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William King - Warhammer 40000 - Wolfskrieger

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Mai 2003

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Info:William King

Warhammer 40.000

WolfskriegerFür Ragnar scheint der glücklichste Tag in seinem

noch jungen Leben angebrochen zu sein.Von einer Winterlichen Schiffsreise zu den

Eiseninseln zurückgekehrt, steht seine Aufnahme indie Reihen der Männer in einem Fest bevor. Doch die

ausgelassene Feier währt nicht lange.Die arglos Zechenden werden von Grimmschädelnüberfallen, die jene Insel zurückerobern wollen, vonder sie vor vielen Jahren vertrieben wurden. Ragnarkämpft wie ein Berserker und erschlägt zahlreiche

Feinde, bis er schwer verwundet auf demSchlachtfeld liegen bleibt. Er ist der einzigeÜberlebende seines Stammes und wird von

unbekannten Magiern gesund gepflegt.Nach seiner Genesung wird er in ein Übungslager mit

kampferprobten Jugendlichen gebracht, wo er imKampf gegen Seine Kameraden, wilde Bestien und

die unerbittliche Natur zu einem verwegenen Kriegerheranreift. Ragnar beschleicht ein entsetzlicher

Gedanke: Ist die kleine, beschauliche Welt, die erkannte, in Wahrheit eine Zuchtstätte für den

Nachwuchs des mächtigen Wolfsordens?Und wer ist der Feind, der solche Anstrengungen

erfordert?Ragnar erklimmt Stufe um Stufe in der Hiararchie

der Space-Marines, doch die eigentlicheBewährungsprobe steht ihm noch bevor ...

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In gleicher Ausstattung erschienen in der ReiheHEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY

die Serien:

WARHAMMERJack Yeovil: Drachenfels • 06/5571Jack Yeovil: Die untote Geneviève • 06/5575David Pringle (Hrsg.): Das Gelächter dunkler Götter •06/5576Jack Yeovil: Bestien in Samt und Seide • 06/5577

KONRAD-TRILOGIE:David Ferring: Konrad • 06/5572David Ferring: Schattenbrut • 06/5573David Ferring: Kriegsklinge • 06/5574

ORPHEUS-TRILOGIE:Brian Craig: Zaragoz • 06/5578Brian Craig: Seuchendämon • 06/5579Brian Craig: Sturmkrieger • 06/5580

DIE ABENTEUER VON GOTREK UND FELIX:William King: Schicksalsgefährten • 06/9116William King: Der Graue Prophet • 06/9117William King: Die Chaos-Wüste • 06/9118William King: Der Hort des Drachen • 06/9119 (in Vorb.)William King: Dämonenkrieger • 06/9120 (in Vorb.)

WARHAMMER 40000Ian Watson: Inquisitor • 06/5551Ian Watson: Space Marine • 06/5552Ian Watson: Harlekin • 06/5553Neu Jones & David Pringle: Genräuber • 06/5554Ian Watson: Kind des Chaos • 06/5556William King: Wolfskrieger • 06/5557William King: Ragnars Mission • 06/5558 (in Vorb.)

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WARHAMMER 40.000

WILLIAM KINGWolfskrieger

RomanDeutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASYBand 06/5557

Titel der englischen OriginalausgabeSPACE WOLF Deutsche Übersetzung von Christian Jentzsch

Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt

Deutsche ErstausgabeRedaktion: Ralf Oliver Dürr

Copyright © 1999 by Games Workshop Ltd.Erstausgabe by Black Library/Games Workshop Ltd.

Warhammer® und Games Workshop Ltd.®sind eingetragene Warenzeichen

Umschlagbild: Wayne England/Games Workshop Ltd.Copyright © 2002 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, Münchenhttp: //www.heyne.de

Printed in Germany 2002Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Technische Betreuung: M. SpinolaSatz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels

Druck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin

ISBN 3-453-21318-1

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PROLOG

STURM AUF HESPERIDA

Überall standen Gebäude in Flammen. Ragnar schritt durchden Moloch der Schlacht und rief seinen Männern Befehle zu.

»Bruder Hrolf - schießt sofort zwei Krak-Raketen auf diesevorgeschobene Geschützstellung ab! Die übrigen Brüder sollensich neu formieren und sich auf den Sturmangriff vorbereiten,sobald der Zugang freigesprengt ist.«

Über den Ohrstöpsel, der ihn mit dem Funknetz verband,kamen Bestätigungen. Er spurtete von dem Eingang, wo erDeckung gesucht hatte, zu einem riesigen Trümmerblock, derseinem Ziel gute zwanzig Meter näher war. GegnerischeLaserstrahlen pulverisierten den Beton hinter seinen Fersen,aber selbst in seiner verstärkten Schlachtrüstung bewegte ersich noch so schnell, dass die Ketzer ihn nicht richtig ins Visierbekamen. Er duckte sich hinter den Trümmern und warteteeinen Moment.

Das Donnern schwerer Geschütze lag in der Luft. Irgendwoin der Ferne war das Heulen von Thunderhawk-Triebwerkenund ein mehrfacher Überschallknall zu hören, als dieFlugmaschinen ihre Umlaufgeschwindigkeit verringerten.Gleich darauf durchdrangen strahlend gelbe Kondensstreifendie bleiernen Wolken, und die Kampfhubschrauber wurdensichtbar. Raketenbündel lösten sich von ihren Tragflächen,rasten erdwärts und schlugen Augenblicke später in dieStellungen der Ketzer ein. Er prüfte seine Waffen mit der auseinem Jahrhundert der Erfahrung geborenen Präzision, holtetief Luft, murmelte ein an den Kaiser gerichtetes Gebet undwartete.

Er war sich allem bewusst. Sein Primärherz schlugregelmäßig. Die geringfügigeren Schnitte und Kratzer, die ihm

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umherfliegende Splitter zugefügt hatten, verheilten bereits. Erspürte, wie sich eine Schramme in seiner Wange schloss. SeineSinne - weitaus schärfer als diejenigen des Menschen, der erfrüher einmal gewesen war - versorgten ihn mit einem stetenFluss von Informationen über das Schlachtfeld ringsumher. Erkonnte die beruhigende Anwesenheit seiner Schlachtbrüder inder Nähe riechen, eine Mischung aus gehärtetem Ceramit, Öl,dem Fleisch von Fenris und den subtilen Duftstoffen, dieverrieten, dass sie nicht ganz menschlich waren. Mehr noch, erkonnte die schwachen Pheromone von Wut, Schmerz und gutbeherrschter Furcht wahrnehmen.

Er überprüfte seine Rüstung, um sich zu vergewissern, dassihr struktureller Zusammenhalt nicht gelitten hatte. Hier und dawaren ein paar Schrammen, wo Splitter vom gehärtetenCeramit der Rüstung abgeprallt waren. An zwei Stellen hattedie Tarnbemalung Blasen geworfen, die von der flüchtigenBekanntschaft mit dem Strahl einer Laserkanone kündeten. Aneinem Schulterpolster hatte ein Geschoss die leicht erhöhteUmrandung durchschlagen. Nichts Ernstes. Die Servomotoren,die den mächtigen Kampfanzug mit Energie versorgten,arbeiteten gegenwärtig mit 75 Prozent Wirkungsgrad, da diemeisten Systeme leerliefen, um Energie zu sparen. Die in denAnzug eingebauten Auto-Sensoren informierten ihn überschwache Spuren von Schadstoffen, Verseuchungsstoffen undNeurotoxinen, welche die Ketzer zu Beginn des Aufstands beiihrem Überraschungsangriff auf die loyalistischen Truppeneingesetzt hatten.

Kein Grund zu übermäßiger Sorge, gelobt sei Russ. DieFähigkeit seines Körpers, Gifte abzubauen, wurde kaumbenötigt, um mit den Schadstoffen fertig zu werden. Er hatteschon mit Giften zu tun gehabt, die stark genug waren, umKopfschmerzen, Muskelkrämpfe und Schwindelanfälle zuverursachen, während sein Körper sich daran anpasste. Diesehier waren nicht annähernd von so einem Kaliber. Alles in

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allem sah es gar nicht so schlecht aus. Um die Wahrheit zusagen, er genoss die Situation sogar. Nach einem Monat derMeditation in seiner Zelle im Fang und einer Wochebeklemmender Enge an Bord eines der großen Imperiums-Sternenkreuzer auf dem Weg zu diesem unbedeutendenKriegsschauplatz schwelgte er förmlich in der Aktivität.Tatsächlich war das kaum überraschend: er war dazu geborenund ausgebildet. Sein ganzes Leben war eine Vorbereitung aufdiesen Augenblick. Denn schließlich war er ein KaiserlicherSpace Marine vom Orden der Space Wolves. Was konnte ermehr vom Leben verlangen als das hier? Er hatte eine geladeneBolzenpistole in der Hand und die Feinde des Kaisers vor sich.In diesem Leben gab es kein größeres Vergnügen, als seinePflicht zu erfüllen und dem Leben jener verblendeten Ketzerein Ende zu setzen.

Das Mauerwerk in seinem Rücken erbebte. Steinbrockenprallten von seiner Rüstung ab. Jemand hatte seine Deckungunter Beschuss genommen, vielleicht mit einer Rakete odereiner schweren Bolzengranate. Es spielte keine Rolle. Auslanger Erfahrung wusste er, dass der metallverstärkte Beton soetwas verkraften konnte. Er studierte die Zeitanzeige, die sichüber sein Gesichtsfeld legte. Eine Minute und vier Sekundenwaren verstrichen, seit er Bruder Hrolf seine Befehle erteilthatte. Seiner Schätzung nach würde Hrolf zwei Minutenbrauchen, um Stellung zu beziehen, und weitere zehnSekunden, um die Raketen auszurichten und abzufeuern.

Das war mehr als genug Zeit für den Rest seiner Streitmacht,um in Stellung zu gehen. Für die Ketzer hingegen reichte dieZeit nicht aus, um seine Deckung zu pulverisieren, wenn sienicht mehr Feuerkraft aufwendeten, als dies augenblicklich derFall war.

Offenbar war dem gegnerischen Kommandant dieserGedanke ebenfalls gekommen. Ragnar hörte den Lärmmonströser Ketten näher kommen. Er wusste, dass er von

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einem feindlichen Vehikel verursacht werden musste. DieStreitkräfte des Imperiums hatten gerade erst mit der Landungbegonnen, wobei die Space Wolves die Speerspitze bildeten.Sie konnten noch keine Panzerfahrzeuge abgesetzt haben. Dielogische Schlussfolgerung war simpel. Was immer sichnäherte, war nicht freundlich gesinnt. Unmittelbar daraufbestätigte ein Ruf über Funk diese Einschätzung.+Truppe Ragnar. Feindlicher Panzer vom Typ

Predator nähert sich Ihrer Stellung. WünschenSie Unterstützung? Ende+

Ragnar überlegte kurz. An dieser Stelle wurde dieLuftunterstützung der Thunderhawks anderenorts dringendergebraucht, um den Einheiten zu helfen, die sich gerade imkritischen Stadium der Landung befanden und vom Feind unterBeschuss genommen wurden. Er wollte diese Hilfe nicht vonseinen Schlachtbrüdern abziehen. Insbesondere nicht, um sicheines einzigen feindlichen Panzers zu erwehren.+Hier Ragnar. Negativ. Wir kümmern uns

selbst um den Predator. Ende.++Nachricht erhalten und verstanden. Möge der

Kaiser über euch wachen. Ende.+Ragnar wog seine Möglichkeiten ab. Er konnte hören, wie

der Panzer sich näherte, und die stechenden Abgase seinerAuspuffanlage riechen. Beton wurde unter seinen Kettenzermahlen. Er konnte Bruder Hrolf auffordern, den Panzer mitden schweren Artilleriewaffen der Abteilung zu zerstören, aberdas hieße, den Angriff auf den Bunker abzublasen, währendHrolf eine neue Stellung bezog, doch dafür bestand keineNotwendigkeit, wenn er sich selbst um den Panzer kümmerte.

Er überprüfte die Fächer in seinem Vielzweckgürtel. Alleswar an Ort und Stelle. Injektoren mit Heilmitteln,Granatspender, Reparaturpflaster. Er tippte gegen denGranatspender, und eine Krak-Granate fiel in seine Hand. Diewürde reichen. Er spähte aus seiner Deckung und sah den

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langen Geschützlauf des Predator um die Ecke biegen.Augenblicke später wurde der ganze Panzer sichtbar. Eshandelte sich um das Standardmodell eines Imperiumspanzers,doch anstelle der akuraten Lackierung der KaiserlichenPlanetaren Armeen war er in aller Hast blutrot eingesprühtworden, und auf die Flanke hatte man mit gelber Farbe einprimitives achtarmiges Chaos-Symbol gepinselt. Beim Anblickdes verhassten Emblems bleckte Ragnar die Zähne. Es war dasZeichen der Dämonenanbeter, die geschworen hatten, alles zustürzen, für dessen Erhaltung Ragnar sein Leben lang gekämpfthatte, und sein bloßer Anblick weckte die animalischeWildheit, die Bestie, die ein Teil seiner Natur als Space Wolfwar, und ließ sie in den Vordergrund treten.

Er erhob sich und maß mit geübtem Auge die Entfernungzwischen sich und dem Panzer. Nicht mehr als hundertSchritte, schätzte er. Die Entfernung verringerte sich rasch, dader Panzer vorwärts rumpelte. Er konnte erkennen, dass dieleichten Turmgeschütze bereits auf ihn einschwenkten. SeineStellung war umgangen worden. Nur gut, dass er ohnehinbeschlossen hatte, sie aufzugeben.

Die Servomotoren seiner Rüstung jaulten, als er über dasoffene Gelände dem Panzer entgegenrannte. Abermals warenihm die Laserstrahlen dicht auf den Fersen, aber wie er gehoffthatte, waren die Schützen zu überrascht über seinenunvermuteten Ausbruch aus der Deckung, um ihn schnell aufsKorn zu nehmen. Auch die Schützen im Panzer trautenoffenbar ihren Augen nicht. Leuchtspurgeschosse zischten überseinen Kopf hinweg. Die Bemühungen der Schützen warenhalbherzig. Sie schienen zu glauben, dass er unter ihremheranrasenden Vehikel zerquetscht würde. Ragnar hatte dieAbsicht, sie eines Besseren zu belehren. Sie würden dafürbüßen, einen der Söhne von Leman Russ unterschätzt zuhaben.

Er lief dem Panzer geradewegs entgegen. Er wuchs rasch in

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seinem Blickfeld. Obwohl er oft neben solchen Vehikelnmarschiert war oder sich an ihnen festgeklammert hatte,während sie ihn und seine Schlachtbrüder ins Gefecht trugen,überraschte es ihn, wie groß dieser jetzt aussah. Er lächelte. Eswar immer etwas anderes, wenn man mit einem Panzertatsächlich kämpfen musste. Der Abstand zwischen ihm unddem Predator verringerte sich rasch. Das Summen derVibrationen seines Motors lag in der Luft. Der Gestank derAbgase drang ihm jetzt fast überwältigend stark in die Nase.Das Flackern des Laserbeschusses kam seinen Fersen nochnäher.

Im letzten Augenblick warf er sich nach rechts und brachtedamit den Predator zwischen sich und das Feuer aus demFeindbunker. Er warf die erste Krak-Granate zwischen dieSteuerräder und die mit ihnen verbundenen Ketten. Der Zünderwar auf drei Sekunden eingestellt. Reichlich Zeit für Ragnar,noch eine Granate nachzulegen.

Als sie explodierten, wurden Teile der Kette weggesprengt,und die Steuerräder kamen knirschend zum Stillstand, als dieKraftübertragung ins Stocken geriet. Ein riesiges Stück Ketteriss sich flatternd los und hätte Ragnar beinahe getroffen. Nurseine blitzschnellen Reflexe, die infolge der Anspannung derSchlacht auf übermenschliche Schärfe eingestellt waren,ermöglichten ihm, sich gerade noch rechtzeitig zu ducken. Dieschiere Wucht, mit der die gegliederten Metallsegmente sichbewegten, hätte sicher ausgereicht, um ihn sauber zuenthaupten.

Des Antriebs einer Kette beraubt, drehte der Predator sichjetzt langsam auf der Stelle. Die Kette auf der anderen Seitefunktionierte noch und trieb das Vehikel vorwärts, aber eswürde nirgendwohin fahren, nur noch im Kreis. Darüber warRagnar froh. Da der Geschützturm bereits in die Richtungseiner Einheit schwenkte, wurde es Zeit, zur nächsten Phaseseines Plans überzugehen.

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Mit einem gewaltigen Satz sprang Ragnar oberhalb desKettenschutzes auf die Seite des Predator. Er landeteleichtfüßig und mit einem Klirren seiner Ceramitstiefel auf derWandung, dann lief er vorwärts, während er bei Russ hoffte,dass in dem Panzer noch niemand durchschaut hatte, wasvorging. Er konnte gedämpft das Bellen von Befehlen undverwirrtes Geschrei hören, also nahm er an, dass noch alle imDunkeln tappten. Gut. Sie würden niemals erkennen, was übersie gekommen war. Er lief weiter zum Geschützturm und sah,dass die Luke geschlossen war. Ein Jammer, dachte Ragnar,aber nichtsdestoweniger hatte er genau damit gerechnet. Ineiner Nahkampfsituation würde kein Panzerkommandant mitentblößtem Haupt herumfahren. Trotzdem war es dumm vonihnen, dass sie ohne Infanterieunterstützung so weit vorgerücktwaren. Die Ausführung seines Plans wäre ihm in Anwesenheitbewaffneter Fußtruppen erheblich schwerer gefallen. Er nahman, dass der Panzer auf ein verzweifeltes Hilfeersuchen desBunkers hin so rasch wie möglich gekommen war. Nun, erwürde dafür sorgen, dass die Ketzer für diesen Fehler büßten.

Er packte den Griff auf dem Geschützturm mit beidenHänden und wappnete sich, dann spannte er seine verstärktenMuskeln an und zog mit aller Kraft. Nichts geschah. Er führteden Servomotoren seiner Rüstung immer mehr Energie zu, bisdie Muskelfasern kurz vor der Überladung standen und die inseinem Blickfeld aufleuchtenden Wartungsanzeigen sichimmer weiter in den roten Bereich schoben. Langsam und miteinem grässlichen Knirschen löste sich die Luke aus ihrenAngeln. Ceramit bog sich unter der furchtbaren Kraft desSpace Wolfs. Ragnar hätte fast das Gleichgewicht verloren, alsdie Luke sich gänzlich aus den Angeln löste.

Ein Strom schlechter Luft zischte aus dem Panzer, undRagnar erkannte den Gestank der Mutation. Diese Ketzerhatten wahrhaftig den Preis dafür bezahlt, ihren finsterenHerren Gefolgschaft geschworen zu haben. Er warf den

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Lukendeckel weg und entnahm seinem Gürtelspender eineKrak-Granate. Er schaute hinab ins Innere des Panzers. Einrascher Blick zeigte ihm abscheulich veränderteMutantengesichter, die zu ihm hochsahen. Eines war mitriesigen roten Warzen übersät, die alle in einem Auge endeten.Das andere war geschmolzen und zerlaufen, als bestehe es ausKerzenwachs. Das Zeichen ihrer Schlechtigkeit haftete ihnenunübersehbar an, da ihr Äußeres verändert und an dieinnerliche Verdorbenheit durch die bösen Mächte angepasstworden war, die sie verehrten.

Einer der Mutanten griff nach seiner gehalfterten Pistole.Dem Ausdruck blinder Panik auf dem Gesicht der Kreaturkonnte Ragnar entnehmen, dass sie sich zusammengereimthatte, was gleich geschehen würde. Und sie hatte Recht.Ragnar ließ die Granate durch die offene Luke fallen undsprang ab. Im Sprung griff er nach einer weiteren Granate undwarf sie ebenfalls durch das offene Turmluk. Es war geradenoch möglich, dass es den Mutanten gelang, eine Granaterechtzeitig aufzuheben und durch die Luke nach draußen zuwerfen. Beide konnten sie nicht erwischen.

Der Panzer befand sich immer noch zwischen ihm und demBunker. Er riss seine Waffen heraus. In der Seite des Predatorhatte sich eine Luke halb geöffnet. Eines derBesatzungsmitglieder hatte erkannt, was geschah, undversuchte sich zu retten. Ragnar trat die Luke zu und sprangzurück, als zwei gewaltige Explosionen den Panzererschütterten. Eine blutige Fontäne schoss durch das offeneTurmluk in die Höhe. Ragnar rannte schnell in Deckung, da esnur allzu gut möglich war, dass die Antriebssysteme desPanzers hochgehen würden.

Glücklicherweise waren die Insassen des Bunkers durch dasSchicksal des zu ihrer Unterstützung abkommandiertenPredator abgelenkt, und so warf er sich gerade in demAugenblick in die Deckung des Mauerwerks, die er kurz zuvor

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verlassen hatte, als eine gewaltige Explosion das mächtigeVehikel in Stücke riss. Riesige Fetzen Metallpanzerung bogensich durch die Wucht des explodierenden Antriebsblocks nachaußen. Öliger schwarzer Rauch kräuselte sich aus denÜberresten himmelwärts.

In diesem Augenblick drang der Donner einer weiterenExplosion an Ragnars Ohren. Bruder Hrolf hatte die Tür desBunkers mit dem Raketenwerfer beschossen. Ragnar. sprangauf, wobei er mit Befriedigung zur Kenntnis nahm, dass derPlastahl von der Explosion vollkommen aus den Angelngesprengt worden war und der Überflügelungstrupp der SpaceWolves bereits von beiden Seiten in Stellung ging. UnterRagnars aufmerksamen Blicken warf Bruder Snagga sich flachauf den Boden, robbte unterhalb des Feuerbereichs derBunkerbesatzung zum offenen Eingang und beförderte eineHand voll Mikrogranaten hindurch. Explosionen undSchmerzensschreie waren seine Belohnung. Binnen Sekundenwaren zwei Space Wolves in den Bunker eingedrungen.Schüsse knallten, als sie die Überlebenden niedermachten.

Ragnar lächelte und entblößte zwei große wölfischeReißzähne. In seinen gelblichen Wolfsaugen erschien einFunkeln des Triumphs. Er hatte einen weiteren Sieg errungen.In diesem Augenblick registrierte er das schwache Funkeln vonSonnenlicht auf Glas irgendwo rechts von ihm. Sein Instinktriet ihm, sich flach auf den Boden zu werfen, aber es warbereits zu spät. Er sprang zwar, aber das Geschoss desScharfschützen, raketengetrieben und panzerbrechend, warbereits unterwegs und zu schnell, um ihm noch ausweichen zukönnen. Seine Bewegung brachte seinen Körper lediglichteilweise aus der Schussbahn. Die Granate, die auf sein Herzgezielt war, explodierte stattdessen in seiner Brust. Schmerzenzuckten durch seinen Körper. Boten der Qual rasten seineNerven entlang. Er stürzte vorwärts in eine Lavagrubeunsäglicher Pein.

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***

»Keine Sorge, Bruder Ragnar«, hörte er eine Stimme ausweiter Ferne sagen. »Wir haben dich.«

Ragnar wunderte sich darüber und fragte sich, ob es nichtbereits zu spät sei. Die Stimmen klangen bereits so, als kämensie vom oberen Ende eines riesigen Schachts. Es kam ihm sovor, als falle er nach unten, der kalten Hölle seines Volksentgegen, wo ihn seine Familie und seine Freunde und auchseine alten Feinde begrüßen würden, die er persönlich dorthinbefördert hatte. Es war merkwürdig, dass er so weit weg von zuHause und so viel später sterben sollte, als er dies erwartethatte. Diese sonderbare Empfindung hatte etwas Tröstliches. Erwusste, was er zu erwarten hatte. Er sollte es auch wissen.Schließlich war er schon einmal gestorben.

Eisige Klarheit ergriff Besitz von seinem Verstand. SeineErinnerung flutete zurück. Seine Seele raste durch dieJahrhunderte in die Vergangenheit. Und erinnerte sich.

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DAS DRACHENMEER

»Wir werden alle sterben!«, schrie Yorvik der Harpunier,während er sich mit vor Furcht weit aufgerissenen Augenumsah. Blitze zuckten über den Himmel von Fenris undbeleuchteten das gequälte Gesicht des Mannes. Das schiereEntsetzen machte seinen Schrei über das Tosen des Windesund das Donnern der Wellen gegen das Schiff hinweg hörbar.Die Regentropfen, die ihm übers Gesicht liefen, hattenunheimliche Ähnlichkeit mit Tränen.

»Sei still!«, schrie Ragnar ihn an und verpasste dementsetzten Mann eine Ohrfeige. Schockiert darüber, von einemJugendlichen geschlagen worden zu sein, der gerade alt genugwar, den Flaum der Mannbarkeit auf den Wangen zu tragen,vergaß Yorvik vorübergehend seine Furcht und griff nachseiner Axt. Ragnar schüttelte den Kopf und funkelte denälteren Mann mit seinen kalten grauen Augen an. Yorvik hieltinne, als ginge ihm gerade auf, wo er war und was er tat. Siestanden für alle Krieger sichtbar im Bug des Schiffs. EinAngriff auf den Sohn seines Kapitäns würde ihm weder in denAugen der Götter noch in denen der Besatzung zur Ehregereichen. Yorviks Wangen überzogen sich mit dem Rot derScham, und Ragnar schaute weg, um den Mann nicht nochmehr zu erniedrigen.

Ragnar warf den Kopf in den Nacken, um die Mähneschwarzer Haare aus den Augen zu bekommen. Während erdurch das Peitschen des Windes und die salzige Gischt derstürmisch wogenden See blinzelte, gab er Yorvik insgeheimRecht. Sie würden sterben, wenn kein Wunder geschah. Er fuhrzur See, seit er laufen konnte, und hatte noch nie einen soschlimmen Sturm erlebt.

Finstere Wolken jagten über den Himmel. Es war so dunkel

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wie in der Nacht, obwohl Mittag war. Gischt wogte, als derSchiffsbug durch die nächste riesige Welle pflügte. DieDrachenhaut des Decks hallte wie eine gewaltige Trommelunter der Wucht des Aufpralls. Er mühte sich, auf demunablässig schwankenden Deck das Gleichgewicht zubewahren. Auch über das Dämonengekreisch des Windeskonnte er das Ächzen der Schiffsknochen hören. Es war nureine Frage der Zeit, bis das Meer das Boot verschlang. Es warein Wettrennen zwischen dem Bemühen der Wellen, die Speervon Russ in tausend Stücke zu schlagen, und dem Bestrebender Drachenhaut, sich unter dem steten Wasserdruck vomSkelett des Schiffs zu schälen und sie damit kentern zu lassen.

Ragnar schauderte nicht nur wegen der kalten,durchweichten Nässe seiner Kleidung. Für ihn wie für alleAngehörigen seines Volks war Ertrinken der schlimmste allermöglichen Tode. Es bedeutete schlicht, in die Klauen derMeerdämonen zu sinken, wo seine Seele in ewigerKnechtschaft gefangen sein würde. Dort gab es keineMöglichkeit, sich seinen Platz unter den Auserwählten zuverdienen. Er würde nicht mit Axt oder Speer in der Handsterben. Er würde weder einen ruhmreichen Tod noch einenraschen Weg zum Saal der Helden in den Götterbergen finden.

Ein Blick über das regengepeitschte Deck zeigte Ragnar,dass all die gewaltigen Krieger ebenso verängstigt waren wieer, obwohl sie ihre Furcht gut verbargen. Die Anspannungstand in jedem bleichen Gesicht und in jedem blauen Auge.Der Regen durchnässte ihre langen blonden Haare und verliehihnen ein hoffnungsloses, heruntergekommenes Aussehen. Siesaßen zusammengekauert auf ihren Bänken und hieltennutzlose Ruder bereit. Regenjacken aus massiver Drachenhautlagen über ihren Schultern oder flatterten im Wind wieFledermausflügel. Jeder der Krieger hatte seine Waffen nebensich auf dem klatschnassen Deck liegen, Waffen, dieohnmächtig gegen den Feind waren, der jetzt ihr Leben

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bedrohte.Der Wind heulte, hungrig wie die großen Wölfe Asaheims.

Das Schiff fiel die andere Seite der riesigen Welle hinunter.Der Drachenzahn am Bug durchschnitt das schäumendeWasser wie ein Speer. Über ihnen mühten die Segel sichredlich und spannten sich. Ragnar war froh, dass sie aus reinemDrachendarm genäht waren. Nichts anderes hätte die reißendenKrallen des Sturms überstanden. Vor ihnen türmte sich einweiterer riesiger Wasserberg auf. Irgendwie schien esunmöglich zu sein, dass das Schiff es überleben konnte, wenndiese Wassermassen über ihm zusammenstürzten.

Ragnar fluchte vor Zorn und Enttäuschung. Es hatte denAnschein, als sei sein kurzes Leben vorbei, bevor es richtigbegonnen hatte. Er würde nicht einmal seine Reife zurMannbarkeit in der nächsten Jahreszeit erleben. Er war nochnicht richtig im Stimmbruch und schon dazu verdammt, imMeer unterzugehen. Er schirmte die Augen ab und starrte inden Sturm in der Hoffnung, das Langschiff seiner Sippe zuerspähen. Es war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich lag esbereits auf dem Meeresgrund. Die Leichen würden Nahrungfür Drachen und Kraken abgeben, während die Seelen denDämonen als Sklaven dienen würden.

Er drehte sich um und warf einen wütenden Blick auf denFremden, der sie in diese Lage gebracht hatte. In dem Wissen,dass er ebenfalls sterben würde, lag einige Befriedigung.Sofern er kein Zauberer oder verkappter Meerdämon war, derausgesandt worden war, den Klan der Donnerfäuste insVerderben zu locken. Wenn er den alten Mann so betrachtete,wie er auf dem vom Wasser überspülten Deck stand, furchtlosund unerschrocken, kam ihm dies nur allzu wahrscheinlich vor.

Dieser knorrige uralte Mann hatte etwas Übernatürliches ansich. Er sah trotz der Furchen, die das Alter in seine Stirngegraben hatte, stark wie ein Krieger in der Blüte seiner Jahreaus und hielt das Gleichgewicht trotz der zahlreichen Spuren

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von Weiß in seinen Haaren besser als viele Seefahrer, die halbso alt wie er waren. Ragnar wusste, dass er ein Zauberer war.Wer außer einem Zauberer würde die Felle jener gewaltigenWölfe um die Schultern und jene sonderbare Metallrüstungtragen, die seinen ganzen Körper umhüllte und so anders alsdie Ledertuniken der Seeleute war? Wer außer einem Zaubererwürde sich mit all diesen absonderlichen Amuletten undTalismanen behängen? Wer außer einem Zauberer konnteseinem Vater und ihrer Sippe so viele kostbare Eisenbarrenanbieten, dass sie die selbstmörderische Fahrt durch dasDrachenmeer in dieser Jahreszeit der Stürme versuchten?

Ragnar sah, dass der Fremde auf etwas zeigte. War dasirgendein Zaubertrick, fragte er sich, oder wirkte der Fremdeeinen Zauber? Ragnar drehte sich um und spürte, wie seinMund vor Angst trocken wurde. Wieder zuckte ein Blitz überden Himmel. Ragnar sah, dass ein riesiger Kopf die Wellenneben dem Schiff durchbrochen hatte, als habe der Fremde ihnbeschworen. Ein Albtraumgesicht voller dolchartiger Zähneragte vor ihnen auf. Der lange Hals spannte sich, und der Kopfsenkte sich auf der Suche nach Beute herab. Es war einMeerdrache und kein Jungtier, ein vollständig ausgewachsenesUngeheuer, so groß wie das Schiff und von der Wut des Sturmsvom Meeresgrund emporgelockt.

Der Donner sprach seine zornigen Worte. Der Tod schlugeine Armlänge neben Ragnar zu. Er spürte den Luftzug derBewegung, als die riesigen Kiefer des Drachen sich um Yorvikschlossen. Große Fänge durchbohrten das harte Leder vonYorviks Rüstung, als sei sie aus Papier. Knochen gaben nach.Blut spritzte. Der schreiende Mann wurde emporgehoben, undseinen rudernden Armen entfiel die Harpune. Ein höhnischesLächeln umspielte Ragnars Lippen. Er hatte schon immergewusst, dass Yorvik ein Feigling war, und jetzt hatte er denBeweis. Er würde sich einen Platz in den kalten HöllenFrostheims suchen. Der Drache biss zu und schluckte, und ein

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Teil Yorviks verschwand in seinem Schlund. Der andere Teilfiel neben Ragnar aufs Deck. Die heraufbrandenden Wellensäuberten ihn von Blut und Galle.

Die Krieger sprangen von ihren Bänken und hoben trotzigihre Äxte und Speere. Ragnar konnte mühelos erkennen, dasssie tief im Herzen froh waren. Hier war ein rascher Tod und einheldenhafter noch dazu: der Kampf gegen ein Ungeheuer ausden Tiefen des Meeres. Vielen musste es so vorkommen, alshabe Russ ihre Gebete erhört und ihnen diese Bestie geschickt,um ihnen einen großartigen Untergang zu gewähren.

Das gewaltige Haupt senkte sich erneut herab. Der Anblickließ mehrere Krieger erstarren. Als sei sie geschickt worden,Feiglinge auszumerzen, schlug die Bestie sie nieder und bisssie mit ihren reißenden Fängen entzwei. Andere Donnerfaust-Krieger benutzten ihre Waffen. Äxte prallten wirkungslos vonden massiven gepanzerten Schuppen ab. Einige wenige Speerebohrten sich ins Fleisch, aber die Kreatur schenkte den Stichenso viel Beachtung wie ein Mensch einem Nadelstich. DerSchmerz stachelte sie lediglich zu größerer Wut an.

Der Drache öffnete das Maul und stieß ein entsetzlichesBellen aus, das sogar das Tosen der Wellen übertönte. Dieschiere Lautstärke lahmte alle Krieger. Sie erstarrten, als seiensie von einem Zauberbann überwältigt worden. Ragnar sah,dass die Bestie sich halb aus dem Wasser erhoben hatte. Ihregewaltige Länge überragte das Boot. Sie brauchte sichlediglich vornüber fallen zu lassen, dann würde ihre gewaltigeKörperfülle das Boot entzwei brechen.

Irgendetwas riss in Ragnar. Seine Wut auf den Sturm, auf dieGötter, auf diese gewaltige Bestie und auf seine feigenKameraden kochte über. Er bückte sich und hob die Harpuneauf, die Yorvik hatte fallen lassen. Ohne sich mit Nachdenkenund Zielen aufzuhalten, damit ihn jene riesigen triefendenKiefer nicht vor Angst erstarren ließen, warf er die Harpune insAuge der Bestie. Es war ein guter Wurf. Die Knochenspitze

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des Speers traf ihr Ziel und bohrte sich bis zum Schaft in dasAuge des Drachen.

Das Ungeheuer schraubte sich noch höher und brüllte vorWut und Schmerzen. Ragnar glaubte, sein Schrei müsse ihntaub werden lassen. Er war jetzt sicher, dass er sterben, dassdas gesamte Schiff von der erzürnten Bestie in Stückegeschlagen würde. Dann hörte er ein anderes Geräusch, einstotterndes Tosen, das vom Heck des Schiffs kam. Er riskierteeinen Blick auf den Fremden und sah, dass er die Quelle desLärms war.

Der Alte hatte irgendeine Ikone aus massivem Eisen auseinem Futteral an seiner Seite gezogen, die er in die Höhe hielt,um damit auf die Bestie zu zeigen. Ein sengender Feuerstrahlzuckte begleitet von jenem tosenden Geräusch aus dem Endedes heiligen Talismans. Ein Blick zurück auf den Drachenzeigte Ragnar, dass überall auf seinem Rumpf riesige klaffendeWunden entstanden - Zeugnis der starken Magie des Fremden.Der Drache riss das Maul auf, um vor Schmerzen zu brüllen,und der Fremde hob seinen Talisman noch höher. Ein Locherschien im Oberkiefer des Drachen, und einen Augenblickspäter explodierte seine Schädeldecke. Die Kreatur kipptehintenüber und verschwand unter den Wellen.

Der Fremde warf den Kopf in den Nacken und lachte. Seinelautstarke Freude übertönte das Tosen des Sturms. Ragnarüberlief ein Schauder abergläubischer Furcht. Zwei gewaltigeEckzähne ragten aus dem Mund des Fremden nach unten. Ertrug Russ' Zeichen! In ihm floss das Blut der Götter.Wahrhaftig, er war ein Zauberer oder sogar noch mehr.

Tief geduckt, sodass er trotz aller Schiffsbewegungenmühelos das Gleichgewicht hielt, drehte Ragnar sich um undwandte sich in Richtung des Steuerruders. Gischt rann ihm wieTränen übers Gesicht. Als er sich über die Lippen leckte,schmeckte er Salz. Auf gleicher Höhe mit dem Fremden schlugeine Welle über dem Schiff zusammen. Er spürte den Druck

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vieler Tonnen von Wasser und schwankte. Die Kraft der Wellehob ihn vom Deck und spülte ihn davon. Im Toben der Wellenkonnte er nicht klar erkennen, wo er sich befand. Er wusstenur, dass er über Bord geschwemmt und ins Verderbengerissen würde.

Er knurrte vor Zorn und bezwang die Furcht. AllemAnschein nach hatte er die Kiefer des Drachen nur überlebt,um von den Meerdämonen geholt zu werden. Dann krampftensich Finger wie Eisenklammern um sein Handgelenk. EnormeKraft kämpfte gegen die Urgewalt des Meeres. Dann war dasWasser verschwunden. Augenblicke später lag Ragnarzappelnd auf dem Deck, von dem Fremden gerettet, der denDrachen gebannt hatte.

»Bleib ruhig, Junge«, sagte der Zauberer. »Es ist nicht meineBestimmung, hier zu sterben. Und deine auch nicht, glaubeich.«

Mit diesen Worten wandte sich der Fremde ab und schrittzum Bug des Schiffs. Dort blieb er stehen und starrte nach vornwie ein uralter Gott. Von Furcht und einer merkwürdigenEhrfurcht erfüllt, ging Ragnar zu der Stelle, wo sein Vaterstand. Als er aufschaute, erblickte er Verständnis in seinenAugen.

»Ich habe es gesehen, mein Sohn«, rief sein Vater. Ragnarwusste, dass keine weitere Erklärung nötig war.

***

Als habe der Tod des Drachen einen bösen Bann gebrochen,beruhigte sich das Meer allmählich. Bereits wenige Stundenspäter war es glatt wie Glas, und vom leisen Klatschen derWellen gegen den Schiffsrumpf abgesehen, war dergleichmäßige Trommelschlag des Rudermeisters das einzigeGeräusch.

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Der Fremde stand immer noch im Bug, als halte er Wachegegen die Dämonen des Meeres. Er suchte den entferntenHorizont ab, indem er die Augen mit einer knorrigen Handabschirmte, da er etwas zu suchen schien, das nur er sehenkonnte. Hoch über ihnen brannte die Sonne hernieder, nichtmehr die kleine blasse Kugel des Winters, sondern ein riesigerfeuriger Ball, der den Himmel mit seinem goldenen Lichterfüllte. Das Auge von Russ war vollständig geöffnet undbegutachtete seine Auserwählten dabei, wie sie die Schreckenvon Fenris' langem, hartem Sommer ertrugen. Das auf Deckverbliebene Wasser verdampfte unter seinem Blick.

Die Krieger waren still. Ehrfurcht war über sie gekommen.Von dem üblichen Gerede und der Prahlerei, wienormalerweise von Leuten zu erwarten war, die solch einfurchtbares Unwetter überlebt hatten, war nichts zu hören.Auch nichts von der damit verbundenen guten Laune und demGesang. Ragnars Vater hatte nicht befohlen, zur Feier desTages das Alefass anzustechen. Eine Ehrfurcht, die anEntsetzen grenzte, schien von der gesamten Besatzung Besitzergriffen zu haben.

Ragnar konnte mühelos verstehen, warum. Sie hattengesehen, wie der Fremde einen Drachen mit der Macht seinerMagie bezwungen hatte. Mit einem Strahl hatte er einenSchrecken der Tiefe vernichtet. Mit seinem Blick hatte er denSturm besänftigt. Gab es nichts, was er nicht vermochte?

Dennoch blieben Fragen offen, dachte Ragnar. Wenn derFremde so mächtig war, warum hatte er dann ihr Schiff mietenmüssen, indem er mit kostbarem Eisen bezahlt und noch mehrversprochen hatte, um zu seinem Ziel zu gelangen? Warumhatte er nicht einfach Magie angewandt? Gewiss hätte er seineMeisterschaft der Runen benutzen können, um ein Luftschiffoder einen geflügelten Wolf zu beschwören und sich an seinenBestimmungsort tragen zu lassen. War diese Reise mitirgendeinem finsteren Hintersinn unternommen worden?

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Ragnar versuchte den Gedanken abzutun. Vielleicht hatte derZauberer sich die Feindschaft der Sturmdämonen zugezogenund konnte nicht fliegen. Vielleicht erstreckte sich seineMeisterschaft nicht auf die Beherrschung der entsprechendenRunen. Woher sollte Ragnar das wissen? Er hatte keinenblassen Schimmer von der Zauberkunst und kannte auchniemanden, der etwas darüber wusste, wenn man vom altenSkalden der Donnerfäuste, Imogrim, absah, und der hatte denFremden mit abergläubischer Scheu angesehen, sich geweigert,etwas über ihn zu sagen, und seinen Leuten lediglichaufgetragen, dem Fremden unbedingten Gehorsam zu leisten.

Ragnar bezweifelte, dass die abergläubische Scheu, die denFremden wie ein Mantel umgab, irgend jemanden dazu bewegthätte, diese Reise zu unternehmen, hätte der Skalde dies nichtnahegelegt. Ihr Bestimmungsort, die Insel der Eisenmeister,wurde von allen seefahrenden Völkern und Sippen außerhalbder Handelssaison im Frühjahr gemieden. Das letzte Frühjahrwar vor über fünfhundert Tagen zu Ende gegangen, und dieHandelssaison war längst vorbei. Wer wusste, wie diegeheimnisvollen Schmiede der Inseln jetzt Fremde begrüßenwürden? Sie blieben meistens für sich und verteidigten ihreBergwerke mit dem kostbaren Eisen so, wie ein Troll seinenHort bewachte.

Dennoch, überlegte Ragnar, wenn der Fremde verlangt hätte,dass sie ihn auch ohne seine ansprechende Bezahlung dorthinbrachten, hätten sie ihm dieses Ansinnen abschlagen können?Ragnar bezweifelte, dass selbst das gesamte Dorf der tapferenDonnerfaust-Krieger der Magie hätte standhalten können, dieder Fremde gewirkt hatte. Ragnar bezweifelte sogar, dass ihreWaffen überhaupt nur die zweite Haut aus Metall durchdringenkonnten, die seinen Körper umgab.

Der alte Mann hatte etwas Faszinierendes an sich, undRagnar sehnte sich danach, mit ihm zu reden und ihm Fragenzu stellen. Der Fremde hatte ihn gerettet und ihn angesprochen,

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und das musste doch etwas zu bedeuten haben. Trotzdem standRagnar wie angewurzelt auf Deck. Die Vorstellung, mit demZauberer zu reden, war furchteinflößender als die Begegnungmit dem Maul des Drachen.

Er blieb noch einen Moment wie erstarrt, dann nahm er seineganze Entschlossenheit zusammen. Sei nicht albern, sagte ersich. Du hast ihm nicht einmal für deine Rettung gedankt.Schweigend trat Ragnar vor. Vorsichtig wie beim Beschleicheneiner wilden Ziege näherte er sich dem Schiffsbug.

»Was gibt es, Junge?«, fragte der Fremde, ohne sichumzudrehen, bevor Ragnar sich ihm auch nur bis auf zehnSchritt genähert hatte. Ragnar erstarrte. Hier war ein weitererBeweis für die Zauberkräfte des Fremden. Ragnar hatte sichleise bewegt. Seine Füße hatten kein Geräusch auf dem Deckverursacht. Bei seinen Leuten galt er als großer Jäger. Doch derFremde wusste, dass er da war, ohne auch nur den Kopf zudrehen. Ragnar war sicher, dass der Fremde das zweite Gesichtbesaß.

»Ich habe dir eine Frage gestellt, Junge«, sagte der Fremde,indem er sich zu Ragnar umdrehte. In seiner Stimme lag keinZorn, nur Autorität. Er klang wie ein Mann, der daran gewöhntwar, dass er seinen Willen bekam. Auch seiner Sprechweisehaftete etwas Merkwürdiges an. Er redete sehr langsam, undsein Akzent war antiquiert. Er erinnerte Ragnar an die Art, wieder Skalde sprach, wenn er die Epen von Russ und demAllvater zitierte. Ragnar hatte den Eindruck, dieser alte Mannmochte direkt aus einer dieser Sagen getreten sein. Er hatteeine Art an sich, wie sie einer der alten Helden besessen habenmochte.

»Ich möchte Euch danken, dass Ihr mir das Leben gerettethabt, Jarl«, sagte Ragnar, indem er die respektvollste Anredebenutzte, die er kannte. Das Gesicht des alten Mannes hatteetwas Seltsames an sich, ging ihm jetzt auf. Es war lang undbarbarisch, die Nase war riesig und hatte gewaltig aufgeblähte

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Flügel. Die ledrige, über den Wangen eingefallene Haut verliehihm ein wölfisches Aussehen. Und was hatten die drei in dieStirn eingelassenen Knöpfe zu bedeuten?, fragte sich Ragnar.Und wie waren sie dorthin gelangt? In seiner Sippe fiel ihmkeine Möglichkeit ein, wie man so etwas erreichen konnte,ohne dass sich die Geister des Wundbrands einnisten würden.

»Deine Zeit zu sterben war noch nicht gekommen«, sagte derZauberer und wandte sich wieder der Betrachtung desHorizonts zu. Wie konnte der Fremde das wissen, staunteRagnar.

