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deln kann, wird dabei nicht weiter ausgeführt. Ebenso überrascht, dass der VGH das Erteilen einer Heilprakti- kererlaubnis auch mit der Begründung ablehnt, dass deren Aufsplitterung zu einer dem Heilpraktikergesetz diamet- ral entgegenstehenden (!) „sektoralen Kurierfreiheit“ füh- re – die von ihm mit dieser Entscheidung eröffnete und konsequenter Weise sicherlich auf andere Fachberufe im Gesundheitswesen zu erstreckende sektorale Kurierfrei- heit aber offenbar nicht sieht. Im Gegensatz zu diesen, ein Heilkundeausüben durch Physiotherapeuten ermöglichenden Urteilen haben das VG Gelsenkirchen 7 und das VG München 8 in ihren Entschei- dungen darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber die Tätig- keitsbereiche der Heilberufe einerseits und der Heilhilfsbe- rufe andererseits voneinander abgegrenzt habe, und davon ausgehend die Erteilbarkeit einer beschränkten Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz verneint. Es dürfe nicht au- ßer Acht gelassen werden, welche Auswirkungen die un- übersehbare Möglichkeit von (Teil-)Erlaubnissen und ent- sprechenden Bezeichnungen für die Schutzwürdigkeit von Patienten habe. Im Übrigen hält das VG Gelsenkirchen die Überprüfung nach dem Heilpraktikergesetz für erforder- lich, weil die Ausbildung zum Physiotherapeuten lediglich zum Ausüben eines Heilhilfsberufes und nicht zum selbst- ständigen Ausüben der Heilkunde qualifiziere. Es müsse mindestens geprüft werden, ob der Physiotherapeut ohne ärztliche Verordnung die Indikation für eine physiothera- peutische Behandlung feststellen und dadurch nicht behan- delbare Beschwerden oder gar eine Kontraindikation aus- schließen kann. Letzterem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Weder das OVG Rheinland-Pfalz noch eines der ihm folgenden Ur- teile setzt sich vertieft mit der Frage auseinander, ob ein Mehr an Kenntnissen des Physiotherapeuten in seinem Tä- tigkeitsbereich im Vergleich zu den Kenntnissen eines Heil- praktikers für ein selbstständiges Ausüben der Heilkunde genügt. Aus den Entscheidungsgründen wird in keinem Fall deutlich, ob die beigezogenen Sachverständigen dem Physiotherapeuten eine in Bezug auf Diagnostik und Dif- ferentialdiagnostik ärztlichen Kenntnissen und Fähigkei- ten vergleichbare Kompetenz attestiert haben. Diesbezüg- liche Feststellungen wären aber erforderlich, weil die Hilfe suchende Bevölkerung von einem in einem Teilgebiet der Medizin besonders ausgebildeten und zur selbstständigen Behandlung befugten Physiotherapeuten zu Recht mehr erwarten wird als von einem Heilpraktiker, für den es kei- ne staatlich geregelte Ausbildung gibt und der eine Über- prüfung lediglich unter Gefahrenabwehrgesichtspunkten bestanden haben muss. Insoweit wäre zu wünschen, dass das BVerwG in seiner anstehenden Entscheidung diesbe- zügliche Feststellungen zumindest nachholt bzw. es dem Gesetzgeber überlässt zu regeln, ob, wer und unter wel- chen Voraussetzungen über den derzeit zum Heilkun- deausüben befugten Personenkreis hinaus die Heilkunde am Menschen ausüben können soll. Der Gesetzgeber selbst ist mit diesbezüglichen Öffnungen bis in die jüngste Ver- gangenheit mit gutem Grund sehr vorsichtig umgegangen. So hat er mit dem Psychotherapeutengesetz zwar den Di- rektzugang zu Psychotherapeuten auch für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet, dabei jedoch in § 28 Abs. 3 S. 2 SGB V vorgeschrieben, dass spätestens nach den probatorischen Sitzungen eine konsiliarärztli- che Abklärung somatischer Erkrankungen erfolgen muss. Und in dem durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in § 63 SGB V neu eingefügten Abs. 3b hat er Physio- therapeuten ausdrücklich nicht das selbstständige Ausüben der Heilkunde eröffnet, anderen Berufsgruppen dagegen nach Abs. 3c nur im Rahmen von Richtlinien des Ge- meinsamen Bundesausschusses. Insofern kann es nicht die Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Kreis der zum selbstständigen Heilkundeausüben Berechtigten zu erwei- tern, beschränkt zwar auf Behandlungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, dort aber ohne weitere Einschränkungen. DOI: 10.1007/s00350-009-2508-5 Wichtiger Grund beim Rücktritt im medizinischen Prüfungsrecht – Abgrenzung von Erkrankung und Dauerleiden – Prüfungsangst kein Rücktrittsgrund ÄAppO § 18 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; VwGO § 86 1. Eine zum Prüfungsrücktritt berechtigende Prü- fungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt grundsätzlich weder bei Prüfungsangst vor noch bei „Dauerleiden“, deren Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet wer- den kann. 2. Leistungsminderungen durch Prüfungsstress oder Examensangst gehören als Belastungen zum typischen, grundsätzlich jeden Kandidaten treffenden Prüfungs- geschehen. Anderes gilt erst, wenn die psychische Be- lastung über „allgemeine Examenspsychosen“ hinaus- geht und „Krankheitswert“ erreicht. (Leitsatz 2 vom Bearbeiter) VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 2. 4. 2009 – 9 S 502/09 (VG Karlsruhe) Problemstellung: Tritt ein Prüfling von einer (medizinischen) Prüfung zurück, so obliegt es der Be- urteilung der Prüfungsbehörde und im Streitfall der des Gerichts, ob eine vom Prüfling geltend gemachte und ihm (im vorliegenden Fall allerdings nichts amtsärztlich) attestierte Prüfungsunfähigkeit im medizinischen Sinne zu seiner Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne geführt hat. Nur dann ist diese als wichtiger Grund für einen Rücktritt von der Prüfung anzuerkennen und verpflich- tet die Prüfungsbehörde nur in diesem Fall zur Geneh- migung des Rücktritts. Prüfungsstress und Examensängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Prüfling je nach Konstitution mehr oder weniger ausgesetzt ist, gehören im Allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings, es sei denn, dass sie den Grad einer Erkrankung erreichen (Zimmerling/ Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rdnrn. 464 ff., insbes. 466 m. w.N; zur Prüfungsunfähigkeit und Ex- amenspsychose neben den vom VGH zitierten Ent- scheidungen auch BVerwG, Urt. v. 6. 7. 1979 – 7 C 26.76 –; OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 16. 2. 2004 – 14 A 3057/03 –, NVwZ-RR 2004, 497; OVG Nordrh.- Westf., Urt. v. 3. 11. 2005 – 14 A 3101/03 –, MedR 2007, 51). Die Gerichte sind gerade mit nachträglichen Prü- fungsrücktritten sehr streng und stellen hohe Anfor- derungen an die Unverzüglichkeit eines Rücktritts (vgl. Zimmerling/Brehm, a. a. O., Rdnrn. 516 ff.; kritisch zur h. M. Rdnrn. 523 ff.; zuletzt BVerwG, Beschl. v. 14. 7. 2004 – 6 B 30.04 –, www.bundesverwaltungsge- richt.de; sowie Beschl. v. 12. 3. 2004 – 6 B 2.04 –, nicht veröffentlicht). Sofern die Verwaltungsgerichte dieses Tatbestandsmerkmal des § 18 Abs. 1 äAppO bejahen, folgen sie dann zumeist der Auffassung des Prüfungs- Eingesandt von VorsRiVGH Reinhard Schwan, Mannheim, Deutschland; bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. iur. Robert G. Brehm, Steinmetzstraße 9, 65931 Frankfurt a. M., Deutschland Rechtsprechung 616 MedR (2009) 27: 616−617 7) VG Gelsenkirchen, Urt. v. 22. 8. 2007 – 7 K 2003/05 –. 8) VG München, Urt. v. 17. 6. 2008 – M 16 K 07.5751 –.

