheben, irreführen, losfahren, loslassen, vollführen,

weiterreden. Substantiv + Verb: achtgeben, fehlschießen, haushalten, heimfahren,

maschinenschreiben, preisgeben, radfahren, standhalten, stattfinden, teilnehmen. Mit

Substantiven verbundene Verben können aber auch Ableitungen sein: maßregeln,

ratschlagen, wehklagen.

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Page 56: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Zusammensetzungen mit einer Partikel als Grundwort

Das sind flexionslose Zusammensetzungen. Es sind meist Zusammenrückungen. Neben

Zusammensetzungen, deren letztes Glied schon ein flexionsloses Wort war, entstehen solche,

die einer anderen Wortart angehören als das letzte Glied. Das letzte Glied dkann sein: ein

Substantiv - das Ganze aber eine Präposition: infolge; ein Adjektiv - das Ganze aber ein

Adverb: fürwahr; ein Pronomen - das Ganze aber ein Konjunktion: trotzdem. Diese Bildungen

stellen erstarte syntaktische Verhälnisse flektierbarer Wörter dar und deshalb ist oft keine

scharfe Grenze zu ziehen zwischen formaler Selbständigkeit und Zusammensetzung. Diese

Unsicherheit wirkt sich (auch) in der Schrift aus, wo die Wörter oft getrennt bleiben, auch wenn

sie einen einheitlichen Begriff wiedergeben: von dannen, vor allem, in bezug, in Hinsicht auf,

zu guter Letzt - gegen infolge, insgesamt, zutiefst. Bei anderen herrscht noch Schwanken:

zuoberst, zutage, zugrunde. Da es sich um einen fortschreitenden Prozeß handelt, neigt die

Rechtschreibung in Zweifelsfällen mit Recht zur Zusammenschreibung. Es gibt folgende

Möglichkeiten der Zusammensetzung:

Adverb + Adverb: dahin, dorther, dorthin, hinweg, immerhin, jawohl, sofern, sofort usw.

Adverb + Präposition: daran, gegenüber, herab, hiermit, hinzu, hinterdrein, nachher,

obenan, vorhin, wohlan.

Präposition + Präposition: mitunter, nebenbei, überaus, voran, zugegen.

Präposition + Substantiv: abhanden, anstatt, beiseite, imstande, überhaupt, zufolge,

zugunsten.

Präposition + Adjektiv: beinahe, ingsgeheim, vorlieb.

Präposition + Pronomen: außerdem, mitunter, ohnedies, unterdessen, überall.

Präposition + Numerale: entzwei

Präposition + Adverb: bisher, umsonst, vorgestern, zusammen.

(Verdunkelte Bildungen: besonders, binnen, empor, neben. Die Bildungen dieser Gruppe

sind: Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen).

Substantiv + Präposition: bergan, jahraus, jahrein, kopfüber, ordnungsgemäß, treppauf.

Adjektiv + Präposition: geradeaus, kurzum.

Adjektiv + Adverb: gemeinhin, gleichwohl, schlechthin, schlechtweg

Adjektiv + erstarrtes Substantiv: allerdings, heutigenstags, jederzeit, keineswegs,

kurzerhand.

Pronomen + erstarrtes Substantiv: allemal, allezeit, derart, derweilen, diesmal, einmal

Pronomen + Präposition: demnach

Verdunkelte Zusammensetzung: innerhalb

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Page 57: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Die Zusammensetzungen dieser Gruppe sind Adverbien.

Das Kompositum

Die Komposition ist das wichtigste Mittel der Wortbildung. Von Wortbildung durch

Zusammensetzung oder Komposition spricht man, wenn (mindestens) zwei Wörter so

aneinander gefügt werden, dass sie - ohne zusätzliche Ableitungsmittel - eine neue Einheit

bilden, die wiederum als ein Wort aufgefasst wird. Die Einzelkomponenten verlieren ihre

semantische Selbstständigkeit, das neu zusammengesetzte Wort hat eine

Gesamtbedeutung, die nicht einfach der Summe der Einzelbedeutungen entspricht. In den

germanischen Sprachen, die dem flektierenden Sprachtyp folgen, bestehen

Zusammensetzungen prinzipiell aus einer Gruppe von zwei Wörtern, von denen nur das

zweite flektiert wird. Im Deutschen werden sie im Unterschied etwa zum Englischen

durchgehend zusammen geschrieben. Normabweichungen betreffen vor allem plakative

Aufschriften (z.B. Herren Salon, Frisch Fleisch), Firmen- und Produktnamen (z.B. Schwann

Verlag, Aral Langzeitbatterien); sonst fast nur englisch beeinflusste Texte mit Schreibweisen

wie Hollywood Film und Import Rarität. Diese Tendenz der Normabweichung ist aber

zunehmend. (vgl. Duden-Grammatik 1995, 421) Die Produktivität des Kompositionsvorgangs

ist von Sprache zu Sprache unterschiedlich ausgeprägt und wird von der Kategorie des

Vorder- bzw. Hinterglieds beeinflusst. Das Deutsche kennzeichnet sich durch seine

besondere Kompositionsfähigkeit, während das Phänomen z.B. in romanischen Sprachen

viel schwächer entwickelt ist. Zusammensetzungen können aus unterschiedlichen Wortarten

gebildet werden:

besonders produktiv sind Zusammensetzungen aus zwei nominalen Gliedern

(sogenannte N+N–Komposita): Wintermonat, Hausapotheke, Bienenhaus,

Bahnhof, Fürstenhaus, Hausarbeit, Büroarbeit, Handarbeit, Stadtbahn, Lichtspiel,

Weltklasse, Weltbild, Schulweg, Autofahrer, Fahrpreis.

Weniger häufig setzen sich solche Bildungen aus Adjektiv + Nomen zusammen:

Breitwand, Altpapier, Altbau, Hochbau, Hochwasser, Tiefpunkt, Tiefschlag,

Volltreffer, Vollmacht, Weichtier, Kurzurlaub, Schnellaufzug, Langfilm, Langlauf,

Dünndarm.

sehr selten ist der Typ Verb + Verb (drehboren).

als Bestimmungswörter bei substantivischen Grundwörtern stehen auch:

Pronomina: Selbstentfaltung, Selbsterfahrung, Selbstbetrug, Ich-Kult;

Adverbien: Außenspiegel, Vorderachse, Außenstürmer, Innenwand,

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Page 58: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Binnenmarkt, Zwischenabrechnung, Abwärtstrend; Präpositionen: Beiprogramm;

Übergang, Zwischenruf; Nachtisch; Vorspeise Konjunktionen: Dass-Satz;

Interjektionen: Aha-Erlebnis; Buchstaben: O-Beine, U-Bahn, U-Profil.

Die Komponenten einer Zusammensetzung sind auch selbst als Wörter verwendbar

(wortfähig), im Kompositum jedoch nicht umstellbar - von Kopulativkomposita (s. weiter

unten) abgesehen -, weil das Grundwort die Wortart, d.h. die grammatischen Eigenschaften

des Kompositums, und die semantische Grundkategorie bestimmt. Sie sind auch nicht

voneinander trennbar (mit Ausnahme der trennbaren Verbbildungen). Vereinigt sind sie

durch einen Betonungsbogen, aus Haupt- und Nebenakzent gebildet, und im heutigen

Deutsch, im Unterschied zum älteren Deutsch und z.B. auch zum Englischen gewöhnlich

durch Zusammenschreibung. Auch umfangreiche Komposita lassen sich in der Regel auf

zwei Bestandteile (Konstituenten) zurückführen: Wohnungsbauförderung – Förderung des

Wohnungsbaus; Landeswohnungsbauförderung - Wohnungsbauförderung des Landes/

durch das Land; Wohnungsbauförderungsgesetz – Gesetz zur Wohnungsbauförderung.

Verbindungselemente wie das -s- zwischen Wohnungsbauförderung- und -gesetz, die an

Flexionsendung erinnern, haben keine syntaktische Beziehungsfunktion, sondern

kennzeichnen die Grenze (Fuge) zwischen den Kompositionsteilen. Verschiedene

Bedeutungen haben z.B. Sommer-Abendkleid und Sommerabend-Kleid auf Grund des

gliedernden Bindestrichs bekommen. Das Bestimmungswort ist häufiger mehrgliedrig als das

Grundwort. Das erklärt sich daraus, dass es – vor allem im Verwaltungs- und

Wissenschaftstexten – in ganz besonderem Masse zur begrifflichen Differenzierung dient.

Mehrgliedrige Grundwörter finden sich vor allen Dingen in Zusammensetzungen, deren

Zweitglieder viel gebrauchte Komposita sind.

Substantivzusammensetzungen bestehen aus zwei leicht erkennbaren lexikalischen

Bestandteilen: dem Bestimmungswort und dem substantivischen Grundwort, das, wie schon

erwähnt, im Allgemeinen die grammatische Funktion und die semantische Kategorie festlegt.

Beim Bestimmungswort kann es sich dabei entweder um ein Substantiv, ein Adjektiv oder

Partizip, ein Verb, Pronomen oder eine Partikel (Präposition, Adverb) handeln.

Die zwischen dem Bestimmungswort und Grundwort bestehende semantische

Beziehung kann durch die Auflösung des Kompositums in eine Satzfügung verdeutlicht

werden, in der beide Komponenten als selbstständige Wörter auftreten, wie das im Weiteren

dargestellt wird.

Semantische Beziehungen in der substantivischen Zusammensetzung

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Page 59: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Der vorliegenden Übersicht diente die Darstellung in der Dudengrammatik (1995, 466- 479)

als Ausgangspunkt. Die Lexeme, aus denen ein zusammengesetztes Substantiv besteht,

sind zum kleineren Teil einfache Wörter (Simplizia), zum größeren Teil komplex, d.h.

ihrerseits Wortbildungen oder Wortgruppen. Ohne den zugehörigen Kontext wirken

zahlreiche Komposita vieldeutig, wie z.B. Holzkiste (Kiste aus Holz, Kiste für das Holz). Im

Kontext aber sind fast alle Komposita eindeutig.

Kopulativzusammensetzungen

Bei Kopulativkomposita stehen beide Konstituenten in einem koordinierenden Verhältnis

zueinander. Zwei Situationen sind da zu unterscheiden:

a) Die beiden Bestandteile des Kompositums gehören der gleichen

Bezeichnungsklasse an und sind einander gleichgeordnet, wie etwa in einer

Konstruktion mit der kopulativen Konjunktion und:

Strumpfhose = Strumpf und Hose

Hemdbluse = Hemd und Bluse

Jodkalium = Jod und Kalium

Strichpunkt = Strich und Punkt

Studienratdoktor = Studienrat und Doktor

Schneeregen = Schnee und Regen

b) Die Reihenfolge der beteiligten Elemente ist prinzipiell vertauschbar

(symmetrisch), aber durch Lexikalisierung ist die Abfolge häufig festgelegt:

Hosenrock - Rockhose

Uhrenradio - Radiouhr

Ofenkamin - Kaminofen

Diese Bildungsweise ist nicht besonders produktiv und eher in Berufs- und Fachsprachen

anzutreffen. Viel häufiger ist der Typ der determinativen Komposition vertreten. Die Grenze

zwischen Determinativ- und Kopulativzusammensetzungen ist jedoch nicht immer eindeutig

festlegbar. Determinativzusammensetzungen

Determinativkomposita stellen den Haupttyp der Substantivzusammensetzung dar und

herrschen in der Gemeinsprache vor. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der erste

Bestandteil dem zweiten untergeordnet ist. Das Grundwort ist der wortsyntaktische und

semantische Kern der Konstruktion, der die Bezeichnungsleistung erbringt, das

Bestimmungswort ist ihm morphosyntaktisch und semantisch untergeordnet. Aus diesem

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Page 60: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Grund gilt die Formel „ein ab ist ein b”, z.B. Brautschuhe sind Schuhe. Die Reihenfolge der

Glieder bestimmt, welche Bedeutung die andere spezifiziert. Die Spezifizierung des

Grundwortes erfolgt durch das Bestimmungswort: Brautschuhe – Schuhe, die eine Braut

trägt. Im Unterschied zu den Kopulativkomposita lässt eine Umstellung der Komponenten

völlig andere Bedeutungsbeziehungen entstehen; sie bewirkt die Umkehrung des

Determinationsverhältnises: Treppenhaus – Haustreppe; Blumentopf – Topfblume; Reisebus

– Busreise.

Bei Determinativzusammensetzungen erscheinen häufig auch Komposita als Grund-

oder Bestimmungswörter. In Fachtexten der Wissenschaft, Technik und Verwaltung ist die

Tendenz zu überlangen Bildungen erkennbar, in denen noch mehr Wörter miteinander

verbunden sind: Rund/sicht//wind/schutz/scheibe, Landes/spar/kassen//zweig/anstalt,

Super/nutz/stich//frei/arm/näh/maschine, Atom/kraft/werk/stand/ort/sicherungs//programm. In

mehrgliedrigen Zusammensetzungen wird manchmal das Mittelstück ausgespart, wodurch

Klammerformen entstehen: Fernamt aus Fernsprechamt, Freilandeier aus

Freilandhühnereier. Solche Konstruktionen werden auch elliptische Komposita genannt.

Neuerdings gibt es als Gelegenheitsbildungen sogar vielgliedrige Gebilde, die durch

Koppelung einer Satzfügung mit einem (Einzel)wort entstehen: der Ab-und-zu-muß-man-es-

wieder-einmal-probieren-Einsatz. Bei den Determinativzusammensetzungen unterscheidet

man gewöhnlich exozentrische (auch Possessivkomposita genannt) und endozentrische

Komposita. Exozentrische Zusammensetzungen wie Dickkopf oder Milchgesicht weisen zwar

dieselbe (determinative) Bedeutungsbeziehung zwischen den Bestandteilen auf wie die

endozentrischen Zusammensetzungen (Dickdarm, Milchkanne usw.), unterscheiden sich

aber von diesen in der Bezeichnungsweise, da sie sich nicht auf die im Grundwort genannte

Größe beziehen, sondern insgesamt charakterisierend auf eine ungenannte: Während die

endozentrische Zusammensetzung Milchkanne eine Kanne bezeichnet, bezieht sich die

exozentrische Zusammensetzung Milchgesicht nicht auf ein Gesicht, sondern auf eine

Person. Entsprechend bezeichnet man mit Rotkehlchen einen Vogel, der eine rote Kehle

(rotes Gefieder an der Kehle) hat, oder mit Löwenmäulchen eine Blume, deren Blüten wie

kleine aufgesperrte Löwenmäuler aussehen.

Aufbau und Erweiterung der Fachwortschätze

Die Erweiterung von Fachwortschätzen, d.h. die Prägung von Fachwörtern ist eine

Notwendigkeit in allen wissenschaftlich und technisch innovativen Tätigkeitsfeldern →

Benennungsstrategien sind eng mit den situativen Bedingungen der jeweiligen Forschungs-

60

Page 61: Vorlesung Wortschatzerweiterung

bzw. Entwicklungssituation verbunden → totale Neuschöpfungen sind in Fachsprachen

extrem selten; das berühmte Beispiel Gas, das von J. B. Helmont (1579-1644) geschaffen

wurde, ist an gr. Chaos angelehnt. Neue Lexikoneinheiten werden als motivierte

Benennungen kreiert → oft besteht die benennungspragmatische Aufgabe darin, minimale

mnemotechnische Anhaltspunkte zu geben, die bei einer totalen Neuschöpfung entfallen →

andererseits aber muss die allzu große Nähe zu im Fach bekannten oder nichtfachlichen

Wörtern vermieden werden. Es werden am häufigsten die folgenden Erweiterungsstrategien

im fachlichen Zusammenhang angewendet: Neologismen Illokution , Übersetzung, (verteilte

Wicklung), Ableitungen (Textoid), Zusammensetzungen, (Einschreibenkupplung),

Mehrwortlexem (lombardischer Vorschlag), Metapher (Dämon) , Umdefinition (Kraft). Beim

Benennungsprozess stehen nicht alle diese Darstellungsmittel zur freien Verfügung; die Wahl

der sprachlichen Mittel ist eine Folge der Benennungsstituation: (1) wird z.B. die Entwicklung

einer spezifischen technischen Problemlösung (schnelle und billige Herstellung von

Verdrahtungen bzw. Schaltungen) angestrebt, so liegt es nahe, die Lösung nach dem

entscheidenden verfahrenstechnischen Detail (gedruckte Schaltung) zu benennen; (2) wenn

dagegen in der Grundlagenforschung Entdeckungen benannt werden müssen, dann kann ein

Phantasie-Name näher liegen; (3) greift man zum Mittel der Wortzusammensetzung, so

ergeben sich für den systematischen Aufbau einer Terminologie Schwierigkeiten: das

semantische Verhältnis zwischen Grundwort und Bestimmungswort kann determinativ oder

kopulativ sein: Informationswirtschaft (det.)

Spritzgießen (kop.); die im Bestimmungswort gegebene Spezifizierung nach: Form, Lage,

Herkunft, Funktion, Eigenschaften, Teil-von-Beziehung bietet sich als Lösung an; die

Unterscheidung in determinativ/kopulativ ist häufig eine etwas künstliche linguistische und

muss nicht der fachlichen Intention der Terminologie entsprechen. Mitnehmergabel kann

zwar linguistisch als Determinativkompositum klassifiziert werden (eine Gabel, die als

Mitnehmer funktioniert), aber fachlich gesehen ist die Beziehung gerade umgekehrt: Der

Mitnehmer hat Gabelform: Mitnehmergabel ist eine Art Mitnehmer. In bestimmten

Fachgebieten (Medizin, Geisteswissenschaften) ist die Bildung von Fachwörtern aus

lateinischem oder griechischem Material üblich (Neologismus) → Benennungen nach

Personen: Keplersche Gesetze, Moniereisen, Dopplereffekt, Petrinetz.

61

Page 62: Vorlesung Wortschatzerweiterung

VORLESUNG 3: BESONDERE ARTEN DER WORTBILDUNG

Besondere Arten der Wortbildung

Zu den Mitteln der Wortbildung im engeren Sinne gehören auch:

Der Übertrittt aus einer Wortart in die andere (Konversion)

Die Bildung von Stummel-und Initialwörtern

Die Wortbildung durch Verdoppelung

Die Wortmischung oder Kontamination

die Volksetymologie

Der Übertritt aus einer Wortart in eine andere (Konversion)

Der Übertritt aus einer Wortart in die andere wurde schon bei der Ableitung festgestellt. Dieser

Übertritt vollzog sich aber mit Hilfe von Suffixen, also mit der gleichzeitigen Veränderung des

Stammwortes mit Hilfe von Suffixen: z. B. Glück – glücklich; reich – Reichtum; Fall – fällig. Ein

Wort kann aber auch ohne formale Änderung in eine andere Wortart übergehen. Im

Deutschen können z. B. alle Wörter substantiviert werden, sogar Wortgruppen und Sätze. Z.

B.: blau - das Blau, das Kommende, das Bevorstehende, das Ich, das Leben, das Sein, das

Nimmerwiedersehen, das Sich-einer-Sache-bewußt-werden-können. Substantive gehen aus

Adjektiven und Partizipien hervor: das Gut, das Hoch, das Tief, das Recht, das Grün, das

Unentschieden, der Stolz. Diese werden wie starke Substantive dekliniert. Die adjektivische

(schwache) Deklination kann beibehalten werden: das Gute, das Schlechte, das Schöne, der

Gläubige, der Reisende. In manchen Fällen ist die Substantivierung durch Auslassung eines

dazugehörigen Substantivs entstanden: die Linke (Fraktion), die Rechte (Hand), der Beste

(Student), die Gerade (Linie).

Substantive entstehen auch aus Verben; für die Substantivierung dient der Infinitiv als

Ausgangsform: das Gehen, Kommen, Arbeiten, Versprechen, Geben, Ruhen usw. Häufig sind

Zusammenrückungen: das Radfahren, Eislaufen, Kegelschieben, Klavierspielen,

Großreinemachen. Als Ausgangspunkt für die Substantivierung dienen auch die

Personalformen: das Stirb und Werde, das Soll und Haben, das Kredo. Substantive entstehen

aus:

Adverbien : das Jetzt, Nein, Nimmer

Schwerpunkte: ⇨ Besondere Arten der Wortbildung (Konversion, Kurzwortbildung, Reduplikation, Kontamination, Volksetymologie)

62

Page 63: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Pronomen : das Ich, das Nichts

Numeralien : die Eins, die Beiden, das Hundert

Präpositionen : das Auf und Ab, das Gegenüber, das Aus

Konjunktionen : das Wenn und Aber

Interjektionen : das Weh und Ach, das Hurra

einzelnen Buchstaben : von A - Z, das hohe C, das A und I

Suffixen : der -Ismus

Substantiviert werden auch Präpositionalgefüge und ganze Sätze: der Vormittag, der

Nachmittag, die Mitternacht, das Zuhause, das Vergißmeinnicht, der Taugenichts, der

Springinsfeld (der seltsame Springinsfeld -Grimmelshausen) oder das Vegißnichtmein

(Volkslied).

Adjektive entstehen durch Adjektivierung von Substantiven oder Adverbien. Aus

Substantiven: angst, ernst, feind, schade, schuld, freund, not (wurst = umgangssprachlich =

schnuppe); Farbbezeichnungen: lila, rosa, orange; Herkunftsbezeichnungen: Brüsseler

Spitzen, Moldauer Klöster; aus Adverbien: selten, zufrieden, behende, bange, vorhanden.

Besonders die Adeverbien auf -weise werden attributiv verwendet: probeweise, Anstellung,

schrittweises Vorgehen, teilweiser Erfolg, zeitweise Unterbrechung. Diese Verbindungen

scheinen sich allmählich durchzusetzen, obwohl sie nach den grammatischen Regeln nicht

zulässig sind: Partikeln: Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen sind häufig erstarrte

Kasusformen. Z. B. krank (N); morgens, abends, flugs, namens (G); morgen, gestern, mitten

(D), heim, weg, weil (Akk); oder kraft (= durch Kraft), laut (= nach dem Laut). Erstarrte

Kasusformen von Adjektiven und Partizipien sind: links, rechts, vergebens, eilends (G);

während, einzeln (D); genug, meist (Akk). Erstarrte finite Verbformen sind: geschweige,

bewahre, gelt (es gelte).

Die Bildung von Stummel- und Intialwörtern

Die Kurzwortbildung erfasst den Prozess der Kürzung der Vollformen eines Wortes oder

einer Wortgruppe und das Ergebnis: das Kurzwort oder die Abkürzung. Dieses Verfahren

unterscheidet sich von der bisher betrachteten Form der Abkürzung. Es tritt kein

Wortartwechsel noch eine semantische Modifikation gegenüber der Vollform ein. Es entsteht

zunächst kein neues Wort, sondern nur eine Wortvariante. Diese mit der Vollform

gleichbedeutende Wortvariante dient der Rationalisierung der Kommunikation und schränkt

auf Dauer die Vollform ein oder verdrängt sie ganz.

63

Page 64: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Von vielen Kurzformen aus Fremdsprachen sind die Vollformen unbekannt: AIDS, BSE,

PIN, die Kurzformen entstehen aus Wortbildungen und Wortgruppen. Die Kurzformen können

ihrerseits wieder Bestandteile von Wortbildungskonstruktionen werden. 90% der Kurzwörter

sind Initialkurzwörter.

Die Tendenz zur Wortkürzung ist eine alte Spracherscheinung. Schon der Ausfall oder

die Abschleifung verschiedener Laute (um sie mundgerechter zu machen) stellt eine

Wortverkürzung dar. Wir finden sie in zahlreichen älteren Formen wie z. B. Herr(e), Nachbar,

Jungfer, Drittel.

Die Wortkürzung ist oft an dreigliedrigen Zusammensetzungen festzustellen; in solchen

dreigliedrigen Zusammensetzungen fällt oft das Mittelglied aus. Z.B. Klavier(spiel)lehrer,

Fern(sprech)amt. Besonders die Umgangssprache kürzt häufig gebrauchte

Zusammensetzungen: Kilo, Auto, Photo (Foto), Ober. Gekürzt werden auch lange

Fremdwörter: Uni, Labor, Lok, Bus. Diese Wörter heißen Stummelwörter. Stummelwörter

können die Grundlage für Zusammensetzungen und Ableitungen bilden: Lokführer,

Chemielabor, Bushaltestelle, kiloweise, Photoausstellung, Unigelände. Stummelwörter sind

auch die Kurz-und Koseformen von Namen: Alex, Heini, Sigi, Theo, Inge, Willi u.a.

Initialwörter sind Wortbildungen aus Buchstaben und Teilen von Wörtern. Sie

unterscheiden sich von den sogenannten graphischen Abkürzungen wie: usw., u.a., d. h., z.

B. Die graphischen Abkürzungen werden voll ausgesprochen. Die Intialwörter sind

zusammengerückte Buchstaben, die ein neues Wort bilden. Ihre Verwendung ist in allen

modernen Sprachen im Anwachsen. Man unterscheidet drei Gruppen:

Intialwörter, die mit den Buchstabennamen ausgesprochen werden: USA, LKW, UNO

Wortbildungen, die Silben und Silbenteile der abgekürzten Wörter enthalten: Kripo

(Kriminalpolizei), Moped (Motor Pedal), Flak (Flugabwehrkanone). Diese Wortbildungen

werden wie ien Normalwort ausgesprochen.

Kunstwörter aus Teilen von Stoffbezeichnungen. Sie sind meist fremder Herkunft und

kommen im Handel als Markennamen vor: Persil (aus Perborat und Silikat), Eulan (aus

gr. eu= gut und lat. lana = Wolle).

Initialen gehen auch Zusammensetzungen ein; in diesen Zusammensetzungen sind sie

Bestimmungswörter: D-Zug (Durchgangnszug), U-Bahn (Untergrundbahn), S-Bahn

(Stadtbahn), Lkwfahrer (Lastkraftwagenfahrer). Sie können auch als Ausgangwörter zu

Ableitungen dienen.

Wörter können folglich auch durch Kürzung gebildet werden, aus langen einfachen

Wörtern, Zusammensetzungen oder Wortgruppen: z.B. Bus aus Omnibus, Uni aus Universität,

LKW aus Lastkraftwagen, Info aus Information, BGB aus Bürgerliches Gesetzbuch, Akku aus

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Page 65: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Akkumulator, Abi aus Abitur, Cola aus Coca Cola, Limo aus Limonade, Deospray aus

Deodorantspray; vgl. im Rumänischen: Tarom, aprozar, C.F.R., plafar. Bei diesen Kürzungen

weisen die Ausgangsbildung und die Kurzform gewöhnlich den gleichen Wortinhalt auf,

während durch Erweiterungsbildung ein neuer Wortinhalt entsteht.

Altmann/Kemmerling (2000, 40) definieren die Wortkürzung als einen Prozess der

Kürzung längerer Vollformen sowie als Resultat dieses Prozesses. Sie teilen die Wortkürzung

folgendermaßen ein:

1. Akronyme oder Initialwörter (z.B. DM, UKW, PKW, NATO)

2. Kurzwörter oder clippings, die wieder in Schwanz-, Kopf- und Kopf-

Schwanz-Wort eingeteilt werden, wie (Coca) Cola, (Tele)Fon, Limo(nade),

Uni(versität), Abi(tur), Fern(melde)amt, Ku(rfürsten)damm,

Deo(dorant)spray

3. Abkürzungen, die nur grafisch existieren (z.B. Dr., Abb., Prof).

Bei der Kürzung von Namen spielt das Suffix –i eine entscheidende Rolle; viele

Initialkurzwörter sind z.T. umgangssprachlich, sie gelten als bekannt und dienen der

Sprachökonomie. Initialkurzwörter bezeichnen oft: politische Parteien, Organisationen,

Institutionen, Verbände, internationale Abkürzungen für erfolgreiche

Sendungen/Persönlichkeiten, deutsche Marken/Medienprodukte/Fernsehkanäle, geografische

Namen, Fachwörter aus verschiedenen Bereichen (Computerwesen, Elektronik/Technik,

Medizin); Vielfalt von Anglizismen unter den Initialwörtern. Viele Kurzwörter stellen

Kombinationen aus einem englischsprachigem Initialkurzwort und einer deutschen Vollform

dar: US-Schauspielerin, CSU-Chef, TV-Rolle; häufig werden mit Kurzwörtern Komposita

gebildet, deren erste Konstituente ein Initialkurzwort ist. Viele Kürzungen können mehrere

Erklärungen haben, d.h. dass der Leser aus dem Kontext erschließen muss, welche

Abkürzung für was in Frage kommt: PS – Pferdestärke vs. PS – Post Scriptum; OB –

Oberbürgermeister vs. OB – Odense Boldklub. Da Kurzwörter in Texten mit ihren Vollformen

alternieren können und in der Regel mehrmals im Text gebraucht werden, sowohl

selbstständig als auch im Wortbildungskonstruktionen, ist ihre textverknüpfende Funktion

besonders hervorzuheben. Manchmal entfernen sich die Kurzwörter so stark von ihren

Vollformen, dass sie eine neue Bedeutung bekommen (vgl. BMW als Auto und BMW als

Unternehmen). Die Wortbildung durch Verdoppelung

Dieses Wortbildungsmittel bildet neue Wörter durch Verdoppelung von Silben (Reduplikation;

Wiederholung eines Wortteils) oder Wörtern (Iteration =Wiederholung eins Wortes). Dieses

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Page 66: Vorlesung Wortschatzerweiterung

ist ein schon älteres Mittel der Ausdrucksverstärkung. Die Iteration und Reduplikation findet

in der Umgangssprache, Ammen-und Kindersprache häufig Verwendung.

Wauwau, Wehweh, Wehwehchen, Bimbim, Kuckuck, Mimi, Mama, Papa vgl. auch

Bonbon, Tamtam, bye-bye, Kuckuck, Effeff, Pingpong, Singsang, Tipptopp,

Mischmasch, Wischiwaschi, Cancan, Charivari, Blabla; vgl. rum.: a fîlfîi, a pîlpîi, cocor,

fîş-fîş, tic-tac, vrînd-nevrînd, treacă-meargă, hara-para, harcea-parcea , miau-miau,

ham-ham, ga-ga, cucurigu, tălălău, ţîr-ţîr, încet-încet, hai-hai, talmeş-balmeş, talmoş-

balmoş, talmuş-balmuş, halmeş-balmeş, haluniş-baluniş, tanda-manda, tandea-

mandea, tandili-mandili, şuntai-muntai, taman pe taman, vrînd-nevrînd, hara-para,

harcea-parcea, treacă-meargă, făt-logofăt, laie-bălaie, a gungura, a gunguri, a lălăi, a

şuşoti, a şuşui, mititel, mîţîţel, mîmîţel, a dîrdîi, a giugiuli, gogoloi, gogonea, gogoaşă,

gogoriţă, gîgîlice , a bîzîi, a zîzîi, a bîţîi, a gîfîi, a dîrdîi, a turui, a lălăi, a fîlfîi, a pălălăi,

a bîlbîi, ţaţă, a se chercheli, derdeluş, cercevea, cotcodac, a durdui, a forfoti, hahaleră,

cocoaşă, titirez, a se cocoşa, a se titiri, poponeţ, bang-bang! bau-bau! bîţ-bîţ! Hier

finden wir sie als Wortbildungmittel in Schall-und Bildwörter; diese Schall-und

Bildwörter entstammen einer primitiven Ausdrucksweise, der sogenannten

Ammensprache.

In jaja, soso, nana, plemplem, tagtäglich dienen sie der Ausdrucksverstärkung.

Wir finden sie auch in Bildungen mit Ablaut: z. B. bimbambum, Krimskrams,

Mischmasch, Singsang, ticktack, Wirrwarr, zickzack, lirumlarum. Auch in Bildungen mit

Ablautwechsel: Hokuspokus, Klimbim, Techtelmechtel.

schriftsprachlich sind: beben, dudeln, lallen, plappern, quieken, zittern. Diese sind

durch Reduplikation entstanden.

Die Wortmischung oder Kontamination

Nach dem Duden-Band (1995, 426) ist die Wortkreuzung die Verschmelzung von zwei

Wörtern, die gleichzeitig in der Vorstellung des Sprechenden auftauchen, zu einem neuen

Wort. Sie erfolgt gewöhnlich in der Weise, dass von jedem der Ausgangswörter ein Teil

ausfällt, gelegentlich aber auch so, dass eines der Ausgangswörter mit dem anderen

verschmolzen wird (vgl. verschlimmbesssern aus verbessern und schlimm,

Pubertätlichkeiten aus Pubertät und Tätlichkeiten, Literatour aus Literatur und Tour).

Gewöhnlich ist ihre Bildung mit einer Ausdruckskürzung verbunden. Zum Beispiel ist

vorwiegend aus vorherrschend und überwiegend entstanden, angeheitert aus angetrunken

und aufgeheitert. Hierher gehören fast nur Gelegenheitsbildungen, die manchmal, wie

Gebäulichkeiten aus Gebäude und Baulichkeiten, aus versehen gebildet wurden. In

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Page 67: Vorlesung Wortschatzerweiterung

mundartlichen Übergangsgebieten entstehen sie vereinzelt durch Verschmelzung zweier

Mundartsynonyme (Heideweizen aus Heidekorn und Buchweizen). Daneben gibt es die

bewusste Wortkreuzung, durch die zwei Wörter bzw. Wortstämme gekürzt und zu einem

neuen Wort verbunden werden: Stagflation aus Stagnation und Inflation, Grusical aus

gruseln und Musical, Kurlaub aus Kur und Urlaub, jein aus ja und nein. Manchmal werden die

Wortkreuzungen in scherzhafter oder satirischer Absicht geschaffen. Sie bleiben dann – von

umgangssprachlichen Fällen wie im Gegentum oder fürchterbar abgesehen – gewöhnlich

„Eintagsfliegen“. Beispiele von Bildungen dieser Art, die nur der Sprache eines Autors (oder

dem Stil einer Zeitschrift) und nicht dem allgemeinen Schreibgebrauch angehören, sind:

Kompromißgeburt Modeschauerliches, Medizyniker; (ugs) akadämlich usw.

In der einschlägigen Literatur begegnen mehrere Termini zur Bezeichnung dieses

Wortbildungstyps: Wortkreuzung, Wortmischung, Wortverschmelzung,

Wortzusammenziehung, Amalgamierung, Kombi-Wort, Portmanteauwort, Kofferwort,

blending → manche Autoren ordnen diese Erscheinung grob der okkasionellen Wortbildung

oder der Abweichung zu; andere wiederum sprechen von Wortspielen. Die hohe

Kontextgebundenheit und die negative Kritik seitens der Sprachpfleger hemmt ihre

Lexikalisierung und daher gehen nur verhältnismäßig wenige Kontaminate in den

allgemeinen Wortschatz über (= Einmalbildungen) → dt. Kontaminate: Erdtoffel < Erdapfel +

Kartoffel; Transistor < Transfer + Resistor; Mechatroniker < Mechaniker + Elektroniker;

Monicagate < Monica [Lewinski] + Watergate; Bennifer < Ben [Afflec] + Jennifer [Lopez] vs.

Brangelina; Gorbasmus ; Famillionär; Doktrinärrin; Fraulenzen; manntasielos; mitternackt;

Morgasmus; Nescafé < Nestlé + Café; Brunch (< breakfast + lunch); Smog (< smoke + fog);

Bistrorant (< Bistro + Restaurant) → Beispiele mit Rumänienbezug: Vodcăroiu < Văcăroiu

[ehemaliger, unter Iliescu amtierender Premier und jetziger Vorsitzender des Senats] + vodcă

[Vodka, scheinbar sein Lieblingsgetränk]; Tăbăcilă < Tărăcilă [ehemaliger, unter Iliescu

amtierender Innenminister] + a tăbăci [Jargonismus für 'prügeln, bläuen']; Verwöhnaroma

[puterea] alintaromei < a alinta + aromă; Knorrbiţă < Knorr + ciorbiţă ; Knorroc < Knorr +

noroc ; Oknorrul [statt: ocolul] Pământului ; Ideea Knorriginală [statt: originală]; TEOviziunea

< Teo [Trandafir] + televiziunea; ProTVara < ProTV + vara; ProTVlion < ProTV + revelion ;

Ţine portofelul desKISS ; Miss diKISS ; bookarest; B'Estival [estival – bestial – Bucureşti]

Die Volksetymologie

Seit Beginn etymologischer Untersuchungen glaubt man, die „Dinge“ besser erkennen zu

können, wenn man die Benennungen, die „Namen“, auf ihr ursprüngliches Motiv zurückführt.

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Page 68: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Mit Hilfe der historisch-vergleichenden Methode und sprachsoziologischer Untersuchungen

kann das schon bis zu einem gewissen Grad gelingen. Da nun aber auch der

„Durchschnittssprecher“ durch seine Alltagserfahrung geneigt ist, Wort und Sache zu

identifizieren (er glaubt, mit der Benennung auch die Sache zu erkennen), ist er bestrebt,

etymologisch nicht oder nicht mehr durchschaubare Wörter in seinen Wortschatz

einzuordnen oder mit bekanntem Wortmaterial zu erklären. Oftmals stimmen aber die

Vermutungen nicht, und es kommt zu „Fehletymologien“, d.h. Pseudo- oder

Volksetymologien. Man versucht, unbekanntes Wortmaterial mit klang- und – wie man glaubt

– sinnähnlichen Lexemen in Verbindung zu bringen. Häufig übernimmt dann tatsächlich im

Laufe der Wortgeschichte ein Wort die Bedeutung des mit ihm in Zusammenhang

gebrachten Lexems. Nach Schippan (1992, 44f.) tritt die Fehl- oder Volksetymologie oft dann

auf, wenn fremdes Wortgut nicht verstanden und deshalb ähnlich klingenden deutschen

Wörtern gedanklich zugeordnet wird: Laute wird mit laut assoziiert. Es geht aber über

gleichbedeutendes franz. luth über altfranz. leüt auf arab. al-ud – „Holzinstrument“ zurück.

Landschaftlich gebundenes Wortgut wird umgedeutet, weil die Sprachformen in anderen

Regionen nicht bekannt sind: Maulwurf wird gedeutet als, Tier, das Hügel mit dem Maul

aufwirft: Maul ist jedoch eine Umdeutung aus nd. molt – „Erde, Erdhügel“. Veraltetes Wortgut

wird mit bekanntem Wortmaterial erklärt, vor allem, wenn keine semantische Stützung mehr

vorhanden ist: Meerrettich gilt als „Rettich der übers Meer zu uns gekommen ist“. Adh.

meriratich mhd. meretich ist etymologisch verwandt mit „mehr“ oder bedeutet „größerer

Rettich“. Fremdes Wortgut kann auch mit anderen Fremdwörtern in Verbindung gebracht

werden: Duell wird im 17.Jh. aus lat. duellum, einer Nebenform von bellum, „Krieg“,

eingeführt. Ihm wird aber die Bedeutung „Zweikampf“ zugeordnet und mit lat. duo – „zwei“

erklärt. Die Volksetymologie ist somit eine Form der Neumotivierung. Ist die Motivation, nicht

erschließbar, wird eine semantische Stütze gesucht. Unabhängig davon, ob ein Wort neu

motiviert ist, wirken Benennungsmotive als Stütze in der geistigen und sprachlichen Tätigkeit.

Die Volksetymologie ist als lexikalisches Phänomen zu verstehen, bei dem

sprachgeschichtlich nicht zusammengehöriges Wortmaterial wegen zufälliger Gleichheit oder

Ähnlichkeit auf lautlicher Ebene „im synchronen Sprachgefühl miteinander assoziiert,

verknüpft wird“ (Olschansky 1996, 229); dabei wird in den meisten Fällen das betreffende

Wort lautlich umgeformt und dadurch neu motiviert bzw. interpretiert: Schlittschuh < mhd.

schritschuoch [Schrittschuh] in Anlehnung an Schlitten. Die Voraussetzung, dass ein Wort

volksetymologischen Prozessen unterliegt, ist dessen Isolierung in der Synchronie: Das

Wort, das der Sprachteilhaber nicht mehr zu dekodieren und in keine Wortfamilie zu

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Page 69: Vorlesung Wortschatzerweiterung

integrieren vermag, wird ohne Rücksicht auf dessen Herkunft und eigentliche Bedeutung

einer bekannten lexikalischen Einheit zugeordnet.

