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insel taschenbuch 3638 Weihnachten für Gestreßte Bearbeitet von Peter Wenzel 1. Auflage 2010. Taschenbuch. 125 S. Paperback ISBN 978 3 458 35338 6 Format (B x L): 10,8 x 17,7 cm Gewicht: 106 g schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

Weihnachten für Gestreßte - ReadingSample€¦ · vor denen, die nachdrngen! In die klgliche Unfreude des Reichtums! In die trostlose innere Einsamkeit der Geselli-gen! Festesahnung

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insel taschenbuch 3638

Weihnachten für Gestreßte

Bearbeitet vonPeter Wenzel

1. Auflage 2010. Taschenbuch. 125 S. PaperbackISBN 978 3 458 35338 6

Format (B x L): 10,8 x 17,7 cmGewicht: 106 g

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

als 8 Millionen Produkte.

Leseprobe

Wenzel, Peter

Weihnachten für Gestreßte

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3638

978-3-458-35338-6

Insel Verlag

Weihnachten bringt alles durcheinander! Alle Jahre wieder: die Feiertage ste-

hen vor der T�r – doch bis es endlich soweit ist, ist nicht nur der Weihnachts-

mann in Nçten . . .

»Wozu Weihnachten?« fragt sich dann so mancher, denn der Zauber dieser

Zeit geht in der Hektik der Vorbereitung h�ufig verloren. Die Groß-Stadt-

Weihnachten haben nicht mehr viel gemein mit den allseits beschworenen

Weißen Weihnachten vergangener Zeiten: die Menschen hetzen vollbepackt

durch die Straßen, aus den Lautsprechern klingt all�berall »Stille Nacht«,

und die Schaufenster vor Weihnachten bersten vor Waren und Dekoration.

Selbst Ein Kind hat Kummer, wenn das Gedr�nge auf dem Weihnachtsmarkt

zum Risiko f�r Weihnachtsm�nner wird. Da wird das Warten aufs Christ-

kind schon mal zur Geduldsprobe f�r die Eltern und nicht nur die Weih-

nachtsgans w�nscht sich, sie w�re zu Weihnachten in einem bayerischen

Dorf geblieben.

Da haben wir Die Bescherung. Es h�tte sehr feierlich sein kçnnen, aber viel-

leicht, mit etwas Gl�ck, bringen uns die Feiertage ja doch noch Das Ge-

schenk der Weisen: ein bißchen Ruhe und Weihnachten (selbst) f�r Ge-

streßte.

insel taschenbuch 3638

Weihnachten f�r Gestreßte

Weihnachtenf�r Gestreßte

Ausgew�hlt von Peter Wenzel

Insel Verlag

Umschlagabbildung: � Daniel Sicolo / Design Pics / Corbis

Diese Ausgabe ist textidentisch mit dem Band Weihnachten f�r Gestreßte (it 3151),

Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2005.

insel taschenbuch 3638

Erste Auflage 2010

Insel Verlag Berlin

� Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2005

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,

des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag nach Entw�rfen von Willy Fleckhaus

Satz: H�mmer GmbH, Waldb�ttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-458-35338-6

1 2 3 4 5 6 – 15 14 13 12 11 10

Inhalt

Wilhelm Schmid, Wozu Weihnachten? . . . . . . . . . 9

Vor Weihnachten

Alfred Polgar,Vor Weihnachten . . . . . . . . . . . . . 13

Kurt Tucholsky, Groß-Stadt-Weihnachten . . . . . . . 17

Hermann Hesse, Schaufenster vor Weihnachten . . . . 19

Gottfried Keller,Weihnachtsmarkt . . . . . . . . . . . . 26

Peter Bichsel, Weiße Weihnachten . . . . . . . . . . . . 28

Georg Kreisler, Weihnachten bringt alles

durcheinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Wilhelm Schmid, Zauber dieser Zeit . . . . . . . . . . 35

Warten aufs Christkind

Hanns-Josef Ortheil, Warten aufs Christkind . . . . . . 39

Erich K�stner, Ein Kind hat Kummer . . . . . . . . . . 45

Elizabeth von Arnim,Weihnachten in einem

bayerischen Dorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Weihnachtsmann in Nçten