»Was sucht Ihr?«, fragte Ragnar, von seiner Kühnheit selbstüberrascht. Der Fremde schwieg eine Weile, und Ragnarfürchtete, er werde nicht antworten. Doch in diesemAugenblick zeigte der Zauberer auf etwas. Ragnar konnteerkennen, dass sein Finger in Metall gehüllt war und dasSonnenlicht reflektierte. Er schaute dorthin, wohin der Fremdezeigte, und hielt den Atem an. Vor ihnen erhoben sichmächtige Gipfel über den Horizont, gewaltige Zinnen ausSpeeren, welche die Wolken durchbohrten. Die Wälle dieserGipfel waren weiß, und etwas wie Eis glitzerte auch auf ihrenHängen, wo sie ins Meer flossen.

»Die Wälle der Götter«, sagte Ragnar und beschrieb dasRunenzeichen von Russ über der Brust.

»Die Gipfel Asaheims«, murmelte der Fremde leise undlächelte dann, so dass seine gewaltigen Fänge enthüllt wurden.»Ich muss in deinem Alter gewesen sein, als ich sie zum erstenMal gesehen habe, Junge, und das liegt gute dreihundert Jahrezurück.«

Ragnar starrte ihn mit offenem Mund an. Der Fremde hattezugegeben, ein übernatürliches Wesen zu sein. Niemand aufFenris, nicht einmal der älteste Graubart, lebte länger alsfünfunddreißig Jahre.

»Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit habe, sie noch einmal

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zu sehen«, sagte der Fremde und klang dabei ganz so wie einerder alten Männer des Dorfs, bevor er ging, um seinTotengedicht zu skandieren. Der Fremde schüttelte den Kopfund grinste mit jenen beunruhigenden Fängen auf Ragnarherab. »Ich muss langsam senil werden, dass ich so vor michhin plappere«, sagte er.

Ragnar erwiderte nichts, sondern sah ihn nur an, ihn unddann die weit entfernten Berge.

»Lauf zurück und sag deinem Vater, er soll den Kurs ändern.Haltet nach Steuerbord und folgt der Küste. Desto eher werdenwir unser Ziel erreichen.«

Er sagte es mit der Kraft einer Prophezeiung, und Ragnarglaubte ihm.

***

Die nächsten zwei Tage segelten sie die Küste Asaheimsentlang. Zwei Tage ruhiger See und kalten Windes sowie einerStille, die nur vom Krachen gewaltiger Eisbrockendurchbrochen wurde, welche von den Bergen fielen und aufsoffene Meer trieben.

Dies war in der Tat Asaheim, der Ort weit im Norden, wodie großen Eisberge entstanden, das gefrorene Land, aus demdie eisigen schwimmenden Berge stammten. Am Himmelkreisten mächtige Seeadler, und hin und wieder sichteten dieMänner die Wasserfontänen großer Orca-Herden, wenn sie ausdem kalten, sauberen Nass auftauchten, um Luft zu holen. Siepassierten die Einmündungen großer Fjorde, Orte vonerstaunlicher Schönheit, und manchmal sahen sie dieSteindörfer des Gletschervolks hoch oben auf ihren Hängenthronen. Dann ruderten sie schneller, denn die Fjordbewohnerwaren grimmig, manche sagten, trollblütig, und verspeistenangeblich ihre Gefangenen, anstatt sie in Knechtschaft zu

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nehmen. Solch ein Schicksal ließ selbst die Klauen derMeerdämonen verführerisch erscheinen.

In der ganzen Zeit, in der sie die Küste entlangsegelten,verließ der Fremde kein einziges Mal seinen Posten im Bug desSchiffs. Bei Sonnenuntergang stand er in das Licht der letztenStrahlen des Auges von Russ gehüllt da. Im Morgengrauen,wenn die Tagwache aufstand, stand er immer noch da. Ragnarredete mit der Nachtwache und war nicht im Geringstenüberrascht, dass der Fremde nicht geschlafen hatte. Wenn erMüdigkeit verspürte, ließ der Fremde es sich jedenfalls nichtanmerken. Seine Augen blieben so klar und strahlend, wie siees am Tag des Kampfes mit dem Drachen gewesen waren.Ragnar hatte keine Ahnung, warum er dort stand undbeobachtete, er war nur froh, dass der alte Mann es tat. Er hattedas Gefühl, dass ihnen nichts Böses zustoßen konnte, solangeder Zauberer Wache hielt.

Dann fiel das Land hinter ihnen zurück, und sie warenwieder auf dem offenen Meer. Das Wetter blieb freundlich. DerFremde schnupperte im Wind und verkündete, das Meer werderuhig bleiben, bis sie ihren Bestimmungsort erreichten. Alshabe es Angst, ihm nicht zu gehorchen, fügte sich das Meer.

Nach zwei Tagen auf hoher See sahen sie Rauch voraus undFeuer, die den Nachthimmel erhellten. Die Männer beteten inabergläubischer Scheu zu Russ, befürchteten aber, er werde sienicht erhören. Sie wussten, dass sie ein Gebiet erreicht hatten,das den Feuerriesen heilig war, und hier hatten Russ und derAllvater nur geringes Gewicht.

Am nächsten Tag, als sie sich den Inseln näherten, erkannteRagnar, dass sie in Flammen standen. Ihre Spitzen brannten.Der geschmolzene rötliche Speichel der Feuerriesen rann anihren schwarzen Flanken herunter und zischte und dampfte,wenn er ins Wasser glitt. Das Gebrüll der gefangenen Riesenließ sie erzittern.

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Voller Beklommenheit näherte Ragnar sich wieder einmaldem Zauberer. Es beruhigte ihn zu sehen, dass der Alte keineSpur von Furcht erkennen ließ, lediglich ein stilles Vergnügenund eine gewisse Traurigkeit wie bei einem Mann, der eineReise genossen hat und sich nicht auf ihr Ende freut.

»Es heißt, Ghorghe und Sla Nahesh seien in diesen Inselngefangen«, sagte Ragnar, indem er etwas wiederholte, das derSkalde nach dem Frühjahrshandel gesagt hatte. Trotz seinerFurcht war er aufgeregt. Noch nie zuvor war er mit seinemVater so weit gesegelt. »Es heißt, Russ habe sie dorteingesperrt, als die Welt noch jung war.«

»Das sind böse Namen, Junge«, sagte der Zauberer. »Dusolltest sie nicht erwähnen.«

»Warum nicht?«, fragte Ragnar, zur Abwechslung einmalnicht von dem Fremden eingeschüchtert. Seine Neugierüberwand seine Ehrfurcht. Der Fremde betrachtete ihn undlächelte. Die Frage schien ihn nicht zu verstimmen.

»Das sind die Namen von großen Übeln, die an einemMillionen Meilen entfernten Ort und vor vielen Millenniengeboren wurden. Russ hat sie nicht eingesperrt.

Niemand konnte es. Nicht einmal der Kaiser - der Allvaterpersönlich - in den Tagen seiner Herrlichkeit.«

Ragnar war nicht überrascht, von ihrem großen Alter zuerfahren. Schließlich hatte Russ in grauer Vorzeit gegen siegekämpft, bevor er sein Volk aus Asaheim verbannt hatte. Erwar jedoch überrascht zu erfahren, dass sie Millionen Meilenentfernt geboren waren. Das war eine Entfernung, die er sichnicht vorstellen konnte.

»Ich dachte, sie seien die Kinder der Drachengöttin Skrinneiraus ihrer Ehe mit dem dunklen Gott Horus.«

»Und das ist noch ein Name, den du nicht aussprechensolltest, Junge. Denn du hast keine Ahnung von seiner wahrenBedeutung.«

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»Werdet Ihr mir seine Bedeutung verraten?«»Nein, Junge, das werde ich nicht. Wenn es deine

Bestimmung ist, solche Dinge zu wissen, wirst du sie noch frühgenug erfahren.«

»Und wie werde ich sie erfahren?«»Indem du stirbst, Junge, und wiedergeboren wirst.«»Seid Ihr so zu Eurer großen Weisheit gelangt?«, fragte

Ragnar, über die Antwort des Fremden verärgert und vomSarkasmus seines Tonfalls verblüfft. Zu seiner Überraschunglachte der Fremde nur.

»Du hast Mumm, Junge, und außerdem ganz Recht.« Erwandte sich von Ragnar ab und starrte auf das Meer. Vor ihnenerhoben sich dunkle Wolken, und das Meer war ölig schwarzgefleckt. Im Westen erbebte der Berg, und eine riesigeFeuersäule erhob sich aus seiner Spitze.

»Der Feuerberg ist heute zornig«, sagte der Zauberer. »Dasist ein schlechtes Zeichen.«

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2

DER EISENTEMPEL

»Bei Russ, hast du so etwas schon mal gesehen?«, fragte Ullimit ehrfürchtiger Stimme. Ragnar schaute seinen Wolfbruderan und schüttelte den Kopf. Er musste gestehen, dass dies nichtder Fall war.

Der Hafen war riesig und fremdartig, eine ausgedehnte Kluftin den schwarzen Klippen, die zu einem großen, von einemschwarzen Ufer gesäumten See führte. Die Anlage war soausgedehnt, dass tausend Drachenschiffe gleichzeitig hättenanlegen können, ohne den Hafen wirklich auszufüllen, undRagnar wusste, dass dies in der Handelssaison durchausvorkam. Dann kamen von allen Küsten des riesigen OzeansLeute, um Axtköpfe, Speerspitzen und alle möglichenMetallwaren zu erstehen.

Es war nicht die schiere Größe des Hafens, die RagnarsAufmerksamkeit so vollkommen fesselte. Vielmehr waren esdie umliegenden Gebäude. Das kleinste von ihnen war doppeltso groß wie das große Langhaus daheim, das größte Bauwerk,welches Ragnar bis zu diesem Augenblick in seinem ganzenLeben gesehen hatte. Noch viel bemerkenswerter war dieTatsache, dass alle Gebäude aus Stein gefertigt waren.

Stein, dachte Ragnar und schauderte. Das war fastunvorstellbar. Was, wenn eines der gewaltigen Erdbeben sieeinstürzen ließ? Würden dann nicht alle Leute in den Gebäudenvon den Steinlawinen zu blutigem Brei zerquetscht? Diesegewaltigen, rußgeschwärzten Bauwerke waren Todesfallen.Jeder wusste, dass die einzig vernünftige Art, ein Haus zubauen, dieselbe war wie die, ein Drachenschiff zu bauen - ausDrachenhautleder als Bespannung für ein Gerüst ausDrachenknochen. Für heilige Bauwerke konnte man auch inErwägung ziehen, kostbares Holz zu verwenden, obwohl es

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verbrennen mochte, falls bei einem Beben eine Öllampeumfiel. Ragnar hatte so etwas schon erlebt. Jeder hatte das.Fenris' Inseln waren gefährdet und waren es schon gewesen,bevor Russ sein auserwähltes Volk hierher geführt hatte.

Es war Wahnsinn, aus Stein zu bauen, aber diese Leutehatten es getan. Und nicht einfach, indem Stein auf Steingetürmt worden war, wie man einen Schutzwall errichtete.Nein, diese Häuser bestanden aus gewaltigen behauenenSteinblöcken, die man zu perfekten Quadern gemeißelt unddann in einem verschachtelten Muster angeordnet hatte. Undden schwärzlichen Moosen an den Seiten und den dickenRußschichten nach zu urteilen, welche die Mauern überzogen,waren die Häuser uralt. Sie sahen auch alt aus und verwittert,wie die ältesten Runensteine im großen Ring auf demDonnerberg. Der Skalde behauptete, sie seien schon seitAnbeginn der Zeit dort.

Es gab nicht nur ein großes Gebäude, sondern Hundertedavon, manche so groß wie Hügel. Aus einigen Dächern ragtenmächtige Schlote, aus denen schwarzer Rauch quoll und hinund wieder gigantische Flammenzungen in die Höhe schossen.

»Sie haben die Feuerelementare gezähmt«, sagte Ulli. »Dassind große Zauberer.«

Es sah ganz gewiss danach aus, dachte Ragnar. Diese Leutefürchteten sich sicher nicht vor dem Feuer. Sie mussten in derTat mächtige Zauberer sein, wenn sie sich weder vor demBeben der Erde noch vor der Bedrohung des Feuers fürchteten.Und wie hatten sie diese riesigen Hallen errichtet? Hatten sieMagie benutzt, um die Steine an Ort und Stelle zu fügen? Oderhatten sie ihre gefangenen Dämonensklaven die ganze Arbeitverrichten lassen? Die hier am Werk befindliche Macht unddas offenkundige Geschick waren ehrfurchtgebietend.

Dennoch war Ragnar nicht sicher, ob es ihm gefallen hätte,hier zu leben. Die Luft roch schlecht und stechend, und es

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schien ein ähnlicher Gestank vorzuherrschen, wie er daheimvon den Gerbereien ausging, nur vielfach verstärkt undtausendmal schlimmer. Rußschwaden trieben durch die Luftwie schwarze Schneeflocken und ließen sich auf Haar undKleidung nieder. Das Wasser hatte eine sonderbare Farbe undsah an einigen Stellen schwarz und zähflüssig aus, an anderenrot oder grün, von Abwässern verfärbt, welche von denschwarzen Rohren ausgespien wurden, die sich bis zum Hafenzogen.

»Bei Russ' Knochen«, hauchte Ulli. »Sieh dir das an!«Ragnar schaute in die Richtung, in die Ulli deutete, und sah

das Erstaunlichste von allem. Es war ein Turm vollständig ausEisen, einem der kostbarsten Metalle überhaupt. Er erhob sichgleich am Rande des Wassers. Als er das Bauwerk genauerbetrachtete, erkannte Ragnar, dass es sich um eine seltsameKonstruktion handelte. Der Turm war nicht solide. Er bestandaus einem Gitterwerk aus Metallstreben, wie das Skelett, umdas man ein Langhaus baute. Mit dem Unterschied, dass diesesGitterwerk nicht mit Drachenhaut bespannt war. Der Rahmenwar der Luft und den Elementen ausgesetzt, und man konntedie komplizierte Maschinerie darin sehen.

Es gab riesige Zahnräder und große Metallarme, die sich ineiner regelmäßigen, rhythmischen Bewegung wie das Schlageneines großen Herzens hoben und senkten. Ein schwarzes Zeug,flüssig und schleimig, quoll aus Rohren in der Turmspitze unddurch lange Leitungen herab, um an der Basis des Turms inHolzbottichen aufgefangen zu werden. Kleine Gestalten liefenumher, die ständig die Bottiche verschoben und mit Eimernleerten. Es war das seltsamste, beeindruckendste undverwirrendste Bauwerk zugleich, das Ragnar je gesehen hatte.

»Warum fürchten diese Leute die Beben nicht?«, fragte erUlli, mehr um seiner Neugier Ausdruck zu verleihen, denn inErwartung einer Antwort.

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»Weil sie sie nicht zu fürchten brauchen, Junge«, sagte dieStimme des Zauberers. »Diese Inseln wurden seitJahrhunderten nicht erschüttert, und so wird es noch vieleweitere sein.«

Ragnars Gedanken überschlugen sich. Die Vorstellung warungeheuerlich. Ein Land, das nicht ständig zitterte und bebtewie ein angeleintes Tier. Ein Ort, an dem keine Gefahr bestand,dass die Erde sich öffnete und einen verschlang. Ein sichererZufluchtsort vor der größten und am weitesten verbreitetenKatastrophe von allen, welche Russ' Volk heimsuchten.Konnten die Bewohner dieser Inseln wirklich derart gesegnetsein? Ragnar kam ein weiterer Gedanke, der jedemAngehörigen seines Kriegervolks gekommen wäre.

»Warum hat dann noch niemand die Inseln erobert? DieKlans würden für so einen sicheren Zufluchtsort töten. Wiehaben diese Leute so lange überlebt, ohne überwältigt zuwerden?«

»Das wirst du schon sehr bald sehen, Junge. Sehr bald.« DerFremde schüttelte den Kopf und schien zu versuchen, seineBelustigung zu bezähmen.

***

»Nennt euer Begehren, Fremde, oder bereitet euch daraufvor zu sterben!« Die Stimme des Insulaners war harsch undguttural, und in jedem Wort lag eine offenkundige Drohung.Sie wurde durch einen Metalltrichter in seiner Hand verstärkt,der sie noch kategorischer klingen ließ.

Ragnar starrte staunend auf das Schiff, das auf sie zukam.Plötzlich fürchtete er sich sehr. Hier war wahrhaftig einZeugnis großer Zauberei zu bestaunen. Das Schiff hatte keineSegel und war aus Metall. Wie kam es, dass es nicht sank wieein Stein? Und was trieb es an? Geknechtete Feuerelementare?

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Vielleicht quoll deshalb Rauch aus dem Schornstein im Heckdes Schiffs. Das kam ihm wie eine Beleidigung derMeerdämonen vor, funktionierte aber ganz offensichtlich.Vielleicht war irgendein absonderlicher Pakt geschlossenworden ...

Bevor Ragnars Vater antworten konnte, schwang sich derZauberer auf den Bug und streckte grüßend einen Arm aus.»Ich bin's, Ranek Eiswanderer. Sie haben mich auf meinErsuchen hergebracht. Ich wünsche eine Unterredung mit demEisenmeister.«

Diese Ankündigung hatte hektische Aktivität auf den Decksdes Metallschiffs zur Folge. Mehrere Gestalten kauerten sichzur Beratung zusammen, bevor der Sprecher wieder seinenVerstärkertrichter hob. »Es heißt, Ranek sei tot. Bist du einMeergeist, der sich aus dem Wasser erhoben hat?«

Diese Frage sandte einen Schauder des Entsetzens über dieDecks der Speer von Russ. Die Männer rutschten unbehaglichauf ihren Ruderbänken herum. Das dröhnende Gelächter derZauberers hallte über das Wasser. »Sehe ich wie ein Geist aus?Klinge ich wie ein Geist? Werden sich meine Stiefel wie dieeines Geists anfühlen, wenn ich euch für eure Unverschämtheitin den Hintern trete?«

Vom Deck des anderen Schiffs antwortete ihnen Gelächter.»Dann komm an Land, Wolfpriester, und sei hier willkommen.Bring deine Begleiter mit, dann werden wir feiern.«

Das seltsame Schiff vollführte ein Manöver, das Ragnarübernatürlich vorkam. Ohne zu wenden, änderte es dieFahrtrichtung und fuhr rückwärts zur Küste zurück, so dass esdas Drachenschiff die ganze Zeit im Blick hatte. DerTrommelschlag des Rudermeisters ließ die Speer von Russwieder zum Leben erwachen, sie sich auf den Weg zurAnlegestelle machte.

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***

Ragnar folgte dem Wolfpriester, wenn dies denn sein Titelwar, durch die Straßen, ohne wirklich zu wissen, warum er diestat, aber er war entschlossen, ihn zu begleiten und Fragen zustellen, denn er konnte nicht wissen, ob sich ihm in seinemLeben je wieder so eine Gelegenheit bieten würde. Die übrigenBesatzungsmitglieder warteten in einer Hafentaverne oderwanderten durch die Straßen. Ragnar war mit dem Zaubererallein.

Ragnar ging durch Straßen, die mit Steinen gepflastertwaren, durch einen Irrgarten aus verrußten Häusern und engenGassen. Es roch nach Rauch und stechenden alchemistischenAusdünstungen. Die Leute waren fremd und neu für ihn undredeten in einem Dialekt, den er nicht verstand. Viele kamenihm klein, bucklig und hager vor. Sie trugen Tuniken undHosen in grauen und braunen Farben und keine Waffen. Siesammelten Reste und Abfälle von den Straßen und eilten mitLasten beladen oder auf Botengängen dahin. Sogar hier, aufdiesen durch das Metall reichen Inseln, gab es Armut.

Die wenigen Herrscher der Insel waren überaus wohlhabend.Sie trugen eine Metallrüstung und Stahlklingen in Scheiden ausDrachenhautleder. Es waren hochgewachsene, gutgebauteMänner mit dunkler Haut und braunen Augen. Sie nickten ihmmit distanzierter Höflichkeit zu, wenn er vorbeiging, und erreagierte entsprechend.

»Warum folgst du mir, Junge?«, fragte der Wolfpriester.»Weil ich Euch Fragen stellen will.« Der alte Mann

schüttelte den Kopf, aber er lächelte und enthüllte dabei seinefurchterregenden Fänge.

»Es sind immer Fragen, Fragen in deinem Alter, nicht wahr?Dann frag.«

»Warum seid Ihr hergekommen? Oder vielmehr, warum habt

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Ihr uns dafür bezahlt, Euch herzubringen? Hättet Ihr nichtstattdessen Eure Magie benutzen können?«

»Ich verfüge nicht über Magie, Junge. Nicht so, wie du esmeinst.«

»Aber Euer Talisman ... wie Ihr den Drachen getötet habt ...«»Das war keine Magie. Der >Talisman< war eine Waffe, wie

eine Axt oder ein Speer, nur komplizierter.«»Eine Waffe?«»Gewiss.«»Dann seid Ihr kein Zauberer?«»Russ behüte, nein! Ich kenne einige, die du als Zauberer

bezeichnen würdest, Junge, und ich würde nicht für alles Eisenauf diesen Inseln mit ihnen tauschen wollen.«

»Warum nicht?«»Sie tragen eine furchtbare Bürde.«Ragnar schwieg. Es schien auf der Hand zu liegen, dass der

alte Mann nicht mehr preisgeben wollte. Ragnar war sicher,dass Raneks eiserner Talisman mächtige Magie enthielt,mochte der Wolfpriester sagen, was er wollte. Sie marschiertenweiter durch die Straßen und an geöffneten Läden vorbei. Alser einen eingehenderen Blick in diese Läden warf, sah er, dasses sich um Werkstätten mit Schmiedeöfen handelte. DieSchatten wurden vom Schein rotglühenden Metalls aufgehellt.Er konnte das Klirren von Hammer auf Amboss hören, das ihmverriet, dass in diesen Werkstätten die Waren der Eisenmeistergefertigt wurden.

»Ihr habt meine erste Frage nicht beantwortet«, sagteRagnar, selbst über seine Kühnheit erstaunt.

»Ich weiß nicht, ob ich sie auf eine Weise beantworten kann,die du verstehen würdest - oder ob ich sie überhauptbeantworten soll.«

»Warum nicht?«

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Das dröhnende Lachen des alten Mannes hallte durch dieGassen. Ragnar sah, wie alle sich zu ihnen umdrehten, umdann das Zeichen des Hammers zu beschreiben und raschwegzuschauen.

»Du lässt dich nicht leicht entmutigen, nicht wahr, Junge?«»Nein.«»Warum auch? Ich hatte einen Auftrag. Es gab einen Unfall.

Mein Gefährt wurde zerstört. Ich musste hierher zurück undVerbindung mit meinen ... Brüdern aufnehmen. Um eine sogroße Entfernung möglichst schnell zu überwinden, brauchteich das Schiff deines Vaters, und für seine Hilfe wird erbelohnt.«

»Was war das für ein Auftrag?«»Das kann ich dir nicht sagen«, erwiderte Ranek in einem

Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.»War es für die Götter?«»Es war für meine Götter.«»Sind nicht alle Götter gleich? Jeder auf den Inseln verehrt

Russ und den Allvater.«»Ich auch, aber anders als ihr.«»Wie kann das sein?«»Eines Tages findest du das vielleicht heraus, Junge.«»Aber nicht heute?«»Nein. Nicht heute.«Sie betraten einen großen Platz auf dem Hügel. Er war von

gewaltigen Häusern umgeben. Ein jedes war so breit, dass siegeduckt wirkten, obwohl sie die Größe eines Mannes um dasZehnfache übertrafen. Die Mauern waren auf seltsame Artverziert. In die gewaltigen Steinblöcke waren ineinandergreifende Zahnräder gemeißelt. Metallrohre zogen sich durchdas Mauerwerk wie Ansammlungen riesiger Würmer, die an

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einer Stelle aus der Erde ragten und an anderer wieder darineintauchten. Ruß schwärzte die Mauern, und aus den Rohrenwaren einst Abwässer gesickert und hatten große Flecken inder Farbe von Rost auf den Mauern hinterlassen. Von drinnenertönte der Lärm monströser Maschinen, ein Klirren undRattern, als hämmerten Riesen auf gewaltige Ambosse. DerGeruch nach Rauch und heißem Metall drang scharf in RagnarsNase. Er fragte sich, ob er der Einzige in dem ganzenBienenstock war, dem Lärm und Gestank etwas ausmachten.

Sie schritten über den Platz zum größten der Gebäude.»Dies ist der Eisentempel«, sagte Ranek der Wolfpriester

leise. »Und hier trennen sich unsere Wege einstweilen.«Ragnar schaute an dem großen Haus empor. Es war eine

gedrungene Festung, aber es stellte alle Gebäude ringsumher inden Schatten. Schießscharten funkelten in seinen Mauern wiedie Augen einer hungrigen Bestie. Hoch oben auf demGebäude war eine große Metallblume so groß wie einDrachenschiff. Ragnar konnte ihre Bedeutung nicht einmalerahnen.

Große metallbeschlagene Türen versperrten am Beginn derRampe den Weg. Die Glätte und die Vertiefungen verrietenRagnar, dass in Hunderten von Jahren viele Füße diesen Wegbeschritten hatten. Seltsame Runen, ganz anders als alle, dieRagnar je gesehen hatte, prangten über dem Türbogen. ZweiPosten, bewaffnet mit Harpunen mit Metallspitzen, bewachtenden Weg. Die Männer sahen aus, als seien sie aus Metall. Eineeiserne Rüstung umschloss sie wie eine zweite Haut.Metallhelme schützten ihren Kopf. Schilde aus Stahl, die mitdenselben Runen wie über dem Eingang gezeichnet waren,hingen an ihrem linken Arm.

»Sind die hier Eure Sippe?«, fragte er Ranek. Der Kopf desalten Mannes fuhr rasch zu ihm herum und betrachtete ihn. Diescharfen Augen bohrten sich in seine. So nah bei ihm ging

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Ragnar auf, wie groß der Wolfpriester war. Er selbst galt unterseinen Leuten als hochgewachsen und gutgebaut, aberverglichen mit diesem alten Mann hatte er nur die Größe einesKindes. Ranek überragte ihn um Kopf und Schultern und wäreauch ohne seine merkwürdige Rüstung weitaus stämmigergewesen.

»Nein, Junge, die Eisenmeister sind eine eigene Sippe. Aufallen Inseln des Großen Ozeans gibt es keine wie sie. Sie sindein eigenes Volk.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Ragnar. »Wo sie doch alldieses Metall haben und diese Magie ... Warum haben sie nichtversucht, die Herrschaft über die ganze Welt zu erringen? Siekönnten sie doch gewiss erringen, oder nicht?«

»Die Eisenmeister streben ausschließlich nach der Herrschaftüber Metall und Feuer. Eroberungen sind nicht ihre Art. Siekämpfen nur, um sich zu verteidigen. Das ist Bestandteil desAlten Pakts.«

»Des Alten Pakts?«»Genug Fragen, Junge. Ich muss gehen.«»Ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen, Jarl«,

sagte Ragnar ernst. Der alte Mann drehte sich um undbetrachtete ihn. Der Ausdruck in seinen Augen war seltsam.

»Ich mag dich, Junge, also gebe ich dir einen guten Rat.Bete, dass wir uns nie wiedersehen. Denn wenn wir es tun,wird es ein Tag des Verhängnisses für dich sein.«

Etwas im Tonfall des alten Mannes traf Ragnar bis ins Mark.Die Worte waren mit der Eindringlichkeit einer Prophezeiunggeäußert worden. »Wie meint Ihr das? Würdet Ihr mich töten?«

»Du wirst es erfahren, falls es je dazu kommen sollte«, sagteRanek, dann wandte er sich ab und ging weiter.

Ragnar beobachtete den alten Mann bei seinem Marsch dieRampe empor. Die großen Türen schwangen lautlos auf. Ranek

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wurde von einer gebückten Gestalt gegrüßt, die ganz inSchwarz gewandet und deren Gesicht hinter einer Metallmaskeverborgen war. Ragnar sah den Wolfpriester in die Düsternisdes Hauses treten und stand noch lange Minuten sinnend da.

Nach einer Weile hörte er ein summendes Knirschen. Diegroße Blume auf dem Dach des Gebäudes hatte angefangen,sich zu bewegen und sich zum entfernten Asaheimwegzudrehen. Während er staunend zusah, entfalteten sich ihremetallenen Blütenblätter. In ihrer Mitte pulsierten unheimlicheLichter. Ragnar wusste nicht, was diese Magie zu bedeutenhatte, aber er war sicher, dass sie etwas mit dem alten Zaubererzu tun hatte.

Auf dem großen Platz sich selbst überlassen, wurde Ragnarvon Furcht übermannt. Er wandte sich um und eilte zurückzum Hafen.

***

Der Trommelschlag hallte laut in Ragnars Ohren, als dieSpeer von Russ das dunkle Wasser des Hafens der Eisenmeisterverließ und ins offene Meer lief.

Er atmete die saubere, frische Luft tief ein und lächelte, froh,die stinkende und schmutzige Stadt hinter sich gelassen zuhaben. Die Insulaner mochten reich sein, aber sie lebten aufeine Art, die ihm ungesünder vorkam als diejenige derniedrigsten aller Knechte und Leibeigenen.

Im Heck des Drachenschiffs lagerte eine Fracht aus eisernenAxtschneiden und Speerspitzen, die in Drachendärme gehülltwaren, um sie vor der zersetzenden Wirkung des Meeres zuschützen. Sie bedeuteten großen Wohlstand für denDonnerfaust-Klan, und Ragnar war stolz, an der Fahrtteilgenommen zu haben, die ihn errungen hatte. Aber dieserWohlstand hatte auch etwas Beunruhigendes an sich. Er

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misstraute glücklichen Fügungen und glaubte dem altenSprichwort, dass die Götter die Menschen für ihre Geschenkebezahlen ließen. Keiner der anderen an Bord schien seineBesorgnis zu teilen. Sie sangen fröhliche Trinklieder, da sieerleichtert waren, den Hafen zu verlassen und den Wolfpriesternicht mehr an Bord zu haben. So sehr sie ihn auch geachtet undso viel Ehrfurcht sie ihm auch entgegengebracht hatten, seineAnwesenheit hatte ihre Lebensfreude gedämpft. Jetzt scherztensie und erzählten Geschichten über die Ereignisse der Fahrt.Sie aßen freudig ihre gesalzenen Dörrfleischstreifen undtranken ebenso freudig Krüge mit Ale. Gelächter hallte überdas Deck und weckte gleichermaßen Freude in RagnarsHerzen.

Plötzlich gab es einen Knall wie ein Donnerschlag. Ragnarschaute voller Furcht empor. Nicht eine dunkle Wolke war amHimmel, und nichts deutete auf ein nahendes Unwetter hin. Esgab nicht den geringsten Grund für das Geräusch. Seinescharfen Augen suchten den Horizont nach einer Ursache ab.Überall ringsumher verstummte das Gelächter, undSchutzgebete wurden an Russ gerichtet.

Da! In der Ferne aus der Richtung Asaheims sah er etwaskommen. Es war kaum mehr als ein schwarzer Punkt, der einenweißen Schweif hinter sich herzog wie ein Meteor amNachthimmel, nur dass heller Tag und der Schweif eine weißeLinie auf dem Hellblau des Himmels war. Er beobachtete, wieder schwarze Punkt in ihre Richtung umschwenkte, um dannmit unfassbarer Schnelligkeit zu wachsen.

Die Verwünschungen und Gebete wurden lauter, und dieMänner griffen nach ihren Waffen. Ragnar hielt den Blick festauf den Punkt gerichtet und fragte sich, worum es sich dabeihandeln mochte. Er konnte jetzt erkennen, dass das Ding zweiFlügel hatte wie ein Vogel, die sich aber nicht bewegten. Wasfür ein Ungeheuer war es? Ein Drache? Ein Lindwurm?Irgendein Dämon, beschworen durch mörderische Magie?

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Nein, es schien kein lebendiges Wesen zu sein. Als es näherkam, konnte er erkennen, dass es Ähnlichkeit mit einem dereisernen Schiffe im Hafen hatte. Seine Gedanken überschlugensich. Wie es unmöglich erschien, dass so etwas schwimmenkonnte, so musste es diesem Ding ganz gewiss unmöglich seinzu fliegen. Und doch tat es das ganz offensichtlich. Es bliebihm gar nichts anderes übrig, als seinen Augen zu trauen.

Es wurde langsamer, je näher es kam, und verlor etwas vonder entsetzlichen Geschwindigkeit, mit der es schneller als alleVögel über den Himmel gejagt war. Das laute Donnerhallenwar einem heulenden Tosen gewichen, als schrien tausendverlorene Seelen in äußerster Qual.

Das Ding flog niedrig und wühlte das Meer unter ihm aufund peitschte die Wellen schaumig. Es schien jetzt direkt aufsie zuzufliegen, und Ragnar fragte sich, ob sie sich durchirgendeine Tat den Zorn der Götter zugezogen hatten.Vielleicht war diese schreckliche Erscheinung geschicktworden, um sie zu vernichten.

Es flog dicht über sie hinweg. Als er es von untenbetrachtete, konnte Ragnar erkennen, dass es sich um irgendeinVehikel aus Metall handelte, um eine Kreuzgestalt mit Flügeln,auf deren Seiten und Flügeln ein Adler gemalt war. EinenMoment lang glaubte er, vorn Fenster und dahintermenschliche Gesichter gesehen zu haben, aber er tat diesenEindruck als vorübergehende Verwirrung ab. Er folgte demDing mit seinem Blick und sah Flammen aus dem Heckzüngeln wie der Atem eines Drachen. Es heulte in die Ferneund zur Insel der Eisenmeister, wo es innehielt. LangeFlammenstrahlen schossen nach vorn. Einen Augenblickschwebte es über dem Eisentempel, und Ragnar sah atemloszu, da er nicht wusste, was er zu erwarten hatte. Halb fragte ersich, ob das Ding die Stadt mit seinen Flammen vernichtenwürde, und halb glaubte er, dass er jeden Augenblick Zeugeeiner absonderlichen und entsetzlichen Magie würde.

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Nichts dergleichen geschah. Das Vehikel ließ sich langsamauf dem Dach des Eisentempels nieder. Alle sahen schweigendzu und fragten sich, was als Nächstes geschehen würde. Ragnarhörte sein Herz laut in der Brust schlagen.

Fünf Minuten später erhob sich der metallene Vogel wiederin den Himmel und schoss in die Richtung zurück, aus der ergekommen war. Als das Ding über ihnen war, wackelte es wiezum Gruß mit den Flügeln. Plötzlich wusste Ragnar irgendwie,dass Ranek der Wolfpriester ein neues Transportmittelgefunden hatte, das ihn überallhin bringen würde, wohin erauch wollte.

Danach waren alle an Bord der Speer von Russ noch fürStunden still.

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3

DAS FEST DES ÜBERGANGS

Ragnar lächelte nervös. Das war albern, sagte er sich. Er warjetzt ein Mann. Er hatte den Geistern der Vorfahren auf demRunenaltar seinen Treueeid geschworen. Er hatte seine eigeneAxt und seinen Schild aus Drachenhautleder, der über einenRahmen aus Knochen gespannt war. Er hatte sogar damitbegonnen, sich sein schwarzes Haar lang wachsen zu lassen,wie es sich für einen Wolfbruder ziemte. Er war jetzt einMann. Er durfte keine Angst davor haben, ein Mädchen zumTanz aufzufordern.

Und doch musste er zugeben, dass genau dies der Fall war.Schlimmer noch, er hatte keine Ahnung, warum. Das Mädchen,Ana, schien ihn zu mögen. Jedes Mal, wenn er sie sah, lächeltesie ihm ermutigend zu. Und natürlich kannten sie sich schon,seit sie Kinder waren. Er konnte nicht den Finger darauf legen,was genau sich zwischen ihnen verändert hatte, aber er wusste,dass irgendetwas anders geworden war. Seit seiner Rückkehrvon der Insel der Eisenmeister vor all diesen Monden waretwas anders.

Er betrachtete seine Kameraden, die Wolfbrüder, mit denener Bluteide geleistet hatte, und es war schwer, nicht zu lachen.Sie sahen wie Jungen aus, die sich für Männer ausgaben. Siehatten noch den Flaum der Jugend auf den Lippen. Sie gabensich alle Mühe, den schaukelnden Gang erwachsener Kriegernachzuahmen, und doch schien es irgendwie nicht richtig zusein. Sie sahen aus wie Kinder, die Krieger spielten, nicht so,als seien sie selbst Krieger. Und doch war dies nicht der Fall.Sie alle waren zur See gefahren. Sie alle hatten schon beiSturm an den Rudern gezogen und bei der Jagd auf Drachenund Orcas geholfen. Sie alle hatten ihren Anteil an der Beuteerhalten. Einen kleinen Anteil, zugegeben, aber eben doch

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einen Anteil. Nach den Bräuchen ihres Stammes waren sieMänner.

Ragnar sah sich um. Es war ein Spätherbstnachmittag, unddas Wetter war herrlich. Es war der Tag des Erinnerns, dererste Tag der letzten Hundert-Tage-Periode des Jahres, derBeginn der kurzen Herbstsaison, in der für allzu kurze Zeit dasWetter gut und die Welt friedlich sein würde. Das Auge vonRuss wurde kleiner am Himmel. Die Zeit der Beben undEruptionen war fast vorbei. Viel zu bald würden dieSchneefälle einsetzen, und dann würde sich der lange Winterüber die Welt senken, da das Auge noch kleiner würde. DerAtem von Russ würde die Welt erkalten lassen, und das Lebenwürde in der Tat sehr hart sein.

Er schob den Gedanken beiseite. Jetzt war nicht die Zeit, ansolche Dinge zu denken. Jetzt war die Zeit zu feiern, lustig zusein und sich zu verloben, solange das Wetter gut und die Tagenoch lang waren. Er sah sich um. Die Feierstimmung hatte vonjedem Besitz ergriffen. Die Hütten waren mit frischerDrachenhaut bespannt. Die Holzwände des Langhauses warenrot und weiß bemalt. Ein großer Scheiterhaufen stand in derMitte des Dorfs. Ragnar roch den minzigen Duft der Kräuter,der die Luft erfüllen würde, wenn der Haufen erst einmalbrannte. Die Braumeister rollten bereits große Fässer ins Freie.Die meisten Leute arbeiteten noch, aber Ragnar und seineFreunde waren von den Schiffen. Dieser Tag war ein Feiertagfür sie, und sie hatten nichts anderes zu tun, als in ihrer bestenKleidung herumzulungern. Sie waren aus ihren Hüttengeworfen worden, so dass ihre Mütter fegen und saubermachen konnten. Ihre Väter waren bereits im Langhaus underzählten sich Geschichten über die große Schlacht mit denGrimmschädeln. Irgendwo in der Ferne hörte er, wie derSkalde sein Instrument stimmte und seine Lehrlinge einfacheRhythmen auf den Trommeln schlugen, mit denen sie ihnbegleiten würden.

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Ein magerer Hund kreuzte seinen Weg und sah freundlich zuihm auf. Er streckte die Hand aus und kraulte ihn hinter denOhren, wobei er die Wärme des Fells spürte, das zurVorbereitung auf den kommenden Winter bereits dichterwurde. Der Hund leckte ihm mit einer Zunge rau wieSandpapier über die Hand und rannte dann aus schierer Freudeam Laufen die Straße entlang. Plötzlich wusste Ragnar, wasdas für ein Gefühl war. Er nahm einen tiefen Zug von dersalzig-frischen Luft und verspürte den Drang, aus schiererFreude darüber, am Leben zu sein, zu heulen. Stattdessenwandte er sich an Ulli, zog ihn am Ohr und rief: »Du bist es!«

Er fuhr herum und lief los, bevor Ulli Gelegenheit hatte zubegreifen, was vorging. Als sie sahen, dass das Spiel begonnenhatte, sprengten die anderen Wolfbrüder auseinander undrannten zwischen Hütten und geschäftigen Leuten hindurch, sodass die Hühner gackernd aufflogen. Ulli rannte ihm nach undrief dabei Herausforderungen.

Ragnar machte auf der Stelle kehrt, wobei ihn sein Schwungbeinah zu Fall gebracht hätte, und schnitt Ulli ein Gesicht. SeinFreund stürzte sich mit ausgestreckten Armen auf ihn. Ragnarließ ihn fast an sich herankommen, bevor er sich wiederumdrehte und weiterlief. Er schwenkte nach rechts und rannteeine schmale Straße entlang. Er wich nach links aus, um nichtgegen das Fass eines Brauers zu prallen, und dabei rutschte erauf einem glitschigen Grasbüschel aus und fiel. Bevor er sichwieder aufrappeln konnte, warf Ulli sich auf ihn, und sierangen auf dem Boden, Muskelkraft gegen Muskelkraft, wieverspielte Hundewelpen. Sie wälzten sich hierhin und dorthinund rollten schließlich einen Hang hinunter, bis siemädchenhaftes Kreischen hörten und gegen etwas stießen.Ragnar öffnete die Augen und stellte fest, das er in Anashübsches, schmales Gesicht starrte. Sie zupfte an ihrerHaarflechte, während sie ihn betrachtete, und dann lächelte sie.Ragnar erwiderte ihr Lächeln und spürte, wie er errötete.

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»Was macht ihr zwei da?«, fragte Ana mit ihrer leisenheiseren Stimme.

»Nichts«, erwiderten Ragnar und Ulli gleichzeitig undbrachen dann in lautes Gelächter aus.

***

Strybjörn Grimmschädel stand im Bug des Drachenschiffsund starrte grimmig auf den Horizont. Er räusperte sich undspie einen dicken Klumpen Schleim verächtlich ins Meer. Erspürte, wie sich die Kampfeslust in ihm regte, und hoffte, dasser den Kampf bald bekommen würde.

Vor der Flotte lag die Heimatinsel der Grimmschädel, dieStätte ihres heiligen Runensteins und der Ort, von dem sie vorzwanzig langen Jahren von den verfluchten Donnerfäustenvertrieben worden waren. Natürlich war das vor StrybjörnsGeburt geschehen, aber das spielte keine Rolle. Er war mitunzähligen Geschichten über die Schönheit der Inselaufgewachsen und hatte das Gefühl, sie bereits zu kennen. IhrBild hatte sich aus den Erzählungen seines Vaters klar inseinen Verstand eingeprägt. Dies war das geheiligte Land, ausdem sie vor vielen Jahren durch die Heimtücke derDonnerfäuste vertrieben worden waren und das sie sich heute,am Jahrestag ihres Verlusts, endlich zurückholen würden.

Wut auf die Eindringlinge erfüllte ihn. Er empfand sie soschneidend wie jeder Überlebende des Angriffs und desanschließenden Massakers, als die Donnerfäuste gelandetwaren, um sich das Land mit Gewalt zu nehmen. ZehnDrachenschiffe hatten die zahlenmäßig unterlegenenGrimmschädel überwältigt, da die überwiegende Mehrheit derKrieger auf See war und den Orca-Herden folgte. Als dietapferen Krieger heimgekehrt waren, hatten sie feststellenmüssen, dass ihr eigenes Land gegen sie befestigt worden war

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und die Donnerfäuste ihre Frauen und Kinder in Knechtschaftgenommen hatten. Nach einem kurzen Kampf am Ufer warensie zu ihren Schiffen gedrängt und auf See vertrieben worden,wo sie das Elend der Langen Suche hatten ertragen müssen.

Strybjörn teilte ihre Verbitterung angesichts dieserschrecklichen Reise. Die vergeblichen Angriffe auf andereSiedlungen, die fruchtlosen Bemühungen, eine neue Heimat zufinden. Er erinnerte sich an die Namen all jener, die vorHunger und Durst oder im Kampf gestorben waren, als seiensie seine eigenen Vorväter. Er schwor wieder einmal, dass ersie rächen und ihre Geister mit Donnerfaust-Blutbeschwichtigen würde. Er wusste, dass es so sein würde, dennwar es nicht so von den Göttern bestimmt worden?

Hatte schließlich nicht Russ selbst es für richtig gehalten, dieBeharrlichkeit der Grimmschädel-Krieger zu belohnen? Siewaren auf das Dorf Ormskrik gestoßen, dessen Bewohner halbtot von der Pest waren, und sie hatten es überwältigt, dieMänner getötet und die Frauen und Kinder den uraltenBräuchen entsprechend geknechtet. Und dann hatten sie sichniedergelassen, um sich zu erholen und zu vermehren. Und inall den langen Jahren hatten sie niemals die Stätte ihresangestammten Runensteins vergessen.

Zwanzig lange Jahre hatten sie Pläne geschmiedet undVorbereitungen getroffen. Söhne waren geboren worden. DieGötter hatten gelächelt. Eine neue Generation war zu Männerngereift. Aber immer hatten die Grimmschädel sich an dieHeimtücke der Donnerfäuste und an die mächtigenVergeltungseide erinnert, die sie geschworen hatten. HeuteNacht würden sich diese Eide erfüllen. Die Götter lächeltenwahrhaftig, denn war heute nicht auf den Tag genau derJahrestag des Angriffs der Donnerfäuste? Es war ein Zeichendes Himmels, dass genau zwanzig Jahre nach dem Verlust desLandes ihrer Vorväter die Grimmschädel dieses Landzurückerobern würden.

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Strybjörn war stolz auf seine Männer. Es wäre leichtgewesen zu vergessen. Es wäre leicht gewesen, in derBehaglichkeit ihres neuen Landes zu versinken. Doch das warnicht die Art der Grimmschädel. Sie kannten den Wert einesEides. Sie waren verpflichtet, Vergeltung zu üben. Sie hattenihre Kinder verpflichtet, Vergeltung zu üben, sobald sie altgenug waren, ihre Mannbarkeitsschwüre zu leisten. AlsStrybjörn ein Wolfbruder geworden war, hatte er geschworen,dass er nicht ruhen würde, bis der Runenstein sich wieder inihrem Besitz befinden und er die geheiligte Erde ihrer Vorvätermit stinkendem Donnerfaust-Blut getränkt haben würde.

Er strich sich mit breiter, starker Hand über die zerfurchteStirn, schirmte die Augen ab und starrte zum fernen Horizont.Bald würden sie landen, und dann mussten sich dieDonnerfäuste vorsehen.

***

Ragnar sah zu, wie der Hohe Jarl Torvald die großenLeuchtfeuer entzündete. Die brennende Fackel flog auf dasölgetränkte Holz, und die Flammen schossen in die Höhe wietanzende Dämonen. Der Geruch nach Ambra und Krauternwallte durch die Straßen. Die Hitze der Flammen überzog seinGesicht mit Röte. Er schaute sich um. Alle Dorfbewohnerhatten sich um das Freudenfeuer versammelt und sahen demHäuptling des Stammes dabei zu, wie er ernst seine feierlichenPflichten erfüllte.