VORLESUNG 4: BEDEUTUNGSWANDEL

Ursachen und Arten des Bedeutungswandels

Bedeutungswandel: diachronischer Vorgang, der bestimmte Auswirkungen auf die

Gegenwartssprache hat wenn sich die Bedeutungsseite lexikalischer Zeichen (Sememe und

ihre Seme) verändert und die Formseite gleich bleibt oder lautgesetzlichen Wandlungen

unterliegt.

Wesen des Bedeutungswandels. Neue Denotate in der Sprache werden schon

vorhandenen Lexeme zugeordnet und damit deren Bedeutung verändert z.B. Schlange zu

der schon vorhandenen Bedeutung tritt eine weitere hinzu, dadurch entsteht Polysemie. Oft

durch Ähnlichkeiten der Form der Denotate; metaphorische/metonymische

Bezeichungsübertragung: bezieht sich auf ein bestimmtes logisches Verhältnis (z.B. Schule

als Forschungsrichtung). Bedeutungswandel besteht nicht immer in der Vergrößerung der

Sememe eines Lexems. Oft kommt es auch zu Veränderung der Sememe: Wertsteigerungen

und Wertminderungen.

Ursachen des Bedeutungswandels

→ Benennungsbedürfnis von neuen Objekten, Empfindungen

→ Denotatsverwendung bei Beibehaltung des Formativs: Bleistift, Federhalter

→ Veränderung der menschlichen Erkenntnis im weitesten Sinne: Engel, Teufel

→ Veränderung sozialer Beziehungen und kommunikativer Normen: Bezeichnungen

für Frau: Dame, Weib, Fräulein

→ Volksetymologie: semantische Fehlinterpretation auf Grund von Ähnlichkeit der

Formative: Maulwurf, Friedhof

Arten des Bedeutungswandels

Schwerpunkte: ⇨ Ursachen und Arten des Bedeutungswandels

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Page 70: Vorlesung Wortschatzerweiterung

1. Lexemumstrukturierung: → neue Sememe treten mit neuem Denotatsbereich hinzu oder

fallen weg: Flügel, Linse, Schlange

2. Sememumstrukturierung: → die Zahl der Sememe bleibt gleich, aber die Sememe

verändern sich in ihren Semen, bis zu einem Denotat, das mit dem ursprünglichen Wort

nichts mehr zu tun hat: Marschall, Hochzeit

VORLESUNG 5: ENTWICKLUNGEN IN DER DEUTSCHEN SPRACHE IM 20.JH.

Die Sprache ist an die Menschen, an die Sprachgemeinschaft gebunden und sie verändert

sich gleichzeitig mit dem sich wandelnden Hintergrund und den sich laufend verändernden

Lebensbedingungen. Das 20. Jahrhundert ist durch politische, wirtschaftlich-soziale

Veränderungen geprägt worden, wobei eine rasche, unkomplizierte und einfache

Kommunikation angestrebt wird - Veränderung der Sprache [Wandel, Entwicklung, Evolution,

Verfall, Veränderung] - Entwicklungstheorien [vom Besseren zum Schlechteren –

Dekadenztheorie – oder vom Schlechteren zum Besseren – Progresstheorie]- Veränderung

und Stabilität normale Stadien der Sprachgeschichte . Hinter den großen Veränderungen im

Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache stehen als Ursachen die Vermehrung und

Differenzierung der Informations- und Wissensbestände im modernen Zeitalter. Die

Multiplizierung und Popularisierung neuer Sach- und Sprachgegebenheiten steht heute unter

günstigeren Voraussetzungen als je zuvor. Die Massenmedien bringen neue Informationen

und Worte in Umlauf. Die Veränderungen sind am deutlichsten in der Wortklasse des

Substantivs, des Adjektivs und des Verbs sichtbar (minimal bei den Form – und

Funktionswörtern Pronomen, Präpositionen, Numerale usw.).

Das heutige Deutsch muss in Beziehung zu den vorausgehenden Jahrzehnten

dargestellt werden. Ein Blick darauf verdeutlicht einige Tendenzen in der deutschen

Gegenwartssprache:

der Vorrang der mündlichen Rede

die Tendenz zur Aufhebung von Sprachgrenzen (regional, funktional, national)

die Tendenz zur Sprachmischung und Sprachmobilität (Jargonisierung,

Adhoc-Bildungen, Neologismen)

die Tendenz zur Internationalisierung zeigt sich am deutlichsten in den

lexikalischen Lehneinflüssen aus dem Englischen und Amerikanischen.

Schwerpunkte: ⇨ Entwicklungen in der deutschen Sprache im 20.Jh. im Überblick

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Page 71: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Tendenzen im Bereich des Wortschatzes

Die deutsche Sprache im 20. Jh. wurde u.a. durch folgende Entwicklungen geprägt1. Nach

1918 kommt es zu einer Umorientierung (1) in sozialer, kultureller und auch sprachlicher

Hinsicht.

Die Urbanisierung (2) führt zur Konzentration der Bevölkerung in Städten; um 1910 gab es

bereits 48 Großstädte in Deutschland. Die neuen Produktionsformen lösen die alten sozialen

Strukturen (Großfamilie, Dorfgemeinschaft, Bauernhöfe, Handwerksbetriebe) auf. Der soziale

Abstieg führt zu einem Orientierungsverlust und zum Krisenbewusstsein; Wertsysteme

verlieren ihre Gültigkeit, traditionelle Funktionen und Rollen gelten als veraltet.

Mit der vertikalen und horizontalen Mobilität – den Migrationsbewegungen (3) - sind

auch die sozialen Auf- und Abwärtsbewegungen, die Migration vom Lande in die Stadt – als

Folgen politischer Krisen und wirtschaftlicher Wandlungen - verbunden. Nach 1945 ist die

Ost-West-Migration als Folge des Zweiten Weltkrieges (ca. 10 Millionen Menschen werden

vertrieben, ausgesiedelt) sehr groß gewesen; im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung

werden Ende der 50er Jahre Millionen Arbeitsmigranten vor allem aus südeuropäischen

Ländern nach Deutschland geholt.

Die (4) audiovisuellen Medien und die Alfabetisierung (5) der Bevölkerung spielen

eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Standardsprache. Hörfunk und Fernsehen wirken

normgebend. Durch die Massenmedien erreichen neue und auch fremde Wörter ein großes

Publikum, die den passiven Wortschatz der Sprachträger vergrössern. Die Standardsprache

erhält eine neue Qualität durch die Medienwelt, die sich mit dem 19. Jh. entwickelt. Die

Massenmedien haben die sozialen und kommunikativen Verhältnisse im 20. Jh.

entscheidend verändert. Die hier vorgeführten Entwicklungsrichtungen sind z.T. auch mit

dem Einfluss der heutigen Massenmedien erklärbar. Die Printmedien (Massenpresse) und

1 Die beiden Weltkriege markieren politische und gesellschaftliche Brüche, die sich auch in der sprachlichen Entwicklung niedergeschlagen haben.

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Page 72: Vorlesung Wortschatzerweiterung

die elektronischen Medien (Film, Funk, Fernsehen) sind die Multiplikatoren, Verstärker und

Beschleuniger sprachlicher Entwicklungsrichtungen. Im Wortschatz vollzieht sich der Wandel

rascher als früher, bei der Auswahl und Durchsetzung von Sprachvarianten sind gegenwärtig

andere Faktoren ausschlaggebend (z.B. Einfluss der Medien und der Werbung). Durch

Zeitungen und Nachrichtenredaktionen der Rundfunkanstalten, die viele amerikanische

Agenturnachrichten übernehmen, werden viele Fremdwörter in Umlauf gesetzt. Diese

erreichen alle Schichten der Bevölkerung. Viele Entlehnungen aus den Bereichen Wirtschaft,

Politik, Marktforschung, Werbung, Computer, Schlagerindustrie, Technik und Sport sind zum

festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden. Das Verkaufswesen, die

Öffentlichkeitsarbeit, die Mode und Kosmetik haben den angloamerikanischen Einfluss

verstärkt

Die auffälligste Erscheinung unter den sprachlichen Veränderungen ist die

explosionsartige Expansion des Wortschatzes (6) im 20. Jh. besonders nach 1945. Den

größten Anteil daran hat die Entstehung des neuen wissenschaftlich-tehnischen Vokabulars,

von dem ein Anteil in die Allgemeinsprache übernommen wird.

In engem Zusammenhang damit steht die Internationalisierung (7) fachlicher und

wissenschaftlicher, aber auch politischer und kultureller Wortschätze. Vor allem die Presse

und die audiovisuellen Medien können als Distributoren für internationale Fachtermini und

Slogans angeführt werden. Die Wortschätze der Politik, der Wirtschaft und der Werbung sind

durch international verständliche Neuwörter und Wortkombinationen (besonders die

Produktnamen) angereichert. Viele Sprachforscher finden die Internationalisierung. als

eine normale und voraussehbare Folge der Bemühungen der Regierungen und Institutionen

um internationale Vereinheitlichungen zu schaffen. Die Internationalisierung des

Wortschatzes ist nicht aufzuhalten. Der starke anglo-amerikanische Einfluss bringt

lexikalisch-semantische Interferenzen mit sich. Andererseits wurden zahlreiche

Entlehnungen aus dem Französischen zurückgedrängt bzw. verdrängt: Mannequin durch

Modell, Revue durch Show, Tendenz durch Trend, Playboy ersetzte Belami, Chanson

wandelte sich zu Song, Ticket hat Billet verdrängt. Anglizismen sind auf dem Vormarsch,

einst verpönt, heute “dudenreif”: Babysitter, Comeback, clever, Feature, Publicity. Außerdem

ist die Tendenz feststellbar, Fachausdrücke im Sprachalltag zu gebrauchen, so sind rationell

statt sparsam, Gynäkologe statt Frauenarzt, aber auch Etage statt Stockwerk, Helikopter

statt Hubschrauber, Zentrum statt Statdtmitte im Gebrauch. Internationalismen aus lat.-

griech. Elementen bestehend findet man in vielen Kultursprachen: Demonstration,

Distribution, Kompetenz, Kybernetik, Mechanik, Psychologie usw. Über den amerikanischen

Einfluss haben eine Reihe längst ausgeschiedener lateinischer Fremdwörter eine

72

Page 73: Vorlesung Wortschatzerweiterung

“unerwartete Wiederkehr” erlebt: Divergenz, Relevanz, Subversion, Mobilität. Die

Erneuerungen im Wortschatz sind mit gesellschaftlichen und geistigen Bewegungen in

Beziehung zu setzen. Eine kontinuierliche Zunahme des Wortschatzes geschieht auch durch

die lexikalische Interferenz, durch die wechselseitige Aufnahme und Abgabe von

Wortmaterial. Ein großer Teil des heutigen deutschen Wortschatzes geht auf Entlehnungen

und Lehnwortschatz zurück. Politik und Sport, Unterhaltungsindustrie, Verkaufswesen,

Öffentlichkeitsarbeit, Technik, Mode und Kosmetik, Wirtschaft und Werbung haben den

angloamerikanischen Einfluss verstärkt.

In vielen europäischen Sprachen gibt es zahlreiche Lehnwörter, das Ergebnis

übernationaler, politischer, kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Prozesse sind. Die

meisten Neuwörter kommen als Lehngut in die Sprache, direkt in der fremden Form als

Lehnwort oder indirekt als Lehnbildung. Die Massenmedien, die Werbung und die

Fachsprachen sind die Einfallstore der Wortimporte.

Die Übernahmen (8) aus anderen Sprachen bilden zusätzliche Möglichkeiten der

Wortschatzerweiterung. Das fremde Wortgut wurde der eigenen Sprachentwicklung

unterworfen, der Importcharakter ist den Sprachteilhabern oft gar nicht mehr bewusst.

Im Laufe ihrer Entwicklung ist die deutsche Sprache auf vielfältige Art durch andere

Sprachen bereichert worden. Bei den Ursachen, die zu sprachlichen Transferenzen geführt

haben, spielen außersprachliche und innersprachliche Faktoren eine entscheidende Rolle.

Für die Art und den Umfang der Übernahme fremden Wortgutes in die deutsche Sprache

können historische, objektive, linguistische, stilistische, psychologische,

soziolinguistische und geografische Ursachen angeführt werden. Die Existenz der

Fremdwörter in den einzelnen Sprachen muss auch darauf zurückgeführt werden, dass sich

Sprachen unter bestimmten soziokulturellen und politischen Bedingungen gegenseitig

beeinflussen. In der deutschen Sprachgeschichte hat man von bestimmten Wellen der

Wortschatzübernahme gesprochen. Während bis Ende des 19. Jhs Französisch die

beherrschende Gebersprache für Entlehnungen ins Deutsche gewesen ist, übernimmt diese

Rolle im 20. Jh. das Englische, seit 1945 das Angloamerikanische (9). Nicht zu übersehen

ist die Bedeutung der englischen Sprache in der Weltwirtschaft, ihr Status als neue

Weltsprache, die in den letzten Jahrzenten starke Ausbreitung auch in den elektronischen

Medien fand. Im Hinblick auf die Tendenz der Anglisierung und Amerikanisierung der

deutschen Gegenwartssprache sollte man von einer europäischen Sprachbewegung

sprechen. (vgl. auch den Begriff “Franglais” für anglisiertes Französisch). Seit 1945 ist

Englisch – vor allem in seiner amerikanischen Ausprägung - die Fremdsprache, die das

Deutsche am meisten beeinflusst hat. In den Medien, in vielen Institutionen und vor allem in

73

Page 74: Vorlesung Wortschatzerweiterung

der Werbung werden zunehmend englische Wörter verwendet. Viele wirken störend, weil sie

unnötige Einfuhren darstellen, aber vor allem, weil sie dort verwendet werden, wo es

deutsche Wörter für den entsprechenden Sachverhalt gibt. Als ‚trauriges‘ Beispiel führen

viele Sprachwissenschaftler – wie auch ‚Sprachhüter‘ – die Deutsche Telekom AG mit ihren

„Calls“ (City Call, Regio Call, German Call, GlobalCall statt Ortgespräch, Ferngespräch,

Auslandsgespräch) an. Andere Beispiele liefert die Deutsche Post AG mit ihren

englischsprachlichen Bezeichnungen für unterschiedliche Größen der Postpakete: Small (S),

Medium (M), Large (L), Extra Small (XS) und Extra Large (X L).

Fremdes Wortgut kann auf unterschiedliche Weise und Wege in eine Sprache

gelangen. Heute ist die Situation anders, die Wege der Übernhame sind vielfältiger

geworden, d.h. bei der Behandlung der Einflüsse auf die gegenwärtige deutsche Sprache

muss man heutzutage eine andere Situation in Erwägung ziehen: Im Unterschied zu den

vorigen Jahrhunderten sind heute durch das Informationswesen, den Verkehr, die Wirtschaft,

die Werbung usw. reiche Möglichkeiten für Sprachkontakte geboten. Der intensive

Sprachkontakt, die weitverbreitete Zweisprachigkeit und nicht zuletzt die

Bezeichnungslücken in Wirtschaft, Wissenschaft und Computer sind die Voraussetzungen

für zahlreiche Entlehnungen aus dem Englischen. Ein erheblicher Teil der Importe lebt nur

kurzzeitig in der Empfängersprache und die Mehrzahl kann ihren ursprünglichen

Geltungsbereich (Fach- und Gruppensprachen) überschreiten. Manche Sprachimporte sind

zwar nur “modische Protzereien”, andere sind aber willkommene Bereicherungen. Der

Gebrauch englischer Wörter nimmt zu und nicht immer handelt es sich um modebedingten

Sprachgebrauch. Heute wird geschätzt, dass das Deutsche aus dem Englischen und

Amerikanischen 4000 Wörter übernommen hat. In der gegenwärtigen Diskussion über den

aktuellen Stand der deutschen Gegenwartssprache werden immer öfter Stimmen laut, die

sich gegen diese Vermischung deutscher und englischer Wörter zur Wehr setzen. Begriffe

wie Denglitsch, Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng, Ami-Welsch sollen die

Mischsprache erfassen, die weder Englisch noch Deutsch ist, eigentlich sowohl schlechtes

Englisch als auch schlechtes Deutsch. Die Sprachkritiker behaupten, dass die Anglisierung

des Deutschen sich vor allem auf den Wortschatz, die Wortbildung und die Idiomatik auswirkt

und nicht auf die Syntax. Auf Sonderwortschätze im Bereich der Computertechnik und der

Werbung möchten folgende Ausführungen hinweisen. Durch die rapide fortschreitende und

weltweite Vernetzung erfährt der Prozess der Anglisierung eine große Beschleunigung. Die

gesamte Internet-Metakommunikation vollzieht sich fast ausschliesslich auf Englisch (Audio-,

Text-Channel, E-Mail, Internet, Local Area Network, Metro Area Network, Homebanking,

Homeshopping, Teleworking, Button, Access-Provider, Cracker, Chat, Browser, Bit, Basic,

74

Page 75: Vorlesung Wortschatzerweiterung

AOL, Content Provider, Service Provider, High-Tech, Datenhighway, Imputs, Outputs) und so

werden Schlüsselbegriffe fast nirgends mehr übersetzt: browser, chat, page, pagemaster,

tools, Cyber-Space, link, Modem, on line, server, web. Darüber hinaus ist eine eigenartige

und oft fehlerhafte Mixtur aus amerikanischem Englisch und Deutsch anzutreffen. Für

manche Begriffe aus der englischen Computerterminologie hat man treffende

Entsprechungen im Deutschen gefunden: Maus (’Mausklick’, ’Maustaste’), ’Menü’, ’Datei’.

Lehnübersetzungen erscheinen vor allem im Softwarebereich: Fenster, aktiviertes Dokument,

Rollbox, Rollbalken, durchblättern, löschen, ausschneiden, Speicher, Datenautobahn,

Ordner, Suchmaschine, Menüpunkt, suchen, ändern, speichern, schliessen, numerieren,

sortieren, trennen. Neben Lehnübersetzungen erscheinen unübersetzte, als Fremdwörter

gebräuchliche Termini: Internationalismen wie aktivieren, formatieren, adressieren, Diskette,

Option, Finder, Font. Es erscheinen auch Fremdwörter, direkt aus dem Englischen

übernommen, die weder in der Schreibung noch in der Aussprache dem Deutschen

angepasst sind (wie: File, Server, Backup, Scanner, Cursor, Desktop, Publishing, Access-

Provider, Content Provider, Service Provider, High-Tech, Imputs, Outputs), Abkürzungen

(mit unübersetzten englischen Basen und die auch als Kompositateile vorkommen wie: RAM-

Disc, PC, MS-DOS) und Hybridbildungen (etwa Komposita, die morphologisch integriert sind,

aber im Stamm Fremdelemente enthalten): absaven, Webseite, Zeilendisplay,

Compiliersprache, Datenhighway. Darüber hinaus sind viele neue Ausdrücke in die

Alltagssprache eingedrungen. Folgende Begriffe aus der Computerwelt haben Eingang in die

Alltagssprache gefunden, z.B.: File, Server, Video-, Audio-, Text-Channel, E-Mail, Internet,

Homebanking, Homeshopping, Hotline, Schnittstelle, gecheckt, gebrieft, gefixt, geoutet,

geliftet, gefrustet, cancel, getrickst, gefault, ausgesurft, gelyncht, clicken. Eine eigenartige

und oft fehlerhafte Mixtur aus amerikanischem Englisch und Deutsch trifft man nicht nur in

der Computerbranche an. HobbySwingerin, coming-out, Popsänger, Jetflug, Auftragsboom,

Ärzteteam, gefightet, handgefinishte Damenbekleidung, gehandikapte Mannschaften, grillen,

killen, trampen sind Beispiele für eine Mischsprache, eine Vermischung deutscher und

englischer Wörter (Denglitsch, Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng). Auch

zahlreiche Anzeigen z.B. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ können als Beispiele für

„code-mixing“ (Area Sales Manager Fernost, JuniorProdukt Manager) angeführt werden.

Manche Anzeigen folgen der deutschen Schreibweise (Spezialist, Produkt), andere zeigen

eine Vorliebe für die englische Orthographie (Specialist, Product, Coordinator, Controller).

Die englische Schreibart erscheint auch in zahlreichen Werbeanzeigen (exclusiv, creativ,

club). Englische Begriffe erscheinen selbst dort, wo deutsche Äquivalente vorhanden sind, so

wie bei Engineering für Ingenieurwesen oder Food für Nahrung. Es erscheinen auch

75

Page 76: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Stellenangebote, die gänzlich in der englischen Sprache verfasst wurden (und in denen

selbstverständlich hingewiesen wird, das ausgezeichnete Englischkenntnisse gefragt sind),

oder in denen abgeleitete Berufsbezeichnungen aus dem Englischen auftauchen:

Vertriebsberaten/in, Banking/Finance Hauptabteilungsleiter/in Finance Manager, Top-

Position in Seoul, General Manager Südkorea, Director Finance Northern Europe, Customer-

Support-Representative usw.

Für sprachliche Gemeinsamkeiten in Wortschätzen verschiedener Sprachen steht der

Begriff „Internationalismus“. Für Braun (1987) sind „Nationalismen“ im Gegensatz zu

„Internationalismen“ Wörter, die sehr tief in der Kultur eines Landes verwurzelt sind. Er

nennt als Beispiel dafür Fersehen, da die meisten europäischen Sprachen das griechisch –

lateinischen Mischwort „television “ dafür verwenden. Viele Lehnwörter werden zu

Internationalismen vor allem in den verschiedenen Fachsprachen. Sie sind aus lateinischen

und griechischen, manchmal auch englischen Wortstämmen gebildet und gelangen oft durch

Vermittlung des Englischen ins Deutsche:

Internationalismus Herkunftssprache Herkunftswort

Infrastruktur

DiskothekSuper-EgoKybernetikMorphemAquaplaningoptimaloperationalisieren

Latein

GriechischLateinGriechischGriechischLatein/EnglischLateinLatein

infra/,unterhalb‘ + structura/,Schichtung‘discos/,Scheibe‘ + theke/,Behältnis‘super/,über‘ + ego/,ich‘kybernetike/,Steuermannkunst‘morphe/,Gestalt‘aqua/,Wasser‘ + plane/,gleiten‘optimus/ ,der Beste‘operatio/,Arbeit/Verrichtung‘

Internationalismen bilden eine besondere Gruppe von Fremdwörtern, die sich durch

übereinzelsprachliche Geltung auszeichnen. Als Erscheinungen, die in vielen (meist

genetisch verwandten) Sprachen vorkommen und die jeweils eine Ursprungssprache

aufweisen (Griechisch, Lateinisch, Englisch, Französisch) werden sie annähernd

bedeutungsgleich verwendet (Auto, Radio). Ihr häufiger Gebrauch in Massenmedien ist auf

ihre leichte Verständlichkeit zurückführbar, trotz den oft sprachspezifischen Bedeutungen, die

viele von ihnen charakterisieren. Internationalismen sind Wörter, die international

gebräuchlich sind und die sich der Aufnahmesprache angepasst haben. In gleicher

Bedeutung sind sie oft als Termini im Gebrauch: dt. Theater, engl. theatre, franz. theatre,

russ. teatr. Nach Decsy (1973:220) ist jedes Wort, das aus einer anderen großen Sprache

76

Page 77: Vorlesung Wortschatzerweiterung

(Deutsch, Russisch, Spanisch, Italienisch) stammt und in einer größeren Anzahl von

Sprachen verbreitet ist, ein Internationalismus (z.B. franz. civilisation, engl. civilization, dt.

Zivilisation, russ. ziwilisazija stellen mehrere Lexeme dar, die zusammen genommen einen

Internationalismus ausmachen). Wenn Unterschiede in der Bedeutung eines international

gebrauchten Wortes auftauchen, dann sind das “falsche Freunde”, d.h. die Audrucksseite

kann in unterschiedlichen Sprachen gleich oder ähnlich sein, semantisch jedoch

auseinandergehen. So hat Chef im Deutschen die Bedeutung “Vorgesetzer, Leiter einer

Dienst- oder Arbeitsstelle”, im Englischen aber die Bedeutung “Chefkoch”, während im

Französischen beide Bedeutungen auftauchen.

Zu den modernen Internationalismen gehören viele Fremdwörter aus Wissenschaft, Technik,

Politik, Freizeitgestaltung (Computer, Laser, Radar, Finale), d.h. Lexikoneinheiten, die

Begriffe der modernen internationalen wirtschaftlich-technischen Entwicklung bezeichnen.

Für das Zustandekommen von Internationalismen z.B. in der deutschen, englischen

und französischen Sprache nennt Braun (1987:194) u.a. folgende Ursachen: die

indoeuropäische Sprachverwandtschaft; wechselseitige Entlehnungen aus den drei (oder

anderen) Sprachen; Entlehnungen aus nichteuropäischen Sprachen; Sprachkonventionen in

übernationalen Institutionen (Kirchen, Verbände); Sprachregelungen in internationalen

Fachsprachen; Informationsaustausch durch (internationale) Nachrichtenagenturen.

Auch nichteuropäische Sprachen übernahmen mit der Technik den Internationalismus:

televiz‘jon (arabisch), talivinyen (malaysisch), terebijon (japanisch).

Die meisten Internationalismen sind vor 1945 entlehnt worden. Viele dieser Wörter

gehören zu den Standardwortschätzen vieler europäischer Sprachen; Jahr für Jahr kommen

neue Internationalismen hinzu. Die Tendenz der zunehmenden Internationalisierung lässt

sich auch daran erkennen, dass die jüngeren Entlehnungen nicht mehr in dem Maße

angepasst bzw. integriert werden, wie das bei älteren Entlehnungen zu beobachten war.

Die Vorteile internationaler Wortschätze liegen auf der Hand. Sie können die

Alltagskommunikation zwischen den Menschen verschiedener Herkunftssprachen erheblich

erleichtern, sie haben im Hinblick auf den Fremdsprachenerwerb bzw. –unterricht einen

hohen Gebrauchswert. Darüber hinaus geben sie Aufschluss über die geschichtlichen und

kulturellen Kontaktvorgänge zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften.

In den beiden nach 1945 neu entstandenen deutschen Staaten wurden neue

eigenständige Wörter gebildet aber auch zunehmende amerikanische und russische Wörter

übernommen. Da erschienen Wörter wie: Ampelkoalition, Bioladen, kaputtsparen, Luftbrücke,

Nulltarif, Pillenknick, Retortenbaby, Sozilaprodukt und viele andere. Darüber hinaus

erscheinen auch zahlreiche Fremdwörter wie: clever, Comics, Feature, Feeling, live, Make–

77

Page 78: Vorlesung Wortschatzerweiterung

up, okay, Petticoat, Playboy, Shop, Short, Teenager, up to date, Meeting usw .

Bemerkenswert waren die west – östlichen unterschiedlichen Bezeichungen für gleiche

Sachverhalte.

Lexikalische Unterschiede

Nach der Wiedervereinigung veralteten viele Wörter. Viele verschwanden sozusagen über

Nacht, weil die damit bezeichneten Sachen oder Sachverhalte überholt waren: Arbeiterstaat,

Betriebsakademie, Friedenskampf, proletarischer Internationalismus, Jugendbrigade,

Masseninitiative, allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit. Andererseits waren nach

der Wiedervereinigung die Sprachträger in den neuen Bundesländern gezwungen, sehr viele

westdeutsche Wörter zu (er)lernen: Erziehungsgeld, föderal, Kreditkarte, Leihstimme,

Sozialgericht, Sozialhilfe, Steuerfreibetrag, Tarifpartner, Telefax. Auch Fachtermini wie

Biotop, Fixing, floaten, Matketing, Numerus clausus, Ökosystem, Recycling, Risikokapital

und viele Abkürzungen wie ASCII (= American Standard Code for Information Interchange),

CAD (= Computer Aided Design ), CD-ROM (= Compact Disk Read – Only Memory), DOS (=

Disk Operating System) sind in ihren Sprachgebrauch eingedrungen. Für das Verschwinden

von Wörter können mehrere Gründe angeführt werden: Wörter gehen unter, weil die Sachen,

die sie bezeichneten, verschwunden sind oder weil sie als Verdeutschungen von

Fremdwörtern nicht gelungen sind. Ein anderer Grund dafür ist die Sprachökonomie und der

Vorzug einfacher Wörter. Andere Wörter verschwanden, weil sie stärkere Konkurrenzwörter

bekamen und das ist auch der Fall von Euphemismen. Ein weiterer Grund für das

Verschwinden von Wörter ist die etymologische Isolierung.

Tendenzen im Bereich des Wortbildung

Braun (1987:168) hat hingewiesen, dass das Deutsche sich immer mehr zu einer

Wortbildungssprache entwickelt, da die Wortbildung eines der häufigsten Mittel der

West Ost

AlleinvertretungsanspruchAlters - / SeniorenheimEinfrierenFührerscheinSupermarktNon – Stop – KinoSchandmauer

AlleinvertretungsanmaßungFeierabendheimEinfrostenFahrerlaubnisKaufhalleZeitkinoSchutzwall

78

Page 79: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Wortschatzerweiterung ist. Die Zunahme und Verstärkung der Univerbierung (1) kann als

Haupttendenz im Bereich der deutschen Wortbildung angesehen werden; aus

Wortmehrheiten werden Worteinheiten. Man kann im Bereich der Wortbildung eine

Synthesetendenz beobachten. Es gibt folgende Ursachen für die heute so überaus starke

Zunahme der zusammengesetzten Wörter: der ungewöhnlich große Benennungsbedarf in

allen Bereichen des modernen Lebens, vor allem in Sach- und Fachbereichen; das Streben

nach Verdeutlichung; das Streben nach sprachlicher Ökonomie. Hierfür können auch

stilistische Gründe angeführt werden: Zusammensetzungen sind prägnanter und

anschaulicher als Wortgruppen. Gegenwärtig versucht man ganze Teilsätze durch ein

einziges Wort zu ersetzen z.B.: „Polizeihund“ statt „der Hund der Polizei“ oder „Heimarbeit“

für „Arbeit, die im eigenen Heim geleistet werden kann“. Für Wortzusammensetzung werden

vor allem zahlreiche fachsprachliche Ausdrücke genannt: Diskettenlaufwerksbeschreibung,

Fassadenvollwärmeschutzbehandlung, Halogen-zusatzscheinwerfeangebot,

Drehstromantriebstechnik,Umsatzsteuerdurchführungsverordnung,

Wischwasserpumpenmotor. Die Forscher behaupten, dass die Wortzusammensetzung durch

die starke Komprimierung zwar verkompliziert wird, aber doch ein wirksames Mittel

sprachlicher Ökonomie darstellt. Man kann in der deutschen Sprache der Gegenwart eine

Tendenz zur Substantivierung (2) beobachten. Auch diese Veränderung kann dem

sprachökonomischen Prinzip zugeordnet werden. Substantivierungen sind besonders in der

Verwaltungs – bzw. Behördensprache gebräulich. Viele Sprachforscher beklagen in der

letzten Zeit die Tatsache, dass die Bildlichkeit der deutschen Sprache zunehmend verblasst

– ein Vorgang, der seit dem 19. Jahrhundert beobachtet werden kann. Den Vorgang der

Abstrahierung (3) begünstigt vor allem der Nominalisierungs-/Substantivierungsprozess

Einige Konkreta werden abstrakt und auch Spracheinheiten mit Formmerkmalen des

Abstraktums können konkrete Bedeutungen bekommen.

79

Page 80: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Fazit

Bei der Behandlung der Einflüsse auf die gegenwärtige deutsche Sprache muss man

heutzutage eine andere Situation in Erwägung ziehen:

im Unterschied zu den vorigen Jahrhunderten sind heute durch das

Informationswesen, den Verkehr, die Wirtschaft, die Werbung usw. reiche

Möglichkeiten für Sprachkontakte geboten: durch Zeitungen und

Nachrichtenredaktionen der Rundfunkanstalten, die viele amerikanische

Agenturnachrichten übernehmen, werden viele Fremdwörter in Umlauf gesetzt; diese

erreichen alle Schichten der Bevölkerung

viele Entlehnungen aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Marktforschung, Werbung,

Computer, Schlagerindustrie, Technik und Sport sind zum festen Bestandteil der

deutschen Sprache geworden

das Verkaufswesen, die Öffentlichkeitsarbeit, die Mode und Kosmetik haben den

angloamerikanischen Einfluss verstärkt

die Massenmedien z.B. haben einen starken Einfluss auf den Übergang

fachsprachlicher Fremdwörter in den nichtfachgebundenen Gebrauch und damit auf

deren Entterminologisierung, sie können auch die Frequenz der Übernahme

beeinflussen

VORLESUNG 6: ENTLEHNUNG FREMDEN WORTGUTES

1. Formen der Übernahme fremden Wortguts im Überblick

Entlehnungen spiegeln historisches Geschehen, Ideologien Modeerscheinungen,

Kulturwandel, aber auch wissenschaftliche und technische Entwicklungen wider. Bei den

Ursachen, die zu sprachlichen Transferenzen geführt haben, spielen außersprachliche und

innersprachliche Faktoren eine entscheidende Rolle. Für die Art und den Umfang der

Schwerpunkte: ⇨ Formen der Übernahme fremden Wortguts im Überblick ⇨ Integrationsgrade ⇨ Ursachen für Entlehnungen (außersprachliche und innersprachliche Faktoren) ⇨ Entlehnungen aus verschiedenen Einzelsprachen ⇨ Romanische Transferenzen ⇨ Slawische Transferenzen ⇨ Germanische Transferenzen ⇨ Transferenzen aus anderen Sprachen

80

Page 81: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Übernahme fremden (englischen) Wortgutes in die deutsche Sprache können historische,

objektive, linguistische, stilistische, psychologische, soziolinguistische und geografische

Ursachen angeführt werden.2(Vgl. auch weiter unten.) Im Zeitalter der Technik und der

Kommunikation ist die gegenseitige kulturelle und somit auch sprachliche Beeinflussung der

Völker besonders stark. Gegenwärtig dominiert das Englisch-Amerikanische.

Folgende Formen der Entlehnung sind zu unterscheiden.

A. Wortübernahme

1. Lehnwörter: Fremdwörter, die schon assimiliert sind und damit

keine Fremdwörter mehr sind, haben keine Merkmale, die von

heimischen Wörtern abweichen: Fenster, Mauer, Ziegel, Wein

2. aus anderen Sprachen übernommen, in ihrer Struktur und

Bedeutung noch Element anderer Sprachen: Fremdwörter

(Übernahme von Form und Inhalt); Internationalismen: in mehreren

oder vielen (europäischen) Sprachen verbreitet: Universität,

Organisation, Philosophie, Toilette → hauptsächlich auf griech.-lat.

Wörtern begründet; Untergruppe der Fremdwörter

B. Lehnprägung

1. Lehnbildung: Lehnübersetzung: Teil für Teil- Übersetzung, Glied für

Glied wiedergegeben; Lehnübertragung: freiere Übertragung:

Showbusiness, Vaterland

2. Lehnbedeutung: ein fremdes Semem wird heimischen Wörtern

/Formativen zugeordnet, eine Bedeutung aus einer anderen Sprache

wird einem heimischen Formativ zugeordnet, das dadurch ein weiteres

Sem bekommt, eine weitere Bedeutung. Es werden im lexikalischen

Bereich folgende Entlehnungsklassen unterschieden (Polenz 1991, 44

ff.): → Lehnwörter (Studium, clever) → Zitat-Wörter

(Bedeutungsexotismen; auf Sachverhalte im Herkunftsland bezogen:

Siesta, Perestrojka) → Lehnpräfixe (anti, ex-, Mini-) und –suffixe (-

ismus, -ität, -abel, -fizieren) → Lehnübersetzungen (Mehrheit nach

franz. majorite, Eiserner Vorhang nach Churchills Iron Curtain) →

Lehnübertragung (Wolkenkratzer nach engl. Skyscraper, Auflärung

2 vgl. Fleischer (1987, 274f.) und (1993, 88ff.); Munske (²1980, 661ff.); Clyne (²1980, 641ff.); Heller (1982, 211f.).

81

Page 82: Vorlesung Wortschatzerweiterung

nach franz. les lumieres) → Lehnschöpfung (Kraftwagen nach franz.

automobile statt ‚Selbstbeweger‘) → Lehnbedeutung (realisieren in der

Bedeutung ‚erkennen, begreifen, einsehen‘ nach engl. to realize) →

Lehnübersetzung, -übertragung, -schöpfung, -bedeutung werden unter

dem Oberbegriff Lehnprägung zusammengefasst (= innerer

Lehneinfluss)

Die Einflüsse fremder Sprachen schlagen sich also in Lehnwörter, Fremdwörter,

Lehnbedeutungen und Lehnbildungen nieder. Solange das fremde Wort die

ursprüngliche Gestalt beibehält, wird es als Fremdwort bezeichnet.3 Die Art der

Verarbeitung des Lehnguts hängt mit dem Zeitpunkt und den Umständen der Übernahme

zusammen. Der Begriff „Transferenz” oder „Entlehnung” wird definiert als „Übernahme

von Elementen, Merkmalen und Regeln aus einer anderen Sprache“ (Clyne ²1980, 641).

„Entlehnung“ [engl. borrowing/loan – Auch: Interferenz, Transferenz] definiert

Bußmann (1990, 213f.) als „Vorgang und Ergebnis der Übernahme eines sprachlichen

Ausdrucks aus einer Fremdsprache in die Muttersprache, meist in solchen Fällen, in denen

es in der eigenen Sprache keine Bezeichnungen für neu entstandene Sachen bzw.

Sachverhalte gibt”.

In den weiteren Ausführungen rücken in den Mittelpunkt der Betrachtungen die

lexikalisch-semantischen Transferenzen, d.h. die Übertragung von Lexemen (z.B. Dip,

Pizza, Steak) und Bedeutungseinheiten aus einer Abgabe-/Gebersprache in eine

Aufnahme-/Empfängersprache.

Die meisten Neuwörter kommen als Lehngut in die Sprache. Sie werden entweder

direkt in der fremden Form übernommen (Lehnwörter, Fremdwörter, Internationalismen)

oder indirekt mit Mitteln der eigenen Sprache dem fremden Wort nachgebildet

(Sammelbegriff: Lehnbildungen). Schließlich können auch einheimische Wörter durch

fremden Einfluss eine neue Bedeutung bekommen (Lehnbedeutungen).

Verschiedene Versuche zur Klassifizierung dieser Erscheinung nach dem Grad ihrer

Integration/Assimilation in die heimische Sprache (Fremdwort vs. Lehnwort) haben zu einer

verzweigten und nicht immer ganz durchsichtigen Terminologie4 geführt (vgl. die

Übersichten bei Bußmann 1990, S. 215, König 1994, S. 70, Polenz 1991/1994).

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass angesichts der engen Verwandtschaft

beider Sprachen mit einer hohen Akzeptanz und daher mit einer raschen Eindeutschung zu

3 Manche fremde Wörter bleiben lange Zeit Fremdwörter, während andere ziemlich schnell zu Lehnwörtern übergehen.4 Bußmann (1990, 214).

82

Page 83: Vorlesung Wortschatzerweiterung

rechnen ist. Bei der Entlehnung ist zwischen direkter/äußerer Entlehnung und

indirekter/innerer Entlehnung zu unterscheiden5.

Die terminologische Abgrenzung Fremdwort – Lehnwort erfolgt nach dem Grad der

Eindeutschung. Innerhalb der direkten Entlehnung behält das fremdsprachliche Wort seine

fremde Gestalt (z.B. Camping, Champion, Konto, Garage, Jazz). Es handelt sich um

Fremdwörter, als Wörter fremder Herkunft (d.h. aus nichtheimischen Sprachmaterial

gebildete lexikalische Einheiten), die fremde Merkmale in ihrer formalen Struktur

aufweisen.6 (effektiv, intakt, Rotation usw.)

Fremdes Wortgut unterliegt der Tendenz der Integration in das System der

Empfängersprache (z.B. Großschreibung, deutsche Personalendungen der Verben,

Genuszuweisung, phonetische Eindeutschung, Eingliederung in das Wortbildungssystem;

hybride Bildungen des Typs Grundprinzip, Telekommunikation, Arbeitsökonomie,

Arbeitsmethode, Bau-Boom, Bioschlamm, Starangebot sind Wortbildungkomplexe aus

heimischen und fremden Bestandteilen, die oft der Bedeutungsdifferenzierung dienen. Viele

dieser Einheiten haben einen wesentlichen Anteil am terminologischen System in

Wissenschaft und Technik.). Mit fortschreitender Integration verändert sich ein großer Teil

der Fremdwörter zu Lehnwörtern. Diese sind ihrer Herkunft nach fremd, zeigen aber in

ihrer formalen Struktur keine auffälligen fremden Merkmale mehr (völlige Anpassung an die

Empfängersprache): Nase, Keller, Ziegel, Wein.