Siegfried Lenz, Risiko f�r Weihnachtsm�nner . . . . . . 59

Hans Scheibner, Der Weihnachtsmann in Nçten . . . . 66

Felix Timmermans, Sankt Nikolaus in Not . . . . . . . 70

Die Bescherung

Peter H�rtling, »Es h�tte sehr feierlich sein kçnnen« . . 87

Hanns Dieter H�sch, Die Bescherung . . . . . . . . . . 97

Ephraim Kishon,Vertrauen gegen Vertrauen . . . . . . 101

O’Henry, Das Geschenk der Weisen . . . . . . . . . . . 106

Bernhard Lassahn,Wer war Michelangelo? . . . . . . . 115

Hanns Dieter H�sch, Feiertage . . . . . . . . . . . . . 119

Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Wilhelm Schmid

Wozu Weihnachten?

O Tannenbaum, o Tannenbaum! Wie soll ich mich entschei-

den? Soll ich die Klischees alle mitmachen, duftender Baum,

gl�nzende Kugeln, silbernes Lametta, k�nstliche Lichter?

Oder soll ich mich still in eine »weihnachtsfreie« Ecke ver-

kriechen? F�r moderne Menschen gibt es keine Verpflich-

tung mehr, den Vorgaben f�r Weihnachten zu folgen; es gibt

nur ein Dr�ngen derer, die mit dem Fest ihr Geld zu ver-

dienen hoffen. Aber niemand muss dem nachgeben, Weih-

nachten ist kein Muss, sondern eine Mçglichkeit. Ich muss

w�hlen.

W�hlen? Wer Kinder hat, hat keine Wahl, die wollen das

volle Programm. Und sie haben gute Gr�nde daf�r: Nein,

nicht die Geschenke, nicht in erster Linie. Vielmehr ihr un-

bewusstes Wissen von der Bedeutung einer wiederkehren-

den Zeit, die so ganz anders ist als die vergehende Zeit in

der Welt der Erwachsenen. Was ist Zeit eigentlich? Das weiß

kein Mensch, nur die Erwachsenen glauben, dass sie unent-

wegt vergeht, und unterwerfen sich bedingungslos dem st�n-

digen Stress dieser Zeit. Dabei machen sie doch selbst die

Erfahrung, um wie viel menschenfreundlicher eine wieder-

kehrende Zeit sein kann.

Wozu Weihnachten? Das Wichtigste daran ist seine regel-

m�ßige Wiederkehr. In einer Welt, in der sonst alles verg�ng-

lich und ungewiss erscheint, ist diese Gewissheit trçstlich.

Das gilt unabh�ngig davon, was Weihnachten sonst noch be-

deuten kann: f�r die einen das heilige Fest der Geburt Jesu,

f�r die anderen das weltliche Familienfest mit vielen Ge-

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schenken und rituellem Verspeisen einer knusprigen Gans,

f�r viele beides zugleich, und f�r manche schlicht ein Graus.

F�r alle aber ist es die vertraute Zeit, die zuverl�ssig wieder-

kehrt.

Aus freien St�cken kann ich das Fest nun wieder gelten

lassen und liebevoll pflegen, mit grçßerer Hingabe als bei

einer bloßen Pflichterf�llung, deren Sinn nicht mehr einge-

sehen wird. Jetzt erst handelt es sich um eine bewusste Sinn-

stiftung, die darin besteht, wenigstens f�r ein paar Tage all

das Schçne ins Auge zu fassen, das sonst vernachl�ssigt wird,

endlich auch sich selbst zu çffnen f�r ein »Dar�berhinaus«,

�ber das Gewçhnliche, Begrenzte und Endliche des eigenen

Lebens hinaus, wenigstens im Denken, wenigstens f�r einen

Moment. Dann beginnt der Stress des Alltags wieder – aber

ist nicht eigentlich auch dies ein Element der wiederkehren-

den Zeit? O Tannenbaum, o Tannenbaum . . .

Vor Weihnachten

Alfred Polgar

Vor Weihnachten

Nun kommt bald Weihnachten. Man merkt das schon an Ver-

schiedenem. Auf den Straßen liegen, in Haufen, geschlachtete

Nadelb�ume; getrocknetes Harz-Blut klebt an ihrer Rinde.