Torvald schwang seine Axt. Zuerst nach Norden, nachAsaheim und dem großen Berg der Götter, dann nach Süden,hin zum Meer und den dort ansässigen Dämonen zum Trotz. Erhob die Waffe hoch über den Kopf, nahm sie in beide Händeund wandte sich der untergehenden Sonne zu. Er stieß eingewaltiges Brüllen aus, und alle fielen ein und skandierten

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Russ' Namen in der Hoffnung, sich die Gunst des Gottes für einweiteres Jahr zu sichern, wie sie es in jedem Jahr getan hatten,seit Russ ihnen zugelächelt und den Sieg ermöglicht hatte.

Als der Häuptling in die Reihen seiner Krieger zurückkehrte,hinkte der alte Skalde Imogrim in den Schein des Feuers undgebot Stille. Seine Lehrlinge folgten ihm mit ihrenInstrumenten und begannen, seine Worte mit einem leisenRhythmus zu unterlegen.

Imogrim hob seine Harfe und zupfte ein paar Akkorde. SeineFinger bewegten sich sanft über die Saiten, während er einenMoment völlig still dastand und seine Gedanken zu ordnenschien. Ein Lächeln umspielte seine dünnen, blutleeren Lippen.Der Feuerschein beleuchtete jede Furche in seinem faltigenGesicht und verwandelte seine Augen in tiefe Höhlen. Seinlanger weißer Bart glänzte im flackernden Licht. Die Mengewartete atemlos darauf, dass er begann. Ringsumher war dieNacht still. Ragnar sah sich um und erblickte Ana. Es hatte denAnschein, als habe sie ihn angesehen, denn als ihre Blicke sichbegegneten, sah sie fast schüchtern weg, den Blick auf denBoden gerichtet.

Imogrim fing an zu singen. Seine Stimme war leise und dochüberraschend voll, und seine Worte schienen im Einklang mitdem Trommelschlag aus seinem Mund zu fließen. Es war, alshabe er eine riesige Quelle der Erinnerung in sich angezapft,deren Wasser jetzt sacht, aber unaufhaltsam strömte.

Er beschwor die Taten der Donnerfäuste, sang das Lied ihrerVorfahren, eine Arbeit, die in den vergessenen Tiefen der Zeitvor Hunderten von Generationen begonnen worden war und zuder seitdem jeder Skalde beigetragen hatte. Es war ImogrimsLebenswerk, sich das Lied einzuprägen, einen Abschnitthinzuzufügen und es an seine Lehrlinge weiterzugeben, wie siees an ihre weitergeben würden. Eine alte Redensart besagte,dass der Jarl das Herz und der Skalde das Gedächtnis einesVolkes war. In Zeiten wie diesen begriff Ragnar, wie viel

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Wahrheit in dieser Redensart steckte.Natürlich würde an diesem Abend nicht genug Zeit für die

ganze Geschichte sein, also begnügte Imogrim sich mitAuszügen. Er spielte nur kurz auf die uralten Zeiten an, als dieMenschen in von den Göttern erbauten Schiffen noch zwischenden Sternen gesegelt waren. Er sang von Russ, der dieMenschen gelehrt hatte, wie man in den finsteren Zeitenüberleben konnte, als die Welt gebebt hatte und uraltes Bösesin die Welt gekommen war. Er sang von der Zeit desAuswählens, als Russ sich aus allen Klans die bestenzehntausend Krieger ausgesucht und sie fortgeführt hatte, umnie wiederzukehren und im Krieg der Götter zu kämpfen.

Er sang von den alten Kriegen und den gewaltigen Taten derDonnerfäuste, wie Berak den großen Drachen Thrunglingerschlagen und dafür eine Schatulle mit Eisen und die Handdes Donnergeists Maya verlangt hatte. Wie der große SeefahrerNiai in seinem mächtigen Schiff Windwolf um die Weltgesegelt war. Von der Nacht, als die Trolle gekommen warenund die Donnerfäuste aus dem Land ihrer Vorfahren vertriebenhatten.

Er schlug den Bogen zur Gegenwart mit der Geschichte, wieRagnars Vater und dessen Stamm diese Insel, die unter derHerrschaft der grausamen und brutalen Grimmschädel stand,gefunden und sie nach einem Tag blutiger Auseinandersetzungerobert hatten. An dieser Stelle des Lieds hatten einige derAnwesenden gejubelt. Andere starrten ins Feuer, als gedächtensie gefallener Kameraden und der brutalen Kämpfe derVergangenheit. Und schließlich, nach langen Stunden,erreichte die Geschichte die jüngsten Begebenheiten. Ragnarspürte, wie sein Herz vor Stolz einen Satz machte, als Imogrimvon ihrer Reise berichtete, auf der sie den Wolfpriester Ranekzur Insel der Eisenmeister gebracht hatten und auf der Ragnardem Drachen den Speer ins Auge geschleudert hatte, bevor dieBestie von dem alten Zauberer und seiner Magie endgültig

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vernichtet worden war.Er wusste nun, dass sein Name ewig leben würde. Denn

solange sein Klan existierte, würden sich der Skalde und seineLehrlinge an seinen Namen erinnern und vielleicht sogar anhohen heiligen Tagen und anderen Festen von ihm singen.Auch später, wenn er in die Halle der Erschlagenen eintrat,würde sein Name fortleben. Er drehte sich um und sah denStolz auf Anas Gesicht.

Er war so entzückt, dass er dem Rest des Lieds kaumBeachtung schenkte.

***

Wie entgegenkommend von den Donnerfäusten, einLeuchtfeuer anzuzünden, das ihnen den Weg wies, dachteStrybjörn, während er das flackernde Freudenfeuer amHorizont betrachtete. Es strahlte hell, und sein Spiegelbild aufden Wellen schien das Licht nur noch zu verstärken.

Zuerst hatte Strybjörn gedacht, bei dem Leuchtfeuer handelees sich um ein Warnzeichen und man habe die Grimmschädel-Flotte gesichtet, aber es gab keinerlei Anzeichen fürKriegsvorbereitungen. Der Strand war verlassen. KeineDrachenschiffe rückten aus, um ihnen zu begegnen. Es hatteeinige Bestürzung hervorgerufen, als entsprechendeMeldungen kursierten, aber bis jetzt war nichts geschehen.

Zuerst hatte Strybjörn geargwöhnt, es könne eine Falle sein.Noch ein Beweis für die Heimtücke und Verschlagenheit derDonnerfäuste, als sei noch einer nötig. Dann hatte dieNachricht die Runde durch die Ruderbänke gemacht, dass dieDonnerfäuste höchstwahrscheinlich den Jahrestag ihresberüchtigten Sieges feierten und sich voller Häme über dasMassaker freuten, das sie mit ihrer Heimtücke angerichtethatten. Sehr bald würden sie am eigenen Leib spüren, wie sich

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die derart Besiegten fühlten. Der Jarl hatte ihnen befohlen, inder Grimmbucht außer Sicht des Dorfs zu landen. Von dort wares nur ein kurzer Marsch zur raschen und endgültigenVergeltung.

Strybjörn spürte, wie ihn eine Welle des Zorns erfasste, dieauch seine Klansbrüder erfasst hatte.

Bei Russ, und wie diese Donnerfäuste büßen würden.

***

Bald darauf war das Singen vorbei, und es wurde Zeit, zufeiern und zu tanzen. Der Jarl und sein Leibwächter gingenzum Langhaus voran. Dort ächzten die Tische unter der Lastvon gebratenem Geflügel und frisch gebackenem Brot. Bergevon Käse türmten sich über den Böcken auf. Seen von Honigglänzten in ihren Schüsseln. Der Geruch nach Ale lag in derLuft. Die Brauer füllten bereits große Krüge, und Trinkhörnerwanderten von Hand zu Hand.

Ulli grinste ihn an und reichte ihm einen Lederhumpen.Ragnar stürzte das bittere Gebräu hinunter, wie er es ältereKrieger hatte tun sehen. Dies war nicht das den Jungenvorbehaltene Leichtbier. Dies war das Festtagsgetränk fürKrieger, und es war stark und kräftig. Das Kribbeln hätte ihnbeinah ausspeien lassen, und die starke Bitterkeit überraschteihn, aber er behielt die Flüssigkeit bei sich und entehrte sichnicht, da er den ganzen Humpen in wenigen Schlucken unterdem bewundernden Applaus seiner Kameraden bis zur Neigeleerte.

Nicht weit entfernt sah er seinen Vater das große Trinkhornansetzen und beobachtete dann, wie dessen Inhalt unaufhaltsamin seine Kehle rann, während die älteren Krieger von zehnabwärts zählten. Das ganze Horn war leer, als sie bei fünfangelangt waren. Es war eine gute Zeit. Das Horn wurde

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wieder gefüllt und weitergereicht, und diesmal begann dieZählung bei fünf, aber der neue Trinker war kein Gegner fürRagnars Vater und konnte das Horn nicht leeren, bevor dieanderen ausgezählt hatten. Verlegen gab er das Horn demnächsten Krieger.

Ragnar ging zu den für die Wolfbrüder gedeckten Tischenund nahm sich von dem heißen Huhn und dem frischen Brot.Das warme Fleisch schmeckte wunderbar. Die Säfte liefen ihmüber das Kinn, und er wischte das gerinnende Fett mitBrotstücken auf, bevor er sie in den Mund steckte. Das Ale warin seinem Bauch zur Ruhe gekommen, und er fühlte sichwunderbar, wenn auch wegen der ungewohnten Stärke desGebräus ein wenig benebelt.

Ulli stieß ein langes Heulen aus, dem ein Rülpsen folgte. Ersah Ragnar an und warf dann einen vielsagenden Blick auf dieTische, wo die unverheirateten Mädchen saßen. Ragnarlächelte und nickte, da er nicht mehr ganz so nervös war. Baldwürde es an der Zeit sein zu tanzen.

***

Strybjörn half den anderen Kriegern dabei, dasDrachenschiff an den Strand zu ziehen und auf den Sand zusetzen. Seine Muskeln schmerzten von der Anstrengung, undsein Atem kam stoßweise. Das Schiff war schwer, auch wenndie volle Besatzung von vierzig Kriegern daran zog.

Seine Füße waren nass von den Wellen, und seine Hose warbis zu den Knien durchweicht, seitdem er im flachen Wasservon Bord gesprungen war. Er fühlte sich ein wenig wacklig aufden Beinen, da die Unverrückbarkeit des Landes zunächst einwenig ungewohnt war. Die Wochen auf See bewirkten, dass erimmer noch das Schaukeln des Boots ausgleichen wollte. Docher sagte sich, dass es nicht lange dauern würde, bis er sich

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darauf eingestellt hatte.Er schloss sich seinen Wolfbrüdern an, junge Männer wie er

und darauf bedacht, in dieser ihrer ersten großen SchlachtRuhm zu erwerben, sich einen Namen zu machen und dieAufmerksamkeit des Jarl und der Götter zu erlangen. Errichtete ein Gebet an Russ, in dem er gut zu kämpfen gelobteund versprach, falls er sterben musste, dies nur mit schwerenWunden und erst dann zu tun, wenn er die Aufmerksamkeit derErwähler der Gefallenen auf sich gezogen hatte.

Am Strand formierten sich die Grimmschädel-Krieger zulangen Reihen und machten ihre Waffen bereit. Als sie sich zuKampftrupps zusammengetan hatten, erklommen sie rasch undlautlos den Weg zum Dorf der Donnerfäuste.

***

Ragnar stieß einen Jubelruf aus und hakte seinen Arm beiAna unter. Er war betrunken und glücklich. Die Tänzer hattenlange Reihen gebildet und woben zur Musik des Skalden undseiner Lehrlinge komplizierte Muster. Ana lächelte ihn mitgerötetem Gesicht an, während sie im Kreis umherwirbelten,bevor sie einen Platz weiter wieder in ihre jeweilige Reihezurückkehrten. Auf diese Weise kam jeder junge Mann dazu,mit jedem Mädchen zu tanzen. Es war ein allgemeiner Wirbel.Paartänze würden später noch folgen. Aus der Ferne hörte erGesang und Trinklärm, da die Älteren ihr Fest im Langhausfortsetzten. Langsam kamen jetzt auch die verheirateten Paarenach draußen, um am Tanz teilzunehmen. Hunde bellten.Gänse schnatterten. Ziegen blökten. Die Festivitäten regten sieauf, wie nichts anderes es vermochte.

Plötzlich hörte die Musik auf, als der Skalde und seineBurschen abbrachen, um ihren Durst mit Ale zu stillen. EinerEingebung folgend, ging Ragnar zu Ana. Sie wechselten einen

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Blick. Ohne zu reden, schritten sie davon, Arm in Arm, in dieDunkelheit und weg vom Langhaus. Ragnar sah, dass dasGesicht des Mädchens gerötet war. Ihre Haare waren inUnordnung. Ihre Augen kamen ihm im flackerndenFackelschein riesengroß vor. Ragnar legte ihr den Arm um dieTaille, und sie tat es ihm nach. Sie sahen einander an undkicherten wie Verschwörer, als sie im Schatten der Hüttenuntertauchten.

Während sie im Dunkeln standen und den vergnügtenGeräuschen aus dem Dorf lauschten, spürte Ragnar, dass hieretwas Wichtiges geschah. Er fühlte sich mit derselben Kraft zudem Mädchen hingezogen, die den Magnetstein nach Nordenzog. Das sagte er ihr auch, und zwar in der Erwartung, dass sielachen würde. Sie schaute ihn an und lächelte, wobei sich ihreLippen ein wenig öffneten. Er war sich augenblicklich ihrerSchönheit und der weichen Wärme ihres Körpers an seinembewusst. Ohne nachzudenken, zog er sie an sich. Ihre Lippentrafen sich. Ihre Arme kamen hinter seinem Kopf hoch,umschlossen sein Gesicht von beiden Seiten und führten ihn.

Nach einem langen Augenblick lösten sie sich voneinanderund lächelten ihr Verschwörerlächeln, dann wandten sie sichwieder dem Küssen zu.

***

Strybjörn und seine Wolfbrüder näherten sich auf leisenSohlen dem Dorf der Donnerfäuste. Er war verblüfft. DieDummköpfe fühlten sich so sicher, dass sie nicht einmal eineWache aufgestellt hatten. Das üppige Leben im Land vonStrybjörns Vorfahren hatte sie weich gemacht. Tja, dachte er,bald würden sie für ihren Fehler büßen.

Er wusste, dass rings um das ganze Dorf Grimmschädel-Krieger in Stellung gingen. Bald würden erfahrene Krieger

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über die Palisade klettern und das Tor von innen öffnen. Dannwürden Strybjörn und die Seinen über ihre törichten Feindeherfallen wie Wölfe über eine Schafherde.

Nichts konnte sie jetzt noch aufhalten.

***

»Wünsch dir was«, sagte Ana, während sie ihr Kleid ordnete.Ragnar hielt im Zuknöpfen seiner Tunika inne und schaute indie angezeigte Richtung. Er sah ein Licht am Himmel. Zuerstdachte er wie das Mädchen, dass es eine Sternschnuppe war,aber dann fiel ihm der feurige Kometenschweif auf, den dieErscheinung hinter sich herzog. Er erinnerte ihn an etwasanderes. Im Augenblick war er vom Bier und denUmarmungen so benebelt, dass er nicht mehr wusste, woran.

In der Ferne bellten Hunde wie als Reaktion auf den Anblickdes fallenden Meteors.

Er wälzte sich herum, packte das Mädchen und zog es zusich herunter, um es zu küssen. Ana zierte sich einen Moment,bevor sie sich zu ihm auf den Boden sinken ließ. Er glaubtenicht, schon jemals in seinem Leben so glücklich gewesen zusein wie in diesem Augenblick, aber der Gedanke an jene vomHimmel fallenden Flammen nagte weiterhin in seinemHinterkopf.

Schließlich fiel ihm wieder ein, wo er schon einmal solcheFlammen gesehen hatte. Sie waren aus dem Heck desLuftschiffs gekommen, das den Wolfpriester Ranek von derInsel der Eisenmeister abgeholt hatte.

Welche Bedeutung konnten sie haben, fragte er sich träge,bevor er in der Leidenschaft des Augenblicks gänzlich zudenken aufhörte. Als das Geschrei einsetzte, bemerkte er eskaum.

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***

Strybjörn hielt seine Axt fest umklammert und rannte durchdas offene Tor. Ringsumher taten seine Wolfbrüder es ihmnach, die Augen glänzend vor Vorfreude, den Mund weitaufgerissen. Strybjörn fühlte sich plötzlich für einen Momentschwach. Er wusste, er würde vergehen: das Gefühl überkamihn jedes Mal, bevor er einer Gefahr begegnete. Es war wie einZeichen, dass sein Körper auf die Begegnung vorbereitet war.Unvermittelt war er sich bewusst, dass sein Atem sichbeschleunigte, sein Herz schneller schlug und der Schweiß aufseinen Handflächen es erschwerte, die Axt richtig zu halten.Mit seinen Kameraden lief er in das Dorf, aus dem Klängenach Musik und Tanz zu ihnen drangen.

Plötzlich waren Leute vor ihnen. Es waren keineGrimmschädel. All seine Sinne spannten sich wie eine Trosse.Strybjörn brauchte keine weitere Provokation. Er schlug mitseiner Axt zu. Es gab ein grässlich feuchtes Sauggeräusch, alsdie Klinge traf und dann zurückgezogen wurde. Strybjörnschlug wieder zu und spürte, wie warmes Blut aus dem Körperdes Mannes spritzte, der ihm vor die Füße fiel. Er stürmte tieferin die Leiber hinein. Sonderbarerweise spielte die Musikweiter. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Als verkünde erder ganzen Welt den Angriff, ertönte hoch oben am Himmelein Knall wie Donner.

***

»Was war das?«, fragte Ana, während ein Ausdruck derFurcht auf ihrem Gesicht Gestalt annahm. Ragnar löste sichvon ihr und sah auf.

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»Ich weiß es nicht«, sagte er, dann ging ihm plötzlich auf,dass er sich irrte. Er hatte so ein donnerndes Krachen schoneinmal gehört, als das Luftschiff sich der Insel der Eisenmeistergenähert hatte. War dies ein Omen? Und was war das für einLärm? Es klang so, als sei vor dem Langhaus ein gewaltigerStreit ausgebrochen.

Er kam langsam auf die Beine. Ana erhob sich neben ihm.Ihre Hand haltend, tastete er sich durch die Dunkelheitzwischen den Hütten zurück und dem Lärm entgegen. Was ersah, war schlimmer als alles, womit er gerechnet hatte. Fremdewaren unter den Feiernden, große stämmige Männer mitdunklen Haaren. Ihre Züge waren zerfurcht und ihre Kieferbreit. Sie sahen fast wie Trolle aus, und Ragnar erkannte sieaugenblicklich aus den Liedern des Skalden wieder. Es war, alsseien sie aus einem seiner Lieder gestiegen. Sie warenGrimmschädel.

Einen Moment ließ abergläubische Furcht Ragnar erstarren.Waren sie aus dem Grab zurückgekehrt, um sich die Seelenihrer Bezwinger zu holen? War hier schwarze Magie am Werk?Konnten die Toten auferstanden sein, um Rache an denLebenden zu nehmen?

Vor seinen Augen machte ein Halbwüchsiger mit brutalenZügen, der wie ein Wolfbruder gekleidet war, Ullis Vaternieder. Der alte Mann sah immer noch benebelt vom Bier undvon der Überraschung aus, während er sich an den Bauch griffund versuchte, die Eingeweide festzuhalten, die herausglitten.

»Wir werden angegriffen!«, rief Ragnar und schob Ana indie Schatten zurück. »Es ist ein Überfall.«

Im tiefsten Innern seines Herzens wusste er, dass es nicht nurein Überfall war. Nach der Menge der anwesenden Krieger undder Anzahl der Schlachtrufe zu urteilen, die er von überall herhören konnte, handelte es sich um eine regelrechte Invasion mitder Absicht, seinen Klan zu versklaven oder zu vernichten. Er

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fluchte in dem Wissen, dass der Angriff zum denkbarschlechtesten Zeitpunkt erfolgte, da alle Krieger betrunkenwaren und tanzten. Und es war ihre eigene Schuld. Sie hättenWachposten aufstellen müssen. Sie hätten vorbereitet seinmüssen, aber sie waren es nicht. Die langen Jahre des Friedenshatten sie eingelullt und ihnen ein falsches Gefühl derSicherheit gegeben, wie es kein Mensch auf Fenris je habendurfte. Und jetzt büßten sie dafür.

Wut und Verzweiflung rangen in Ragnars Herzen. Einenlangen Augenblick stand er starr da. Alles war hoffnungslos.Über die Hälfte der Dorfbewohner waren bereits tot oder lagenim Sterben, von diesen furchtbaren Eroberern zerschmettertwie verrottete Drachenknochen. Die Angreifer waren gutausgerüstet und in Formation, und sie kämpften mit einerschrecklich zielstrebigen Disziplin. Die Donnerfäuste warenunbewaffnet, führungslos, verwirrt und unfähig, viel mehr zutun, als sich wie Hühner abschlachten zu lassen.

Plötzlich wusste Ragnar, dass der Untergang derDonnerfäuste bevorstand.

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4

DAS LETZTE AUFBÄUMEN

»Geh zurück!«, rief Ragnar, indem er Ana in die nächsteHütte schob. Sie konnte ihnen nur wenig Schutz bieten, denndie Angreifer mochten sehr bald alle Gebäude niederbrennen.Aber er brauchte Zeit zum Nachdenken, und er wusste ohneden Schatten eines Zweifels, dass es in der Hütte Waffen gab,die besser waren als der Dolch an seinem Gürtel.

Ohne richtig zu verstehen, was eigentlich los war, wehrteAna sich, aber er war stärker und drängte sie hinein. Er legteihr die Hand auf den Mund.

»Sei still, wenn dir dein Leben lieb ist!«, sagte er zu ihr undsah einen Ausdruck entsetzten Wissens in ihre Augen treten,der rasch fester Entschlossenheit wich. Sie war eine wahreTochter ihres Volkes, das konnte Ragnar jetzt deutlich sehen.

Schreie und Kriegsrufe hallten gedämpft durch dieDrachenhautwände der Hütte. Drinnen war es dunkel. Ragnartastete hektisch herum, bis er einen Schild und eine Axt fand.Rasch band er sich den Schild an den Arm und nahm die Waffein die Hand. Er fühlte sich ein wenig besser, wusste aberimmer noch nicht, was er tun sollte. Was er gesehen hatte, hattesich bereits unauslöschlich in seinen Verstand eingebrannt.

Er erinnerte sich an den Ausdruck des Entsetzens auf demGesicht von Ullis Vater. Er wusste noch, dass er den altenHorgrim im Dreck hatte liegen sehen, dem die obereSchädelhälfte gefehlt hatte. Er sah noch die furchtbarpulsierende Wunde in der Brust von Ranald dem Brauer vorsich. Dinge, die er zu diesem Zeitpunkt kaum wahrgenommenhatte, brannten sich jetzt in sein Bewusstsein. Tränen liefensein Gesicht hinunter. Das hatte er nicht erwartet. Das warnicht die Art Schlacht, von der die Skalden sangen. Dies war

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das brutale Abschlachten Unbewaffneter durch einen tödlichenFeind.

Und doch sagte ihm ein kleiner Teil seines Verstandes, dassdies in der Tat eine Schlacht war. Es gab immer Tote undSterbende und furchtbare Wunden. In einer Schlacht ging esselten anständig zu, und immer endete es mit schrecklichenToden. Die Frage lautete: Was sollte er tun?

Würde er in dieser Hütte hocken bleiben wie eingeschlagener Hund, oder würde er nach draußen gehen undsich dem Tod stellen wie ein Mann? Er wusste, dass er kaumeine Wahl hatte. Er würde ohnehin sterben, und am bestenbegegnete man den Geistern der Vorfahren mit ungeheurenWunden und blutiger Waffe in der kalten toten Hand.

Und doch hielt ihn etwas davon ab, das Unvermeidliche zutun. Sein Blick wanderte immer wieder zu dem verängstigtenMädchen, das trockenen Auges und bleich in der Ecke stand.Ana wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab und versuchteihn anzulächeln. Es war eine furchtbare Grimasse, und er hattedas Gefühl, das Herz müsse ihm brechen.

Wie sein Leben sich doch binnen weniger Minuten veränderthatte. Noch vor weniger als einer Stunde war er vollkommenglücklich gewesen. Er und Ana waren zusammen gewesen.Ihre gemeinsame Zukunft schien nach Art des Dorfs geregeltzu sein. Sie hätten geheiratet, Kinder bekommen,zusammengelebt. Jetzt gab es diese Zukunft nicht mehr. Nichtswar mehr übrig außer Blut, Asche und vielleicht das ehrloseLeben eines Knechts, wenn er verschont wurde. Er wusste,dass er das nicht ertragen konnte.

Was sollte er tun? Er konnte nicht bleiben. Wenn er das tat,gefährdete er nur ihr Leben. Vielleicht kam es zu einemKampf, und es kam nicht selten vor, dass wütende MännerUnschuldige niederschlugen. Wahrscheinlich würde sieverschont und die Frau oder Leibeigene eines Grimmschädels

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werden. Das war der Lauf der Welt. Der Gedanke schmerzteihn mehr, als er sagen konnte, aber wenigstens würde sie leben.

Und trotzdem konnte er nicht gehen. Derselbe Magnetismus,der ihn früher zu Ana hingezogen hatte, hinderte ihn jetztdaran, sie zu verlassen. Stattdessen ging er zu ihr, legte die Axtnieder, berührte ihr Gesicht und zog die Konturen mit denFingern nach in dem Versuch, sie sich einzuprägen, so dass erdie Erinnerung daran in die Hölle mitnehmen konnte, wenn essein musste. Sie war das Beste, was ihm in seinem ganzenLeben je widerfahren war. Jetzt zerriss es ihm das Herz, zuwissen, dass es mehr nicht geben würde, dass ihr Leben vorbeiwar, bevor es richtig begonnen hatte.

Er zog sie für einen letzten Kuss an sich. Ihre Lippen trafensich für einen langen Augenblick, und dann schob er sie weg.

»Leb wohl«, sagte er leise. »Es wäre so schön gewesen.«»Leb wohl«, sagte sie, genug Kind ihres Volkes, um nicht zu

versuchen, ihn zurückzuhalten.Er trat in die brennende Nacht hinaus, in das heulende Chaos

und in den Wahnsinn. Und dann wusste er nur noch, dass einegewaltige Gestalt mit hoch erhobener Axt vor ihm aufragte.

***

Strybjörn pirschte durch die Nacht und tötete dabei. Erheulte frohlockend in dem Wissen, dass die Stunde der Rachegekommen war. Der Geschmack nach Blut war süß in seinemMund. Ihm gefiel das Töten, das Gefühl der Macht, das es ihmgab. Ihm gefiel das Kräftemessen Sehne gegen Sehne, Manngegen Mann.

Aber diese Donnerfäuste waren schwache Gegner und kaumden Grimmschädel-Stahl wert. Sie waren betrunken undschlecht bewaffnet und schienen kaum zu begreifen, was

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geschah. Wie war es ihnen nur gelungen, sein Kriegervolk vonseiner Heimatinsel zu vertreiben?

In einer kurzen Kampfpause kam ihm ein Gedanke. War diesein Teil der Strafe für das Leben auf diesen Inseln? Hatte dasWohlleben seine Vorfahren verweichlicht, wie es dieDonnerfäuste verweichlicht hatte? Hatte sein Volk früher aucheinmal seine kriegerische Ader verloren wie diese Schafe hier?Das musste er mit seinem Vater bereden, wurde ihm klar. Esdurfte nicht wieder geschehen. Würde nie wieder geschehen,wenn er Häuptling war.

***

Verzweifelt parierte Ragnar den Hieb des Angreifers. DieWucht des Aufpralls ließ seinen Arm taub werden, obwohl derSchild einen Teil auffing. Ragnar zielte einen Konter auf denKopf des Mannes, der jedoch ebenfalls pariert wurde.

Er schlug mit seinem Schildarm zu und traf den Angreifer imGesicht. Als der Mann zurücktaumelte, setzte Ragnar nach undspaltete ihm mit seiner Axt den Schädel.

Er sah sich um. Sein Heim stand in Flammen. Das Langhausbrannte. Es war ein Wahnsinn. Schattenhafte Gestalten hacktenund töteten in der Düsternis. Es war wie eine Szene aus derHölle. Frauen rannten durch die Nacht und trugen Kinder.Hunde schnappten nach den Beinen der Angreifer. Ein Huhnflatterte mit brennenden Flügeln gackernd durch die Nacht.

Wo war sein Vater?, fragte sich Ragnar.Höchstwahrscheinlich beim Langhaus, wo er versuchen würde,die Krieger um sich zu scharen. Wenn er noch lebte. Ragnarversuchte hektisch, den Gedanken zu verdrängen, aber wie einMesser durchfuhr es ihn, dass am Ende dieser Nacht nicht nursein Vater, sondern jeder andere Krieger, den er kannte, undvermutlich auch er selbst tot sein würde.

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Trotzdem blieb nichts weiter, als zu kämpfen, wiehoffnungslos die Lage auch sein mochte. Alle Sinne aufsäußerste angespannt, lief Ragnar zum Langhaus, wobei erwider alle Vernunft hoffte, seinen Vater und die anderenlebendig vorzufinden.

***

Abermals rauschte das seltsame Heulen über ihn hinweg,und Strybjörn erkannte, dass sich ein riesiger geflügelterSchatten über das Schlachtfeld gelegt hatte. Er schaute auf undsah den brennenden Kometenschweif dicht über sichhinwegfliegen. Für einen Augenblick hörten die Kämpfe auf,und alle betrachteten ehrfürchtig die magische Erscheinung.

»Die Erwähler der Gefallenen!«, rief jemand. Strybjörnwusste nicht, ob es ein Grimmschädel oder eine Donnerfaustwar. Er wusste nur, dass der Sprecher Recht hatte. EinSchauder überlief ihn. Die Boten der Götter waren hier. Siebeurteilten die Kämpfer. Jetzt! In diesem Augenblick schautensie mit ihrem brennenden Blick herab, um festzustellen, objemand würdig war, sich den großen Kriegern im Saal derHelden anzuschließen. Es war möglich, dass in dieser Nachtein Krieger lebendig zu dem legendären Berg gebracht wurde,wo die Auserwählten der Götter in unsterblicher Pracht undHerrlichkeit wohnten.

Strybjörn wusste, dass sie nur die Tapfersten der Tapferenund die Grimmigsten der Grimmigen erwählen würden. Nurdie Kühnsten waren der Unsterblichkeit würdig. Die Namender Auserwählten würden in Ewigkeit leben und in denHeldenliedern der Skalden genannt werden. BrennenderEhrgeiz erwachte in seinem Herzen.

Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Irgendwo unter diesengepeitschten Hunden musste er Gegner finden, die seines

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Stahls würdig waren. Er musste Gegner finden, deren Name eswert war, genannt zu werden, und sich im Zweikampf mitihnen messen. Die Erwähler erschienen nicht bei jederSchlacht. Vielleicht würde sich so eine Gelegenheit nie mehrbieten. Es war möglich, dass er in seinem ganzen Leben niewieder einem so greifbaren Beweis für die Anwesenheit diesermysteriösen Wesen begegnen würde.

Er sah sich um. Dieselbe Erkenntnis schien auch allenanderen Kriegern gekommen zu sein, welchem Klan sie auchangehörten. Die Grimmschädel lösten sich von ihren Feindenund gaben ihnen Zeit, sich bessere Waffen zu beschaffen.Strybjörn wartete gespannt ab, was als Nächstes geschehenwürde.

***

In einer Kampfpause schaute Ragnar auf und sah dasLuftschiff über sich hinwegfliegen. Es schien eine Ewigkeit herzu sein, dass er es vom Deck der Speer von Russ beobachtethatte, obwohl es in Wirklichkeit nur zweihundert Tage waren.Vielleicht war es nicht dasselbe Schiff. Vielleicht gab es mehrals eines. Wer außer den Göttern wusste solche Dinge?

Langsam schlich sich der Gedanke in sein Bewusstsein, dassdie Erwähler hier sein mussten, ihn vielleicht sogar in diesemAugenblick beobachteten, um festzustellen, ob er würdig war,in den Saal von Russ einzugehen. Es war ein seltsamerhebender Gedanke. Er verlieh den Grausamkeitenringsumher Bedeutung. Plötzlich war dies kein schlichterÜberlebenskampf mehr, sondern eine Prüfung der Ehre undWürdigkeit. Natürlich waren das angeblich alle Schlachten,aber nur bei sehr wenigen gab es einen tatsächlichen Beweisfür die Anwesenheit der Götterboten. Dies war so eineSchlacht. Es war durchaus möglich, dass ein Mann von hier aus

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direkt in die Legende einging.Der massige, stämmige Krieger, mit dem er noch eine

Sekunde zuvor Hiebe gewechselt hatte, sah ihn an, und etwaswie Begreifen dämmerte in seinen brutalen grauen Augen. Sietraten auseinander. Ragnar wich zum verbliebenen Rest seinerSippe zurück, der sich am brennenden Langhaus sammelte,während die Grimmschädel sich zurückzogen.

Ragnar sah sich nach Leuten um, die er kannte. Ulli war da,und auch sein Vater, wie er mit einem Seufzer derErleichterung sah. Jarl Torvald stand noch, obwohl er aus einergezackten Kopfwunde blutete. Der Kriegerhäuptling rissgerade den Ärmel von seiner Tunika und wickelte ihn sich umden Kopf. Sie alle wechselten merkwürdig gehetzte Blicke. Siealle wussten, dass sie so gut wie tot waren. Es war nur eineFrage der Zeit.

Ein Blick auf die versammelte Horde der Grimmschädelmachte offensichtlich, dass sie mindestens fünf zu einsunterlegen waren. Viele Krieger der Donnerfäuste waren gleichbeim ersten Ansturm gefallen. Sie konnten unmöglich hoffen,so viele zu überwinden, auch wenn sie sich als weit bessereKrieger als ihre Gegner erwiesen. Und der Grausamkeit derGrimmschädel nach zu urteilen, die sie bereits erlebt hatten,war dies nicht der Fall. Mann gegen Mann schienen siegleichwertig zu sein - oder vielleicht sogar den Grimmschädelnunterlegen, musste Ragnar widerstrebend zugeben.

Dennoch hatte das Auftauchen des Luftschiffs für eineVeränderung gesorgt, so viel war offensichtlich.

Die Grimmschädel hielten sich im Augenblick zurück.Ebenso wie die Donnerfäuste wollten sie die himmlischenBeobachter beeindrucken. Sie waren dazu übergegangen,anstelle eines Gemetzels den Kampf mit einem würdigenGegner zu suchen. Ein Funke des Zorns loderte in RagnarsBrust auf.

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Jetzt waren sie bereit, ehrenhaft zu kämpfen. Jetzt, da siewussten, dass die Augen der Götter auf ihnen ruhten, waren siebereit, ihren Feinden einen anständigen Kampf zuzugestehen.Noch vor wenigen Minuten waren sie dazu nicht bereitgewesen. Das konnte kaum als anständig bezeichnet werden.Ein kleiner Teil Ragnars lachte über seine Blauäugigkeit. Washatte es für einen Sinn, sich über Anständigkeit oderUnanständigkeit zu ereifern? Die Götter würden ihr Urteil aufihre übliche unergründliche Art fällen und sich nicht täuschenlassen, das hoffte er zumindest.

Warum hätte er protestieren sollen? Die Grimmschädelgaben ihm die Gelegenheit, einen würdigen Tod zu suchen,auch wenn sie schlimme Heuchler waren. Und zumindestsorgten sie dafür, dass die Donnerfäuste einige wenige vonihnen mit in die Dunkelheit nehmen würden.

Einige Krieger der Donnerfäuste liefen ins brennendeLanghaus und kehrten mit Armladungen von Waffen undSchilden zurück. Die Grimmschädel schienen bereit zu sein,ihren Feinden zuzugestehen, sich zu bewaffnen und anständigauf den Kampf vorzubereiten.

Spannung lag jetzt in der Luft. Sie war so greifbar, als habedie Anwesenheit der Erwähler eine eigene elektrische Energieerzeugt. Krieger lockerten die Muskeln und zerteilten die Luftmit Probeschlägen. Die Anführer der Grimmschädel kauertenbeieinander und schienen darüber zu streiten, wie weiter zuverfahren sei - zweifellos debattierten sie, wie sie esbewerkstelligen konnten, in Russ' Augen am bestenauszusehen.

Unter den Donnerfäusten gab es keine derartigen Debatten,dachte Ragnar. Ihre Pflicht war klar: Sie mussten ihr Leben soteuer wie möglich verkaufen und gut und ehrenhaft kämpfen,bevor sie starben. Es gab keine andere Wahl.

Irgendwo in ihren Reihen weinte ein Mann. Es klang nach

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Ranald Einzahn. Das überraschte Ragnar, denn er kannteRanald schon sein ganzes Leben lang, und er war immer einausgeglichener Mann gewesen, unerschütterlich auch imAngesicht des schlimmsten Unwetters oder des gewaltigstenOrcas. Bei allen Überfällen und Schlachten, an denen erteilgenommen hatte, hatte er sich gut gehalten. Er war sogardem Nachttroll von Gaunt im Zweikampf gegenübergetretenund siegreich daraus hervorgegangen.

Warum verließ ihn jetzt der Mut?, fragte sich Ragnar. Vonallen anwesenden Männern war er derjenige, dem die Gunstder Erwähler vielleicht am sichersten gewesen wäre. SeineTapferkeit war immer wieder auf die Probe gestellt worden.War es möglich, dass ein Mann in seinem Leben nur einebegrenzte Menge Mut aufbringen konnte und ihn verlor, wenndiese verbraucht war? Oder ließ ihn die Anwesenheit derErwähler verzweifeln? Das Wissen, dass die Augen der Götterauf einem ruhten, mochte seltsame Dinge mit einem Mannanstellen, dachte Ragnar.

Oder vielleicht lag es auch an dem sicheren Wissen, dass dieDonnerfaust-Krieger sehr bald gerichtet und ihr endgültigesSchicksal kennen würden. Es war eine Sache, in ein Unwetterzu geraten oder sich in eine Schlacht zu stürzen, wenn manwusste, dass man mit etwas Glück oder durch das Wohlwollender Götter oder auch dank eigener Kraft und Geschicklichkeitüberleben mochte. Es war eine ganz andere, wenn man ohneden geringsten Schatten eines Zweifels wusste, dass das Lebenin Kürze vorbei sein würde.

Ragnar schaute tief in seine eigene Seele und stellte fest,dass dort Furcht war, aber keine überwältigende. Er war nervösund auf eine seltsame Art aufgeregt, aber er war nichtverängstigt oder entsetzt. Mehr noch, in ihm war Zorn und einDurst nach Rache an den Grimmschädeln für deren Heimtücke,und neben diesen Empfindungen war seine Furcht gering undunbedeutend. Er spürte, dass er sich am Rande eines rasenden

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Tötungswahns befand. Tief im Herzen wartete er ungeduldigdarauf, seinen Feinden gegenüberzutreten, und sehnte sichdanach, dass das Töten endlich begann.

Und er musste zugeben, dass das Verlangen nach der Gunstder Götter überhaupt nichts damit zu tun hatte. Er war sicher,glücklich in die Hölle zu fahren, wenn er einen Grimmschädelmitnehmen konnte, und dass sein Leben nicht sinnlos gewesensein würde, wenn er zwei mitriss. Da sein Leben vorbei war,hatte er nichts mehr zu verlieren. Für ihn gab es jetzt nur nochdie Gelegenheit, es teuer zu verkaufen. Es war merkwürdig,dass ein Mann im Laufe eines Abends so viele Veränderungendurchleben konnte. Er versuchte, sich an Anas Gesicht zuerinnern, das einzuprägen er sich noch vor wenigen Minuten sogroße Mühe gegeben hatte, und stellte fest, dass er keine klareVorstellung mehr davon hatte. Ein Jammer, dachte Ragnar kalt.Es wäre gut gewesen, die Erinnerung an etwas Schönes mit insJenseits zu nehmen.

Die Krieger der Donnerfäuste hatten sich mittlerweilebewaffnet und waren zum Kampf bereit. Die Grimmschädelschienen jetzt ihre Krieger ausgewählt zu haben. Sie musterteneinander über die Schatten der brennenden Lichtung hinweg.Für einen langen Augenblick musterten sie einander mit Furchtund Hass. Dann wurden alle Blicke von einer massigen Gestaltangezogen, die aus den Schatten trat. Es war ein monströserstämmiger Mann, der eine Metallrüstung und das Fell einesriesigen Wolfs um die Schultern trug.

Ragnar traf die Erkenntnis wie ein Schlag. Es war derWolfpriester, den sie vor wenigen kurzen Hunderttagen zurInsel der Eisenmeister gebracht hatten. Mit einem Aufwallender Furcht fielen Ragnar wieder die letzten Worte desWolfpriesters ein. Dies war in der Tat ein Tag desVerhängnisses für ihn. Allem Anschein nach war Ranek nichtnur ein Zauberer, sondern auch ein Seher.

Alle warteten ab, ob der Wolfpriester eingreifen würde, aber

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er tat nichts, sondern betrachtete sie lediglich mit seinenblitzenden Augen. In diesem Moment sah Ragnar mit äußersterKlarheit, dass Ranek etwas Unmenschliches oder sogarÜbermenschliches an sich hatte. Was mit ihm auch geschehenwar, es hatte ihn von der übrigen Menschheit entfernt und ihnin etwas Ungeheuerliches verwandelt.

In ihm war keine Furcht. Er stand mit äußerstem Vertrauenin seine Unverwundbarkeit da wie ein Mann, der Kindern beieinem Streit zusah und nicht einer Schlacht zwischenerwachsenen und bewaffneten Kriegern. Es war, als wisse er,dass ihm nichts Schaden zufügen konnte, als könne er sie allemühelos töten, sollten sie ihn gegen sich aufbringen. Ragnarerinnerte sich, wie er den Meerdrachen besiegt hatte, undbezweifelte nicht, dass es so war.

Ein anderer Gedanke schob sich in sein Bewusstsein. Ranekwar mit dem Luftschiff eingetroffen. Er war nicht nur einZauberer. Er war einer der Erwähler der Gefallenen, einAbgesandter der Götter. Derselbe Gedanke schien auch denanderen Kriegern gekommen zu sein, als sie sahen, wie derFeuerschein von der glänzenden Rüstung des Wolfpriestersreflektiert wurde. Ein Gefühl der Ehrfurcht überkam alleAnwesenden. Sie wussten, dass etwas Übernatürliches zugegenwar.

Der schreckliche Alte beobachtete sie ungeduldig, als warteer darauf, dass sie endlich begannen. Ragnar hatte denVerdacht, dass seine Anwesenheit die Krieger eingeschüchterthatte. Sich selbst überlassen, hätte für einen kurzen Momentsogar die Möglichkeit bestanden, dass sie gänzlich zu kämpfenaufhörten. Dann bedeutete ihnen der alte Mann fortzufahren.Die beiden Streitmächte wappneten sich wie Wölfe kurz vordem Sprung und stürzten sich dann vorwärts in das raschentstehende Getümmel.

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***

Strybjörn durchzuckte Erregung, als der gewaltig gerüsteteAlte aus den Schatten trat. Im Innersten seines Herzens wussteer, dass dies einer der Erwähler war, ein Wesen, das ihmUnsterblichkeit und endlose Schlachten bis in alle Ewigkeitgewähren konnte, wenn es wollte. Sein Blick wurde von dergerüsteten Gestalt angezogen wie Eisenfeilspäne von einemMagneten. Dem Erwähler haftete die Aura einerehrfurchtgebietenden Macht an, die Strybjörn mit Neid undSehnsucht erfüllte. Er wollte an dieser Macht teilhaben und inder Lage sein, mit derselben Sicherheit mitten in einemGemetzel zu stehen. Er wollte etwas von demselben Stolzbesitzen. Hier war jemand, neben dem der größte allerGrimmschädel-Krieger nur ein Trottel war. Was der alte Mannauch haben mochte, er wollte es auch. In der bevorstehendenSchlacht wollte er sich als Held beweisen oder wenigstens beidem Versuch sterben. Wenn er die Gelegenheit dazu bekam. Erwar nicht in der ersten Welle der Krieger, die sich mit denDonnerfäusten im Zweikampf messen durften.

Er warf einen Blick auf die Gegner, um zu schätzen, wieviele von ihnen noch übrig waren, und sah, dass einer derDonnerfäuste, ein Jugendlicher in seinem Alter, den Alten miteinem Ausdruck des Wiedererkennens anstarrte. War esmöglich, dass er den Erwähler kannte? Nein, das konnte nichtsein. Es musste daran liegen, dass ihn der Todeswahnsinngepackt hatte. Strybjörn prägte sich das Gesicht des jungenMannes so gut wie möglich ein. Er war plötzlich von einerunerklärlichen Abneigung gegen ihn besessen und beteteinbrünstig, dass er die anfängliche Schlacht überleben würde,sodass er ihn persönlich töten konnte.

Auf das Signal des alten Mannes stürmten die Grimmschädelvorwärts.

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***

Ragnar tauchte unter dem Hieb eines großen stämmigenKriegers hinweg. Er schwang seine Axt aufwärts und traf denMann in die Brust. Knochen splitterten, und Blut undEingeweide quollen heraus. Er fuhr gerade noch rechtzeitigherum, um dem Hieb eines anderen Grimmschädelsauszuweichen, und spürte dann zu seinem Entsetzen, dass ersich nicht mehr bewegen konnte.