Die Tendenz zur Internationalisierung zeigt sich am deutlichsten in den

lexikalischen Lehneinflüssen aus dem Englisch-Amerikanischen. Zum Lehngut gehören

nach Wolff (1994, 242 f.):

evidente Einflüsse:

direkte Übernahmen: Flop, Zoom, Midlife Crisis, Freak, Talkshow,

Skateboard, Recycling, Sex, Power;

Scheinentlehnungen: Dressman, Showmaster, Pullunder, Teenies;

semantische Veränderung: City („Innenstadt“), Gag („originelle

Neuerung“), Slip (engl. pants, briefs), Smoking (engl.dinner jacket);

formale Veränderung: Happy-End (engl. happy ending), last not least

(engl. last but not least);

5 Schippan (1992, 263) vermerkt, dass die direkte Entlehnung „meist auf dem Weg der Sachentlehnung, der literarischen und kontaktiven Übernahme” erfolgt. Bei der indirekten (vermittelten) Entlehnung wird „ein Wort einer Sprache über ein anderes Land vermittelt”, wie z.B. Meeting, Festival aus dem Englischen über das Russische ins Deutsche kamen. Weiterhin bei Schippan: „Wurde ein germanisches/deutsches Wort in eine andere Sprache übernommen und kehrte von dort zurück, spricht man von R ü c k e n t l e h n u n g”. (Salon, Balkon)6 vgl. Fleischer (1987, 276).

83

Page 84: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Mischkomposita: Haarspray, Fernseh-Feature, Popsänger,

Matchball.

latente Einflüsse:

Lehnübersetzung: Geburtenkontrolle (engl. birth-

control),Lebensqualität (quality of life), schweigende Mehrheit (silent

majority), Blutbank (blood bank)

Lehnübertragung: Einbahnstraße (one-way-street), Flughafen

(airport), Marschflugkörper (cruise missile), Luftbrücke (air-lift)

Lehnschöpfung: Kunststoff (für plastics), bügelfrei (für non-iron), oben

ohne (für topless), Luftpirat (für skyjacker)

Lehnbedeutung: kontrollieren/beherrschen (nach to control),

realisieren/erkennen, bemerken (nach to realize), Ebene (nach level),

feuern/entlassen (nach to fire), Kopie/Exemplar (nach copy)

Lehnwendung: grünes Licht geben (to give green light), das macht

keinen Sinn (that does not make sense), jmdm. die Schau stehlen (to

steal a show)

Lehnsyntax: in 1998 (statt „im Jahre 1998“), in anderen Worten (statt

„mit anderen Worten“), für eine Woche (statt „eine Woche lang“).

Das innere Lehngut kann in folgende Subgruppen eingeteilt werden. Es geht hier um

Entlehnungsarten, die schlecht unter dem Begriff “Fremdwort” gefasst werden können; es

handelt sich um Benennungen, die unter Verwendung von sprachlichen Mitteln der

Empfängersprache zustandekommen und die unter dem Begriff „Lehnprägung“ subsumiert

werden. (Beispiele nach Munske (1980, 666) und Stedje (1989, 24)). Lehnprägung [engl.

calque – Auch: Abklatsch, Calque, Kalkierung] gilt als Oberbegriff für alle Formen von

semantischer Entlehnung. Definiert als Vorgang und Ergebnis der Nachbildung eines

fremdsprachlichen Inhalts mit den Mitteln der Muttersprache. Während bei Entlehnung in Form

von Fremdwörtern bzw. Lehnwörtern im engeren Sinne ein fremdes Wort und sein Inhalt in die

eigene Sprache übernommen werden, beruht die Lehnprägung auf der Anpassung der

eigenen Sprache an neue Inhalte. Die Adaption der neuen Inhalte kann auf verschiedene

Weise erfolgen:

Bei Lehnbedeutung durch Wandel bzw. Erweiterung der Bedeutung heimischer

Wörter. Lehnbedeutung definiert als Bedeutung, die ein Wort unter fremdsprachlichem

Einfluss annimmt, wodurch eine Umdeutung der ursprünglichen Bedeutung bzw. eine

Bedeutungserweiterung stattfindet. D.h. es geht hier um die Entlehnung der

84

Page 85: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Bedeutungen laut- oder bedeutungsähnlicher Wörter aus einer fremden Sprache (z.B.

realisieren (= verwirklichen) hat durch engl. Interferenz (to realize) die Lehnbedeutung

‚einsehen‘, ‚begreifen‘ erhalten; buchen in der Bedeutung ,in ein Rechnungsbuch

eintragen’ hat zusätzlich eine neue Lehnbedeutung aus dem engl. book bekommen:

‘einen Platz bestellen’). D.h. nur die Bedeutung und nicht das Wort wird bei einer

Lehnbedeutung übernommen und auf ein einheimisches Wort übertragen.

Lehnbedeutungen entstehen oft durch Interferenzen bei Sprachträgern, die die fremde

Sprache gut beherrschen. Semantische Transferenzen aus dem Englischen ins

Deutsche sind durch den hohen Verwandtschaftsgrad zwischen den beiden Sprachen

bedingt. Auffallend ist, dass Bedeutungserweiterungen von Lexemen einer Sprache

nach dem Vorbild einer anderen Sprache nicht nur auf der Klangähnlichkeit beruhen,

sondern auch die inhaltsbezogene Teilidentität zwischen Lexemen der beiden

Sprachen berücksichtigen, z.B. feuern ‚hinauswerfen, entlassen‘ nach engl. fire.

Bei Lehnschöpfung durch formal unabhängige Neubildung. Lehnschöpfung definiert

als Vorgang und Ergebnis der Übernahme der Bedeutung eines fremdsprachlichen

Ausdrucks durch formal relativ unabhängige Nachbildung in der eigenen Sprache

(Umwelt für Milieu, Hochschule für Universität, Weinbrand für Cognac).

Lehnschöpfungen können fremde Wörter ablösen oder ersetzen7: dt. Kraftwagen <

griech. autos + lat. mobilis < Automobil, dt. Niet[en]hosen < engl. Bluejeans, dt.

Weinbrand< franz. Cognac, dt. Fahrrad < franz. velocipede.

Durch Lehnübersetzung, definiert als Vorgang und Ergebnis einer genauen Glied-für-

Glied wiedergebenden Übersetzung eines fremdsprachlichen Vorbilds in die eigenen

Sprache (z.B. Halbwelt < frz. demi-monde; Wandzeitung < russ. stengazeta;

Fünftagewoche < engl. five-day-week; Nuklearwaffen < engl. nuclear weapons;

Wolkenkratzer < engl. sky scraper; Entwicklungsland < engl. developing country;

Gipfelkonferenz < engl. summit conference; das Beste aus etwas machen < engl. to

make the best of it; Gehirnwäsche < engl. brainwashing; kalter Krieg < engl. cold war;

Luftbrücke < engl. air lift; schweigende Mehrheit < engl. silent-majority;

Selbstbedienung < engl. self-service; Taschenbuch < engl. pocket book; Tagesordnung

< franz. ordre de jour. Bei der Übertragung/Übersetzung wird auch den

identischen/ähnlichen semantischen äquivalenten Wortbildungsmuster Rechnung

getragen: public relations > öffentliche Beziehungen (Öffenntlichkeitsarbeit,

7 Das neugebildete Wort hat keine direkte Übersetzung oder Teilübersetzung.

85

Page 86: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Beziehungen zur Öffentlichkeit). Auch Dampfmaschine (für engl. steam maschine),

Geistesgegenwart (für frz. presence d’esprit) gehören hierher.

Durch Lehnübertragung als freiere Form der Übersetzung, im Unterschied zur Glied-

für-Glied-Wiedergabe der Lehnübersetzung basiert die Lehnübertragung auf einem

freieren Umgang mit dem fremdsprachlichen Ausgangswort, das durch eine

angenäherte Übersetzung (Wolkenkratzer für engl. skyscraper) oder aber genauere

Ausdeutung (Vaterland für lat. patria) wiedergegeben wird. D.h. es geht hier um

Teilübersetzungen, freiere Übertragungen von Wörtern einer fremden Sprache (z.B.

Halbinsel < lat. paeninsula [= Fast-insel], Vaterland < lat. patria, Erdkunde < lat.

Geographia [= Erdbeschreibung]).

86

Page 87: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Fremdwörter

Die Erscheinung „Fremdwort” ist nicht nur als Terminus schwer abgrenzbar, sondern auch

zu einem umstrittenen Thema geworden. Einen aus einer fremden Sprache übernommenen

Ausdruck (meist zugleich mit der durch in bezeichneten Sachverhalt), der im Unterschied

zum Lehnwort sich in Aussprache, Schreibung oder Form noch nicht an das System der

Muttersprache angepasst hat, bezeichnet man als Fremdwort.

Bei synchronischer Sprachbetrachtung können Lehnwörter von deutschen Wörtern

nicht unterschieden werden, da sie dem deutschen Sprachsystem angepasst wurden. Bei

der Abgrenzung Lehnwort - Fremdwort sind für Schippan (1987, 264) folgende Kriterien

relevant: die morphematische Struktur (das entlehnte Wortgut hat deutsche

Flexionsmerkmale angenommen – Plural- und Kasusbildung, Konjugation, Komparation,

Genuszuweisung, Eingliederung in Wortbildungsparadigmen, Bildung von Komposita und

Derivaten, hybride Bildungen aus deutschen und fremden Morphemen); Lautung,

Akzentuierung, Graphematik; Geläufigkeit/Textfrequenz.

Die Sprachimporte unterliegen einer ständigen Tendenz der Integration in das

System der Empfängersprache. Aus diesen Gründen ist zwischen den Fremdwörtern und

den als heimische Wörter aufzufassenden lexikalischen Einheiten ein breites Übergangsfeld

angesetzt worden, so dass die Scheidung in Fremd- und Lehnwort zweifelhaft erscheint.

Hier wird deutlich, dass sich die Sprache weiterentwickelt, die Grenzen zwischen diesen

beiden Erscheinungen fließend sind. Wörter8 fremder Herkunft, die als solche nicht mehr

erkennbar sind, weil sie im Deutschen heimisch geworden sind, werden als Lehnwörter

ausgegrenzt. Fremdwörter sind entweder als „fertige” Wörter aus anderen Sprachen

entlehnt (Camping, Sputnik) oder innerhalb des Deutschen aus fremdsprachigen

Morphemen oder Morphemkomplexen gebildet worden (Telekommunikation). Fremdwörter

werden manchmal in einer lexisch-semantischen Variante übernommen und erfahren nach

der Übernahme eine eigenständige Entwicklung.

Das entlehnte Wort kann in einer von der Ausgangssprache sich unterscheidenden

Variante auftreten. Der Prozess der Inkorporierung findet stufenweise statt. Manche

Sprachimporte bereiten nicht selten Schwierigkeiten beim Verstehen oder Unsicherheiten

hinsichtlich der Genuszuordnung9 (der Curry oder das Curry; der Campus oder das

8 Auch Wortbildungsmittel können entlehnt werden. Diese erscheinen entweder eingedeutscht oder bereichern als Fremdaffixe das deutsche Inventar an Wortbildungselementen: anti-, super, mini-, neo-, -and, -ieren usw.9 Das Genus der fremdsprachlichen Wörtern richtet sich in der Regel entweder nach den möglichen Synonymen der Aufnahmesprache oder nach formalen Kriterien.

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Page 88: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Campus?) oder der Pluralbildung (die Posters oder die Poster? die Regimes oder die

Regime? die Modems oder die Modeme?). Neben den vom Deutschen abweichenden

Formen Atlanten oder Kommata treten im Laufe der Zeit nach deutschem Muster gebildete

Formen auf: Atlasse, Kommas. Auch hybride Bildungen rufen Unsicherheiten hinsichtlich

der Plural-, Kasus- und Genusbildung hervor. Siehe die Pluralbildung bei Hobby oder

Baby. Die Unsicherheit zwischen –ies oder –ys lässt sich nach Höhne (1991, 205) mit der

Unkenntnis über den Eindeutschungsgrad eines solchen Lexems erklären. Eine „sinnvolle

Lösung” sieht Höhne in der Umformung der englischen in eine deutsche Endung: Hobbi und

Babi.

Probleme tauchen auch bei der Verb-, Partizip- und Adjektivbildung auf. Die von

Substantiven abgeleiteten Verben (Desubstantiva) und Anglizismen haben die größte

Verbreitung unter den Verbneubildungen. Fremdsprachliches wird dem deutschen

Wortbildungs- und Flexionssystem angepasst. Das Verb leasen, das gelegentlich mit

mietkaufen verdeutscht wird, gehört inzwischen dem alltäglichen Sprachgebrauch an. Die

Mehrzahl der Verben und Präfixverben englischer Herkunft erscheinen in den technischen

Fachsprachen: (saven, canceln), aber auch im gruppenspezifischen Sprachinventar

Jugendlicher (anturnen, ausgepowert, anpowern, relaxen). Testen, clonen bereiten keine

Schwierigkeiten bei der Einordnung in die deutsche Syntax, anders aber stop, handle.

Weiter oft gebrauchte Verben sind u.a. outsourcen, piercen, talken, designen, mailen,

stretchen. Deutlich zugenommen haben die Zusammensetzungen. Neubildungen sind:

diäten, pillen, müdeln, schlagzeilen, sich anhübschen10, aber auch sandstrahlen, fussballen,

urlauben, kuren, freizeiten, cd-romisieren, stossseufzen, bauchreden.

Das fremde Wortgut wird unterschiedlich in eine Sprache aufgenommen: (a)

Übernahme von Formativ und Bedeutung; (b) manche Fremdwörter werden nur mit einem

ihrer Sememe übernommen; (c) Fremdwörter können Eigenschaften annehmen, die sich

von ihrem Gebrauch in der Gebersprache unterscheiden. Für viele Entlehnungsvorgänge

sind Bedeutungsverschiebungen kennzeichnend: Nach der Übernahme eines Ausdrucks in

eine andere Sprache ändert dieser nicht nur seine Form, sondern oft auch seine

Bedeutungen. So bezeichnete Serviette im Französischen kein Mundtuch, sondern ein

Handtuch. Spleen wurde nur mit der bedeutung „üble Laune, Ärger” aus dem Englischen

übernommen und nicht in der Bedeutung „Milz”.

Im Folgenden soll auf Eigenheiten des Englischen hingewiesen werden, die ins

Deutsche eingedrungen sind. Beobachtbar ist die Getrenntschreibung der Komposita

10 Glück/Sauer (1990, 92).

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Page 89: Vorlesung Wortschatzerweiterung

(Windows Anfänger, Support Datei) oder die Großschreibung einzelner

Kompositaelemente im Wortinneren (Inter City Treff). Auch im Bereich der Adjektive ist die

Tendenz erkennbar, die englische Steigerungsform ins Deutsche zu übernehmen (mehr

interessant, am meisten nützlich). Viele Anglizismen werden „deutsch“ ausgesprochen, die

englische Aussprache würde lächerlich wirken: Sport, Moderator, Poker. Eine eigenartige

und oft fehlerhafte Mixtur aus amerikanischem Englisch und Deutsch trifft man nicht nur in

der Computerbranche an. HobbySwingerin, coming-out, Popsänger, Jetflug, Auftragsboom,

Ärzteteam, gefightet, handgefinishte Damenbekleidung, gehandikapte Mannschaften,

grillen, killen, trampen sind Beispiele für eine Mischsprache, eine Vermischung deutscher

und englischer Wörter (Denglitsch, Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng).

Auch zahlreiche Anzeigen z.B. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ können als

Beispiele für „code-mixing“ (Area Sales Manager Fernost, JuniorProdukt Manager)

angeführt werden. Manche Anzeigen folgen der deutschen Schreibweise (Spezialist,

Produkt), andere zeigen eine Vorliebe für die englische Orthographie (Specialist, Product,

Coordinator, Controller) – in Anlehnung an das Englische. Die englische Schreibart

erscheint auch in zahlreichen Werbeanzeigen (exclusiv, creativ, club). Englische Begriffe

erscheinen selbst dort, wo deutsche Äquivalente vorhanden sind, so wie bei Engineering für

Ingenieurwesen oder Food für Nahrung. Es erscheinen auch Stellenangebote, die gänzlich

in der englischen Sprache verfasst wurden (und in denen selbstverständlich hingewiesen

wird, das ausgezeichnete Englischkenntnisse gefragt sind), oder in denen abgeleitete

Berufsbezeichnungen aus dem Englischen auftauchen: Vertriebsberaten/in,

Banking/Finance Hauptabteilungsleiter/in Finance Manager, Top-Position in Seoul, General

Manager Südkorea, Director Finance Northern Europe, Customer-Support-Representative

usw. (Vgl. Stan, 1997, 3). Manche Bezeichnungen in Stellenangeboten sind identisch mit

denen in amerikanischen Firmen (Management Consultant; Marketingmanager/in).

Das Englische beeinflusst das Deutsche aber auch auf eine andere, weniger

auffälligere Art. Angesprochen sind die heimlichen Anglizismen, Wörter oder Wendungen,

die sich auf einen ersten Blick deutsch ausnehmen, aber englischer Herkunft sind. Es geht

entweder um Übersetzungen; oder ein fast vergessenes Wort erhält unter englischem

Einfluss zusätzlich eine neue Bedeutung; oder seine alte Bedeutung wurde von einer aus

dem Englischen stammenden Bedeutung verdrängt: realisieren in der Bedeutung von to

realize „verstehen, sich klarmachen”; kontrollieren in der Bedeutung von „beherrschen”,

konfirmieren in der Bedeutung von „bestätigen” verwendet; feuern bedeutete einst

“rotwerden” später „heizen”, in Anlehnung an to fire bedeutet es heute „hinauswerfen”,

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Page 90: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Administration bedeutete früher „Verwaltungsbehörde”, heute bedeutet das Wort nach

Washingtoner Vorbild der gesamte gewählte „Regierungsapparat”. Kompetenz bedeutete

„Zuständigkeit”, die heutige Bedeutung hat sich zu – ebenfalls nach dem englischen Vorbild

– „Befähigung” erweitert. Die Quellen solcher Anglizismen: sind u.a. flüchtige

Synchronisationen von Filmen, Fernsehspielen (Billion statt Milliarde, Sodium statt Natrium,

Ich sehe Ihren Punkt (engl. „I see your point”), jmdm. die Schau stehlen (engl. to steal the

show), habt eine gute Zeit (engl. have a good time), das macht keinen Sinn oder in 1999

wird etw. passieren, einmal mehr (engl. once more) statt „noch einmal”, Rechte und

Verantwortlichkeiten (anstatt „Rechte und Pflichten”; in Anlehnung an das engl. rights ans

responsabilities), nicht notwendigerweise (anstatt „nicht unbedingt”; in Anlehnung an das

engl. not necessarily), nicht länger für nicht mehr, Dies ist mein Platz (anstatt „Hier bin ich

Zuhause”; in Anlehnung an das engl. This is my place).

Oft werden nach englischem Vorbild neue Wörter gebildet, Wörter, die im

englischsprachigen Raum nicht existieren: Know-how, bodysuit, handy. Zum einen geht es

auch um die vermehrte Verwendung des Buchstabens „c“ (Club, Focus, Casino,

Cassette), andererseits handelt es sich um den „englischen“ Genitiv und die

Pluralbildung. Zum falschen Gebrauch des Apostrophs (in Udo‘s Kneipe, Gaby‘s Laden,

Robert’s Haarstudio, Internat. Drink’s, oder Petra‘s Boutique) sind z.B. im „Fachdienst

Germanistik“ zahlreiche Artikel aus der deutschen Presse erschienen. Die Frage, woher die

Entwicklung vom „genitivus idioticus” zum „pluralis aberratis” komme, habe jedoch

keine befriedigende Antwort erfahren. Bei der Einfuhr von englischen Wörtern und

Ausdrücken können Fehler auftauchen. Z.B. Body (statt Bodysuit) und Know-How (statt

expertise), Handy (statt cellular phone). Handy existiert im englischen Sprachgebrauch

ebensowenig wie Smoking. Auch die Gefahr der „falschen Freunde“ ist groß. So bedeutet

eventually nicht eventuell und familiar nicht familiär. Problematisch ist auch die direkte

Übersetzung von englischen Wendungen wie not really, das heute mit nicht wirklich

übersetzt wird, während es nur nicht heissen hätte können. Ein anderer Aspekt, der

ärgerlich ist, ist „die umstandslose Gleichsetzung“ gleichlautender Worte im Englischen und

im Deutschen, die immer öfter vorkomme, bemerkt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

(29.12.1999)11 – ein warehouse sei eben kein Warenhaus, ein sword sei nur selten ein

Schwert, und to sail bedeutete nicht unbedingt nur segeln. Außer Fremdwörtern, die als

11 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 5/2000, S. 6.

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Page 91: Vorlesung Wortschatzerweiterung

selbständige Wortschatzelemente in der gegenwärtigen deutschen Sprache vorkommen,

treten noch gebundene Fremdelemente auf als Konstituenten von Phraseologismen.

Im Bereich der Idiomatik schlagen sich die Entlehnungen aus dem Englischen in

Lehnübersetzungen bzw. –übertragungen nieder: grünes Licht geben/bekommen, in

einem/im gleichen Boot sitzen (engl. to be in the same boat), das Gesicht wahren/retten

(engl. to save one‘s face),(jmdm.) unter die Haut gehen/dringen (engl. to get under

someone‘s skin), jmdm. die Schau stehlen (engl. to steal someone‘s show), etw. macht

keinen Sinn (engl. it does not make any sense). Das Englische ist vor allem in den letzten

beiden Jahrzehnten in die deutsche Idiomatik eingedrungen: last (but) not least, in/out sein,

etw. live übertragen, (völlig/…) down sein12,wait and see usw. Crème de la crème, Don

Juan, Don Quichotte, enfant terrible, Femme fatale, First lady, Grand Old Lady, Haute

Couturier, Homme de lettres, Homo faber, Homo ludens, Homo sapiens, Native speaker,

Spiritus rector, Upper ten, Uncle Sam, Postillon d’amour, Commis voyageur, Maitre de

plaisir, Avocatus Dei, Avocatus Diaboli, Persona grata, Persona ingrata, Persona nongrata

setzen als “bildungssprachlich” markierte festgeprägte Fügungen in lateinischer, englischer

oder französischer Formulierung einen erweiterten Bildungshorizont voraus (Braun 1991,

58).

Fremdwörter haben einen großen Anteil an dem terminologischen Begriffsapparat

in Wissenschaft und Technik. Es wäre falsch, bestimmte Fachwörter durch heimische

Äquivalente zu umschreiben. Hier wäre aber zu vermerken, dass in bestimmten Situationen,

z.B. in dem medizinischen Bereich in vielen Fällen neben dem fremdsprachigen Terminus

(Hepatitis) auch eine deutsche Entsprechung (Gelbsucht) vorkommt, und die Verwendung

variiert je nach Textsorte und Kontext. Darüber hinaus kommt es vor, dass sich für den

fremden Begriff auch in der wissenschaftlichen Kommunikation das deutsche Äquivalent

durchgesetzt hat (s. Herzschrittmacher), andererseits können fremdsprachige Termini im

nichtfachlichen Alltagsverkehr vorkommen oder beide Bezeichnungen (fremde/deutsche)

paralell verwendet werden.

Lehnwörter

Nach dem Grad der Eindeutschung bezeichnet man Entlehnungen, die dem deutschen

Sprachsystem völlig inkorporiert und angeglichen sind, nicht mehr als fremd anerkannt

werden, als Lehnwörter, d.h. mit fortschreitender Integration verändert sich ein großer Teil

der Fremdwörter zu Lehnwörtern. (Fleischer/Michael 1975, 205)

12 vgl. Schemann (1993, XCVII).

91

Page 92: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Aus synchronischer Perspektive ist die Unterscheidung Lehnwort – Fremdwort nicht

einfach; andererseits kann ein Sprachteilhaber ein Erbwort als fremd empfinden, ein

Fremdwort als deutsches Wort betrachten.

Bußmann (1990, 445f.) unterscheidet: (1) Lehnwort im engeren Sinn. Im

Unterschied zum Fremdwort geht es um Entlehnungen einer Sprache A aus einer Sprache

B, die sich in Lautung, Schriftbild und Flexion vollständig an die Sprache A angeglichen

haben: dt. Fenster aus lat. fenestra, dt. Wein aus lat. vinum, frz. choucroute aus dt.

Sauerkraut. (2) Lehnwort im weiteren Sinn definiert als Oberbegriff für Fremdwort und

Lehnwort im Sinn von (1). Bei dieser Verwendung wird zwischen lexikalischen und

semantischen Entlehnungen (Lehnprägungen) unterschieden. Bei lexikalischen

Entlehnungen wird das Wort und seine Bedeutung (meist zusammen mit der „neuen”

Sache) in die eigene Sprache übernommen und als Fremdwort (= nicht assimiliertes

Lehnwort), wie Psychologie, Flirt, Sputnik, oder als assimiliertes Lehnwort im engeren Sinn

(Beispiele unter 1) verwendet.

Scheinentlehnungen

Schippan (1992, 268f.) verweist auf Lehnert (1986, 59), der von „Falsch- und

Scheinentlehnungen“ spricht, der den häufigen Umgang mit englischem Wortgut als Grund

nennt, weshalb man „nach freiem Ermessen“ aus englischem Wortmaterial morphologisch,

lexikalisch und semantisch in Großbritanien und den USA unbekannte deutsche „Schein- und

Falschentlehnungen”, englische „Geisterwörter (ghost-words)“ bildete (als Beispiele führt er

u.a. Twens oder Talk-Master an). Viele Lehnwörter decken einen Bedarf, füllen eine Lücke

aus, andere werden aus Prestigegründen aus fremden Sprachen übernommen, sie sind

„Luxuslehnwörter“ (Stedje 1989, 169) [auch “Bedürfnis- und Luxusentlehnungen”

(Carstensen zit. von Donalies 1992, 103)] Hierher gehören auch die „vorgetäuschten“

Fremdwörter, die sogenannten Scheinfremdwörter, die es in z.B. in der englischen Sprache

gar nicht gibt. Scheinentlehnungen sind Fremdwörter, die nur scheinbar aus einer fremden

Sprache entlehnt wurden. Sie sind Scheinfremdwörtern (Pseudoanglizismen). Diese Wörter

gibt es in diesen Bedeutungen zumindest in der Gebersprache überhaupt nicht. Z.B. Twen (zu

engl. twenty) [= ’Person zwischen 20 und 29 Jahren’], eine Wortschöpfung der deutschen

Bekleidungsindustrie (vgl. auch Pullunder, Smoking13, Dressman), aber auch Beamer,

13 Nach engl. smoking jacket nachgebildet; Goalgetter als Bezeichnung für den Torjäger/-schütze nach engl. goal scorer nachgebildet.

92

Page 93: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Dressman, Handy, Happy End, Shakehands, Talkmaster/Showmaster statt data projector,

male model, mobile, cell, mobile phone, cell phone, cellular phone, happy ending, handshake,

host. Scheinentlehnungen zielen auf die gleichen Effekte, die „wirkliche“ Entlehnungen haben.

Sie führen semantische Neuerungen bzw. Differenzierungen herbei (Kettemann 2002, 68f.).

Internationalismen

Eine besondere Gruppe von Fremdwörtern sind die Internationalismen, die sich durch eine

übereinzelsprachliche Geltung auszeichnen. Als Erscheinungen, die in vielen (meist genetisch

verwandten) Sprachen vorkommen und die jeweils eine Ursprungssprache aufweisen

(Griechisch, Lateinisch, Englisch, Französisch) werden sie annähernd bedeutungsgleich

verwendet (Auto, Radio). Ihr häufiger Gebrauch in Massenmedien ist auf ihre leichte

Verständlichkeit zurückführbar, trotz den oft sprachspezifischen Bedeutungen, die viele von

ihnen charakterisieren. Zu den modernen Internationalismen gehören viele Fremdwörter aus

Wissenschaft, Technik, Politik, Freizeitgestaltung (Computer, Laser, Radar, Finale), d.h.

Lexikoneinheiten, die Begriffe der modernen internationalen wirtschaftlich-technischen

Entwicklung bezeichnen. Aufgrund der starken Internationalisierung der Kommunikation wird

die Veränderung der lexikalischen Einheiten auf ein Mindestmaß reduziert, um eine eindeutige

und schnelle Verständigung zu gewährleisten. Internationalismen sind Wörter mit gleicher

Bedeutung und mit gleicher/ähnlicher Form in verschiedenen Kultursprachen. Viele

Lehnwörter werden zu Internationalismen vor allem in den verschiedenen Fachsprachen. Sie

sind aus lateinischen und griechischen, manchmal auch englischen Wortstämmen gebildet

und gelangen oft durch Vermittlung des Englischen ins Deutsche: Infrastruktur, Diskothek,

Super-Ego, Kybernetik, Morphem, optimal usw. Internationalismen sind Wörter, die

international gebräuchlich sind und die sich der Aufnahmesprache angepasst haben. In

gleicher Bedeutung sind sie oft als Termini im Gebrauch: dt. Theater, engl. theatre, franz.

theatre, russ. teatr. Nach Decsy (1973 zit. nach Braun 1987, 195 ) ist jedes Wort, das aus

einer anderen großen Sprache (Deutsch, Russisch, Spanisch, Italienisch) stammt und in einer

größeren Anzahl von Sprachen verbreitet ist, ein Internationalismus (z.B. franz. civilisation,

engl. civilization, dt. Zivilisation, russ. ziwilisazija stellen mehrere Lexeme dar, die zusammen

genommen einen Internationalismus ausmachen). Wenn Unterschiede in der Bedeutung eines

international gebrauchten Wortes auftauchen, dann sind das “falsche Freunde”, d.h. die

Audrucksseite kann in unterschiedlichen Sprachen gleich oder ähnlich sein, semantisch

jedoch auseinandergehen. So hat Chef im Deutschen die Bedeutung “Vorgesetzer, Leiter

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Page 94: Vorlesung Wortschatzerweiterung

einer Dienst- oder Arbeitsstelle”, im Englischen aber die Bedeutung “Chefkoch”, während im

Französischen beide Bedeutungen auftauchen. Für das Zustandekommen von

Internationalismen z.B. in der deutschen, englischen und französischen Sprache nennt Braun

(1987, 194) u.a. folgende Ursachen: die indoeuropäische Sprachverwandtschaft;

wechselseitige Entlehnungen aus den drei (oder anderen) Sprachen; Entlehnungen aus

nichteuropäischen Sprachen; Sprachkonventionen in übernationalen Institutionen (Kirchen,

Verbände); Sprachregelungen in internationalen Fachsprachen; Informationsaustausch durch

internationale Nachrichtenagenturen. Auch nichteuropäische Sprachen übernahmen mit der

Technik den Internationalismus: televiz‘jon (arabisch), talivinyen (malaysisch), terebijon

(japanisch). Die meisten Internationalismen sind vor 1945 entlehnt worden. Viele dieser Wörter

gehören zu den Standardwortschätzen vieler europäischer Sprachen; Jahr für Jahr kommen

neue Internationalismen hinzu. Die Tendenz der zunehmenden Internationalisierung lässt sich

auch daran erkennen, dass die jüngeren Entlehnungen nicht mehr in dem Maße angepasst

bzw. integriert werden, wie das bei älteren Entlehnungen zu beobachten war. Die Vorteile

internationaler Wortschätze liegen auf der Hand. Sie können die Alltagskommunikation

zwischen den Menschen verschiedener Herkunftssprachen erheblich erleichtern, sie haben im

Hinblick auf den Fremdsprachenerwerb bzw. –unterricht einen hohen Gebrauchswert. Darüber

hinaus geben sie Aufschluss über die geschichtlichen und kulturellen Kontaktvorgänge

zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften.

Bezeichnungsexotismen

Deutlich von den Internationalismen abzuheben sind die sogenannten

Bezeichnungsexotismen/Bedeutungsexotismen (auch „Zitat-Wörter“) als Bezeichnungen

für landesspezifische Realien/ Gegenbenheiten des Herkunftlandes (z.B. Währungseinheiten

Lira, Lewa, Rubel, Dinar, Lei oder für Namen oder Titel (Wojewode, Lord), die international in

verschiedenen Sprachen für das gleiche Denotat gebraucht werden (vgl. Fleischer 1993, 88):

Samowar, Siesta, Safari, Forint, Queen, Harakiri, Datscha, Geisha, Iglu, Kreml. Die Denotate

auf die diese Fremdwörter Bezug nehmen, gehören der Realität nur derjenigen

Sprachgemeinschaften an, aus der die Bezeichnung stammt. Wesentliches Merkmal der

Exotismen ist ihre „ausschließliche Verwendbarkeit im Rahmen einer spezifisch fremder

Situation“ (Bellmann ²1980, 684).

2. Integrationsgrade

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Page 95: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Die Transferenzen werden nach den unterschiedlichen Arten/Graden der Integration in das

deutsche Sprachsystem (Assimilation, Eingliederung, Eindeutschung) gegliedert:

phonemische Integration, graphemische Integration, flexivische Integration (fremdsprachliche

Pluralendungen können durch deutsche ersetzt werden: Verben statt Verba, Kommas statt

Kommata), Wortbildungs-Integration (Kombinierbarkeit mit ererbten, indigenen

Wortbildungselementen), semantische Integration (entlehnte Wörter können innerhalb des

deutschen Wortfeldes einen eigenen Platz einnehmen und dadurch eine

Bedeutungsveränderung benachbarter deutscher Wörter verursachen; ein Lehnwort kann in

einer von der Herkunftssprache teilweise abweichenden Bedeutung verwendet werden: so

bedeutete das in der Barockzeit entlehnte Wort Konversation häufig ein oberflächliches und

unverbindliches Gespräch; im Englischen und Französischen aber „Gespräch” allgemein;

dieses Lehnwort ist bei der Eingliederung in das deutsche Wortfeld semantisch eingeschränkt

worden), sprachsoziologische Integration (ein Lehnwort ist in einem geringen Grad integriert

worden, wenn es nur in exklusiven Kreisen - Eliten, unter den Fachleuten - gebraucht wird).

Da die Integration auf den verschiedenen Sprachebenen unterschiedlich wirkt, ergeben

sich Integrationsarten; damit wird die traditionelle Zweiteilung in → Fremd- und Lehnwort

fragwürdig. Manager ist nach der alten Einteilung auf grafemisch-phonemischer Ebene nicht

ins deutsche Sprachsystem integriert worden; Manager wird als Fremdwort eingestuft, obwohl

das Wort flexivisch und auch wortbildungsmäßig, semantisch und sprachsoziologisch voll

integriert ist.

Lehnwörter: nach dem Grad der Eindeutschung bezeichnet man Entlehnungen, die dem

deutschen Sprachsystem völlig inkorporiert und angeglichen sind, nicht mehr als fremd

anerkannt werden, als Lehnwörter, d.h. mit fortschreitender Integration verändert sich ein

großer Teil der Fremdwörter zu Lehnwörtern → aus synchronischer Perspektive ist die

Unterscheidung Lehnwort – Fremdwort nicht einfach; andererseits kann ein Sprachteilhaber

ein Erbwort als fremd empfinden, ein Fremdwort als deutsches Wort betrachten.

Bei der gegenwärtigen Fremdwortdiskussion sind zwei Ebenen zu unterscheiden

(1) die Fachdiskussion über die Begriffsbestimmung (die Dreierunterscheidung

Erbwort – Lehnwort – Fremdwort)

(2) die in der Öffentlichkeit lebhaft geführte Diskussion über Nutzen oder Schaden

der Fremdwörter

Die terminologische Abgrenzung Fremdwort – Lehnwort erfolgt nach dem Grad der

Eindeutschung → innerhalb der direkten Entlehnung behält das fremdsprachliche Wort seine

95

Page 96: Vorlesung Wortschatzerweiterung

fremde Gestalt (z.B. Camping, Champion, Konto, Garage, Jazz) → Fremdwörter gelten als

Wörter fremder Herkunft (d.h. aus nichtheimischen Sprachmaterial gebildete lexikalische

Einheiten), die fremde Merkmale in ihrer formalen Struktur aufweisen. Fremdwort: einen aus

einer fremden Sprache übernommenen Ausdruck (meist zugleich mit der durch in

bezeichneten Sachverhalt), der im Unterschied zum Lehnwort sich in Aussprache, Schreibung

oder Form noch nicht an das System der Muttersprache angepasst hat. Fremdwörter sind

entweder als fertige Wörter aus anderen Sprachen entlehnt (Camping, Sputnik) oder innerhalb

des Deutschen aus fremdsprachigen Morphemen oder Morphemkomplexen gebildet worden

(Telekommunikation) . Fremdwörter werden manchmal in einer lexisch-semantischen Variante

übernommen und erfahren nach der Übernahme eine eigenständige Entwicklung → das

entlehnte Wort kann in einer von der Ausgangssprache sich unterscheidenden Variante

auftreten → der Prozess der Inkorporierung findet stufenweise statt. Tendenz: häufig

vorkommende Fremdwörter als heimisch, seltener gebrauchte deutsche Wörter jedoch als

fremd eingeschätzt. Auch Wortbildungsmittel können entlehnt werden; diese erscheinen

entweder eingedeutscht oder bereichern als Fremdaffixe das deutsche Inventar an

Wortbildungselementen: anti-, super, mini-, neo-, -and, -ieren usw. Hybride Bildungen des

Typs Grundprinzip, Telekommunikation, Arbeitsökonomie, Arbeitsmethode, Bau-Boom sind

Wortbildungkomplexe aus heimischen und fremden Bestandteilen, die oft der

Bedeutungsdifferenzierung dienen; viele dieser Einheiten haben einen wesentlichen Anteil am

terminologischen System in Wissenschaft und Technik.

