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Fragestellung: Wie regelmäßig nehmen Patienten mit bipola- rer Störung ihre phasenprophylaktische Medikation tatsächlich ein und welche Risikofaktoren gibt es für die Nonadhärenz? Hintergrund: In der erapie bipolarer Störungen kommt der Erhaltungstherapie mit Phasenprophylaktika eine entscheiden- de Bedeutung zu. Dennoch nehmen etwa 40% der an einer bi- polaren Störung erkrankten Patienten ihre verschriebene Medi- kation unregelmäßig, in eigenständig veränderter Dosis oder zu veränderten Tageszeitpunkten ein. Dieses Verhalten, auch als Nonadhärenz bezeichnet, ist mit einem schlechteren Krank- heitsverlauf inklusive gehäuſten Krankheitsepisoden und einem erhöhten Suizidrisiko assoziiert. Patienten und Methodik: Im Rahmen einer beobachtenden Langzeitstudie wurden Patienten mit der Diagnose einer bipo- laren Störung nach DSM-IV im Alter von mindestens 18 Jahren unter medikamentöser erapie mit Phasenprophylaktika (Li- thium, Valproat, Lamotrigin, Carbamazepin und Oxcarbaze- pin) rekrutiert. Von 378 rekrutierten Patienten nahmen 206 ihre Medikation über einen Mindestzeitraum von 100 Tagen ein und wurden in die Analyse eingeschlossen. Zur Erfassung der Ad- härenz dokumentierten die Patienten mittels der ChronoRecord Soſtware täglich die Menge der eingenommenen Medikation: Zusätzlich beurteilten die Probanden ihre Stimmung mithilfe einer aus 100 Einheiten bestehenden, validierten visuellen Ana- logskala. Fehlende Eintragungen wurden als fehlende Einnah- me eines Medikamentes gewertet. Ein Wert von unter 40 auf der visuellen Analogskala wurde als depressive Stimmung, ein Wert von über 60 Punkten als hypomane/manische Stimmung defi- niert. Im Rahmen der statistischen Auswertung erfolgte auch die Erstellung von ApEn (approximative Entropie)-Werten, wel- che genutzt werden, um Musterregelmäßigkeiten in Zeitserien, wie in der vorliegenden Publikation die Regelmäßigkeit der Medikationseinnahme, zu bestimmen. Ergebnisse: Insgesamt 146 Frauen und 60 Männer nahmen an der Studie teil. Während des untersuchten Zeitraums von 100 Tagen wurde im Durchschnitt an 72,5% der Tage eine euthyme, an 20,1% eine depressive und an 7,4% eine hypomane/manische Stimmungslage berichtet. 140 Patienten nahmen nur ein Pha- senprophylaktikum ein. Das am häufigsten eingenommene Phasenprophylaktikum war Lamotrigin (n = 113), gefolgt von Lithium (n = 93), Valproat (n = 45), Carbamazepin (n = 14) und Oxcarbazepin (n = 13). Im Mittel nahmen die Patienten an 13,6 % der Tage ihre Medi- kation nicht ein. Die fehlende Einnahme war nicht mit den erhobenen demografischen Daten, der Stimmungslage Nonadhärenz im Fokus Wie regelmäßig nehmen Patienten mit bipolarer Störung ihre Medikation? Bauer M, Glenn T, Alda M et al. Regularity in daily mood stabili- zer dosage taken by patients with bipolar disorder. Pharma- copsychiatry 2013; 46: 163 – 8 der Patienten oder dem Medikamentenregime assoziiert. An- dere Ergebnisse zeigten sich jedoch in der Analyse der ApEn- Werte: In nur 12% zeigte sich ein ApEn-Wert von 0, welcher keine Veränderung in der Dosierung oder Frequenz der Ein- nahme darstellt. Insgesamt zeigte sich ein breites Spektrum von Nonadhärenz ( ▶Abb. 1 ), welches signifikant mit dem Prozent- satz von Tagen mit depressiver Stimmungslage, der Anzahl der verschriebenen Psychopharmaka und der Anzahl einzuneh- mender Tabletten assoziiert war. Schlussfolgerungen: Nonadhärenz bei bipolaren Patienten ist eher die Regel als eine Ausnahme und umfasst nicht nur die feh- lende Einnahme von Phasenprophylaktika, sondern tritt über- wiegend partiell und intermittierend auf. Weitere Infos auf springermedizin.de Eigensinn und Psychose Eine Therapiebegleitung durch geschulte Peer-Berater kann die Patienten-Compliance positiv beeinflussen (4546182). Diesen Artikel finden Sie, indem Sie den Titel oder die in Klammern gesetzte ID-Nummer in die Suche eingeben. journal club 12 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2013; 15 (11) 1 Patientenbeispiele von Nonadhärenz mit hoher ApEn. a) Unregelmäßige Lithium-Einnahme ohne Dosisänderung. ApEn (1,0.2*SD,100) = 0,587; Tage mit fehlender Einnahme: 24% b) Unregelmäßige Lithium-Einnahme mit selbstständiger Dosisverände- rung. ApEn (1,0.2*SD,100) = 0,461; Tage mit fehlender Einnahme: 2% c) Unregelmäßige Lamotrigin-Einnahme ohne Dosisänderung. ApEn (1,0.2*SD,100) = 0,376; Tage mit fehlender Einnahme 1%. © Bauer M et al. Pharmacopsychiatry 2013 2000 1500 1000 500 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Dosierung (mg) Tage b 1000 500 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Dosierung (mg) Tage a 300 200 100 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Dosierung (mg) Tage c

