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Wasser aus den Ur-Ems- und -Werse-Rinnen Geographische Kommission für Westfalen Gebiet und Identität Naturraum Bevölkerung Siedlung Wirtschaft und Verkehr Bildung und Kultur Gesellschaft und Politik Das Kreidebecken des Münsterlandes wird aus Schichten der Ober- und der höheren Unterkreide gebildet. Sie sind in der Regel mehrere hundert Meter, zum Teil etwa tausend Meter mächtig. Ein jüngerer Teil dieser Gesteine tritt z. B. in den Beckumer Bergen zutage. Die relativ flach gelagerten Kreidege- steine haben vielfach tonig-mergelige Schichten ausgebildet, die das Grund- wasser entweder gar nicht (sog. Aqui- clude) oder nur schlecht (sog. Aquitarde) leiten können. Brunnen zur Grundwas- sergewinnung sind hier sehr unergiebig. Bis zur Saaleeiszeit , hatten Ems und Werse tiefe Rinnen in den leicht erodierbaren Kreide-Untergrund gegra- ben. Diese bilden heute das Ur-Ems- bzw. das Ur-Ems-Werse-Rinnensystem (Abb. 1). Es wurde erst in den letzten Jahren geologisch genauer erforscht. Im Verlauf der pleistozänen Kalt- und Warmzeiten sowie im Holozän haben dann die Ems und die Werse sowie ihre jeweiligen Nebenbäche, z. B. Axtbach, Hessel, Angel usw., mächtige Sedi- mentdecken über dem Kreideuntergrund abgelagert und auf diese Weise einen „Sandgürtel“ von teilweise bis zu 20 km Breite und durchschnittlich etwa 15 m Mächtigkeit geschaffen. Im Bereich der früher entstandenen Ur-Ems(-Werse)- Rinnen, wo also alte, schmale, tief in die Tonmergel-Gesteine eingeschnittene Kerbtäler verliefen und zunächst aufge- füllt wurden, erreichten die Sediment- schichten Mächtigkeiten von insgesamt etwa 20 bis 30 m (Abb. 2). Die Ur-Ems-Rinne verläuft ungefähr im Bereich des heutigen Ems-Flussbet- tes, oft parallel hierzu, manchmal kreuzt sie es. Der heutige Emsverlauf ist also nicht völlig identisch mit dem der Ur- Ems. Etwas geringer ist die Abwei- chung zwischen der Ur-Werse und dem heutigen Werseverlauf (Abb. 1). Die von den Flüssen abgelagerten Sedimente haben zwar stellenweise auch Schluff- oder Toncharakter, sind also sehr feinkörnig, oft bestehen sie aber aus Sanden oder einem Gemisch aus Sand und Kies. Letztere werden durch ihre größeren Porenvolumina zu sehr guten Grundwasserleitern (Aquife- re). Daher haben speziell im Ur-Ems- und -Werse-Rinnenverlauf zahlreiche Wasserwerke ihre Brunnen errichtet, um die sehr guten Grundwassergewin- nungsmöglichkeiten dieser Aquifere zu nutzen. Zumeist wird das Rohwasser aus etwa 17 bis 20 m gefördert. Im Mittel liegen die jährlichen Nie- derschlagsmengen in diesem Raum bei etwa 735 mm. Wenn man den oberirdi- schen Abfluss, die Verdunstung, die Interzeption und die Wasseraufnahme durch die Vegetation abrechnet, versi- ckern noch etwa 200 bis 250 mm Nie- derschlag. Etwaige lehmige, die Sande überlagernde Deckschichten, die die Versickerungsrate hemmen würden, gibt es kaum. Hierdurch bleibt zur Auffül- lung der Aquifere mehr als genug Was- ser übrig. Die Absenkungstrichter der Brunnen beeinträchtigen die Wasserstände der Flüsse und Bäche auch dann kaum, wenn sie in der unmittelbaren Nähe der Flüsse errichtet wurden und diese viel- leicht Niedrigwasser führen, da die Flussbettbereiche durch Schlickablage- rungen gut „abgedichtet“ sind. Daher können die Wasserwerke in der Regel „aus dem Vollen schöpfen“. Die Städte und Gemeinden jedoch, die südlich der Emsniederung in eini- ger Entfernung von dieser auf den oberflächennah anstehenden Kreide- schichten liegen, haben in Bezug auf eine Wassergewinnung „vor Ort“ Pro- bleme. Beckum, Oelde und Ennigerloh etwa haben mehrfach, z. T. noch um die Wende zum 20. Jh., Epidemien erlebt, die maßgeblich auf die Wassermangel- situation zurückzuführen waren, wobei Trockenjahre die Probleme deutlich verschärften. Daher entschloss sich der Kreistag des damaligen Kreises Be- ckum im Jahre 1908, die Grundwasser- vorkommen der Ur-Ems-Rinne für eine zentrale Wasserversorgung der Ge- meinden Beckum, Neubeckum, En- nigerloh und Oelde zu nutzen. Das am 19.07.1910 feierlich eingeweihte Was- Abb. 1: Das quartäre Rinnensystem von Ems und Werse (Quelle: Geologisches Landesamt NRW, verändert) Abb. 2: Geologischer Schnitt durch die Werse-Rinne bei Drensteinfurt (Quelle: Geologisches Landesamt NRW) Beckum

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Wasser aus den Ur-Ems- und -Werse-Rinnen

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Das Kreidebecken des Münsterlandeswird aus Schichten der Ober- und derhöheren Unterkreide gebildet. Sie sindin der Regel mehrere hundert Meter,zum Teil etwa tausend Meter mächtig.Ein jüngerer Teil dieser Gesteine trittz. B. in den Beckumer Bergen zutage.