Fremdes Wortgut (Sprachimporte) unterliegt der Tendenz der Integration in das System

der Empfängersprache (z.B. Großschreibung, deutsche Personalendungen der Verben,

Genuszuweisung, phonetische Eindeutschung, Eingliederung in das Wortbildungssystem) →

aus diesen Gründen ist zwischen den Fremdwörtern und den als heimische Wörter

aufgefassten Einheiten ein breites Übergangsfeld angesetzt worden → die Scheidung in

Fremd- und Lehnwort erscheint z.T. Als zweifelhaft → hier wird deutlich, dass sich die

Sprache weiterentwickelt, dass die Grenzen zwischen diesen beiden Erscheinungen fließend

sind. Mit fortschreitender Integration verändert sich ein großer Teil der Fremdwörter zu

Lehnwörtern. Lehnwörter sind ihrer Herkunft nach fremd, zeigen aber in ihrer formalen Struktur

keine auffälligen fremden Merkmale mehr (d.h. völlige Anpassung an die Empfängersprache;

z.B.: Nase, Keller, Ziegel, Wein, Kloster, Vater, Fenster, Pforte, Mauer, Tafel, Most, Winzer,

Trichter, Becher oder Kelch → Lehnwörter: Wörter fremder Herkunft, die als solche nicht mehr

erkennbar sind, weil sie im Deutschen heimisch geworden sind. Bei synchronischer

Sprachbetrachtung können Lehnwörter von deutschen Wörtern nicht unterschieden werden,

96

Page 97: Vorlesung Wortschatzerweiterung

da sie dem deutschen Sprachsystem angepasst wurden. Bei der Abgrenzung Lehnwort -

Fremdwort sind für Schippan (1987, 264) folgende Kriterien relevant:

die morphematische Struktur (das entlehnte Wortgut hat deutsche

Flexionsmerkmale angenommen: Plural- und Kasusbildung,

Konjugation, Komparation, Genuszuweisung, Eingliederung in

Wortbildungsparadigmen, Bildung von Komposita und Derivaten,

hybride Bildungen aus deutschen und fremden Morphemen)

Lautung

Akzentuierung

Geläufigkeit

Textfrequenz

Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort

 die Unterscheidung ist in manchen Fällen nicht immer einfach → wenn man bei der

Anpassung an das deutsche Sprachsystem von den formalen Kriterien ausgeht, dann

kann ein Verb z.B. nie ein Fremdwort sein, da es in seiner Form immer angepasst wird

(z.B. funktionieren, revolutionieren, regieren)

Lehnwörter wie z.B. Bank, Keks, Natur, Note, Sekt, Sport, starten, Musik, Zement

werden heute nicht mehr als „fremd“ empfunden, obwohl es sich hier nicht um

heimisches Wortgut handelt, sondern um Sprachimporte. Dies zeigt, dass ein

Fremdwort nach einer gewissen Zeit des Gebrauchs an die deutsche Sprache

angeglichen worden ist

Die Tendenz zur Internationalisierung zeigt sich am deutlichsten in den lexikalischen

Lehneinflüssen aus dem Englisch-Amerikanischen

Fremdwort Lehnwort

Automatismus, Bonus, Chronik, Demokratie, Diktator, Dekret, Export, Generation, Leutnant, Manager, Parlament, Sputnik, Ski, Tourist, Uniform, Violine

Admiral, Bank, Batterie, Bibel, Büro, Bus, Dekor, Film, Juwel, Kabine, Keks, Konto, Natur, Roman, Sport, Termin

Fazit

der transferierte Wortschatz wird unterschiedlich integriert

97

Page 98: Vorlesung Wortschatzerweiterung

die Sprachwisenschaft unterscheidet zwischen dem Fremdwort, als ein

Sprachzeichen, das nur teilweise oder überhaupt nicht integriert wurde, und Lehnwort,

das sich der Aufnahmesprache angepasst hat und dessen fremder Ursprung den

Sprachbenutzern nicht mehr bewusst ist, d.h. erst aus diachronischer Perspektive kann

die Herkunft gedeutet werden

eine eindeutige Unterscheidung Fremdwort – Lehnwort ist schwierig, da die

Übergänge fließend sind, d.h ein Fremdwort kann sich schrittweise der deutschen

Sprache angleichen; dabei können einige Merkmale des Fremden durchschimmern

oder aufgegeben werden

bei der Festlegung des Status eines Wortes als Fremd- oder Lehnwort sind Lautung,

Orthographie, morphologische Struktur, die grammatische und pragmatische

Einordnung, Gebräuchlichkeit, Festigung im Sprachbewusstsein Kriterien, die den

Übergang eines Fremdworts zum Lehnwort kennzeichnen

manche Sprachimporte bereiten nicht selten Schwierigkeiten beim Verstehen oder

Unsicherheiten hinsichtlich der Genuszuordnung (der Curry oder das Curry; der

Campus oder das Campus?) oder der Pluralbildung (die Posters oder die Poster? die

Regimes oder die Regime? die Modems oder die Modeme?) → neben den vom

Deutschen abweichenden Formen Atlanten oder Kommata treten im Laufe der Zeit

nach deutschem Muster gebildete Formen auf: Atlasse, Kommas.

→ auch hybride Bildungen rufen Unsicherheiten hinsichtlich der Plural-, Kasus- und

Genusbildung hervor (–ies vs. –ys)

Probleme tauchen auch bei der Verb-, Partizip- und Adjektivbildung auf → die von

Substantiven abgeleiteten Verben (Desubstantiva) und Anglizismen haben die größte

Verbreitung unter den Verbneubildungen

Fremdsprachliches wird dem deutschen Wortbildungs- und Flexionssystem angepasst:

leasen (dt. mietkaufen) → die Mehrzahl der Verben und Präfixverben englischer

Herkunft erscheinen in den technischen Fachsprachen (saven, canceln), aber auch im

gruppenspezifischen Sprachinventar Jugendlicher (anturnen, ausgepowert, anpowern,

relaxen); testen, clonen bereiten keine Schwierigkeiten bei der Einordnung in die

deutsche Syntax, anders aber stop, handle → weiter oft gebrauchte Verben sind u.a.

outsourcen, piercen, talken, designen, mailen, stretchen → Neubildungen sind: diäten,

pillen, müdeln, schlagzeilen, aber auch sandstrahlen, fussballen, urlauben, kuren,

freizeiten, cd-romisieren, stossseufzen, bauchreden

98

Page 99: Vorlesung Wortschatzerweiterung

3. Ursachen für Entlehnungen (außersprachliche und innersprachliche Faktoren)

Ursachen für Entlehnungen

außersprachliche Faktoren

innersprachliche Faktoren

Fremdwortdiskussion → verstärkter Sprachkontakt in Europa/Internationalisierung; Zeitalter

der Technik und der Kommunikation: gegenseitige kulturelle und somit auch sprachliche

Beeinflussung; Sprachberührungen können politisch, historisch, geographisch, kulturell-

gesellschaftlich begründet sein; Erfordernisse der modernen Kommunikation → semantische

und soziopragmatische Aspekte, die eng mit den Ursachen, Bedingungen und Folgen der

Entlehnung zusammenhängen. Es werden Wörter – aus vielen und unterschiedlichen Gründen

– aus anderen Sprachen entlehnt; sie passen sich der Empfängersprache Deutsch an oder

können ihre Fremdheit beibehalten, so dass ihre fremdartige Herkunft sichtbar bleibt. Wörter

fremder Herkunft, die als solche nicht mehr erkennbar sind, weil sie im Deutschen heimisch

geworden sind, werden als Lehnwörter ausgegrenzt. In vielen Fällen gab es vor der

Entlehnung im Deutschen weder einen semantischen äquivalenten Ausdruck noch einen

entsprechenden Begriff im Sachbereich → Entlehnung von Begriffen zusammen mit den

Wörtern. Gegenwärtig werden insbesondere Fremdwörter englischer Herkunft aufgenommen;

der Grund für die vermehrte Aufnahme dieser Wörter liegt einerseits in den außersprachlichen

Faktoren, andererseits im gemeinsamen Ursprung beider Sprachen.

Deutsch war nie eine reine Sprache gewesen: eine Einzelsprache stellt ein

Mischphänomen dar → der kontinuierliche Prozess der Übernahme fremder Wörter kann nicht

aufgehalten werden → selbst das Englische entwickelt sich weiter; die Engländer beklagen die

vielen Amerikanismen und die Amerikaner beschweren sich über den spanischen Einfluss. Ein

großer Teil des heutigen deutschen Wortschatzes geht auf Entlehnungen und Lehnwortschatz

zurück: Politik und Sport, Unterhaltungsindustrie, Verkaufswesen, Öffentlichkeitsarbeit,

Technik, Mode und Kosmetik, Wirtschaft und Werbung haben den angloamerikanischen

Einfluss verstärkt.

Durch Zeitungen und Nachrichtenredaktionen der Rundfunkanstalten, die viele

amerikanische Agenturnachrichten übernehmen, werden viele Fremdwörter in Umlauf gesetzt;

diese erreichen alle Schichten der Bevölkerung. Viele Entlehnungen aus den Bereichen

Wirtschaft, Politik, Marktforschung, Werbung, Computer, Schlagerindustrie, Technik und Sport

sind zum festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden. Das Überhandnehmen

99

Page 100: Vorlesung Wortschatzerweiterung

amerikanischer Fremdwörter ist Ausdruck der Wandlungen unserer Zeit → die

Internationalisierung des Wortschatzes ist nicht aufzuhalten. Sprachimporte/Entlehnung von

Sprachelementen aus anderen Sprachen → Alternative zur Wortschatzinnovation: bestimmte

Sprachen bildeten die Hauptspendersprachen (Latein: Mittelalter bis Renaissance;

Französisch: 17. bis 19. Jahrhundert; Englisch-Amerikanisch: ab 1945). Im Prinzip verkraftet

jede Sprache den fremden Einfluss, die Gefahr liegt in der Verdrängung der eigenen Sprache

aus verschiedenen Kommunikationsbereichen, die Fremdwörter selbst sind keine Gefahr!

Die Anteile verschiedener Herkunftssprachen beim Ausbau des Wortschatzes können

unterschiedlich ausfallen; bei der massenhaften Entlehnung lexikalischer Elemente aus einer

anderen Sprache sind → sind die Arten und Grade ihrer Integration (Assimilation, Anpassung)

linguistisch interessant.

Bei den Ursachen, die zu sprachlichen Transferenzen geführt haben, spielen

außersprachliche und innersprachliche Faktoren eine entscheidende Rolle. Bei der

Verbreitung der Fremd- bzw. Lehnwörter spielen die Medien als Informationsträger eine Rolle:

diese erfinden die Neuerungen, sie entscheiden, ob fremde Wörter in Umlauf gebracht werden

und in welcher Gestalt → Medien haben auch einen großen Bedarf an neuen und auch

fremden Benennungen: Torwart, Torhüter, Tormann, Torwächter → Goalkeeper bzw. Keeper,

Goaler oder Goalie vgl. auch Dumping, Inflation, Business, Lobby, Konzernboss, Boom, US-

Administration, Pentagon, Know-how. Massenmedien → einen starken Einfluss auf den

Übergang fachsprachlicher Fremdwörter in den nichtfachgebundenen Gebrauch, sie können

auch die Frequenz der Übernahme beeinflussen.

Das heutige Sprachbild → nur unter Einbezug der Vergangenheit begreifbar → Sprache

als eine historisch entstandene Erscheinung → Wechselbeziehungen zwischen Sprache und

Gesellschaft → Sprachdynamik: Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen

Veränderungen und den sprachlichen Wandlungen: Veränderungen vs. Entwicklungen in der

Sprache → in der Lexematik schlagen sich die sprachlichen und gesellschaftlichen

Veränderungen am auffälligsten nieder → Wörter als Zeitspiegel → wechselseitige

Aufnahme und Abgabe von Wortmaterial.

Im Laufe ihrer Entwicklung ist die deutsche Sprache vielfältig durch andere Sprachen

bereichert/beeinflusst worden → sprachliche Transferenzen sind durch außersprachliche und

innersprachliche Faktoren bedingt → für die Art und den Umfang der Übernahme fremden

Wortgutes in die deutsche Sprache können historische, objektive, linguistische, stilistische,

psychologische, geografische und soziolinguistische Ursachen der Übernahme angeführt

100

Page 101: Vorlesung Wortschatzerweiterung

werden → die Vorzüge der Wortimporte → Leistung und Funktion im Sprachgebrauch →

Verhältnis zwischen Fremdwort und deutscher Entsprechung (Formen der Entlehnung).

Einige Wörter haben sich in das System der Empfängersprache so fest eingegliedert,

sind so selbstverständlich geworden, dass ihr fremder Ursprung den Sprachteilhaber nicht

mehr bewusst ist: Frack, Keks, Koks, Schal, Teddybär, Tennis, Filet, Kalender, Schachtel,

Mappe.

Die meisten Neuwörter kommen als Lehngut in die Sprache, direkt in der fremden Form

als Lehnwort oder indirekt als Lehnprägung: vgl. Kalter Krieg < engl. cold war; Pressefreiheit <

engl. freedom of press; Gipfelkonferenz < engl. summit conference; aber auch Freihandel,

Kartell, Streik, Außenseiter oder Wandzeitung.

Entlehnungen als die Übernahme von Wörtern, Wortbestandteilen, oder

Wortbedeutungen aus anderen Sprachen in die eigene Sprache spiegeln historisches

Geschehen, Modeerscheinungen, Kulturwandel, aber auch wissenschaftliche und technische

Entwicklungen wider. Für die Art und den Umfang der Übernahme fremden (englischen)

Wortgutes in die deutsche Sprache können historische, objektive, linguistische, stilistische,

psychologische, soziolinguistische und geografische Ursachen angeführt werden.

Historische Ursachen

Heute sind die Wege der Übernahme vielfältiger geworden. Der direkte Kontakt

zwischen den Sprachträgern z.B. in der Grenzzone und/oder durch die

Besetzung/Besiedlung von Gebieten, durch Krieg oder Handel war früher der Hauptweg

der Übernahme. Fremdes Wortgut wird später durch die Presse, Fachliteratur,

Belletristik vermittelt. Das jahrelange Zusammenleben, aber auch der hohe

Verwandtschaftsgrad zwischen zwei oder mehreren Sprachen führten dazu, dass

Transferenzen aufgenommen werden. Diese haben einen festen Platz im Wortschatz

der Empfängersprache eingenommen, innerhalb deren sie entsprechende Wortfamilien

erweitern. Der große Anteil der englischen Wörter im heutigen deutschen

Lehnwortschatz wird auf die vielfältige politische, wirtschaftliche und kulturelle

Verflechtung der BRD mit den USA nach 1945 zurückgeführt, die zu einem Transfer-

und Absortionsprozess des amerikanischen Englisch geführt haben. Schon um die

Jahrhundertwende lästerte Karl Kraus über Foxtrottel und Freaks14. Darüber hinaus ist

zu beachten, dass der soziokulturelle Hintergrund der Quellsprache als Vorbild

14 Glück/Sauer (1990, 97).

101

Page 102: Vorlesung Wortschatzerweiterung

fungiert, ihr wirtschaftlicher und politischer Entwicklungsstand, ihr kultureller und

ideologischer Einfluss maßgeblich sein kann. Von diesen Faktoren hängt auch die

Menge des Lehnguts, das aufgenommen wird, ab. Durch die internationale

Zusammenarbeit (im 19. und 20. Jh.) hat sich auch ein international gebräuchliches

Wortgut herausgebildet (Internationalismen).

Objektive Ursachen

Die Übernahme von fremdsprachlichen Elementen ist mit dem Wunsch verbunden,

Kommunikationserfordernissen und -bedürfnissen gerecht zu werden, die in der

Ausgangssprache geprägten Informationen zum Ausdruck zu bringen. Die Übernahme

von Benennungen zur Erfassung der neuen Erscheinungen und Entwicklungen hängt

mit dem Wandel von Wirtschaft und Politik zusammen. Das steigende Interesse für

die Weltgeschichte, -wirtschaft und -kultur aber auch die zahlreichen

Informationsmöglichkeiten (Massenmedien) führen zu einer stetig ansteigenden Anzahl

von Benennungen für Erscheinungen/Gegenstände, die aufgrund vielfältiger

Besonderheiten (politisch, geographisch, wirtschaftlich, kulturell bedingt) nur in

bestimmten Ländern anzutreffen sind. Bezeichnungen landesspezifischer Realien (z.B.

Währungseinheiten), die innerhalb deutscher Sprachgrenzen nicht existieren, aber

international in verschiedenen Sprachen für das gleiche Denotat gebraucht werden,

sind unter dem Begriff Bezeichnungsexotismen bekannt: z.B. Forint, Balalaika, ,

Kreml, Safari, Samowar, Taiga, Geisha, Harakiri, Queen. Die Entwicklung der

Wissenschaften und der Technik erfordert neue Bezeichnungen für Erfindungen,

Geräte, Verbrauchsgüter und Verkehr, bedingt einen ungewöhnlich großen

Benennungsdedarf: Atomreaktor, Einwegflasche, Jet, Kreditkarte, Lokomotive,

Mittelstreckenraketen, Paddelboot, Satellitenfoto, Software, Tiefkühltruhe, Walkie-talkie.

Die wichtigste Ursache, die in der Vergangenheit15 zur Übernahme fremden Wortgutes

führte, war die Entlehnung eines Lexems mit dem entsprechenden Sachverhalt. So

wurde in der Zeit der römischen Besetzung lateinisches Wortgut ganzer Sachbereiche

übernommen: Garten- und Weinbau (Wein, Keller, Rettich), Straßenbau (Straße,

Pflaster), Militärwesen (Pfeil), Handel (Sack). Kulturelle Vorbilder oder Beziehungen

führten auch zu Entlehnungen. Auch die Christianisierung (5. Bis 9.Jh.) brachte

griechisches und lateinisches Wortgut (Messe, Altar, predigen). In der Renaissance war

15 Schippan (1992, 261ff.).

102

Page 103: Vorlesung Wortschatzerweiterung

das Griechische und das Lateinische die Wissenschaftssprachen. Ein großer Teil des

Benennungsbestandes zahlreicher Wissenschaftsbereiche, der auch internationale

Verbreitung fand, entstammt dem amerikanischen bzw. britischen Englisch. Die

Internationalisierung16, die in verschiedenen Gebieten zu verzeichnen ist, und die

Tatsache, dass in zunehmendem Maße wissenschaftliche Arbeiten in englischer

Sprache verfasst oder ins Englische übersetzt werden, d.h. Englisch als

Wissenschafts- und Publikationsprache sind weitere Gründe für die große Flut der

Entlehnungen. Die Massenmedien können auch die Frequenz der Übernahme

beeinflussen. Zahlreiche Entlehungen hängen auch mit Freizeitgestaltung, Unterhaltung

und Mode zusammen. Begünstigt wurde dieser Vorgang auch durch den

Fremdsprachenunterricht, der darüber hinaus die Möglichkeit für den richtigen

Gebrauch eines Fremdwortes erhöht und durch die Werbung. Die Massenmedien und

die Fachsprachen können als Vermittlungsinstanzen für Entlehnungsprozesse

angeführt werden. Der englische Einfluss auf den Wortschatz der deutschen Sprache

wird im 20. Jh. immer stärker. Der große Zuwachs an fremden Wörtern kennzeichnet

eine Entwicklung, die auch in anderen modernen Sprachen verfolgt werden kann (vgl.

die Bezeichnung Franglais für anglisiertes Französisch) - eine Tendenz, die sogar in

den ehemaligen Ostblockstaaten registriert werden kann. (vgl. Braun 1987, 193). In der

‘Nachwendezeit’ ist eine Anpassung des ostdeutschen Sprachgebrauchs an die neuen

Wirtschafts-, Rechts- und Sozialstrukturen feststellbar bzw. ein Zurückgehen der

Slawismen. Einige Wörter haben sich in das System der Empfängersprache so fest

eingegliedert, sind so selbstverständlich geworden, dass ihr fremder Ursprung den

Sprachteilhaber nicht mehr bewusst ist: Aids, Frack, Jazz, Jeans, Keks, Koks, Schal,

Teddybär, Tennis. In vielen europäischen Sprachen sind gemeinsame Wortbestände,

übernationale Gemeinsamkeiten zu verzeichnen, die als Ergebnis von übernationalen

Prozessen mit politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Voraussetzungen zu deuten

sind. Diese sprachlichen Gemeinsamkeiten in den Wortschätzen verschiedener

Sprachen wurden mit dem Begriff Internationalismus erfasst (z. B. Diskothek,

Infrastruktur, Kybernetik, optimal). Es darf aber dabei nicht übersehen werden, dass

diese nicht selten noch sprachspezifische Bedeutungen aufweisen.

16 Die Fachwörter des Massensports, des Tourismus und einiger Wissenschaftszweige liefern einen Anteil an Fremdwörtern. Fachsprachen mit stark anglisierter Terminologie sind u.a. Luftfahrt, Datenverarbeitung, Werbefachsprache. Die meisten Neuwörter kommen als Lehngut in die Sprache, direkt in der fremden Form als Lehnwort oder indirekt als Lehnprägung (vgl. Kalter Krieg< engl. cold war; Pressefreiheit< engl. freedom of press; Gipfelkonferenz< engl. summit conference; aber auch Freihandel, Kartell, Streik, Aussenseiter; Wandzeitung).

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Page 104: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Linguistische Ursachen: Sind Fremdwörter besser als ihr Ruf?17

Für eine ganze Reihe von Begriffen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur,

aber auch im institutionellen und sozialen Bereich besteht ein großer

Benennungsbedarf, man übernimmt sprachliche Importe, wenn in der

Empfängersprache dafür keine Benennungseinheiten existieren18. Ihre Bedeutung

könnte durch Umschreibungen mit deutschen Wörtern nur annähernd wiedergegeben

werden, oft lassen sich bestimmte Fachwörter nicht durch ein einziges Wort ersetzen,

oft müssen sie umständlich umschrieben werden: Aggregat, Agitation, Apotheke, Atlas,

Automat, Elektrizität, Kongress, Medaille, Nation, Pub, Politik, Snobismus, Tablette,

Zirkus, Zynismus, (=lexikalische Transferenz infolge fehlender Äquivalenzen). D. h.

fremdes Wortgut wird mit der Aufgabe übernommen, (1) Leerstellen/Lücken im

Wortschatz der Empfängersprache zu füllen: Brainstorming, fit, Ironie, Sarkasmus.

Darüber hinaus vermögen Fremdwörter einen Sachverhalt (2) knapper und präziser

auszudrücken als ein konkurrierendes deutsches Wort z.B. Playback, Know-How. Die

Vorliebe der Deutschen für amerikanische Wörter ist z.T. (3) Ausdruck des

Zeitgeistes, der Mode, nicht immer handelt es sich um das Synonymbedürfnis der

Sprachträger. Begünstigt wurde diese Vorliebe aber auch durch die große Anzahl

kurzer Wörter, die das Englische, besonders in seiner amerikanischen Ausprägung

bereithält, d. h. aus (4) sprachökonomischen Gründen werden lexikalische

Transferenzen wegen ihrer Knappheit/ Kürze bevorzugt: Argument [Beweisführung],

Diskussion [Meinungsaustausch, Auseinandersetzung](vgl. auch die Einsilber Boss,

Chip, fair, Fax, fit, Gag, Hit, Pop, Rock, Sex, Snob, Spot, Team, Test, Tip, Trend, Trip).

Abkürzungswörter z.B. auch für internationale Organisationen werden unübersetzt

übernommen: WHO, UNICEF, CD, Radar, UNO, NATO, NASA, OPEC, AIDS.

17 In dem Kapitel Sind Fremdwörter innovativ? stellt Schneider (1996) die Vorzüge der Importe – ‘Acht Gründe für die Fremden’ dar (101ff.), aber auch die Nachteile der Übernahmen. Laut Schneider (1996, 103f.) haben Fremdwörter „drei gravierende Nachteile”: Die meisten sind schwerer verständlich als Wörter deutscher Herkunft; Fremdwörter bieten „weniger Anschauung und Gefühl”, in der mündlichen Kommunikation entstehen „häßliche Zwitter” wie Rossbief für roast beef.18 Für beide Anglizismen Manager und Management verzeichnet die Fachliteratur sowohl die englischen als auch die deutschen Bezeichnungen, die Synonym gebraucht werden. Synonymität entsteht auch durch Übersetzung englischer Termini, so z.B. Führung nach dem Ausnahmeprinzip (engl. “management by exception”) oder Führung durch AuFachdienst Germanistik, Sprache und Literatur in der Kritik deutschsprachiger Zeitungenabendelegation (engl. “management by delegation”) usw. Die Tendenz, Fachausdrücke unübersetzt zu übernehmen, steigt; durch die jeweiligen Managementtheorien gelangen englische Bezeichnungen ins Deutsche: lean production (auch als schlanke Produktion bezeichnet) oder Lean-Management.

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Page 105: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Besonders die einsilbigen Wörter scheinen anziehungskräftig zu sein. Die englischen

Wörter sind meist kürzer als die entsprechenden deutschen. Oft tritt eine

Bedeutungsdifferenzierung hinzu, dadurch dass das entlehnte Wort z.B. eine

speziellere Bedeutung enthält als das deutsche Pendant: Drink ,(alkoholisches, bes.

Mix-)Getränk‘, Hit, (bes. erfolgreicher) Schlager‘, Job ‘(meist vorübergehende) Arbeit’,

Gag ,(witziger, effektvoller) Einfall‘ (u.a. in Filmen), Meeting ,(politische,

wissenschaftliche oder sportliche) Zusammenkunft‘. Manche Fremdwörter sind (5)

populärer und verständlicher (!!!) als ihr deutsches Gegenstück: Adresse [Anschrift],

Baby [Säugling], Foto [Lichtbild], Fotokopie [Ablichtung], Telefonzelle [öffentlicher

Münzfernsprecher], Walkie-Talkie [kleines, tragbares Funksprechgerät], Base, Job,

Team, Walkman. Nicht selten trat aber auch das deutsche Wort neben das fremde und

(6) bereicherte das entsprechende Wortfeld inhaltlich oder stilistisch. Fest zum

deutschen Wortschatz gehören Bildungen wie Ausflug (Exkursion), Bücherei

(Bibliothek), Empörkömmling (Parvenu), Fernsprecher (Telefon), fortschrittlich

(progressiv), Weltall (Universum), während andere wie Meuchelpuffer für “Pistole”,

Dörrleiche für “Mumie”, Lusthöhle für “Grotte” oder Lotterbett für “Sofa” lediglich als

sprachgeschichtliche Kuriositäten erhalten geblieben sind. Fremdwörter erleichtern die

(7) Ableitung anderer Wörter: Telefon [Fernsprecher] - telefonisch [nicht:

fernsprecherisch]; Musik [Tonkunst] - Musiker, Musikant, musizieren, Musikalität.

Manche Fremdwörter verfügen über mehrere (8) Bedeutungsvarianten von denen

eine ohne deutsche Ensprechung im Gebrauch ist: demonstrieren hat deutsche

Äquivalente in ‘zeigen’,‘vormachen’, ‘beweisen’, ‘erklären’; ohne solche in der

Bedeutung ‘an einer Demonstration teilnehmen’. Andererseits kann ein Fremdwort nur

in einer lexikalisch-semantischen Variante übernommen werden. Von engl. spleen

wurde nur die Variante ‘üble Laune’, ‘Ärger’ beibehalten, die sich zu ‘seltsamer Einfall’

entwickelt, nicht aber auch die englische Bedeutungsvariante ,Milz’. Eine (9)

Bedeutungserweiterung erfuhren Background (1. ’Hintergrund’; 2. ’Hintergrund bei

Filmaufnahmen’; 3. ’musikalische Untermalung: Hintergrundmusik, Begleitmusik für

Sänger’) und Jeans/Bluejeans (ursprünglich ’Arbeitshose amerikanischer

Landarbeiter’/’italienischer Hafenarbeiter’ in den USA, später ’Freizeithose’, dann als

Bezeichnung für Artikel verwendet, die aus diesem Stoff gefertigt wurden: Jeans-Kleid, -

tasche, -rock usw.)19. Die fachsprachliche Bedeutung eines Begriffs erfährt im

19 Schippan (1992, 279 ff.).

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Page 106: Vorlesung Wortschatzerweiterung

öffentlichen Sprachgebrauch oft eine Erweiterung20. Manager wird in der Fachliteratur

als „Träger der betrieblichen Führungsentscheidungen” definiert, im allgemeinen

Sprachgebrauch aber findet man Ausdrücke wie Partei-, Spitzen-, Top-,

Wahlkampfmanager u.a.m. Im Computerbereich erscheint unter dem Einfluss des

amerikanischen Englisch die Bezeichnung Programmanager. Andererseits ist eine

Tendenz feststellbar, die Bedeutung von Manager und Manangement zu

verallgemeinern. Hier können Komposita wie Koalitions-, Friedens-, Ideen-, Konflikt

oder Krisenmanagement angeführt werden, die darauf hinweisen, dass sich der

Gebrauch dieser Anglizismen auch auf andere Bereiche ausdehnt. Wenn die

Beziehungen einer Sprachgemeinschaft zu einer anderen sehr stark sind, werden sogar

für solche Denotate Entlehnungen bezogen, für die das entlehnende Volk eigene

Bezeichnungen besitzt oder aus dem eigenen Wortmaterial leicht schaffen könnte. So

wurden im 17. und 18. Jh. Verwandtschaftsbezeichnungen aus dem Französischen

übernommen, obwohl entsprechende deutsche Bezeichnungen zur Verfügung standen.

Diese Parallelformen dienen dazu, (10) Bedeutungsnuancen zu betonen (vgl. die

Ausdruckspaare: Mut/Courage; Tapferkeit/Bravour; Unglück/Malheur). Zu den

überflüssig-eingeschmuggelten Anglizismen zählen u.a.: Jogging/Dauerlauf,

Pipeline/Rohrleitung, Swimmingpool/Schwimmbecken.

Stilistische Ursachen

Im Folgenden werden die vielfältigen Möglichkeiten stilistischer Nutzung kurz

dargestellt. Wörter können aus sehr vielfältigen, “auch recht versteckten und dabei sehr

interessanten Motiven” entlehnt werden. (Donalies 1992,103)21 Als Sprachträger

profitieren wir von dem Sprachkontakt, der Ausdrucksvarianten und

Bedeutungsnuancierungen liefert und somit stilistische Feinnuancierungen erlaubt.

Aus diesem Blickwinkel muss man die entlehnten Wörter betrachten, denen gemeinsam

ist, dass sie mit synonymen, heimischen Wörtern konkurrieren. Darüber hinaus ist die

Erkenntnis wichtig, dass sich im Laufe der Zeit semantische Transferenzen

durchgesetzt haben, und zwar dort, wo übernommenes und heimisches Wortgut

nebeneinander standen. Das synonymische Nebeneinander von Fremdwort und

heimischem Wort hat zur Bereicherung und Differenzierung sprachlicher

20 Kovtun (1996, 347 f.).21 Siehe E. Donalies (1992, 97-110).

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Page 107: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Ausdrucksmöglichkeiten geführt. Dabei werden treffendere Ausdrucksweise (11),

Ausdrucksvariation/Wirkungsstärke (12), Präzision (13) und “schwungvoller

Wohlklang”22 (14) angestrebt. Vgl. die Paare: Phantasie –

Einbildungskraft/Vorstellungskraft/Erfindungsgabe, Hotel – Gasthaus, Passion –

Leidenschaft, Disziplin – Zucht, Exemplar – Stück.). Gelegentlich werden Fremdwort

und heimisches Synonym mit differenzierender Absicht nebeneinandergestellt. (vgl.

Beispiele bei Fleischer/Michael 1975, 108 f.). Im Gegensatz zu ihren deutschen

Entsprechungen können durch Fremdwörter Bedeutungsdifferenzierungen (15)

suggeriert werden, d.h. Fremdwörter können sich semantisch und stilistisch von ihren

deutschen Äquivalenten abheben und somit eine zusätzliche Verfeinerung des

Ausdrucks bedingen, jeweils Merkmale des Denotats hervorgehoben (vgl. die Paare

Fragment – Bruchstück; Station – Haltestelle; Team – Kollektiv; Autor - Verfasser).

Fremdwörter und heimische Wörter tragen zur synonymischen

Bedeutungsdifferenzierung bei. Dass das Fremdwort und seine deutsche Entsprechung

unterschiedliche Bedeutungen haben können, sich folglich im Bedeutungsumfang (16)

unterscheiden können, zeigt folgendes Beispiel23: Originell beispielsweise bezeichnet im

Zusammenhang mit Idee “schöpferisch”, aber z.B. auch “lustig” (“lustiger/origineller

Einfall”). Besteht ein starker Unterschied zwischen der deutschen Entsprechung und

dem fremden Element, so wird der Bedeutungsumfang des übernommenen Lexems

größer ausfallen im Vergleich zu seinem deutschen Pendant: z.B. Artikel [=Ware; =

käuflicher Gegenstand; =Abhandlung; =Aufsatz; =selbständiger (bezifferter) Abschnitt

innerhalb eines fortlaufendes Text; =Geschlechtswort ](vgl. auch: Figur, Magazin,

Organ, Original, Toast). (17) Textfärbung. Entlehnungen den eingebürgerten

“Konkurrenten” vorzuziehen, liegt in dem Wunsch, Varietät und Präzision zum Ausdruck

zu bringen, aber auch in der Absicht Lokalkolorit zu erzeugen. Hier soll eine “ganz

bestimmte lokalspezifische Atmosphäre imaginiert, die andere, die fremde objektive

Wirklichkeit auch mit anderen, fremden sprachlichen Zeichen dargestellt werden.”

(Donalies 1992, 103) So wird in den Berichten über New York oft die berühmten Skyline

erwähnt. Dies ist auch ein wichtiger Grund für die Verwendung sogenannter

Bezeichnungsexotismen. Wie auch ihr Name besagt, wirken sie ‘exotisch’24. Das

amerikaspezifische Lebensgefühl soll der Leser mit dem entlehnten Wort assozieren. 22 Schneider (1996, 101).23 Schippan (1992, 267).24 Vgl. das aus dem Amerikanischen kopierte Wohnen in einem Loft, einer komfortabel ausgebauten, riesigen Dachgeschosswohnung, zu dem auch ein spezieller, kühl und karg möblierender Wohnstil gehört. (Donalies 1992, 104 f.)

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Page 108: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Als Amerikaspezifikum nennt Donalies (1992, 105) auch das Adjektiv tough (von engl.

tough), das mit ‘zäh im Verhandeln, psychisch und physisch stark, hart im Nehmen,

hartgesotten’ nicht exakt übersetzt ist. Als Bezeichnungsexotismen können auch

Ausdrücke aus den verschiedensten Lebensbereichen (wie Sport, Freizeit, Ausbildung,

Wohnen, Mode, Küche, Kultur) erscheinen. Es handelt sich hier oft auch um

“Eintagsfliegen”, aber nicht, weil die entlehnten Bezeichnungen “nicht taugten, sondern

weil mit den ephemeren Signifikaten auch die Signifikanten verschwinden”, bemerkt

Donalies (1992, 105f.) und führt hierzu an25: Dynamic-Stretch (als Bezeichnung für ein

behutsames Fitnesstraining geht es nicht um irgendeine Art der Körperertüchtigung,

sondern um eine ganz bestimmte mit ganz bestimmten festgelegten Übungen, zu einem

ganz bestimmten Zweck, auf ein ganz bestimmtes Ziel ausgerichtet); Cocooning (als

Bezeichnung für einen Kleidungsstil geht es hier nicht um irgendeine Art verhüllenden

Einkleidens, sondern um eine mit ganz bestimmten Materialien, einem ganz bestimmten

Stil usw.); Hip-Hop (Popmusikrichtung). Hinter Bezeichnungsexotismen steckt immer

auch eine spezifische Mentalität, die eben nur dieses mitimportierte Wort wirklich

beinhaltet. Es gibt auch eine Gruppe von Entlehnungen, die ein Fachkolorit erzeugen

sollen (Berufsjargonismen): z.B. Jetlag als Bezeichnung für ‘Störungen, wie Mattigkeit,

Schlaflosigkeit u. ä., die bei Flugpassagieren besonders nach langer Flugstrecke

auftreten’. Zahlreiche Fremdwörter werden im Sprachgebrauch aufgrund ihrer

Attraktivität/Werbewirksamkeit (18) (Anbiederung) eingesetzt, weil sie in spezifischen

Kontexten ein exotisches/fremdländisches Kolorit zum Ausdruck bringen können wie bei

folgenden Exotismen: Datscha, Geisha, Basar, Tomahawk, Troika. Da manche

Fremdwörter vieldeutig sind, wird bei ihrem Gebrauch diese Eigenschaft bewusst

ausgenutzt: z.B. perfekt [=vollendet; =vollkommen; =fehlerfrei; =vorbildlich;

=vortrefflich], problematisch [=schwierig; =ungewiss; =fragwürdig; =gewagt;

=zweifelhaft], Interesse [=Anteil; =Aufmerksamkeit; =Reiz; =Neigung; = Vorteil], Look

[=Blick; =Ausdruck; =Aussehen; =Stil], Aktivität [=Aktionen; =Handlungen; =Taten;

=Tätigkeiten; =Leistungen; =Arbeit; =Geschäft; =Unternehmungsgeist; =Fleiss].

“Umfassende Fremdwörter” (K. Heller), d.h. Fremdwörter, die durch einen weiten

Bedeutungsumfang gekennzeichnet sind, können in vielen Kommunikationssituationen

eine Erleichterung darstellen, da sie bequemen, denkträgen Sprechern/Schreibern

entgegenkommen, ihnen das Ringen um den engeren, treffenderen Ausdruck ersparen

25In diesem Sinne möchte Donalies den Begriff „Bezeichnungsexotismus” u. U. als eine Art Terminus verstanden wissen.

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Page 109: Vorlesung Wortschatzerweiterung

(Interesse, interessant). Sie führen zur Bereicherung des Wortbestandes der

Aufnahmesprache: In ihrer Unbestimmtheit bzw. Vieldeutigkeit (19) liegen ihre

besonderen stilistischen Möglichkeiten. Man kann durch ihren Gebrauch verschiedene

Nuancen ausdrücken, wobei das deutsche Wort oft eine genauere Festlegung aufweist

(vgl auch problematisch/’schwierig’, ‘ungewiss’, ‘zweifelhaft’, raffiniert). In der Politik

werden Sprachimporte wegen ihres vagen semantischen Inhalts bevorzugt. So hat

Korruption eine weniger negative Bedeutung als das äquivalente Wort Bestechung.

Diese Vagheit wird bei ihrem Einsatz in der Kommunikation auch bewusst angesteuert,

deshalb ist das Fremdwort auch bequemer: originell hat mehrere deutsche Ersatzwörter

(originelle Ideen sind schöpferische Ideen, ein origineller Einfall ist ein lustiger Einfall).

Die Variabilität ihres Bedeutungsumfanges (vgl. z.B. auch original, frisieren vs.

kämmen, Bombe vs. Sprengkörper), die Bedeutungsdifferenzierungen im Gegensatz

zu der deutschen Entsprechung (Fragment vs. Bruchstück), und die neuen

Bedeutungsnuancen (siehe Profit/Gewinn, Gentleman/Herr, irritiert/gereizt,

Grazie/Anmut), die sie transponieren, verdeutlichen, dass das Fremde die Sprache

durch “starke Farben” und “ungewohnte Rhythmen” (20) (Schneider 1996,101)

anreichert: elegant, guttural, Majestät. (vgl. alle Wörter auf -al, -ant, - ät, -enz, -ion, -

thek). Fremdwörter können zum Ausdruck verschiedener Gefühls- und Stilwerte (21)

eingesetzt werden, werden häufig als emotional ausdrucksstärker empfunden (attraktiv

– anziehend; sensibel – empfindsam), sie bieten die Möglichkeit zur

Expressivitätssteigerung (22). Eine große Anzahl der Sprachimporte haben eine

usuelle abwertende Stilfärbung: Gazette, Komplice, Visage, Denunziant, Spekulant.

Andere gehören der gehobenen Stilschicht an, dienen der Hervorhebung und

verleihen dem bezeichneten Sachverhalt eine feierliche Note: Auditorium, Gratulation,

Salon, soupieren. Der Fremdwortgebrauch kann aber auch mit politischer Absicht

(23)gepflegt werden, z.B. in der Ex-DDR um Verhältnisse im Westen zu bezeichnen.

Dabei sollten vor allem negative Begleitvorstellungen erweckt werden26:

Gewerkschaftsbosse, High Society, Luftgangster, Vietnam-Killer. Im Gegensatz dazu

stehen Ausdrücke, mit deren Verwendung eine Hervorhebung und Aufwertung

angestrebt wird [Bukett (statt Strauss), aber auch Diner, Gigant, Salon] oder eine

erhöhte Aussagekraft wie im Falle von Phantasie (=Einbildungskraft, Vorstellungskraft,

erfinderische Gabe). Der Gebrauch von Fremdwörtern ist dann fragwürdig, wenn er

26 vgl. Stedje (1989, 171).