Der Sterbende, der in einer Lache seines eigenen Bluts lag,hatte Ragnars Bein umklammert. Er schien den Entschlussgefasst zu haben, seinen Bezwinger mit in den Tod zu nehmen.Durch die Kraft des tödlich Verwundeten an Ort und Stellegefesselt, war diese Möglichkeit sehr wahrscheinlichgeworden. Der zweite Grimmschädel hieb nach ihm, undRagnar gelang es gerade noch, den Schlag mit seinem Schildabzuwehren. Durch den Zug an seinem Bein beeinträchtigt,war es schon schwierig genug, überhaupt das Gleichgewicht zuwahren. Er setzte zu einem Gegenangriff an, der seinenAngreifer zurückspringen ließ. In dieser kurzen Kampfpauseentschied er sich dafür, ein unerhörtes Risiko einzugehen.Ohne Bewegungsfreiheit konnte er unmöglich überleben. Erriskierte es, für einen kurzen Moment den Blick von seinemAngreifer abzuwenden, nach unten zu schauen und einen Hiebgegen das Handgelenk des Arms zu führen, der ihn festhielt.

Die scharfe Schneide der Axt fuhr durch Fleisch, Knochenund Sehnen und trennte die Hand sauber ab. Heißes Blut nässteRagnars Bein. Der Sterbende stieß einen Schrei aus wie dieVerdammten. Ragnar sprang gerade noch rechtzeitig beiseite,um seinem Angreifer auszuweichen.

Als der Mann an ihm vorbeistürmte, schlug Ragnar mitseiner Axt zu und traf ihn mit einem furchtbaren Hieb im

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Nacken. Die Axt grub sich durch die Halswirbel, und der Kopfdes Mannes wurde fast vom Hals getrennt. Die Leiche wusstenoch nicht recht, dass sie tot war, und lief noch ein paarSchritte weiter, bevor sie über den handlosen Mann stolperteund auf den blutgetränkten Boden fiel.

Ragnar richtete sich auf und sprang vorwärts, wobei er mitseiner Axt nach links und rechts hieb. Sein erster Schlag trafeinen überraschten Krieger an der Schläfe und zerschmetterteihm den Schädel. Sein zweiter Schlag wurde von einemkleinen, untersetzten Grimmschädel-Krieger pariert. Er undRagnar wechselten in Windeseile einen Wirbelsturm vonHieben. Eine Schmerzwelle schoss durch Ragnars Arm, wosich dessen Speerspitze tief hineinbohrte. RagnarsErwiderungshieb ließ den Mann geradewegs in die Hölletorkeln.

Ragnar war überrascht, wie gut er kämpfte. Alles rings umihn schien sich viel langsamer zu bewegen als sonst. Erkämpfte mit perfekter Koordination und einem Tempo, das ernicht für möglich gehalten hätte. Sein Verstand war kristallklar,kalt wie ein von Gletschern gespeister Gebirgsbach. Er fühltesich stark und schnell und spürte kaum die Schmerzen seinerWunden. Natürlich hatte er von älteren Kriegern gehört, dasses manchmal so war, und sein Körper würde später dieAnstrengungen der Schlacht teuer bezahlen. Doch jetzt, indiesem Augenblick, fühlte er sich unüberwindlich.

Ein rascher Rundumblick verriet ihm, wie irreführend diesesGefühl war. Es schien noch immer eine endlose Horde vonGrimmschädel-Kriegern zu geben. Wenn einer fiel, sprang einanderer vor, begierig, den Kampf aufzunehmen. Dieverbliebenen Donnerfäuste schlugen sich jetzt gut, aber überdie Hälfte von ihnen war gefallen. Als er sich weiterumschaute, sah Ragnar seinen Vater tot auf dem Boden liegen.Er starrte mit blicklosen Augen himmelwärts, die Hände immernoch um seine Axt gelegt und zwei tote Grimmschädel zu

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seinen Füßen.Entsetzen packte Ragnar. Dies war der Mann, der ihn nach

dem Tod seiner Mutter allein aufgezogen hatte. Er war da,solange Ragnar zurückdenken konnte, ein Pfeiler unbeugsamerStärke. Es war einfach unmöglich, dass er tot war. Feinde wieSpreu niedermähend, erzwang er sich einen Weg zu der Stelle,wo sein Vater lag. Der junge Donnerfaust-Krieger beugte sichüber den Leichnam und legte die Hand auf die Stirn seinesVaters. Die Haut war bereits kalt. Als er die Hand auf dieKehle legte, konnte er keinen Puls ertasten. Kummer erfüllteihn und lahmte ihn für einen Moment.

Ein Grimmschädel lief auf ihn zu. Ragnar sah ihn kommen.Sein Kummer verhärtete sich. Die Notwendigkeit zu tötenloderte in Ragnars Seele auf. Der Grimmschädel bewegte sichso langsam, dass er durch Melasse zu waten schien. Ragnarkonnte jede Einzelheit an seinem Angreifer erkennen, von derWarze auf dessen linkem Handrücken bis zu den Kerben imfunkelnden Stahl seiner Klinge. Allem haftete eine tödlicheKlarheit an. Dem Hinken des Mannes konnte er entnehmen,dass er sich das Bein verdreht hatte, aber die Beeinträchtigungverlangsamte ihn nicht sehr. Er sah zu, wie der Mann mitseiner Axt zu dem Hieb ausholte, der Ragnar enthauptenwürde. Es war so, als widerfahre dies alles einem anderen.

Dann konnte er schräg hinter dem Angreifer den alten Mannsehen, den Wolfpriester Ranek, der ihn beobachtete. In denAugen des alten Mannes stand etwas. Es mochte Mitgefühlsein oder auch Verachtung. Ragnar konnte es nicht sagen. JeneWolfsaugen waren für einen Sterblichen wie Ragnarunergründlich. Und doch brach der Blick den Bann, unter demer stand. Kalte Wut und heißer Hass erfüllten ihn. Erexplodierte förmlich schnellte aus seiner geduckten Haltungunter dem Hieb hindurch und prallte gegen seinen Angreifer.

Er trat dem Mann gegen sein verwundetes Bein, was diesenzurücktaumeln und dann vollends das Gleichgewicht verlieren

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ließ. Als er stürzte, spaltete Ragnar ihm den Schädel wie einScheit Feuerholz und rückte gegen die Reihen derGrimmschädel vor.

Jetzt kämpfte er wie ein Gott. Nichts konnte ihmwiderstehen. Sein Hass und seine Wut verliehen ihm ungeahnteKräfte. Er kannte keine Furcht. Er lebte nur, um zu töten, undihm war jetzt völlig gleichgültig, ob er lebte oder starb. Inseiner Wut pflügte er durch die Grimmschädel wie einDrachenschiff durch stürmische See. Alles, was ihm in dieQuere kam, wurde niedergemacht.

Irgendwo in dem Wahnsinn spaltete der Hieb einerGrimmschädel-Axt seinen Schild. Er tötete den Mann, derdiese Kühnheit besessen hatte, und fing dessenumherwirbelnde Axt im Fall auf. Mit einer Waffe in jederHand stürmte er vorwärts wie ein Wirbelwind des Todes undtötete alles in seiner Reichweite. Nachdem er den zwanzigstenGrimmschädel erschlagen hatte, zählte er nicht mehr weiter. Ergewöhnte sich an den Ausdruck der Furcht und des Entsetzens,den er in den Gesichtern der Männer sah, die ihmgegenübertraten. Es war jener Ausdruck, den man aufsetzte,wenn man sich einem Dämon zum Kampf stellte. Ragnarbekümmerte dies nicht. In diesem Augenblick fühlte er sichauch wie ein Dämon. Vielleicht hatte einer von ihm Besitzergriffen. Wenn das der Fall war, begrüßte er ihn, wie er allesbegrüßen würde, was ihm dabei half, Grimmschädel zu töten.

Einen Moment schien es so, als könne er ganz allein dasBlatt wenden. Die Donnerfäuste versammelten sich hinter ihm,bildeten einen Keil und pflügten ermutigt durch Ragnars Kraftund Geschick durch die Feinde. Aber es konnte nicht andauern.Einer nach dem anderen fielen seine Leute. Nichts konntediesen furchtbaren, übermenschlichen Grad der Wildheitaufrechterhalten, der von Ragnar Besitz ergriffen hatte. Erblutete aus einem Dutzend kleiner Wunden. Das ParierenDutzender wuchtiger Schläge raubte ihm allmählich die Kräfte.

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Er wurde langsamer, nahm seine Schmerzen wieder wahr undkehrte auf die Ebene der Menschlichkeit zurück.

***

Strybjörn hieb eine weitere Donnerfaust nieder undversuchte den jungen Krieger auszumachen, auf den er vorheraufmerksam geworden war. Er war nirgendwo zu sehen undmusste zu einem anderen Teil des Schlachtfelds gezogen sein.Das war bedauerlich. Immerhin war es Strybjörn gelungen, denalten Mann zu erwischen, der eine gewisse Ähnlichkeit mitdem jüngeren hatte. Für eine Donnerfaust hatte er einenziemlich guten Kampf geliefert. Strybjörn war stolz auf sich.Nun, da die Donnerfäuste neuen Mut gefasst hatten,verwandelten sie sich in würdige Gegner, und er hatte bereitsfünf getötet. Er war ziemlich sicher, dabei den Blick desErwählers auf sich gespürt zu haben. Er hatte sich seine Feindemit Bedacht ausgesucht. Alle waren Krieger in der Blüte ihrerJahre gewesen, und alle waren seiner Axt zum Opfer gefallen.Erneut erfüllte ihn die schiere Lust am Blutvergießen.

Er war so glücklich wie noch nie zuvor in seinem kurzenhasserfüllten Leben. Der Akt des Tötens bereitete ihm mehrFreude als Essen, Schlaf oder Ale. Er war süßer als Honig undsüßer als die Küsse eines Mädchens. Indem er den Tod brachte,gewann ein Krieger Macht, die derjenigen der Göttergleichkam. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht gab es nochetwas Besseres als das, etwas, das nur den Erwählern und ihrenHerren bekannt war. Strybjörn hoffte jedenfalls, esherauszufinden.

Und jetzt war es an der Zeit, die von ihm auserwählte Beutezu suchen. Es war an der Zeit, wieder zu töten.

***

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Müdigkeit überkam Ragnar. Er spürte, wie er langsamerwurde. Die Kräfte verließen ihn. Er parierte den Hieb einesGrimmschädel-Kriegers und wich einem zweiten Hieb aus. DieSchneide der Axt zerriss seine Tunika und hinterließ eineblutige Strieme auf seiner Brust. Er ließ die Axt an sichvorbeisausen, rückte nach und hackte mit seiner zweiten Waffeein beträchtliches Stück aus der Axt seines Angreifers. EinHieb von rechts schickte den Mann zu seinen Vorfahren.

Hinter ihm waren noch viele Grimmschädel. Es schien so,als träten für jeden Getöteten zwei neue vor, um dessen Platzeinzunehmen. Nicht, dass Ragnar dies etwas ausgemacht hätte.Er war nur auf Töten aus, darauf, sie für den Tod seines Vatersund den Diebstahl des Lebens, das er mit Ana hätte führensollen, büßen zu lassen. Wenn er in die kalten Höllen einging,würden ihn viele begrüßen, die er getötet hatte, und diesesWissen machte ihn froh. Er bedauerte nur, dass es ihm nichtgelingen würde, alle zu töten, und dass er den Tötungswahnnicht aufrechterhalten konnte, der ihn so viele Feinde hatteüberwältigen lassen.

Ein Hagel von Hieben erledigte die nächsten beidenAngreifer, und dann wusste Ragnar, dass seine Kraftverbraucht war. In dieser Schlacht hatte er seine Kraftverbrannt wie ein Feuer Holz. Es war nichts mehr übrig. Erkämpfte nur noch reflexhaft. Seinen Schlägen fehlte dietödliche Wucht, die sie bis vor wenigen Augenblicken gehabthatten, und dann stand er plötzlich dem Mann gegenüber, derihn töten würde.

Es war ein jugendlicher Grimmschädel-Krieger, der ihmschon zuvor aufgefallen war. Ein Krieger ungefähr in RagnarsAlter mit einer Stirn wie eine Klippe und einem gewaltigvorspringenden Kinn. Er lächelte grausam und enthüllte dabeiZähne wie Mühlsteine. In seinen Augen stand ein Ausdruckblutgierigen Wahnsinns, der Ragnars eigenem entsprechen

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musste. Sie hielten kurz inne, um einander zu messen. Beidehatten das Gefühl, in dieser Begegnung die Hand desSchicksals zu spüren.

***

Strybjörn betrachtete sein auserwähltes Opfer. Endlich hatteer den Krieger gefunden, der eine Schneise der Zerstörung inden Reihen von Strybjörns Kameraden hinterlassen hatte. Erhatte denjenigen gefunden, den er sich zuvor ausgesucht hatte,den Krieger, der den Erwähler wiedererkannt zu haben schien.

Er sah nicht nach viel aus, war nur ein weiterer schmächtigerDonnerfaust-Bursche mit einer ungewöhnlichen Mähneschwarzer Haare, doch Strybjörn unterschätzte ihn nicht. Erhatte selbst gesehen, welche Verwüstung dieser junge Kriegerangerichtet hatte. Nun, damit war jetzt Schluss. Es warStrybjörns Bestimmung, diesen Schlächter zu töten und damitden Beifall der Götter zu erringen. Dieses Zusammentreffenwar schon vor langer Zeit vom Schicksal festgelegt worden,dessen war er ganz sicher.

»Ich bin Strybjörn«, sagte er. »Und ich werde dich töten.«»Ich bin Ragnar«, erwiderte der Donnerfaust-Krieger.

»Versuch's nur.«

***

Ragnar sah den Ausdruck des Hasses in den Augen desGrimmschädels, registrierte den flackernden Blick, der besagte,dass er jetzt angreifen würde, und wich zurück, als Strybjörnzuschlug.

Der Grimmschädel war schnell, kein Zweifel. Ragnar gelanges kaum, den Hieb mit seiner Axt abzuwehren, ganz zu

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schweigen davon auszuweichen. Und als er es dann doch tat,rückte Strybjörn nach und schlug ihn mit seinem Schild vonden Beinen. Die Wucht des Hiebs ließ Sterne vor RagnarsAugen tanzen. Er stolperte rückwärts über Leichen.

Schon fuhr die Axt des Grimmschädels in glitzerndemBogen nieder. Ragnar blieb kaum Zeit genug, sichherumzuwälzen. Blut bespritzte ihn, als die Axt mit einemGeräusch in die Leiche fuhr, als treffe ein Schlachter mitseinem Hackbeil eine Fleischseite. Ragnar trat zu in demVersuch, dem Grimmschädel die Beine unter dem Körperwegzutreten, aber sein Gegner wich zur Seite und ließ seineAxt niedersausen. Diesmal gelang es Ragnar, seine linke Axthochzureißen, aber seine Position war schlecht, und die Wuchtdes Hiebs drückte seine Waffe zusammen mit der Klinge desGrimmschädels gegen seine Brust. Er zuckte vor Schmerzenzusammen und spürte, wie ihm sein eigenes Blut über die Brustlief.

Strybjörn hob die Axt zu einem weiteren Hieb. Ragnarwälzte sich noch einmal zur Seite und sprang auf, um gleichdarauf gerade noch rechtzeitig vorwärts und unter demnächsten Hieb hindurch zu hechten. Er landete der Länge nachauf dem Boden, aber diesmal war er vorbereitet, so dass er sichabrollte und wieder aufsprang. Sogleich sah er sich mit einemanderen Grimmschädel-Krieger konfrontiert. Der Mann hobseine Klinge zum tödlichen Hieb.

»Nein, lass ihn! Er gehört mir«, hörte er Strybjörn hinter sichbrüllen. Der zweite Grimmschädel hielt überrascht inne.Ragnar nutzte seine Verwirrung aus, um dem Mann seine Axtin die Rippen zu schmettern, und fuhr dann gerade nochrechtzeitig herum, um Strybjörns nächsten Hieb zu parieren.Diesmal bewirkte die Wucht des Schlages mehr als nur einGefühl der Taubheit in seinem linken Arm. Er spürte, wieetwas in seinem Handgelenk nachgab, und dann schoss einbrennender Schmerz seinen Arm empor. Die Axt entfiel seiner

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gefühllosen linken Hand. Strybjörns wulstige, brutale Lippenverzogen sich zu einem triumphierenden Grinsen.

»Jetzt stirbst du, Ragnar Donnerfaust«, knurrte er.Ragnar zahlte das Grinsen mit gleicher Münze zurück und

schlug mit der ihm verbliebenen Waffe zu. Der Hieb kamschnell, schneller als der des Grimmschädels, und Strybjörnblieb kaum genug Zeit, um auszuweichen. Dierasiermesserscharfe Klinge streifte ihn und löste einen großenHautfetzen von seiner Stirn. Blut tropfte Strybjörn in dieAugen. Er schüttelte den Kopf, um sein Blickfeld zu klären.

Ragnar trat zurück, um sein Werk zu betrachten, da er jetztim Vorteil war, wenn er die nötige Geduld aufbrachte. Das ausder Wunde laufende Blut würde seinem Gegner bald die Sichtnehmen, und dann konnte Ragnar ihn mühelos töten.

Offenbar war Strybjörn derselbe Gedanke gekommen, da erjetzt einen wütenden Schrei ausstieß und wie ein wütenderKeiler vorstürmte. Der Hagel von Schlägen, mit dem er Ragnareindeckte, hätte beinahe ausgereicht, den Donnerfaust-Kriegerzu überwältigen, aber irgendwie gelang es ihmzurückzuweichen, ohne dabei mehr als ein paar Kratzerabzubekommen. Dabei ging ihm jedoch auf, dass seine Lagehoffnungslos war. Strybjörns Angriff hatte ihn rückwärts ineinen großen Halbkreis von Grimmschädel-Kriegern getrieben,von denen jeder Einzelne auf die Gelegenheit brannte, seineabgeschlachteten Kameraden zu rächen. Ragnar hatte keineMöglichkeit, sich gegen sie und Strybjörn gleichzeitig zuverteidigen.

Augenblicklich traf er eine Entscheidung. Er würde dafürsorgen, dass er noch einen letzten Feind in die Dunkelheitmitnahm. Er gab jede Deckung auf, wappnete sich gegen dentödlichen Hieb und warf dann seine Axt. Er spürte das Gewichtdes Todes in seinem Wurf, noch bevor die Klinge ihr Ziel traf.Er wusste, dass das Schicksal seines Angreifers besiegelt war.

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Die Axt traf Strybjörn in die Brust. Rippen brachen,Eingeweide quollen heraus. Einen Moment empfand Ragnarnur Befriedigung darüber, dass er Rache genommen hatte, dannspürte er eine Welle grellen Schmerzes durch seine Brust rasen.

Mit einem reflexhaften tödlichen Hieb hatte Strybjörn seineWaffe tief in Ragnars Brust versenkt, dann rückten seineKameraden vor, um sein Werk zu vollenden. Von denSchmerzen dieses Hagels von Schlägen geschüttelt, fiel Ragnarvornüber in die Dunkelheit, in der ihn der Tod erwartete, umihn willkommen zu heißen.

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5

DER ERWÄHLER DER GEFALLENEN

Ragnar trieb in einem Meer aus Schmerzen. Sein ganzerKörper brannte. Er litt auf eine Weise, die er nicht für möglichgehalten hätte, ertrug Qualen, wie sie keinem Sterblichenbestimmt sein konnten, dessen war er ganz sicher.

Also war dies die Hölle, dachte er. Sie war nicht so, wie ererwartet hatte. Es war nicht kalt. Es gab nur Schmerzen. Wowaren die anderen, die er erschlagen hatte? Warum waren sienicht hier, um ihn zu begrüßen? Wo waren die Richter derToten? Wo waren sein Vater, seine Mutter und seine übrigenVerwandten?

Trotz der Schmerzen wurde er sich eines schrecklichenGefühls der Enttäuschung bewusst. Er war nicht erwähltworden. Er war nicht an der großen Festtafel im Saal derHelden hoch oben auf dem Berg der Ewigkeit erwacht. Er hattesich nicht als würdig genug erwiesen. Er war herabgesetztworden. Es war ein mürrischer Gedanke, und dann wusste ernichts mehr.

***

Erneut wurde er sich seiner Schmerzen bewusst, aber siekamen ihm nicht mehr so stark vor. In seinen Ohren dröhnteein seltsames Stampfgeräusch und das Tosen eines mächtigenWindes. Langsam ging ihm auf, dass das Stampfen der Schlagseines Herzens und der Wind das Keuchen seines Atems seinmochten.

Dann war es, als bohrten sich rotglühende Schürhakenüberall dort in seine Brust, wo er verwundet worden war. Erwollte schreien, aber er konnte den Mund nicht öffnen. Kein

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Laut kam über seine Lippen. Er hatte das Gefühl, als würdenihm Eisnadeln durch die Haut gestochen und ein Faden ausgeschmolzenem Blei benutzt, um seine Wunden zu nähen.

Die Hölle, dachte er, war ein Ort der Folter und, der Qual.Schwärze. Stille.

***

Jetzt war es kalt. Eis umgab ihn und hielt ihn in klirrenderund brennender Umklammerung zugleich. Das kam der Sacheschon näher. Die Skalden und ihre alten Lieder hatten ihn dazugebracht, ebendies zu erwarten. Es war der Ort der unendlichenKälte, an dem die verlorenen Seelen umherwanderten, bevoralle Erinnerung verblasste und sie in den Urstoff desUniversums eingingen.

Doch wo waren die anderen ruhelosen Toten? Und warumkonnte er sie nicht sehen? Er bekam keine Antworten. Er triebÄonen durch die Unendlichkeit, bis ihn das Bewusstseinverließ.

***

Ihm wurde wärmer. Sein Körper bebte. Schmerzen und Hitzeschienen ununterscheidbar zu sein. Sie hüllten ihn ein wie einSchleier. Er zitterte. Er fühlte sich sehr müde. Sein ganzerKörper schmerzte. Er fühlte sich, als sei sein Geist langeumhergewandert und habe jetzt alle Kraft verloren.

Dennoch war er sich noch seiner selbst bewusst. Irgendwieexistierte er immer noch in der einsamen Leere, die erausfüllte. Er war sich nur der Schmerzen und seiner eigenenErinnerungen bewusst, aber immerhin hatte er ein Bewusstseinvon ihnen. Daran konnte er sich klammern. Er war kaum zu

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diesem Schluss gekommen, als er spürte, wie die Messerwieder zu schneiden anfingen und er in die lange Dunkelheitdes Vergessens fiel.

***

Ein Gewicht wie das einer ganzen Insel lag auf ihm, erstickteihn. Er konnte nicht atmen und empfand zum ersten Malüberhaupt einen Luftmangel. Er war sich seiner Gliedmaßenbewusst, aber sie schienen zu schwer zu sein, um sie zubewegen. Er spürte seine Augenlider, konnte sie aber nichtöffnen. Er hatte den Eindruck, dass jemand irgendwo, sehr weitentfernt, seinen Namen rief.

Konnten es die Toten sein?, fragte er sich, wobei er bereitswusste, dass sie es nicht waren.

Er zwang sich, bei Bewusstsein zu bleiben. Er versuchte, dieAugen zu öffnen. Es war, als ringe er mit einer unendlichenLast. Er wusste jetzt, wie Russ sich gefühlt haben musste, als eres mit der gewaltigen Kraft der Mittweltschlangeaufgenommen hatte. Das Vorhaben schien seine Kräfte zuübersteigen und doch gestattete er sich nicht aufzugeben.

Er konzentrierte seine gesamte Willenskraft darauf, dieAugen zu öffnen. Sie widersetzten sich ihm so nachhaltig, wiedie Erde des Grabes sich den Bemühungen eines lebendigBegrabenen widersetzen mochte. Er hörte nicht auf, es zuversuchen, wollte sich nicht gestatten aufzugeben. Er zwangsich weiterzumachen.

Schmerzen stachen durch alle seine Gliedmaßen, doch erließ sich von ihnen nicht ablenken. War das Schweiß, was ihmüber die Stirn lief? Er wusste es nicht, denn er konnte die Handnicht heben, um ihn abzuwischen. Er konnte nur alle Kraftseines Lebens in den Versuch legen, die Augen zu öffnen. Füreinen Mann, der so wie er in einer derart gewaltigen Schlacht

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gekämpft hatte, hätte dies eine triviale Aufgabe sein müssen,aber das war es nicht. Es war das Schwerste, was er jeunternommen hatte.

Er brachte sich dazu, an seine Eltern und Freunde zu denken.Wenn er es schaffte, die Augen zu öffnen, konnte er siewiedersehen. Er würde in das Land der Toten schauen. DerGedanke war beängstigend, aber was konnte er sonst tun? Erwar nun dort. Früher oder später würde er sich dem stellenmüssen, und er war kein Feigling. Er kannte sich gut genug,um zu wissen, dass dies stimmte.

Warum war er dann so widerwillig? Warum verspürte erdiese sonderbare Angst in der Magengrube? Fürchtete er sichvor dem Blick auf das Unbekannte, oder fürchtete er sichdavor, jene wiederzusehen, die er einmal geliebt hatte, undihnen gegenübertreten zu müssen? Er zwang sich fortzufahrenund wurde mit einem Schimmer von Licht belohnt.

Plötzlich wurde die Dunkelheit von einem blau-weißen Blitzzerteilt. Das hatte er überhaupt nicht erwartet. Er zwang sich,es weiterhin zu versuchen, die Augen ganz zu öffnen, undlangsam dämmerte ihm, dass er in einen Himmel starrte, dergenauso wie der von Fenris war. Die Nachwelt war wahrhaftignicht, was man ihn glauben gemacht hatte. Er kam sich einwenig betrogen vor.

Als sei das Erblicken des Himmels ein Signal, überflutetenandere Wahrnehmungen sein Gehirn. Er wurde des Geruchsder Erde gewahr, des Gesangs der Vögel, des entferntenTosens einer Brandung. Dann folgten der bittere Geruch nachAsche, rauchiger Brandgeruch und der bittersüße Gestank nachMenschenfleisch auf Scheiterhaufen.

Unter ihm war etwas Weiches. Er spürte Gras zwischenseinen Fingern, als sie sich in feuchtes Erdreich bohrten. Erregistrierte Schmerzen und ein merkwürdiges Gefühl derTaubheit, das sich dazwischen schob, so ähnlich, wie das Bier

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ihn von der Welt entfernt hatte, nur dass diese Taubheittausendmal stärker war als Alkohol.

Ein großer grauhaariger Kopf schob sich in sein Blickfeld.Kalte blaue Augen wie Splitter vom Himmelsgewölbe starrtenihn an. Er erkannte das zerfurchte, abgespannte Gesicht. Esgehörte Ranek, dem Wolfpriester, dem Erwähler derGefallenen.

»Also seid Ihr mir hierher gefolgt«, wollte er sagen, aber ausseinem Mund kam nur ein unverständliches Gurgeln.

»Nicht sprechen, Junge«, sagte Ranek. »Du hast einenlangen Weg hinter dir. Es ist eine gewaltige Reise zurück ausdem Land der Toten in das Land der Lebenden, und es ist keineReise, die vielen vergönnt ist. Spar deine Kraft. Du wirst sienoch brauchen.«

In einer Sprache, die Ragnar nicht kannte, sagte er etwas zujemandem, der außerhalb seines Gesichtsfelds stand. Ragnarspürte einen stechenden Schmerz im Arm, dann ergoss sichetwas so kalt wie ein Gletscherbach in seine Adern, und dasBewusstsein verließ ihn.

***

Diesmal erwachte er schlagartig und war sich augenblicklichder Sonne auf seinem Gesicht und dem Streicheln der Fingerdes Windes auf der Wange bewusst. Er fühlte sich ausgeruhtund hatte kaum Schmerzen. Er versuchte sich aufzurichten. Eswar eine gewaltige Anstrengung, aber er schaffte es. Er sah,dass er nackt war.

Instinktiv hob er die Finger, um die Stelle zu berühren, woStrybjörns Axt sich in seine Brust gebohrt hatte. Zu seinerÜberraschung fand er nur eine winzige Narbe und eineempfindliche Stelle vor, die ihm beim Betasten Schmerzen

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bereitete.Ein Blick nach unten zeigte ihm eine frische rosafarbene

Narbe und einen gelblichen Fleck, der wie eine ältere Prellungaussah. Auf seiner Brust waren noch viele andere Narben undBlutergüsse, und er bezweifelte nicht, dass sein Rückengenauso aussah. Was ging hier vor? Er sah, dass er nahe beidem riesigen Luftschiff lag. Als er sich umschaute, konnte eretwas ausmachen, das wie die Überreste eines verbranntenDorfs aussah.

Es war seltsam: die Nachwelt hatte eine verblüffendeÄhnlichkeit mit der wirklichen Welt. Nur einige Dingestimmten nicht ganz. Wo sich das Dorf der Donnerfäuste hättebefinden müssen, stand eine Ansammlung von Ruinen. DasDach des eingestürzten Langhauses schwelte noch immer. AmStrand brannten Scheiterhaufen.

Gruppen von Frauen und Kindern wurden in Drachenschiffegetrieben, die auf den Wellen tanzten.

Langsam dämmerte es Ragnar, dass er sich vielleichttatsächlich in der Welt der Lebenden aufhielt. Er erinnerte sichan die große Schlacht mit den Grimmschädeln und an dieBrände, die gewütet hatten. Nach solch einer Schlacht würdesein Heimatdorf in der Tat so aussahen, so viel war sicher.

Oder vielleicht war dies auch eine neue und unbekannteHölle, die Dämonen heraufbeschworen hatten. Vielleicht wares ein Ort, der ihm die Niederlage der Donnerfäuste vor Augenführen sollte. Düster genug war die Szenerie jedenfalls.

Er hörte gewichtige Schritte auf dem Boden hinter sich underblickte Ranek, als er sich umdrehte. Der alte Wolfpriesterbetrachtete ihn mit wissendem Blick. »Du weilst wieder unterden Lebenden, Junge«, sagte er. Es war keine Frage.

»Tue ich das? Seid Ihr nicht einer der Erwähler derErschlagenen?«

Das dröhnende Gelächter des alten Mannes hallte durch die

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Ruinen. Mehrere Gestalten drehten sich erschrocken zu ihmum. »Immer Fragen, was? Du hast dich nicht verändert,Junge.«

»Ich bin kein Junge mehr. Vor ein paar Tagen habe ich dieRobe der Mannbarkeit erworben.«

»Und was das für Tage waren, wie? Nun, du hast dich aufdem Schlachtfeld ausgezeichnet, das muss ich dir lassen. Dubist ein Kämpfer, Junge. So ein Gemetzel habe ich seit BereksZeiten nicht mehr erlebt und die ... na ja, die sind schon sehrlange her.«

»Also seid Ihr tatsächlich ein Erwähler?«»Ja, Junge, das bin ich. Aber nicht so, wie du glaubst.«»Wie dann? Entweder seid Ihr ein Erwähler oder nicht.«»Eines Tages wirst du es verstehen, falls du überlebst. Das

Universum ist nicht annähernd so einfach, wie du glaubst. Daswirst du schon sehr bald herausfinden.«

»Wenn ich überlebe?« Ragnar schaute staunend auf dieStelle, wo sich eine klaffende Axtwunde hätte befindenmüssen. »Aber ich ...«

»... war doch schon tot? Wolltest du das sagen? Ja, das warstdu. Dein Herz hatte aufgehört zu schlagen, und du hattest vielBlut verloren. Dein Körper hat viel Schaden genommen, abernicht genug. Unser Heiler ist zu dir gelangt, bevor der Hirntodbei dir eintrat, und es überstieg nicht unsere ... Magie, deinLeiden zu kurieren.«

Ragnar war sicher, dass Ranek ein anderes Wort gemurmelthatte, bevor er »Magie« sagte, aber dieses Wort hatte er nochnie zuvor gehört und es ergab keinen Sinn, aber das mussteman von Zauberern auch erwarten. Sie sprachen in Rätseln undUnsinn. Dennoch erfüllten seine Worte Ragnar mit Hoffnung.

»Ihr könnt die Toten zurückholen? Dann ist mein Vater ...«»Deinem Vater kann niemand mehr helfen, Junge«, sagte

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Ranek. Er deutete zu den Scheiterhaufen.»Warum habt Ihr ihm nicht geholfen, wenn Ihr mir geholfen

habt? Ihr hättet es tun können.« Ragnar schämte sich, dassseine Stimme nicht völlig gemessen klang, sondern einwehleidiger Unterton darin lag.

»Er hatte sich unserer Hilfe nicht würdig erwiesen. Duhingegen bist auserwählt worden, Junge.«

»Auserwählt wofür?«»Das wirst du noch früh genug erfahren, falls das deine

Bestimmung ist.«»Das sagt Ihr ständig.«»Ich sage das ständig, weil es stimmt.«Der alte Mann bleckte die Zähne zu jenem beunruhigenden

Lächeln. »Jetzt gehörst du zu den Wölfen. Mit Leib undSeele!«

***

Ragnar erhob sich unsicher wie ein Neugeborenes. Erversuchte einen Fuß vor den anderen zu setzen, stellte aber fest,dass er schwankte und torkelte. Sogleich verlor er dasGleichgewicht und ging mit schmerzhafter Wucht zu Boden.

Er ließ sich davon nicht aufhalten. Mit beiden Händen stießer sich vom Boden ab und erhob sich wieder. Diesmalgelangen ihm ein paar Schritte, und bevor er erneut stürzte,hielt er inne und blieb schwankend stehen. Ihm war ein wenigübel. Sein Magen spielte verrückt. Er fühlte sich schrecklich,aber auch unendlich erleichtert.

Er war nicht tot. Er weilte unter den Lebenden. Welchemysteriösen Gründe sie dafür auch haben mochten, Ranek undseine Kameraden hatten beschlossen, ihn zu retten. Es hatte inder Tat den Anschein, als hätten sie ihn auf irgendeine Weise

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auserwählt. Zwar war es nicht so gewesen wie in denHeldengeschichten, die er kannte, aber man hatte ihn dennochausgesucht.

Sie waren in der Tat mächtige Zauberer. Sie hatten seineWunden geheilt und ihn von den Toten zurückgeholt. Oderetwa nicht? Handelte es sich vielleicht um irgendeine schlimmeZauberei, wie sie angeblich von den Meerdämonen ausgeübtwurde? Hatten sie seine Seele unter Anwendung finstersterZauberei an seine Leiche gebunden? Würde sein Körper bald inden Zustand der Verwesung übergehen? Er wandte sich zu demWolfpriester um.

»Bin ich tot?«, fragte er. Es war eine wahnsinnige Frage, daswusste er, aber Ranek betrachtete ihn mit einer Miene, dieVerständnis und vielleicht sogar Mitgefühl auszudrückenschien.

»Soweit es diese Leute betrifft, bist du es, Junge. Du gehörstzu den Erschlagenen. Du wirst diesen Ort verlassen undniemals zurückkehren. Dein Schicksal liegt jetzt anderswo, imendlosen Eis und vielleicht in den Sternen.«

Ragnar glaubte Ana zu sehen, wie sie gerade auf eines derDrachenschiffe gestoßen wurde. Plötzlich wusste er ohne dengeringsten Schatten eines Zweifels, dass er zu ihr musste. Ersetzte sich schwankend wie ein Betrunkener in Richtung Strandin Bewegung. Er rechnete damit, dass Ranek ihn aufhaltenwürde, doch der Wolfpriester ließ ihn gehen.

Ragnar hatte keine Ahnung, wie lange er brauchte, um denStrand zu erreichen. Er wusste nur, dass er so schwer keuchtewie nach einem zwanzig Meilen langen Lauf durch den Sand,als er dort angelangt war. Er sah, wie die Grimmschädel-Krieger sich alle umdrehten und ihn ansahen. Auf ihrenGesichtern lag Staunen und Entsetzen. Sie beschrieben dasZeichen von Russ, um dann weiter ins Meer zu waten und ihreSchiffe zu besteigen.

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Ragnar wollte ihnen folgen, aber die Wellen schlugen ihmentgegen und er strauchelte. Das Wasser überspülte ihn unddrang in seine Lunge. Er erhob sich und fing an zu husten. Erversuchte sich wieder in Bewegung zu setzen, aber eine starkeHand schloss sich um seine Schulter. Er fuhr herum und schlugzu. Schmerzen zuckten durch seinen Arm, und es fühlte sichan, als habe er sich die Finger gebrochen.

»Ceramit ist nacktem Fleisch gegenüber unnachgiebig,Junge«, sagte Ranek, während er ihn trotz seiner Gegenwehr somühelos hochhob, als sei er ein Welpe. »Du brichst dir nur dieHände, wenn du so weitermachst.«

Vom Wasser hallten Trommeln herüber, und Ruderblätterklatschten ins Wasser. Die Drachenschiffe entfernten sich vomUfer.

»Wohin fahren sie?«»Sie kehren mit ihren neuen Leibeigenen nach Hause

zurück, Junge. Jetzt werden sie sich hier nicht mehrniederlassen. Nach dieser Schlacht werden sie glauben, dass esauf dieser Insel spukt. Deine Wiederauferstehung wird diesemStandpunkt nur zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen. Inkurzer Zeit wird diese Insel ein heiliger Ort sein, daran habeich keinen Zweifel. Und dann werden sie alles vergessen.Menschen vergessen immer.«

Ragnar sah den über die Wellen gleitenden Schiffenhinterher, und er fragte sich, ob die schmächtige Gestalt, dieihm zuzuwinken schien, Ana war. Das ließ sich jetzt nicht mitBestimmtheit sagen, und er bezweifelte, dass er es jeherausfinden würde.

Ranek ließ ihn herunter, und er winkte dennoch zurück,wobei er sich fragte, ob die salzige Nässe in seinen AugenTränen oder lediglich Meeresgischt war.

***

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Ragnar kehrte schwankend zu dem Hügel zurück, auf demdas Luftschiff lag. Er versuchte sich das Dorf einzuprägen,denn er glaubte Raneks Worten, niemand werde jemals wiederhierher kommen.

Er ging an der zerstörten Hütte unweit des eingestürztenLanghauses vorbei, die Ullis Heim gewesen war. Ulli war jetzttot, das wusste er. Er musste mit seinem Vater in der Schlachtgestorben sein und war nicht auserwählt worden. Es kam ihmunmöglich vor, dass er Ulli nie wiedersehen würde, aber es warso. Den Freund, mit dem er in seiner ganzen Kindheit gespielthatte, gab es nicht mehr. Es gab niemanden mehr.

Ragnar konnte sich noch erinnern, wie er hier auf diesemBoden Fangen, Tretball und Held-und-Ungeheuer gespielthatte. Wenn er angestrengt lauschte, glaubte er diePhantomstimmen jener spielenden Kinder zu hören, abernatürlich war das Unsinn. All das war jetzt Vergangenheit,vergangen und vorbei, und würde nie zurückkehren. Es war sokalt wie die Asche der ausgebrannten Hütte.

Ragnar kam an der Stelle vorbei, wo sein Vater gefallen war,und er schob den Gedanken weit von sich. Später war nochgenug Zeit, sich damit zu befassen. Wenn er zuließ, dass dieVorstellung sein Denken auch nur berührte, würden ihnKummer und Zorn ganz gewiss verschlingen.

Er mied ausdrücklich die Stelle, wo die Hütte seines Vatersgestanden hatte, das einzige Heim, an das er sich erinnernkonnte, wenn er vom Deck der Speer von Russ absah. SeineSchritte führten ihn zum Rand des Dorfs. Es war ein Fehlergewesen, durch die Ruinen zu wandern. Die Erinnerung daranund das Entsetzen waren noch zu frisch, um sich dem zustellen. Er wollte nur noch weg. So schnell er konnte,marschierte er zum Luftschiff der Erwähler.

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***

Als er sich dem Schiff näherte, fiel Ragnars Blick auf eineam Boden liegende Gestalt. Sie lag auf einer Bahre aus Metall,und alle möglichen durchsichtigen Röhrchen bohrten sich inihre Haut. Die Röhren endeten in einem Gerät, das wie einegroße Spinne auf der Brust des jungen Mannes lag.Flüssigkeiten durchströmten sie. Seltsame Runen leuchteten ingrellem Rot und Grün.

Als Ragnar näher kam, sah er, dass es sich um Strybjörnhandelte, um den Grimmschädel, mit dem er gekämpft hatte.Allem Anschein nach wirkten die Erwähler ihre Magie auch anihm, und langsam dämmerte Ragnar die Erkenntnis, dass diesnur eines bedeuten konnte: Strybjörn war ebenfalls erwähltworden. Hass und kalte Wut tobten jäh in RagnarsEingeweiden.

Anscheinend war der Feind, den er getötet zu haben glaubte,seinem Verhängnis entronnen. Als er daran dachte, wie derGrimmschädel seine Sippschaft niedergemetzelt hatte, und alser sich an seine hasserfüllte Miene zu Beginn ihres Kampfeserinnerte, fragte Ragnar sich, ob die Götter ihn verspotteten,indem sie seinen Feind verschonten, wie sie ihn verschonthatten.

Ohne nachzudenken, bückte er sich und hob einen großenStein auf. Er hatte die Absicht, Strybjörn den Schädeleinzuschlagen und das seltsame Gerät auf seiner Brust zuzerstören. Er wusste nicht, ob es funktionieren würde.Vielleicht würden ihn die Erwähler noch einmal von den Totenzurückholen. Vielleicht war ihre Magie so mächtig. Ragnarwusste es nicht, hatte aber die Absicht, es herauszufinden. Alser sich der reglosen Gestalt Strybjörns näherte, hatte er nichtsanderes als Mord im Sinn.

Er betrachtete sein Opfer. Strybjörn sah trotz seines Zustands

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noch grimmig aus. Sein riesiger Kiefer und die vorspringendeStirn ließen ihn wie einen Wilden aussehen. Ragnar spürte, wieihn eine schreckliche, ekelhafte Freude überkam, als er denStein hob. In diesem Augenblick kümmerte es ihn nicht, wasdie Erwähler denken mochten. Ihn kümmerte nicht, dass erdem Willen der Götter trotzen mochte. Ihn kümmerte nur seineRache. Und er hatte die Absicht, sie zu nehmen.

Ein Hochgefühl überkam ihn, als er den Arm herabsausenließ. Er grinste in freudiger Erwartung des Augenblicks, wennder Stein Strybjörns Kopf treffen und ihn zu Brei schlagenwürde. Der Augenblick kam nie. Stahlharte Finger schlossensich um seinen Arm und hielten ihn fest. Ragnars Versuche,sich zu bewegen, waren so vergeblich, als habe er geradeversucht, einen Berg zu heben.

»Bei Russ, Junge, du bist wahrhaftig ein Wilder«, sagteRanek. »Der geborene Schlächter. Aber der hier ist nicht fürdich. Er ist auserwählt worden, und du darfst ihn nicht töten.«

»Ich werde ihn sterben sehen«, sagte Ragnar mit einerschrecklichen Ernsthaftigkeit.

»Wohin du gehst, Junge, könnte dies tatsächlich geschehen.Andererseits ist es genauso gut möglich, dass er dein Endeerlebt.«

»Wie meint Ihr das?«»Das wirst du noch früh genug herausfinden. Jetzt geh! Steig

in den Thunderhawk!« Der alte Mann zeigte auf das fliegendeSchiff. Mit einem Gefühl großer Beklommenheit stieg Ragnarein.

***

Das Innere des Luftschiffs sah so aus, wie Ragnar es sichniemals hätte vorstellen können. Der Boden war vollständig

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aus Metall. Die Wände ebenfalls, wenn man von kleinenkreisrunden Fenstern absah, durch die man nach draußenschauen konnte. Der Sitz, auf den er geschnallt war, bestandaus einem merkwürdig muffigen Leder. Unbekannte Runenflackerten über Leisten unweit seines Kopfes. Seltsam tosendeGeräusche ließen das ganze Gefährt erbeben, da es sich mühte,sich in die Luft zu erheben.

Ragnar zappelte unruhig hin und her. Die neue Kleidung, dieer von den Wolfpriestern bekommen hatte, fühlte sich komischan. Es handelte sich um eine einteilige graue Tunika, die sichwie eine zweite Haut an seinen Körper schmiegte. Über demHerzen prangte das Abbild eines Wolfskopfes, das Zeichen vonRuss. Das Kleidungsstück hüllte ihn mit Ausnahme des Kopfesvollständig ein. Es bestand aus einem Stoff, wie Ragnar nochnie einen gesehen hatte. Er dehnte sich, damit er passte, aber erwar leicht, und man konnte darin atmen. Der Stoff klebte nichtauf der Haut, sondern fühlte sich nur mäßig warm an. Ragnarhatte das Gefühl, durch einen Schneesturm wandern zu können,ohne die Kälte zu spüren, was seltsam war, denn der Stoff warnicht dicker als feinstes Kalbsleder.

Plötzlich erzitterte das ganze Gefährt. Das Tosen schwoll anund wurde schriller. Er wurde in den Sitz gepresst. Als er ausdem Fenster schaute, überkam ihn Übelkeit, da er sah, wie dasLand unter ihm wegkippte. Es war unnatürlich, dies zubeobachten, da das Luftschiff den Fängen der Schwerkraftentkam und in den Himmel sprang.

Alles wurde kleiner. Er sah die Ruinen des Dorfs unter sichliegen wie Kinderspielzeuge und den Strand, der sich um dieInsel zog. Langsam erhoben sie sich über die Hügelkuppen,dann setzte die Vorwärtsbewegung ein.

Als er seine Aufmerksamkeit auf das Innere des Luftschiffsrichtete, sah Ragnar, dass sich der Boden geneigt hatte. DerBug des Schiffs zeigte nun steil aufwärts. Er schaute aus demFenster und sah, dass sie nun in die Höhe flogen und seine

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Heimatinsel bereits in der Ferne schrumpfte. Auf dem Meererblickte er die Schiffe der Grimmschädel-Flotte, die durch dieWellen pflügten, und dachte an die Leute, die er kannte und diean Bord waren.

Dann sammelte sich grauer Nebel um das Luftschiff, das zuzittern anfing. Furcht griff nach Ragnar, als er sich fragte, obdie Winddämonen sie aus der Luft pflücken würden oder siesich in den Klauen einer bösen Magie befanden. Danndämmerte ihm langsam, dass sie durch die Wolken flogen.

Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, als sie instrahlendes Sonnenlicht getaucht wurden und das Zitternaufhörte. Unter sich konnte Ragnar einen endlosen weißenOzean sehen, der stellenweise mit Blau durchsetzt war. Ihmging auf, dass er von oben auf die Wolken schaute und sichihm ein Anblick bot, wie er nur wenigen Sterblichen vergönntwar. Für einen Moment empfand er Staunen und Dankbarkeit.