Wichtiger Grund beim Rücktritt im medizinischen Prüfungsrecht – Abgrenzung von Erkrankung und Dauerleiden – Prüfungsangst kein Rücktrittsgrund

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deln kann, wird dabei nicht weiter ausgeführt. ebenso überrascht, dass der VGH das erteilen einer Heilprakti-kererlaubnis auch mit der Begründung ablehnt, dass deren Aufsplitterung zu einer dem Heilpraktikergesetz diamet-ral entgegenstehenden (!) „sektoralen Kurierfreiheit“ füh-re – die von ihm mit dieser entscheidung eröffnete und konsequenter Weise sicherlich auf andere fachberufe im Gesundheitswesen zu erstreckende sektorale Kurierfrei-heit aber offenbar nicht sieht.

Im Gegensatz zu diesen, ein Heilkundeausüben durch Physiotherapeuten ermöglichenden urteilen haben das VG Gelsenkirchen 7 und das VG München 8 in ihren entschei-dungen darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber die tätig-keitsbereiche der Heilberufe einerseits und der Heilhilfsbe-rufe andererseits voneinander abgegrenzt habe, und davon ausgehend die erteilbarkeit einer beschränkten erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz verneint. es dürfe nicht au-ßer Acht gelassen werden, welche Auswirkungen die un-übersehbare Möglichkeit von (teil-)erlaubnissen und ent-sprechenden Bezeichnungen für die schutzwürdigkeit von Patienten habe. Im Übrigen hält das VG Gelsenkirchen die Überprüfung nach dem Heilpraktikergesetz für erforder-lich, weil die Ausbildung zum Physiotherapeuten lediglich zum Ausüben eines Heilhilfsberufes und nicht zum selbst-ständigen Ausüben der Heilkunde qualifiziere. es müsse mindestens geprüft werden, ob der Physiotherapeut ohne ärztliche Verordnung die Indikation für eine physiothera-peutische Behandlung feststellen und dadurch nicht behan-delbare Beschwerden oder gar eine Kontraindikation aus-schließen kann.

Letzterem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Weder das OVG Rheinland-Pfalz noch eines der ihm folgenden ur-teile setzt sich vertieft mit der frage auseinander, ob ein Mehr an Kenntnissen des Physiotherapeuten in seinem tä-tigkeitsbereich im Vergleich zu den Kenntnissen eines Heil-praktikers für ein selbstständiges Ausüben der Heilkunde genügt. Aus den entscheidungsgründen wird in keinem fall deutlich, ob die beigezogenen sachverständigen dem Physiotherapeuten eine in Bezug auf Diagnostik und Dif-ferentialdiagnostik ärztlichen Kenntnissen und fähigkei-ten vergleichbare Kompetenz attestiert haben. Diesbezüg-liche feststellungen wären aber erforderlich, weil die Hilfe suchende Bevölkerung von einem in einem teilgebiet der Medizin besonders ausgebildeten und zur selbstständigen Behandlung befugten Physiotherapeuten zu Recht mehr erwarten wird als von einem Heilpraktiker, für den es kei-ne staatlich geregelte Ausbildung gibt und der eine Über-prüfung lediglich unter Gefahrenabwehrgesichtspunkten bestanden haben muss. Insoweit wäre zu wünschen, dass das BVerwG in seiner anstehenden entscheidung diesbe-zügliche feststellungen zumindest nachholt bzw. es dem Gesetzgeber überlässt zu regeln, ob, wer und unter wel-chen Voraussetzungen über den derzeit zum Heilkun-deausüben befugten Personenkreis hinaus die Heilkunde am Menschen ausüben können soll. Der Gesetzgeber selbst ist mit diesbezüglichen Öffnungen bis in die jüngste Ver-gangenheit mit gutem Grund sehr vorsichtig umgegangen. so hat er mit dem Psychotherapeutengesetz zwar den Di-rektzugang zu Psychotherapeuten auch für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet, dabei jedoch in § 28 Abs. 3 s. 2 sGB V vorgeschrieben, dass spätestens nach den probatorischen sitzungen eine konsiliarärztli-che Abklärung somatischer erkrankungen erfolgen muss. und in dem durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in § 63 sGB V neu eingefügten Abs. 3b hat er Physio-therapeuten ausdrücklich nicht das selbstständige Ausüben der Heilkunde eröffnet, anderen Berufsgruppen dagegen nach Abs. 3c nur im Rahmen von Richtlinien des Ge-meinsamen Bundesausschusses. Insofern kann es nicht die Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Kreis der zum selbstständigen Heilkundeausüben Berechtigten zu erwei-

tern, beschränkt zwar auf Behandlungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, dort aber ohne weitere einschränkungen.