Wie regelmäßig nehmen Patienten mit bipolarer Störung ihre Medikation?

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Fragestellung: Wie regelmäßig nehmen Patienten mit bipola-rer Störung ihre phasenprophylaktische Medikation tatsächlich ein und welche Risikofaktoren gibt es für die Nonadhärenz?

Hintergrund: In der �erapie bipolarer Störungen kommt der Erhaltungstherapie mit Phasenprophylaktika eine entscheiden-de Bedeutung zu. Dennoch nehmen etwa 40% der an einer bi-polaren Störung erkrankten Patienten ihre verschriebene Medi-kation unregelmäßig, in eigenständig veränderter Dosis oder zu veränderten Tageszeitpunkten ein. Dieses Verhalten, auch als Nonadhärenz bezeichnet, ist mit einem schlechteren Krank-heitsverlauf inklusive gehäu�en Krankheitsepisoden und einem erhöhten Suizidrisiko assoziiert.

Patienten und Methodik: Im Rahmen einer beobachtenden Langzeitstudie wurden Patienten mit der Diagnose einer bipo-laren Störung nach DSM-IV im Alter von mindestens 18 Jahren unter medikamentöser �erapie mit Phasenprophylaktika (Li-thium, Valproat, Lamotrigin, Carbamazepin und Oxcarbaze-pin) rekrutiert. Von 378 rekrutierten Patienten nahmen 206 ihre Medikation über einen Mindestzeitraum von 100 Tagen ein und wurden in die Analyse eingeschlossen. Zur Erfassung der Ad-härenz dokumentierten die Patienten mittels der ChronoRecord So�ware täglich die Menge der eingenommenen Medikation: Zusätzlich beurteilten die Probanden ihre Stimmung mithilfe einer aus 100 Einheiten bestehenden, validierten visuellen Ana-logskala. Fehlende Eintragungen wurden als fehlende Einnah-me eines Medikamentes gewertet. Ein Wert von unter 40 auf der visuellen Analogskala wurde als depressive Stimmung, ein Wert von über 60 Punkten als hypomane/manische Stimmung de�-niert. Im Rahmen der statistischen Auswertung erfolgte auch die Erstellung von ApEn (approximative Entropie)-Werten, wel-che genutzt werden, um Musterregelmäßigkeiten in Zeitserien, wie in der vorliegenden Publikation die Regelmäßigkeit der Medikationseinnahme, zu bestimmen.

Ergebnisse: Insgesamt 146 Frauen und 60 Männer nahmen an der Studie teil. Während des untersuchten Zeitraums von 100 Tagen wurde im Durchschnitt an 72,5% der Tage eine euthyme, an 20,1% eine depressive und an 7,4% eine hypomane/manische Stimmungslage berichtet. 140 Patienten nahmen nur ein Pha-senprophylaktikum ein. Das am häu�gsten eingenommene Phasenprophylaktikum war Lamotrigin (n = 113), gefolgt von Lithium (n = 93), Valproat (n = 45), Carbamazepin (n = 14) und

Oxcarbazepin (n = 13). Im Mittel nahmen die Patienten an 13,6% der Tage ihre Medi-kation nicht ein. Die fehlende Einnahme war nicht mit den erhobenen demogra�schen Daten, der Stimmungslage

Nonadhärenz im Fokus

Wie regelmäßig nehmen Patienten mit bipolarer Störung ihre Medikation?