Das Luftschiff stieg weiter. Ragnar wurde immer noch inseinen Sitz gepresst. Er hatte das Gefühl, von einergigantischen Faust zerdrückt zu werden. Er warf einen Blickauf die anderen und sah, dass das Fleisch auf Ragnars Wangenwie von unsichtbaren Fingern zurückgeschoben wurde. Welcheneue Zauberei war dies?, fragte er sich zu erstaunt, um sich zufürchten. Was es auch war, es schien den alten Mann nicht zubeunruhigen, denn er grinste nur und zeigte Ragnar denerhobenen Daumen.

Ein neuerlicher Blick durch das Fenster zeigte RagnarDunkelheit und Sterne. Unter ihnen war eine gigantischeHalbkugel zu sehen, die so groß war, dass ihre Wölbung fastdas ganze Blickfeld ausfüllte. Sie war hauptsächlich blau undweiß, aber hier und da waren auch grüne Sprenkel zu sehen.Ragnar kam der Gedanke, dass er vielleicht die Weltkugel sahund das Blaue das Meer, das Weiße die Wolken und das Grünedas Land war.

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Der Druck auf seiner Brust verschwand mit erstaunlicherPlötzlichkeit, und er spürte, wie er sich langsam von seinemSitz löste. Er hatte den Eindruck, nur noch von den Gurtengehalten zu werden. Er hatte das Gefühl, als habe sein Körperkein Gewicht mehr, eine absonderliche und nicht unangenehmeEmpfindung. Der Schiffslärm hatte sich gelegt, und die Stillewar beinahe unheimlich.

Plötzlich kehrte sein Körpergewicht zurück. Die Nase desLuftschiffs neigte sich abwärts, und die Weltkugel wuchs, bissie sein gesamtes Blickfeld ausfüllte.

Wiederum fing das Schiff an zu zittern. Als er aus demFenster schaute, sah Ragnar, dass die Flügelspitzen kirschrotglühten wie Kohlen in einem Feuer. Eine Welle des Entsetzensüberflutete ihn. Stand das ganze Schiff kurz davor, vonmagischen Flammen verzehrt zu werden? Waren dieLuftdämonen erzürnt? Er riskierte einen weiteren Blick aufRanek. Der Wolfpriester hatte die Augen geschlossen undmachte einen vollkommen gelassenen Eindruck. Ragnar rangeinen langen Moment um seine Beherrschung, dann beschlosser, sich keine Sorgen zu machen. Vielleicht waren dieflammenden Flügelspitzen lediglich Teil des Zaubers, der dasSchiff in der Schwebe hielt. All das überstieg seinBegriffsvermögen. Jedenfalls schien Ranek nicht imGeringsten beunruhigt zu sein. Solange niemand andersBesorgnis erkennen ließ, brauchte er sich wohl auch keineSorgen zu machen.

Das Luftschiff bebte noch lange Minuten. In gewisser Weisewurde Ragnar an eine Schlittenfahrt mitten im Winter erinnert.Dann erwachte das Luftschiff tosend zum Leben. Ragnar hatteden Eindruck, dass gewaltige Kräfte entfesselt wurden. DerDruck auf Ragnars Brust stellte sich wieder ein, als das Gefährtabbremste.

Die Sterne verschwanden. Die Farbe des Himmels wechseltevon Tiefschwarz über Dunkelviolett zu Dunkelblau und Blau.

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Die Wolken hoben sich ihnen entgegen, und sie stürzten erneutin die neblige Leere. Das ganze Vehikel kippte wie ein Schiff,wenn es seitwärts von einer Welle erwischt wurde, dannrichtete es sich aus, und Ragnar erblickte zum ersten Mal dasLand unter ihnen.

Es war gewaltig: eine zerklüftete Landschaft aus Felsen undBergen, aus Flechten und Schnee. Der Horizont schien weitentfernt zu sein. Gewaltige Gletscher zogen sich durch dieGipfel. In der ganzen Weite war keine Spur von Leben zusehen. Alles wirkte so tot und fremdartig wie die Oberflächedes Mondes. Das Luftschiff raste weiter über die trostlose,endlose Weite, die anders war als alles, was er bisher gesehenhatte.

»Asaheim«, hörte er Ranek murmeln.Das Land der Götter, dachte Ragnar und fragte sich, was ihn

dort erwartete.

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6

DIE AUSERWÄHLTEN

»Ihr seid alle auserwählt worden«, verkündete Ranek, dervom Rednerstein auf die Neuankömmlinge herabblickte. Dergewaltige Steinbrocken ragte wie ein Fangzahn in die Höhe.Ein Teil der Spitze war weggemeißelt worden, um ein Podiumzu schaffen. Der gesamte Fels war behauen, so dass der demPublikum zugewandte Teil wie der Kopf eines knurrendenWolfs aussah. »Und jetzt fragt ihr euch alle, warum.«

Ragnar starrte an Ranek vorbei auf die weit entfernten Bergeund schauderte. Ja, das fragte er sich in der Tat. Er warf einenBlick auf die anderen. Ihren Mienen konnte er entnehmen, dasssie alle dasselbe dachten. Ihre Blicke klebten mit beinahfanatischer Intensität an dem alten Wolfpriester.

Außer ihm selbst waren vielleicht drei Dutzend andereanwesend. Sie hatten sich beim ersten Licht des Tages auf demebenen Gelände am Rande des Dorfs versammelt, um die Rededes Wolfpriesters zu hören. Ein jeder trug die seltsame Tunika,die Ragnar im Luftschiff angehabt hatte, und die vielenSchrammen und Narben auf den Gesichtern und Händen deranderen verrieten Ragnar, dass sie einer ähnlichen Heilungunterzogen worden waren. Ragnar schauderte. Es war kalt, undsein Atem bildete Wolken vor seinem Mund. Ihm fiel eineseltsame Eigenschaft auf, die das Licht hier in den Bergenhatte. Alles wirkte heller, und die Luft kam ihm unnatürlichdünn und klar vor. Er hatte das Gefühl, viel weiter sehen zukönnen als früher auf den Inseln.

»Ihr alle seid von mir oder einem anderen Wolfpriesterauserwählt worden, weil wir die Möglichkeit sahen, dass ihrwürdig sein könntet, euch uns anzuschließen. Ich betone dasWort >könntet<.

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Aber zuerst müsst ihr viele Dinge verlernen. Euch wurdeerzählt, dass man sterben muss, um sich zu den Helden vonRuss in ihrem Langhaus zu gesellen. In manchen Fällen und füreinige von euch hat sich das bewahrheitet. Ihr wart tot, und wirhaben euch durch unsere Magie zurückgeholt. Andere untereuch sind lebendig hierher gebracht worden. Es macht keinenUnterschied. Aber merkt euch eines: Ein nächstes Mal wird esnicht geben. Wenn ihr hier sterbt, seid ihr endgültig tot. EureSeele wird ins Jenseits eingehen und sich zu euren Vorfahrengesellen. Und merkt euch noch etwas - wenn ihr hier sterbt,dann deswegen, weil ihr nicht würdig seid, zu den Helden zugehören.

Hier und jetzt werdet ihr Gelegenheit erhalten, zu beweisen,dass ihr würdig seid, zu den größten Helden unserer Weltgezählt zu werden. Ihr werdet die Möglichkeit haben, zuzeigen, dass ihr euch eignet, zu den Auserwählten von Russ zugehören und euch den Kompanien der Wölfe anzuschließen.

Derzeit könnt ihr noch nicht verstehen, was für eine Ehre dasist und was für eine Bürde der Verantwortung euch damit einesTages vielleicht auferlegt wird. Einstweilen müsst ihr es mireinfach glauben. Es ist keine Kleinigkeit, die von euch erwartetwird, und keine geringe Aufgabe, die zu erfüllen man von euchverlangt. Sie kann euch in den Zeiten, die da kommen mögen,in furchtbare Dunkelheit führen und euch an Orten, die eureVorstellungskraft übersteigen, in Kämpfe mit den schlimmstenFeinden verwickeln.

Man mag sich auf euch berufen, wenn es gilt, dieMenschheit vor ihren ärgsten Feinden zu beschützen und gegenUngeheuer zu kämpfen, die furchtbarer sind als alle Legenden.Es mag sein, dass ihr in jenen letzten Tagen, wenn die Kräftedes Bösen sich erheben werden, um alles Existierende zuzerstören, neben Russ selbst kämpfen werdet. All das könntesich ereignen - falls ihr euch als würdig erweist.

Wir bieten euch eine Aufgabe, die eines Helden würdig ist.

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Und der Lohn ist kein Tand. Wenn ihr Erfolg habt, wird euerLeben viel länger währen als das eines gewöhnlichenSterblichen, und ihr werdet Kräfte haben, die ebenso groß sindwie die jedes legendären Halbgotts. Ihr werdet Reisen über denHimmel hinaus zu den fernsten Sternen unternehmen und anSchlachten teilnehmen, die eine Herausforderung für jedenKrieger sind. Es wird unzählige Gelegenheiten geben, Ruhmund Ehre und die Achtung jener zu erwerben, deren Achtungetwas wert ist.

Wenn ihr euch beweist, erringt ihr Macht, Ruhm undUnsterblichkeit. Wenn ihr versagt, ewigen Tod. Das sind dieWege, die euch offen stehen. Von diesem Tag an gibt es keineanderen mehr. Ihr werdet entweder siegen oder sterben. Habtihr mich verstanden?«

Ragnar sah den Wolfpriester an. In ihm waren jetzt wederFreundlichkeit noch Mitgefühl. Dies war wieder der Zauberer,den er scheinbar vor einer Ewigkeit an Bord der Speer vonRuss kennen gelernt hatte. Der alte Mann schien gewachsen zusein und hatte sich in eine ehrfurchtgebietende Aura gehüllt.Seine Worte hatten die Kraft eines Propheten und brannten sichförmlich in Ragnars Verstand. Sie waren beängstigend undermutigend zugleich, und obwohl Ragnar nicht viel von demGehörten verstand, spürte er doch die Bedeutung, die derWolfpriester in seine Worte legte, und das machte sie auch fürRagnar bedeutsam.

»Habt ihr mich verstanden?«, wiederholte der alte Mann.»Ja«, antwortete es einstimmig im Chor.»Gut. Ihr seid jetzt Anwärter für den Orden der Space

Wolves - der Raumwölfe. Wenn ihr die Bedeutung dessenbegreift, werdet ihr auch das Ausmaß der Ehre begreifen, dieihr erringen könnt. Und jetzt stelle ich euch Hakon vor. Er istder Mann, der euch lehren wird, was ihr wissen müsst, und derbeurteilen wird, ob ihr würdig zu leben oder zu sterben seid.

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Lauscht aufmerksam seinen Worten, denn sie bedeuten jetztLeben oder Tod für euch.«

Der Wolfpriester deutete auf den Neuankömmling, der dasPodium betrat und sie mit strahlenden Wolfsaugen und einemverächtlichen Lächeln musterte. Ragnar studierte aufmerksamdas Gesicht des Mannes. Es war schmal und wirkte beinahskelettartig. Die Haut schien zu straff zu sein und vonDutzenden Narben gespannt zu werden, die seine Wangen ineinen Flickenteppich verwandelten. Seine Haare waren grauund im Nacken zu einem langen Pferdeschwanzzusammengebunden. Sein Gesicht wurde von durchdringendenAugen, einer großen Nase und dünnen, grausamen Lippenbeherrscht. Er sah wie ein Raubtier aus, wie ein Wolf inMenschengestalt, und im Augenblick betrachtete er dieversammelten Jugendlichen auf eine Weise, wie ein Wolf eineHerde Schafe betrachten mochte. Sein kalter Blick hatte nichts,aber auch gar nichts Beruhigendes an sich.

Nach der Vorstellung sprang Ranek ohne weitere Umständevom Podium und schritt in Richtung des Dorfs. Ragnar fiel auf,dass Hakon selbst nicht auf den Felsen stieg. Vielmehr ging erum ihn herum und stellte sich vor ihn. Der riesige Wolfskopfaus Stein schien ihm über die Schultern zu starren, und es warschwer zu sagen, was grimmiger aussah, die Skulptur oder derMensch.

»Willkommen in Russvik, Hunde! Ich bezweifle, dass ihrhier überleben werdet. Wie ihr gehört habt, bin ich Hakon«,sagte der Neuankömmling. »Ich bin Sergeant Hakon. Das istmein Dienstgrad und Rang. Ihr werdet mich mit >Sergeant<und >Sie< anreden. Sonst, bei Russ, werde ich euch jedesGlied einzeln ausreißen wie ein kleiner Junge, der Fliegenquält.«

Ragnar starrte den Sprecher an und rang ein sofortigesHassgefühl nieder. Sergeant Hakon war eine furchterregendeGestalt, aber in diesem Augenblick empfand Ragnar nichts als

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blanken Hass.Hakon war groß und stark. Wie Ranek war er viel größer als

ein normaler Mensch und wäre auch ohne die funkelndeRüstung, die seinen Körper umhüllte, viel breiter gewesen. WieRanek hatte er lange Eckzähne, die sichtbar wurden, wenn erlächelte, was er oft und auf grausame Weise tat. Wie Ranektrug er viele kleine Talismane von offensichtlich mystischerBedeutung. Er trug ein großes Schwert mit sägeartig gezähnterSchneide, eine mystische Waffe wie jene, mit der Ranek denDrachen getötet hatte, sowie verschiedene andereAusrüstungsgegenstände. Weder die Rüstung noch die Fetischewaren so kunstvoll wie diejenigen des Wolfpriesters, aber siewaren ganz offensichtlich von derselben Machart und musstenaus denselben Schmieden stammen.

Ragnar fragte sich, wo diese Schmieden sein mochten. Ersah nicht die geringsten Anzeichen für Schmiedeöfen oderEssen, sondern lediglich das kleine befestigte Lager mit Hüttenaus Holz und Stein, die ganz anders waren als die Hüttendaheim. Oder vielmehr dort, wo er früher einmal daheimgewesen war, korrigierte er sich. Jetzt gab es keinen Ort mehr,wohin er zurückkehren konnte.

»Ihr mögt glauben, dass ihr auserwählt wurdet. Aber daswurdet ihr nicht! Ihr seid auserwählt worden, zu beweisen, dassihr würdig seid, zu den wahrhaft Auserwählten zu gehören.Wenn ich euch erbärmliche Kreaturen so ansehe, bezweifle ich,dass es auch nur einer von euch ist. Ich glaube, dieWolfpriester haben einen Fehler gemacht und mir einenHaufen dumme, unnütze Kinder geschickt. Was meint ihr?«

Niemand war so dumm zu antworten. Hakons Stimme warharsch und guttural. Der Tonfall war beständig höhnisch undeine Beleidigung ihrer Männlichkeit. Im Dorf der Donnerfäustehätte Hakon sich mit diesem Verhalten eine sofortigeHerausforderung zum Duell eingehandelt. Hier schien er redenzu können, wie er wollte. Trotz seines Hasses bezweifelte

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Ragnar, dass einer der Neuankömmlinge etwas dagegen tunkonnte. Hakon war im Gegensatz zu ihnen bewaffnet undmochte Magie zur Anwendung bringen.

»Keiner von euch hat Mumm in den Knochen, was?«, sagteHakon. »Allesamt ohne Rückgrat, habe ich Recht? Wie ichvermutet habe. Kein einziger Mann unter euch.«

»Du bist bewaffnet, und wir sind es nicht«, sagte eineStimme, die, wie Ragnar zu seiner Überraschung erkannte,Strybjörn gehörte. Es entsetzte ihn, dass der Grimmschädel eswagte, das Wort zu ergreifen, wo alle anderen davorzurückscheuten.

»Wie heißt du, Junge?«»Strybjörn Grimmschädel, und ich bin kein Junge. Ich habe

das Mannbarkeitsritual hinter mir.« Strybjörns dicke, brutaleLippen verzogen sich verächtlich. Wut flammte in seinenkalten Augen auf.

»Wohl eher Strybjörn Dickschädel. Bist du dumm, Junge?«»Nein.« Strybjörn trat einen Schritt vor, die Fäuste geballt.

Die versammelten Anwärter stießen einen kollektiven Seufzeraus. Niemand konnte die Verwegenheit des Grimmschädelsrichtig glauben.

»Warum glaubst du dann, ich würde Waffen brauchen, ummit einem unverschämten Welpen wie dir fertig zu werden?«

»Ach, das würdest du nicht? Große Worte für einen Mann inRüstung, der eine Klinge trägt. Ohne sie wärst du vielleichtweniger mutig.«

Der Sergeant lächelte, als habe er gehofft, jemand würdegenau das sagen. Er trat vor, bis er vor Strybjörn aufragte. DerGrimmschädel war groß und stark, aber Hakon war viel größerund massiger. Sein Lächeln enthüllte jene unheimlichenEckzähne, Einander widersprechende Gefühle überschlugensich in Ragnars Verstand. Es sah so aus, als habe der

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Grimmschädel einen furchtbaren Fehler gemacht und alsbestehe die Möglichkeit, dass Hakon ihn tötete. Ragnar nahmnicht so sehr Anstoß daran, dass der Grimmschädel getötetwurde, sondern vielmehr an der Tatsache, dass nicht er selbstihn erledigen würde. Andererseits schien sich in diesemAugenblick nichts daran ändern zu lassen.

Der Sergeant zog seine Klinge aus der Scheide und hob siehoch. Strybjörn zuckte mit keiner Wimper. Ragnar musstezugeben, dass der Grimmschädel tapfer war - wenn auch einDummkopf. Hakon rammte die Klinge vor Strybjörn in denBoden, wo sie zitternd stecken blieb. Ragnar konnte erkennen,dass die Waffe seltsam und fremdartig aussah. Die Klinge warvon kleinen gezähnten Klingen umgeben und schien einenkomplizierten Mechanismus zu enthalten.

»Heb's auf, Junge«, sagte der Sergeant. »Benutz es - wenndu kannst. Dann bist du bewaffnet und ich nicht.«

Strybjörn sah Hakon einen Moment an. Er schien verwirrtund auch ein wenig erschocken zu sein. Dann leuchtete dasLicht des Blutdursts in seinen Augen auf, und seine Lippenverzogen sich zu einem brutalen Grinsen. Er griff zu undpackte das Heft der mächtigen Waffe. Er zog daran underwartete offenbar, die Waffe ebenso mühelos hochheben zukönnen wie der Sergeant. Nichts dergleichen geschah. DieKlinge rührte sich nicht. Strybjörn packte sie mit beidenHänden. Die Muskein an seinem Hals traten hervor wieSchiffstaue. Seine Bizeps wölbten sich. Sein Gesicht lief rot an.Schließlich zog er mit großer Mühe die Waffe aus dem Boden.

»Zu schwer für dich?«, höhnte Hakon. »Vielleicht hättest dugern etwas Leichteres? Ich hätte hier noch ein Messer.«

Mit einem wütenden Aufbrüllen warf Strybjörn sichvorwärts und ließ die Klinge auf den ungeschützten Kopf desSergeants herabsausen. Angesichts des Gewichts der Waffeund Strybjörns offensichtlicher Stärke und Schnelligkeit konnte

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der Sergeant unmöglich überleben, wenn der Hieb traf. Und erschien in der Tat zu treffen. Die Klinge sauste in pfeifendemBogen heran, und der Sergeant unternahm keinen Versuch, sieabzulenken oder auszuweichen. Und gerade in demAugenblick, als es so schien, als werde ihm der Schädelgespalten, war Hakon plötzlich nicht mehr da. Er trat einfachzurück, und die Klinge fuhr durch die Luft, wo er noch vorweniger als einem Zehntel Herzschlag gestanden hatte.

»Du benutzt die Klinge wie ein Mädchen, Junge. Dukönntest nicht mal Holz spalten. Gib dir mehr Mühe!«

Strybjörn brüllte und schwang die Klinge in Hüfthöhe. SeinGesicht war rot und wutverzerrt. Offensichtlich gefiel es ihmnicht, verspottet zu werden. Ragnar prägte sich dies ein, da essich später noch einmal als nützlich erweisen mochte, wenn derunvermeidliche Tag kam, an dem sich ihm die Gelegenheitbieten würde, seine Rache zu nehmen.

Wieder wartete Hakon bis zum letzten Augenblick undsprang dann einfach hoch. Die Klinge fuhr unter ihm hindurch.Er landete leichtfüßig auf dem Boden, während es Strybjörngerade noch gelang, das Gleichgewicht zu halten.

»Du bist unbeholfen, Junge. Ich gebe dir noch eine letzteChance, wenn du den Mut hast, sie zu ergreifen.

Aber sei gewarnt, dass es schlimm für dich enden wird,wenn du scheiterst.«

Diesmal zielte Strybjörn hoch, und der Schlag ging seitlichzum Kopf des Sergeants. Der Sergeant duckte sich und ließ denplumpen Schlag über sich hinwegzischen. Einen Moment langstand er mit einem gemeinen Grinsen da und schlug dann zu.Obwohl Ragnar aufs Äußerste gespannt und dieAufmerksamkeit in Person war, ging alles fast zu schnell, umes verfolgen zu können. Hakon schlug mit einer Faust zu. Sietraf Strybjörns Kiefer mit entsetzlicher Wucht und lautemKrachen. Der Grimmschädel taumelte rückwärts und war schon

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bewusstlos, bevor er zu Boden ging. Die Waffe fiel ihm aus derHand. Hakon pflückte die sich überschlagende Waffe ohnesichtliche Anstrengung mit einer Hand aus der Luft und hieltsie dann in die Höhe.

Er berührte einen Knopf am Heft, und plötzlich erwachte dieWaffe zu magischem Leben. Die Klingen rings um dieeigentliche Schneide bewegten sich rotierend undbeschleunigten dabei so stark, dass sie unsichtbar wurden. Allebeobachteten entsetzt, wie Hakon die Klinge durch die Luftzischen ließ, während sie darauf warteten, was der Sergeant tunwürde. Würde er Strybjörn enthaupten und seinen Kopf alsTrophäe benutzen? Es schien nur allzu gut möglich.

Die Erdbrocken, die noch daran hafteten, nachdem dieKlinge im weichen Boden gesteckt hatte, spritzten in alleRichtungen davon. Nach einigen Augenblicken drückte Hakonabermals auf den Knopf, und die Klingen stellten mit einemnervenzerfetzenden Kreischen die Bewegung ein. Hakonvergewisserte sich, dass sie sauber waren, bevor er das Schwertzurück in die Scheide schob. Dann ging er zu Strybjörn und sahmit verächtlichem Blick auf ihn herab. Ragnar bemerkte, dassdie Brust des Grimmschädels sich immer noch hob und senkte.Er wusste nicht, ob er sich freuen oder enttäuscht sein sollte.

>»Dickschädel< war richtig«, sagte Hakon. »Dieser Schlaghätte jedem den Kopf gekostet, der nicht den Schädel einesOchsen hat.«

Die nervöse Spannung entlud sich explosionsartig, als alleNeuankömmlinge zu lachen anfingen. Zu seiner Überraschunghörte Ragnar sich selbst einfallen. Hakons finsterer Blick ließsie rasch verstummen.

»In ein paar Minuten wird euch allen das Lachen vergehen.Ihr zwei bringt ihn zum zweiten Langhaus und meldet euchdann bei den Schmiedeöfen. Der Rest folgt mir. Es wird Zeit,euch vernünftig auszurüsten.«

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***

Die Neuankömmlinge folgten Sergeant Hakon durch daskleine Dorf. Sie überschritten den Graben, der um dieHolzpalisade verlief, welche Russvik umgab, und gingenweiter durch das offene Tor. Mit Speeren bewaffneteWachposten auf hölzernen Wachtürmen beiderseits desEingangs starrten auf sie herab.

Ragnar sah sich voller Überraschung die Gebäude an. Dieswar die erste Gelegenheit, sie eingehend zu betrachten, und ererkannte jetzt, wie sehr sie sich von denjenigen unterschieden,in denen er aufgewachsen war. Das vorherrschendeBaumaterial war nicht Drachenhaut und Drachenknochen,sondern Holz, Stein und Stroh. Einige der Gebäude warenBlockhäuser: schlichte, einfache Gebilde aus den Stämmentoter Bäume, deren Dächer mit Erde bedeckt waren. Anderebestanden aus übereinander gestapelten Steinen nach Art desDammbaus auf den Inseln. Auch bei diesen waren die Dächermit Erde gedeckt. Beide Sorten hatten ein Loch im Dach, dasals Abzug für das Herdfeuer diente.

Die Straßen waren eher verschlammte Wege. Schweinesuhlten im Matsch, und Hühner flatterten gackernd umimprovisierte Ställe herum. Die Anwesenheit dieser Haustieresorgte für eine seltsam heimelige Atmosphäre. Sie erinnertenRagnar ein wenig an sein Zuhause. Das galt jedoch nicht fürdie sonderbaren Schnitzereien an jeder Wegkreuzung. Siewaren aus Holz und stellten sämtlich Wölfe dar, die sichaufbäumten, Beute beschlichen, knurrten, sprangen. AlleSchnitzereien waren ausgezeichnete Arbeiten und auf eineseltsame Art sehr lebensecht. Ragnar hatte keine Ahnung, wasdie in sie geschnitzten Runen bedeuteten, war aber sicher, dasssie irgendeine mystische Bedeutung hatten.

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Auf den Straßen wimmelte es von jungen Männern, die alleWaffen trugen und ihren Angelegenheiten mit einerGelassenheit nachgingen, wie sie in Ragnars Gruppe niemandbesaß. Sie betrachteten die Neuankömmlinge im Vorbeigehenmit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung. Hier und dawaren auch ältere Krieger zu sehen, die wie Hakon gekleidetwaren. Diese wurden von allen, die ihnen begegneten, mitwachsamem Respekt behandelt.

Einige aus Ragnars Gruppe betrachteten die Steingebäudemit ehrfürchtigem Staunen, welches Ragnar verriet, dass sieInselbewohner waren wie er selbst, aber im Unterschied zu ihmniemals die Insel der Eisenmeister gesehen hatten.

Alles war mehr als sonderbar. Russvik lag in einem langenTal an einem dunkelblauen See. Zu beiden Seit erhoben sichBerge in Höhen, die Ragnar bisher unbekannt waren. Nebendiesen Gipfeln schrumpfte all vom Menschen Geschaffene zurBedeutungslosigkeit. Es war beinah so, als sei dieser Ortabsichtlich gewählt worden, damit die Neuankömmlinge sichklein fühlte Vielleicht war das tatsächlich der Fall, erkannteRagnar.

Vielleicht war alles darauf angelegt, in ihnen ein Gefühlvölliger Bedeutungslosigkeit zu wecken.

Er hatte keine Ahnung, warum das so sein sollte, aber er sahganz deutlich, dass und wie es möglich war. Der Ort, die Rededes Wolfpriesters, Hakons Art, all das blies ins gleiche Horn.Es sagte einem, dass man nicht zählte, dass man sich erstbeweisen musste. Irgendwo tief in sich spürte Ragnar, wie sichein winziger Funke der Auflehnung entzündete und aufloderte.Er wusste nicht, wogegen er sich auflehnen würde, aber er warganz sicher, dass es dazu kommen würde, und dabei würde erauch den verhassten Strybjörn erledigen!

Er sah sich um und versuchte Blickkontakt zu den anderenaufzunehmen. Nur einer erwiderte den Blick und lächelte. Alle

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anderen schienen zu sehr in ihre eigenen Überlegungen vertieftzu sein. Ragnar war nicht überrascht. Es gab viel zumNachdenken. Er hatte so viele neue Dinge gesehen, dass erkaum glauben konnte, dass seit seiner Ankunft erst ein Tagverstrichen war. Am Abend hatte er Ranek Rede und Antwortgestanden. Der Wolfpriester hatte jede Einzelheit in ein großesledergebundenes Buch im Haupthaus eingetragen. Danachhatten ihn Leute, die Ranek als Eisenpriester bezeichnet hatte,einer eingehenden körperlichen Untersuchung unterzogen. Siehatten viele merkwürdig aussehende Amulette gehabt, mitdenen sie an ihm entlanggefahren waren, und seinen Körper sogründlich inspiziert, als suchten sie nach den Stigmata derMutation. Wäre die Situation nicht so seltsam gewesen, hätteRagnar sich beleidigt gefühlt. Unter den Donnerfäusten hatte eskeine Mutanten gegeben. Jeder Säugling, der auch nur diegeringsten Spuren der Male des Chaos aufwies, war gleichnach der Geburt ertränkt worden.

Bis man ihm gestattet hatte zu gehen, war es längst dunkelgewesen. Man hatte ihn zu einem Langhaus geführt, dasvollständig aus Holzbohlen bestand. Drinnen roch es nachPinienharz. Bei seinem Eintreffen hatten die Anwesenden einwenig gemurrt. Er hatte sich eine Strohmatte gesucht und sichdarauf gelegt und war sofort eingeschlafen.

Erst am Morgen hatte er seine Kameraden gesehen undbemerkt, dass sich auch Strybjörn unter ihnen befand. Ermusste in das Langhaus gekommen sein, nachdem Ragnareingeschlafen war. Welche Wunden er sich auch in derSchlacht eingehandelt hatte, die Heiler hatten sie mit ihrerMagie kuriert. Ragnar bekam immer noch eine Gänsehaut,wenn er daran dachte, dass er die ganze Nacht unter demselbenDach verbracht hatte wie sein eingeschworener Feind. EinFeind, den er bereits getötet hatte! Ragnar spie voller Abscheuauf den Boden.

Es war jedoch keine Zeit geblieben, deswegen etwas zu

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unternehmen, denn zuvor war der Wolfpriester gekommen undhatte sie dorthin geführt, wo sie seiner Rede gelauscht undSergeant Hakon kennen gelernt hatten. Es war nicht einmal dieZeit geblieben, sich einem der Fremden vorzustellen. Jetztspürte Ragnar die Seltsamkeit ihrer Lage mehr denn je. Er warvon Leuten umringt, die Dutzenden verschiedener Klansangehörten. Unter normalen Umständen wären sie alle seineFeinde gewesen, ausgenommen bei einer Begegnung auf einemder großen Feste. Hier war jedoch niemand bewaffnet, und indiesem Augenblick schien auch keiner von ihnen zuFeindseligkeiten zu neigen. Sergeant Hakon hatte ihnen vieleandere Dinge zum Nachdenken gegeben.

Außerdem hatte Ragnar den Eindruck, dass die meisten deranderen zu wissen schienen, wohin sie unterwegs waren.Jedenfalls hatten die beiden, die Strybjörn forttrugen, gewusst,wohin sie ihn zu bringen hatten. Dies verriet Ragnar, dass diemeisten dieser junger Krieger sich zumindest schon so lange indiesem trostlosen Lager aufhielten, dass sie sich mit denÖrtlichkeiten vertraut gemacht und eine Ahnung hatten, wovonHakon redete. Er wusste, dass er hier ein Neuling war, undRagnar kam zu dem Schluss, dass es einstweilen das Klügstewar, den Mund geschlossen und die Augen offen zu halten.

Sie erreichten eines der größten Holzhäuser in Russvik.Hakon ging hinein und kam nach wenigen Minuten mit einemStapel Waffen heraus, um sofort mit dem Aufrufen von Namenzu beginnen. Bei jeder Namensnennung trat einer der Jungenvor, und dann drückte Hakon ihm einen Speer und einen Dolchin die Hand und befahl ihm, in Reih und Glied zurückzukehren.

»Ragnar Donnerfaust!«, hörte Ragnar seinen Namen und tratvor. Der Sergeant ragte vor ihm auf. Bis hierher hatte Ragnarkeine richtige Vorstellung davon gehabt, wie groß und massigHakon tatsächlich war. Jetzt konnte er erkennen, dass derSergeant der massigste Mann war, dem er je begegnet war,noch größer und breiter als Ranek. Seine Rüstung war mit

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kleinen Mechanismen wie denjenigen bedeckt, von denen erannahm, dass sie die kleinen Klingen am Schwert desSergeants zum Kreisen brachten. Ragnars Respekt vorStrybjörns Tapferkeit - und Torheit - steigerte sich noch umeine Winzigkeit.

»Worauf starrst du, Junge?«»Auf Sie, Sergeant!« Hakons Schlag erfolgte blitzschnell,

und doch sah Ragnar ihn irgendwie kommen. Er wich geradeso weit zurück, dass er dem Schlag die größte Wucht nahm.Dennoch reichte er aus, um ihn in den Staub zu schicken, aberer rollte sich ab und kam sofort wieder hoch. Er hatte dasGefühl, von einem Schmiedehammer getroffen worden zu sein,und vor seinen Augen tanzten Funken, aber wenigstens war ernoch bei Bewusstsein.

»Du hast gute Reflexe, Junge«, sagte der Sergeant und warfRagnar den Speer und die Scheide mit dem Messer zu. Ragnargelang es, die Waffen aufzufangen und sich dennoch auf denBeinen zu halten. Er sah, dass die anderen ihn mit einerMischung aus Neid und Respekt betrachteten. Das erfüllte ihnmit einem Gefühl der Befriedigung.

Die Scheide war aus Leder. Der stählerne Verschluss hattedie Form eines Wolfskopfes. Diese Zurschaustellung vonPrunk verblüffte Ragnar. In seinem ganzen Leben hatte ersolche Reichtümer erst ein Mal gesehen, und zwar auf der Inselder Eisenmeister. Bei den Inselklans war der kostbare Stahlausschließlich Klingen, Speerspitzen und Werkzeugenvorbehalten. Ein wohlhabender Jarl besaß vielleicht einigewenige eiserne Armreifen als jederzeit verfügbareWertgegenstände, aber das kam nur selten vor. Er zog dieKlinge aus der geölten Lederscheide und begutachtete sie. DieQualität war erlesen, die Schneide rasiermesserscharf. DerKnauf endete in einem kleinen Wolfskopf, der demjenigen aufdem Verschluss entsprach. Der Speerschaft bestand aus bestemEschenholz. Die Spitze war dünn wie eine Nadel und wies

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nicht die geringste Rostspur auf. Winzige Runen waren in denSchaft eingraviert. Die Waffe vermittelte den Eindruckausgiebiger Verwendung. Ragnar sah plötzlich Generationenvon Neuankömmlingen vor seinem geistigen Auge, welchediese Waffe schon vor ihm benutzt hatten. Er wusste nicht, obihm das eine Beruhigung war oder nicht.

Hakon sprach erneut. »Das sind jetzt eure Waffen. Gebt aufsie Acht. Sie könnten euer wertloses Leben retten. Verliert sieauch nicht und kommt dann zu mir gelaufen. Ersatz gibt esnicht. Für den unwahrscheinlicher Fall, dass irgend jemand voneuch die Zeit hier überlebt wird die Rückgabe der Waffenerwartet. Falls welche von euch sterben, wird von denÜberlebenden erwartet dass sie die Waffen der Totenzurückbringen. Lasst die Leichen für die Krähen, wenn ihrwollt - aber bringt die Klingen zurück. Jetzt werde ich eucheuren Klauen zuteilen. Eine Klaue ist die kleinste undgrundlegendste Kampfeinheit. Alle Mitglieder einer Klaueüben zusammen, essen zusammen, jagen zusammen undsterben höchstwahrscheinlich zusammen. Wenn ich eureNamen aufrufe, tretet vor!«

Hakon rief fünf Namen auf, die Ragnar nicht kannte. Fünfder Neuankömmlinge traten vor den Sergeant. Er bedeuteteihnen, zur Seite zu treten, und rief die nächsten fünf Namenauf. Ragnar fragte sich, ob sein Name dabei sein würde, dochdas war nicht der Fall. Weitere fünf Namen wurden genannt,dann noch fünf. Ragnars Name war immer noch nicht gefallen.Kurz darauf waren nur noch er selbst und drei andereJugendliche übrig.

»Kjel Falkner, Sven Drachenfeuer, Strybjörn Grimmschädel,Ragnar Donnerfaust, Henk Winterwolf.«

Ragnar betrachtete seine Kameraden. Er sah einen kleinen,verdrossen dreinschauenden Jugendlichen, der sehr breit undsehr stark aussah. Einen pausbäckigen Jungen, der jüngeraussah als alle anderen Anwesenden und einen großen,

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sommersprossigen blondhaarigen Burschen mit einem offenen,lächelnden Gesicht. Seine Laune verschlechterte sich, als ihmaufging, dass er derselben Gruppe zugeteilt war wie derGrimmschädel. Er erwog kurz zu protestieren, doch ein Blickauf Hakon verriet ihm, dass er sich damit keinen Gefallen tunwürde. Dem boshaften Lächeln nach zu urteilen, das dieLippen des Sergeants umspielte, schien Hakon vielmehr ganzgenau zu wissen, was er tat.

Andererseits, dachte Ragnar, hatte diese Einteilung auch ihreVorteile. Zumindest war der Grimmschädel in ständigerReichweite für Ragnars Rache.

Hakons bestürzendes Grinsen wurde breiter. »Seht euchum«, sagte er. »Seht euch eure Kameraden an.

Prägt euch die Gesichter ein und schreibt Euch hinter dieOhren: Wenn ihr nicht etwas ganz Besonderes seid – und ichglaube nicht, dass einer von euch das ist -, wird mindestens dieHälfte von euch tot sein, wenn ihr hier fertig seid.«

Ragnar spürte, wie es ihn kalt überlief. Die Worte desSergeants klangen bestürzend wahr.

***

Vor dem Langhaus heulte der Wind. Es schien so kalt zusein wie im Innern einer Eishöhle. Die Anwärter lagen aufihren Matten und sehnten sich nach einem Feuer. In einer Eckegab es eine Feuerstelle, aber kein Holz. Die einzelnen Gruppenwaren zusammen eingetroffen und hatten Mattennebeneinander bezogen. In Ragnars Gruppe gab es eine leereMatte, die für Strybjörn reserviert war. Ragnar lag auf demRücken, starrte an die Decke und dachte über die Ereignissedes Tages nach. Weitere Untersuchungen. Noch mehrAnsprachen von Hakon. Eine Vielzahl harter Übungen. EineMahlzeit aus Grütze, Rüben und etwas, das Schweineschmalz

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ähnelte.»Der gute Hakon ist etwas grimmig, findest du nicht?«, sagte

eine ruhige, freundliche Stimme. Ragnar wandte den Kopf, undsein Blick fiel auf den sommersprossigen Jungen, der sie alleangrinste. Seine Züge waren länglich, und er hatte eine kleineStupsnase, die ihm ein freches und zugleich fröhlichesAussehen verlieh. Lange blonde Haare rahmten sein Gesichtein. Er machte einen geradezu irrsinnig glücklichen Eindruck,wenn man die Umstände bedachte. Ragnar musste das Lächelnunwillkürlich erwidern.

»Ja«, sagte Ragnar. »Etwas grimmig.«»Ich bin Kjel von den Falknern.« Kjel streckte

freundschaftlich die Hand aus, und Ragnar schüttelte sie.»Ragnar von den ... Donnerfäusten.«»Du scheinst dir dessen nicht sehr sicher zu sein.«»Ich bin nicht sicher, ob es noch Donnerfäuste gibt«, sagte

Ragnar nur.»Ach, so ist das.«»Ja.«»Ich nehme an, du wurdest nach der Schlacht auserwählt, in

der dein Klan ... Schaden genommen hat.«»Ja.«»War es eine große Schlacht?«»Sie war grimmig und hart. Ich weiß nicht, ob ich sie groß

nennen würde. Mein Dorf wurde niedergebrannt, und meineVerwandtschaft getötet. Mein Mädchen ...«

»Ja?«, fragte Kjel. Er machte einen mitfühlenden Eindruck.»Ich weiß es nicht.«»Dann vergisst du sie besser«, sagte der vierschrötige,

brutale Junge auf der nächsten Matte. Er lächelte, als gefalle esihm, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. Ragnar

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sah, dass seine Zähne, groß, kantig und gleichmäßig waren.Seine Nase war gebrochen und nur unzureichend gerichtetworden. Seine rötlichen Haare waren auf eine für einenInselbewohner ungewöhnliche Art geschnitten, nämlich kurzbis fast auf den Schädel. »Du wirst sie nie wiedersehen. Duwirst niemanden wiedersehen, den du einmal gekannt hast.«

»Es gibt keinen Grund, deswegen so erfreut zu klingen«,sagte Ragnar. Der Jugendliche schüttelte den Kopf und ballteeine Faust. Doch es war keine drohende Geste, erkannteRagnar, mehr ein Ausdruck der Verärgerung.

»Bei Russ' eisernen Eiern, ich bin nicht erfreut deswegen!Ich bin über nichts von alledem erfreut. Ich hatte damitgerechnet, zu den Auserwählten zu gehören und in den Saal derHelden eingelassen zu werden. Und was habe ich bekommen?Den verfluchten Sergeant Hakon und seine verfluchteAnsprache darüber, wie verflucht nutzlos wir alle sind.«

»Vielleicht solltest du diesen Punkt noch einmal zur Sprachebringen«, schlug Kjel mit einem Grinsen vor.

»Vielleicht tue ich das sogar. Andererseits, nachdem ichgesehen habe, was mit Strybjörn und Ragnar passiert ist, lasseich es vielleicht doch lieber. Jedenfalls so lange, bis ich weiß,was ihn so anders macht.«

»Du glaubst, dass ihn etwas so gemacht hat?«, fragte Ragnarneugierig. »Du glaubst nicht ...«

»Das habe ich nur hier im Lager gehört, aber anscheinendwerden die Überlebenden dieser kleinen Gruppen zuirgendeinem uralten Tempel gebracht, wo Magie gegen siegewirkt wird. Sie werden in Bestien oder in Menschen wieHakon und Ranek verwandelt. Bei der Elfenbeinlosung desEisbären, ich bin verflucht hungrig. Was glaubt ihr, wannwerden sie uns etwas zu essen geben?«

»Du hältst Hakon für einen Menschen?«, fragte das vierteMitglied der Gruppe, derjenige, der zu jung aussah, um

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überhaupt bei ihnen zu sein. Ragnar betrachtete ihneingehender. Seine Züge waren fein, und er sah zierlich undintelligent aus, mehr wie ein Skalde denn wie ein Krieger.

»Jedenfalls ist er kein Geist«, sagte Ragnar. »Jedenfalls nichtso, wie er mich heute geschlagen hat.«

»Ich war ziemlich erstaunt, dass es dir fast gelungen wäre,ihm auszuweichen«, sagte der Jüngling. »Ich hätte nichtgedacht, dass das jemand schaffen könnte.«

»Ragnar hat es auch nicht geschafft.«»Aber fast.«»Wer bist du, Sven Drachenfeuer oder Henk Winterwolf?«,

fragte Ragnar.»Ich bin der verfluchte Sven«, sagte der Vierschrötige. »Und

bei des Eisbären heiliger rechter Arschbacke, du hast ein gutesGedächtnis.«

»Ich bin Henk«, sagte der Jüngste und erhob sich, um allendie Hand zu schütteln. Ragnar ging ebenso darauf ein wie Kjel,doch Sven blieb mit unter dem Kopf verschränkten Händenliegen und starrte an die Decke.

»Das würde bedeuten, der letzte in unserer verfluchtenlustigen kleinen Truppe ist Strybjörn Grimmschädel«, sagteSven.

»Ja«, spie Ragnar förmlich. Selbst er war überrascht überden Hass in seiner Stimme. Svens graue Augen richteten sichsofort auf ihn.

»Du magst ihn nicht, Ragnar, nicht wahr? Warum?«»Er gehörte zu dem Abschaum, der mein Dorf überfallen

hat.«»Das ist nicht gut«, sagte Kjel.»Er müsste tot sein. Ich dachte, ich hätte ihn getötet«, sagte

Ragnar.

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»Dann hast du, verflucht noch mal, keine gute Arbeitgeleistet«, sagte Sven. »Wenn man bedenkt, dass er lebendigist und in der Gegend umherläuft - oder zumindest hat er dasgetan, bis der alte Hakon ihn ins Land der Träume beförderthat.«

»Die Wolfpriester haben ihre Magie eingesetzt, um ihn zuheilen. Sie haben dasselbe für mich getan«, sagte Ragnar.

»Ich glaube, das haben sie für uns alle getan.« Kjel öffneteseine Tunika und zeigte eine lange Narbe, die sich über Brustund Bauch zog. »Ich glaube nicht, dass jemand eine solcheWunde ohne Magie überlebt hätte.«

»Wie bist du hierher gekommen?«, fragte Ragnar.»Es gab eine Schlacht«, sagte Kjel.»Ich glaube, das versteht sich, verflucht noch mal, von

selbst«, höhnte Sven. Kjel warf ihm einen angewiderten Blickzu.

»Ich gehörte zu einer Gruppe auf Beutezug am Fuß dergroßen Gletscher. Wir waren auf der Suche nach Schafen ...«

»Schafe!«, krähte Sven. »Was wolltet ihr mit denenanfangen?«

»In den Tälern wird der Wert eines Mannes an der Größeseiner Herden gemessen.«

»Darauf wette ich, verflucht noch mal«, sagte Sven, und seinTonfall war eine einzige Anspielung.

»Jedenfalls gerieten wir bei Einbruch der Dunkelheit ineinen Hinterhalt der Wolfsköpfe. Der Kampf war heftig undgrimmig. Ich muss vielleicht fünf von den Wolfsköpfen getötetoder verwundet haben, bevor mich einer von ihnen mit demSpeer traf. Ich dachte schon, dass alles vorbei wäre, aber dannsah ich einen alten Mann auf dem Berghang, bevor mich dieDunkelheit verschlang. Als ich erwachte, stand der alte Mannneben mir, aber ich befand mich in einem fliegenden Schiff

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und war auf dem Weg hierher. Was ist mit dir, Sven - welchegroße Heldentat hast du vollbracht, um auserwählt zuwerden?«

»Ich habe acht Männer im Zweikampf getötet.«»Acht? Alle auf einmal?«»Nein. Einen nach dem anderen, verflucht. Sie waren alle

Brüder. Sie haben meinen Onkel getötet und sich geweigert,Weggeld zu bezahlen, also habe ich sie beim Allthingfestherausgefordert. Der Wolfpriester hat zugesehen, wie ich siegetötet habe, und mir dann gesagt, ich gehörte zu denAuserwählten.«

»Du bist nicht verwundet worden? Du bist nicht ...gestorben?«

»Acht Männer sind gestorben. Acht erwachsene Männer undKrieger. Sie sind gestorben, ich nicht. Ich habe nicht einenKratzer abbekommen.«

»Wahrhaftig, Sven, du musst ein mächtiger Krieger sein«,sagte Henk.