Aus den Schaufenstern der Kunsthandlungen verschwin-

den die unz�chtigen Darstellungen, und die »Mitternachts-

mette im Gebirge« erscheint. Zwei zu zwei stapfen Bauern

durch dicken Schnee dem Kirchlein zu, das Gebetbuch in

schwieliger Faust. Der Weg, den sie schon gegangen sind,

tr�gt die Spuren ihrer breiten Stiefelsohlen, aus dem Kir-

chenfenster f�llt buttergelb ein Lichtstreifen �ber den be-

schneiten Pfad. Neben diesem, den Großst�dter so ergrei-

fenden Gem�lde h�ngen mancherlei Spezial-Weihnachten.

Weihnachten des Leuchtturmw�chters. Bahnw�rters Christ-

nacht. Kommerzienrats Tannenb�umchen. Weihnachten des

Eremiten. Auf allen diesen Bildern tritt die Einsamkeits-

komponente stark hervor. Es ist ja auch zur Weihnachtszeit,

in der ein unruhvolles Bed�rfnis nach W�rme und Anleh-

nung die Gef�hle lockert, und der Schmelzpunkt, an dem

sie in den Zustand der Liebe �bergehen, tiefer liegt als selbst

im Mai, es ist ja auch zur Weihnachtszeit besonders bitter,

allein zu sein. Meine arme Freundin Elfriede, l�ngst deckt

Erde ihr zierliches Gebein, hielt auch sehr viel auf weihnacht-

lichen Zusammenschluß und wollte das liebe Zeremoniell

des Festtages nicht missen. Dennoch geschah es am Abend

eines vierundzwanzigsten Dezembers, daß sie keine andere

Gesellschaft hatte als ihre beiden Hunde, die treue Dackel-

h�ndin Grete und den lebhaften Fox Rolph. Sie warteten

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in einem Nebenraum auf Einlaß in das Zimmer, wo das

flimmernde B�umchen stand und der Tisch mit den Ga-

ben, zwei tannenzweiggeschm�ckten Knackw�rsten. Elfrie-

de setzte sich ans Klavier, Rolph und Grete auf die Hinter-

pfoten, und erst nach drei Strophen »Stille Nacht, heilige

Nacht« durften sie zu den W�rsten. Elfriede war aus D�s-

seldorf.

Eine Stimmgabel ist angeschlagen, eine Stimmungsgabel.

Und die große Mehrheit weißer Menschen schraubt ihr Herz

auf die gleiche Tonhçhe.

Die Kinderchen schreiben auf vierzeilig liniertem Papier

Briefe an das Christkind, an das sie nicht mehr glauben,

und beschließen die Schrift mit einem Tintenklecks wie

mit einem Siegel holder Einfalt. Sie hegen die nicht unbe-

gr�ndete Bef�rchtung, »praktische Sachen« geschenkt zu be-

kommen, die man ihnen ohnehin kaufen m�ßte. Einige, von

Neugier geplagt, stecken sich hinter die etwa vorhandene

Hausgehilfin. Ist die Hausgehilfin h�bsch, kann solches Ver-

stecken hinter sie f�r das k�nftige Leben der Kleinen von

großer Bedeutung sein. Sind sie doch im gl�cklichen Alter,

in dem die Grundlagen der Komplexe gelegt werden, der

seelischen Vexierbauten, die dann sp�ter einmal der Analyse

so viel Anregung und Freude bereiten.

Indes also die Kleinchen von der Frage erregt sind: Was

bekomme ich geschenkt?, sinnen die Erwachsenen der Frage

nach: Was schenke ich? Oder eigentlich der Frage: Wo neh-

me ich das Geld her f�r Geschenke? Welch ein Friede w�re

Weihnachten auf Erden und den Menschen ein Wohlgefal-

len, wenn zumindest die Erwachsenen gegenseitig sich das

Schenken schenken wollten! Und einen Pakt schlçssen, daß

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jeder nach seinen Mçglichkeiten sich kaufe, was ihn freue,

und hierf�r die Gesamtheit seiner Freunde – gef�hls-kom-

merziell gesprochen – »erkenne«. Allerdings: Geben ist seli-

ger denn nehmen, sagt die christliche Lehre, dieser grçßte

auf dem Gebiet irdischer Gl�cksspekulation je gewagte Vor-

stoß der Kontermine.