109

Page 110: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Manipulationszwecken dient (in der Politik und in der Werbung), der Überredung oder

als intellektueller Schmuck, zur Imagepflege, aus Prahlerei, Snobismus,

Imponiergehabe heraus. Darüber hinaus können die aus nichtheimischen

Sprachmaterial gebildeten lexikalischen Einheiten auch dazu dienen, eine

unangenehme Tatsache weniger hart zu bezeichnen, zu beschönigen, Sachverhalte

verhüllend darzustellen. Das Fremdwort ist aufgrund seiner oft erwähnten und auch

kritisierten undurchsichtigen Benennung gut als Euphemismus (24)

geeignet/vorgezogen: z.B. genieren [statt sich zieren, sich schämen], Diskretion [statt

Schonung, Verschwiegenheit, Rücksichtnahme], Ressentiment(s) [statt Neid,

Vergeltung, Rachegefühl, heimlicher Groll, Abneigung], transpirieren [statt schwitzen],

Basement [statt Kellergeschoss], Callgirl [statt Prostituierte]. Das deutsche Paar wirkt in

den hier aufgezeigten Fälen oft zu direkt, das fremde Wort ist nicht selten ‘behutsamer’,

Sensibel und Sensibilität können für überempfindlich, leicht zu beleidigen stehen. Für

Entlassungen sind schon immer Euphemismen verwendet worden (Freisetzung oder

Freistellung); für den Stellenabbau sind die neuen Bezeichnungen Betriebsoptimierung

oder Verschlankung der Produktion geschaffen worden. Von Sozialleichen im

Zusammenhang mit verstorbenen Obdachlosen, die von Verkehrsunfallforschern bei

Crashtests als Ersatz für Puppen (die englische Bezeichnung dafür ist Dummy)

eingesetzt werden, zu sprechen, ist ebenso geschmacklos und unangemessen wie von

postmortalen Test- oder Versuchsobjekten. Das Unternehmungskonzept lean

production als euphemistische Umschreibung von betriebswirtschaftlichen Vorteilen, bei

denen die negativen sozialen Folgen, insbesondere die Vernichtung von Arbeitsplätzen

und Massenentlassungen verdeckt bleiben, erscheint im Deutschen nicht als “magere

Produktion”, sondern als schlanke Produktion. Abschließend sei nochmals darauf

hingewiesen, dass ein Fremdwort besondere stilistische (Portier/Pförtner) und

inhaltliche (Exkursion/Ausflug; fair/anständig; simpel/einfach) Nuancen (25) enthalten

kann, die es von einem entsprechenden oder inhaltlich ähnlichem deutschen Wort

unterscheiden. Es kann unerwünschte Assoziationen (26) oder nicht zutreffende

Vorstellungen (27) ausschliessen (Passiv statt Leideform; Substantiv statt Hauptwort).

Heimische Begriffe können unerwünschte Assoziationen hervorrufen, wie im Falle von

Führer statt Manager (durch den Nationalsozialismus negativ belegtes Wort) oder auch

in der ehemaligen DDR, wo Anlizismen allgemein verpönt waren, negativ konnotiert,

deuteten sie doch auf westliche Verhältnisse hin. Man bevorzugte deshalb Leiter und

Leitungstätigkeit. Bei der Bildung von Terminologien haben Fremdwörter gegenüber

110

Page 111: Vorlesung Wortschatzerweiterung

den deutschen Wörtern den Vorteil der konnotativen Nichtbelastung, der

Eindeutigkeit (28). Das Fremdwort kann verhüllend (Fäkalien, koitieren) aber auch

abwertend (Visage vs. Gesicht) gebraucht werden. Es gibt eine ganze Reihe von

Fremdwörtern im Deutschen, die sich eingebürgert haben, weil sie sich nicht

übersetzen (29) lassen. Einen anderen Grund der Übernahme ist darin zu sehen, dass

im Gegensatz zu den deutschen Wörtern, sprachliche Importe von den

Sprachbenutzern als neutral (30) empfunden werden. Als Mittel stilistischer

Differenzierung markieren Fremdwörter affektive Wertungen (31) und dienen darüber

hinaus der Vermeidung von Wiederholungen (32) (es gibt, ist vorhanden, es existiert).

Daraus ist zu schliessen, dass das Fremdwort in der deutschen Sprache wichtige

Funktionen zu erfüllen hat.

Psychologische Ursachen

Bei der Übernahme nichtheimischer Spracheinheiten kann die „Effekthascherei“ (33)

(Heller 1982, 212) und das Prestige einer Sprachgemeinschaft, aber auch die

Aufnahmebereitschaft (Sprachloyalität) (34) der Sprachträger ausschlaggebend sein.

Das Imponiergehabe (35) (Vornehmtun auch mancher Experten) und die

Bequemlichkeit (36) tragen ebenfalls dazu bei, ‘Fremdes’ in das heimische System zu

integrieren. Hier liegen auch oft die Ursachen für fehlerhaften Fremdwortgebrauch. Die

Sprachteilhaber greifen des weiteren zu fremdsprachlichen Elementen, um Originalität

(37), Modernität (38) und Werbewirksamkeit (39), “Bildungsprotzerei”27 und

Expertenwissen (40) zu signalisieren. Das Substantiv Stillife steht neben dem

einheimischen, eingebürgerten Stilleben. Wozu diese Neuentlehnung? Weil – und das

wird den englisch-amerikanischen Neuentlehnungen oft vorgeworfen – “das fremde

Wort als vornehmer, als ‘schicker’ empfunden wird, weil ‘sein Prestigewert höher ist’”

(Donalies 1992, 103) Vor allem im PC-Jargon oder im Argot deutscher

Lufttransporteure erscheinen zahlreiche Ausdrücke fremder Herkunft (check-in, counter,

bagage security check, customs and passport control, boarding card, gate, on board, no

smoking area, tax free, duty free shop, seat, travelen (vgl. das „Service-Paket” der

Lufthansa). Als Beispiel dafür kann die oben angeführte Aussage des

Luftwaffenoffiziers angeführt werden, der 1963 von der ’Newsweek’ zitiert wurde28. Nicht

27 Leonhardt (1987, 45).28 Bausinger (1972, 101).

111

Page 112: Vorlesung Wortschatzerweiterung

nur Institutionen wie Post, Bahn oder Lufthansa, sondern auch Persönlichkeiten des

öffentlichen Lebens wird Anglizismen-Missbrauch vorgeworfen. Viele Menschen

versprächen sich durch den Gebrauch von Fremdwörtern einen Prestigegewinn (41).

Eine anderen Standpunkt vertritt E. Donalies (1992). Mittels sozialer Jargonismen (d.h.

gruppensprachlicher Anglizismen) kann Sozialkolorit (42)(Donalies 1992, 106)

erzeugt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang z.B. von “Intellektuellenjargon”.

Den Sprechern, die diesen Jargon benutzen, “elitäres Gebaren vorzuwerfen”, hält

Donalies für verfehlt. Es geht hier lediglich um “tendenziöse Begriffe, die eine negative

Einstellung bekunden und hervorrufen sollen“. Der durch zahlreiche Anglizismen

gekennzeichnete Sonderwortschatz bestimmter Gruppen soll “nicht nur als Zeichen von

Bildungs- und Wirtschaftsprivilegien verstanden werden”, der Sprecher greift “in einem

bestimmten sozialen Kontext” häufig zu Anglizismen, “um seiner Gruppenzugehörigkeit

Ausdruck zu verleihen” (Pfitzner 1978, zit. nach Donalies, ebd., 106). Sondersprachlich

sind z.B. Fashion-Victim, Hopping, Smash-Hit. Vor allem greifen Jugendliche zu einem

gruppenspezifischen Inventar. „Der Workshop hat einen Snob Appeal” - schreibt

Schneider (1996, 106)- und das soll heissen, dass Fremdwörter Imagearbeit (43)

leisten. Hier muss aber auch eingewendet werden, dass viele Fremdwörter sich gut zur

Verschleierung eignen, sie Tarnfunktionen (44) übernehmen können. Laut Ruth

Römer sei in den letzten Jahren der Anteil von Fremdwörtern in der deutschen Sprache

nur leicht gestiegen. Sie führt als wichtigste Gründe für diesen Anstieg die bessere

Beherrschung von Fremdsprachen sowie den heutigen Sprachgebrauch in den

Medien29an. Zur Verbreitung der Anglizismen trug die Werbung wesentlich bei. Manche

von ihnen haben deutsche Wortbildungs- und Flexionsmorpheme angenommen:

designen, joggen, leasen, rappend, recyclen, relaxen. Sehr oft erscheinen

Mischkomposita: Action-Film, Aerobicsocken, Brot-Shop, Country-Musik, Fitnesspfad,

Frischebox, Gartencenter, Jet-Flug, Sparleasing, Wickeltisch-Service sind oft

anzutreffen. Nicht nur bei Produktbezeichnungen, sondern auch bei

Berufsbezeichnungen werden Fremdwörter eingesetzt. Sei es aus

werbepsychologischen Gründen (45), sei es um die den betreffenden Beruf

Ausübenden oder das Produkt sozial aufzuwerten (46).

Geografische und soziolinguistische Ursachen

29 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 12/1996, S.8.

112

Page 113: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Die nachbarschaftliche Situierung zweier Kommunikationsgemeinschaften kann die

Übernahme fremdsprachlicher Wörter entscheidend bedingen. Hier ist zu erwähnen,

dass der deutsche Sprachraum eine geographisch günstige Lage mit sprachlichen

Kontaktgrenzen von einer Länge von 4850 km und eine Nachbarschaft zu 14 anderen

Sprachen hat. Kontaktgrenzen und Nachbarschaften bieten die Möglichkeit der

Einflussnahme und des Beeinflusswerdens. Der Status der Quellsprache, die

vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen und die Zweisprachigkeit

vermögen das Wesen des Sprachkontaktes mitzubestimmen. Die Art der Verarbeitung

des Lehnguts hängt mit dem Zeitpunkt und den Umständen der Übernahme zusammen.

Nicht zuletzt muss die Existenz der Fremdwörter in den einzelnen Sprachen darauf

zurückgeführt werden, dass sich Sprachen unter bestimmten soziokulturellen und

politischen Bedingungen gegenseitig beeinflussen.

Fazit

Jede Sprache ist, auch wenn man sie synchron betrachtet, ein Ergebnis von Geschichte und

sie umfaβt Bestandteile sehr verschiedener Herkunft und vor allem sehr verschiedenen Alters.

Es werden Wörter – aus vielen und unterschiedlichen Gründen – aus anderen Sprachen

entlehnt. Sie passen sich der Empfängersprache Deutsch an oder können ihre Fremdheit

beibehalten, so dass ihre fremdartige Herkunft sichtbar bleibt.30 Einige Wörter haben sich in

das System der Empfängersprache so fest eingegliedert, dass ihr fremder Ursprung der

Sprachteilhaber nicht mehr bewusst ist: Comics, Teddybär, Jazz, Jeans, PC, Aids, Keks,

Koks, Schal, Frack, Tennis, Radar, Quiz, Puzzle, Hit, CD, Make-up, Lotion, Shampoo, fair, fit.

Angloamerikanisches Wortgut in der deutschen Sprache der Gegenwart: nicht allein die

Fülle, sondern die Vielfalt der Aufnahmewege machen diese Erscheinung für die

Sprachwissenschaft und – pflege interessant. Bei der Verbreitung der Fremd- bzw. Lehnwörter

spielen die Medien als Informationsträger eine wichtige Rolle. Die Massenmedien übernehmen

zahlreiche Fremdwörter um z.B. Erscheinungen aus der ganzen Welt zu bezeichnen:

Dumping, Inflation, Business, Lobby, Konzernboss, Boom, US-Air-force, US-Administration,

Pentagon, Pershing, Overkill, Space-shuttle, Know-how. Anglizismen haben ähnliche Vorzüge

und ähnliche Nachteile wie andere Fremdwörter auch: Viele sind sehr praktisch, so Job oder

Team, andere sind kaum entbehrlich z.B. Brainstorming. Viele “weniger anschaulich” als das

30 Schippan (1992, 240 ff.).

113

Page 114: Vorlesung Wortschatzerweiterung

deutsche Gegenstück, soweit dieses vorhanden ist, andere verleiten zu einer falschen

Aussprache (“Zwitter-Aussprache”)(Schneider 1996, 113). Schneider (S. 106 und 108 ff.)

präsentiert die Wege der Übernahme und zeigt dabei, dass nicht nur nützliche Wörter

eingeführt werden, sondern auch „fremdländischer Unsinn”, und nicht nur die Deutschtümelei

lässt sich übertreiben, sondern auch die „Lust am welschen Wort”.

Ursachen für die Übernahme von Wörtern im Überblick

Bezeichnungslücken in Wirtschaft, Wissenschaft und Computer (Übernahme der

Denotate, mit den Sachen wurden die Wörter dafür übernommen: Pfeil, Wein, Mauer

politische, kulturelle Einflüsse anderer Völker (Schule, Universität, Doktor)

gruppen- und schichtenspezifische Übernahmen aus den Bereichen Mode, Kunst,

Sport, Computerwesen

wirtschaftliche und politische Beziehungen und die Dominanz verschiedener Staaten

(USA)

die sprachliche Internationalisierung und die soziale Geltung (Mehrwert)fremder

Ausdrücke

die Printmedien, elektronischen Medien (Film, Funk, Fernsehen, Internet), das

Informationswesen, der Verkehr, die Wirtschaft, die Werbung

der intensive Sprachkontakt, die weitverbreitete Zweisprachigkeit

4. Entlehnungen aus verschiedenen Einzelsprachen

I. Romanische Transferenzen in der deutschen Sprache

Die nachstehenden Ausführungen sollen darlegen, zu welchen Zeiten, welche Bereiche des

deutschen Sprachsystems romanische Einflüsse erfahren haben. Die Darstellung der

romanischen Transferenzen im Deutschen soll im Folgenden skizzenhaft aufgezeigt werden

und bleibt auf die lexikalischen Transferenzen beschränkt.

französisch-deutsche Transferenzen. Wesentlich für die Entlehnungen aus dieser

Sprache sind neben den aussersprachlichen Faktoren die enge Sprachverwandtschaft zu

Latein und die Zugehörigkeit zur ide. Sprachfamilie. Die Übernahmen aus dem

Französischen lassen sich beginnend mit dem 12. bis zum 14. Jh. aufzeigen, dann von

114

Page 115: Vorlesung Wortschatzerweiterung

der 2. Hälfte des 17. bis zum 19. Jh. Dazwischen liegt die Zeit des Humanismus mit ihren

vorwiegend lateinischen (bzw. griechisch-lateinischen) Transferenzen. Die früheste

Schicht französischer Lehnwörter steht im Zusammenhang mit dem Rittertum und der

höfischen Kultur. Die Fachausdrücke (Bezeichnungen für Kampfspiele, für Teile der

Rüstung) sind mit dem Untergang des Rittertums aus der Sprache verschwunden. Andere

haben sich mit verallgemeinerter / veränderter Bedeutung erhalten: Abenteuer, Turnir,

Palast, fein. Frankreich war zeitweise führend im Finanzwesen, in der Mode, in der

Gastronomie und in verschiedenen Wissenschaftszweigen. Manches wurde stärker

assimiliert (Frisör, Schofför), anderes veraltete (Billett, Kondukteur, Postillon), einiges

wurde neu benannt (Trottoir, Portemonnaie, Portefeuille), erhalten haben sich:

Mannequin, Medaille. Viele Wörter erhielten neue Bedeutungen (Chauvinismus, Boutique,

Rendezvous, Ressourse, Vernissage): Kader < frz. cadre, urspr. ,Stamm von

Berufsoldaten und Offizieren’; mit der Bedeutungsentlehnung aus dem Russischen kam

hinzu: ’planmässig herangebildeter Stamm von Nachwuchskräften, Fachleuten oder von

Personen mit wichtigen Funktionen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens (z.B.

in Partei, Staat und Wirtschaft)’; Boulevard < niederl.-frz., urspr. ’Bollwerk’, dann ’breite,

gepflegte Straße, oft Ringstraße, häufig auf abgetragenen Festungswerken’; seit der Mitte

der 70er Jahre (wahrscheinlich auch unter dem Einfluss des Russischen):

’Fußgängerzone aus der jeglicher Fahrverkehr entfernt wurde, ausgestattet mit Bänken

und Grünpflanzengruppen, meist Hauptgeschäftsstraßen der Stadtzentren’. Aus folgenden

Bereichen wurden die meisten französischen Wörter übernommen: a) Wohnung: Möbel,

Garderobe; b) Speisen: Boulette / Bulette, Bouillon, tranchieren; c) Körperpflege: Puder,

frisieren; d) Kleidung: Mode, Weste, Taille; e) Kunst: Profil, Portrait, Gobelin, gravieren; f)

Bezeichnungen aus dem Eisenbahnwesen: Perron, Coupé, Retourbillet, Kondukteur

italienisch-deutsche Transferenzen. Der Einfluss des Italienischen auf die deutsche

Sprache beschränkt sich auf den Bereich des Wortschatzes und tritt in Form von

Lehnwörtern, Lehnübersetzungen, Lehnbedeutungen auf. In geografischer Hinsicht muss

entschieden werden zwischen Transferenzen, die das gesamte deutsche Sprachgebiet

betreffen und solchen regionaler Verbreitung in den südlichen Teilen des deutschen

Sprachgebiets. Im folgenden werden nur die ersteren präsentiert. Ein Teil der Italienismen

erscheinen mit vokalischer Endung (-o, -a, -e). Die Lehnwörter stammen aus folgenden

Sachbereichen: a) Handel: Risiko, Firma, Bankrott, Bilanz; b) Geldwesen: brutto, netto,

Porto, Girro; c) Musik: Tempo, Solo, Oper, Konzert, Sopran; d) musikalische

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Page 116: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Vortragsbezeichnungen: moderato, adagio, andante, presto, vivace, staccato, piano,

allegro, crescendo; e) gastronomische Einrichtungen: ristorante, trattoria, taverna,

cafeteria; f) Essen und Trinken: prosciutto di Parma, tortellini alla campagna, ravioli,

saltimbocca alla romana, frutti di stagione, capuccino, espresso con grappa, Broccoli,

Lasagne, Pizza; g) Spiel und Sport: Boccia, Libero.

spanisch-deutsche Transferenzen. Es sind nicht zahlreiche Entlehnungen aus dem

Spanischen in der deutschen Sprache vorhanden, vor allem handelt es sich nur um

Bezeichnungen für Tänze (z.B. Quadrille, Bolero, Tango, Rumba) oder Bezeichnungen

aus verschiedenen anderen Sachgebieten: Infant, Siesta, Embargo, Liga, Moskito, Silo,

Zigarre.

116

Page 117: Vorlesung Wortschatzerweiterung

II. Slawische Transferenzen in der deutschen Sprache

Folgende Übersicht konzentriert sich auf auffällige Erscheinungen, die durch den Kontakt mit

slawischen Sprachen in der deutschen Sprache vorzufinden sind. Die Betrachtungen

orientieren sich ausschliesslich an den lexikalischen Slawismen, d.h. im Zentrum stehen die

slawischen Integrate der deutschen Lexik, die vor allem aus der Politik und Wirtschaft

stammen und auf „sowjetische Erfahrungen” zurückgreifen. Z.B. Agronom, Wandzeitung,

Meisterbauer fanden Eingang in die deutsche Sprache zwischen 1945-1950, Kombine,

Produktion, Propaganda zwischen 1951-1958, Arbeiterforscher, Materialfonds zwischen

1959-1962, Arbeiter- und Bauern-Inspektion, materielle Interessiertheit zwischen 1939-1968.

Lehnguteinheiten in der deutschen Sprache haben insbesondere im Sprachgebrauch der Ex-

DDR (Speziallexik/ideologisches Sondervokabular) Eingang gefunden (lexikalisch-

semantische Integrate: vor allem Substantive und Verben). Die lexikalischen Integrate

umfassen vor allem Lehnwörter (Wodka) und Lehnübersetzungen (Fünfjahresplan,

Kollektivwirtschaft), Lehnbedeutungen (Aktivist: ’anerkannter Neuerer einer Arbeitsbrigade’;

Pionier: ’Mitglied der sozialistischen Kinderorganisation’). Hier sind folgende Kategorien von

Slawismen zu verzeichnen: a) ehemalige Termini der Rechtssprache: Grenze, Robot; b)

handelssprachliche Begriffe: Nerz, Zobel; c) ideologisch gesellschaftpolitischer Wortschatz

(vor allem nach 1917 und 1945, typisch für den öffentlichen Sprachgebrauch in der Ex-DDR):

Agitation, Agronom, Aktivist, Brigadier, Kader, Kollektiv, Kombinat, Kursant, Lektor, Lager,

Mechanisator, Norm, Organ, Parade, Plattform, Pionier, Traktorist, Rekonstruktion. Diese

Integrate sind zunächst überwiegend Elemente einer ideologischen Fachsprache. Es sind vor

allem Elemente, die werten, Signale, die zu dem eigenen oder dem kapitalistischen ’Lager’

angehörten und einen zentralen Bereich der DDR-Lexik ausmachen, weil sie nicht nur auf die

sowjetische Wirklichkeit, sondern auch auf die in der DDR bezogen wurden; d) eine

Sonderkategorie von Lexikoneinheiten (Exotismen) wird als Lehngut in ausschließlich

russischen Bezügen betrachtet: Kopeke, Wodka, Kremel, Taiga, Samowar, Balalaika, Bojar

und weitere Ex-UdSSR-spezifische Sowjetismen; e) volkssprachlich verwendete Integrate (als

konnotierte Lexeme, die in der Ausgangssprache konnotationsfrei waren): dalli, Halunke.

III. Germanische Transferenzen in der deutschen Sprache

117

Page 118: Vorlesung Wortschatzerweiterung

englisch-deutsche Transferenzen. Im Folgenden sollen die Sprachkontakte zwischen

der Standardsprache und den germanischen Sprachen vorwiegend am Beispiel

englischer Transferenzen und ihrer Integration im gegenwärtigen Deutsch aufgezeigt

werden, wobei nur ein allgemeiner Überblick angestrebt wird. Bei der Behandlung der

Kontakteinflusse germanischer Sprachen auf die deutsche Gesamtsprache treten

folgende Aspekte in den Vordergrund. An dem primären Sprachkontakt war eine

Minderheit berufsmäßiger/bilingualer Sprecher beteiligt, im Unterschied zu der

gegenwärtigen Situation, wo durch Informationswesen, Verkehr, Wirtschaft, Werbung usw.

reiche Möglichkeiten für Sprachkontakte geboten sind. Ein erheblicher Teil der

Transferenzen lebt nur kurzzeitig in der Empfängersprache und die Mehrzahl der

Restklasse kann ihren ursprünglichen Geltungsbereich (Fach- und Gruppensprachen, vgl.

Transferenzvokabeln in der wissenschaftlichen Fachliteratur und in der Werbung)

überschreiten. Im 17. und 18. Jh. ist ein reges Interesse für die politischen Institutionen

und die englische Lebensart zu verzeichnen. In dieser Zeit wird englisches Wortgut, vor

allem durch literarische Übersetzungen (z.B. englische Wochenzeitschriften)

übernommen: Held (im Drama) < engl. hero; tote Sprachen < engl. dead languages;

Volkslied (von Herder geprägt) < engl. popular song; Gemeinwohl < engl. commonwealth;

Minderheit < engl. minority; Pressefreiheit < engl. freedom of press. Bis zum ersten

Weltkrieg haben vor allem die Großstädte Wien und Berlin zahlreiche (heute nur teilweise

erhaltene) Anglizismen übernommen. In den 20er Jahren begann der Einfluss des

amerikanischen Englisch das britische Englisch abzulösen, nachdem die USA die Rolle

als Weltmacht übernommen hatte. Der direkte Kontakt war sehr vielfältig und durch

Kriegsgefangenschaft, Emigration, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch,

sowie Politik (Bündnispolitik: NATO) begünstigt. Die amerikanische Industrie- und

Konsumgesellschaft was das Hauptgebiet der sprachlichen Importe. Die Zeit nach 1945 ist

nicht der Beginn der Periode, in der lexikalisches Material aus dem Englischen in großer

Zahl ins Deutsche gelandte. Schon um die Jahrhundertwende lästerte Karl Kraus über

Foxtrottel und Freaks. Die Fachwörter des Massensports, des Tourismus und einiger

Wissenschaftszweige liefern einen großen Anteil an Wörtern und Wortkonstruktionen.

Nach 1945 dringt das Englische in fast alle Bereichen der deutschen Sprache ein: in die

verschiedenen Fachsprachen, in die Umgangssprachen und Dialekte. Dieses Phänomen

ist vielfach beklagt worden, manchmal mit „deutschnationalen Untertönen” (Glück/Sauer

1990, 97). 1947 wurde der SPIEGEL (mit britischer Lizenz) gegründet, dessen Vorbild

auch in sprachlicher Hinsicht die amerikanischen Zeitschriften waren. Die Kontakteinflüsse

118

Page 119: Vorlesung Wortschatzerweiterung

sind vor allem auf folgenden Gebieten deutlich: a) früher war der Einfluss des Englischen

auf die Sprache der Hanse ausgeprägt: Boot < engl. boat; Lotse < engl. loodsman; b) der

Umfang und die Art der englisch-deutschen Sprachkontakte änderten sich im 19. Jh.

durch Englands Weltmachtposition, seine Führungsrolle in der industriellen Revolution,

durch sein entwickeltes Pressewesen und die Begründung des Volksports. In dieser Zeit

sind zahlreiche englische Lehnwörter und Lehnprägungen ins Deutsche eingedrungen,

von denen heute nur ein Teil erhalten geblieben sind: Industrialisierung, Dampfmaschine,

Lokomotive, Koks, Dampfer, Tram; Freihandel, Streik (= Arbeiterbewegung);

Parlamentarismus, erstklassig, Schlips, Flirt, Smoking, High Life (= Gesellschaftsleben);

Trainer, Start, Kicker, Foul, Record, Fit, Paddelboot, Mannschaft, Außenseiter, Tor,

Zweirad (= Sport); Leitartikel, Rundschau, Reporter, Interview (= Pressewesen);

Gipfelkonferenz, Elektronengehirn, Sprachlabor (= Wissenschaft und Politik); c)

Wirtschaft: Boom, Marketing, Trend, Service, Supermarkt, Image, Consulting, Dow

Jones, Job, Business, fulltime job, Connections, cost-controlling, continuous improvement,

globalpayer; d) Technik: Datenverarbeitung, Transistor, Radar; e) Vergnügen/Freizeit:

Feeling, Live-Sendung, Musical, Cartoon, Quiz, Striptease, Techno-Center, Holiday,

Mountainbike, Hobby, jogging, aerobic, skateboard, Party, Partygrill, Trip, Party, Show,

Lifestyle, High-Society, Hometrainer, CD-Player, Joint, Surfing, Fitnesscenter,

Bodybuilding, Trekking, Bungee-Jumping, bikemann, beauty queen, Talkshow; f)

Musik[alische Richtungen]: Pop, Rock, Beat, Jazz, Rap, Country, Reggae, Techno,

Disco, Soul, Blues, Sound, Break-Dance, Top, evergreen, Beat, Hard Rock, Playback,

Background; g) Körperpflege: high hair fresh color Schaum, lipstick, eye-shadow, eye-

liner, Make-up, [Body] Lotion, Aftershave for men, Spray, Shampoo; h) Mode / Kleidung:

Nylon, Blazer, Minirock, fashion colors, Body, Stretch, Leggings, Longshirt, Jacket, T-Shirt,

Boxershorts, Cocktail jacke, Outfit, Look, Boots, Clogs; i) Gastronomie: Ketchup, Curry,

Hot Dog, Milchshake, Schokoflips, Whiskey, Bloody Mary, Hamburger, Barmixer, Shaker,

ice cream, Obstshake, fast food, junk food, Brunch, Dip, Dressing, Beefsteak,

Barbecuesauce, Stew, Dinieren, Shrimps, Sherry, Snack, Corn Flakes, Popcorn, Juice,

Drink; i) Wohnen: Bungalow, Swimmingpool, Motel, Campinghouse; j) Verkehrsmittel:

Intercity, Eurocity, Interregio, Space[-wagen]; k) Sport: Rallye, Trophy, Speedway,

Bowling, Surfing, Goalkeeper, Badminton; [aus der Welt der Skater]: Jamming (= mit

schnellen, kurzen Schritten skaten], Pads (= Teile der Schutzausrüstung, vor allem an

Ellbogen und Knien), Back-Flip (= Rückwärtssalto), Backstretch (= mit einer Seitdrehung

verbundene Bewegung im Sprung), Event, Happening (= Inline-Skating-Veranstaltungen,

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Page 120: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Wettbewerb, Shows), Ride the grass (= weniger elegante Methode, in einem Rasenstück

zu bremsen); k) Berufsbezeichnungen: Expert, Manager, Barkeeper, Dealer, Broker,

Boss, Talkmaster, Barmixer, Hairstylist, Callgirl, Bodyguard, Babysitter, Artdirector,

Moderator, Account Executive Marketing-Koordinator, Direct Marketing, Field Application

Engineer; l) Verschiedenes: Tatoo, chic, made in, Junior, Fan, fit, Team, Image, Kid,

Meeting, Appeal, Teenager, happyend, horrortrip, Gag, Clip, Chip, Spot, Kick, Cockpit,

Killer, Interview, Action, Comeback, Insider, Voice control Wecker, Midlife-crisis, Trend,

Pipeline, Lover, Password, Supermarkt, Bestseller, Jetsetter, workaholic, cool, Glamour,

Service, crazy, Story, Slogan, Smog, Poster, second hand, crew, timing, Airbag, allround-

Talent, Eros-center, Darling, Newcomer, Blackout

niederländisch-deutsche Transferenzen. Die Kontakterscheinungen zwischen den

beiden Sprachen gehen bis ins Mittelalter zurück und sind nachbarsprachlich und kulturell

bedingt, teils auf Dialekte, Sondersprachen, teils auf die Standardsprache bezogen. Der

Einfluss des Niederländischen lässt sich auf folgenden Gebieten aufzeigen: a)

Seemannssprache und Fachsprache des Schiffbaus und der Schiffahrtstechnik; b)

Geldwesen: Börse, Aktie; c) Garten: Krokus; d) Literatur: als kulturelles Vorbild war

Niederlanden an den Entlehnungen aus verschiedenen Bereichen beteiligt. Die deutschen

Barockschriftsteller orientierten sich z.B. an der niederländischen Dichtung. Ph. v. Zesen

und H. Campe bemühten sich um zahlreiche Eindeutschungen nach niederländischem

Vorbild: Sinnbild (nl. zinnebeeld) für Symbolum; Vorsitzel (nl. voorzitter) für Präsident;

Staatsmann (nl. staats man) für Politicus; Gemütsbewegung (nl. gemoedsbeweging) für

Affect

jiddisch-deutsche Transferenzen. Das Jiddische ist die drittwichtigste Kontaktsprache

neben dem Englischen und Französischen. Vorwiegend gesprochen realisiert prägte das

Jiddische zahlreiche Entlehnungen, die vor allem in den Dialekten ihren Niederschlag

gefunden haben und auch hier weiter leben. Darüber hinuas drangen zahlreiche

Jiddismen über das Rotwelsche und die Gaunersprache in die Umgangssprache ein: Kaff,

meschugge, mies. Überregionale Verbreitung durch das Berlinische erlangten: dufte,

kess, knorke. Viele Entlehnungen erscheinen als Verballhornungen in der gesprochenen

Sprache (d.h. mit ähnlich lautenden deutschen Lexemen identifiziert und semantisch

umgedeutet): Hals- und Beinbruch (hazlóche un bróche ’Glück und Segen’), Saure-

Gurken-Zeit (zóress-und jókresszeit ’Zeit der Leiden und der Teuerung’)

120

Page 121: Vorlesung Wortschatzerweiterung

skandinavisch-deutsche Transferenzen. Die Begeisterung für die nordische Mythologie

und Literatur brachte zahlreiche Skandinavismen in die deutsche Hochsprache (z.B.

durch Klopstock und Wagner): Walküre (J. Grimm, Wagner), Norne (Klopstock, Herder),

Stabreim, Erlkönig. Jüngere Transferenzen sind Sachentlehnungen wie: Ski, Fjord,

Nordlicht, Rentier, Moped, Knäckebrot. Darüber hinaus wurden zahlreiche skandinavische

Rufnamen übernommen: Birgid, Ingrid, Kerstin, Ulla, Nils, Knut, Sven, Torsten

IV. Weitere Transferenzen aus anderen Sprachen

Aus dem Japanischen kommen: Bonsai, Ikebana, Geisha, Judo, Kimono, Mikado; aus dem

Finnischen hat die deutschen Sprache nur ein einziges Fremdwort übernommen (ausser

Vornamen für Personen): Sauna (seit 1941 belegt; vgl. Fleischer ebd.; 289); aus dem

Indischen: Dschungel, Ingwer, Joga, Pyjama, Pfeffer, Reis, Lack, Indigo, lila, Patschuli; aus

dem Arabischen: Karussell, Karawane, Diwan, Limonade, Orange, Pascha, Schach; aus den

Indianersprachen: Kokain, Kondor, Schokolade, Tomate, Tabak; Türkisch sind: Kelim,

Kiosk, Lakei, Tulpe, Turban; Chinesisch: Taifun, Soja, Tee.

VORLESUNG 7: „DEUTSCHER, SPRICH DEUTSCH!“ DAS ALTER DER

FREMDWORTDISKUSSION

1. Vorbehalte gegen den Begriff „Fremdwort”

Ein wichtiger Punkt in der Fremdwortdiskussion ist das Problem der „Gegenwehr”. Man

kann sich gegen die Flut englischer Wörter damit wehren, indem man gleich beim

Auftauchen eines Wortes nach Verdeutschungen sucht. Beispiele für misslungene

Verdeutschungen gibt es genug. Andererseits kann man Förster (1989, 113) nur beipflichten,

wenn er feststellt, dass es bei vielen Eindeutschungen doch zu einem Verlust an „stilistischer

Aura“ kommt. Manche Eindeutschungen wurden angenommen (z.B. Gotteshaus für Tempel

oder Streitgespräch für Debatte), andere nicht (so etwa Hochlehrer für Professor; Bernung

für Elektrizität oder Meuchelpuffer für Revolver).

Schwerpunkte: ⇨ Vorbehalte gegen den Begriff „Fremdwort ⇨ Die Fremdwort-Debatte: Der Kampf gegen die Fremdwörterei: Bemühungen um Sprachregelung und Sprachreinigung: Sprachgesellschaften (17.- 19.Jh.) ⇨ Sprachpflege und Sprachkultur heute

121

Page 122: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Viele ‚Vorschläge‘ konnten die Fremdwörter nicht ersetzen, sie bereicherten aber das

Sprachinventar. Nicht selten trat aber auch das deutsche Wort neben das fremde und

bereicherte das entsprechende Wortfeld inhaltlich oder stilistisch. Besonders französische

Fremdwörter beeinflussten die deutsche Sprache in den vergangenen zwei Jahrhunderten.

Viele fielen der Verdeutschungsaktion im 19. Jahrhundert zum Opfer, die das Militärwesen,

den Bereich der Eisenbahn und der Post betraf (z.B. wurde mandat durch Postanweisung;

poste restante durch postlagernd; billet durch Fahrschein ersetzt). Feststellbar ist aber, dass

auf dem Gebiet der Eisenbahn die Deutsche Bahn die Verdeutschung wieder rückgängig

macht, indem sie viele Ausdrücke in eine Art Englisch ‚übersetzt‘: Ticket, Service-Point, Bahn

Card, City Night Line, Regional Express, Inter City usw. Handelte es sich aber um nützliche

Importe (z.B. Bezeichnungen für Dinge oder Vorgänge, für die das Deutsche keine treffende

Begriffe bereitstellte), so wurden diese eingebürgert. Viele Verdeutschungen decken das

englische Wort nicht richtig ab. Erfolgslos blieben auch die Sprachgesellschaften, als sie in

einem Preisausschreiben deutsche Entsprechungen für Image und Rooming-in finden wollte.

(Förster 1989, 113). Förster erinnert daran, dass sich in den letzten 20 Jahren (das war

1989) eine einzige Verdeutschung durchgesetzt hat: Wasserglätte für Aquaplaning. Hier

handelt es sich um stilistisch nicht geladene Wörter, die Eindeutschung stellt bloss eine

Verständnis- und Aussprachehilfe dar. Viele Anglizismen wurden in Aussprache und

Schriftbild eingedeutscht: Keks aus “cakes”, Koks aus “cakes”, Schal aus “shawl”, Streik aus

“strike”. Andere Angebote aus dem Englischen wurden “vernünftig” übersetzt, statt sie zu

übernehmen: Gehirnwäsche (“brainwashing”), Kalter Krieg, Luftbrücke, schweigende

Mehrheit, Selbstbedienung. Inzwischen bezweifeln sogar Fachleute, dass durch den

Einstrom englischer Wörter tatsächlich bedeutungsgleiche deutsche Pendants – soweit diese

überhaupt vorhanden sind – verdrängt werden. Hier sollte man sich auf diachronische

Untersuchungen verlassen können. Ausserdem können selbst Anglizismen von anderen

Wörtern verdrängt werden. Andererseits sind selbst solche Anglizismen, gegen die noch vor

Jahrzehnten gekämpft wurde, heute ausgeschieden (Five o’ clock tea, Supper, Garden-

Party). Was den Vorwurf betrifft, viele dieser Neologismen seien Modewörter, so muss

eingeräumt werden, dass dieser Teil des Wortschatzes nicht unbeachtet bleiben sollte, da er

Ausdruck von Zeitgeschichte sei. Der englische Einfluss ist sehr stark ausgeprägt und muss

zu den auffallenden Entwicklungserscheinungen der deutschen Sprache der Gegenwart

gerechnet werden.

Viele sogenannte Fremdwörter sind schon so alltäglich geworden, dass sie

niemandem mehr ‘fremd’ erscheinen dürften. Zahlreiche Wörter, die eindeutig aus

122

Page 123: Vorlesung Wortschatzerweiterung

muttersprachlichem Material gebildet sind, sind wesentlich unverständlicher. Die

Bezeichnung „Fremdwort“ ist irreführend, da viele von ihnen (wegen den verbreiteten

Englischkenntnisssen) gar nicht mehr als ‘fremd‘ vom Sprachteilhaber empfunden werden.

Manche Fremdwörter, die uns im Alltag begegnen, sind überhaupt keine Fremdwörter,

sondern sogenannte ‚Scheinentlehnungen‘, die weder im britischen noch im amerikanischen

Englisch beheimatet sind: Smoking, Dressman, Highlife, Twen, Showmaster, Talkmaster,

Handy, Happy End.

Der Prozess der Übernahme wurde unterschiedlich eingeschätzt, die

Sprachwissenschaftler haben dem Fremdwort gegenüber unterschiedliche Positionen

eingenommen. Findet eine Wortschatzbereicherung statt oder führt eine unkontrollierte

Aufnahme zu einem Sprachverfall, zu dem Verlust der Sprachindentität? In der Einstellung

der Sprachträger lassen sich folgende Positionen erkennen: Dem Fremdwort wird ein

besonderes Prestige zugewiesen, dehalb werden Fremdwörter gewollt und gehäuft

gebraucht. Die warnenden und kritischen Stimmen, die sich gegen die Eingländerei richteten,

sind schon seit über 100 Jahren laut geworden: Hermann Dunger vom Allgemeinen

Deutschen Sprachverein sah in diesem Einstrom eine Überschätzung des Fremden als

Ausdruck mangelnden Selbstwertgefühls. Die Gegenposition vertraten die Sprachpuristen,

die eine „reine” Sprache fordern und verteidigen. Schon früh lassen sich bei diesen

nationalistischen Töne nicht überhören. Für die Sprachpfleger ist der Einfluss der

Anglizismen/Fremdwörter Anzeichen des Sprachverfalls, der zum Sprachidentitätsverlust

führt. Im Gegensatz dazu werden die späteren Sprachhüter eine ‘mildere’ Haltung vertreten,

die einen überlegten Fremdwortgebrauch anstreben. Die heutigen Sprachpfleger (z.B. die

Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden) wirken im Sinne eines überlegten

Fremdwortgebrauchs. Das Thema „Sprach-Überfremdung” sei uralt, gewinne jedoch im

Zeitalter des High-Tech eine neue Aktualität, bemerkt auch Ruprecht Skasa-Weiss

(„Stuttgarter Zeitung”, 26.3.1994)31. Schon immer wurden sprachliche Importe aus

unterschiedlichen Gründen übernommen. Neu ist der ausländische Einfluss nicht, so auch

die Furcht vor der Invasion. Bereits im 19 Jh. agitierte der Allgemeine Deutsche Sprachverein

„wider die Engländerei”. Die Fragen, die im Zusammenhang mit diesem “Reizthema” immer

wieder auftauchten, sind: Wie groß ist die Gefahr, die der deutschen Sprache droht? Droht

Überfremdung bis zur Unkenntlichkeit? Oder sind Anglizismen eine willkommene

Bereicherung? Filet, Kalender, Schachtel, Mappe, Schal, Keks sind Wörter, die man nicht

31 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 6/1994, S.7.