»Wahrhaftig«, bemerkte Ragnar trocken.»Du glaubst mir nicht?«, sagte Sven plötzlich. Jähzorn

flackerte in seinen Augen.»Ich habe nichts dergleichen gesagt«, antwortete Ragnar.

»Schließlich bist du hier, oder nicht?«»Und dass du das, verflucht noch mal, ja nicht vergisst«,

sagte Sven.»Was ist mit dir, Henk?«, fragte Kjel. Der Jüngling errötete

und schien verlegen zu sein.»Ich habe mit einem Troll gekämpft«, sagte er, »und ihn mit

dem Speer getötet. Er hatte meinen Onkel und all seine Brüderumgebracht und war bereits verwundet, also war es keine großeLeistung.«

»Der Wolfpriester muss es geglaubt haben.«

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»Er hätte ihn wahrscheinlich mühelos getötet, wenn ich esnicht getan hätte.«

»Warum war er da?«, fragte Sven.»Das weiß ich nicht. Vielleicht hat unser brennender

Bauernhof seine Aufmerksamkeit erregt. Wer kann dassagen?«

Ragnar sah den Jüngling erstaunt an. Er hatte sich dertödlichsten Bestie, die es auf Fenris gab, zum Kampf gestelltund sie getötet, nachdem sie seine Familie umgebracht hatte,und er redete darüber, als sei das gar nichts. Tatsächlich schienihm die Anerkennung sogar peinlich zu sein. Ihren Geschichtennach zu urteilen, verdienten alle seine Kameraden Achtung.Vielleicht sogar der Grimmschädel.

Eine Windbö heulte durch das Langhaus, und alle richtetenden Blick auf die geöffnete Tür. Sergeant Hakon trat ein, dieimmer noch bewusstlose Gestalt Strybjörns auf der Schulter. Erstapfte zu einer freien Matte und ließ ihn ohne weitereUmschweife auf das Stroh fallen.

»Am Besten, ihr seht zu, dass ihr etwas Schlaf bekommt.Morgen werdet ihr eure Kräfte brauchen.«

Ohne ein weiteres Wort ging er durch den Saal und löschtedie Wandöllampen mit seinen gerüsteten Fingern, um dann inder jähen Dunkelheit zur Tür zurückzukehren, ohne auch nurüber eine einzige der ausgestreckt daliegenden Gestalten zustolpern. Das Zuschlagen der Tür kündete von seinemVerschwinden.

Stille senkte sich über das Langhaus. Ragnar lag lange in derDunkelheit und fragte sich, ob er sein Messer nehmen und demGrimmschädel die Kehle durchschneiden sollte. Am Endeentschied er sich dagegen. Er wollte, dass sein Feind beiBewusstsein war, wenn er ihn tötete.

»Das komische Gurgeln, das ihr hören könnt, ist meinverfluchter Magen«, murmelte Sven. »Bei den Eiern des

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Eisbars, ich bin verflucht hungrig.«

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7

DIE JAGD

Ragnar stach blitzschnell mit seinem Holzstab zu und trafStrybjörn am Auge. Der Stock wurde von der vorspringendenStirn abgelenkt und prallte ab. »Das Auge! Ich gewinne!«, riefer, indem er zurückwich. Die zu einem Kreis versammeltenAnwärter brüllten ihren Beifall heraus. Ragnar riskierte einenBlick auf Sergeant Hakon, um zu sehen, ob dieser seinen Siegbestätigte.

Der Grimmschädel knurrte und schlug mit seinem eigenenHolzstab zu. Die gebogene Spitze traf Ragnar unter den Rippenund presste ihm die Luft aus der Lunge. Der Stoß war mit derganzen Kraft und dem vollen Gewicht des massigenGrimmschädels erfolgt. Dies war Kampfausbildung mit demMesser, und die Hiebe und Stiche wurden nicht nur angedeutet.Hakon wollte nicht, dass sie sich daran gewöhnten, gegenFeinde zu kämpfen, die nicht ernsthaft zustachen. Ragnarkrümmte sich vor Schmerzen zusammen und hatte das Gefühl,sich übergeben zu müssen. Er fühlte sich kaum noch in derLage, sich auf den Beinen zu halten. Alles drehte sich um ihn.Ringsumher konnte er die feixenden Gesichter der anderensehen. Sie hatten einen Kreis gebildet, um den Kampf zubeobachten.

Strybjörn ließ den Stab auf Ragnars Schädel krachen, undder jugendliche Donnerfaust-Krieger sah Sterne. Er stieß einenlangen Seufzer des Schmerzes aus und fiel auf die Knie.Strybjörn holte mit dem Fuß aus, um ihm einen Tritt zuverpassen.

Plötzlich machte sich kalte Wut von irgendwo tief in RagnarLuft. Er ließ sich nach vorn fallen und schlang im letztenAugenblick die Arme um die Beine des Grimmschädels. Miteinem harten Ruck holte er Strybjörn von den Beinen. Ein

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lautes Knacken ertönte, als der Schädel seines Feindes gegeneinen aus dem weichen Boden ragenden Stein stieß. Ragnargestattete sich ein triumphierendes Knurren und warf sichvorwärts, um sich rittlings auf Strybjörn zu schwingen. Ernahm seinen Holzstab, legte ihn quer über die Luftröhre desGrimmschädels und drückte in der festen Absicht zu, seinenFeind zu erwürgen. Der Jubel der Menge drang an seine Ohren.Offenbar begriffen sie seine Absicht nicht.

Plötzlich packte eine gerüstete Hand Ragnars Nacken undhob ihn von Strybjörn herunter. Ragnar schlug mit demHolzstab zu, traf aber lediglich den harten Panzer von HakonsRüstung. Der Sergeant sah ihn an.

»Einige ungewöhnliche Messer-Techniken, das muss icheuch beiden zugestehen. Immerhin habt ihr so gekämpft, alsmeintet ihr es ernst.«

Er setzte Ragnar auf dem Boden ab und warf einen Blick aufStrybjörn. Der Grimmschädel hustete, keuchte und funkelteRagnar hasserfüllt an. »Ich habe gewonnen«, japste er.

»Nein, hast du nicht«, sagte Hakon. »Dein letzter Hieb hätteRagnar den Bauch aufgeschlitzt, sicher, aber hätte er einrichtiges Messer gehabt, hätte sein letzter Stich dein Augedurchbohrt und wäre in dein Gehirn gedrungen.«

Ragnar gestattete sich ein triumphierendes Grinsen, Dieklare Bergluft schmeckte süß vorn Sieg. Es gelang ihm sogar,den Schmerz in seinen Rippen zu ignorieren »Ich hätte ihntrotzdem mit meiner Erwiderung getötet«, sagte Strybjörnmürrisch.

»Vielleicht hättest du das tatsächlich«, sagte Hakor »Wildgenug dazu bist du.«

Er wandte sich der Menge zu und zeigte auf Kjel und einenNeuling, den Ragnar nicht kannte. »Ihr zwei! Vorwärts! Wirhaben nicht den ganzen Tag Zeit.«

Ragnar funkelte Strybjörn noch einmal in dem Wissen an,

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den Grimmschädel mit Sicherheit getötet zu haben, wennHakon sich nicht eingemischt hätte.

***

Ragnar hörte seinen keuchenden Atem. Die Bergluft schienplötzlich zu dünn zum Atmen zu sein. Die frühmorgendlicheKühle zwickte ihn. Sein Herzschlag dröhnte laut in seinenOhren. Schweiß lief ihm über die Stirn und stach in den Augen.Die langen schwarzen Haare klebten an seiner Stirn. SeineBeine fühlten sich wie Gelee an. Die Steigung vor ihm schienkein Ende zu nehmen.

»Vorwärts!«, brüllte Sergeant Hakon. »Das könnt ihr vielbesser. Das ist doch nur ein kleiner Hügel.«

Kjel schloss zu Ragnar auf und rang sich ein mattes Grinsenab. »Der hat leicht reden. Wir sind schließlich nicht halb Ziegeund halb Wolf«, japste er.

»Spar dir den Atem fürs Laufen«, keuchte Ragnar. »Vergissnicht, wer zuletzt oben ist, muss alles noch mal machen.«

»Dann lasse ich dich wohl besser hinter mir.« Kjel überholteihn und eilte mit langen Schritten über das zerklüftete Gelände.Ragnar mobilisierte seine letzten Kraftreserven und stürmte mitdem Gedanken weiter, dass Kjel Recht hatte. Beim Sergeanthatte alles ganz leicht ausgesehen. Er war später als sielosgelaufen, hatte die leicht bekleideten Anwärter aber trotzseiner massiven Rüstung rasch überholt. Er hatte dieHügelkuppe erreicht, während sie noch auf halbem Weg waren,und jetzt stand er gelassen dort oben und bellte sie an. Was warsein Geheimnis?, fragte sich Ragnar. »Vorwärts! Lauft!«,schrie Hakon. Ragnar riskierte einen Blick zurück. Tief unterihnen im Tal konnte er' Russvik sehen. Aus dieser Höhe sah eswinzig aus. Bisher hatten sie eine gewaltige Entfernungzurückgelegt. Als er die winzigen Gestalten seiner Kameraden

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wie an der Schnur aufgereiht hinter sich sah, erkannte er vollerDankbarkeit, dass er wenigstens nicht Letzter war. Und ersorgte besser dafür, dass es auch dabei blieb.

Auf wackligen Beinen stolperte er müde der Hügelkuppeentgegen.

***

»Wer von euch kann jagen?«, fragte Sergeant Hakon. Etwaein halbes Dutzend müde Stimmen bejahten. Sie waren alleerschöpft. In der vergangenen Woche hatten sie hart trainiert.Sie waren so oft den Hügel emporgestürmt, in dessen Schattendas Lager errichtet war, dass Ragnar das Gefühl hatte, es imSchlaf zu können. Sie hatten Holz gehackt. Sie waren denHügel mit Holzscheiten auf den Schultern emporgestürmt.Jene, die nach Hakons Geschmack nicht schnell genuggewesen waren, hatten die Übung eins ums andere Malwiederholen müssen, bis sie vor Erschöpfungzusammenbrachen.

Sie hatten endlose Übungen hinter sich, die ihre Körper andie Grenzen ihrer physischen Leistungsfähigkeit getriebenhatten, bis sie sich nach Luft schnappend auf den kalten Bodengeworfen hatten, während ihre Muskeln zuckten und brannten.Sie hatten mit Speer und Dolch geübt. Man hatte ihnen gezeigt,wie man mit der Äxten kämpfte, mit denen sie Holz hackten.Sie hatten mit dem Speer auf Strohpuppen geworfen.

Die Gelegenheiten, bei denen sie Übungskämpfe ausgetragen hatten, waren beinahe vergnüglich gewesen fandRagnar, und er hatte sich dabei hervorgetan. Er war in seinerFünfergruppe immer als Bester auserkoren worden, um gegendie Besten der anderen Klauen anzutreten. Das schienStrybjörn und Sven zu verdrießen, aber sie konnten nichtsdagegen tun. Er hatte sie bei den Übungskämpfen beständig

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besiegt. Mit Waffen war er besser als sie beide. BeimRingkampf zahlten sie ihm die blauen Flecken heim, die erihnen mit den stumpfen Waffen beibrachte. Beide waren stark,schnell und grausam.

Ragnar hoffte, dass sie bald anfangen würden, mit echtenWaffen zu üben. Dann würde es einen Unfall geben, undStrybjörn Grimmschädel würde sich in dem Wissen zu seinenVorfahren gesellen, dass Ragnar ihn dorthin geschickt hatte.

»Es müssen doch mehr von euch wissen, wie man jagt«,sagte Hakon mit spöttischem Unterton. Die Anwärter saheneinander wachsam an. Sie hatten gelernt, dem Sergeantgegenüber nicht zu großspurig aufzutreten. Das endetegewöhnlich mit Strafübungen oder einer ordentlichen TrachtPrügel, wenn ihre Fähigkeiten nicht Hakons Erwartungenentsprachen.

»Nun, wenn keiner von euch weiß, wie man jagt, werden wires euch wohl beibringen müssen. Nur so werdet ihr je wiederFleisch zu sehen bekommen.«

***

Die kleine Gruppe der Jäger folgte in einer Reihe demlangen felsigen Pfad. Ragnar drehte sich um und warf einenBlick zurück. Der kühle Wind peitschte ihm die langenschwarzen Haare ins Gesicht. Die über den Himmel jagendenWolken schienen irgendwie näher denn je zu sein. Aberwenigstens waren sie weiß und vereinzelt, nicht dunkel undschwer und ein Versprechen von Regen. Es roch nachPinienduft. Am seltsamsten war für ihn die Abwesenheit dessalzigen Meergeruchs, den er sein Leben lang tagtäglichwahrgenommen hatte.

Weit unter ihnen war Russvik als winzige Ansammlung vonHütten zu sehen, die von einer Palisade und einem Graben

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umgeben waren. Überall ringsumher reckten sich gewaltigeBerggipfel himmelwärts. Er atmete schwer. Das taten sie alle.Von der beständigen Anstrengung, den steilen Anstieg zuerklimmen, fühlten sich seine Oberschenkel wie Gelee an.Seine Knie waren wacklig. Sein Gesicht war gerötet. Es wareine Erleichterung zu sehen, dass keiner von den anderenbesser aussah.

Das ständige Bergsteigen der letzten Zeit ergab jetzt langsameinen Sinn. Ragnar bezweifelte, dass es auch nur einer vonihnen ohne Rast in diese Höhe geschafft hätte, wären sie nichtdurch die Übungen darauf vorbereitet worden. Es war einerhebendes Gefühl. Am vergangenen Tag waren sie weitergekommen, als man auf Ragnars Heimatinsel marschierenkonnte, ohne das Meer zu erreichen, und dabei hatten sie ersteinen Bruchteil dieses unglaublich weiten Landes gesehen. Esschien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken. Die Gipfel derBerge schienen das Himmelsgewölbe zu stützen das unendlichweit über ihnen lag. Die Wolken waren grauweiß und rochennach Schnee. Seltsame Bäume bedeckten die Hügel. StattBlättern hatten sie Nadeln, und unter ihnen lagen Holzzapfenauf dem Boden. Man hatte sie gelehrt, dass eshöchstwahrscheinlich regnen würde, wenn diese Zapfengeöffnet waren. Wenn sie geschlossen waren, blieb das Wettergut. Auch das gehört zu den seltsamen Dingen, die man ihnenin Russvik beibrachte. Große Vögel nisteten in diesen Bäumen.Sven hatte bereits vorgeschlagen, in den Nestern Eier zusuchen, aber die anderen hatten weitermarschieren wollen, umeinen Hirsch oder eine wilde Ziege zu erlegen um damit vorden anderen Klauen zu prahlen.

Dies war das erste Mal, dass Ragnars Klaue zur Jagdabkommandiert worden war. Es wurde als Ehre betrachtet, dassihnen zugetraut wurde, sich ganz allein in die Berge zubegeben, was an und für sich ein Ärgernis war, eineschmerzliche Beleidigung des Stolzes der grimmigen jungen

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Krieger. Niemand hatte gewagt, sich bei Sergeant Hakondarüber zu beschweren, dass man sie wie Kinder behandelte.Jetzt waren sie selbstbewusst wegen ihrer neuen Fähigkeiten.Sie hatten viele Tage mit dem Erlernen grundlegenderÜberlebenstechniken zugebracht. Wie man in den heulendenSchneestürmen Asaheims überlebte. Wie man sich nur mitHilfe der Sterne orientierte. Das hatte Ragnar als ziemlichleicht empfunden, da er Seereisen gewöhnt war. Zugegeben,hier in Asaheim waren die Sterne ein wenig anders, aber dieKonstellationen waren dieselben. Sie hatten gelernt, wie manschnell ein Feuer anzündete. Wie man aus Zweigen und Ästeneinen Unterschlupf errichtete, um wenigstens etwas Schutz vorden rauhen Elementen zu finden. Man hatte ihnen dieGrundlagen des Jagens in der Wildnis beigebracht. Sie warennicht so schwierig zu meistern. Sie wussten jetzt, dass sie nachWasserstellen Ausschau halten und die Augen nach Fährtenoffen halten mussten. Sie wussten, wie man Fallen fürKaninchen und Hasen baute. Jenen, die es nie gelernt hatten,wurde beigebracht, wie man ein Tier ausnahm, indem man ihmdas Fell abzog, ihm den Bauch aufschlitzte und die Gedärmeherausgleiten ließ. Auch das hatte Ragnar, der sein ganzesLeben lang Fische ausgenommen hatte, leicht gefunden.

Und jetzt hatte man sie mit Speer, Schild und Dolchbewaffnet in die Wildnis geschickt. So einfach war das. Siesollten erst zurückkehren, wenn sie Frischfleisch erlegt oderbei dem Versuch einen Krieger verloren hatten. AllemAnschein nach bestand die Ausbildung, ein Wolf zu werden,daraus, ins Wasser geworfen zu werden und dann um sich zuschlagen, bis man zu schwimmen gelernt hatte. Ragnar kam esso vor, als gingen Hakon und alle anderen in Russvik davonaus, dass es dort, wo sie herkamen, noch reichlich Anwärtergab. Es war Ragnars Pflicht, sich zu beweisen, denn niemandanders würde mehr auf ihn Acht geben.

Tatsächlich war Ragnar in mancherlei Hinsicht froh darüber,

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dem wachsamen Auge Sergeant Hakons entronnen zu sein. Erwar glücklich darüber, dass die Klaue allein ausgesandt wordenwar. Er wusste, dass jede Möglichkeit bestand, dass Strybjörnvor dem Ende dieses Ausflugs einen tödlichen Unfall erleidenwürde Er würde sogar mit Sicherheit einen erleiden, wennRagnar es einrichten konnte. Er drehte sich um und war einenBlick auf den Grimmschädel. Ohne große Überraschung nahmer zur Kenntnis, dass Strybjörn ihn ansah Ragnar schauderteein wenig, als er dem brennender Blick seines Feindesbegegnete. Es war nur allzu wahrscheinlich, dass derGrimmschädel über Ragnar in den selben Bahnen dachte. Miteinem leisen Grunzen er kannte Ragnar, dass er hier draußen inder Wildnis vorsichtig sein musste. Auch er konnte derjenigesein, der von einem Saumpfad stürzte oder von einerSteinlawine oder einem Erdrutsch überrascht wurde, wenn ernicht aufpasste. Aber im Augenblick hatte er das Kommando.Sergeant Hakon hatte verfügt, dass Ragnar am besten geeignetwar, der Klaue Befehle zu erteilen. Kjel und Henk folgtenwillig seinen Anweisungen. Nur Sven und Strybjörn hattengemurrt.

Ragnar hielt kurz inne und schaute zum Himmel. Die roteSonne versank langsam im Westen. Der Himmel am fernenHorizont hatte die Farbe von Blut, und rötliches Licht fieldurch die Wolkendecke und verlieh den Bergen ein finsteresAussehen. Ragnar kam es nur allzu wahrscheinlich vor, dassdiese Gegend von Trollen oder sogar noch grässlicherenBestien heimgesucht wurde. Geschichten über ein Wesen, dasWolfen genannt wurde, hatten in den vergangenen Tagen imLager die Runde gemacht. Niemand wusste genau, wer damitangefangen hatte, aber wenn auch nur ein Körnchen Wahrheitin den Geschichten über Entleibungen und grässliche Todesteckte, war der Wolfen in der Tat eine Bestie, die man fürchtenmusste. Ragnar vermutete, dass Hakon hinter diesenSchauergeschichten steckte.

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Diese furchtbare Kreatur war angeblich ein Ungeheuer, teilsMensch, teils Wolf und von normalen Waffen praktisch nichtzu verwunden, hieß es. Die Geschichten kündeten von einemWolfen-Dämon, der sich nach Russvik schlich und Anwärterfortschleppte. Niemand war sicher, ob das stimmte oder nicht,obwohl alle wussten, dass vor ein paar Tagen ein Anwärternamens Loka einfach verschwunden war, während er Wachegestanden hatte. Niemand wusste genau, ob er einfach nurdesertiert war. Es war möglich, dass er sich von Trollen oderbösen Zauberern in die Flucht hatte schlagen lassen. Dennochhatten die Geschichten über den Wolfen die Runde gemacht.Hakon und die anderen Anführer hatten sich bewaffnet undaufgemacht, wobei sie einer Spur folgten, die anscheinend nurmit ihren verschärften Sinnen zu erkennen war. Falls sie etwasentdeckt hatten, ließen sie nichts dergleichen verlauten. Ihrengrimmigen Gesichtern hatte Ragnar bei ihrer Rückkehrentnommen, dass sie nichts gefunden hatten. Ihre Jagd warvergeblich gewesen.

Als sich in der hereinbrechenden Dunkelheit dieseGeschichten in seinen ermüdeten Geist schlichen, versuchteRagnar nicht daran zu denken, welche Ungeheuer wohl indiesem gewaltigen Gebirge auf der Lauer liegen mochten. Einpaar Meilen zurück hatten sie eine Höhle passiert. Sie hätteihnen als Unterschlupf für die Nacht dienen können, aber instillschweigender Übereinstimmung war die ganze Klaue daranvorbeimarschiert, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Niemandvon ihnen wollte begegnen, was sich in dieser Höhleeingenistet hatte. Möglicherweise war sie leer, aber wer konntedas wissen? Sie konnte auch einen Troll, einen Zauberer, einenBären oder einen Wolfen beherbergen. Nicht einmal Sven oderStrybjörn schienen geneigt zu sein, es herauszufinden.

Ragnar war froh, dass sie schon Feuerholz gesammelt hatten.Als die Dunkelheit weit fortgeschritten war, wählte er einengeeigneten Platz aus, um das Lager aufzuschlagen. Nicht weit

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entfernt plätscherte ein Bach der Berg hinunter, der zumfelsigen Kiesufer eines kleinen Sees am anderen Ende derLichtung führte. Das ruhig schwarze Wasser sah so tief aus wiedas Meer, und Ragnar fragte sich, ob wohl Fische darinschwammen Heute Abend würden sie sich jedoch mit ihremProviant begnügen, da jetzt rasch die Nacht hereinbrach.Ragnar befahl Kjel und Henk, für das Feuer zu sorgen,während Strybjörn und Sven Zweige und Äste sammelten, umeinen Unterstand für die Nacht zu errichten, wie man es ihnenin Russvik beigebracht hatte. Er selbst wanderte zum Bach undholte Wasser. Er wollte die Gelegenheit nutzen, um eine kleineWeile für sich allein zu sein und um ihre Umgebung genauer inAugenschein zu nehmen. Trotz der zunehmenden Dämmerungwar Ragnar sicher, als er den Blick über die wilden Hügel,felsigen Schluchten und ausgedehnten Wälder schweifen ließ,die sich unzählige Meilen weit in alle Richtungen erstreckten,dass ein Mensch hier hätte glücklich werden können, wärennicht die Bestien und Ungeheuer gewesen, die dieses wildeLand heimsuchten. Er nickte in stummer Bejahung seinerGedanken. Hier in den Bergen war Platz genug für eigeneAnwesen, es gab Wasser und Holz. Nach allem, was dieanderen gesagt hatten, wären die Hügel ein guter Weidegrundfür Schafe oder Ziegen. Hier konnte ein Mann eine Familiegründen und in Frieden leben, vielleicht sogar einen Grad vonZufriedenheit finden, eine Zuflucht vor allem Hass und Hader.Ragnars Gedanken kehrten zu Ana zurück, und er spürte diemittlerweile vertraute Traurigkeit seine Seele erfüllen. EinBlick zurück zu Strybjörn verwandelte Kummer in bitterenHass. Ragnar würde den Grimmschädel büßen lassen. Das warjetzt in seinem Leben die einzige Gewissheit.

Mit einem ärgerlichen Knurren tauchte Ragnar seinenWasserschlauch in den Bach, als sei er der Kopf desGrimmschädels, den er unter Wasser hielt, bis die Kettesilbriger Blasen ein für alle Mal abriss. Während er den

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Wasserschlauch in das eisige Wasser hielt, keuchte Ragnar obseiner schneidenden Kälte. Das Wasser war so eisig, dass esihn bis auf die Knochen zu verbrennen schien. BinnenSekunden waren seine Hände taub. Ragnar zwang sich, denSchmerz zu ertragen, dann zog er den tropfenden Schlauch ausdem Wasser und warf einen grimmigen Blick auf dieentfernten Berggipfel. Dies war Schmelzwasser, ging Ragnarauf, geschmolzener Schnee aus den Bergen. Es war bei weitemkälter als das Wasser, das man auf den Inseln aus den tiefstenBrunnen schöpfte.

Diese Gedanken erinnerten ihn abrupt daran, wie weit er vonseinem Zuhause entfernt war. Nicht, dass er noch ein Zuhausegehabt hätte, wohin er hätte zurückkehren können.

Ragnars rauhes Gelächter hallte durch die dunklerwerdenden Schatten.

Das Feuer brannte. Die Schatten sammelten sich um denUnterstand. Strybjörn und Sven hatten aus den immergrünenZweigen, die sie von den hohen Bäumen rings um die Lichtunggerissen hatten, einen durchaus brauchbaren Schutzzusammengefügt. Der Kochtopf war mit blubbernderHafergrütze gefüllt, der einzigen Nahrung, die sie bei sichhatten. Jeder trug einen Sack davon und etwas Salz bei sich.Die Grütze schmeckte nicht besonders, aber sie würde siesättigen, sobald sie in die Holzschalen gefüllt war, die sie allein ihrem Rucksack hatten. Ragnar ließ den Blick um das Feuerkreisen und sah, dass die Gesichter seiner Kameraden vomflackernden. Feuerschein seltsam verfremdet wurden. Eränderte die Konturen ihrer Gesichter, sodass sie auf subtileWeise anders aussahen. Dasselbe galt für die Umgebung. Inden wenigen Tagen in Russvik hatte Ragnar sich an das Lagergewöhnt. Trotz der Entbehrungen und Härten war es zu demOrt geworden, wo er und seine Kameraden eine neue Heimatgefunden hatten. Jetzt waren sie an einem ebensoabsonderlichen und doch ganz anderen Ort, und in gewisser

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Weise wurden sie dadurch in seiner Vorstellung auch zuanderen Menschen. Zu Fremden.

Der Vollmond war hell und freundlich aufgegangen DasWolfsgesicht war auf seiner Oberfläche zu sehen ein großerSchatten ungefähr von der Form eines knurrenden Wolfskopfs.Es hieß, dass Russ persönlich seine Wolf Graumähne dorthinbeordert hatte, um bis zu seiner Rückkehr über die Welt zuwachen. Wie zur Antwort auf diesen Anblick ertönte irgendwoin der Ferne ein beängstigendes Heulen, ein Laut, der vonunvergleichlicher Einsamkeit und Hunger kündete. DieMitglieder der Klaue sahen einander an.

»Es ist nur ein Wolf«, sagte Kjel mit einem aufmunterndenGrinsen. Es wäre weitaus überzeugender gewesen, hätte dasGesicht des Jugendlichen im Mondlicht nicht so blassausgesehen. »Russ weiß, dass ich genug Wölfe habe heulenhören. Sie haben unseren Schafen in den Tälern schwerzugesetzt.«

»Ich wette, sie waren nicht die Einzigen, die eurenverfluchten Schafen schwer zugesetzt haben«, sagte Sven miteinem verächtlichen Unterton.

»Wie meinst du das?«Bevor Sven antworten konnte, wurde das Heulen des Wolfs

von der anderen Seite des Tals beantwortet. Der langgezogeneLaut hallte durch die Weite und verjagte alle anderenGedanken aus Ragnars Bewusstsein. Es schien das Signal füreinen ganzen Chor zu sein. Auf jedem Gipfel, so schien es,heulten riesige Wölfe den Mond an.

»Ein Rudel auf der Jagd«, sagte Kjel.»Was du nicht sagst«, bemerkte Strybjörn.»Da wäre ich, verflucht noch mal, nie darauf gekommen«,

fügte Sven hinzu.»Das reicht«, sagte Ragnar gereizt.

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»Keine Sorge«, sagte Kjel. »Wölfe greifen nur seltenMenschen an. Gewöhnlich trauen sie sich nicht einmal in dieNähe eines Feuers. Es sei denn, sie sind am Verhungern oderverzweifelt.«

»Wie es um sie steht, weiß ich nicht«, sagte Sven, »aber beider gesegneten rechten Arschbacke Eisbars, ich bin ganz sicherverflucht noch mal am Verhungern. Wenn sie mir zu nahekommen, ziehe ich ihnen das Fell ab und esse sie!«

»Und was gibt es sonst Neues?«, fragte Ragnar.Nichtsdestoweniger musste er Sven beipflichten. »Henk, verteildie Grütze.«

»Sicher«, pflichtete der junge Anwärter bei, beugte sich vorund begann damit, die Hafergrütze auf die Teller zu löffeln, diesie ihm hinhielten.

»In Russ' Namen, was würde ich für ein schönes Stück Fischgeben«, sagte Sven.

»Oder Huhn«, bemerkte Strybjörn.»Oder Hammel«, sagte Kjel.Das Geheul wurde lauter.»Die Wölfe scheinen ganz eurer Meinung zu sein«, sagte

Ragnar. Niemand lachte.

***

Es war spät. Das Geheul der Wölfe war in der Ferneverklungen. Vielleicht hatten sie eine andere Beute gefunden,dachte Ragnar. Oder vielleicht näherten sie sich auch nurlautlos und verstohlen. Aus dem Unterstand auf der anderenSeite des Feuers ertönte vernehmliches Schnarchen. Es warlaut und pfeifend, eine Mischung aus Blasebalg und Sägen. Esreichte beinahe aus, um Ragnar alle Gedanken an Schlaf ausdem Kopf zu schlagen. Er schaute weg vom Feuer, wie Hakon

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es sie gelehrt hatte. Es hatte keinen Sinn, sich die Nachtsicht zuverderben, wenn man Wache hielt. Er nahm den Speer fest indie Hände und fragte sich, was er wohl tun würde, wenn dieWölfe oder ein Ungeheuer der Finsternis angriffen. DieseNacht in den Bergen hatte etwas seltsam Unheimliches an sich,wie er es von zu Hause nicht kannte. Vielleicht war es auch dasGefühl der Weite und Einsamkeit der Berge, was irgendwievermuten ließ, dass es hier draußen für alles einen Platz zumVerstecken gab, wie unmenschlich oder böse es auch seinmochte. Auf der Insel hatte Ragnar das Gefühl gehabt, nahezualles über das felsige Land zu wissen, auf dem sein Stammgelebt hatte und gestorben war. Wenn sie als Jungen außerhalbdes Dorfs lagerten, waren sie nie weit von den anderen entferntgewesen und hatten sich unvermeidlich auf einem Gebietbefunden, auf dem sie schon hundert Mal gespielt hatten. Hierin den Bergen hatte Ragnar das Gefühl, dass ein Menschhundert Leben lang umherwandern konnte und immer nochnicht alles gesehen hatte. Es war ein beängstigender undzugleich anregender Gedanke.

Ragnar staunte jedoch, wie schnell er sich angepasst hatte.Trotz der Absonderlichkeit des Ortes sah er doch, dass er sichrasch an das Leben in Russvik, an seine neuen Kameraden, andie ständigen Übungen und an die harte Disziplin gewöhnthatte. Es gab jetzt Zeiten, in denen ihm sein Leben auf denInseln bereits wie ein Traum vorkam und alle Leute, die erfrüher gekannt hatte, kaum mehr als Schatten zu sein schienen.War er wirklich bei Sturm über das Deck der Speer von Russgeschritten? Hatte er Netze voller Meeresfische eingeholt?Hatte er zugesehen, wie Orcas harpuniert und Meerdrachenabgeschlachtet wurden?

Verstandesmäßig wusste er, dass es so war. Aber in seinemHerzen war es manchmal schwierig, es noch als wirklich zuempfinden. Warum saß er hier auf einem Berghang imDunkeln und starrte in die Finsternis? Er hatte keine genaue

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Vorstellung. Er hatte im Grunde auch keine Ahnung, warum erauserwählt worden war. Er hatte ganz einfach überlebt,während andere gestorben oder in die Knechtschaft verschlepptworden waren.

Dieser Gedanke weckte wiederum schmerzliche Gefühle. Ererinnerte sich unvermittelt an die Toten und Sterbenden unddaran, wie ein Mädchen von der Flotte der Grimmschädelverschleppt worden war. Das Wissen, dass einer der Angreiferkeine zwanzig Schritt entfernt lag und schnarchte, weckte inihm den Wunsch, vor Wut laut zu schreien, seinen Speer zunehmen und ihn Strybjörn in den Bauch zu bohren. Er konntesich fast vorstellen, wie er es tat, beinah den warmen Scheinder Zufriedenheit spüren, der sich in ihm ausbreiten würde,wenn er sich mit seinem ganzen Gewicht auf den abgenutztenSchaft lehnte und die funkelnde Spitze aus gehärtetem Stahl innachgiebiges Fleisch bohrte. Ragnars Lippen verzogen sich zueinem grimmigen Lächeln, und er war versucht, aufzustehenund es auf der Stelle zu tun - als er leise Schritte hörte, die sichihm näherten. Instinktiv hob er den Speer, aber ein Blickverriet ihm, dass es sich bei dem herannahenden Schatten nurum Kjel handelte.

Kjel hockte sich neben ihn. »Ich kann ebenso gut gleichdeine Wache übernehmen«, sagte er. »Jetzt, da die beiden solaut schnarchen wie Donnergrollen, kann ich sowieso nichtschlafen.«

»Bist du sicher?«, fragte Ragnar. »Du bist nicht zu müde?«»Wenn ich müde genug werde, kann ich vielleicht später

schlafen.«Ragnar nickte, rührte sich aber nicht vom Fleck. Er war nicht

müde, und ihm war nach Reden. Er war sicher, dass sie dieSchlafenden nur wecken würden, wenn sie laut schrien.

»Das ist eine sonderbare Gegend«, sagte er schließlich.»Meinst du das Tal oder diese Berge?«

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»Das ganze Land. Ich habe noch nie auch nur etwasÄhnliches gesehen. Jeder Einzelne dieser Berge scheint größerzu sein als die Insel, auf der ich aufgewachsen bin.«

»Das sind sie wohl auch in gewisser Weise. Oder wenigstenskönnten sie sehr wohl genauso groß sein.«

»Wie meinst du das?«»Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Inseln früher einmal

Berge waren, die vom Meer verschlungen wurden, so dass jetztnur noch die Spitzen aus dem Wasser ragen.«

»Das ist eine seltsame Geschichte.«»Sie ist Teil einer alten Legende. Darin heißt es, in den

Tagen vor Russ' Ankunft hätte es viel mehr Länder gegeben,die alle so groß wie Asaheim waren, aber dann wäre die großeFlut gekommen, es hätte hundert Jahre geregnet, und allesLand außer Asaheim wären untergegangen. Es heißt auch, dassdie Meerdämonen in den Ruinen der versunkenen Städtehausen, die alle so groß wie eine Insel sind.«

»Glaubst du das, Kjel?«»Warum nicht? Es könnte stimmen. Oder auch nicht. Meine

Leute sind keine großen Seefahrer. Sie leben in den Tälernunter den großen Gletschern und verbringen die Zeit mit Kriegund Jagd.«

»Ich habe gehört, die Leute vom Gletscher segeln mit einemSchiff nur dann außer Sichtweite ihres Landes, wenn sie dieInsel der Eisenmeister besuchen.«

»Das stimmt mehr oder weniger. Warum würde jemand auchso weit aufs Meer segeln wollen, dass er kein Land mehr sieht?Sicher würden ihn die Meerdämonen holen.«

»Ich habe auch gehört, die Leute vom Gletscher wären ... naja, Menschenfresser.«

Kjel lachte. »Ehrlich? Ich habe immer gehört, dass es dieInselbewohner wären, die einander verspeisen, weil es auf den

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kleinen Inseln nicht genug zu essen gäbe.«»Es gibt immer Fisch und Orca-Fleisch«, platzte es aus

Ragnar heraus. Er war wütend, des Kannibalismus beschuldigtworden zu sein. Andererseits hatte er zuvor Kjel mehr oderweniger desselben Vergehens bezichtigt, welches Recht hatteer also, sich beleidigt zu fühlen? In der Dunkelheit musste erüber die Ironie ihrer Legenden und die sich in ihnenwiderspiegelnde Ignoranz grinsen.

»Aber du hast Recht mit diesem Tal«, sagte Kjel. »Es wecktschlimme Gefühle.«

»Wie meinst du das?«»Das weiß ich selbst nicht. Etwas daran bewirkt, dass ich

eine Gänsehaut bekomme. Es ist so, als wäre etwas da draußenund beobachtete uns.«

»Wölfe?«»Mag sein. Vielleicht auch Trolle oder Nachtgänger.«Ragnar schauderte. »Hast du je einen Nachtgänger

gesehen?«»Nein, aber ich kannte mal einen Mann, der welche gesehen

hat. Es waren entstellte, böse Biester mit leuchtender Haut. Siehausen in alten Orten unter der Erde und kommen heraus, umsich an Menschenfleisch zu laben. Außerdem heißt es, dass siedie Finsteren Mächte des Chaos anbeten.«

»Ich habe noch nie von solchen Dingen gehört. Wir solltennicht darüber reden.« Ragnar beschrieb eine schützende Gestezur Abwehr alles Bösen.

»Du hast auf den Inseln gelebt. Das Meer ist frei vonsolchem Unrat.«

Ragnar nickte. Trotz des Angstschauders, den Kjels Worteverursacht hatten, reckte er sich und gähnte. Er war plötzlichsehr müde.

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***

Er legte sich ans Feuer und fiel in einen unruhigen Schlaf. Erträumte von vielen absonderlichen und schrecklichen Dingen.Er träumte von den blinden Würmern auf dem Grund desOzeans, die an den Wurzeln seiner Insel nagten. Er träumte vonentstellten Nachtgängern und monströsen Wölfen. Er träumtevon einer gewaltigen Bestie in der Gestalt eines Menschen,aber mit einem Wolfskopf. Der bloße Anblick in seinem Traumließ ihn ruckartig aus dem Schlaf schrecken, und er richtetesich jäh auf und sah sich mit gehetztem Blick und wildpochendem Herzen um.

Plötzlich regte sich eisige Furcht in seinen Eingeweiden,denn es kam ihm so vor, als stehe außerhalb des Feuerscheinsdie Kreatur, von der er gerade geträumt hatte. Er schüttelte denKopf, um einen klareren Blick zu bekommen, da er hoffte, dasses sich nur um ein Nachbild aus seinem Traum handelte, aberdas war es nicht. Es stand immer noch dort draußen imDunkeln, und es war so wirklich wie Ragnar selbst.

Ragnar erstarrte für einen Augenblick und musterte es. Nein.Es war nicht wie das Wesen in seinem Traum.

Es hatte keinen Wolfskopf. Vielmehr konnte er erkennen,dass der Körper monströs und verunstaltet war. Große Hörnerragten aus der Haut und verliehen seiner Silhouette etwasGezacktes. Der Kopf war gewaltig, der Kiefer breit und dieOhren waren riesig und abstehend wie bei Fledermäusen. DieAugen leuchteten in einem unheimlichen grünen Licht.Langsam dämmerte es Ragnar, dass er einen Troll anstarrte.Eine Kreatur, über die schlimmste Geschichten kursierten. Undwahrscheinlich einen hungrigen Troll, denn er näherte sichjetzt langsam dem Feuer.

Wo war Kjel, fragte sich Ragnar, oder wer in Russ' Namengerade Wache hatte? Nicht, dass es eine große Rolle gespielt

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hätte. Er würde selbst etwas unternehmen müssen. Verstohlengriff er nach Speer und Schild und betete dabei leise zu Russ,der Troll möge seine Bewegungen nicht bemerken.

Er stieß einen langgezogenen Seufzer der Erleichterung aus,als er die Waffen in den Händen hielt, und erhob sich leise ineine geduckte Kampfhaltung. Im Feuerschein konnte ererkennen, dass die anderen noch schliefen. Strybjörn und Svenschnarchten laut. Kjel lag am Feuer. Henk saß mit dem Gesichtder Dunkelheit zugewandt, aber die Art, wie sein Kopf auf derBrust lag, verriet Ragnar, dass der Junge schlief.

Ihm ging auf, dass es an ihm liegen würde, den Trollabzulenken, während sich seine Kameraden kampfbereitmachten. Und ihm ging auf, dass er es bald tun musste. Aberwarte noch eine Minute, flüsterte eine innere Stimme, vielleichtsuchte sich die Kreatur Strybjörn aus und nahm ihm seineRache ab. Ragnars Lippen verzerrten sich zu einem krankenGrinsen. Das war ein guter Gedanke, flüsterte ihm die innereStimme zu.

Nein, sagte er sich. Das war nicht die richtige Art, dies zuregeln. Er wollte seinen Feind mit eigenen Händen töten, nichtdurch einen Akt des Verrats. Und es gab auch keine Gewähr,dass der Troll sich Strybjörn aussuchen würde. Vielleicht nahmer sich einen der anderen vor, und er musste zugeben, dass sieauf dem besten Weg waren, seine Freunde zu werden.

Das Ungeheuer hatte das Feuer beinahe erreicht, und Ragnarwusste, dass die Zeit gekommen war zu handeln.»Aufwachen!«, schrie er. »Aufwachen! Ein Troll greift unsan!«

Bei diesen Worten sprang er auf und lief dem Trollentgegen. Aus der Nähe konnte er die schuppige, ledrigeEchsenhaut erkennen. Der Schleim, den sie absonderte, glänzteim Mondlicht. Das Wesen vermittelte den Eindruck, geradenoch nass gewesen zu sein, als sei es aus dem nahen See

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gestiegen.Ragnar näherte sich ihm rasch. Aus der Nähe wirkte das

Ungeheuer noch größer und beängstigender. Es war fastdoppelt so groß wie Ragnar und viel, viel schwerer. Die Brustwar so muskulös wie die der größten Bären und die Hände mitden Schwimmhäuten zwischen den Fingern waren fast so großwie sein Schild. Jeder Finger endete in einer dolchgroßenKralle. Das Ding riss das Maul auf und stieß einohrenbetäubendes Bellen aus. Ragnar konnte erkennen, dassdieses Maul von mehreren Reihen großer spitzer Zähnegesäumt wurde. Er stieß mit seinem Speer in der Hoffnung zu,eines der großen Telleraugen zu durchbohren, aber das Wesendrehte seinen Kopf, und Ragnars Klinge ritzte nur du Wangean. Zu seinem Entsetzen schloss sich die ledrige Haut vorseinen Augen mit einem widerlichen Sauggeräusch. Das siehtnicht gut aus, dachte er.

Der Troll schlug nach ihm. Ragnar duckte sich unter einemHieb hinweg, der ihm bei einem Treffer den Kopf abgerissenhätte, und stach nach dem Unterleib der Bestie. Er wurde miteinem unheimlichen schrillen Kreischen belohnt, das ihnbeinah taub machte. Das Ding antwortete mit einem weiterenmächtigen Hieb. Ragnar hob seinen Schild und neigte ihn indem Bemühen, wenigstens einen Teil der Wucht abzulenken.Seinem Bemühen war wohl Erfolg beschieden, aber die Wuchtdes Hiebs ließ ihn dennoch rückwärts taumeln. Er landeteneben dem Feuer und roch den Gestank versengter Haare, alsseine schwarze Mähne Feuer fing. Er fühlte sich benommenund schwach, aber er rappelte sich wieder auf und sah sichnach den anderen um.

Mittlerweile waren sie alle wach und hatten Waffen undSchild ergriffen. Kjel holte gerade mit seinem Speer aus undwarf ihn. Er flog in gerader Linie und traf zielsicher eines derriesigen Augen des Trolls. Ragnars Herz tat einen Sprung.Wenn er je einen tödlichen Wurf gesehen hatte, dann diesen. Er

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wartete darauf, dass der Troll umfiel und starb, aber das tat ernicht. Vielmehr griff er nach dem Speer und packte ihn. Beidem unbeholfenen Versuch, die Waffe herauszuziehen, bracher lediglich den Schaft ab und ließ die Spitze im Auge stecken.Jetzt zischte der Troll vor Wut wie eine Riesenschlange. DerLaut drang Ragnar durch Mark und Bein.

Strybjörn und Sven sprangen vor und stachen mit dem Speerzu. Die scharfen Eisenblätter durchtrennten die ledrige Hautdes Trolls. Grünliches Blut floss für einen Augenblick, dochauch diese Wunden begannen unnatürlich schnell zu verheilen.Der Troll streckte einen Arm aus und packte Sven mit seinergewaltigen Hand. Ragnar sah Blut fließen, wo die Krallen sichin Svens Haut bohrten, aber wenn er Schmerzen hatte, ließ eres sich nicht anmerken.

»Nimm das, du höllengeborener Hund von einem Troll!«,schrie Sven, während er den Speer umdrehte und ihn tief in diesehnige Hand des Trolls bohrte. Der brüllte vor Schmerzen undließ ihn fallen. Einen kurzen, schrecklichen Momentbefürchtete Ragnar, Sven werde unter den gewaltigen Füßendes Ungeheuers zertrampelt, aber es gelang Sven, sich geradenoch rechtzeitig zur Seite zu wälzen. Mittlerweile warStrybjörn vorgesprungen und hatte den Troll sauber in dieBrust getroffen. Sein Speer bohrte sich genau unterhalb derRippen in die Brusthöhle und traf dabei auch die Stelle, an dersich bei einem Menschen das Herz befunden hätte. Der Trollschrie jedoch lediglich auf und machte keine Anstalten, zuBoden zu gehen. Konnte denn nichts dieses Ding aufhalten?,fragte Ragnar sich. Furcht regte sich in ihm.

Dann fiel ihm etwas anderes auf. Merkwürdige Dämpfewehten aus dem Bereich um den durchbohrten Bauch desUngeheuers, und der Schaft von Strybjörns Speer begann zuschmelzen. Natürlich, erinnerte sich Ragnar, in allenGeschichten waren die Verdauungssäfte eines Trolls so ätzend,dass sie solides Gestein zersetzen konnten. Die Lage wurde

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immer verzweifelter Mit einem Rückhandschlag schleudertedas Ungeheuer Strybjörn zehn Schritt durch die Luft. Dassmusste weh getan haben, dachte Ragnar. Unter normalenUmständen wäre er über das Ableben des Grimmschädels mehrals erfreut gewesen, aber ihm ging auf, dass sie hier und jetztjeden einzelnen Krieger brauchten. Bisher war es ihnen nichteinmal gelungen, das Ungeheuer langsamer zu machen.