Nun kommt bald Weihnachten, und ein Golfstrom der

Menschenliebe sendet warme Schauer �ber das frierende

Land. Sogar die Presse kann sich dem innigen Gebot die-

ser Tage nicht entziehen. Sie r�stet die »Weihnachtsbeilage«,

das Weihnachts-Beilager f�r Literatur und Wissenschaft.

In der Redaktion duftet es, zumindest metaphorisch, nach

Fichtennadeln, �pfeln, Wachskerzen und leuchtenden Kin-

deraugen, deren in diesen Tagen eine große Menge f�r die

journalistische Arbeit verbraucht wird. Auch blasse, ver-

h�rmte Wangen sind in der kapitalistischen Presse zur Weih-

nachtszeit lebhaft gefragt. Am Luster aber h�ngt stumpf-

gr�n das Gewirr der Mistelzweige, und wer unter ihnen

den Chefredakteur trifft, darf ihn k�ssen.

Weihnachten ist das Fest der �berraschungen. Verloren

geglaubte Sçhne w�hlen gern den Weihnachtsabend, um

plçtzlich einzutreten, und ebenso richten es die Mitglieder

des Vereins »Enoch Arden«, die verloren geglaubten Ehe-

m�nner, womçglich so ein, daß sie am heiligen Abend ihre

Frauen �berraschen, wobei auch sie ihre �berraschungen

erleben.

�bel dran zu Weihnachten sind die Menschenfeinde. An

den D�mmen, die ihr Haß aufgerichtet hat, bricht sich das

Meer von Liebe, das in diesen Tagen alle K�sten besp�lt,

wo Christenmenschen und ihnen Assimilierte wohnen. D�-

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ster sitzen sie da in ihrer d�steren Isoliertheit und giften

sich. Sind nicht auch sie unsere Br�der? Wie verhilft man

ihnen zu einem relativ gem�tlichen Weihnachtsabend? Tun

wir was f�r sie! Menschenfeinden Freude zu machen, kann

doch nicht schwer sein. Lassen wir sie hineinblicken in

die Not der Gl�cklichen! In den Krieg des h�uslichen Frie-

dens! In die Langeweile der guten Ehe! In die Ehrgeizqual

der Begabten! In die marternde Furcht der Angekommenen

vor denen, die nachdr�ngen! In die kl�gliche Unfreude des

Reichtums! In die trostlose innere Einsamkeit der Geselli-

gen!

Festesahnung �berall. Auch die Stimme der Natur, der

treue Grundbaß zu all unseren Melodien, hat bereits ein

unverkennbar weihnachtliches Timbre. Die Luft weht d�m-

mergrau, als wolle sie helfen, die Geheimnisse, die alle Gu-

ten jetzt voreinander haben, zu verschleiern. Schnee ist auf

die nahen Berge gefallen und bleibt dort in strahlender

Reine liegen, aus Pferdem�ulern dampft es wolkig, Weih-

rauch dem Winter, zwischen gefrorenen Ackerschollen beut

das muntere H�schen sein Fell dem Rohr, und mit frohem

Geschnatter k�ndet es die Gans, wie �ppig schon ihre Le-

ber den hohen Feiertagen entgegenschwillt.

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Kurt Tucholsky

Groß-Stadt-Weihnachten

Nun senkt sich wieder auf die heim’schen Fluren

die Weihenacht! die Weihenacht!

Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,

wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.

Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?

Die Braut kramt sch�mig in dem Portemonnaie.

Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,

den Aschenbecher aus Emalch glas�.

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen

auf einen stillen heiligen Grammophon.

Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen

den Schlips, die Puppe und das Lexikohn.

Und sitzt der wackre B�rger bei den Seinen,

voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,

dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:

»Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!«

Und frohgelaunt spricht er vom ›Weihnachtswetter‹,

mag es nun regnen oder mag es schnein.

Jovial und schmauchend liest er seine Morgenbl�tter,

die tr�chtig sind von s�ßen Plauderein.

17

So trifft denn nur auf eitel Gl�ck hienieden

in dieser Residenz Christkindleins Flug?

Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden . . .

»Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.«

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Hermann Hesse

Schaufenster vor Weihnachten

Weihnachten ist eine Angelegenheit, von der ich eigentlich

nicht gerne spreche. Einerseits weckt das schçne Wort so

tiefe, heilige Erinnerungen aus dem Sagenbrunnen der Kind-

heit, f limmert so magisch im Schein jener blonden Lebens-

morgenfr�he und ist so durchstrahlt von unzerstçrbar hei-

ligen Symbolen: Krippe, Stern, Heilandkind, Anbetung der

Hirten und Kçnige und Weise aus dem Morgenland! Und

anderseits ist »Weihnacht« ein Inbegriff, ein Giftmagazin

aller b�rgerlichen Sentimentalit�ten und Verlogenheiten,

Anlaß wilder Orgien f�r Industrie und Handel, großer Glanz-

artikel der Warenh�user, riecht nach lackiertem Blech, nach

Tannennadeln und Grammophon, nach �berm�deten, heim-

lich fluchenden Austr�gern und Postboten, nach verlege-

ner Feierlichkeit in B�rgerzimmern unterm aufgeputzten

Baum, nach Zeitungsextrabeilagen und Annoncenbetrieb,

kurz, nach tausend Dingen, die mir alle bitter verhaßt und

zuwider sind, und die mir alle viel gleichg�ltiger und l�cher-

licher vork�men, wenn sie nicht den Namen des Heilands

und die Erinnerungen unserer zartesten Jahre so furchtbar

mißbrauchten.

Nun, sprechen wir also nicht von Weihnachten – es k�-

men dabei ja doch lauter Verlegenheiten heraus, zum Bei-

spiel, daß ich noch immer keine Ahnung habe, was ich

meiner Freundin schenken soll, und ob zwanzig Mark f�r

die Kçchin richtig ist –, ach und wenn ich doch den Freund

S. daran hindern kçnnte, mir wieder ein so kostbares und

dabei so j�mmerlich unn�tzes Geschenk zu machen wie im

19

letzten Jahr! Oder, falls es sich nicht ganz vermeiden l�ßt,

an die Weihnacht zu denken, so laßt mich an jene wirkliche

und echte Weihnachtsvorfreude denken, die ich auch heute

noch, als entt�uschter und einsamer Mensch, zu empfin-

den vermag: an die Freude beim Herstellen jener Weih-

nachtsgeschenke, die ich auch heute noch, wie einst in den

Knabenzeiten, f�r einige meiner Freunde mit eigener Hand

herzustellen gewohnt bin, kleine Hefte mit neuen, handge-

schriebenen Gedichten; Bl�tter mit Landschaftsaquarellen

und dergleichen Dinge.

Nun, trotz allen widerstreitenden und beklemmten Ge-

f�hlen muß ich sagen: an manchen Abenden im Dezember,

wenn es nach tr�bem, verschleiertem Nachmittag in den Ge-

sch�ftsstraßen aufzuflammen beginnt, wenn alle die farbi-

gen und grellen Schimmer aus den Schaufenstern auf den

feuchten oder beschneiten Asphalt herausfallen und die Stra-

ße etwas festlich Belebtes bekommt, dann macht dieser ver-

logene, heftige Weihnachtsbetrieb mit seiner lichten Außen-

seite mir doch einigen Spaß, und ich kann dann eine Stunde

lang gerade in jenem Stadtteil bummeln, den ich sonst ver-

meide, und kann eine Stunde lang verloren und gefesselt

an den strahlenden L�den hinstreichen, ins Schauen verlo-

ren. Es tr�umt mir dann, ich sei ein Kalifensohn aus Bagdad

und sei nach langer, abenteuerlicher Reise, aus Todesgefahr

und bitterer Gefangenschaft entronnen, in eine leuchtende

Stadt des fernen Ostens gelangt, und mische mich entz�ckt

und neugierig in das Gew�hl um die Basare der H�ndler.

Nachdenken vertr�gt sich schlecht mit dieser Stimmung,

und das Schçne an dieser abendlichen Bummelstunde ist ge-

rade das Erlçstsein vom Denkenm�ssen. Aber wenn ich da-

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