Bauer M, Glenn T, Alda M et al. Regularity in daily mood stabili-zer dosage taken by patients with bipolar disorder. Pharma-copsychiatry 2013; 46: 163–8

der Patienten oder dem Medikamentenregime assoziiert. An-dere Ergebnisse zeigten sich jedoch in der Analyse der ApEn-Werte: In nur 12% zeigte sich ein ApEn-Wert von 0, welcher keine Veränderung in der Dosierung oder Frequenz der Ein-nahme darstellt. Insgesamt zeigte sich ein breites Spektrum von Nonadhärenz (▶Abb. 1), welches signi�kant mit dem Prozent-satz von Tagen mit depressiver Stimmungslage, der Anzahl der verschriebenen Psychopharmaka und der Anzahl einzuneh-mender Tabletten assoziiert war.

Schlussfolgerungen: Nonadhärenz bei bipolaren Patienten ist eher die Regel als eine Ausnahme und umfasst nicht nur die feh-lende Einnahme von Phasenprophylaktika, sondern tritt über-wiegend partiell und intermittierend auf.

Weitere Infos auf springermedizin.de

Eigensinn und Psychose

Eine Therapiebegleitung durch geschulte Peer-Berater kann die Patienten-Compliance positiv beeinflussen (4546182). Diesen Artikel finden Sie, indem Sie den Titel oder die in Klammern gesetzte ID-Nummer in die Suche eingeben.

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12 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2013; 15 (11)

1 Patientenbeispiele von Nonadhärenz mit hoher ApEn. a) Unregelmäßige Lithium-Einnahme ohne Dosisänderung. ApEn (1,0.2*SD,100) = 0,587; Tage mit fehlender Einnahme: 24% b) Unregelmäßige Lithium-Einnahme mit selbstständiger Dosisverände-rung. ApEn (1,0.2*SD,100) = 0,461; Tage mit fehlender Einnahme: 2% c) Unregelmäßige Lamotrigin-Einnahme ohne Dosisänderung. ApEn (1,0.2*SD,100) = 0,376; Tage mit fehlender Einnahme 1%.

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−Kommentar von Alexandra Kleimann und Helge Frieling, Hannover

Eine wichtige Ergänzung der AdhärenzforschungDie naturalistische Beobachtungsstudie zur Erfassung der Ad-härenz bei bipolaren Patienten zeigt ein adäquates Studien-design mit präziser statistischer Analyse. Klinisch relevant sind insbesondere die Ergebnisse zur Assoziation zwischen Psycho-pharmaka- und Tablettenanzahl und Nonadhärenz welche, wie vorherige Studien bei anderen Patientenpopulationen, die Wichtigkeit eines einfachen Medikamentenregimes unterstrei-chen. Ob die Assoziation der depressiven Stimmungslage mit verminderter Adhärenz einen kausalen Zusammenhang dar-stellt oder die Nonadhärenz die depressive Stimmungslage ver-ursachte, kann hier jedoch nicht beurteilt werden. Ein wissen-schaftlicher Mehrwert ergibt sich aus dem genutzten Verfahren der ApEn-Berechnung, welche zur di�erenzierteren Erfassung verschiedener Adhärenzformen beiträgt. Die Autoren nennen verschiedene Einschränkungen, wie zum Beispiel den Aus-schluss von Patienten, welche ihre Medikation vor Ablauf der 100 Tage absetzten oder die fehlende Erfassung der Gründe für Nonadhärenz. Zusätzlich könnte auch eine mögliche Beein�us-sung der Adhärenz durch die Studienteilnahme vorliegen.

Zusammenfassend ergänzt die vorliegende Studie den Be-reich der Adhärenzforschung um eine di�erenzierte Analyse zu Unregelmäßigkeiten der Medikationseinnahme bei Patien-ten mit bipolarer Störung. Weitere Studien werden benötigt, um die vermeintlichen Konsequenzen der partiellen Adhärenz auf den Verlauf der bipolaren Störung zu untersuchen.

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Alexandra Kleimann, Hannover

Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Seelische Gesundheit, Medizinische Hochschule Hannover (MHH); E-Mail: [email protected]