»Wir müssen mit Feuer angreifen!«, schrie Henk.»Was?«»Wir müssen Feuer benutzen. So habe ich den Troll beim

letzten Mal getötet. Es ist mir gelungen, ihn in das brennendeHaus zu locken. Die Wunden schließen sich nicht, wenn siedurch Feuer verursacht werden.«

Langsam sickerten Henks Worte ein. Das klang vernünftig.Feuer war die beste Waffe der Menschen gegen vieleSchrecken der Nacht, und er hatte oft genug die Geschichtevom alten Imogrim gehört, wie die Männer von Jarl Krakieines der Ungeheuer mit brennenden Fackeln und Pfeilenvertrieben hatten. Er riss ein brennendes Scheit aus denFlammen und schwang es um den Kopf, um das Feueranzufachen. Als das Scheit aufloderte, stürzte sich Ragnar mitHenk an seiner Seite ins Getümmel. Henk hielt ebenfalls einbrennendes Scheit.

Der Troll bückte sich gerade nach dem immer noch amBoden liegenden Sven, der sich das Ungeheuer mühsam vomLeib hielt, indem er mit seinem Speer hektisch nach dessenunversehrtem Auge stach. Dann war Ragnar heran undschwenkte das Scheit vor dem Gesicht des Trolls, der sich ihmaugenblicklich mit einem übermächtigen Brüllen zuwandte.Als ihn die Wolke schalen Atems erreichte, nahm Ragnarunwillkürlich wahr, dass er nach verdorbenem Fisch roch. DerGestank ließ ihn würgen. Er schlug mit seinem Feuerscheit zuund traf den Troll. Haut knisterte, brannte und wurde schwarz,

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heilte aber nicht. Russ sei Dank, dachte Ragnar, Henk hatteRecht.

Aus dem Augenwinkel sah Ragnar Feuer auflodern, was ihmverriet, dass Kjel seinem und Henks Beispiel gefolgt war. DerFalkner schwang in jeder Hand ein brennendes Holzscheit. Wodie Scheite Trollfleisch berührten, entstanden Brandwunden,die nicht heilten. Der Troll drehte sich jetzt unsicher im Kreis,da ihn die brennenden Scheite verwirrten. Henk stieß einentriumphierenden Schrei aus und sprang vorwärts, um demUngeheuer sein Scheit ins Gesicht zu schlagen. Er hinterließeine große schwarze Strieme.

»Nimm das, Bestie«, rief er und lachte im Gefühl des Sieges.Das Antwortgebrüll des Trolls übertönte ihn mühelos. DasUngeheuer packte zu und hob Henk hoch. Seine Krallenbohrten sich in sein Fleisch und trennten den Arm ab, der dieFackel hielt. Er schob sich den Kopf des Jungen in seingewaltiges Maul und biss zu. Blut spritzte, und Henks Schreibrach abrupt ab, als sein Kopf abgetrennt undheruntergeschluckt wurde.

Entsetzt blieb Ragnar stocksteif stehen. Er konnte nichtglauben, dass Henk tot war. Vor einem Moment war der jungeKrieger noch neben ihm gewesen, lebendig und vollerKampfesmut. Jetzt war er nicht mehr da. Der Tod hatte dieHand nach ihm ausgestreckt. Die furchtbare Erkenntnis machtesich in ihm breit, dass ihm ohne weiteres dasselbe zustoßenmochte, dass der Troll, wenngleich verwundet, immer noch einWesen von gewaltiger Kraft war, das sie alle töten mochte. Eswar offensichtlich, dass allen anderen derselbe Gedankegekommen war, denn sie standen wie erstarrt da und, schienennicht zu wissen, was sie tun sollten. Der Drang, sichabzuwenden und zu fliehen, erfüllte Ragnar, aber wenn er dastat, würden die anderen ebenfalls fliehen, und dann würdeHanks Tod ungerächt bleiben. Schlimmer noch, es wardurchaus möglich, dass der Troll sie einholte und tötete. In

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einem Augenblick der Entscheidung erkannte Ragnar, dass erzwar Angst hatte, aber nicht fliehen würde.

»Vorwärts, ihr Hunde!«, brüllte er. »Wenn schon sterben,dann mit vielen Wunden!«

Die anderen hörten auf sein Kommando. Sven raffte sich aufund stach nach dem Troll. Kjel ging mit seiner Fackel auf ihnlos, während Ragnar von der anderen Seite kam. Strybjörnhatte sich erhoben und ebenfalls ein brennendes Scheitergriffen. Von allen Seiten von den verhassten Flammenumgeben, geblendet und von Schmerzen erfüllt, fuhr der Trollherum und floh den Bach entlang, Henks kopflose Leicheimmer noch in seiner gewaltigen Pranke. Blut, das im fahlenMondlicht schwarz aussah, spritzte ins eisige Wasser.

Ragnar und die anderen folgten ihm über den zerklüftetenBoden, wobei die Scheite immer heller aufloderten, da derWind an ihnen vorbei pfiff. Es war eine schnelle, abervergebliche Hetzjagd, denn trotz seiner Größe undungeschlachten Gestalt war der Schritt des Trolls viel längerals ihrer. Das Ungeheuer erreichte das Seeufer und stürzte sichhinein, wobei es eine Schaumspur in seinem Kielwasserzurückließ. Ragnar und die anderen blieben am Ufer stehenund sahen zu, wie der Troll langsam ins Tiefe watete.Schließlich tauchte sein Kopf unter die Wasseroberfläche undwar verschwunden.

»Glaubt ihr, dass er ertrunken ist?«, fragte Strybjörn.»Nein«, erwiderte Kjel. »Trolle können unter Wasser leben.

Wahrscheinlich hat er dort unten seinen Bau.«»Können wir rausschwimmen und ihn töten?«, fragte Sven.»Wie?«, sagte Ragnar. »Die Fackeln brennen unter Wasser

nicht.«»Aber er hat Henk«, erwiderte Sven.»Henk ist tot. Wir können nichts mehr für ihn tun.«

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Trotzdem blieben sie am Ufer und hielten Wache, bis dieSonne aufging. Der Troll tauchte nicht wieder auf.

»Was nun?«, fragte Kjel.»Wir kehren nach Russvik zurück und berichten, was

geschehen ist«, sagte Ragnar. Darauf freute er sich nichtgerade. Schließlich war er der Anführer der Klaue und hatte dieVerantwortung für Henk gehabt.

Alle wechselten einen Blick. Ragnar meinte, sie müssten ihnanklagen, aber er sah nur Mitgefühl in ihren Augen, sogar inStrybjörns. Es war so, als habe der gemeinsame Kampf gegenden Troll ein Band zwischen ihnen geschmiedet. Ragnar schobden Gedanken weit fort. Es würde einen Waffenstillstandgeben, bis sie wieder im Lager waren. Bis dahin wurde jederKrieger gebraucht, denn wer wusste schon, welche anderenGrauen noch von den umliegenden Hügeln herabsteigenmochten. Aber nach ihrer Rückkehr hieß es wieder, jeder fürsich, entschied Ragnar. Besonders, was Strybjörn betraf. DerGrimmschädel konnte sein Mitgefühl für sich behalten, dachteRagnar.

***

»Du bist ganz sicher, dass es sich so abgespielt hat?«, fragteHakon. Ragnar nickte. Der Sergeant taxierte ihn mit seinemBlick.

Er ließ Ragnar dessen Beschreibung des Vorfalls Wort fürWort wiederholen und schwieg dann eine ganze Weile. Ragnarstarrte über die Schulter des Sergeants ins Leere, während ersich an den Rückmarsch nach Russvik erinnerte. Er war nichtangenehm gewesen. Er hatte ständig über Henks Schicksalgrübeln und daran denken müssen, dass dessen Verhängnisleicht sein eigenes hätte sein können. Henk war einfach zurfalschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ragnar wusste mit

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schrecklicher Gewissheit, dass es ebenso gut ihn hätteerwischen können.

Ein Blick auf die verängstigten, müden Gesichter seinerKameraden verriet ihm, dass innen derselbe Gedankegekommen war.

Auf dem langen Rückmarsch zum Lager hatte sie das Heulender Wölfe zu Tode erschreckt. Bei jedem Schattenhochfahrend, hatten sie damit gerechnet, auf der Stelle zusterben, doch nichts dergleichen war geschehen. Nur dasunheimliche Heulen schien ihnen durch Mark und Bein zudringen und dort nachzuhallen wie die schrille Stimme desVerhängnisses. Ragnar war sicher, es würde von nun an jedeNacht durch seine Träume geistern und er werde den Troll, dieWölfe und den toten Henk dort untrennbar verbundenwiedersehen. Er fühlte sich für den Tod des Jungenverantwortlich, und das hatte er auch zu Hakon gesagt, als derSergeant mit seiner Befragung begonnen hatte. Hakon hatte ihnungerührt angesehen und ihn ausreden lassen. Ragnar war sichder Last seines Versagens bewusst, und es gab Zeiten, in denenes ihm so vorkam, als könne er Henks junges Gesicht sehen,wie es ihn anklagend ansah. Das war fast so schlimm wie jenesGefühl, das er nach der Zerstörung seines Dorfs empfundenhatte. Er fragte sich, wie das möglich war - schließlich hatte erHenk kaum gekannt, während er mit seinem Klan sein ganzesLeben verbracht hatte. Doch ein Teil von ihm argwöhnte, dasser die Antwort bereits kannte. Bei den Donnerfäusten war erein Gefolgsmann gewesen, von dem man nur erwartete, fürseine Leute zu kämpfen und zu sterben. Bei seiner Klaue, alleinin der Wildnis von Fenris, war er ein Anführer gewesen. Erwar für das Schicksal seiner Wolfsklaue verantwortlich.Vielleicht war es so, ein Jarl oder Schiffskapitän zu sein. Erwusste nicht, ob ihm das wirklich gefiel, und zum ersten Mal inseinem Leben hatte Ragnar das Gefühl, Rang und Ruhmkönnten ein nicht gänzlich ungetrübtes Vergnügen sein.

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»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Ragnar. »Werden wirden Troll zur Strecke bringen?«

»Warum sollten wir das tun?«»Weil er einen von uns getötet hat.«»Wenn einer von uns so schwach war, sich von ihm töten zu

lassen, hat uns der Troll einen Gefallen getan.«»Ich glaube nicht, dass es so ist.«»Niemand hat nach deiner Meinung gefragt.«»Sind wir hier fertig?«, fragte Ragnar angewidert. Hakon

nickte. Mit einem jähen Gefühl der Leere und Erschöpfungerhob Ragnar sich von seinem Stuhl und wandte sich zumGehen.

»Ragnar!«Er drehte sich um und funkelte den Sergeant an, und dann

sah er zu seiner Überraschung etwas wie Mitgefühl auf Hakonsstrengen Zügen.

»Ja, Sergeant?«»Es ist niemals leicht, einen Mann zu verlieren. Glaub mir,

ich weiß es.«Ragnar nickte und verließ den Raum.

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8

PRÜFUNGEN

»Noch mehr Spuren«, sagte Ragnar kopfschüttelnd. Er sahsich in der trostlosen Landschaft nach Anzeichen für einenÜberraschungsangriff um. Die Pinien fielen mit dem Hangunter ihnen ab. Klippen versperrten den Weg nach rechts. Esgab reichlich Deckung, aber nichts rührte sich. Er hatte nichtdas Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr. Erwischte sich den Schweiß von der Stirn und strich sich dieHaare aus den Augen. Der große Hirsch hatte sieumhergehetzt, und sie hatten sich weit von dem Weg entfernt,der nach Russvik zurückführte.

»Das ist das fünfte Mal in dieser Woche«, sagte Kjelgrinsend. »Vielleicht werden wir beobachtet.«

»Vielleicht«, sagte Ragnar. Er starrte auf den dampfendenKadaver des toten Hirschs. Strybjörn hatte ihn ausgeweidet,während Ragnar und Kjel diese neue Fährte inspizierten.»Versuch etwas vorsichtiger mit dem Messer umzugehen,Grimmschädel«, fügte er hinzu.

Strybjörn funkelte ihn an. »Wenn du glaubst, dass du esbesser kannst, Letzter der Donnerfäuste, warum ziehst du dannnicht deinen Dolch und kommst her? Dann zeige ich dir, wieman etwas anderes ausweidet als einen Hirsch.«

Ragnars Hand zuckte zu seinem Dolchgriff. Heißer Hasserfüllte ihn. Kjel, der sah, was vorging, trat zwischen sie. Svensah zu und wartete ab, was passieren würde.

»Das reicht«, sagte Kjel. »Jetzt, da Henk tot ist, können wires uns nicht leisten, noch einen Mann zu verlieren. Nicht, wennandere in der Nähe sind und wir uns den Rückweg freikämpfenmüssen. Strybjörn, vergiss nicht, Hakon hat Ragnar dasKommando gegeben.«

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»Aye, und es hat uns wirklich viel genützt«, murmelte derGrimmschädel. Ragnar machte Anstalten, auf ihn loszugehen,doch Kjel schob ihn zurück. Er registrierte das unmerklicheKopfschütteln des Falkners. Langsam ließ seine Wut nach.Kjels Worte waren nicht nur eine Erinnerung für Strybjörn,sondern auch für ihn. Es ging nicht an, dass er als Anführernoch einen seiner Krieger verlor, vor allem dann nicht, wenn erihn selbst tötete. Er fand den Gedanken beinahe erheiternd, unddie Spannung verließ ihn. Er gab sich damit zufrieden, denGrimmschädel anzugrinsen.

Sven und Strybjörn banden den Kadaver an die Stange, ander sie ihn zurück nach Russvik tragen würden. Ragnar fandden Anblick des roten tropfenden Fleisches nicht mehr sobestürzend wie noch vor gar nicht so langer Zeit. Er hatte sichmittlerweile daran gewöhnt, da er Dutzende der herrlichenKreaturen erlegt und ausgeweidet hatte. Jedenfalls war ein toterHirsch kein Grund zur Sorge. Das Problem war diese Fährte.

Wem gehörte sie? Woher kamen diejenigen, welche siehinterlassen hatten? Die Spuren schienen vonmenschenähnlichen Wesen hinterlassen worden zu sein, abernachdem er noch nie Spuren von Wölfen oder Nachtgängerngesehen hatte, neigte Ragnar zu äußerster Vorsicht. Er konnteder Fährte folgen und dabei vielleicht in einen Hinterhaltgeraten. Höchstwahrscheinlich war der Versuch, der Fährte zufolgen, ein sinnloses Unterfangen. Der frische Winterschnee,der in den höheren Lagen während der Schneestürme fiel,würde sie in Bälde zudecken, und die Gejagten würdenverschwinden wie ein Wolfen in der Nacht. Vielleicht ganzgenau wie ein Wolfen, dachte Ragnar.

Aber es hatte den Anschein, als träfen die Gerüchte undLegenden über Asaheim nicht zu. Als er alle Gedanken an böseUnwesen, die sie verfolgten, für einen Augenblick verbannte,erkannte Ragnar, dass Fährten eben Fährten waren und hierirgendwelche Leute lebten. Jedenfalls gehörten diese Fährten

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nicht zu den Anwärtern aus Russvik, so viel stand fest. In denBergen mussten noch andere Leute leben. Ragnar hatte dasGefühl, sich die Frage sparen zu können, ob sie feindseligwaren oder nicht. Allem Anschein nach war der natürlicheZustand auf Fenris der, dass alle Leute Feinde waren. So wares schon immer gewesen. So würde es immer sein. Russ hattees vor langer Zeit so verfügt, um sein Volk stark zu halten.

Dass die Fährte von Kriegern stammte, bezweifelte Ragnarnicht. Er bezweifelte hingegen, dass sie den Anwärtern Manngegen Mann gewachsen waren. In Bezug auf die Anzahlmochten sich die Dinge jedoch anders verhalten. Er hatte inden vergangenen Monaten genug über das Fährtenlesengelernt, um eine genaue Schätzung abgeben zu können, wieviele Personen die Gruppe gezählt hatte, die hiervorbeigekommen war: mindestens ein Dutzend. Die Frage warjetzt, ob die Fährten, welche die anderen Anwärter Russviksentdeckt hatten, zu derselben Gruppe oder zu einer anderengehörten. Ragnar beschloss, Hakon bei seiner Rückkehr vonihrem Fund zu berichten. Im Augenblick schien er kaum etwasanderes tun zu können.

***

Ragnar stapfte den Hang nach Russvik hinunter. Im Talkonnte er die Lichter der Laternen in den Langhäusern glitzernsehen. Er sah auch die flackernden Funken, die aus denKaminen im Dach des großen Langhauses stoben, das sich inder Dunkelheit als massiver Klotz abzeichnete. UnbekannteSterne standen am Himmel. Das Gurren der Nachtvögel lag inder Luft. Er konnte Holzrauch und den lehmigen Geruch dernahenden Nacht wahrnehmen. Wie immer kam es ihm so vor,dass seine anderen Sinne stärker wurden, wenn das Lichtnachließ, um dieses Fehlen auszugleichen. Irgendwo in der

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Ferne heulte ein Wolf.Er warf einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass

Sven und Strybjörn noch da waren. Er konnte ihreschattenhaften Umrisse in der Dunkelheit erkennen, wie sieden toten Hirsch zwischen sich trugen. Voraus sah er Kjel inder Finsternis umherspringen, der den Weg auskundschaftete.Seine Klaue würde keinen Krieger mehr verlieren, wenn er esverhindern konnte. Nicht, dass es jetzt noch wahrscheinlichwar. In den seit Henks Tod verstrichenen Monaten waren seineKameraden nur härter und zäher geworden. Unter dem Druckbeständiger Übungen und Höchstleistungen waren sie stärker,schneller und ausdauernder geworden, als es je einInselbewohner gewesen war, den Ragnar gekannt hatte.

Er seufzte nachdenklich. Er hatte in den vergangenenMonaten so viel gelernt, dass ihm schwindelte. Er kannte diegesamte essbare Flora und Fauna in den umliegenden Bergen.Er wusste, wie man einen Unterschlupf errichtete und Feuermachte. Er konnte sogar ein kleines Iglu aus dem Winterschneebauen, das vor den Eisstürmen schützte. Er wusste, wie manWunden und Erfrierungen behandelte. Er hatte gelernt, mitbloßen Händen zu kämpfen, und war jetzt im Kampf ohneWaffen ebenso tüchtig wie Sven und Strybjörn. Er war schonimmer gut mit Speer und Harpune gewesen, aber erbezweifelte, dass es in seinem alten Dorf jemanden gegebenhatte, der sich mit seinen Fähigkeiten hätte messen können,nicht einmal die Meisterharpuniere.

Es war nicht leicht gewesen. Die Hälfte der Anwärter warmittlerweile tot. Von den anfänglich gut drei Dutzend lebtennur noch ungefähr zwanzig. Einige waren von den Klippengestürzt, auf denen sie das Klettern geübt hatten, andere warennicht von der Jagd zurückgekehrt, ein Opfer von Wölfen,Trollen oder Wölfen. Zwei waren bei Waffenübungen mit Axtund Speer zu Tode gekommen. Einer war von Sergeant Hakonfür irgendein unaussprechliches Verbrechen hingerichtet

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worden.Natürlich waren neue Rekruten eingetroffen, frischgesichtig

und voller Staunen und Furcht. Ragnar verblüfften seineeigenen Gefühle der Überlegenheit beim Anblick dieserNeuankömmlinge. Die wenigen Monate seit seiner Erwählunghätten ebenso gut ein ganzes Leben sein können. Zwischen ihmund den Neuankömmlingen schien eine Altersunterschied zuliegen, der größer war als jener zwischen Wolfbruder undknorrigem Ältesten in seinem Heimatdorf. Er fragte sich,wohin jene gegangen waren, die bei seiner Ankunft hiergewesen« waren. Viele von ihnen waren verschwunden, voneinem Luftschiff zu einem unbekannten Bestimmungsortgebracht. Nur Sergeant Hakon wusste genau, wohin siegebracht wurden, und niemand hatte je gewagt, ihn danach zufragen.

In dieser Zeit hatte Ragnar es geschafft, seinen Hass aufStrybjörn im Zaum zu halten. Er war nicht verschwunden,sondern wartete lediglich auf einen passenden Zeitpunkt. Undauf eine seltsame Art hatte er, solange Strybjörn noch lebte undRagnars Hass kalt in ihm brannte, noch ein zartes Band zuseinem alten Leben auf der Insel. Ragnar wollte nicht, dassStrybjörn starb, während er zu seiner Klaue gehörte. Er warbereit, ihn zu verschonen, bis er keine Verantwortung mehr fürihn hatte.

»Beeilen wir uns«, sagte er. »In Russvik gibt es hungrigeMäuler zu füttern.«

»Friss nicht alles auf, bevor wir dort sind, Sven«, riet Kjel.Ragnar war aufgefallen, dass Sven sich unterwegs Portionenrohen Fleisches in den Mund gestopft hatte.

»Ja, du hattest schon genug«, sagte Ragnar.»Hatte ich, verflucht noch mal, nicht«, erwiderte Sven und

rülpste laut.Die anderen lachten laut, und ihre Lebensgeister hoben sich,

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bevor sie weiter bergab gingen, dem flackernden LampenlichtRussviks entgegen.

***

»Ich sage euch, es waren über hundert«, sagte Nils. Er warein schmächtiger Bursche, aber aufgeweckt und von rascherAuffassungsgabe, der Anführer einer der anderen Anwärter-Klauen, die am Tag von Ragnars Ankunft zusammengestelltworden waren. Bisher hatte er zwei von seinen Leutenverloren, wenngleich nicht durch sein Verschulden. Eigentlichnur durch Pech. Ragnar musterte ihn mit Interesse, genau wiealle anderen, die im Langhaus ihr Gulasch aus Wildbret undRüben aßen. Dies war die erste eindeutige Sichtung einergroßen Gruppe von Fremden.

»Wo hast du sie gesehen?«, fragte Strybjörn.»Auf dem Axtkopfpass. Wir waren talaufwärts und haben sie

uns aus den Bäumen angesehen. Wir hatten seit einigenStunden einen großen Hirsch und seine zwei Rehe verfolgt, alswir sie sahen. Wir dachten, wir kommen besser zurück undmelden es Sergeant Hakon.«

»Um die hundert«, sagte Kjel. »Das sind ziemlich viele.«Ragnar wusste, dass alle dasselbe dachten wir er. Die neuen

Anwärter eingeschlossen, waren sie höchstens vierzig Kriegerin Russvik, Hakon und etwaige gerüstete Besucher nichtgerechnet. Das war kein gutes Kräfteverhältnis, wenn es zumKampf kam. Andererseits gab es immer noch die magischenWaffen, die der Sergeant und seinesgleichen trugen. Ob eshundert waren oder tausend, es würde keine Rolle spielengegen die Zauberei, die einen ausgewachsenen Meerdrachen inStücke reißen konnte.

»Was hat der Sergeant gesagt?«, fragte Khel.

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»Er hat nur gelacht und gemeint, wir brauchten uns keineSorgen zu machen. Das sei nur die Winterwanderung derFremden. Er sagte, sie würden uns keinen Ärger machen, wennwir sie in Ruhe ließen.«

Ragnar dachte darüber nach. Eine Winterwanderung - dasklang danach, als sei diese Gruppe Teil einer viel größerenBewegung von Leuten. Wiederum wurde ihm seineUnwissenheit in Bezug auf das Land bewusst in dem dasLuftschiff ihn abgesetzt hatte. Er wünschte, er hätte mehrdarüber gewusst. Er wünschte, jemand würde ihm Gelegenheitgeben, mehr zu erfahren.

Eines wurde jedoch zunehmend offensichtlicher. DieFremden töteten bei ihrem Vorbeizug einen Großteil desWilds. Der Hirsch, den Ragnars Klaue nach Russvik gebrachthatte, war seit geraumer Zeit das erste Fleisch, das eine Gruppevon Anwärtern erlegt hatte. Es mochte das letzte gewesen sein,nun, da der Winter hereinbrach. Und das war noch nicht dasSchlimmste daran. Die Vorräte in den Häusern gingen langsamzur Neige. Es waren noch Säcke mit Korn übrig und auch nochetwas welkes Gemüse, aber kaum noch etwas anderes. Ragnarfragte sich, wie lange die Vorräte noch reichen würden. Erfragte sich außerdem, was Sergeant Hakon und die anderenWölfe aßen. Er hatte sie noch nie mit den Anwärtern essensehen. Bei näherem Nachdenken hatte er sie überhaupt nochnicht essen sehen. Das hatte etwas Übernatürliches.

Er zuckte die Achseln und schob den Gedanken beiseite.Natürlich war es möglich, dass der Sergeant aß, wo niemandihn sehen konnte. Vielleicht hatte er einen geheimenNahrungsmittelvorrat, an dem er sich gütlich tat. Auch dieserGedanke kam ihm lächerlich vor. Sergeant Hakon gehörtenicht zu der Sorte, die irgendetwas heimlich tat. Warum sollteer auch? Er war der unumschränkte Herr und Meister diesesLagers.

Dennoch war Ragnar beunruhigt. Der Winter wurde

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strenger. Das Essen wurde knapper. Weitere Anwärter hattensich zu ihnen gesellt. Eine Katastrophe zeichnete sich ab.

***

»Bring ihn um! Bring das Schwein um!«, schrie die Mengehungriger Anwärter. Der Kampf im Langhaus war raschausgebrochen, und dabei waren Holztische und Teller mitdampfender Grütze umgeworfen worden. Kjel hatteversehentlich Mika und Vol, zwei aus Nils' Klaue,angerempelt, die alle für Grütze anstanden. Der Inhalt einesTellers war verschüttet und die Burschen mit Essen bespritztworden. Durch Wochen des Hungers, harter Übungen undSergeant Hakons Bestrafungen waren arg strapazierteGeduldsfäden gerissen. Augenblicke später waren die beidenüber Kjel hergefallen, und Mika stemmte ihn auf den Tisch,während Vol ihn trat und schlug.

Ragnar fluchte. Sowohl Mika als auch Vol waren groß undstämmig, und beide waren sehr gute Ringer. Sven undStrybjörn waren beide noch nicht hier. Ihm blieb nichts anderesübrig. Wenn niemand eingriff, würden Nils' Klauenbrüder Kjelwomöglich totschlagen. Keiner sah so aus, als wolle ereingreifen. Alle waren viel zu beschäftigt damit, die Angreiferanzustacheln.

Ragnar lief los. Er sprang auf eine Bank, rannte über einenTisch und stieß sich ab. Sein Schwung trug ihn mitten insGetümmel. Er packte Mika und Vol am Kragen und riss sie zuBoden. Mikas Kopf schlug auf die festgestampfte Erde desBodens. Ragnar rollte sich geschmeidig ab und kam raschwieder auf die Beine, wobei er sich zu Vol drehte. DerAnwärter erhob sich mit erstaunlicher Schnelligkeit. Ragnartrat zu und erwischte ihn mit dem Fuß unter dem Kinn. Er hieltdie Zehen gekrümmt, wie man es ihm beigebracht hatte, so

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dass er sein Ziel mit dem Fußballen traf. Durch die Wucht desTritts wurde Vols Kopf in den Nacken geschleudert, und er fielauf einen anderen Tisch und verspritzte dabei Grütze in alleRichtungen.

»Das kannst du nicht machen!«, schrie ein stämmigerNeuankömmling, den Ragnar nicht kannte, während er überden Tisch setzte, um ihn anzugreifen.

»Kann ich das nicht, Bürschchen?«, knurrte Ragnar undfällte ihn mit einem Schlag unter das Kinn. Den Freunden desAngreifers gefiel dies offenbar nicht, und so setzten sie die vonihm begonnene Attacke für ihn fort. Als er sich mit grimmigemLächeln zu diesen neuen Gegnern umwandte, spürte er einenkalten Luftzug im Rücken. Die Tür des Langhauses hatte sichgeöffnet, und Ragnar hörte Svens und StrybjörnsFreudengeheul angesichts der sich entwickelnden Schlägerei.Zwei schwere Leiber, die durch die Reihen der neuenAngreifer pflügten, verrieten Ragnar ihr Eintreffen.

Es war, als sei ein Signal für den Beginn eines allgemeinenGetümmels gegeben worden. Teller mit Grütze flogen durchdas Langhaus. Bänke wurden zerbrochen, Kamerad prügelteKamerad, Freund schlug Freund in dem allgemeinenWahnsinn. Rasch hieß es nur noch, jeder für sich und gegenalle.

Ragnar trat zurück und stieß mit jemandem zusammen. Erfuhr mit erhobener Faust herum und sah, dass es Kjel war. DerFalkner sah ebenso bereit aus, ihn zu schlagen, doch als er sah,wer sein Gegenüber war, zuckte er die Achseln und grinste.

»Duck dich«, rief er plötzlich. Ragnar hatte gerade nochZeit, sich auf den Boden zu werfen, als auch schon eine Banküber seinen Kopf flog. Er hielt sich nicht damit auf, sichumzusehen, sondern trat mit dem Fuß zu und wurde mit einemschrillen Kreischen belohnt, als er seinen Angreifer imUnterleib traf. Er wälzte sich zur Seite, um einem

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vorzuckenden Stiefel auszuweichen, und fand sich unter einemTisch wieder, wo er aus dem unmittelbaren Kampfgetümmelheraus war.

Ringsumher regierte der Wahnsinn. Gebrüll undSchmerzensschreie hallten durch die Luft. Blut spritzte auf denBoden. Die Anwärter bekämpften einander mit einer Wut, diejeden Feind in Angst und Schrecken versetzt hätte. Auf eineseltsame Art schienen sie sogar Spaß daran zu haben. Kämpfenund Raufen war immer Teil des Lebens auf Fenris gewesen,und es schien den Burschen gut zu tun, ihrer Frustration aufdiese Art Luft machen zu können. Ragnar spürte die Erregungselbst und stürzte sich gerade rechtzeitig in das Getümmel, umvon Nils einen Schlag ins Gesicht zu bekommen.

Der Hieb war so heftig, dass Sterne vor Ragnars Augentanzten. Er verzog die Lippen zu einem Grinsen grimmigsterFreude, das Nils erstarren ließ, bevor Ragnar den Mann miteinem Hagel von Hieben zu Boden schickte, um sich dann aufdas nächste Knäuel Kämpfender zu stürzen.

»Das reicht«, bellte eine Stimme wie Donnerhall. DieSchlägerei endete augenblicklich. Ragnar verharrte wieangewurzelt. Sergeant Hakon schob sich in sein Blickfeld. DasGrinsen auf seinem Gesicht war kein angenehmer Anblick.

»So«, sagte er. »Ihr wisst also nichts Besseres mit eurer Zeitanzufangen, als euch zu prügeln, was? Und ihr mögt das Essenso wenig, dass ihr es als Waffe benutzt. Das überrascht michnicht. Asa kocht die Grütze so klumpig, dass man sie alsMunition für Schleudern benutzen könnte. Trotzdem ist es eineVerschwendung. Wer hat den Kampf angefangen?«

Niemand antwortete. Der Sergeant sah sich im Langhaus um.Sein Blick begegnete Ragnars. Der zwang sich, Hakons Blickstandzuhalten. »Niemand, was? Tja, ich schätze, das heißt, ihrkönnt alle vor dem Schlafengehen noch zwei Mal den Hügelhochlaufen. Das heißt, nachdem ihr diesen Schweinestall

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ausgemistet habt.«Lautes Ächzen hallte durch das Langhaus. Niemand war

glücklich bei dem Gedanken, vor dem Schlafen durchDunkelheit und Schnee laufen zu müssen. Kjel trat vor.

»Ich war's, Sergeant«, sagte er. »Ich habe angefangen.«»Wie, Junge?«»Na ja ...«Mika meldete sich. »Er hat mich angerempelt, Sergeant, aber

ich habe zuerst zugeschlagen.«»Und dann?«»Dann habe ich mich eingemischt«, sagte Ragnar. Er

erwähnte nicht, dass Mika und Vol Kjel gemeinsam in dieMangel genommen hatten. Das zu bestrafen oblag nicht demSergeant, sondern war bereits durch die Schlägerei geregeltworden.

»Aha.«»Dann bin ich dazugekommen«, sagte Nils.»Und ich auch«, rief eine andere Stimme. Plötzlich schrien

alle im Langhaus durcheinander, da alle Anwärter ihren Anteilan der Schuld geltend machten. Man könnte meinen, dieSchwachköpfe wetteifern darum, wer einen Troll erlegt hat,dachte Ragnar, war aber dennoch merkwürdig stolz auf sie alle.

»Tja, dann habt ihr wohl alle den Lauf verdient, odernicht?«, sagte Hakon.

»Aye!«, riefen sie zurück.»Dann fangt am besten gleich damit an«, sagte er. »Außer

Kjel, Ragnar, Mika und Nils. Ihr macht hier zuerst sauber.«Damit machte Hakon auf dem Absatz kehrt und verließ den

Raum. Die Anwärter folgten ihm nach draußen in den Schnee.Die verbliebenen vier sahen einander an.

»Dann holen wir wohl am besten die Eimer«, sagte Nils

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schüchtern, als rechne er damit, dass Ragnar ihn gleich wiederschlagen würde. Ragnar nickte. Kjel warf ihm einen Blick zuund grinste.

»Danke, Ragnar, dass du mir geholfen hast«, sagte er.»Denk dir nichts dabei«, sagte Ragnar. »Du würdest dasselbe

für mich tun.«»Aye, das würde ich.« Sie verschränkten die Hände und

schüttelten sie nachdrücklich.»Danke für das blaue Auge, Ragnar«, sagte Nils. »Aber nicht

viel.«»Ach, was soll's«, sagte Mika grinsend. »Das war der beste

Kampf seit einer Ewigkeit. Das müssen wir irgendwann malwiederholen.«

Damit machten sie sich an die Arbeit.

***

Ragnars Finger bluteten, was gefährlich war. An dieserTatsache hatte er keinen Zweifel, da er an einem gefrorenenVorsprung fast hundert Schritt über dem Boden hing. Er hattesie zum Schutz vor der Kälte mit Hirschfell umwickelt, bevorer mit dem Klettern begonnen hatte, aber das Fell war beimAufstieg ausgefranst, und jetzt schnitt das scharfkantigeGestein in seine Finger.

Der Wind zupfte an seiner Tunika und an demhirschledernen Überwurf, den er selbst angefertigt hatte. Erblies ihm die langen schwarzen Haare in die Augen und ließdiese gleichzeitig tränen. Sein Herz hämmerte. Der kalteSchweiß fühlte sich an, als gefriere er auf seinem Gesicht. Erversuchte sich einzureden, dass er sich nicht zu fürchtenbrauchte, dass es keinen Grund zur Sorge gab, dass er schonSchlimmeres überlebt hatte. Angesichts des Abgrunds unter

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seinen Fersen und der Windböen, die an ihm zerrten, warenseine diesbezüglichen Versuche nicht sonderlich überzeugend.Viele Anwärter waren an dieser Felswand gestorben. Erstgestern war Vol in den Tod gestürzt. Ragnar wollte nicht darandenken, wie er lange Minuten dagelegen hatte, mitgebrochenem Rückgrat und zermatschten Eingeweiden,während sein Blut den Schnee rötete und sein Leben verrann.In wenigen Sekunden mochte ihn dasselbe Schicksal ereilen.

Ragnar versuchte seinen Griff zu ändern, aber seine Fingerfanden auf dem glatten, eiskalten Felsen keinen Halt. Er suchteverzweifelt nach einem Halt für die Füße, aber das vereisteGestein widersetzte sich ihm. Er rutschte langsam in den Tod.Vor seinem geistigen Auge sah er sich bereits abstürzen. Erspürte fast schon den kurzen Fall durch die Leere, dastriumphierende Heulen des Windes in den Ohren, dasAufflammen unerträglicher Schmerzen, wenn der kalte Bodenihn willkommen hieß, und dann die lange Dunkelheit desTodes. Ein Teil von ihm sehnte sich beinah danach.

Nach den Strapazen der vergangenen Wochen würde es eineErlösung sein. Seit der Schlägerei hatte sich vielesverschlimmert. Das Essen war noch knapper geworden und dieAusbildung noch härter. Es hatte weitere Schlägereien undPrügel gegeben. Einer der neuen Anwärter war zu Todegetreten vor dem Langhaus gefunden worden, und diesmal warniemand vorgetreten, um die Verantwortung zu übernehmen.Sergeant Hakon hatte den Fall nicht einmal besondersgründlich untersucht. Er sagte, die Wahrheit werde schließlichans Licht kommen, und die Schuldigen könnten sich nicht ewigverstecken. Ragnar hatte den Gedanken nicht sonderlichberuhigend gefunden. Er wünschte, er hätte die Zuversicht desSergeants teilen können. Andere waren nicht mehr in der Lagegewesen, mit der Belastung fertig zu werden, und in die Kältegewandert. Ihre erfrorenen Leichen hatte man unweit desLagers gefunden. Sven hatte im Scherz vorgeschlagen, man

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könnte sie in die Küche bringen. Wenigstens hoffte Ragnar,dass es scherzhaft gemeint war.

Er schüttelte den Kopf. Woran dachte er eigentlich? Wieimmer in Augenblicken extremer Gefahr schien sein Verstandmit unglaublicher Schnelligkeit zu arbeiten, aber er nutzte daslediglich dazu, in den Tag zu träumen und sich an dieVergangenheit zu erinnern. Er musste sich retten, und zwarsofort, bevor seine Finger von dem Vorsprung glitten und erins Verderben stürzte.

Er ließ den Vorsprung mit einer Hand los und spürte, wie erabrutschte. Er drehte sich, warf sich vorwärts und streckte diefreie Hand aus, um an dem kalten Fels nach Halt zu suchen.Seine abgestorbenen Finger reagierten kaum, aber erkonzentrierte seine ganze Willenskraft auf sie und brachte siedazu, sich zu bewegen. Triumphierend spürte er etwas unterseinen Fingern. Es fühlte sich beinah an wie menschlichesHaar. Es musste Moos oder eine Flechte sein, dachte er. DasTriumphgefühl verwandelte sich rasch in Verzweiflung, als erspürte, wie das Zeug nachgab. Sein Gewicht riss es an denWurzeln aus. Seine Finger verloren den Halt, und er drohte zufallen.

Für einen kurzen, schwindelerregenden Augenblick spürteer, wie er sich von der Felswand löste. Sein Rücken krümmtesich, da sein langer Fall ins Leere begann. In diesemAugenblick wusste er, dass er sterben würde, und diesmalwürde ihn weder Magie noch Zauberei ins Leben zurückholen.

Dann schlossen sich starke Finger um sein Handgelenk, undsein Fall wurde aufgehalten. Er schaute auf und sah Kjel übersich. Er dankte Russ, dass Kjel seine Schwierigkeiten bemerkthatte und zurückgekehrt war.

Erleichterung überflutete ihn, und plötzlich fühlte er sichschwach. Er registrierte den Ausdruck äußerster Anstrengungauf dem Gesicht des Falkners einen Sekundenbruchteil, bevor

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er spürte, wie Kjel langsam abrutschte.Nein, dachte Ragnar, indem er auf die Zähne biss und wieder

nach einem Halt suchte, da er jetzt ebenso befürchtete, Kjel mitins Verderben zu reißen, als selbst abzustürzen. Dank deszusätzlichen Halts durch Kjels Griff gelang es ihm diesmal,einen festen Halt zu finden und sich ganz auf den Vorsprung zuziehen.

»Das war viel zu knapp«, keuchte Ragnar nach einemAugenblick des Ausruhens. Die Angst und die Anstrengunghatten seine Stimme zu einem flüsternden Krächzen reduziert.

»Ja«, sagte Kjel mit immer noch weißem Gesicht.»Ich schulde dir mein Leben«, sagte Ragnar.Kjel schaute das verbliebene Stück der Felswand empor. Es

erstreckte sich noch etliche Meter in die Höhe. Ragnar warklar, dass Kjel die wenige ihnen noch verbliebene Kraft mitdem Rest der Kletterpartie verglich. Die Miene auf seinemGesicht verriet ihm, dass Kjel ihre Aussichten nicht gerade alsrosig einstufte.

»Danke mir, wenn wir es beide lebend überstanden haben«,sagte Kjel.

Müde setzten sie den langen Aufstieg fort. Als sie oben mitvor Erschöpfung zitternden Gliedern und rasselndem Atemankamen, wartete Sergeant Hakon auf sie. Sein Gesicht hatteeinen nachdenklichen Ausdruck.

»Ragnar, finde dich morgen bei Tagesanbruch mit deinerKlaue im großen Haus ein.« Seinem Tonfall konnte Ragnarnicht entnehmen, ob es eine gute oder eine schlechte Neuigkeitwar.

***

Das trübe Morgenlicht fiel durch die Schlitze, die im großen

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Haus als Fenster dienten. Es roch nach Rauch und altemSchweiß. Sergeant Hakon hatte sich vor Ragnars Klaueaufgebaut. In seinem Schatten kam Ragnar sich wie ein Zwergvor. In den Augen des Sergeants stand ein sonderbaresFunkeln, aber in seinem versteinerten Gesicht konnte Ragnarkeinen besonderen Ausdruck erkennen. Er schien über sienachzudenken, vielleicht im Hinblick darauf, sie zu töten,vielleicht auch mit anderen Absichten im Hinterkopf.

»Ihr habt euch wacker geschlagen«, sagte er schließlich.»Zumindest habt ihr euch so gut geschlagen, dass ihr es bishierher geschafft habt. Ihr habt alle überlebt, und ihr habt euchkeine Schande gemacht. Hier in Russvik könnt ihr nicht mehrviel lernen, und ihr seid so zäh, wie euer jämmerlicher Körperes zulässt.«

Alle Blicke waren jetzt auf den Sergeant gerichtet. Dies waretwas Neues. Seine Worte ließen auf eine Veränderungschließen. Vielleicht würden sie den anderen Klauen folgen.Das gab Ragnar zu denken. Keiner dieser Anwärter war jemalszurückgekehrt. Das Herz pochte ihm im Hals vor Aufregung.

»Ihr bekommt die Gelegenheit, euch von hier abzusetzen«,fuhr Hakon fort. »Glaubt nicht, dass es leicht wird. Dort, wohinihr geht, werdet ihr auf eure Zeit in Russvik als angenehmekleine Vergnügungsfeier zurückschauen.«

Er hielt kurz inne, um seine Worte wirken zu lassen. Beijedem anderen hätte Ragnar geglaubt, die Worte seien eineÜbertreibung, um ihnen Angst einzujagen, aber da sie vonHakon kamen, wusste er, dass sie lediglich die Feststellungeiner Tatsache waren.

»Es mag sein, dass ihr ausgewählt werdet, ins nächsteStadium eurer Ausbildung einzutreten. Das setzt voraus, dasses euch gelingt, Morkais Tor zu passieren.«

Ragnar gefiel nicht, worauf das hinzudeuten schien.In den Legenden seines Volks war Morkai Russ'

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zweiköpfiger Hund. Er bewachte die Tore der tiefsten Hölle.Ein Blick auf seine Klauenbrüder verriet ihm, dass auch sie dieBedeutung dieses Namens kannten.

»Wie gelangen wir dorthin, Sergeant?«, fragte Kjel. Ragnarmerkte ihm an, dass er sein Bestes tat, um fröhlich zu klingen,aber es gelang ihm nicht, den ängstlichen Unterton aus seinerStimme herauszuhalten.

»Das werdet ihr noch früh genug herausfinden.«

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9

MORKAIS TOR

Wieder einmal befand sich Ragnar an Bord eines der großenLuftschiffe. Er wusste jetzt, dass es Thunderhawk genanntwurde. Vielleicht war es der Thunderhawk, aber irgendwiebezweifelte er das. Wie Hakon und die anderen darüberredeten, hatte er den Eindruck, dass es mehr als einen gab.

Kjel, Strybjörn, Sven und er waren nicht die Einzigen, die anBord gingen und sich anschnallten. Er nahm zur Kenntnis, dassNils und Mika ebenfalls da waren. Außerdem erkannte er nochLars, Hrolf und Magnus aus der Schar der mit ihmangekommenen Anwärter. Es hatte den Anschein, als seien siedie einzigen Überlebenden. Keiner von ihnen sah sonderlichfröhlich aus, und Ragnar nahm an, dass sie Sergeant HakonsAnsprache ebenfalls gehört hatten. Zumindest Nils versuchtesie anzulächeln, aber seine Miene war eher nachdenklich alsglücklich. Wie Ragnar fragte er sich, was sie hinter MorkaisTor erwartete.

Ein Tosen erhob sich, als der Thunderhawk zum Lebenerwachte und sich vom Boden erhob. Als er durch das rundeBullauge schaute, konnte Ragnar sehen, dass der Schnee aufden Schwingen des Luftschiffs verdampfte. Die Kraft derBeschleunigung presste ihn in den Sitz. Er hielt den Blickjedoch fest auf das Fenster gerichtet, da er entschlossen war,einen letzten Blick auf Russvik zu werfen. So verrückt es nachden Entbehrungen, die sie dort erlitten hatten, auch zu seinschien, Ragnar empfand so etwas wie Wehmut. In den letztenMonaten war Russvik seine Heimat gewesen. So beschwerlichsein Leben dort auch gewesen sein mochte, er hatte sich darangewöhnt. Jetzt wurde er fortgeschickt, um sich etwasUnbekanntem zu stellen, und das an sich war schonbeängstigend. Nichts von allem, was er seit seiner Ankunft in

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der eisigen Einöde Asaheims erlebt hatte, war angenehmgewesen, und er bezweifelte, dass sich daran so bald etwasändern würde.

Der Gedanke an die Heimat ließ ihn einen Blick aufStrybjörn werfen. Abermals überrollte ihn eine Woge desHasses, als er die brutalen Züge des Grimmschädelsbetrachtete. Ragnar erkannte, dass ihm sein beständiger Hassbestürzenderweise ein grimmiges Gefühl der Befriedigung gab.Er war vielleicht sein einziger zuverlässiger Begleiter.