DOI: 10.1007/s00350-009-2508-5

Wichtiger Grund beim Rücktritt im medizinischen Prüfungsrecht – Abgrenzung von Erkrankung und Dauerleiden – Prüfungsangst kein Rücktrittsgrund

ÄAppO § 18 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; VwGO § 86

1. Eine zum Prüfungsrücktritt berechtigende Prü-fungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt grundsätzlich weder bei Prüfungsangst vor noch bei „Dauerleiden“, deren Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet wer-den kann.

2. Leistungsminderungen durch Prüfungsstress oder Examensangst gehören als Belastungen zum typischen, grundsätzlich jeden Kandidaten treffenden Prüfungs-geschehen. Anderes gilt erst, wenn die psychische Be-lastung über „allgemeine Examenspsychosen“ hinaus-geht und „Krankheitswert“ erreicht. (Leitsatz 2 vom Bearbeiter)VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 2. 4. 2009 – 9 S 502/09 (VG Karlsruhe)

Problemstellung: tritt ein Prüfling von einer (medizinischen) Prüfung zurück, so obliegt es der Be-urteilung der Prüfungsbehörde und im streitfall der des Gerichts, ob eine vom Prüfling geltend gemachte und ihm (im vorliegenden fall allerdings nichts amtsärztlich) attestierte Prüfungsunfähigkeit im medizinischen sinne zu seiner Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne geführt hat. Nur dann ist diese als wichtiger Grund für einen Rücktritt von der Prüfung anzuerkennen und verpflich-tet die Prüfungsbehörde nur in diesem fall zur Geneh-migung des Rücktritts.

Prüfungsstress und examensängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Prüfling je nach Konstitution mehr oder weniger ausgesetzt ist, gehören im Allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings, es sei denn, dass sie den Grad einer erkrankung erreichen (Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rdnrn. 464 ff., insbes. 466 m. w.N; zur Prüfungsunfähigkeit und ex-amenspsychose neben den vom VGH zitierten ent-scheidungen auch BVerwG, urt. v. 6. 7. 1979 – 7 C 26.76 –; OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 16. 2. 2004 – 14 A 3057/03 –, NVwz-RR 2004, 497; OVG Nordrh.-Westf., urt. v. 3. 11. 2005 – 14 A 3101/03 –, MedR 2007, 51).

Die Gerichte sind gerade mit nachträglichen Prü-fungsrücktritten sehr streng und stellen hohe Anfor-derungen an die unverzüglichkeit eines Rücktritts (vgl. Zimmerling/Brehm, a. a. O., Rdnrn. 516 ff.; kritisch zur h. M. Rdnrn. 523 ff.; zuletzt BVerwG, Beschl. v. 14. 7. 2004 – 6 B 30.04 –, www.bundesverwaltungsge-richt.de; sowie Beschl. v. 12. 3. 2004 – 6 B 2.04 –, nicht veröffentlicht). sofern die Verwaltungsgerichte dieses tatbestandsmerkmal des § 18 Abs. 1 äAppO bejahen, folgen sie dann zumeist der Auffassung des Prüfungs-

eingesandt von VorsRiVGH Reinhard schwan, Mannheim, Deutschland; bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. iur. Robert G. Brehm, steinmetzstraße 9, 65931 frankfurt a. M., Deutschland

Rechtsprechung616 MedR (2009) 27: 616−617

7) VG Gelsenkirchen, urt. v. 22. 8. 2007 – 7 K 2003/05 –.8) VG München, urt. v. 17. 6. 2008 – M 16 K 07.5751 –.

amtes, dass ein wichtiger Grund für den Rücktritt nicht dargelegt bzw. glaubhaft gemacht worden sei.

ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Vor-trag des Prüflings im Laufe des Verfahrens geändert hat, was Gerichte besonders aufmerksam – und auch miß-trauisch – macht: Während in den vom Prüfling im Rahmen des Antrags auf Genehmigung des Rücktritts eingereichten ärztlichen Bescheinigungen „maßgeblich auf die bestehende Prüfungsangst abgestellt wurde“, richtete sich der Vortrag im Beschwerdeverfahren auf „depressive symptome mit Krankheitswert“. Damit war der Weg für das Beschwerdegericht frei, die Beschwer-de mit der Begründung „Dauerleiden“ zurückzuweisen (zum Dauerleiden ausführlich Zimmerling/Brehm, a. a. O., Rdnrn. 466, 468, 479 m. w. N.).

Zum Sachverhalt: Die Ast. begehrte die erneute zulassung zu einer Wiederholungsprüfung im Ausbildungsbereich Wirtschaft an einer Berufsakademie, nachdem sie bereits zu mehreren Wiederho-lungsprüfungen aus medizinischen Gründen nicht erschienen war. Gegen die Ablehnung dieses Antrags beantragte sie eilrechtsschutz, zudem PKH. Beides wurde vom VG abgelehnt; hiergegen legte die Ast. Beschwerde ein.

Aus den Gründen: I. Die zulässige Beschwerde der Ast. ist nicht begründet. zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das VG entschieden, dass die behauptete Prüfungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht worden ist und ein Anordnungsanspruch für die begehrte vorläufige zulassung zur Wiederholungsprüfung daher nicht ange-nommen werden kann. Die dem Beschwerdegericht oblie-gende Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Grün-de ergibt keine andere Beurteilung (vgl. § 146 Abs. 4 s. 6 VwGO).

1. Die Ast. ist zu den vier im september 2008 angesetzten Wiederholungsprüfungen nicht erschienen. Die begehrte erneute zulassung zur Wiederholungsprüfung setzt da-mit voraus, dass die versäumten Prüfungstermine als nicht unternommen bewertet werden können […]. Der geltend gemachte Anspruch kann daher nur dann vorliegen, wenn der in § 9 Abs. 1 s. 3 APrO BA Wirtschaft für einen Rück-tritt vorausgesetzte wichtige Grund unverzüglich glaubhaft gemacht worden ist.

Die von der Ast. geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Rücktritts-grund zu begründen; demgemäß nimmt auch § 9 Abs. 1 s. 4 APrO BA Wirtschaft auf krankheitsbedingte Ver-säumnisse Bezug. Denn gesundheitliche Beeinträchtigun-gen, die eine erhebliche Verminderung der Leistungsfä-higkeit während der Prüfung bewirken, würden zu einem Prüfungsergebnis führen, das nicht die durch die Prüfung festzustellende wirkliche Befähigung des Kandidaten wie-dergäbe. um die hierin liegende Beeinträchtigung der Chancengleichheit des Prüflings zu verhindern, ist deshalb anerkannt, dass ein durch erkrankung prüfungsunfähiger Kandidat die Möglichkeit besitzt, von der Prüfung zu-rückzutreten und diese ohne Anrechnung auf bestehende Wiederholungsmöglichkeiten neu zu beginnen (vgl. etwa Niehues, schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2004, Rdnr. 115).

Anknüpfungspunkt der Anerkennung entsprechender Beeinträchtigungen für den Rücktritt ist daher, dass die im zustand der erkrankung erbrachte Prüfung nicht die „normale“ Leistung des Prüflings widerspiegelt und sei-ne erfolgschancen so in unzumutbarer Weise geschmälert wären. Keine Prüfungsunfähigkeit in diesem sinn kann deshalb angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung auf einer in der Person des Prüflings liegenden generellen einschränkung seiner Leistungsfähigkeit beruht. Derarti-ge „Dauerleiden“ prägen als persönlichkeitsbedingte ei-