123

Page 124: Vorlesung Wortschatzerweiterung

mehr als Fremdwörter wahrnimmt, sie sind inzwischen Teil des deutschen Wortschatzes

geworden. Manche Fremdwörter verschwinden als Modewörter wieder. Die meisten sind alt

und vollständig eingebürgert und Fremdwörter nur noch “im Sinne der Puristen, die den

germanischen Ahnengspass verlangen.” (D. E. Zimmer, Die Zeit, 23.6.1995). Das gute und

alte Deutsch - befürchten die Sprachkritiker und Sprachpuristen - werde von schädlichen

Anglizismen und Pseudowörtern aufgefressen: Euro Tec-park, Anti-Stress-Hit, softes Power-

Elixier, FlyDrive-Kunde, Maso-Freak, Onko-Lunch, Quickpick, Ski-Kids-Corner, Mediamix,

Infopool, InterCityExpress. Angst vor diesem Wandel und Tendenzen der „Verdeutschung“

gibt es schon seit vielen Jahrhunderten. Die Fremdwortjagd sei „in Deutschland seit

Generationen ein beliebter Sport”, schreibt Günter Pflug im „Sonntagsblatt” (10.3.1995)32.

2. Die Fremdwort-Debatte: Der Kampf gegen die Fremdwörterei. Bemühungen um

Sprachregelung und Sprachreinigung: Sprachgesellschaften (17.- 19.Jh.)

In den letzten 350 Jahren sind unterschiedliche Positionen gegenüber dem Fremdwort im

Deutschen zu verzeichnen. Die puristische Bewegung in Deutschland muss in engem

Zusammenhang nicht nur mit der Entwicklung des modernen Hochdeutsch, sondern auch mit

der deutschen Geistesgeschichte in Beziehung betrachtet werden. Nach dem Vorbild der

italienischen “Accademia della Crusca” im 17. und 18. Jh. wurden in Deutschland

Vereinigungen von Fürsten, Adligen und Dichtern gegründet, die sich für die Förderung der

deutschen Sprache durch Abwehr fremder Einflüsse und Erhöhung der poetischen

Ausdruckskraft einsetzten. (Bußmann 1990, 707f.) Verdienst und Wirkung dieser eng mit

dem literarischen Barock verbundenen Gesellschaften liegen vor allem in der Pflege und

Verfeinerung der Übersetzungskunst, in den zusammengestellten Wörterbüchern und

zahlreichen Abhandlungen zur Rechtschreibung und Grammatik (Wolff 1994, 142ff.).

Sprachreinheit war auch das Ziel zahlreicher Sprachgesellschaften, die im 17. und im

18. Jh. in Deutschland entstanden und der überhandnehmenden „Fremdwörterrei und

Verwelschung“ den Kampf ansagten. Das waren vor allem die 1617 von Fürst Ludwig von

32 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 9/1995, S.6.

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Page 125: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Anhalt-Köthen nach französisch-italienischen Vorbildern begründete Fruchtbringende

Gesellschaft, der bald bekannte Zeitgenossen wie Opitz, Schottelius und Gryphius u.a.

angehörten. Diese in Weimar gegründete Gesellschaft gilt als einflussreichste und größte

Sprachgesellschaft. Es folgten die Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen (J. M.

Moscherosch, 1633), die Deutschgesinnte Genossenschaft (Ph. v. Zesen, 1643), der

Löbliche Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz (Harsdörffer, Klaj 1644), der

Elbschwanorden (J. Rist, 1659). Kurzlebiger waren die Gründungen des 18. Jh.s.:

Deutsche Gesellschaft in Leipzig und die Teutschliebende Geselschaft in Hamburg. Über

die Mitglieder solcher Vereinigungen setzten sich eine ganze Reihe von Verdeutschungen

durch33: Mundart für Dialekt, Beistrich für Komma, Zahlwort für Numerale, Zeitwort für

Verbum (Schottelius); Augenblick für Moment, Entwurf für Projekt, Verfasser für Autor,

Trauerspiel für Tragödie, Abstand für Distanz, Schauspieler für Acteur, Leidenschaft für

Passion, Lustwandeln für spazieren (Zesen); Sinngedicht für Epigramm, Briefwechsel für

Korrespondenz, beobachten für observieren, Geschmack für Gusto (Harsdörffer).

Die Sprachpflege verfolgte folgende Ziele: Die Reinigung des Deutschen von

Fremdwörtern; man bemühte sich um Eindeutschungen, manche von ihnen sind bis heute

gebräuchlich (Anschrift oder Hochschule); Kampf gegen die modische Vermengung mehrerer

Sprachen; die Schaffung einer einheitlichen Literatursprache, normiert in Grammatiken und

Wörterbüchern. Die bedeutendsten Schriftsteller der Zeit waren Mitglieder der

Fruchtbringenden Gesellschaft, so Opitz, Harsdörffer, Stieler, Zesen34.

Die große Ausweitung des Wortschatzes im 19.Jh. wird hauptsächlich aus drei

Quellen bezogen: der Übernahme aus Fachwortschätzen, der Entlehnung aus anderen

Sprachen, der Verdeutschung fremdsprachiger Wörter nach der Reichsgründung 1871. Hier

sind die Bemühungen des 1885 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachvereins35

(1885–1943) oder einzelner Persönlichkeiten wie Generalpostmeister H. v. Stephan zu

erwähnen36. Die Sprachgesellschaften des Barock waren über 100 Jahre tätig.

Eine übersichtliche und materialreiche Untersuchung zu einer der wichtigsten

Sprachgesellschaften Deutschlands legt Reinhard Olt vor. Seine Arbeit “Wider das Fremde?

Das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins in Hessen 1885-1944. Mit einer

einleitenden Studie über Sprachreinigung und Fremdwortfrage in Deutschland und

33 Wolff (1994, 144ff.).34 Förster (1989, 105ff.).35 Dessen Zeitschrift Muttersprache [1925ff.] seit 1949 von der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden herausgegeben wird.36 Wolff (1994, 189f)..

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Page 126: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Frankreich seit dem 16. Jahrhundert” (1991) muss an dieser Stelle hervorgehoben werden.

Folgende Ausführungen stützen sich auf eine Rezension zu dieser Studie37.

Olt vermerkt, dass es schon im 16. und 17. Jh. Gründe gab, Fremdwörter zu

übernehmen, und zwar wenn eine Entsprechung in der Muttersprache fehlte, wenn

Fremdwörter die Aufmerksamkeit weckten, wenn sie schmückten oder beschönigten. Den

radikalen Sprachpurismus repräsentierte die Teutschgesinnte Gesellschaft (1643 von

Philipp von Zesen gegründet). Als Vorbild fungierte Frankreich im 17. Jh. in der Kriegs- und

Wehrarchitektur, im Schlossbau, in der Kochkunst, in der Kleidermode, so dass Herder von

der “Franzosensucht” der Deutschen sprach. Die Sprachgesellschaften im späten 18. Jh. und

19. Jh. lehnten das Fremdwort meist radikal ab. Die Vereinsarbeit war auf die

Eindeutschung von Fremdwörtern konzentriert (z.B. Lesehalle für Volksbibliothek,

Flammenhalle für Krematorium), und zu allen Zeiten gab es gelungene Verdeutschungen.

Die meisten von ihnen sind uns als solche gar nicht mehr bewusst (Flurstück für Parzelle; ein

gelungener Versuch ist auch Wasserglätte für Aquaplaning). Leider werden oft nur

Fehlformulierungen zitiert, die den Sprachvereinen zur Last gelegt werden, auch wenn sie

gar nicht von ihnen stammen. Nach dem Ausgang des Ersten Weltkrieges, den man als

erniedrigend empfand, wurde der Gebrauch auch französischer Fremdwörter als „nationale

Schande” hingestellt. Der Kampf gegen das Fremdwort und der Fremdworthass müssen „im

Zuge der Zeit” verstanden werden. Die Tätigkeit eines Sprachvereins ist vielfältig, der Kampf

gegen die “Engländerei” ist nur ein Teil davon. Olt nennt z.B. den Zweig Darmstadt, der sich

für eine korrekte Schreibung der Straßennamen eingesetzt hatte, man beschäftigte sich auch

mit Orts- und Flurnamen, mit Personennamen. Zu den Vereinsbemühungen gehörten auch

die Aussprache, die Mundarten und die deutsche Schrift. Die gegen Ende des Jahrhunderts

scharf kritisierte und bekämpfte „Engländerei” und „Frankomanie” findet sich besonders im

Konversationsstil der adligen Gesellschaft. Die Zahl der Fremdwörter ist „gewaltig

angewachsen“. Es werden englische Wörter nicht nur für Dinge und Begriffe, die aus

England und Amerika übernommen wurden, verwendet, sondern oft auch „für die einfachsten

Begriffe des gewöhnlichen Lebens“, wie „ das deutsche häusliche und öffentliche Leben“. In

den Kreisen der vornehmen Gesellschaft („feine Welt“) ist gegenwärtig die englische Sprache

angesehener als die französische. Die Einbürgerung englischer Wörter in die deutsche

Sprache ist angesichts des großen Einflusses, „welchen englische Sitten und Mode,

englische Einrichtungen im politischen und gesellschaftlichen Leben, namentlich Sport und

37 Förster (1993, 180f.).

126

Page 127: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Bewegungsspiele in neurer Zeit bei uns gewonnen haben“ erklärbar. 38 Die Gründe der

Übernahme stellt Dunger eindeutig vor und auch damals wie auch jetzt ist der Aufbau eines

gewissen Image ein wichtiger Grund für die Sprachimporte gewesen. Dunger erwähnt auch

einen Wandel im „Geschmack der Deutschen“: Hausbau und Hauseinrichtung haben sich

verändert, um sich den englischen Ansichten auch über Gesundheitspflege und Geschmack

anzupassen. Die Bevorzugung des Englischen – vor dem Französischen - zeigt Dunger u. a.

auch an bestimmten Bereichen auf: Vornamen, Tiernamen, Bezeichnungen für Stoffe und

Kleidungsstücke, Speisen und Getränke („ja sogar die gute deutsche Ochsenschwanzsuppe

muss es sich meist gefallen lassen, in englischem Gewandt als Oxtail-soup auf der

deutschen Speisekarte zu erscheinen“), in den öffentlichen Ankündigungen der

Kunstreitergesellschaften, in Sing- und Spielhallen und in „ähnlichen Schaustellungen“, in der

Darstellung englischer und amerikanischer Verhältnisse. Berechtigte Gründe für die

Übernahme sieht Dunger dort, wo das englische Wort unübersetzbar ist oder wenn es einen

Begriff bezeichnet, der in der deutschen Sprache nicht vorhanden ist (z.B. Sport, Spleen,

Humor, Pudding u.a.). Englische Erfindungen werden selbstverständlich unter englischer

Bezeichnung in den Handel gebracht, „mag auch die Übersetzung so nahe liegen” (Fountain

Pen, Independent Pen, Spray, Meat Preserve bzw. Meat Preserve Crystal39). Bedenken

tauchen aber dann auf, wenn deutsche Erzeugnisse unter englischem Namen in deutschen

Zeitungen (Werbeanzeigen) angekündigt werden. Die Überfremdung beklagt Dunger aber

vor allem im Sport.

Die Schlussfolgerung, die sich nun ableiten kann, ist die gleiche, die wir auch in den

Tutzinger Thesen 100 Jahre später vorfinden: Die Schuld an dem übermässigen

Fremdwortgebrauch - an der „englischen Hochflut”- liegt beim Sprachteilhaber selbst. Eine

Spracherscheinung, die damals wie auch jetzt, „den Freund der Muttersprache mit Besorgnis

erfüllen muss”.

An der Darlegung der Gründe, die für die Einfuhr fremden Wortgutes

ausschlaggebend waren, hat sich in 100 Jahren kaum etwas geändert.

3. Sprachpflege und Sprachkultur heute

38 Renn-, Ruder, Jagdsport, Pferde- und Hundezucht, Radfahren, Croquet, Tennis und Fußball. 39 Als Bezeichnung für das oft verwendete Fleischsalz, das zur Färbung des Hackfleisches und der „sogenannten Appetitswürstchen” dient, und den deutsche Fleischern angeboten wird, ihnen damit englische Kenntnisse zutraut. Ebd., S. 245.

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Page 128: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Die Sprachreinigungsbestrebungen (angefangen vom 17. Jh. bis zum Zweiten Weltkrieg)

standen in Verdacht, Ausdruck einer allgemeinen Abneigung gegen alles Nichtdeutsche

gewesen zu sein. Die gefährliche Überflutung der deutschen Sprache von Anglizismen

wurde oft beklagt, manchmal mit „deutschnationalen Untertönen”. (Glück/Sauer 1990, 97)

Dabei sind unterschiedliche Einstellungen und Haltungen gegenüber dem Fremdwort laut

geworden: Aufgeschlossenheit im 18. Jh., Mitte des 19. Jh., seit 1945; Ablehnung im 17. Jh.,

frühes 20. Jh.

Im 17. Jh. blieben die Versuche, eine nationale Sprachakademie zu bilden, vergeblich.

„Deutscher, sprich Deutsch”, lautete die Parole der Sprachbewahrer im Fremdwörterstreit.

Es hat Perioden gegeben, in den die Sprachreiniger (Puristen), die Fremdwörter aus der

deutschen Sprache zu entfernen suchten. Die im 17.Jh. in der Zeit des Dreißigjährigen

Kriegs und während der Alamodezeit gegründeten Sprachgesellschaften – z.B.

Fruchtbringende Gesellschaft (1617) - wandten sich gegen die lateinische und vor allem

gegen die französische Überfremdung; nach der Reichsgründung (1871) waren die

puristischen Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (1885) besonders

zu Beginn des 20. Jhs erfolgreich, bis Hitler sich durch einen sogenannten Führererlass 1940

gegen „die künstliche Ersetzung längst ins Deutsche eingebürgerte Fremdworte“ wandte. Es

gibt in Deutschland keine Entsprechung zur Academie Francaise, aber neben der

Gesellschaft für deutsche Sprache haben sich auch die Deutsche Akademie für Sprache

und Dichtung, die Dudenredaktion und das Institut für deutsche Sprache in Mannheim

die Sprachpflege zum Ziel gesetzt.

Man darf die Zielsetzungen der Sprachvereine bzw. Institutionen von heute nicht mit

jener vergangener Jahrhunderte vergleichen oder verwechseln, welche gebräuchliche

Fremdwörter oder Lehnwörter um jeden Preis einzudeutschen versuchten. Heute ist die

Haltung dem Fremdwort gegenüber liberaler geworden. Die Sprachpfleger haben erkannt,

dass die internationale Terminologie bedeutend ist, und dass die Muttersprache manche

Fremdwörter tatsächlich braucht.

Das Sprachviereck Dortmund – Wiesbaden – Mannheim –Darmstadt wird hier

unvollständig repräsentiert; die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“ (Darmstadt)

blieb unberücksichtigt. Der übermässige Fremdwortgebrauch, die Verwendung von

Fremdwörtern überhaupt und auch die Kritik daran sind nicht neu. Deutschland kann auf

eine lange Tradition des Sprachpurismus, die bis in 17. Jh. reicht, zurückblicken. Der

„Kristallisationspunkt”40 des modernen deutschen Sprachpurismus ist ein 1997 in Dortmund

40 Niehr (2002, 4).

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Page 129: Vorlesung Wortschatzerweiterung

gegründeter Verein, der sich ursprünglich Verein zur Wahrung der deutschen Sprache e.

V. nannte. Der Name des Vereins klang nach Sprachpolizei und nach Deutschtümelei, wurde

deshalb auch zum Beitrittshindernis. Heute trägt er den Namen Verein deutsche Sprache

(VdS). Seine Aufgabe ist, die Öffentlichkeit auf den Anglizismengebrauch aufmerksam zu

machen und sich für die Vermeidung bzw. Ersetzung überflüssiger Anglizismen einzusetzen

(z.B. durch öffentliche Diskussionsveranstaltungen, Preisverleihungen – und zwar wird Jahr

für Jahr der “Sprachpanscher des Jahres” gekürt – Publikationen). Institutionen wie Post,

Bahn, Lufthansa aber auch, gar nicht mehr vereinzelt, Persönlichkeiten des öffentlichen

Lebens, greifen immer mehr zu einer Mischsprache. Als Beispiel für Denglisch wird oft Jil

Sander mit einer Aussage aus einem FAZ-Magazin-Interwiev (1997) zitiert:41 „Mein Leben ist

eine giving-story Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-denken

haben muss. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu

verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass

man viele Teile einer collection miteinander combinen muss. Aber die audience hat das alles

von Anfang an auch supported. Der problembewusste Mensch von heute kann die Sachen,

die refined Qualitäten mit spirit aben auch appreciaten. […]Wer Ladysches will, searcht nicht

bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.” Oft auch

die Deutsche Lufthansa42 mit dem Satz: „ Miles & More führt ein flexibleres Upgrade-

Verfahren ein: Mit dem neuen Standby Oneway Upgrade Voucher kann direkt beim Check-in

das Ticket aufgewertet werden.“

Die Sprachschützer sprechen von Denglisch, der Muttersprache Deutschlisch, die

die deutsche Sprache entstellt. Es gibt auch überflüssige und ärgerliche „Anglizismen”, d. h.

sie gelten als englische Ausdrücke, existieren in englischsprachigen Ländern aber nicht. Der

„wilde Aktivistenhaufen”43 kämpft z.B. mit Inseraten in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”

gegen die englische Werbung der deutschen Telekom. Das Lächerlichmachen von

Anglizismen-Verwendern ist “zwar nicht die feine, aber die wirkungsvollste Art des Vereins”44.

Die Sprachhüter sind laut eigenen Angaben keine Fremdworthasser, sie möchten aber

gegen überflüssiges „Denglisch” antreten, das von Managern und auch Werbeleuten

gesprochen wird. Es geht nicht darum eingebürgerte und bekannte englische Wörter, die

längst zum deutschen Sprachgebrauch hören, zu beseitigen.

41 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S.6.42 C. B. Sucher, „Süddeutsche Zeitung“, 23.1.1997. In: FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 3/1997, S. 7.43 J. Steinhoff, Der Stern, 36/1999, S. 60.44 Ebd., S. 59.

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Page 130: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Der Zorn der Vereinsmitglieder richtet sich gegen solche Fremdwörter, für die es im

Deutschen gleichwertige wenn nicht bessere Wörter gibt, so etwa Nutzer statt User, Ereignis

statt Event oder Zeitlupe statt slow motion.

In Frankreich gibt es seit Jahren (seit 1975) ein Gesetz über den Gebrauch der

französischen Sprache. Hier wird per Gesetz verfügt, - es ist nicht unbedingt ein Anti-

Englisch-Gesetz - dass Fremdwörter (in offiziellen Aussendungen wie Fernsehsendungen,

Zeitung, Werbung, offiziellen Dokumenten usw.) zu vermeiden sind, wenn ein gleichwertiger

französischer Ausdruck existiert. 1994 wurde noch ein strengeres Gesetz („loi Toubon”)

eingeführt, das das Verbot von ausländischen Wörter und Wendungen auf weitere Bereiche

ausdehnt etwa im amtlichen und öffentlichen Sprachgebrauch (Kauf- oder Arbeitsverträge).

Als es in Kraft trat, wurde es in Deutschland als nationalchauvinistisch verspottet. Die

Franzosen sind gezwungen, in Texten, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, die also für

jeden verständlich sein müssen, bei der Verwendung von Anglizismen auch die französische

Übersetzung dazu zu schreiben. (Hinweisschilder, Wegweiser, Gebrauchsanleitungen,

Vertrags- oder Gesetzestexte).

In Rumänien versuchte der inzwischen verstorbene Senator George Pruteanu

Anhänger für einen ähnlichen Gesetzesentwurf („Legea privind protecţia limbii române”) zu

gewinnen, einer Sprach- und Kulturkommission des rumänischen Parlaments obliegt die

Durchsetzung und Durchführung dieser Regelung (siehe auch die verschiedenen

Stellungnahmen in der rumänischen Tageszeitung “Adevărul“). Dazu Pruteanu: „Legea este

complet lipsită de xenofobie sau şovinism.”45

Im Zeitalter der Multikulturalität, des Intrenet und der Globalisierung sei ein

Sprachschutzgesetz kaum nützlich, obwohl viele meinen, dass man der rumänischen

Sprache mehr Respekt entgegenbringen sollte. Eine Reihe englischer Wörter wie fast food,

shop, supermarket, show, soft, leasing, hit haben sich eingebürgert; viele von den

Anglizismen haben keine rumänische Entsprechung. Pruteanus

Sprachschutzgesetzesentwurf bestimmt, dass im öffentlichen Sprachgebrauch (in den

Massenmedien, in Institutionen, im öffentlichen Schriftverkehr, bei der Bezeichnung von

Produktnamen und der Dienstleistungen usw.), in schriftlichen oder mündlichen Texten

Fremdwörter durch Übersetzungen ersetzt werden sollen. Viele Unternehmen46 (z.B. in der

Software- und Tabakindustrie, aber auch im Bereich der Dienstleistungen) beklagen, dass

das Durchsetzen dieser Regelung unmöglich und mit einem hohen Kostenaufwand

45 Mircea Marian, Legea lui Pruteanu, adoptată în aplauzele PRM, Adevărul, 9.10.2002, S. 2.46 Mediafax, Reprezentanţii companiilor străine contestă şi ei Legea Pruteanu, Adevărul, 11.10.2002, S. 5.

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Page 131: Vorlesung Wortschatzerweiterung

verbunden wäre; Probleme tauchen u.a. auch bei der Übersetzung verschiedener

Produktnamen auf. So kann man hot dog unmöglich mit câine fierbinte übersetzen. Pruteanu

versucht es mit folgender ‚Übersetzung‘: „Un fel de cârnat într-un fel de chiflă”.

Die Sprachdebatten und Kampagnen gegen die Überfremdung der deutschen

Sprache führten dazu, dass man als Rassist und extremer Nationalist bezeichnet wurde. Die

Bemühungen des von Walter Krämer geleiteten „Vereins“ werden von den meist recht

gelassenen Fachleuten als „dummes Zeugs“ (Peter Eisenberg) abgetan und Dieter Herberg

(IdS) etwa halte die „Alarmrhetorik der Sprachbewahrer“ für übertrieben. Die Mehrheit aller

Deutschen sei der Ansicht, dass in Deutschland viel zu viele englische Wörter benutzt

würden. Die Ablehnung der Anglizismen wachse mit zunehmendem Alter und falle bei

höherer Schulbildung deutlich niedriger aus („Tagesspiegel“, 4.4.1999).47 Nach Krämer

sprechen Frauen ein „deutlich reineres Deutsch“ als die Männer, deren Imponiergehabe

meistens erheblich größer sei („Frankfurter Rundschau“, 3.5.1999),48 man wisse nun endlich,

dass die Bedrohung der deutschen Sprache nicht von den TV-Talk-Ladies ausgehe, sondern

eher „vom gemeinen fremdwörterschleudernden Mann“, kommentiert Nma. („Süddeutsche

Zeitung“, 7.5.1999).49

Die erfolgreichste deutsche Sprachgesellschaft war der Allgemeine Deutsche

Sprachverein. 1947 wurde er unter dem Namen Gesellschaft für deutsche Sprache in

Wiesbaden neu gegründet. Nach 1945 ist es für die Gesellschaft schwer gewesen, dieses

Erbe abzutragen, die Sprachpflege vom Ruch des Purismus und der nationalistischen

Engstirnigkeit zu befreien. 1947 hat man an die Arbeit des alten Sprachvereins – natürlich mit

geänderter Zielsetzung – anknüpfen können. Dieser traditionsreichen Gesellschaft muss - im

Rahmen der Diskussion - ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden, ihre heutigen

Aufgaben kurz vorgestellt werden.

Heute hat die GfdS über 40 Zweigvereine, organisiert pro Jahr rund 90

Vortragsveranstaltungen, leistet täglich Sprachberatung. Außer dem „Medienpreis für

Sprachkultur“ verleiht die Gesellschaft den Alexander-Rhomberg-Preis für Journalisten, um

hervorragende Verdienste um die Sprach- und Sprechkultur in Deutschland zu würdigen.

Wettbewerbe wie der um das Wort oder Unwort des Jahres sind sehr beliebt.

Es ist wichtig, dass die Sprachgemeinschaft auf den öffentlichen Sprachgebrauch

aufmerksam gemacht wird; in diesem Sinne möchten die „Unwort”-Aktionen für mehr

47 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S. 6.48 Ebd.49 Ebd.

131

Page 132: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Rücksichtnahme im sprachlichen Umgang miteinander werben. Die Sprache sei als

„unschuldiges Instrument” nicht für sprachliche Fehlleistungen, für unangemessenen und

inhumanen Sprachgebrauch verantwortlich zu machen, sondern die Sprecher selbst

(Schlosser 1992, 50).

Die Aktionen der GfdS möchten zur Entwicklung eines kritischen öffentlichen

Sprachbewusstseins beitragen. 1999 hat die Gesellschaft eine Kommission gebildet, die sich

mit der Fremdwortproblematik befasste und der Öffentlichkeit eine „Stellungnahme der

Gesellschaft für deutsche Sprache zum englischen Einfluss auf die deutsche

Gegenwartssprache“50 vorgelegt hat. Hier wird auch festgehalten, dass Deutsch nie eine

reine Sprache war. Im Laufe seiner Geschichte hat Deutsch zahlreiche Wörter aus

verschiedenen Sprachen übernommen, vor allem aus dem Lateinischen, Griechischen,

Französischen und Englischen. Die Zahl der englischen Wörter hat in den letzten

Jahrzehnten zugenommen, ist aber im Vergleich zu anderen Fremdwörter noch gering. In der

deutschen Alltagssprache sei die Zahl englischer Wörter immer noch relativ gering, bei den

Fachsprachen ist die Situation anders. Das Besondere der Wörter aus dem Englischen sei,

dass sie vor allem in jüngster Zeit (und zwar in den letzten Jahrzehnten) in die deutsche

Sprache übernommen worden seien, dass sie nahezu die gesamte Bevölkerung betrafen

und dass sie vermutlich in alle Sprachen der Erde übernommen würden, weil die

internationale Verständigung weitgehend Englisch stattfindet, Englisch Weltsprache ist. Allen

Tendenzen zu einer Einheitssprache sei Widerstand zu leisten – die sprachliche Vielfalt

müsse vor allem in Europa erhalten bleiben. Wie weit der Einfluss des Englischen auf das

Deutsche gehe, entscheiden die Sprecher selbst51: „Wir selbst sind für die Entwicklung

unserer Muttersprache verantwortlich. Diese Verantwortung sollen wir ernst nehmen und

alles tun, um das Besondere unser Sprache zu erhalten, nicht aus nationalistischen oder gar

chauvinistischen Erwägungen, auch nicht in erster Linie aus kommunikativen Gründen,

sondern weil es in Zukunft darauf ankommt, bei aller Globalisierung das eigene Gepräge der

Einzelsprache zu erhalten. Verschiedene Sprachen ermöglichen uns verschiedene Zugänge

zur ‚Welt‘, sie bieten uns verschiedene Perspektiven, verschiedene ‚Brillen‘ an, und diese

Vielfalt sollte nicht verloren gehen. Das heisst zunächst, dass jeder Einzelne entscheiden

muss, wie er mit den Fremdwörtern umgeht. Zwar gibt es vor allem in der fachbezogenen

Kommunikation einen gewissen Zwang zur Fremdwortverwendung, aber in den meisten

Fällen steht uns die Entscheidung frei.“

50 Der Sprachdienst 6/1999, 217ff.51 Ebd.

132

Page 133: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Hauptaufgabe der GfdS ist die Sprachpfllege im Sinne der Verbesserung der

Sprachbewusstheit. Ihre Tätigkeit muss aber aus der richtigen Perspektive gedeutet werden.

Die GfdS lehnt die „Deutschthümelei“ ab, als Nachfolgeorganisation hat sie die

Fremdwortfrage „ängstlich umgangen“52 und andere Aufgaben gesucht. Die Aufgabe der

GfdS besteht nicht darin, Fremdwörter abzuschaffen, sondern deren unangemessenen,

unüberlegten, inflationären Gebrauch aufzuhalten, einen verantwortungsvollen

Sprachgebrauch zu fördern. Über ihre Aktivitäten berichten die Zeitungen zu Recht in der

Regel im vermischten und nicht im kulturellen Teil.53

Das Institut für deutsche Sprache (IdS) mit dem Sitz in Mannheim wurde 1964

gegründet. Die Zielsetzung des IdS ist die Erforschung und Beschreibung der deutsche

Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch. Der gegenwärtige „Sprachschrott“ ist auch in

Mannheim anerkannt worden– allerdings ohne Hinweise auf irgendwelche Angriffe auf den

Tiefencode des Deutschen vermelden zu könen. Die „Sprachfreunde“ übersehen in ihrem

„Anglizismen-Gram“, was sich sonst im Deutschen ereignet, mit womöglich weitaus

gravierenden Folgen. Gerhard Stickel, vom Institut für deutsche Sprache, habe das

„Vordringen des Englischen in manche Bereiche von Wissenschaft und Wirtschaft als

Besorgnis erregender“ eingestuft, als die durch Werbung, Fernsehen oder Internet

ausgelösten Einflüsse. („Stuttgarter Zeitung“, 18.3.2000). Daher sollten auch

wissenschaftliche Veröffentlichungen in deutscher Sprache verfasst werden.54 Das Institut

für deutsche Sprache (IdS) und Gerhard Stickel haben wiederholt vor einer unreflektierten

Verwendung von Anglizismen gewarnt, auch weil nur die Hälfte der West- und ein Viertel der

Ostdeutschen Kenntnisse des Englischen hätten („Tagesspiegel“, 23.12.1998).55 Stickel hat

auch angeregt, die gängigen englischen Computer-Ausdrücke als Teil der deutschen

Sprache zu betrachten. Wenn sich englische Wörter einmal etabliert hätten, betont Wilfried

Schütte (IdS), sei es unsinnig, krampfhaft nach einem deutschen Ausdruck Ausschau zu

halten („Frankfurter Allgemeine“, 17.5.1999).56

Der englische und amerikanische Einfluss auf die deutsche Sprache stellt eine

Entwicklung dar, die von den meisten Kritikern auch als Sprachverfall angesehen wird (siehe

52 Förster (1990, 1 ff.).53 Siehe FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 11/1990, S. 5f.; FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 1/1997, S. 8; FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 6/1998, S. 6.54 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S. 6.55 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 9/1999, S. 6.56 Ebd.

133

Page 134: Vorlesung Wortschatzerweiterung

z.B. veröffentlichte Artikel in Fachpublikationen, im Sprachdienst, in der Muttersprache,

Vorträge und Tagungen zum Thema). Am 3. und 4. Juni 1999 hat der Deutsche

Germanistenverband zusammen mit der Evangelischen Akademie Tutzing Thesen

erarbeitet, die dazu beitragen sollen, die Sprachvielfalt in Europa zu sichern. Verfolgt wird,

eine europäische Sprachenkonferenz einzuberufen und dort eine Sprachencharta zu

erarbeiten. Die GfdS unterstützt die Tutzinger Thesen (siehe dazu die „Stellungnahme der

Gesellschaft für deutsche Sprache zum englischen Einfluss auf die deutsche

Gegenwartssprache“). Dass es in der besonderen Verantwortung der Philologen liege, für

das Neben- und Miteinander der europäischen Sprachen einzutreten, habe der Deutsche

Germanistenverband betont und sich dabei gegen eine Vorherrschaft des Englischen

ausgesprochen, berichtet Uwe Schlicht („Tagesspiegel“, 7.7.1999).57 „Der

Germanistenverband kommt zu dem Schluss: Nicht die Perfektion in einer Fremdsprache,

sondern weniger perfekte Mehrsprachigkeit sollte das Leiziel einer europäischen

Sprachkompetenz sein.“ Der Verband schlägt eine „Initiative zur Einrichtung einer

europäischen Sprachenkonferenz“ vor, die eine Art Charta erarbeiten solle, in welcher die

„Grundsätze der Sprachenpraxis im europäischen Mehrsprachenraum niedergelegt wären“ –

verstanden als Projekt gegen die „ungeregelt“ fortschreitende „Mono-Anglisierung“.

Aus Graz/Österreich zieht die IG Muttersprache (Interessengemeinschaft

Muttersprache) gegen Anglizismen zu Felde. Universitätsprofessor Werner Pfannhauser,

Obmann der “Interessengemeinschaft Muttersprache in Österreich/Graz e.V.”: „Wir machen

uns beim Fremdwortgebrauch ja alle dauernd in irgendeiner Weise schuldig. Aber dieser

sprunghafte Anstieg der Anglizismen in unserer Umgangssprache ist bedenklich” (zit. von V.

Gönitzer, “Stadtjournal”, 8.9.1999, S. 30). Internetz statt Internet, E-Post statt E-Mail,

Leitseite statt Homepage, Pendelbus statt Shuttle-Bus, Kinder statt Kids, Schneebrett statt

Snowboard – es sind vor allem die Anglizismen der Werbung und der

Sportberichterstattung in den Medien, die den Grazer Freunde der Muttersprache „ein

Dorn im Auge” sind, und die sich gegen diese Anglizismen wehren möchten. „Es geht uns

nicht um einen Feldzug gegen alle Fremdwörter” erklärt Olga Kanda, Mitglied des Vereins

und seit Jahren „eifrige Streiterin wider die Anglizismen.”58 Ausdrücke wie Röstling für den

Toast oder Handohrler für das Handy – wie sie der Verein „Muttersprache” Wien vorschlägt –

erscheinen selbst ihr unangemessen. Handy steht auf der „schwarzen Liste” der Grazer

„Sprachretter”ganz oben. Im englischsprachigen Raum kennt niemand ein „Handy”,

57 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 1/2000, S.5.58 Th. Stanzer, Kleine Zeitung, 19.8.1999, S. 25.

134

Page 135: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Mobiltelefone heißen hier ‘mobile phones’. Im Kurier (4.6.1999, S. 34) fordert ein Ingenieur

statt Handy „Tagfernsprecher” zu verwenden. Aus „dem Labor des selbsternannten

Sprachbewahrers” stammen auch folgende „Übersetzungsbeispiele”: „Ferndruck” statt Fax,

„unter-20-Mädel” statt Teenager, „Fruchtbräu” statt Bowle, „Düsenriese” statt Jumbo,

„Pferdefuß” statt Handicap, „Schlager” statt Hit. Für ihn gilt – obwohl das Fußballspiel aus

England kommt – auch hier das Reinheitsgebot: „Grobspiel” statt Foul. Es sind vor allem die

älteren Menschen, die mit diesen Wörtern nicht zurecht kommen. Location, Servicelines,

Freelines in der Telekomwirtschaft müssen nicht sein. Sind Anglizismen aufzuhalten? Ja,

meint die IGMS. Die Sprachhüter aus Graz schöpfen ihren Optimismus z.B. auch aus

Umfragen, wie die des ORF, wonach 66% der Anrufer meinen, dass sich zu viele

Anglizismen in die deutsche Sprache geschlichen haben. „Wir wehren uns dagegen, dass die

Sprache zu einem Einheitsbrei wird, zu einem Kauderwelsch ohne jegliche kulturelle Basis.

Das hat nichts mit Deutschtum oder Purismus zu tun” (Werner Pfannhauser). „Was nicht gut

in Deutsch ausgedrückt werden kann, soll jedenfalls ein Fremdwort bleiben – sonst wirkt es

lächerlich”.59

Ein sprachpflegerisches Dauerthema - die Furcht vor einer Überflutung der Sprache

durch Amerikanismen und Anglizismen - ist hier zur Sprache gekommen. Die Frage, die

immer wieder auftaucht ist, weshalb gerade jetzt dieses Thema so oft angesprochen wird?

Die Antwort lautet: Weil jetzt die Lage eine andere ist, als noch vor hunderte von Jahren, als

der Einstrom fremder Wörter zeitlich begrenzt und auf bestimmte Sprecherkreise beschränkt

war. Im Unterschied zu den früheren Jahrhunderten, wo Wortimporte in der Form, in der sie

erstmals übernommen wurden, zumeist auch die endgültige war, ist die Situation heute eine

andere. Die Medien haben einen großen Bedarf an neuen Bezeichnungen und auch an

Fremdwörtern. Die Sprachimporte bleiben heute nicht mehr auf die eine oder andere Fach-

oder Sondersprache beschränkt. Der Computerjargon ist dafür ein gutes Beispiel. Dieser

Jargon beschränkte sich ursprünglich auf die Fachsprache, da aber die Computer Teil des

Alltags geworden sind, gehen große Teile dieses Wortschatzes in die Alltagssprache über. In

wichtigen Lebensbereichen, in einigen Wissenschaftszweigen, in der Werbung, in der

Popmusik, in der Mode und im Tourismus sind heutzutage fast alle wichtigen Begriffe

fremder Herkunft.

Der Ansturm der Anglizismen auch auf das alltägliche Deutsch ist so gewaltig –

meinen viele Zeitgenossen – dass sie um die Zukunft der deutschen Sprache bangen und

fürchten. Dies ist aber kein kulturelles Phänomen, sondern ein kommerzielles: Ein

59 Ebd.

135

Page 136: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Schneebrett verkauft sich z.B. schlechter als ein Snowboard. Englisch ist deshalb erfolgreich,

weil es eine einfache und internationale Sprache sei.

Es geht nicht um eine Abwehr, sondern auf die Aufnahme, nicht der Fremdwortimport

an sich, sondern die Unfähigkeit, das Fremde zu assimilieren stören. Sicherlich hat das

Englische für Änderungen in der deutschen Sprache gesorgt; der englische Einfluss auf die

deutsche Sprache sei aber harmlos im Vergleich dazu, wie Französisch und Latein auf das

Deutsche eingewirkt hätte - das ist die Schlussfolgerung, zu der die Referenten und

Teilnehmer an der Tagung „Das Schicksal europäischer Sprachen im Zeitalter der

Globalisierung – die Zukunft des Deutschen” (New York, 2002)60 gelangten.

Nicht die Verarmung der Sprache ist die wirkliche Gefahr, sondern der Verlust von

kulturellen Eigenheiten und von Vielfalt. Die Sorge um die zahlreichen Anglizismen im

Deutschen bestehe und ist ernstzunehmen, doch machen sich wenige Experten Sorgen.

Durch Importe wird die deutsche Sprache zwar nicht nur verändert, sondern auch bereichert.

Historische Beispiele belegen, dass Sprachen „neu aufleben” wenn Fremdsprachen auf sie

einwirken. Kaum eine Sprache kommt ohne Lehnwörter aus anderen Sprach- und

Kulturräumen aus. Die Klagen über die gefährliche Überflutung sind unbegründet und so alt,

wie die Sprache selbst. „Mit englischen Ausdrücken kommt Power in die deutsche Sprache

… ‘Lass uns tanzen gehen’ ist fucking altmodisch […] ‘einkaufen’ klingt grässlich, nach

Mineralwasserkästenschleppen und Kartoffeln im Netz. ‘Shoppen’ – da ist Fun,

Geldausgeben light […] Eine lebendige Sprache ist immer offen für fremde Einflüsse, nur

wenn sich eine Sprache weiterentwickelt, bleibt sie erhalten.” (Titus Arnu, „Süddeutsche

Zeitung”, 23./24.5.1998, S. VII).

Die Debatte um die Zukunft der Sprachen in Europa, ihr Schicksal im Zeitalter der

Globalisierung wird auch zur Zeit mit emotionaler Heftigkeit geführt: Die Dominanz des

Englischen und der Einstrom der Anglizismen spaltete die Öffentlichkeit in Pro- und

Contra-Lager auf. Die Linguisten sehen diese Entwicklung eher gelassen; man könnte

keineswegs von einer Invasion der Anglizismen sprechen, da es keine aktive Anstrengungen

gäbe, sie zu verbreiten.

Die Laienlinguistik und die Anglizismenjäger,61 deren Klagen über den nicht

aufzuhaltenden Sprachverfall nicht aufhören wollen, vergessen, dass jeder Sprachzustand

Altes und Neues, Eigenes wie Fremdes vereint – ein Nebeneinander, das nicht unbedingt

die Sprache zugrunde richtet und dass eine lebendige Sprache immer offen ist für fremde

60 A. Kreye, Süddeutsche Zeitung, 10.4.2002, S.16.

61 Niehr (2002, 9).

136

Page 137: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Einflüsse, sich weiterentwickelt und anwächst. Zum Schluss sei vermerkt: Das Leiden am

Verfall der deutschen Sprache ist alt, „doch alles Mäkeln muss einmal enden“. (Leserbrief

aus dem „Tagesspiegel“, 9.1.2000)62

62 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 5/2000, S. 6.