Die relativ flach gelagerten Kreidege-steine haben vielfach tonig-mergeligeSchichten ausgebildet, die das Grund-wasser entweder gar nicht (sog. Aqui -clude) oder nur schlecht (sog. Aquitarde)leiten können. Brunnen zur Grundwas-sergewinnung sind hier sehr unergiebig.

Bis zur Saaleeiszeit, hatten Emsund Werse tiefe Rinnen in den leichterodierbaren Kreide-Untergrund gegra-ben. Diese bilden heute das Ur-Ems-bzw. das Ur-Ems-Werse-Rinnensystem(Abb. 1). Es wurde erst in den letztenJahren geologisch genauer erforscht.

Im Verlauf der pleistozänen Kalt- undWarmzeiten sowie im Holozän habendann die Ems und die Werse sowie ihrejeweiligen Nebenbäche, z. B. Axtbach,Hessel, Angel usw., mächtige Sedi -mentdecken über dem Kreideuntergrundabgelagert und auf diese Weise einen„Sandgürtel“ von teilweise bis zu 20 kmBreite und durchschnittlich etwa 15 mMächtigkeit geschaffen. Im Bereich derfrüher entstandenen Ur-Ems(-Werse)-Rinnen, wo also alte, schmale, tief in dieTonmergel-Gesteine eingeschnitteneKerbtäler verliefen und zunächst aufge-füllt wurden, erreichten die Sediment-schichten Mächtigkeiten von insgesamtetwa 20 bis 30 m (Abb. 2).

Die Ur-Ems-Rinne verläuft ungefährim Bereich des heutigen Ems-Flussbet-tes, oft parallel hierzu, manchmal kreuztsie es. Der heutige Emsverlauf ist alsonicht völlig identisch mit dem der Ur-Ems. Etwas geringer ist die Abwei-chung zwischen der Ur-Werse und demheutigen Werseverlauf (Abb. 1).

Die von den Flüssen abgelagertenSedimente haben zwar stellenweiseauch Schluff- oder Toncharakter, sindalso sehr feinkörnig, oft be stehen sieaber aus Sanden oder ei nem Ge mischaus Sand und Kies. Letztere werdendurch ihre größeren Porenvolumina zusehr guten Grundwasserleitern (Aquife-re). Daher haben speziell im Ur-Ems-und -Werse-Rinnenverlauf zahlreiche

Wasserwerke ihre Brunnen errichtet, umdie sehr guten Grund wasserge win -nungs möglichkeiten dieser Aquifere zunutzen. Zumeist wird das Rohwasseraus etwa 17 bis 20 m gefördert.

Im Mittel liegen die jährlichen Nie-derschlagsmengen in diesem Raum beietwa 735 mm. Wenn man den oberirdi-schen Abfluss, die Verdunstung, dieInterzeption und die Wasseraufnahmedurch die Vegetation abrechnet, versi -ckern noch etwa 200 bis 250 mm Nie-derschlag. Etwaige lehmige, die Sandeüberlagernde Deckschichten, die dieVersickerungsrate hemmen würden, gibtes kaum. Hierdurch bleibt zur Auffül-lung der Aquifere mehr als genug Was-ser übrig.

Die Absenkungstrichter der Brunnenbeeinträchtigen die Wasserstände derFlüsse und Bäche auch dann kaum,wenn sie in der unmittelbaren Nähe derFlüsse errichtet wurden und diese viel-leicht Niedrigwasser führen, da dieFlussbettbereiche durch Schlickablage-rungen gut „abgedichtet“ sind. Daherkönnen die Wasserwerke in der Regel„aus dem Vollen schöpfen“.

Die Städte und Gemeinden jedoch,die südlich der Emsniederung in eini-ger Entfernung von dieser auf denoberflächennah anstehenden Kreide-schichten liegen, haben in Bezug aufeine Wassergewinnung „vor Ort“ Pro-bleme. Be ckum, Oelde und Ennigerlohetwa haben mehrfach, z. T. noch um die

Wende zum 20. Jh., Epidemien erlebt,die maßgeblich auf die Wassermangel-situation zurückzuführen waren, wobeiTro ckenjahre die Probleme deutlichverschärften. Daher entschloss sich derKreistag des da maligen Kreises Be -ckum im Jahre 1908, die Grundwasser-vorkommen der Ur-Ems-Rinne für einezentrale Wasserversorgung der Ge -meinden Be ckum, Neubeckum, En -nigerloh und Oelde zu nutzen. Das am19.07.1910 feierlich eingeweihte Was-