genschaften vielmehr das normale Leistungsbild des Prüf-lings und können auch bei Berücksichtigung des in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13. 12. 1985 – 7 B 210/85 –, NVwz 1986, 377; senatsurt. v. 27. 2. 1996 – 9 s 486/95 –). Die frage, ob eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führt, macht daher die unterscheidung erforderlich, ob es sich um eine aktuel-le und zeitweise Beeinträchtigung des Leistungsvermögens handelt oder ob die Leistungsminderung auf ein „Dauer-leiden“ zurückgeht, dessen Behebung nicht in absehbarer zeit erwartet werden kann und das deshalb auch bei der feststellung der Leistungsfähigkeit des Prüflings berück-sichtigt werden muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3. 7. 1995 – 6 B 34/95 –, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 352; Niehues, a. a. O., Rdnr. 121).

Nicht als Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne anzuer-kennen sind darüber hinaus auch Leistungsminderungen durch Prüfungsstress oder examensangst, weil derartige Belastungen zum typischen, grundsätzlich jeden Kandi-daten treffenden Prüfungsgeschehen gehören. Anderes gilt nach Rechtsprechung des BVerwG erst, wenn die psychi-sche Beeinträchtigung „über allgemeine examenspsychosen hinausgeht“ und „Krankheitswert“ erreicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3. 7. 1995 – 6 B 34/95 –, Buchholz 421.0 Prü-fungswesen Nr. 352; vgl. dazu auch senatsurt. v. 27. 2. 1996 – 9 s 486/95 –), was grundsätzlich nicht angenommen werden kann, wenn die Angststörung an die spezifische Prüfungssituation gebunden ist (vgl. OVG Nordrh.-Westf., urt. v. 5. 6. 2003 – 14 A 624/01 –, NWVBl. 2005, 187, m. Nachw. zur medizinischen einordnung).

2. Bei zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die einschät-zung des VG, eine Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne sei nicht glaubhaft gemacht worden, nicht zu beanstanden.

Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass in den mit dem Rücktrittsgesuch eingereichten ärztlichen Beschei-nigungen maßgeblich auf die bestehende Prüfungsangst abgestellt worden ist und diese daher als wesentliche ur-sache der Beeinträchtigung erscheint (vgl. BVerwG, urt. v. 2. 11. 1994 – 7 C 27/84 –, Buchholz 421.0 Prüfungs-wesen Nr. 207). Prüfungsängste berechtigen regelmäßig aber nicht zum Rücktritt, weil es auch zum Wesen einer Prüfung gehört, die Belastbarkeit des Kandidaten unter Prüfungsbedingungen zu messen (vgl. Haas, VBlBW 1985, 161, 166).

soweit das Beschwerdevorbringen die vom VG vorge-nommene Würdigung der ärztlichen stellungnahmen anzugreifen sucht und unter Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens vorträgt, die depressiven symptome bestünden bereits seit längerem und seien auch nicht an die anste-henden Wiederholungsprüfungen gebunden, vermag dies der Beschwerde nicht zum erfolg zu verhelfen. Denn auf Grundlage dieses neuen Vortrages wäre zwar von einem Krankheitswert der Beeinträchtigung auszugehen; das at-testierte Krankheitsbild wäre aber angesichts der ausgewie-senen „drohenden Chronifizierung“ und der allenfalls mit-telfristig bestehenden Möglichkeit einer Reintegration ins Berufs- und studienleben als ein nicht in absehbarer zeit heilbares Dauerleiden zu qualifizieren (vgl. dazu auch Bay. VGH, Beschl. v. 7. 1. 2009 – 7 zB 08.1478 –). Derartige er-krankungen rechtfertigen zwar möglicherweise eine Beur-laubung, sie können nach den bereits dargestellten Maßstä-ben aber regelmäßig nicht als zum Rücktritt berechtigende Prüfungsunfähigkeit anerkannt werden. […]

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerde-verfahren muss demnach abgelehnt werden, weil die beab-sichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf erfolg bietet (vgl. § 166 VwGO i. V. mit §§ 114, 121 Abs. 2 s. 1 zPO).

Rechtsprechung MedR (2009) 27: 616−617 617