137

Page 138: Vorlesung Wortschatzerweiterung

VORLESUNG 8: TENDENZ DER ANGLISIERUNG UND AMERIKANISIERUNG DER

DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE ALS EUROPÄISCHE SPRACHBEWEGUNG

1. Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache und in deutschsprachigen Publikationen

Was ist „deutsche Gegenwartssprache“?

Hans Eggers (1994, 9) definiert den Begriff „Gegenwartssprache“ als „diejenige

Sprachgestaltung, die seit dem Ende des letzten Krieges immer ausgeprägter in Erscheinung

tritt“. Die Bezeichnung bezieht sich eigentlich auf „die Sprache der jeweils lebenden

Generation“; Eggers möchte den Terminus als Epochenbegriff verstanden wissen. Eine

anfängliche Phase der Gegenwartssprache währt bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Von

da an vollziehen sich Änderungen, so dass nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zustand der

Schriftsprache erreicht worden ist, dessen Strukturen sich deutlich als neuartig

charakterisieren lassen. Was mit dem Begriff „heutiges Deutsch“ gemeint ist, ist nicht nur die

vertraute Umgangssprache, sondern auch die öffentliche Sprache: die Sprache der

Werbung, der Medien, der gedruckten Mitteilungen, der Behörden.

Es ist bekannt, dass sich der Wortschatz der deutschen Sprache – wie der aller

modernen Sprachen seit dem 19. Jh. – durch Entlehnungen aus anderen Sprachen,

besonders dem Anglo-Amerikanischen, beträchtlich erweitert hat. Bei der Verbreitung der

Schwerpunkte: ⇨ Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache und in

deutschsprachigen Publikationen ⇨ Ursachen der Anglizismenaufnahme ⇨ Besonderheiten

des angloamerikanischen Zustroms (Themenbereiche und Erscheinungsformen) ⇨ Vorzüge

und Nachteile der Übernahmen: Nutzen oder Schaden? Bereicherung oder Störung? ⇨

Funktionen der Anglizismen (Fremdwörter) ⇨ Weder Deutsch noch Englisch: Denglitsch,

Denglisch, Deutschlisch, Engleutsch, Germeng, Deuglisch! ⇨ Die Geltung der deutschen

Sprache in der Welt ⇨ Deutsches Wortgut in den Nachbarsprachen und Germanismen im

Englischen

138

Page 139: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Fremd- bzw. Lehnwörter spielen die Medien als Informationsträger eine wichtige Rolle. Die

Massenmedien z.B. haben einen starken Einfluss auf den Übergang fachsprachlicher

Fremdwörter in den nichtfachgebundenen Gebrauch und damit auf deren

Entterminologisierung, sie können auch die Frequenz der Übernahme beeinflussen.

Die Standardsprache erhält eine neue Qualität durch die Medienwelt, die sich mit

dem 19. Jh. entwicklet: Telefon 1879, Rundfunk 1923, Tonfilm 1929, Fernsehen 1952.

Zu der Vermehrung und Differenzierung der Information haben die Massenmedien

entscheidend beigetragen. Diese bringen täglich neue Informationen und Worte in Umlauf.

Das Fernsehen63 dominiert heute die Medienlandschaft, aber auch das Freizeitverhalten der

Bevölkerung: Champions-League Matches, Talk Shows, Daily Soaps, Night Shows, Morning

Shows, Classical Channels, Science Fiction Channels - die Dominanz amerikanischer

Produktionen auf dem deutschsprachigen Filmmarkt ist offensichtlich; manche englische

Filmtitel werden oft gar nicht mehr übersetzt.

Das durch Satellit, Kabel u.ä. übertragbare audiovisuelle Medium bietet weltweite

Empfangsmöglichkeiten. Als Informationsträger spielen die Medien heute eine wesentliche

Rolle bei der Verbreitung der Fremdwörter. Darüber hinaus muss auf die vielen Fehler, die

sich einschleichen, weil die Journalisten durch die Terminhetze überarbeitet sind,

hingewiesen werden.

Es ist wichtig, dass die Sprachgemeinschaft auf den öffentlichen Sprachgebrauch

aufmerksam gemacht wird. Vor allem die Tagespresse äußert sich kritisch gegen die

Anglizismen-Konzentration. Auf der Jahrestagung 1999 „Sprache und neue Medien“ des

Instituts für deutsche Sprache (IdS) in Mannheim wurde über die Wechselwirkung zwischen

Sprache und neuen Medien heftig debatiert. Umstritten sei, ob die neuen Medien eine große

Veränderung des sprachlichen Repertoires bewirkten, oder ob es gar keine neue Sprache im

Internet gebe. „Neue Kommunikationsformen waren schon immer Motor von

Sprachveränderungen“, bemerkt Heike Marx („Stuttgarter Zeitung“, 20.3.1999)64.

Die neue Schriftkultur im Internet als Diskussionsgegenstand ließ offen, ob damit eine

Auffrischung der deutschen Sprache erfolge und ein unverkrampfter Schreibstil im Entstehen

sei, oder ob mit den E-Mails das endgültige Ende der deutschen Briefkultur erreicht sei. Fest

63 Hörfunk 1923 in der BRD, Fernsehen 1952 in der BRD, 1955 in der ehemaligen DDR, 1957 in Österreich.64 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 5/1999, S. 6.

139

Page 140: Vorlesung Wortschatzerweiterung

stehe allerdings, dass das Internet mit seinen E-Mail-Möglichkeiten einen „Schreibboom“

speziell bei jüngeren Menschen ausgelöst habe.

Sprachkritiker behaupten, dass die Presse (auch Fernsehen, Radio und Internet)

besonders viele Anglizismen verwendet. Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache

sind auf Grund gegenseitiger Einflüsse eine normale Erscheinung des Sprachkontakts. Viele

sind je nach der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lage als

Modeerscheinung aufzufassen, deren Dasein deshalb als temporär, nicht wirklich als

dauerhaft zu betrachten ist.

Das Vorkommen der Anglizismen in den Medien hat eine vielfache linguistische

Interpretation erfahren.

Im Folgenden sollen einige Beobachtungen zu dem heutigen Sprachbild aus der Sicht

deutschsprachiger Publikationen angestellt werden. Dabei wird nach den Erklärungen für das

Vorkommen englischer Transferenzen gefragt. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie

sich diese dem Deutschen angepasst haben, in welcher Form sie in den Zeitschriftentexten

einfließen. Gefragt wird nach: den Ursachen oder Bedingungen (WARUM?), die für ihr

Erscheinen ausschlaggebend waren; dem Bereich, aus dem Material übernommen wurde

(WAS?); dem Grad ihrer Integration ins deutsche Sprachsystem, nach ihrer

Erscheinungsform (WIE?); den Vorzügen des Wortimports, Funktion bzw. Leistung

(WESHALB?).

Ausgangspunkt weiterer Überlegungen ist auch die Frage, wie sich die

Sprachlandschaft im publizistischen Diskurs unter Einwirkung fremdsprachlicher Einflüsse

gestaltet. Oft wurde die Art und Weise kritisiert, wie die Medien mit englischen Ausdrücken

umgehen. Die Sprachpraxis in den Medien, das „große Gewicht“, das die öffentliche

Kommunikation im Bewusstsein der Kommunikationsteilnehmer und –beobachter im

Vergleich zu anderen Kommunikationsbereichen besitzt, hat dazu geführt, dass zahlreiche

fremdsprachliche Elemente auch in die alltägliche Sprache eindrangen. Dabei ist es zu einer

Überbewertung lexikalischer Transferenzen in den Medien gekommen. Allgemein betrachtet,

handelt es sich hier um die Darstellung eines Ausschnitts aus dem öffentlichen

Sprachverkehr, der auf Entwicklungstendenzen im gegenwärtigen deutschen Wortschatz

hindeutet. Aus dieser Sicht rücken immer häufiger Fragen in den Mittelpunkt der Diskussion

um den Themenkomplex „Entlehnung”: Warum werden Sprachimporte aufgenommen?

Welche Funktionen können ihnen zugeschrieben werden? Finden sie deshalb Aufnahme,

weil sie als ‘Zeichen der Zeit’ in sind? Wie hoch ist der Grad ihrer Eindeutschung? Wird die

140

Page 141: Vorlesung Wortschatzerweiterung

deutsche Sprache von Anglizismen gefährlich überflutet? Kann man von einem sog. „Ami-

Deutsch“ (Probst 1989) sprechen? Wie groß ist die „Schuld“ der Medien an der Förderung

dieses Prozesses?

Das Korpus besteht aus Texten deutschsprachiger Publikationen aus Deutschland

und Österreich. Es handelt sich um Wochenzeitungen wie folgt verteilt: zwei aus der

Bundesrepublik Deutschland (Zeitmagazin und Gala) und zwei aus Österreich (Profil und

News). Bei sämtlichen Zeitschriftenartikeln aus den ausgewählten Druckmedien sind auch

die formalen Kennzeichnungen (Überschriften, typographische Hervorhebungen,

Bildunterschriften) mitberücksichtigt worden. Die Anzeigenwerbung (die übrigens in diesen

Zeitschriften häufig mit englischsprachigen Elementen besetzt ist) wurde nicht berücksichtigt.

Die Entscheidung fiel auf diese Publikationen, da sie einen etablierten Platz im deutschen

bzw. österreichischen Pressewesen einnehmen. Diese nicht fremdwortscheuen

Publikationen richten sich an ein breites und heterogenes Publikum. Es ist anzunehmen,

dass die Journalisten, die die Texte dieser Zeitschriften verfassen, Anglizismen gegenüber

aufgeschlossener sind. Die Untersuchung beschränkte sich auf Substantive mit englischer

oder amerikanischer Schreibweise, Verben und Adjektive blieben unberücksichtigt. Es

wurden zwei deutsche Wochenzeitschriften aus der BRD und zwei aus Österreich einander

gegenübergestellt und auf die Häufigkeit von Anglizismen, sowie deren Verteilung auf

bestimmte thematische Bereiche hin untersucht. Es sollte auch ersichtlich werden, dass die

Vorzüge mancher Wortimporte auf der Hand liegen, dass die Empfängersprache Deutsch

durch Importwörter nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ angereichert wird.

Was sind Anglizismen?

Unter Anglizismen (genauer Amerikanismen wenn man die Herkunft des

übernommenenen Wortes angeben will) sind Wörter oder Ausdrücke zu verstehen, die aus

der englischen Sprache in die deutsche Sprache übernommen wurden. Dazu gehören auch

Ausdrücke, die schon seit längerer Zeit zum Worschatz der deutschen Sprache gehören

(Athlet, Produkt, Reporter, Interwiev usw.).

141

Page 142: Vorlesung Wortschatzerweiterung

2. Ursachen der Anglizismenaufnahme in deutschsprachigen Publikationen

Eine synchrone, d.h. dynamische und flexible Sprachbetrachtung muss die Ursachen, den

Zweck und das Ausmaß der Übernahme von englischen Herkunftswörtern berücksichtigen,

die Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache als Wandel vs. Veränderung und

Entwicklung begreifen. Zur Ermittlung des englischen Einflusses auf die deutsche Sprache

können unterschiedliche Ansätze führen. Der hier vorgezogene Weg, deutschsprachige

Pressezeugnisse aus einem Zeitraum als Ausgangspunkt der Untersuchung zu machen,

bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich: Der Vorteil liegt einerseits darin, dass Gegenstand

unserer Untersuchung Wochenzeitschriften darstellten, die den Zeitdruck nicht kennen, d.h.

von vornherein ein inflationärer Anglizismengebrauch nicht zu befürchten war. Andererseits

liegt ein weiterer Vorteil darin, dass Pressetexte gegenwartsbezogen sind, die Möglichkeit

bieten, mit aktuellen und neuen Erscheinungen in der Sprachlandschaft konfrontiert zu

werden. Die Darstellung des englischen Einflusses auf das Deutsche muss in Betracht

gezogen werden als Teil einer (Sprach-)Realität. Als ‚Zeitspiegel‘ muss diese Erscheinung

entsprechend wahrgenommen und untersucht werden.

Wörter können aus sehr vielfältigen, auch versteckten Gründen entlehnt werden. Als

Sprachträger profitieren wir von dem Sprachkontakt, der Ausdrucksvarianten liefert und somit

Feinnuancierungen erlaubt. Aus diesem Blickwinkel muss man die entlehnten Wörter

betrachten.

Wie andere Sprachen auch, wurde die deutsche Sprache im Laufe ihrer

Entwicklungsgeschichte verschiedenen sprachlichen Einflüssen ausgesetzt. In der Mitte des

20. Jhs. wandten sich die Linguisten diesem Phänomen mit größerer Aufmerksamkeit zu.

Als wichtigste Quelle für die neuen Ausdrücke fungiert in der ersten Hälfte des 20 Jhs.

das britische Englisch. Die politische, technische, wissenschaftliche und wirtschaftliche

Macht der USA heute deutet darauf hin, dass der Einfluss des amerikanischen Englisch

wesentlich größer ist, als der des Britisch Englischen auf das Deutsche. Der Marshall Plan,

die amerikanischen Besatzungstruppen und die NATO, die amerikanische (Welt-)Politik, die

wirtschaftlich-technischen Entwicklungen, der Kalte Krieg, aber auch durch die Mitteilungen

der Nachrichtenagenturen, den Englischunterricht in den Schulen, die Tatsache, dass

Englisch zur Wissenschaftssprache und Weltsprache emporkam, auch in der Wirtschaftswelt

und Weltwirtschaft führend ist, ihre starke Verbreitung durch die elektronischen Medien, nicht

zuletzt der hohe Verwandtschaftsgrad zwischen den beiden Sprachen führten dazu, dass

142

Page 143: Vorlesung Wortschatzerweiterung

(fach)sprachliche Transferenzen breitwillig aufgenommen werden, dass fremdes

Wortmaterial eingebürgert wurde. Bei den Ursachen, die zu sprachlichen Transferenzen

geführt haben, spielen folglich außersprachliche und innersprachliche Faktoren eine

entscheidende Rolle. Für die Art und den Umfang der Übernahme fremden Wortgutes in die

deutsche Sprache konnten unterschiedliche Ursachen ausfindig gemacht werden. Der große

Zuwachs an fremden – vor allem englischen Wörtern - Wörtern kennzeichnet eine

Entwicklung, die auch in anderen modernen Sprachen verfolgt werden kann (vgl. die

Bezeichnung Franglais für anglisiertes Französisch). In einer Welt der schnellen und

vielfältigen Kommunikation, müssen linguistische Interferenzen berücksichtigt und richtig

gedeutet werden.

Im Zeitalter der Computer, des Internet und der Satellitenkommunikation haben sich

auch die Mittel des sprachlichen Kommunizierens verändert; Anglizismen sind als ‚Zeichen

der Zeit‘ zu deuten, die die Realitäten unserer Zeit widerspiegeln. Man denke an die

Internationalisierung des Informationswesens auch an die allgemeine Orientierung des

Journalismus am amerikanischen Vorbild,65 an die sprachbildende und sprachnormende

Funktion der Presse.

Der „natürliche Feind der Sprache“ (Wiglaf Droste, „tageszeitung“, 24.7.1998)66 ist der

Journalist, der Sprachmodelle liefert. Seine Neuerungen werden durch die Medien verbreitet.

Dadurch wird ihnen die Aufnahmemöglichkeit geboten, in den Sprachgebrauch überzugehen,

d.h. von der Kommunikationsgemeinschaft akzeptiert zu werden. Ob sich ein neues Wort –

sei es auch ein Anglizismus - durchsetzen wird oder nicht, darüber entscheidet die

Sprachgemeinschaft.

In den internationalen (Kultur-)Beziehungen spielt die internationale Lexik eine

wichtige Rolle. Zahlreiche Anglizismen haben im gegenwärtigen Deutsch eine besondere

Verbreitung gefunden. Man sucht kein deutsches Wort wenn man mit englischen Wörtern

auf eine einfache Art modern, witzig erscheinen kann.

Manche Anglizismen sind bereits derart selbstverständlich geworden, dass sich kaum

noch jemand an ihren englischen Ursprungs erinnert (z.B. PC, Baby, Star). Bei vielen

Anglizismen handelt es sich um längst eingebürgerte – deshalb verständliche – Importe, bei

denen die Kürze (z.B. CD und PC) und Prägnanz bei der Entlehnung ausschlaggebend war.

65 z.B. orientiert sich „Der Spiegel” an den Publikationen „Time” und „Newsweek”. Die bekannte ‚Spiegelsprache‘ folgt auch „in stilistischer Hinsicht angloamerikanischen Mustern“. (Glück/Sauer 1990, 98)66 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S.5.: „In diesen grauen Tagen kommt viel zusammen. Die Bundesliga ist grippegeschwächt. Ministerpräsident Strauß wegen Hexenschuss nur begrenzt konfliktfähig […]“.

143

Page 144: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Darunter findet man das so beliebte Handy, Party und Baby. Body und Power können als

überflüssige Übernahmen betrachtet werden; hier geht es vor allem darum, Modernität zu

signalisieren. So klingt auch Make-up moderner als das deutsche Pendant („Schminke”) und

„der Säugling” musste dem Baby weichen. Praktischer klingt auch Shirt,Trend, Job. Look

konkurriert mit Aussehen.

Aus sprachökonomischen Gründen werden englische Wörter bevorzugt, die häufig

kürzer sind als die entsprechenden deutschen: Team, Hit, Fan, Gag, Job, fun, fit. Siehe

hierzu auch die Zeitungsüberschriften, wo möglichst viele Informationen vermittelt werden

sollen, in möglichst wenigen Wörtern; d.h. man versucht auf eine knappe Art, sich präzise

auszudrücken.

Oft werden englische Wörter unverändert übernommen, obwohl eine deutsche

Entsprechung vorhanden war: Baby, Show, Make-up. Englische Wörter werden unverändert

übernommen, aber dekliniert: Job, Team. Manche Eindeutschungen decken das englische

Wort nicht richtig ab. Bei manchen Übernahmen hat man nicht nur die Bezeichnung, sondern

auch die Sache entlehnt (CD). Manche Anglizismen können aus Bequemheit oder zur

Imagepflege eingesetzt werden.

Im Gegensatz zu den deutschen Wörtern werden manche Importe von den

Sprachbenutzern als neutral empfunden. Manche Importe, die in den Fachsprachen neutral

gebraucht werden, werden in der Pressesprache mit einem expressiven Wert aufgeladen.

Wie in den Fachsprachen auch erscheinen in der Pressesprache englische und

deutsche Bezeichnungen nebeneinander, synonymisch gebraucht: Das aus dem

Französischen entlehnte Chef erscheint in vielen Zusammensetzungen. Mit Chef konkurriert

das im 20. Jh. aus dem amerikanisch Englischen übernommene Boss, das häufig negativ

konnotiert erscheint (ebenfalls in vielen Zusammensetzungen)(Kovtun 1996). Chef hat im

Deutschen die Bedeutung „Vorgesetzer, Leiter einer Dienst- oder Arbeitsstelle”, im

Englischen aber die Bedeutung “Chefkoch”, während im Französischen beide Bedeutungen

auftauchen. Die fachsprachliche Bedeutung eines Begriffs erfährt im öffentlichen

Sprachgebrauch oft eine Erweiterung/Verallgemeinerung (z.B. Manager); im

Computerbereich erscheinen unter dem Einfluss des amerikanischen Englisch

Bezeichnungen wie Datei, Programmanager. Der Gebrauch mancher Anglizismen zeigt,

dass sich der ursprüngliche Fachbegriff auch auf andere Bereiche ausgedehnt hat. In der

Sprache der Berufswelt erscheinen sehr viele Neologismen. Oft dienten sie der sozialen

Aufwertung einer Berufstätigkeit. Besonders beliebt sind Substantivableitungen auf „-er“.

„Manager“, „Fachmann“ und „Spezialist“sind beliebte Grundwörter. Lehnwörter aus dem

144

Page 145: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Englischen gehören zum heutigen Berufsdeutsch. Die Sprecher des Managerlateins (siehe

Fachdienst Germanistik, Sprache und Literatur in der Kritik deutschsprachiger Zeitungen

9/1993, S.6) möchten mit der Verwendung englischer Fachausdrücke ihre Kompetenz und

natürlich ihre Zugehörigkeit zur Führungsebene beweisen.

Viele Anglizismen erweisen sich als besonders produktiv, da nicht nur fachsprachliche

Bezeichnungen geschaffen werden, sondern auch viele Ad-hoc-Komposita. In zahlreichen

Zusammensetzungen erscheinen Anglizismen sowohl als Bestimmungswort als auch als

Grundwort. Nach der Konstituentenanzahl überwiegen zweigliedrige Komposita. Viele

Komposita sind Mischbildungen aus englischen und deutschen Konstituenten. In Texten

können Komposita mit oder ohne Bindestrich erscheinen. Nicht nur die Komposition, sondern

auch die Ableitungen sind ein Nachweis der großen Produktivität von Anglizismen (vgl. die

Bildungen mit Star-, Team-, Pop- usw.). Manche Präfixableitungen weisen Präfixe auf, die

aus dem Englischen entlehnt worden sind. Dann wird in der Regel ein Bindestich gesetzt

(Co-, Ex-).

Viele Anglizismen haben sich dem deutschen Sprachsystem integriert; durch die

Konkurrenz mit heimischen Entsprechungen entstehen Synonyme. Darüber hinaus werden

Anglizismen in der Presse bewusst mit expressiven Charakter aufgeladen und erhalten

einen Prestigewert.

Die Ableitungen und Zusammensetzungen dieser übernommenen Wörter können

unterschiedlich lange im Gebrauch sein, das Zustandekommen zahlreicher Bildungen mit

Lexemen englischen Ursprungs deutet auf ihre Produktivität hin. Damit ist aber nicht nur die

Flexibilität der deutschen Sprache angesprochen, sondern auch die Bereitschaft der

Sprachteilhaber, das Deutsche mit anderen und neuen Wortschatzeinheiten anzureichern

und sprachlich zu differenzieren: Team, Star, Interview, Job, Show, CD, Handy, Trend, Party,

Designer/in, Pop, Baby, Check-up, Tech, Design, Make-up, Look, PC, Image, Online, Body,

Chef, Shirt, Power, Model.

145

Page 146: Vorlesung Wortschatzerweiterung

3. Besonderheiten des angloamerikanischen Zustroms (Themenbereiche und Erscheinungsformen) in deutschsprachigen Publikationen

In den deutschsprachigen Zeitschriften tauchen nicht nur einfache Anglizismen auf, sondern

auch Fügungen, Sprachspiele und Zusammensetzungen mit englischen Herkunftswörtern.

Des Weiteren gibt es Zusammensetzungen oder Abkürzungen englischer Herkunft, die einen

festen Platz im deutschen Wortschatz eingenommen haben. Hier eine Auswahl:

Wortspiele auf Grund der Klangidentität: Radio für die Zushower, Gorbatshows

ungewöhnliche Zusammensetzungen, Fügungen und Nachbildungen: Outsein,

Websonet, Talkkönig, in den Sixties

ungewöhnliche Bildungen wie Pop-Fräuleinwunder, Advent-Drink, Fitness-Guru,

Aftershow-Party, Musiktheaterhappening oder die Pluralform Kiddies

Produkt-/Firmennamen und Filmnamen wie: Wonderbra, Jonny Walker, Rolls Royce,

Boss, Levi‘s Jeans, Jeep, Macintosh-Apfel, Tristar-Boss, Baywatch-Team, Bond, Cola-

light, Big Mac, Guiness, Law & Order, Flower Power

Verschiedenes aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum: Oscar, Bigfoot, First

Lady, Wimbledon, First Lady, Oscar, Hollywood

Bezeichnungen für Musikrichtungen: New Age, New Beat, New Wave, Hip-Hop

Bezeichnungsexotismen: die Queen, Queen Mum, Queen Mother, Royals, Twin-

Tower

das “Fremdwort” ist eigentlich kein Fremdwort, sondern ein deutsches Wort, das nach

einem englischen Vorbild gebildet wurde: Netzwerk, Wochenende

Wörter, die es im englischen Sprachraum gar nicht gibt, tauchen aber im Deutschen

auf: Smocking statt Dinner jacket. Andere Scheinanglizismen: Happy End, Know-how,

Talkmaster, Showmaster

darüber hinaus zeichnet sich deutlich die Tendenz ab, Wörter zu verkürzen. So

erscheinen neben den englischen Kurzwörter/Abkürzungen wie: CD-ROM, LP,

UNICEF, RAM, GAP, VHS, HIV, AIDS, NBA, IBM, CNN, BBC, CBS, MTV, FBI, US,

UN, VIP, R‘n‘B, R&B, SciFi-, PIN-Code, DOW, TV, IQ, PC, NATO, DVD, GSM, UNO,

DJ, USA, SMS, CIA, FBI, X-Mas, &Co;

aus sprachökonomischen Gründen werden englische Wörter bevorzugt, die häufig

kürzer sind als das entsprechende deutsche: Team, Hit, Fan, Gag, Job, fun, fit

zahlreiche Bildungen z.B. mit den Elementen ‚FBI‘: -Akademie, -Trainingsübung, -

Erfahrung, -Agenten, -Methoden und ‚NATO‘: -Beitritt, -Einsätze, -Norm, -Drohungen,

146

Page 147: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Gründer, -Hauptquartier, -Hubschrauber, -Partner, -politik, -Länder, -Macht, -Manöver

usw.

es treten Komposita auf, die englische Konstituenten haben, die reihenbildend wirken.

Sehr zahlreich sind auch die Serienbildungen und mit fit und fun: Just for Fun (-Bier, -

Hütte), Fit for Fun-Pärchen, Fun-Jünger, Sixpack-Fun; andererseits sind Bildungen mit

All-inclusive- auch vertreten

Bildungen mit Bindestrich: food-for-war-Projekten, Go-see, side-to-side-Test, push-up-

push-BH‘s, high-risk-Millionen, high-risk-Investment; Nicht-Raucher-Policen, Twin-

Tower, Inferno, Make, All-in-One-Angebot, All-inclusive-Angebote, Round-Table-

Gespräch, Drop-out, Raten, das Take-off, der Take-over, Drop-out-Raten, High-Tech-

Betrachtung

was die Wortbildung angeht, muss gesagt werden, dass viele Entlehnungen mit

deutschen Prä- oder Suffixen erscheinen oder dass umgekehrt, deutsche Wörter

Fremdaffixe aufweisen. Sehr zahlreich erscheinen auch die Lehnpräfixe Ex-, Mega-,

Super-. Als Mischkomposita erscheinen z.B. mit der Komponente Aids: -krankheit, -

stiftung, -forschung, -helfer, -hilfe, -kranke, -schleife

weiterhin kann ein Schwanken zwischen der neuen deutschen und der alten

englischen Schreibweise festgestellt werden, wie z.B. die alternative Schreibung mit

C/K (in Club/Klub), oder ss/ß. In Show, Shorts, Shopping wird die englische ‚sh‘-

Schreibung beibehalten

auffallend ist auch die variierende Schreibweise in einigen Fällen: Kashmir, Kaschmir

vs. Cashmere, Fit/fit, Fun/fun, Boss/ß, Fitness/ß, Business/Busineß, Dress/ß, Model/ll,

Miss/ß, Model/ll, Power-Frau/Powerfrau, Bodystyling/Body-Styling, Club/Klub

bei einigen Wörtern zeigt sich der Grad der Eindeutschung an der vom Englischen

sich unterscheidenden Schreibweise

auffallend sind auch die Sprüche und Slogans: Love-Not-War-Event, Dress-for-

Succes, Summer Time is Party-Time

zahlreich vertreten sind auch Movierungen

von der großen Produktivität mancher Anglizismen zeugen die Zusammensetzungen

mit –Show (TV-, -Talker/Talkerin, Talk-Show, -Gast) oder Zusammensetzungen mit

Handy- (-Verbot, -Provider, Super-, -Nation, -manie, -telefonierer, -nummer, -zubehör,

-benutzer, -besitzer, -freaks, -industrie, -Kunde, -Ass, -Netz, Foto-, -Postkarte, Super-,

MMS-, -branche, -Anbieter-, -Zukunft)

147

Page 148: Vorlesung Wortschatzerweiterung

englische Wörter werden unverändert übernommen, obwohl eine deutsche

Entsprechung/Übersetzung vorhanden war: Round-Table-Gespräch statt

Rundtischgespräch, Tennis-Hero statt Tennisheld (vgl. auch Jogging, Pipeline,

Showbusiness, Swimmingpool); andererseits erscheint in den österreichischen

Publikationen Leibwächter statt Bodyguard

es erscheinen auch alte Lehnwörter wie Koks, Klub oder Film. In den Zeitschriften aus

Österreich wird die Schreibweise Klub der Schreibweise Club bevorzugt

viele Wörter sind über das Engl.-Lat. (Sex, Bonus, Box, Video), Franz.-Engl.

(Tourismus) oder Lat.-Franz.-Eng. (Skript, Test, Essay, Discount, Interwiev, Konzern,

Komitee, Report) ins Deutsche gekommen

mehrsilbige, auch schwer aussprechbare Wörter werden vor allem dann übernommen,

wenn keine deutsche Entsprechung vorhanden ist, aber Benennungslücken

erscheinen: Establishment, Know-how, Countdown

englische Wörter, die keine deutsche Übersetzung haben, werden unverändert

übernommen und nicht dekliniert: Blackout, Countdown, Hardware, Joint Venture,

Walkie-talkie

manche englische Wörter werden unverändert übernommen, aber dekliniert: Job,

Team, Training

englische Wörter werden übernommen, die sich aber in Aussprache und Grammatik

dem deutschen Sprachsystem angepaßt haben

hybride Bildungen rufen Unsicherheiten hervor hinsichtlich der Plural-, Kasus- und

Genusbildung. Auch bei eingedeutschen Lexemen können Probleme auftauchen.

es können folgende Bemerkungen zu der Schreibweise des fremdsprachlichen

Wortgutes gemacht werden: Ein Wort im Text kann erklärt werden. Das fremde Wort

kann hervorgehoben werden – durch Anführungszeichen, Kursivdruck, Fettdruck oder

beides. Die Großschreibung deutet darauf hin, dass sich das Wort dem Deutschen

angepasst hat.

es ist eine Bevorzugung des Bindestrichs feststellbar. Dabei muss gesagt werden,

dass viele Schreibweisen von den orthografischen Regeln und Einträgen des

Rechtschreibdudens abweichen; die Zusammenschreibung entspricht der geltenden

Regelung. Bindestrichkopplungen werden bevorzugt bei: Präfixen, insbesondere

fremden (Ex-, All-, Mega-Super-, Vice- erscheinen im Korpus); bei Kurzwörtern als

erster Konstituente (Aids-Hilfe); bei Zusammensetzungen mit nicht- als erster

Konstituente (Nicht-Arbeit). Bindestrich erfogt auch beim Zusammentreffen von zwei

148

Page 149: Vorlesung Wortschatzerweiterung

oder drei Vokalbuchstaben in Komposita (siehe auch die zahlreichen Bildungen mit

Gala-). Auch fremdsprachige Elemente als Bestimmungsglieder machen den

Bindestrich in hybriden Komposita notwendig (Bildungen mit High-Tech-, mit -Laden,

mit Show-, Business-, -Manager). In Werbetexten und Überschriften werden

Bindestriche regelabweichend als optisch-grapfsche Wirkungskomponente und als

Rezeptionsanreiz häufig genutzt. Die zunehmende Verwendung des Bindestrichs ist

ein Zeichen der fortschreitenden Nominalisierung als Entwicklungstendenz der

Sprache.

149

Page 150: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Die 25 häufigsten Anglizismen in dem Zeitschriftenkorpus (1996 – 2002) sind: in den

Publikationen ZEITMAGAZIN und GALA: Star, Show, Team, Designer/in, Job, Check-up,

Make-up, Pop, CD, Interview, Shirt, Trend, Power, Jeans, Body, Design, Model, Pool, Look,

Baby, Profi, Story, Hip-Hop Hobby, Fitness, Hit, Image, Tech, Training; in den Publikationen

PROFIL und NEWS: Interview, Team, Handy, Job, CD, Trend, Tech, PC, Baby, Chef, Online,

Show, Party, Jet, Comeback, Look, Boss, DVD, Pop, Designer, DJ, VIP, Deal, E-Mail.

Eine Betrachtung des Korpus zeigt, dass in folgenden Tätigkeitsbereichen der

englische Einfluss ausgeprägter ist: Technik, Industrie, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft,

Gesellschaftliches, Reise und Verkehr, Freizeit, Musik, Film, Medien, Sport. Die

Anglizismusforschung hat auf die Kurzlebigkeit angloamerikanischer Neubildungen

hingewiesen, auf das zeittypisch Modebedingte. Bei den Diskussionen um den aktuellen

Sprachwandelprozess und den Gesetzmäßigkeiten, die der Sprachentwicklung

zugrundeliegen, wurde auf Wortschatzveränderungen, die durch Neologismen, semantische

Verschiebungen und Entlehnungsprozesse hervorgerufen werden, hingewiesen und mit aus

Zeitungen, Illustrierten u.ä. stammenden Textvorlagen, mit Dokumenten aus dem öffentlichen

Sprachgebrauch in Deutschland belegt. Aus Zeitungen kann man ermitteln, wie sich die

Interessen der öffentlichen Diskussion innerhalb eines bestimmten Zeitraums verteilten, oder

was zu einer bestimmten Zeit das „Tagesgespräch” war. Das Interesse lässt sich an der Zu-

oder Abnahme bestimmter Wörter ablesen. In unterschiedlichen Frequenzuntersuchungen zu

Anglizismen im Deutschen stand vor allem die Zeitungssprache im Vordergrund des

Interesses. Auch in den letzten Jahren sind Untersuchungen zur Frequenz veröffentlicht

worden, in denen die ermittelte Textfrequenz zwar variierte, eine steigende Tendenz

trotzdem offensichtlich war. Allerdings muss gesagt werden, dass der Aussagewert solcher

Untersuchungen von unterschiedlichen Faktoren mitbestimmt wird bzw. modifiziert werden

kann. So können Textart oder Publikationsart, Zeitraum, Umfang und Zeitpunkt der

Untersuchung das Ergebnis beeinflussen.

150

Page 151: Vorlesung Wortschatzerweiterung

4. Vorzüge und Nachteile der Übernahmen: Nutzen oder Schaden? Bereicherung oder Störung?

Als lingua franca stellt Englisch die Hauptquelle neuer Wörter in anderen Sprachen dar. Neu

ist der ausländische Einfluss auf jedenfall nicht, wie auch die Attacken gegen die

Anglizismen; Angst vor diesem Wandel und Tendenzen der „Verdeutschung“ gibt es schon

seit vielen Jahrhunderten. Man muss aber abwägen, was für Vorteile und was für Nachteile

der Fremdwortgebrauch mit sich bringt, nicht allgemein über Fremdwörter – sprich

Anloamerikanismen – urteilen. Es musst deshalb gefragt werden: Anglizismen -

Bereicherung oder Störung? Anglizismen - Fremdwörter oder Fremdkörper? Anglizismen -

Nützlinge oder Fremdlinge? Fremdwörter – der Deutschen liebste Wörter? Wieviel Englisch

braucht der Mensch?

Es stellt sich nicht die Frage, ob man Fremdwörter gebrauchen soll oder darf, sondern

wo und wie und zu welchem Zweck man sie gebrauchen kann oder soll.

Unvermeidlich sind Anglizismen nur bis zu einem gewissen Grad. Viele Entlehnungen

haben einen festen Platz im deutschen Wortschatz und werden auch als Synonyme zu den

heimischen Wörtern gebraucht. Viele von ihnen werden als un- oder halbassimilierte

fremdsprachliche Elemente zum Teil als störend empfunden.

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Fremdwörtern bzw. Anglizismen im

Deutschen, die sich eingebürgert haben, weil sie sich nicht übersetzen lassen. Die Gründe

für ihren - oft auch unnötigen - Gebrauch liegen auf der Hand:

sie sind oft präziser;

sie vermitteln ein bestimmtes Image und Prestige;

sie klingen auf jeden Fall modern, weltläufig;

viele dienen auch der internationalen Verständigung.

Englisch ist nach dem Zweiten Weltkrieg als befreiend und offen empfunden worden.

Andererseits muss auch erwähnt werden, dass viele englische Wörter gebraucht werden,

obwohl ein treffenderes deutschen Pendant zur Verfügung stand oder die man mühelos

übersetzen könnte. Es bleibt aber dahingestellt, ob sich hinter folgenden Übersetzungen

kreativer Sprachwitz versteckt oder nicht, wenn z.B. ein Laptop zum Schossrechner

umbenannt, ein Snowboard zum Schneebrett umfunktioniert wird.

Sind Anglizismen für die deutsche Sprache gefährlich? Kann man sich gegen die

Anglizismenflut wehren? Die Antworten darauf können aus verschiedenen Perspektiven

kommen: Anglizismen stellen keine Gefahr dar, solange sie in der richtigen Bedeutung

151

Page 152: Vorlesung Wortschatzerweiterung

verwendet oder übersetzt werden; den Regeln der deutschen Sprache unterworfen werden.

Darüber hinaus gehören manche der ‚modebedingten‘ Neulinge zu den wichtigen

Kommunikationsmitteln eines Weltbürgers. Nicht nur Fremdwörter, für die keine direkte

Entsprechungen in der Empfängersprache vorhanden sind, besitzen ein Daseinsrecht in der

Sprache.

5. Funktionen der Anglizismen (Fremdwörter)

Ein Anglizismus ist dann gut, wenn er nützlich ist, einen Zweck erfüllt. Die speziellen

Funktionen des Fremdwortes allgemein lassen sich in Opposition zu einheimischen

Sprachmaterial ableiten. Gewisse Fremdwörter werden in der Kommunikation bevorzugt

eingesetzt. Sie sind in vielen Kontexten notwendig, in anderen erweitern, variieren sie die

Möglichkeiten des Ausdrucks um auf diese Weise zur Bereicherung des Erbwortschatzes

beizutragen. Anglizismen sind nur dort zu verwenden, wo ihnen eine Funktion

zugeschrieben werden kann:

semantische Lücken auszufüllen;

einen Sachverhalt kürzer, treffender und deutlicher auszudrücken. Man sollte das

treffendere Fremdwort vorziehen, anstatt ein weniger anschauliches, weniger

treffenderes Wort oder eine umständliche Umschreibung. Fremdwörter sind auch

dann nötig, wenn das deutsche Pendant unvollkommen das fremde Wort umschreibt;

Anglizismen sind häufig sehr praktisch durch ihre Kürze und Präzision,

Ausdruckskraft und Deutlichkeit, aber auch durch die bewusst ausgenutzte

Vagheit;

stellen Anglizismen einen Zugewinn an Ausdruckskraft dar, bereichern sie das

Deutsche. Dieser Zugewinn an Ausdruckskraft jedoch sei heute – beklagen die

Sprachfreunde - bei den allermeisten neuen, meist aus dem Englischen und speziell

aus der Computersprache kommenden Wörtern nicht mehr auszumachen;

Anglizismen werden dort verwendet, wo kein deutscher Ausdruck bereitsteht. (Film,

Manager, Jackpot, Disco) Für die meisten gibt es keine adäquaten deutsche

Synonyme: ein Hit sei eben kein Schlager und für Hip Hop gibt es gar keinen Ersatz;

es gibt Fremdwörter oder Anglizismen im Deutschen, die sich eingebürgert haben,

weil sie sich nicht übersetzen lassen;

152

Page 153: Vorlesung Wortschatzerweiterung

es gibt Wörter, die mit der Sache, die sie benennen, gemeinsam übernommen

werden und für die deutsche Entsprechungen gar nicht existieren: Zoom, CD, Internet.

