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Nr. 44/2010 31 ein, ich kann Ihnen nicht sagen, wann die Kanalisation in der Lau- fenburger Altstadt gebaut wur- de», meinte Herbert Schmid vom Laufen- burger Ingenieurbüro Koch & Partner auf meine Frage, «doch es wird wohl schon einige Hundert Jahre her sein.» Vor eini- gen Jahren hatte mich das Schwarz- Weiss-Bild eines begehbaren Stollens fas- ziniert, der damals unter der Altstadt für die Kanalisation erstellt wurde. Und seit- dem ich wusste, dass der Ort ausserdem noch über eine zum Teil begehbare mittelalterliche Kanalisation verfügt, wollte ich diese Bauwerke besuchen. «Was wird man wohl dort unten sehen? Erfährt man, wie die im Mittelalter er- stellte Kanalisation funktioniert und wie In mittelalterlichen Städten war die Beseitigung der Fäkalien ein Problem. Erst mit der Zeit wurden die übel riechenden Gräben abgedeckt, und die ersten Kanalisationen entstanden. Im aargauischen Laufenburg wird – neben modernen Leitungen – die mittelalterliche Kanalisation nach wie vor benutzt. Ein Besuch an einem etwas speziellen Ort. von Martin Binkert Verborgene Welten Die Redaktion blickt hinter die Kulissen Wenn Abwasser durch den Stollen rauscht N Martin Binkert interessiert die Kanalisation. Dafür steigt er in Laufenburg unter den Boden. Foto: Jörg Leimgruber Foto: Martin Binkert

Wenn Abwasser durch den Stollen rauscht

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In mittelalterlichen Städten war die Beseitigung der Fäkalien ein Problem. Erst mit der Zeit wurden die übel riechenden Gräben durch Kanalisationen ersetzt. Im aargauischen Laufenburg wird die mittelalterliche Kanalisation nach wie vor benutzt.

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ein, ich kann Ihnen nicht sagen,wanndieKanalisation in der Lau-fenburger Altstadt gebaut wur-

de»,meinteHerbert SchmidvomLaufen-burger IngenieurbüroKoch&Partner aufmeine Frage, «doch es wird wohl schoneinige Hundert Jahre her sein.» Vor eini-gen Jahren hatte mich das Schwarz-Weiss-Bild eines begehbarenStollens fas-

ziniert, der damals unter der Altstadt fürdie Kanalisation erstellt wurde. Und seit-dem ich wusste, dass der Ort ausserdemnoch über eine zum Teil begehbaremittelalterliche Kanalisation verfügt,wollte ich diese Bauwerke besuchen.«Waswirdmanwohl dort unten sehen?

Erfährt man, wie die im Mittelalter er-stellte Kanalisation funktioniert undwie

In mittelalterlichen Städten war die Beseitigung der Fäkalien ein Problem.Erst mit der Zeit wurden die übel riechenden Gräben abgedeckt, und dieersten Kanalisationen entstanden. Im aargauischen Laufenburg wird –neben modernen Leitungen – die mittelalterliche Kanalisation nach wie vorbenutzt. Ein Besuch an einem etwas speziellen Ort. vonMartin Binkert

VerborgeneWelten

Die Redaktion blickthinter die Kulissen

Wenn Abwasserdurch den Stollen rauscht

NMartin Binkert interessiert die Kanalisation.Dafür steigt er in Laufenburg unterden Boden.

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die Zuleitungen der Häuser in den Sam-melkanal münden? Gibt es Ratten undUngeziefer?», ging es mir durch denKopf. Auf unangenehmeGerüchemach-te ich mich auf jeden Fall gefasst.

Stollen im harten GranitAm Mittwoch, 20. Oktober, ist es so

weit. Es ist noch recht dunkel, als JörgLeimgruber um 7.45 Uhr den Schachtbeim Rheintörli öffnet. Der Deckel gibteineMetalltreppe frei, die in den Stollen

führt. In dem über 2,27 Meter hohenSchacht ist es trocken, die Stiefel und diewasserabweisende Kleidung erweisensich als überflüssig. «Manchmal treffenwir hier auf Dunst, der sich aufgrund derWärme bildet, doch heute ist die Sichtklar», sagt der Mitarbeiter des Werk-hofes. Am Boden des Stollens verläufteine Kunststoffleitung. In unregelmäs-sigen Abständen zischt und rauscht es.«Sie sind zu einer guten Zeit gekom-men», sagt der Arbeiter, «denn nunwer-den WCs gespült, Wasser läuft in denDuschen, und in den Küchen wird Ge-schirr abgewaschen.»Im Stollen unter dem Boden bewegen

wir uns langsam unter dem alten Zoll-amt hindurch bis zum Parkplatz des«Roten Löwen», wo früher ganz in derNähe das Bärentor der mittelalterlichenStadt stand. Im ganzen Schacht gibt eskeinen geraden Laufmeter. Denn ent-sprechend der Linie der oberirdischenGassen verläuft der Gang gekrümmt,was für die Bauleute eine spezielle He-rausforderung bedeutete. Auf unseremWeg zweigt eine Kunststoffleitung nachder anderen ab. «Diese Rohre führen zuden Anschlüssen der Altstadthäuser.Alle Häuser mussten von unten er-schlossen werden, was sehr aufwändigwar», so Leimgruber.