Abb. 1: Das quartäre Rinnensystem von Ems und Werse(Quelle: Geologisches Landesamt NRW, verändert)

Abb. 2: Geologischer Schnittdurch die Werse-Rinne beiDrensteinfurt(Quelle: Geologisches Landesamt NRW)

Beckum

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serwerk in Vohren (östlich von Waren-dorf) arbeitete mit Dampfenergie, diegenannten Gemeinden erhielten Was-sertürme. Heute (2010) beliefert die„Wasserversorgung Be ckum GmbH“ein Gebiet von über 2 000 km2 und130 000 Einwohner mit Trinkwasser,und zwar zu etwa 60 % aus dem Vohre-ner Grundwasserwerk, wo 12 Brunnen-anlagen etwa 5,5 Mio. m3 Wasser proJahr fördern (Abb. 3). Ungefähr 30 km2

groß ist das Wasserschutzgebiet, indem diese Brunnen liegen. Die „Was-serversorgung Beckum“ ist jedochzusätzlich eingebunden in ein Systemverschiedener weiterer Wasserwerke,Wasserversorger und Verbundsysteme.Hierdurch ist nicht nur in quantitativer,sondern auch in qualitativer Hinsichteine dauerhaft weitgehend problemloseWasserversorgung ge währleistet.

Auch an dere Städte, von Harsewin-kel über Warendorf, Telgte und Greven,ge winnen einen großen Prozentsatz

ihres benötigten Wassers aus der Ur-Ems-Rinne.

Während die mengenmäßige Verfüg-barkeit des Wassers in der Regel keinProblem darstellt, muss in qualitativerHinsicht vor allem die Nitratbelas tungdes Wassers als Problem beachtet wer-den, das sich im Zuge der Intensivierungder Landwirtschaft ergab. Gerade wegender sandigen Böden meinten viele Land-wirte bis in die 1980er Jahre in Bezugauf den Düngemitteleinsatz noch: „Vielnützt viel“. Die Folge wa ren z. T. sehrdeutliche Überschreitungen der Nitrat-Höchstwerte (= 50mg/l) vor allem in denoberflächennahen Bodenschichten. DieProbleme waren auch deshalb dringend,weil z. B. im Kreis Warendorf selbst dieFlächen der Trinkwassergewinnungsge-biete zu zwei Dritteln landwirtschaftlichgenutzt werden und die Waldfläche nur19 % beträgt.

Nitrat kann nicht nur in gesundheit-licher Hinsicht für den Menschen zur

Gefahr werden, sondern auch – durchVeränderung der Sulfat- und der Eisen-gehalte infolge chemischer Prozesse –die Wasserhärte erhöhen und den Was-serwerken technische und betrieblicheProbleme bereiten, z. B. bei der Wasser-aufbereitung und der Nutzungsdauer derBrunnen.

Bereits um 1990 wurden deshalb inden betroffenen Gebieten Kooperations-vereinbarungen zwischen der Landwirt-schaft und der Wasserwirtschaft getrof-fen, um die Probleme nachhaltig lösenoder doch zumindest so weit reduzierenzu können, dass alle Beteiligten aufDauer sicher sein konnten, ihre jeweilseigenen Aufgaben erfüllen und ihreInteressen wahren zu können. Zu denvereinbarten Maßnahmen gehörten z. B.intensive Düngeberatungen, genaueDüngeplanung und -berechnung, Bo -denanalysen, Abgabe überschüssigerGülle usw.

Die Erfahrungen, die mit diesenKooperationen gemacht wurden, warenso gut, dass gegenwärtig nach diesemMuster auch in jenen Einzelregionen, indenen keine solchen Kooperationsver-träge bestanden, durch die Landwirt-schaftskammer entsprechende Beratun-gen durchgeführt werden. Die immernoch erhöhten Nitratwerte bleiben aller-dings eine Herausforderung, obwohl dieWerte z. B. im Werse- und im Emsgebietsüdlich bzw. östlich von Münsterzurückgegangen sind und sie im Trink-wasser letztlich deutlich unter denGrenzwerten liegen (vgl. hierzuMUNLV NRW 2008, S. 30 ff.).

Bei anderen möglichen Belas -tungsfaktoren des Grundwassers sindvor allem die Rückstände aus Pflanzen-schutzmitteln (PSM) zu beachten. Ineinigen Wasserwerken, z. B. in Telgteund Everswinkel-Raestrup, wurdenbereits technische Maßnahmen ergrif-fen, um das gewonnene Wasser ohnenennenswerte PSM-Rückstände anbie-ten zu können. Hierzu zählt z. B. dieAktivkohle-Behandlung.

PETER WITTKAMPF

WESTFALEN REGIONAL

Abb. 3: Versorgungsgebiet der Wasserversorgung Beckum GmbH(Quelle: Wasserversorgung Beckum GmbH, verändert)

DE = Druckerhöhungsstation

Brunnen

Hauptwasserleitung