Diese englischen Begriffe werden mit den entsprechenden Produkten aus dem

englischen Wirtschaftsraum importiert;

Fremdwörter können Eigenschaften annehmen, die sich von ihrem Gebrauch in der

Gebersprache unterscheiden. Es ist offensichtlich, dass englische Wörter moderner

klingen, oft enthält das englische Wort Bedeutungsnuancen, die den deutschen

Wörtern fehlen. Es gibt z.B. Beudeutungskomponenten in kids, die abwesend sind

in Kinder. Es geht hier also nicht unbedingt um “Wichtigtuerei”

ihr Gebrauch ist auch dann rechtfertigt, wenn Varietät oder stilistische

Sonderfunktionen (Fremdwörter als Stilträger; euphemistische Umschreibung

Striptease vs Entkleidungsnummer, Nackttanz), eine lexikalisch-begriffliche

Differenzierung oder stilistische Differenzierung angestrebt werden, wenn man

einen graduellen inhaltlichen Unterschied ausdrücken will,

in der Wahl eines Wortes ist nicht die Herkunft ausschlaggebend, sondern die

Leistung im Sprachgebrauch. Fremdwörter können auch positv auf die Sprache

einwirken, ihr Musikalität und Kolorit vermitteln

viele Eindeutschungen konnten die Fremdwörter nicht ersetzen, sie bereicherten

aber das Sprachinventar

dass das Fremde eine Signalfunktion hat, kann nicht übersehen werden.

Fremdwörter werden vom Sprecher oft bewusst und gewollt in den

Kommunikationsprozess eingeschleust: als Schmuck, Imagepflege, um anzugeben

– um sich damit von den Mitmenschen zu unterscheiden, um Fach-/Expertenwissen

zu signalisieren (Zunftjargon, Experten-Chinesisch), aus mangelndem Sprachgefühl,

Gedankenlosigkeit und Bequemheit. Hier bestimmt Außersprachliches den

Gebrauch eines Fremdwortes (vgl. folgende Aussage: „Man muss nicht unbedingt von

Kretins sprechen, wo man es mit Trotteln zu tun hat.“ Karl Kraus, „Fackel“

10.12.1915)67;

zwischen „sprachlichem Wandel, Fachausdruck und purer Nachlässigkeit und

Gedankenlosigkeit“ müsse man auch heute unterscheiden wissen, bemerkt Andreas

Bodenstedt („Süddeutsche Zeitung“, 6.6.1998).68 Die Grenze sei dort zu ziehen, „wo

67 Glück/Sauer (1990, 105).68 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S.5.

153

Page 154: Vorlesung Wortschatzerweiterung

bereits ein ebenso brauchbares deutsches Wort existiert“ (Gerhard Grohs,

„Süddeutsche Zeitung“ 16.6.1998)69;

manche Anglizismen kennzeichnen wesentliche Phänomene des 20. Jahrhunderts

und bringen damit die Zeit/Epoche, welcher sie entstammen auf den Begriff, andere

sind bereits derart selbstverständlich geworden, dass sich kaum noch jemand an ihren

englischen Ursprungs erinnert. Teddybär, Jazz, Jeans, PC gehören ebenso zum

Deutschen wie Aids;

„sprachliche Illoyalität“ (Wolfgang Bader) und ein „geknicktes Selbstbewusstsein

aus historischen Gründen“ (Jörg Drews) sind weitere Ursachen, die die Aufnahme

von Importwörtern begünstigen würden70;

viele Sprachkritiker meinen, bei den meisten Anglizismen - mit Ausnahme der

fachsprachlichen – handle es sich um einen Sprachmissbrauch. Für viele ein

Ärgernis, für andere ein Versteck, eine bequeme Möglichkeit alles und nichts zu

sagen, sich anzubiedern und zu distanzieren, für jeden aber vielleicht eine

Möglichkeit, seinen Wortschatz zu erweitern.

Inzwischen dürften sich einige Fremdwortgegner davon überzeugt haben, dass die

Muttersprache Fremdwörter braucht. Die oft geäußerte Befürchtung, dass Fremdwörter

deutsche Wörter verdrängen, ist laut Kettemann (2002, 58) am Sprachmaterial nicht belegt.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Leistung eines Wortes in einer Sprache entscheidend ist

und nicht seine Herkunft. Es droht keineswegs der Untergang der deutschen Sprache; es

gibt kaum eine Sprache, die ohne Lehnwortschatz auskommt – und wenn Ende des 20.Jhs

die Nationalstaaten an Bedeutung verlieren, wird dasselbe auch mit den Nationalsprachen

passieren.

Fremdwörter sind nicht abzulehnen, obwohl Fremdwortgebrauch und geringere

Verständlichkeit oft gleichgesetzt wurden. Über die Gefahren, die die Verwendung von

Fremdwörtern bergen, darf nicht hinweggesehen werden. Das Fremdwort ist nur dort

anzuwenden, wo es tatsächlich eine Funktion zu erfüllen hat.

Viele Fremdwörter decken einen Bedarf, andere sind “Luxuslehnwörter” (Stedje 1989,

169), die aus Prestigegründen entlehnt werden. Dort, wo Fremdwörter gehäuft auftreten,

kann das Verständnis durchaus gestört sein. Der fehlerhafte Fremdwortgebrauch oder eine

falsche Aussprache können zu Kommunikationsstörungen führen. Auf jeden Fall ist ein

unüberlegter, übermäßiger und unnötiger Fremdwortgebrauch abzulehnen. Eine nicht

69 Ebd.70 Ebd.

154

Page 155: Vorlesung Wortschatzerweiterung

gerechtfertigte Häufung, unüberlegter Gebrauch insbesondere in fachexterner

Kommunikation sind nicht zu begrüßen.

In der Allgemeinsprache wird vor einem Prestigegebrauch überflüssiger Fremdwörter

gewarnt, der zum Teil soziale Unterschiede unterstreicht und darüber hinaus zu

kommunikativen Störungen führen kann. Anglizismen und Fremdwörter sind dann zu

vermeiden, wenn sie nicht verstanden werden, wo die Gefahr besteht, dass man sie

unvollkommen versteht. Deshalb ist ein vernünftiger Umgang mit Fremdwörtern zu begrüßen.

Viele sind sehr praktisch, so Job oder Team, andere sind kaum entbehrlich. Viele sind oft

schwerer verständlich, weniger anschaulich als das deutsche Gegenstück, soweit dieses

vorhanden ist, andere verleiten zu einer falschen Aussprache („Zwitter-Aussprache” wie z.B.

bei Roßbief).

In der Alltagssprache erscheinen viele Fremdwörter, die für jeden Sprachteilhaber

verständlich sind. Die Tatsache, dass ein Fremdwort verständlich ist, ist ausschlaggebend,

da aufgrund der fremden Herkunft Fremdwörter Schwierigkeiten im Gebrauch und im

Verstehen bereiten können; oft aber sind sie zu einem unentbehrlichen Bestandteil der

Sprache geworden. Bei der Vermittlung von Fachwissen an die Öffentlichkeit würden sich

Verständnisprobleme da einstellen, wo Fremdwörter verwendet werden. Den Vorwurf, den

man oft Fremdwörtern macht, ist, dass sie unklar, unpräzise, nicht eindeutig seien. Dasselbe

kann aber auch für deutsche Wörter gelten.

Der Fremdsprachenunterricht erhöht die Möglichkeit, ein Fremdwort richtig zu

gebrauchen, er kann dazu beitragen, dass der Prozess der Übernahme – vor allem in

bestimmten Bereichen wie Freizeit, Mode, Unterhaltung – begünstigt wird, dass die

Gebrauchsfrequenz ansteigt. Auf Grund der übertriebenen Übernahme ist die Bezeichnung

„Fremdwort“ irreführend, da viele von ihnen – wegen den verbreiteten Englischkenntnisssen

– gar nicht mehr so‘fremd‘ vom Sprachteilhaber empfunden werden.

155

Page 156: Vorlesung Wortschatzerweiterung

6. Weder Deutsch noch Englisch: Denglitsch, Denglisch, Deutschlisch,

Engleutsch, Germeng, Deuglisch!

Ist in manchen Bereichen der öffentlichen Kommunikation die große Anzahl von

Anglizismen wirklich notwendig? Verdanken wir nicht einen bestimmten Umgang mit

Fremdwörtern einem Imponiergehabe, wenn z.B. Fremdwörter als Ausdruck von

Pseudogelehrtheit oder oberflächlicher Modernität (Andreas Gardt)71 gebraucht

werden? Oft handelt es sich auch um ein „bad English“, mit dem geprotzt wird. Die

immerwährende Diskussion über das Zunehmen von Anglizismen im Deutschen hört

nicht auf.

Leser verschiedener Zeitungen/Zeitschriften äußern sich als Gegener der

Anglizismen negativ zu dieser Erscheinung, beklagen die Misshandlung der Sprache;

sie sei „nicht mehr wie früher“. Warum sollte man cool benutzen wenn in der

Muttersprache kühl zur Verfügung steht? Man protestiere in jüngster Zeit zu Recht

gegen die Umgestaltung des Deutschen zum Denglisch.

Die gefährliche Überflutung der deutschen Sprache von Anglizismen in Presse,

Funk, Fernsehen und kommerzielle Werbung führte zu einer „sprachlichen

Verkümmerung“ des Typs „Dummdeutsch”/“Amideutsch“: BroSis Style für Ihr Handy,

HobbySwingerin, coming-out, Last minute-Angebot, Popsänger, Jetflug, Auftragsboom,

Ärzteteam, hart gefightet, handgefinishte Damenbekleidung, gehandikapte

Mannschaften, grillen, killen, trampen sind Beispiele für eine Mischsprache (Ami-

Welsch), für eine „unnatürliche Vermischung” deutscher und englischer Wörter. (Drube

1994, 70f.)

Der übertriebene und unbedachte Gebrauch führt zur Entstehung dieser

Mischsprache. D. h. Ausdrücke der Fremdsprache werden mit Verben der

Muttersprache verknüpft, englische Endungen tauchen bei deutschen Wörtern auf,

deutsche Endungen bei Anglizismen, Groß- oder Kleinschreibung, mit Bindestrich oder

„in einem Wort“, mischsprachige Satzkonstruktionen sollen Ausdrucksstärke

hervorbringen.

71 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 5/2000, S. 5.

156

Page 157: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Die „Fremdwörterei” hat „allergische Überreaktionen“ (Stemmler 1994, 79)

ausgelöst. Dagegen werden auch unabhängig von Krämers Verein immer mehr

Proteste laut. Eigentlich sind die Sorgen der „Alt- und All-Deutschen“ (Leonhardt 1987,

53) auf das Bangen, die deutsche Sprache würde ihre Eigenständigkeit verlieren,

ausgerichtet, sich zum „Denglisch“ umgestalten.

Krämers Verein kämpft energisch und mit „teutonischer Tapferkeit“ gegen die

„Fremdwortflut” und die angebliche „Kolonisierung des Deutschen durch das Englische“

(„Rheinischer Mekur”, 20.2.1998)72.

Das Werbe-Denglisch sei meistens nur dümmlich, bemerkt auch „Der Spiegel“

(20.4.1998)73 und verweist besonders auf die Sprache der Firma Telekom. Auch

Unternehmen und Banken greifen häufiger zu englischen Ausdrücken, auch dort, wo es

nicht unbedingt nötig sei. Dass z.B. zahlreiche moderne Berufsbezeichnungen kaum

noch auf die üblichen Visitenkarten passen, bemerkt Titus Arnu („Süddeutsche Zeitung

Magazin“, 17.10.1997)74. Hier heiss es Account Executive Marketing-Koordinator/Direct

Marketing oder auch Field Application Engineer/Compiling Solutions for Embedded

Systems.

Bei den Stellenanzeigen trifft man auf „eine Geheimsprache“. Offenbar ist der

Siegeszug der Anglizismen nicht zu stoppen. Walter Krämer vom „Verein zur deutsche

Sprache“ bemerkz dazu („Die Welt“, 4.5.1998)75: „In keinem Land der Welt ist die

Anpassung an die angelsächsische Kultur und Sprache […] derart fortgeschritten wie

im Westen Deutschlands (seltsamerweise scheinen die neuen Bundesländer hier etwas

immuner)[…] Sich auf eine gemeinsame Sprache – und das kann nur Englisch sein –

als Mittel der internationalen Verständigung zu einigen, ist eine Sache. Eine andere

Sache ist es, dabei zugleich die eigene Kultur und Sprache zu verleugnen.“ Dass man

die Sprachentwicklung auch spielerisch umdrehen und die gängisten Anglizismen

übersetzen kann, zeigt Jutta Makowsky („Süddeutsche Zeitung”, 21.10.1998):76 „Klar,

72 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S.6.73 Ebd.74 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 12/1997, S.8.75 Ebd.76 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 7/1998, S.5.

157

Page 158: Vorlesung Wortschatzerweiterung

ihr seid ja auf dem Datum und seht alles ganz kühl. Ihr tragt alle blaue Barchanthosen

und düst auf Bergrädern herum […] Ihr bevorzugt schnelle Nahrung, vor allem

gebackene Kartoffelstäbchen mit Tomatenschmei drauf […] Ihr geht auch ins

Körperbildungszentrum und macht euch tauglich fürs Leben. Dann nehmt ihr an

Geschehnissen und Einsitzungen teil. Na, seht ihr? Mit ein wenig gehirnsturm lässt sich

das ganze amerikanische Gelaber doch tadellos eindeutschen.”

Aus linguistischer Sicht kann das Eindringen von Anglizismen nicht als eine

Entwertung der Muttersprache betrachtet werden. Die Ausführungen zeigten, dass für

die Verwendung eines Fremdwortes unterschiedliche Gründe ausschlaggebend sind.

Ob ein neuentlehntes Wort Fuß fasst oder sich als „Ephemeride“ entpuppt – so

Donalies (1992, 98) – kann nie mit letzter Sicherheit vorhergesagt, sondern eigentlich

nur im nachhinein festgestellt werden.

Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung und der europäischen Einigung

kommt es zu Sprachkontakten. Dabei hat man immer wieder betont, dass Deutsch nie

eine reine Sprache war. Das Besondere an diesem angloamerikanischen Zustrom

ist:

dass der Anprall im Zeitalter der Massenkommunikation in einem

zusammenwachsenden Europa gewaltiger ist als vor hundert Jahren;

dass Anglizismen vor allem in jüngster Zeit massenweise übernommen

worden seien,

dass die ganze Sprachgemeinschaft erfasst wurde und ihr Gebrauch nicht nur

auf bestimmte Sprecherkreise beschränkt blieb ;

dass sie vermutlich in alle Sprachen der Erde übernommen werden.

Unabhängig davon, wie man die Dominanz des Englischen beurteilt sie werde nur

schwer einzuschränken sein und wahrscheinlich in den nächsten Jahren noch

zunehmen. Wie weit der Einfluss des Englischen auf das Deutsche gehe, entscheiden

die Sprecher selbst. Die Neuerungen im Wortschatz einer Sprache müssen als ein

Spiegelbild der Realität einer Sprachgemeinschaft verstanden werden, wodurch die

Sprachteilhaber den Anforderungen der Kommunikationspraxis gerecht zu werden

158

Page 159: Vorlesung Wortschatzerweiterung

suchen. Nur als solche können sie richtig verstanden und erläutert werden, ihnen ein

angemessener Platz im (sprachlichen) Gesamtgeschehen eingeräumt werden.

Es geht vor allem darum, Gegenwart aus der Vergangenheit zu begreifen und

die Verflechtung sprachlicher und sozialer Prozesse besser zu verstehen,

Erscheinungen zu erfassen und in ihren Zusammenhängen zu interpretieren.

Die Ursachen des Sprachwandels können systemintern- oder systemextern

bedingt sein. Als Faktoren, die den Sprachwandel fördern, können außer

Veränderungen der Gesellschaft, auch sozio-ökonomische und kulturelle Verhältnisse,

Entwicklungen der Großstädte, die „Völkerwanderungen“, die allgemeine Mobilität

sowie Sprachkontaktphänomene angeführt werden.

Der Widerstand gegen fremdsprachliche Neologismen spiegelt in Wirklichkeit ein

‚Unbehagen‘ an dem schnellen gesellschaftlichen und technischen Fortschritt wider.

Veränderungen in der Sprache werden nicht gleich akzeptiert; vielmehr werden sie

abgelehnt. So versuchten beispielsweise die Sprachgesellschaften im 18 Jh. (und auch

später) die deutsche Sprache von französischen Ausdrücken zu ‚reinigen‘. Auch

gegenwärtig werden an die GfdS Forderungen gerichtet, den Einfluss der Anglizismen

und Amerikanismen einzuschränken. Oft wird dabei der Tatsache nicht genug

Rechnung getragen, dass es im Wesen einer Sprache liegt, sich als ein flexibles

Kommunikationsinstrument den sich immer wieder verändernden

Kommunikationsaufgaben anzupassen. Dazu gehört eben auch der Zuwachs und das

Eindringen fremdsprachlicher Wörter und Ausdrücke.

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass die zur Diskussion stehende

Problematik folgendem Themenkreis zuordnen ist: Einerseits als ‚natürliche‘ auch vom

Sprachwandel her geforderte Erscheinung, die in die aktuellen Entwicklungstendenzen

einer modernen Sprache eingegliedert werden kann; andererseits im Rahmen

vielfältiger internationaler Beziehungen zwischen den Sprachträgern als eine

Erscheinung, die durchaus zu erwarten sei, d.h. als ein Phänomen, das durch den

Sprachkontakt motiviert ist, betrachtet werden kann, folglich als gesamteuropäische

Erscheinung wahrgenommen werden muss. Diese Erscheinung muss – trotz den häufig

beklagten Nachteilen – auch als eine willkommene Bereicherung für jede moderne

Kultursprache angesehen werden.

159

Page 160: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Wichtige geschichtliche und gesellschaftliche Ereignisse, kulturelle

Veränderungen, wissenschaftlich-technische Errungenschaften und nicht zuletzt das

Wettbewerbsdenken sind die Faktoren, die der Sprache zu einem neuen Design

verhelfen, sie bunter, nuancenreicher, lebendiger, lustiger – sogar interessanter –

scheinen lassen.

In vielen Bereichen stiften Fremdwörter mehr Nutzen als Schaden. Aus der

Konkurrenz von Fremdwort und deutschem Wort wird der Wortbestand der

Aufnahmesprache angereichert mit neuen Bedeutungen, wird sich eine Verfeinerung

ihrer Ausdrucksmöglichkeiten abzeichnen.

Eine Ablehnung, aber auch die uneingeschränkte, unkontrollierte Aufnahme sind

nicht zu begrüßen. Gefragt ist ein vernünftiger Umgang mit Fremdwörtern.

Internationalismen, Fachwörter und Bezeichnungsexotismen kann man nicht ablehnen

oder verdeutschen. Sie sind international verständlich und erleichtern auch die

internationale Kommunikation.

Die deutsche Sprache gliedert seit Jahrhunderten Fremdes ins Eigene ein. Auf

Grund dieser Überlegungen kann man u.U. von einer Sprachvermischung nicht

sprechen, einen Untergang der deutschen Sprache nicht prophezeihen.

Anglizismen im Deutschen sind als eine normale Erscheinung des

Sprachkontakts zu begreifen, bedenklicher ist der Funktionsverlust des Deutschen in

manchen Wissenschaftsbereichen. Wenn die Sprachteilhaber bedacht und sorgsam

mit dem Fremdwort umgehen, dann wird es die Empfängersprache nicht gefährden,

sondern ihren Wortbestand bereichern. Es gilt: Beim Einsatz englischer Entlehnungen

muss ein goldener Mittelweg gefunden werden. Durch Sprachimporte wird die Sprache

reicher. Oder schön deutsch gesagt: Sänck juh!

7. Die Geltung der deutschen Sprache in der Welt

160

Page 161: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Insgesamt hat sich die Stellung von Deutsch als Fremdsprache seit 1989 stark

verändert. Das liegt vor allem am politischen Wandel in Ost (Mittel-)Europa, die

Hauptregion der Deutschlernenden. Die Nachfrage nach Deutsch ist sprunghaft

gestigen. Diese gewaltige Nachfrage kann auch durch das Goethe-Institut (Gründung

1979 in Bukarest) kaum mehr befriedigt werden.

Ulrich Ammon (1991)77 meint, dass der politische Umbruch von 1989 die

internationale Stellung der deutschen Sprache nicht wesentlich verändert hat. Berschin

(1994, 308 ff.) hingegen vermerkt, dass Ammon bei seinen Untersuchungen einige

Faktoren unberücksichtigt oder kaum berücksichtigt hat und zwar sind das: die

demographische Entwicklung in Deutschland mit einer hohen Zuwanderungsrate (aus

Ost (Mittel-)Europa; die neugewonnene Stellung des Deutschen als Verkehrssprache in

Ost (Mittel-)Europa; die sprachpolitische Anerkennung der deutschen Minderheiten Ost

(Mittel-)Europas. Eindeutig ist das Interesse am Erlernen der deutschen Sprache in den

GUS-Ländern und in Ostmitteleuropa. Fraglich ist, ob die deutsche Sprache das

Russische als lingua franca in Polen, Weissrussland und in anderen Nachbarstaaten

ablösen könne. Die deutsche Sprache wird zur Zeit und an Universitäten und

Gymnasien als zweite Fremdsprache hinter Englisch unterrichtet. Das Interesse am

Erlernen der deutschen Sprache in den letzten Jahren ist weltweit sprunghaft

gestiegen. Als Grund kann hier die wirtschaftliche Bedeutung des wiedervereinigten

Deutschlands angeführt werden. In Japan und in den USA stagniert der

Deutschunterricht oder geht zurück, obwohl die Handelsbeziehungen wachsen. Die

Stellung des Deutschen ist aber stärker, als man angenommen hat. In vielen

europäischen Ländern sei derzeit die Nachfrage nach Deutsch größer als das Angebot.

Besonders in Polen, in der Tschechischen Republik und in Ungarn ist das Interesse an

Deutsch gewachsen. Deutsch sei nicht nur in Osteuropa, sondern auch in vielen

Ländern Asiens und Afrikas „ein Exportschlager“, schreiben Helmut Glück und

Wolfgang Sauer. („Die Welt“, 21.7.1993).78

Deutsch ist in Osteuropa neben Englisch eine wichtige Verkehrssprache, in

Westeuropa nach Englisch und Französisch im Wirtschaftsbereich auf dem dritten

77 Ulrich Ammon, Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin/New York, 1991.78 FACHDIENST GERMANISTIK, SPRACHE UND LITERATUR IN DER KRITIK DEUTSCHSPRACHIGER ZEITUNGEN 9/1993, S. 6.

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Page 162: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Platz. Die gefestigte Stellung des Englischen als internationale Verkehrssprache

bestreitet niemand, doch müsse man künftig die Sprachenvielfalt bewahren (siehe auch

Tutzinger Thesen zur Sprachenpolitik in Europa), dem Deutschen in der EU infolge der

“numerischen Stärke” eine gewichtigere Rolle zuschreiben – die Wirtschaftskraft, die

bedeutende Kulturtradition, das wachsende Ansehen des Deutschen in Ost-

(Mittel-)Europa plädieren dafür. Das Problem für den Gebrauch des Deutschen weltweit

sind nicht die Fremdwörter, die in das Deutsche gelangen, sondern der fortschreitende

Funktionsverlust79 des Deutschen als Wissenschaftssprache. Dieses ist einerseits auf

die wirtschaftliche Entwicklung der USA und die Globalisierung zurückzuführen,

andererseits aber auch auf die deutsche Politik vor und seit dem Ersten Weltkrieg.

Insgesamt bleibt Deutsch eine auch international wichtige Sprache, solange die

deutschsprachigen Länder wirtschaftlich und technologisch an vorderster Stelle stehen.

Andererseits ist der Anteil des Deutschen im Internet gegenüber dem Englischen

erheblich gestiegen.

Der Bedeutungsverlust des Deutschen als internationale Wissenschaftssprache

ist vielfach beklagt worden. Auch hier setzt das Englische seinen internationalen

Siegeszug weiter fort. Heute publizieren die meisten Wissenschaftler ihre

Forschungsergebnisse in englischer Sprache, viele Publikationen verlangen eine

englischsprachige Zusammenfassung des veröffentlichten Aufsatzes. Es gibt auch

deutsche Fachzeitschriften, deren Publikationssprache das Englische ist. Die

“Frankfurter Allgemeine” (21.9.1994)80 berichtet, dass der Vorstand der Gesellschaft

Deutscher Chemiker (GDCh) beschlossen habe, in den drei traditionsreichen Periodika

auf Deutsch als Publikationssprache zu verzichten. Er “erhoffe sich damit eine höhere

internationale Akzeptanz seiner Printmedien”. Schon im ersten Weltkrieg setzte der

Niedergang ein Man rezipiert und publiziert auf Englisch. „Wer künftig auf Deutsch

publiziert, ist isoliert“, so Ammon. („Frankfurter Allgemeine“, 14.10.1999)81

Tatsache ist, dass aber nicht die Sprache Shakespeares, sondern eher ein „bad

English“ die internationale Wissenschaftskommunikation dominieren werde.

Andererseits gibt es auch wichtige Initiativen, die im europäischen Mehrsprachenraum

79 Kettemann (2002, 60).80 Ebd.81 Ebd.

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für eine Sprachbalance plädieren, in welcher Englisch als eine Sprache neben anderen

fungiere – siehe auch die „Tutzinger Thesen“ des Deutschen Germanistenverbandes.

Diesen Niedergang könnte vielleicht folgendes aufhalten: eine Orientierung am

sprachlichen Modell Frankreichs, sowie die Pflege von Vielsprachigkeit.

Ungeachtet des Niedergangs als Wissenschaftssprache ist Deutsch

wirtschaftlich zweit- oder drittstärkste Sprache der Welt.

8. Deutsches Wortgut in den Nachbarsprachen und Germanismen im Englischen

Das Englische ist heute lingua franca der Welt und damit die Hauptquelle für den

Einstrom neuer Wörter auch in den anderen Sprachen Europas. Es gibt jedoch auch

163

Page 164: Vorlesung Wortschatzerweiterung

den umgekehrten Prozess, dass deutsche Wörter in fremde Sprachen übernommen

und angeglichen werden. Englischsprachige Länder aber auch Frankreich übernehmen

– allerdings in geringerer Anzahl als wir von ihnen, doch vielmehr als aus anderen

Sprachen82 - deutsche Wörter. Zu den Klassikern gehören kindergarten, hinterland,

kaffeeklatsch, leberwurst, weltschmerz, weltanschuung, ersatz, gemütlichkeit, zeitgeist

gesellen sich the ostblock, le waldsterben, the wunderkind (Boris Becker) und

selbstverständlich Wiedervereinigung.

„Vasistas – was ist das? Deutsches Wortgut in Nachbarsprachen” lautet der Titel

eines Aufsatzes von Konrad Wörtmann (“Der Sprachdienst”, Heft 5/19901). Wörtmann

zeigt, dass die deutsche Sprache nicht nur fremde Ausdrücke aufgenommen, sondern

auch “kräftig” in benachbarte Sprachgemeinschaften exportiert hat. Dies gelte vor allem

für mehrere slawische Sprachen und, ab und zu auch für das Türkische, Italienische

und Französische (“Vasistas”, in je anderen Schreibweisen, sei mit “Schiebefenster”

oder “Guckloch” zu übersetzen). Die erfolgreichsten Germanismen in den

Nachbarsprachen sind: Im Französischen neben le kirsch (“Kirschwasser”) auch le

leitmotiv (“fixe Idee”), l’ersatz (ironisch etwa für “Kunsthonig” oder “Malzkaffee”) und le

blockhaus (“kleiner Bunker”). Für das Italienische werden die Wörter birra (“Bier”), crauti

(“Sauerkraut”), kaputt, valzer, spec, wurstel, scherzare (“scherzen”) genannt.

Spitzenreiter in dieser Liste sind Nickel und Quarz, die jeweils in zehn europäische

Sprachen vertreten sind. Marschall, Zickzack und Zink sind in neuen Nachbarsprachen

gebräuchlich, Walzer werde in acht Sprachen verwendet; je sechsmal hat Wörtmann

Schnitzel, Wolfram, Leitmotiv und Lied ausgemacht, je fünfmal Weltanschauung und

Hinterland. Als Ursachen dieser und anderer “Wortentleihungen” werden Kriege und

Revolutionen, Grenzverkehr, Einwanderungen, kulturell-religiöse Einflüsse,

wirtschaftliche Beziehungen und wissenschaftlicher Austausch angeführt. Die

Untersuchungsergebnisse erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit; die Analyse

deutschen Sprachexports ergebe “keine schlechte Mischung; die Zusammensetzung

des Wortguts widerspricht der vorherrschenden Meinung, die Nachbarn entlehnten dem

Deutschen nur negative Ausdrücke”.

82 Wolf (1966, 322).

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Aus dem Deutschen hat das Englische Wörter aus verschiedenen Bereichen

aufgenommen.83 Viele sind historisch motiviert: Zweiter Weltkrieg, Nazi(sm)(1930),

Third Reich (1933), Nazism, Führer, Gestapo (1934), Luftwaffe (1935), Blitzkrieg

(1939), aber auch messerschmidt, panzer, lebensraum, herrenvolk. Manche

Übernahmen bezeichnen in der Aufnahmesprache einen anderen Sachverhalt als in der

Gebersprache Deutsch. So bezeichnet Luftwaffe im gegenwärtigen Deutsch airforce im

Englischen aber “the airforce in Nazi Germany”.

Der deutsche Beitrag zur englischen Sprache widerspieglt sich auch in folgenden

sehr unterschiedlichen Bereichen: angst, aspirin, Cristmastree, dachshund, enzyme,

fahrenheit, hamster, handbook, heroin, kaput, poltergeist, swindler, yodel, yiddish,

zeitgeist, blitz, ersatz, kindergarten, fest, müsli, rucksack, kaffeeklatsch, schweinehund,

zeitgeist, zinc, auf wiedersehen, gemütlich, galgenhumor, kitsch, wunderkind,

Bildungsroman, ostpolitik, lager (vgl. Stubbs 1998, 19ff.). Aber auch bratwurst,

hamburger, kohlrabi, leberwurst, sauerkraut. Auch Mischbildungen oder

Eigenschöpfungen wie apple strudel, beer stube, sitz bath kommen vor84. Viele der

deutschen Importe sind nur den “educated speakers” bekannt.

Deutsch als Sprache des 19. und 20. Jh. in der Chemie, in den

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften führte zu Entlehnungen wie

chromosome, gauss, gestalt, hertz, leitmotiv, marxism, quartz, umlaut, weltanschauung

(Pl. the weltanschauungs), weltschmerz, allergy, diktat, festschrift, schizophrenia und

zur Übernahme von Eigennamen: Alzheimer’s (disease), Bauhaus, Dobermann, Diesel,

Geiger, Jugendstil, Rottweiler, Hitler, Nietzschean, Humboldtian, Leibniz,

Schumannesque. Andere Entlehnungen entstammen der Mineralienkunde, der

Biologie, der Geologie, der Botanik, der Medizin, Physik und Mathematik.

Übersetzungen sind anti-body (“Antikörper”), power politics (“Machtpolitik”), rainforest

(“Regenwald”), space-time (“Raumzeit”), superman (“Übermensch”).

83 Stubbs (1998, 19 ff.), Duden (1999, 11), Kettemann (2002, 71 f.).84Im Rumänischen u.a.: şniţel, leitmotiv, lied, şlagăr, spriţ, ştrand. Siehe auch C. Cujbă, Influenţa germană asupra vocabularului limbii române literare contemporane, 1999, Bukarest (= GGR-Beträge zur Germanistik 5).

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Page 166: Vorlesung Wortschatzerweiterung

Deutsche Entlehnungen können spezifisch deutsche Erscheinungen, Stereotype

bezeichnen: lederhosen, dirndl, loden, autobahn, dummkopf, edelweiss, riesling,

schadenfreude, weltschmerz.

Germanismen in der internationalen Ausgabe von Time Magazin untersucht

Hans-Joachim Kann (1989, 118 ff.; 1990, 99 ff.). Kann hat seine Belege in drei Gruppen

eingeteilt: sprachliche „Eintagsfliegen“, die so neu sind, dass sie übersetzt oder erklärt

werden müssen; Entlehnungen, die nicht im Wörterbuch stehen, aber doch einen

gewissen Grad der Bekanntheit (aus Filmen, Fernsehserien und aktuellen

Nachrichtensendungen) voraussetzen können, so dass sie nicht übersetzt oder erklärt

werden; Weiterentwicklungen von Wortmaterial, das bereits in Wörterbüchern

verzeichnet ist. Der deutsche Wortexport geht nicht nur in Richtung Osteuropa, sondern

ganz besonders über den Atlantik: Das Deutsche wächst auch im Englischen kräftig

weiter.

LITERATURVERZEICHNIS

A. Nachschlagewerke

1. Duden (5 1995): Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. und bearb. von Günther Drosdowski in Zusammenarbeit mit Peter Eisenberg. Mannheim. Bd. 4.

2. Bußmann, H. (21990): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart (= Kröners Taschenausgabe 452).

3. Fleischer, W./Helbig, G. /Lerchner, G. (Hrsg.)(2003): Kleine Enzyklopädie. Deutsche Sprache. Frankfurt/Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien.

4. König, W. (10 1994): dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Tafeln und Texte. München.

5. Metzler-Sprache (22000): Lexikon Sprache. Hrsg. von H. Glück. Stuttgart, Weimar.

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B. Fachliteratur

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3. Berner, E. (71996): Das Deutsch der jüngeren Neuzeit (1800-1950), Das Deutsch der jüngsten Neuzeit (1950 bis zur Gegenwart). In: W. Schmidt (Hrsg.): Geschichte der deutschen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanistische Studium. Stuttgart, Leipzig, S. 133-170.

4. Berschin, H. (1994): Kontinuität oder Wende? Deutsch als internationale Sprache seit 1989. Diskussionsbeitrag anlässlich des Erscheinens von Ulrich Ammon: Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin/New York, 1991. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 3/1994, S. 308-324.

5. Braun, P. (1991): Personale Mehrwortbenennungen in der deutschen Gegenwartssprache. In: Muttersprache 1/1991, S. 48-60.

6. Braun, P. (21987, 31993) : Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz.

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9. Donalies, E. (1992): HIPPES HOPPING UND TOUGHE TRENDIES. Über ‘(neu)modische’, noch nicht kodifizierte Anglizismen in der deutschsprachigen Female-Yuppie-Zeitschriften. In: Deutsche Sprache 2/1992, S. 97-110.

10.Donalies, E. (22005): Die Wortbildung des Deutschen. Tübingen. 11.Drube, H. (1994): Das anglo-amerikanische Fremdwort im Deutschen seit 1945.

In: K. Hotz (Hrsg.): Deutsche Sprache der Gegenwart. Entwicklungen und Tendenzen. (=Arbeitstexte für den Unterricht). Stuttgart, S. 59-72.

12.Dunger, H. (1899): Wider die Engländerei in der deutschen Sprache. In: Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins XIV/12, S. 241-252. In: B. Kettemann: Sprachwissenschaftliches Seminar: Languages in Contact: Intrusion or Enrichment? WS 2002/03, Institut für Anglistik, Universität Graz.

13.Eggers, H. (1994): Was ist „deutsche Gegenwartssprache”?. In: K. Hotz (Hrsg.): Deutsche Sprache der Gegenwart. Entwicklungen und Tendenzen. (=Arbeitstexte für den Unterricht), Stuttgart, S. 7-23.

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20.Förster, U. (1993): Rezension: Reinhard Olt, Wider das Fremde? Das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins in Hessen 1885-1944. Mit einer einleitenden Studie über Sprachreinigung und Fremdwortfrage in Deutschland und Frankreich seit dem 16. Jahrhundert, Darmstadt/Marburg, 1991 (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 80). In: SD 6/1993, S. 180-181.

21.Förster, U. (1989): Praktische Sprachpflege. Ein Sprachberater gibt Auskunft. In: Der Sprachdienst 4/1989, S. 105 -115.

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25.Hoberg, F. (1994): Wirbel um Wörter und Unwörter. In: Der Sprachdienst 2/1994, S. 70-72.

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28.Kettemann, B. (2002): Sprachwissenschaftliches Seminar: Languages in Contact: Intrusion or Enrichment? WS 2002/03, Institut für Anglistik, Universität Graz.

29.Kettemann, B. (2002): Anglizismen allgemein und konkret: Zahlen und Fakten. In: R. Muhr, B. Kettemann (Hrsg.): EUROSPEAK - Der Einfluss des Englischen auf europäische Sprachen zur Jahrtausendwende. Wien u.a., S. 55-86.

30.Kovtun, O. (1996): Zum fachsprachlichen und allgemeinsprachlichen Gebrauch von Manager,Management und managen. In: Muttersprache 4/1996, S. 344-349.

31.Leonhardt, R. W. (2 1987): Auf gut deutsch gesagt. Ein Sprachbrevier für Fortgeschrittene. München, Zürich.

32.Miclea, R.-O. (2001): Germanistische Linguistik im Überblick. Sibiu.33.Munske, H. H. (2 1980): Germanische Sprachen und deutsche Gesamtsprache.

In: P. Althaus, H. Henne, H.-E. Wiegand (Hrsg.): Lexikon der Germanistischen Linguistik. (= Studienausgabe). Tübingen, Bd. IV, S. 661-672.

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35.Olt, R. (1989): Das Eigene und das Fremde. In: Der Sprachdienst 4/1989, S. 125-127.

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38.Römer, R. (21971): Die Sprache der Anzeigenwerbung. In: H. Moser u.a. (Hrsg.): Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für deutsche Sprache, Bd. IV, Düsseldorf.

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41.Schiewe, J. (1992): Deutsch als Verkehrssprache in Europa. Bericht über die Jahrestagung 1992 des Instituts für deutsche Sprache, Mannheim, 24. Bis 26. März 1992. In: Muttersprache 1/1992, S. 370-378.

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Tübingen. 44.Schlosser, H. D. (1992): Die Unwörter des Jahres 1991. In: Sprachdienst

2/1992, S. 49-61.45.Schlosser, H. D. (1994): Die Unwörter des Jahres 1993. In: Sprachdienst

1/1994, S. 8-19.46.Schneider, W. (1996): Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde. München.47.Stedje, A. (1989): Deutsche Sprache gestern und heute. Einführung in

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52. Störig, H. J. (1992): Abenteuer Sprache. Ein Streifzug durch die Sprachen der Erde. München.

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57.Wolff, G. (3 1994): Deutsche Sprachgeschichte. Ein Studienbuch. Tübingen, Basel.

VERZEICHNIS DER ARTIKEL IN DEUTSCHEN UND RUMÄNISCHEN

ZEITSCHRIFTEN UND ZEITUNGEN

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22.8.1997,S. 21.Volkmar Gönitzer: Muttersprache Deutschlisch, Stadtjournal, 8.9.1999, S. 30.Suzanne K. Hilgendorf: The Impact of English, English Today, 47/1996, S. 3-14. Olga Kanda: Hoffnung auf eine Ende der Zeit der Verunglimpfungen, Kleine Zeitung, 1.2.1996, S. 24.Bernhard Kettemann: Zwischen Verunglimpfung und Bereicherung, Kleine Zeitung, 8.2.1996, S. 24.Andrian Kreye: Alles halb so wild. In New York wird über die Zukunft der deutschen Sprache verhandelt, Süddeutsche Zeitung, 10.4.2002, S.16-17.Mircea Marian: Legea lui Pruteanu, adoptată în aplauzele PRM, Adevărul, 9.10.2002, S. 2.Mediafax: Reprezentanţii companiilor străine contestă şi ei Legea Pruteanu, Adevărul, 11.10.2002, S. 5.Diana Popescu: Limba română are nevoie de şcoală, nu de legi, Adevărul, 11.10.2002., S. 4.Stefan Rychlak: Sprachliche Grausamkeiten, Badische Zeitung, 31.8.2002, o. S.Thomas Stanzer: Internetz oder Die Ritter des Dudens, Kleine Zeitung, 19.8.1999, S. 25.Jürgen Steinhoff: Sprach-Störung, Der Stern, 36/1999, S. 56-60.Michael Stubbs: German loanwords and cultural stereotypes, English Today, 53/1998, S. 19-26.Dieter E. Zimmer: Sonst stirbt die deutsche Sprache, Die Zeit, 23.6.1995.Leserbriefe aus der Kleinen Zeitung: 29.12.1995, 30.1.1996, 10.3.1996, 7.7.1999, 20.7.1999, 24.7.1999, 28.7.1999, 3.8.1999Meldungen aus: Adevărul, 12.10.2002; Kleine Zeitung, 4.1.1996; 6.4.1999; 20.5.1999; Kurier, 4.6.1999; Sprachnachrichten, 4/2002; Süddeutsche Zeitung, 10.4.2002.

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