Nach etwa einem Drittel der 250 Meterlangen Strecke kommt der Stadtarbeiterrichtig ins Schwärmen: «Sehen Sie hierdiese Muster im Felsen? Ich nenne dieseStelle ‹Zebra›.» Verschiedene, farbigeStreifenzierendieWand,breite Farbstras-sen kreuzen schmale und aus schmalenBändernwerden breite. Grau- undWeiss-töne herrschen vor, doch auch brauneStreifenmäandern imGestein.Nebendergrau-weiss gestreiften «Zebra»-Stelle gibtes noch so manche, die mit einem origi-nellen Namen getauft werden könnte.

«Freiluftstühle»1980 schnitt eine Tunnelfräsmaschine

in 46 Tagen diesen Stollen aus dem Gra-nit. An den 250 Meter langen Vorzeige-bau wurden die Abwasserleitungen derangrenzenden Häuser angeschlossen.Schon vorher war das Abwasser in Lei-tungen gefasst und in die Kläranlagenach Kaisten geführt worden.Doch vor 1910 sah dies noch ganz an-

ders aus: Die an den Rhein grenzendenHäuser hängten auf der Flussseite anihreAussenmauer einenAnbau, und fer-tig war das Plumpsklo. Im freien Fallwurde alles dem Fluss übergeben, wasdurch diese Öffnung ging. Dass sich nuretwas weiter unten die öffentliche Bad-stube befand, schien die Bewohner nicht

zu stören. Mit der Sprengung des un-mittelbar angrenzenden «Laufen», derStromschnelle des Rheins, verschwan-denmit demKraftwerkbau von 1910 bis1914 diese «Freiluftstühle».Doch wie sehen die mittelalterlichen

Abwasserleitungen aus? Jörg Leimgruberöffnetmit demPickel den Schachtdeckelbeim Rösslibrunnen an der Marktgas-se. Sofort strömt ein für die Kanalisati-on typischer Geruch heraus. Man siehtdie steinerne Sohle des Schachtes so-wie die gemauerten Wände. Links undrechts münden Leitungen in den Sam-melkanal. Offen gesagt hatte ichmir denbegehbarenKanal höher vorgestellt undbin gerade ein bisschen enttäuscht, denndafür hatte ich mich extra vorbereitet.Doch der Kanal ist nur 1,20 bis 1,40Me-ter hoch, man könnte ihm gebückt nurauf einigen Metern folgen. Dies unter-bleibt, da man noch eine Leiter beschaf-fen und den Strassenverkehr sperrenmüsste. Doch wahrscheinlich ist diesauch gut so. Später hebt der Stadtarbei-ter beim Wasenbrunnen einen weite-ren Schachtdeckel. Hier sieht man sehrgut, wie die Sohle der mittelalterlichenKanalisation mit kleinen, flachen Stei-nen gebaut wurde.

Ratten als KanalpolizeiNatürlich gibt es Ratten. «Ratten sind

unsere Kanalpolizei, denn sie räumenvieles weg, was die Menschen überflüs-sigerweise dasWChinunterspülen.» Da-mit meint Jörg Leimgruber in erste LinieEsswaren. Doch auch Hygieneartikelaller Art finden den Weg in den Unter-grundundmüssen spätestens inderKlär-anlage herausgefischt werden. Als ganzschlimm erweisen sich Wattestäbchen,denn diese können Maschinen verstop-

fen. «Wir finden einfach alles,was durcheine WC-Öffnung passt», meint späterbeim Znüni ein anderer Mitarbeiter.Alle Jahre wird für die Reinigung der

Kanalisation eine spezialisierte Firmaaufgeboten. Dabeiwird eine bedeutendeMenge an Schmutz herausgezogen. Inder Altstadt kommen auch kleinere undgrössere Steine dazu, die sich aus demmittelalterlichen Bauwerk gelöst haben.Die Tage der mittelalterlichen Kanali-

sation sind gezählt, denn die Leitungensollen ab 2011 sukzessive ersetzt wer-den. «Zwar ist dies bedauerlich, dochdieseKanalisation entspricht nichtmehrden Bestimmungen des Gewässerschut-zes», sagt Guido Zimmermann, Bauver-walter von Laufenburg. ■

Ehgräben als Vorläufer

Die mittelalterliche Kanalisationbasiert auf den Ehgräben. Dieseoffenen, mit Stroh ausgelegtenGräben verliefen zwischen denHäusern. In sie ergossen sichdas Dachwasser und die Abtritteder Häuser. Die Bewohner war-fen ihren Abfall hinein. All die-ser Unrat landete im Rhein. Inden grösseren Strassen hat manspäter die Gräben mit Mauernund Deckel versehen. Die Ehgrä-ben dienten auch der Feuer-wehr als Zugang bei einer Brand-bekämpfung.Laut einem älteren Dokumentsoll es in Laufenburg zeitweiseso stark gestunken haben, dassBesucher aus Aarau es sich nichtvorstellen konnten, wie man beidiesem Gestank leben kann.Was bedeutet die Silbe «Eh»?Diese mittelalterliche Wortwur-zel im Begriff «Ehgraben» sollfür «Gesetz» und «Ordnung»stehen. Heute wurden aus denfrüheren Gräben kleine Paradie-se mit Stühlen, Tischen, Blumenund Topfpalmen.

Der Granit gibt schöne Muster frei.

Stadtarbeiter Jörg Leimgruber führt durch den Stollen.

Im Mittelalter nahm ein offener Ehgraben den Abfall der Häuser auf (links).Heute noch wird die begehbare, mittelalterliche Kanalisation benützt.

Martin Binkert schaut sich bei einemfrüheren Ehgraben um.

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Dieser Artikel ist in den Zeitschriften «Leben & Glauben» und «Sonntag», Heft 44/2010, erschienen. © CAT Medien AG 2010, alle Rechte vorbehalten.