Strybjörn bemerkte Ragnars Blick und erwiderte ihn miteinem Funkeln. »Hast du Angst, Letzter der Donnerfäuste?«,fragte er.

»Nein«, sagte Ragnar. Eines Tages in nicht allzu fernerZukunft würde er seine Rache nehmen, das wusste er. Er warganz sicher. Der Waffenstillstand, der für Russvik gegoltenhatte, war vorbei. Er würde sich bald mit Strybjörn befassen,vorausgesetzt, sie überlebten den Gang durch Morkais Tor.

***

Der Thunderhawk raste über das schneebedeckte LandDiesmal sprang er nicht so hoch, dass er die Sterne zu berührendrohte. Diesmal jagte er durch die langen Täler zwischen denBergen, und das Donnern ihres Vorbeiflugs erschreckte dieTiere tief unter ihnen auf der Schneefeldern. Ragnar hatte keineAhnung, wie schnell sie flogen aber ihre Geschwindigkeit warunglaublich. Allem Anschein nach legten sie in einer Stundeeine Strecke zurück, wie sie ein gesunder Mann vielleicht ineinem Monat bewältigen konnte. Ihr Schatten jagte vielschneller über die Wildnis unter ihnen als das jedes beliebigenRaubvogels.

Das ganze Land unter ihnen war nur da nicht völlig weißvom Schnee, wo das Grün der Pinien die Hügel bedeckte. Hier

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und da schoss ein Bach in eine Gletscherspalte und in einemlangen Gischtfächer dem Boden entgegen. Seltsamerweisewirkten die Berge aus ihrem dahinrasenden Thunderhawk nochgrößer. Sie erhoben sich in unendlichen gefrorenen Wellendem Horizont entgegen, mächtige Wächter, die Schulter anSchulter dem ewig währenden Ansturm von Wind, Regen undSchnee trotzten.

Jetzt flog das Gefährt über die mit Felsbrocken übersäteOberfläche eines Gletschers, der im durch die Wolkeneinfallenden Sonnenlicht kalt glitzerte. Als er nach untenschaute, sah Ragnar eine Gruppe von Menschen über diegefrorene Oberfläche marschieren. Sie trugen keine Felle wiealle anderen Leute, die er gesehen hatte. Nach dem kurzenBlick hätte Ragnar geschworen, dass sie gerüstet waren wieSergeant Hakon und auch dieselben Waffen trugen. Sieschienen dem Luftschiff im Vorbeiflug zuzuwinken und wareneinen Augenblick später verschwunden.

Zerfranste Wolkenbänder zogen unter dem Thunderhawkhinweg, der jetzt ein wenig bebte. Ragnar verspürte einengeheimen Schauder im Herzen. So mussten sich die Götterfühlen, wenn sie auf die Welt schauten, dachte er. Da ging ihmauf, dass Hakon und seine Brüder mächtige Magier und mitden Geheimnissen einer Zauberei gesegnet waren, die starkgenug war, diese Welt zu beherrschen, wenn sie darauf Wertgelegt haben würden.

Dann kam ihm der Gedanke, dass sie das vielleicht schontaten und die Welt so geordnet war, wie sie es war, weil sie esaus unergründlichen Motiven so wollten. Vielleicht waren alleKlans auf Fenris nicht mehr als das Nutzvieh der grausamenGötter. Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopfgeschossen, als irgendein Instinkt Ragnar sagte, dass er derWahrheit entsprach. Saß er nicht in einem Gefährt, wie es vonden Erwählern der Erschlagenen benutzt wurde, und waren dieErwähler nicht die Boten der Götter? Vielleicht bedeutete das,

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dass sie bei den Göttern wohnten, oder vielleicht bedeutete esauch, dass sie auf irgendeine Weise selbst Götter waren. Ranekund Hakon besaßen jedenfalls viele der legendären Attribute,die Russ zugeschrieben wurden. Sie hatten die seltsamenWolfsaugen und auch Russ' lange Eckzähne, seine gewaltigenMuskeln und seine enorme Körperkraft. Dass sie unzweifelhaftmit ihm verwandt waren, ließ sich nicht übersehen, jedenfallskam es Ragnar so vor.

Er bezweifelte nicht, dass er bald mehr herausfinden würde.Der Thunderhawk trug ihn noch tiefer in das Herz des Rätsels.Stunden verstrichen, und das Gelände, das sie überflogen,wurde immer wilder und trostloser. Hier und da schossenmächtige Geysire aus Lava hoch in den Himmel, und derSchnee schmolz in zischenden Wolken von der dampfendenOberfläche des schwarzen Felsgesteins. Wenn je ein Land dazubestimmt war, den Eingang zur Hölle zu enthalten, dann dieses,fand Ragnar.

Die Berge wurden noch höher und kahler. Hier und dasprangen monströse Gestalten durch die mit Flechtenbedeckten Felsen. Ganze Rudel riesiger Wölfe hoben den Kopfund heulten wie zum Gruß, wenn der Thunderhawk vorbeiflog.Die Münder gewaltiger Höhlen säumten die kahlen Hänge. Derspärliche Pflanzenwuchs war verdorrt und verkrüppelt.

Die Täler wurden immer steiler, ihre unergründlichen Tiefenschwarz und unheimlich, die Berge immer höher.

Tatsächlich ließen die zerklüfteten Riesen die Berge ringsum Russvik jetzt wie kleine Erhebungen aussehen, welche dieBezeichnung Berge kaum verdienten, obwohl sie bis dahin diehöchsten waren, die Ragnar je gesehen hatte. Die Berge, durchdie sie flogen, waren in ihren Ausmaßen wahrhaftigehrfurchtgebietend und wirkten wie eine von den Götternerrichtete Mauer zum Schutz vor Dämonen. Ihre bloße Größewar atemberaubend. Durch die Geschwindigkeit desThunderhawk in ihre Sitze gepresst, schossen sie durch lange,

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dunkle Täler voller Geröll und über Gletscher, die wie Flüsseaus Eis glitzerten, wo sie von den tastenden Fingern der Sonneberührt wurden. Der rasch dahinhuschende Schatten fiel aufgefrorene Seen und stürzte in die Wolken unterhalb hochaufragender Klippen.

Der Thunderhawk brüllte noch lauter, als er durch die Bergeflog, als habe selbst dieser Streitwagen der Götter Mühe, in derdünner werdenden Luft zu steigen. Der Himmel wurde immerdunkler, und Ragnar war überzeugt, das kalte Funkeln derSterne zu sehen.

Dann legte sich das Luftschiff in eine scharfe Kurve, undwährend Ragnar sich fast der Magen umdrehte, sah er ihn: denhöchsten Berg von allen, den höchsten Berg, den er je gesehenhatte und je sehen würde, und vermutlich den höchsten Berg inder gesamten Geschichte der Schöpfung. Er überragte dieanderen Gipfel wie ein Erwachsener Kinder. Seine tieferenHänge fielen Meilen um Meilen herab in die Wolken unterihnen. Es war ein Berg von einem epischen Maßstab, ein Berg,wie er als Wohnsitz der Götter nicht geeigneter hätte seinkönnen. Ragnar wusste, dass dies ihr Bestimmungsort war,auch wenn es ihm niemand gesagt hatte, und als er sich imabgedunkelten Innern des Thunderhawk umsah, stellte er fest,dass auch die anderen angesichts der Großartigkeit desgewaltigen Bergs in ehrfürchtiges Schweigen versunken waren.

Nun, da er diesen hoch aufragenden Berg im Licht derMorgensonne betrachtete, wusste er, dass er diesen Augenblickniemals vergessen würde, so lange er lebte. Er würde niemalsdas Staunen und die Furcht vergessen, die der Anblick diesermächtigen Felsspitze in seinem Herzen wachrief.

***

Das Tosen des Luftschiffs änderte sich beim Anflug, da sie

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tiefer gingen und langsamer wurden. Als der Gipfel näher kam,ging der Anblick des Bergs in seiner ganzen Gewaltigkeitverloren und wich landschaftlichen Einzelheiten.

Auf dem Berghang wimmelte es von großen Höhlen, und injeder befand sich eine gewaltige Metalltür, deren Ausmaße seinBegriffsvermögen überstieg. Bis zu diesem Augenblick hätteRagnar nicht gedacht, dass es auf ganz Fenris genug Metallgab, um auch nur eine dieser Türen mit Eisen zu beschlagen.Er hatte keine Ahnung, was hinter diesen Portalen lauernmochte, und nicht das Verlangen, es herauszufinden. Ragnarkonnte sich einfach nichts vorstellen, was so groß war, dass esso riesige Öffnungen brauchte. Er schauderte, von Ehrfurchtergriffen.

Es gab noch andere Dinge: riesige Komplexe aus Metall, diedurch monströse schlangengleiche Röhren miteinanderverbunden waren. Zuerst glaubte Ragnar, die Weltschlangehielte den Berg umschlungen, aber als er genauer hinsah,wurde diese Vorstellung durch die nicht weniger schockierendeersetzt, dass die gewaltigen Bauwerke aus Metall das Werk vonMenschen oder vielleicht von Göttern waren. Sie verbandendie stählernen Gebäude, aus denen riesige Flammenstrahlenschossen. Er hatte keine Ahnung, welchem Zweck dieseunheimlichen Maschinen dienten, aber er spürte, dass ergewaltig war. Warum wären sie sonst hier auf dem Berg derGötter gewesen?

Als sie tiefer sanken, konnte er erkennen, dass jedes dergigantischen Metallgebilde so groß wie eine kleine Insel undein eigener kleiner Berg aus kostbarem Stahl war. RiesigeSchüsseln, die ihn an diejenigen auf dem Eisentempelerinnerten, welche er erst ein halbes Leben zuvor gesehenhatte, drehten sich auf diesen mächtigen Gebilden. Einige vonihnen schienen sich zu bewegen und den Thunderhawk zubetrachten. Ragnar blinzelte, klammerte sich an seinenHaltegurt und schnappte nach Luft, da er all die Wunder und

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Schrecken unter sich gar nicht fassen konnte.Der Thunderhawk verharrte unweit einer der riesigen

Metalltore mitten in der Luft. Ein Blick nach unten zeigteRagnar etwas auf dem Boden unter ihnen, das wie eine riesigeZielscheibe aussah, und dann senkte sich der Thunderhawkdarauf herab. Das Luftschiff setzte genau im Zentrum diesergroßen Zielscheibe auf. Die erstaunliche Präzision desVorgangs traf Ragnar wie ein Schwerthieb. Sie hattenHunderte Meilen Land und einen riesigen Kontinentüberflogen, und irgendwie hatte es der Steuermann diesesfliegenden Schiffs geschafft, genau diese Stelle zu finden unddas Schiff dort festzumachen. Er war sicher, dass diesePräzision kein Zufall, sondern das Produkt einer mächtigenZauberei war, die sein Vorstellungsvermögen weit überstieg.

Über das leiser werdende Tosen des Antriebs hinweg unddurch die dicke Metallhülle des Thunderhawk hörte Ragnar einmerkwürdig pumpendes Knirschen. Entsetzen packte ihn, als ersah, dass das Schiff im Boden versank. Steinwände schienensich rings um den Thunderhawk aus dem Boden zu erheben, dadie Erde ihn verschlang. Sein Magen tat einen Satz, und seinMut sank, bis ihm ein Augenblick der Überlegung verriet, dassdieser Vorgang Absicht und die steinerne Scheibe einePlattform war, die das Luftschiff in die Tiefen der Erdebefördern sollte.

Er blinzelte aus dem Fenster nach oben und wurde mit einemletzten Blick auf den Gipfel belohnt, der sich senkrecht in denHimmel erhob wie ein auf den Bauch des Himmels zielenderSpeer.

***

Sie stiegen aus dem Luftschiff in eine riesige Höhle, die sogroß zu sein schien wie das Himmelsgewölbe. Die Wände

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hatten einen glasigen Schimmer, als seien sie unter gewaltigerHitze geschmolzen worden. Wolken trieben unter dengewaltigen Torbögen und verdeckten die riesigenDeckengemälde. Ragnar starrte ehrfürchtig auf die teilweiseverdeckten Darstellungen einer Schlacht zwischen Wesen, beidenen es sich nur um Götter und Dämonen handeln konnte.Überall an den Wänden der gewaltigen Kammer standenriesige Statuen in gleichermaßen riesigen Nischen. Jede warhundertmal so groß wie ein Mensch, und jede stellte eineGestalt dar, die gerüstet und bewaffnet war wie SergeantHakon oder Ranek der Wolfpriester. Hier, dachte Ragnar, gabes Zauberei in einem wahrhaft niederschmetternden Maßstab.

Ragnar hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Der riesigeRaum wurde von magischen Laternen erhellt, die ein Lichtheller als tausend Walöllampen abstrahlten, so dass es in derKaverne fast taghell war. Überall waren absonderliche undgeheimnisvolle Gestalten mit unergründlichen Dingenbeschäftigt.

Ragnar sah Gestalten in derselben Rüstung, wie SergeantHakon und ihr Steuermann sie trugen, und mit ihren Waffen imAnschlag durch die Kaverne zu anderen Luftschiffen gehen. Ersah Männer, die mehr als nur halb Maschine zu sein schienen,wie sie die Luftschiffe mit langen Metallstangen bearbeiteten,aus denen Funken und Flammen sprühten. Ähnliche Gestaltenbrachten lange Rohre am Bauch der Luftschiffe an. Er sahmenschenähnliche Gestalten, die gänzlich aus Metall zubestehen schienen, Wartungsarbeiten an den Schiffenausführen. Wie sie ihren Pflichten nachgingen, erinnerten sieRagnar an die Schiffszimmermänner in seiner früheren Heimat.Sie erweckten den Eindruck von Männern, die vollkommen inihrer Tätigkeit aufgingen.

Der Lärm war ohrenbetäubend. Das Tosen der Luftschiffevermischte sich mit dem Scheppern von Metall auf Metall undden Rufen aus tausend Kehlen. Die Metallmenschen klirrten

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und surrten. Die Maschinen, auf denen sie fuhren, grollten wieDonner. Ragnar horchte aufmerksam und erkannte, dass dieSprache, in der diese Leute riefen, nicht die geringsteÄhnlichkeit mit seiner Muttersprache hatte. Sie war nochharscher und gutturaler, und dennoch schienen einige derWorte gleichsam zu fließen.

Es roch nach Chemikalien. Nicht so wie die Gerbereien aufden Inseln oder wie in der Stadt der Eisenmeister. Es rochsauber und minzig mit einem Anflug von Öl und anderenSubstanzen, die Ragnar an Maschinen denken ließen.

Die Luft in seinen Lungen und der Boden unter den Füßenschienen in dem Tumult zu vibrieren. Alle seine Sinne wurdenvon Dingen bestürmt, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Nacheinem Augenblick der Verwirrung fiel sein Blick auf das einein all dieser Fremdartigkeit, das er wiedererkannte.

Aus einer weiter entfernten Zone größerer Dunkelheitnäherte sich ihnen der Wolfpriester Ranek. Ragnar überlief einjäher Schauder der Furcht. Das Erscheinen des Zauberers hattebisher immer gewaltige Veränderungen in seinem Lebenangekündigt. »Willkommen im Fang! Im Wohnsitz derWölfe!«, bellte er. »Ich hoffe, ihr seid bereit, durch MorkaisTor zu treten.«

***

Ranek führte sie durch lange Flure tief in die Eingeweide desBerges. Er marschierte mit dem zielgerichteten,zuversichtlichen Schritt eines alten Wolfs. Er wusste genau,wohin er ging und wie er dorthin gelangte. Darüber war Ragnarfroh, denn der ganze Komplex war ein Irrgarten in einemMaßstab, wie er ihn sich nie hätte vorstellen können. Seinegesamte Heimatinsel hätte mühelos in eine der kleinerenKammern gepasst.

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Es gab Zeiten, in denen er das Entsetzen niederringenmusste, das ihn erfüllte. Beängstigende Gedanken stürzten aufihn ein. Was hielt diesen ausgehöhlten Berg davon ab, auf sieeinzustürzen? Was, wenn er einstürzte und sie alle lebendigbegrub? Wie würde er je wieder einen Weg nach draußenfinden? Ein Blick auf die blassen Gesichter der anderen verrietihm, dass sie seine Befürchtungen teilten.

Maschinen, Krieger und jene, die halb Mensch und halbMaschine waren, hielten sich neben ihnen. Sie wurden vongroßen Karren mit Rädern überholt, die kein sichtbares Mitteldes Antriebs aufwiesen und Lasten beförderten, wie sie selbstzwanzig starke Männer nicht hätten tragen können.Wahrhaftig, dachte Ragnar, hier war mächtige Magie am Werk.Die Bewohner des Fangs besaßen Maschinen, neben denensich die größten Maschinen der Eisenmeister wieKinderspielzeuge ausnahmen.

Er hatte das Gefühl, endlich im heimlichen Herzen der Welteingetroffen zu sein. Es war, als sei ein Vorhang gelüftetworden, um den Ort zu zeigen, wo die Dunkler Weber dasSchicksal der Menschen woben. Die Mechanismen derBestimmung wurden bloßgelegt. Er könnte jetzt sehen, wie dieGötter lebten, und es war ein ehrfurchtgebietender Anblick.

Ranek führte sie zu zwei höhlenartigen Öffnungen in derSeite des Bergs, aus denen ein seltsames Brausen drang. Überbeide Öffnungen war das Zeichen eines großen zweiköpfigenAdlers gemeißelt. In den Klauen hielt er eine Scheibe mit Russ'Wolfskopf-Emblem. Neben einer Öffnung war ein grünlichschimmernder Pfeil gemalt, der nach oben wies. Der Pfeilneben der anderen Öffnung zeigte nach unten.

»Geht hinein«, sagte Ranek, indem er mit einer in Metallgehüllten Hand auf die linke Öffnung zeigte. Ohnenachzudenken, folgte Kjel der Aufforderung. Ein Geräusch wieein Schrei ertönte, als er prompt abwärts verschwand. Dieanderen blieben wie angewurzelt stehen. War dies eine Falle?,

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fragte sich Ragnar. Erwartete sie eine große Grube? War diesMorkais Tor?

Hatte man sich so viele Umstände mit ihnen gemacht, um siehier wie Schafe abzuschlachten? Das war unwahrscheinlich.War dies irgendeine sonderbare Form von magischem Opfer?Er konnte nicht einmal eine Vermutung anstellen. Die Dinge,die er hier gesehen hatte, überstiegen sein Begriffsvermögen.

»Geht!«, befahl Ranek. Trotz des Entsetzens, das in ihmaufwallte, gelangte Ragnar zu der Überzeugung, dass er demalten Zauberer vertrauen musste. Er trat in die Öffnung. Füreinen furchtbaren Augenblick spürte er nichts unter den Füßen,dann befand er sich im Schacht und fiel. Obwohl erentschlossen war, nicht zu schreien, entwich seinen Lippen einSeufzen der Furcht. Der Magen drehte sich ihm um, währender durch den Schacht sauste. Rote und gelbe Lichter flackertenan seinen Augen vorbei, da er rasch und mit zunehmenderGeschwindigkeit abstürzte. Er wusste jetzt, dass diestatsächlich eine Falle und sein Leben vorbei war. Er spürtegerade, wie ihn schwarze Wut über die Sinnlosigkeit seinesunmittelbar bevorstehenden Endes überkam, als ihn eineunsichtbare Kraft packte und seinen Fall abbremste, so dass ersanft auf dem Boden des Schachts landete. Als er leicht wieeine Feder aufsetzte und ihm aufging, dass er nicht sterbenwürde, musste er unwillkürlich laut lachen.

Er sah einen weiteren Ausgang und den breit grinsendenKjel davor stehen.

»Das war verblüffend«, sagte der Falkner. Ragnar konnte nurnicken und das Grinsen erwidern.

»Pass auf!«, rief eine Stimme über ihm. Ragnar schaute nachoben und sah Svens Stiefel dicht über seinem Kopf. Er hattegerade noch Zeit, aus dem Schacht zu springen, bevor Svenlandete. Sven verschwendete keine Zeit, ihm zu folgen, da ihmdie restlichen Anwärter einer nach dem anderen folgten.

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Ranek kam als Letzter. Er landete leichtfüßig und mit einerBeugung der Knie, die davon kündete, dass er es schonunzählige Male zuvor getan hatte. Auf seinem Gesicht standkein idiotisches Grinsen. Die Magie, die in dem Schachtwirksam war, musste schon vor langer Zeit aufgehört haben,etwas Besonderes für den Zauberer zu sein.

Ranek bedeutete ihnen zu folgen und ging weiter.

***

Das Gelände, das sie passierten, hätte durchaus ausgewähltworden sein können, um Entsetzen wachzurufen, dachteRagnar und erkannte dann, dass es sich höchstwahrscheinlichauch so verhielt. Es war dunkel. Hier gab es keine leuchtendenDeckenkugeln, die den Rest des Labyrinths erhellten. Dieeinzige Lichtquelle waren die flammenden Feuergruben unddas kirschrote Glühen der blubbernden Seen ausgeschmolzener Lava, die sie umgaben. Es war warm und rochnach Schwefel.

Wolken eines sengenden Nebels wallten über die Wege.Ragnar achtete ganz genau darauf, wohin er trat. Hier den Haltzu verlieren war gleichbedeutend mit einem Sturz in densicheren Tod.

Ranek ging weiter, ohne sich auch nur ein Mal umzudrehen.Offenbar war er sicher, dass sie ihm folgten. Er hatte auch allenGrund, sicher zu sein, erkannte Ragnar. Was konnten dieAnwärter sonst tun? Keiner von ihnen kannte den Rückwegoder hatte eine Ahnung, welche Geheimnisse und Gefahren andiesem Ort auf den arglosen Eindringling lauerten.

Vor ihnen erhob sich ein gewaltiger Torbogen, in dengrinsende Wolfsköpfe und Runen einer unheimlichen Artgemeißelt waren, von denen Ragnar nicht wusste, wie man sielesen sollte. Ranek blieb stehen und drehte sich zu ihnen um.

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Einer nach dem anderen versammelten sich die Anwärter.Unbewusste Disziplin, wie sie ihnen in Russvik eingetrichtertworden war, veranlasste sie dazu, sich in Reih und Gliedaufzustellen.

Eine Aura der Furcht lag über diesem Ort. Ragnar spürte sieförmlich in der heißen schwefeligen Luft. Schweiß kleisterteihm die Haare an die Stirn. Sein Gesicht war von der Hitzegerötet. Es fühlte sich an, als sei er in der Heimat derFeuerdämonen. Uralte und starke Kräfte waren hier am Werk,und Ragnar spürte unsichtbare Präsenzen, vielleicht Geisteroder Gespenster. In diesem Torbogen und dem, was sichdahinter verbergen mochte, lag Macht.

»Seht Morkais Tor«, sagte Ranek, indem er auf denTorbogen zeigte. »Durch dieses Tor führt der Weg zu Tod oderRuhm. Einmal hindurch, gibt es kein Zurück mehr, außer alsjemand, der würdig ist, mit Leib und Seele zu den Wölfen zugehören. Es gibt jetzt keinen anderen Weg mehr für euch. Ihrkönnt diesen Ort nicht lebend verlassen, ohne durch dieses Torzu schreiten. Ich werde jeden, der sich weigert, in dieFeuergruben werfen, und dort werden die Dämonen seine Seeleverzehren. Hier gibt es nur noch eine Frage zu beantworten -wer von euch geht zuerst?«

Schweigen. Alle Augen waren auf den Torbogen gerichtet.Das Gefühl einer lauernden bösen Präsenz verstärkte sich.Abergläubische Furcht schlich sich verstohlen in die Gedankenjedes einzelnen Anwärters. Ragnar wusste, dass alle anderengenauso empfanden wie er. Es war nicht mehr so, als schautensie durch einen von Nebel erfüllten Bogen. Es war, als starrtensie in das Maul einer gigantischen Bestie, die sie mit einemHaps verschlingen würde. Sie hätten sich um die Ehre, alsErster zu gehen, streiten müssen, und doch rührte sich keinervon ihnen.

Hier war mächtige Magie am Werk, was Ragnars Herz mitSchrecken erfüllte und kalte Finger der Furcht sein Rückgrat

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emporwandern ließ. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde esschwerer, sich zu bewegen, schwerer zu sprechen, sogarschwerer zu denken. Es war, als sei er ein kleiner Vogel, deneine Schlange hypnotisiert hatte. Er wollte etwas tun, und dochkonnte er es nicht.

Da kam ihm der Gedanke, dass die Prüfung bereits begonnenhatte, dass diese merkwürdige Magie Teil der Prüfung war,dass Tapferkeit eine der wichtigsten Messlatten war, die mananlegen würde, um zu beurteilen, ob er würdig war. Er zwangseine belegte Zunge, sich zu bewegen. Er zwang seineerstarrten Lippen, sich zu öffnen. Mit einem Gefühl immenserBeklommenheit hörte er sich sagen: »Ich werde durch das Torgehen.«

»Dann geh, Junge! Worauf wartest du noch?«Wie ein Automat oder das Opfer eines Zaubers in

irgendeiner großen Saga trat Ragnar steifbeinig vor, um durchMorkais Tor zu gehen. Dabei überkam ihn einSchwindelgefühl. Die Runen des Tors leuchteten auf. Die darineingemeißelten Wolfsköpfe schienen lebendig zu werden undaus dem Gestein zu fließen, um ihn zu begrüßen: Wolfgeister,neblig und vage, die einen Kometenschweif hinter sichherzogen. In seinen Ohren glaubte er ein leises schrilles Heulenzu hören, wie es vielleicht die Geister eines längst totenWolfsrudels verursacht hätten.

Die Geister umschwirrten ihn, als er dem Torbogenentgegenschritt. Sie strömten in seinen geöffneten Mund undseine Nasenlöcher. Er spürte, wie der Nebel durch seine Kehlerann und seine Lunge ausfüllte. Er dachte, er werde an derstechenden, dumpfen Luft ersticken, zwang sich aber dennoch,weiterzugehen und sich dem mächtigen Torbogen immer mehrzu nähern ...

***

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Für einen Moment glaubte er, er sei hindurch. Er erhaschteeinen kurzen Blick auf drei schreckliche alte Männer, dieRüstungen trugen und sich das Fell eines großen weißen Wolfsum die Schultern gelegt hatten, und dann stellte sich ein Gefühlentsetzlicher Kälte ein, auf das eine Welle sengender Hitze undein Gefühl des Fallens folgten, das weitaus schlimmer war alsder Fall durch den Schacht. Zeit und Raum veränderten sich.Seine Haut schien Blasen zu werfen und zu schmelzen, undplötzlich war er ganz woanders.

Er stand auf einer eisbedeckten Ebene. Weit entfernt konnteer Menschen und Maschinen sehen. Manche trugen eine graueRüstung in der Art, wie Hakon und Ranek sie trugen. Anderewaren in eine blutrote Rüstung gehüllt, die mit kunstvollgestalteten Messingschädeln verziert war, ansonsten aber eineabsonderliche Ähnlichkeit mit der Rüstung der Männer in Grauaufwies. Die Männer in Grau kämpften gegen die Männer inRot unter dem kalten Licht einer fahlen weißen Sonne. Ragnarsah, dass er auf einem Leichenhaufen stand. Ein abgetrennterKopf rollte von seinen Füßen fort. Gliedmaßen wurden unterseinen Stiefeln zerquetscht. Ihm ging auf, dass er ebenfalls einegraue Rüstung trug, die an tausend Stellen Kratzer und Dellenaufwies. Öl und Flüssigkeit vermischten sich auf ihrer glattenOberfläche mit seinem Blut und demjenigen seiner Feinde. Erhielt eines der seltsamen magischen Schwerter, wie SergeantHakon immer eines trug, in jeder Hand. Eines war zerbrochen,die Sägezähne waren abgesplittert. Das andere hatte Aussetzer.Es erwachte vorübergehend zum Leben und kreischte undvibrierte in seinen Händen, um dann wieder innezuhalten, alssei der Zauber, der ihm Leben verlieh, erloschen.

Als er sich umsah, fiel sein Blick auf die Leichen von Kjel,Sven und Strybjörn und sogar auf diejenigen von SergeantHakon und Ranek. Er war von Männern in Rot umzingelt.Einige von ihnen hatten das Visier ihres Helms

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hochgeschoben, und ihre Gesichter waren zu furchtbarenParodien menschlicher Antlitze verzerrt. Rot leuchtende Augenfunkelten in entsetzlichem Hass aus den Helmen der anderen.Er wusste, dass sie zu zahlreich und zu stark für ihn waren.Ohne dass man es ihm zu sagen brauchte, erkannte er, dass diesdie Diener Horus' waren, die Anhänger der letzten Dunkelheitund Russ' Feinde. Er wusste, dass es im ganzen Universumkeine tödlicheren Kämpfer gab. Und er wusste, dass ihr nurnoch Augenblicke vom Tod trennten.

Eine der Gestalten in roter Rüstung bedeutete den anderen zuwarten. Sie hielten einen Moment inne wie Hunde, die demBefehl ihres Herrn gehorchten, aber Ragnar wusste, dass essich nur um einen vorübergehenden Aufschub handelte. Siedürsteten nach seinem Blut, und selbst der Wille ihresschrecklichen Anführers konnte sie nicht lange zügeln. DerAnführer sprach jetzt, und seine metallische Stimme klangernst und aufrichtig.

»Du bist ein mächtiger Krieger, Ragnar«, sagte er. »Du bistein gewaltiger Schlächter. Du bist würdig, dich unsanzuschließen. Leg deine Waffen nieder. Nimm am Ritual desBluts teil. Biete Khorne deine Seele an. Leb ewig und erfahredie Ekstase der endlosen Schlacht.«

Wer war Khorne?, fragte sich Ragnar. Der Name klangmerkwürdig vertraut, aber auch böse. Und warum waren seineAnhänger auf Ragnars Gefolgschaft aus? Nicht, dass es einegroße Rolle spielte. Dies war ein ehrliches Angebot, und einTeil von ihm war davon fasziniert. Der rotgerüstete Krieger botihm eine Ewigkeit blutigen Kampfes, wie sie den Heldenversprochen wurde, die Russ folgten. Mehr noch, er wusste,sobald er an ihren Ritualen teilgenommen und ihre roteRüstung angelegt hatte, würde ihm das Gemetzel mehr Freudedenn je bereiten, und dafür würde er von einer Macht belohntwerden, die so groß war wie die eines Gottes. Einen Momentlang verspürte er den Kitzel der Versuchung. Warum sollte er

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sich nicht diesen gewaltigen Kriegern anschließen? Warumsollte er diesem Khorne nicht seine Seele anbieten? Warumsollte er nicht Unsterblichkeit erringen?

Doch noch während ihm diese Gedanken durch den Kopfgingen, schreckte ein anderer Teil von ihm voller Abscheuzurück. Diese Anhänger der Finsternis waren verloren undverdammt. Ihnen fehlte etwas Wichtiges, und dieser Verlusthatte aus ihnen etwas Geringeres als Menschen gemacht. Siemochten eine gewisse Art von Ehre haben, aber dies war nichtdie Ehre, wie Ragnar sie verstand. Ihre Missgestalten waren einSpiegel ihrer entstellten Seele, und diese Tatsache konnte auchdie Schönheit ihrer künstlerisch gestalteten Rüstungen nichtverbergen.

Ragnar lachte und spie dem Anführer ins Gesicht, dannsprang er mitten unter die Rotgerüsteten, wobei er nach rechtsund links Hiebe austeilte. Nicht einmal der Biss der Chaos-Klingen, die sich in seine brechenden Knochen gruben,veranlassten ihn dazu, seine Entscheidung zu bereuen. EineGrube aus Finsternis öffnete sich zu seinen Füßen, und zuplötzlich für ihn, um die Art des Übergangs zu verstehen,befand er sich an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit.

Er war von Mauern aus Fleisch in der Farbe vonBlutergüssen umgeben. Dicke Rohre wie Adern durchzogensie, in denen seltsame Flüssigkeiten brodelten. GelblicheSäulen aus Knochen und Knorpel in der Farbe verfaulter Zähnestützten die Decke. Alles war von einem widerlichen klebrigenroten Schleim bedeckt. Seine Stiefel verursachten einscheußliches Schmatzen, wenn er sie von dem zungenartigenBoden hob. Die Luft hatte die Temperatur von Blut. Es wareng und stickig. Er spürte Leben einer fremden Art überallringsumher. Er fühlte sich, als sei er bei lebendigem Leib voneiner gewaltigen Bestie verschlungen worden.

Er trug wieder die graue Rüstung und hielt auch dieseltsamen und mächtigen Waffen in den Händen. Entfernt und

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zugleich unmittelbar hörte er das Geschnatter von Stimmen,die er kannte: Kjel, Strybjörn und Sven. Irgendeine Magie trugihm ihre Worte zu, die seltsam ton- und gefühllos klangen. Erhörte sie reden, und ihre Stimmen kündeten von Staunen undFurcht.

Ist dies wirklich?, fragte er sich. Er war sich nicht sicher. Esfühlte sich wirklich an. Unter den Füßen vibrierte der Bodenim Einklang mit der Blasebalg- Atmung der riesigen Bestie. Erkonnte den exotischen Gestank ihrer Innereien riechen.Merkwürdige Geschmacksrückstände hielten sich wie Gift inseinem Mund. Aber wie konnte dies wirklich sein? Er warunter den Klingen der rotgekleideten Krieger gestorben. War erwie nach der Schlacht mit den Grimmschädeln wieder zumLeben erweckt worden? Oder war nichts von alledem wirklich?Befand er sich im Banne irgendeines mächtigen Zaubers?

Dieser hat eine starke Seele. Die Stimme hallte in seinemSchädel. Er kannte sie nicht, aber sie klang uralt und weise.Unmittelbar im Anschluss an die Worte spürte er eine Kraft inseinen Verstand eindringen, die seine Zweifel zerstreute, seineErinnerung veränderte und ihn zwang, nur in der Gegenwart zuleben. Seine Zweifel zerliefen wie Blut in einem Gebirgsbach.Alle Gedanken, die sich mit anderen Dingen befassten als derunmittelbaren Gefahr, verschwanden, als er das entfernteGebrüll einer gewaltigen Bestie hörte.

Die Stimmen der anderen Anwärter hallten laut in seinenOhren. Sie kündeten von unbändiger Furcht. Er riskierte einenBlick zurück und sah blankes Entsetzen und nackte Angst inKjels Zügen. Die anderen blieben hinter ihnen zurück. DieHände hielten Waffen wie jene, die Ranek vor so langer Zeit inRagnars anderem Leben benutzt hatte, um den Meerdrachen zutöten.

Ihm war klar, dass sie sich fragten, was sie hier taten. Siealle erwarteten von ihm Führung und beispielhaftes Handelnwie in jener Nacht, als sie Henk verloren hatten. Sie verließen

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sich auf seine Nerven, seinen Mut, sein Wissen. Und dasSchlimmste daran war, dass er keine Ahnung hatte, was sie tunsollten. Er wusste nicht, wo sie waren, wie sie hierher gelangtwaren und welcher Feind sich ihnen näherte. Er war nur sicher,dass sich irgendein Feind näherte, und zwar mit entsetzlicherSchnelligkeit.

»Bleibt ruhig«, sagte er zu ihnen in der Hoffnung, dassniemand von ihnen die Unsicherheit in seiner Stimmebemerkte. Abermals ertönte das Gebrüll, und Ragnar überliefein Schauder. Was für ein Ungeheuer diese Laute auchverursachte, es musste riesig sein. Und es gab mehr als eines.Dieses Brüllen war aus einer anderen Richtung gekommen alsdas erste. Es wurde von einem sonderbaren Ruf aus dem Gangvoraus beantwortet. Dieser Ruf klang wie das QuiekenTausender Ratten oder vielleicht wie das Klicken Hunderterchitingepanzerter Klauen.

Das Geräusch kam näher. Er hörte Kjel vor Angstaufschreien und rang um seine Beherrschung, um zuverhindern, dass Kjels Entsetzen sich auf ihn übertrug. Diesgelang ihm nur teilweise. Der Anblick dessen, was durch denGang auf ihn zuraste, hätte ihn beinahe all seiner Kraft beraubt.

Es waren Hunderte von Kreaturen, Ungeheuer größer als einMensch. Jedes hatte vier Arme, die in riesigen Klauen endeten,und Albtraumgesichter aus winzigen Augen und monströsenKiefern. Sie waren viel schneller als ein Mensch undüberbrückten die Entfernung fast zu rasch für das Auge, umihnen zu folgen.

»Wir werden alle sterben!«, rief Kjel, und Ragnar stimmteihm insgeheim zu. Dennoch, auch wenn er sterben musste,würde er noch einige dieser Bestien mit in den Tod nehmen.Und er würde in jedem Fall dafür sorgen, dass die anderenseinem Beispiel folgten.

»Bleibt stehen und kämpft«, schrie er. »Oder ich töte euch

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eigenhändig, ihr blutlosen Feiglinge!«Das Tosen magischer Waffen wurde laut. Dieselbe Magie,

welche auch den Drachen getötet hatte, forderte ihren Tributvon den Angreifern. Ragnar duckte sich, als Feuerstrahlen überseinen Kopf hinwegzuckten und die Ungeheuer trafen. Siestarben, aber nicht schnell genug. Köpfe explodierten. Leiberwurden zerfetzt. Blut und ekelhafte Flüssigkeiten liefen überden lebenden Teppich. Trotzdem liefen die Angreifer weiter,eine unaufhaltsame Flut aus unmenschlichem Hunger undHass. Verzweiflung drohte Ragnar zu überwältigen. WelchenSinn hatte ihr Kampf? Warum legten sie sich nicht einfach hinund starben?

Er weigerte sich nachzugeben. Vor Wut und Hass schreiend,sprang er vor und in die Masse der Ungeheuer, wobei er mitseinen Klingen nach allen Seiten hieb. Einige hielten inne, umgegen ihn zu kämpfen, aber die meisten rasten an ihm vorbei,um zu seinen Kameraden zu gelangen. Er war von einemWirbelsturm aus Zähnen und Klauen umgeben, die seineRüstung und ihn selbst zerfetzten. Immer noch kämpfend,immer noch tötend, rang er die Qualen nieder, die ihn zuüberwältigen drohten, während sich Dunkelheit über ihnsenkte.

Wieder erwachte er unbeschadet. Seine Augen erfassten dieUmgebung mit einem Blick. Es war dunkel. Der Himmelwurde von gewaltigen Ausbrüchen von Licht erhellt. EinGeräusch wie Donnerhall ließ die Luft erzittern. Er war vonden Ruinen einer gewaltigen Stadt umgeben, die größer alsalles war, was Ragnar je gesehen hatte, vielleicht mitAusnahme des Fangs. Die geschwärzten Stümpfe hoherGebäude ragten vor ihm in die Höhe. Jedes Gebäude schienfast so hoch zu sein wie ein Berg.

In der Ferne, am Ende der Straße, sah er große Maschinen-Bestien aus Metall, die sich bewegten. Sie waren Menschennachempfunden, aber vielleicht zehn Mal so groß. Sie hielten

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riesige Waffen in den Händen, aus denen Lichtstrahlen überden Himmel zuckten wie Blitze der Götter. Auch aus ihrenSchultern zuckten Blitze. Für einige Augenblicke lag einschrilles Jaulen in der Luft, und dann war in der Ferne dasmarkerschütternde Donnern einer Explosion zu hören. DerBoden unter seinen Füßen zitterte wie ein geprügelter Hund.Eine Wolke aus schwarzem Rauch und Trümmern jagte hochin den Himmel, bevor sie in überraschend langsamerBewegung wieder auf den Boden sank.

Ragnar betrachtete die Szenerie. Wiederum trug er die graueRüstung mit dem Wolfszeichen. Mittlerweile war er darangewöhnt. Sie passte ihm wie eine zweite Haut und machte ihnschneller und stärker. Wieder einmal hielt er jene seltsamen,mächtigen Waffen in den Händen. Er fragte sich kurz, was erhier tat, aber erneut spürte er die mächtige Ausstrahlung jeneruralten Präsenzen, und alle Zweifel wurdendavongeschwemmt.

Er sah sich um. Er war allein. Er war von seinen Kameradengetrennt worden. Zum ersten Mal seit Russ weiß wie vielenMonaten war er ganz allein. Niemand war da, um ihmRückendeckung zu geben, um ihm zu helfen, wenn erstrauchelte, um über ihn zu wachen, wenn er verwundet wurde.Er hatte keine Ahnung, wo die anderen waren und wie er andiesem ausgedehnten und entsetzlich fremdartigen Ort vonihnen getrennt worden war. Ihm fiel auf, dass die Sonne eineaufgeblähte rote Kugel war und der Himmel eine kobaltblaueFarbe hatte, wie sie ihm noch nie zuvor begegnet war. Er hatteein Gefühl von großer Ferne, als sei er so weit von zu Hauseweg, dass er die Entfernung gar nicht begreifen konnte.

Er wusste, dass er die anderen finden musste, dass sieirgendwo dort draußen waren und ihren Anführer brauchten,aber er konnte nicht wissen, wo und warum Plötzlich kam ersich unbedeutend vor, verloren und allein wie ein Kind in derWildnis. Er rang das Gefühl der Schwärze und Verzweiflung

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nieder und marschierte los in Richtung des Schlachtfelds.Dabei bekam er einen besseren Eindruck von seinerUmgebung, und sein Staunen vertiefte sich noch.

Menschen hatten diese Stadt erbaut. Das konnte er denDingen entnehmen, die zwischen den Trümmern lagen. Bildervon Familien, mit so vielen Einzelheiten gemalt, dass siebeinahe wirklich schienen, in Kristallen gefangen, welche dasBild aus verschiedenen Blickwinkeln zeigte, wenn man siedrehte. Bücher in einer Sprache, die er nicht kannte,geschrieben in einer seltsamen mechanischen Regelmäßigkeit,wie es sie auf Fenris nicht gab. Kinderspielzeuge ausfremdartigen Stoffen, die glatt und kühl waren.

Langsam dämmerte ihm der Maßstab dessen, was er hiererlebte. Dies war Krieg, und er wurde auf eine Weiseausgetragen, die bei seinem Volk unvorstellbar war. In dieserStadt mussten mehr Leute gewohnt haben als auf seiner ganzenWelt, und sie war von den hier entfesselten Kräften sogründlich zerstört worden, als hätten die Götter sich aus demHimmel herabgebeugt und sie zerschmettert. Vielleicht wargenau das geschehen. Ihm schwindelte, als er sich die schiereZerstörungskraft vorzustellen versuchte, die man auf dieseStadt gerichtet hatte. Kräfte, die zu erfassen seinVorstellungsvermögen überstieg.

Ragnar spürte, dass er hier herausgefordert und geprüftwurde und zu dieser Prüfung auch gehörte, sich an dasanzupassen, was er sah, es zu begreifen und handlungsfähig zubleiben. Er wusste, dass viele Angehörige seines Volks vor derbloßen Angst, durch diese titanischen Ruinen zu laufen,gelähmt gewesen wären. Er kam zu dem Schluss, dass es ihmnichts ausmachte. Er war Ragnar, und er würde hier ebenso gutkämpfen wie auf dem Deck eines Drachenschiffs, und er würdeweiterkämpfen, ob seine Kameraden bei ihm waren oder nicht.

Er gratulierte sich gerade zu seiner seelischen Stärke, als derBoden erbebte und er das bedrohliche Stampfen sich nähernder

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Schritte hörte. Eine der entfernten riesigen Gestalten, die eranfangs gesehen hatte, bog um eine Ecke und kam in Sicht.Das Ding war fast zehn Mal so groß wie er und wie ein Mannproportioniert, nur größer und schlanker. Der Kopf warlänglich, schnittig und oval, und der Art, wie er aufmerksamgedreht wurde, konnte er entnehmen, dass dieses Ding vonRagnars Anwesenheit wusste. An den Schultern flatterten roteund gelbe Wimpel im Wind. Seine gewaltigen Klauen hieltenmerkwürdige längliche Waffen.

Es sprang vorwärts und bewegte sich dabei viel schneller alsein Mensch. Ragnar spürte, dass er vor Entsetzen erstarrt war.Gegen dieses Monstrum konnte er nichts unternehmen. SeinSchwert kam ihm so jämmerlich vor wie ein Zahnstocher, denein Kind gegen einen ausgewachsenen Krieger schwang.Dieses Ding konnte ihn unter einem seiner enormen Füßezerquetschen, ohne auch nur langsamer zu werden. Tatsächlichschien es genau diese Absicht zu haben.

Verdrängte Luft peitschte an Ragnars Gesicht vorbei Einriesiger Schatten huschte an der Sonne vorüber, als dergewaltige Fuß sich herabsenkte. Im letzten Augenblick fassteer sich, entschlossen, etwas zu tun. Er versuchte sich zur Seitezu werfen und so aus dem Bereich zu entkommen, den der Fußabdecken würde, aber es war zu groß. Er konnte dem Fuß nichtmehr entkommen. Vor Wut heulend und entschlossen, demDing das ihn tötete, etwas anzutun, hob er in einer letztervergeblichen Geste des Trotzes sein Schwert. Funken sprühten,als die Zähne der Klinge auf Metall trafen. Es war das Letzte,was er sah, bevor sich eine gewaltige Last auf ihn senkte undseine Knochen zu Brei zerquetschte.

Immer noch schreiend, schoss er kerzengerade in die Höheund fand sich in einer neuen Umgebung wieder. Dies war dieHölle, davon war er überzeugt. Er würde die Ewigkeit damitzubringen, tausend Tode an Orten zu sterben, die er nichtverstand, und gegen Kräfte antreten, die er nicht begriff. Nein,

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sagte er sich, während er in gequältem Trotz aufschrie, all daswar nur eine Illusion, ein Zauber, der von diesen verbittertenAlten gewoben worden war, die hinter Morkais Tor warteten,und davon würde er sich nicht unterkriegen lassen.

Dieser ist tatsächlich sehr stark, Brüder, sagte die dröhnendeStimme in seinem Kopf. Wenn er überlebt, wird er zu denMächtigen zählen.

Wieder spürte Ragnar eine gewaltige Woge der Macht durchseinen Verstand spülen, die seinen Willen betäubte und seinenWiderstand aufzehrte. Diesmal wehrte er sich dagegen undsetzte jede Unze seiner Grausamkeit und seines Hasses ein. Erwürde sich nicht noch einmal gegen seinen Willen in jenefremdartigen Welten zwingen lassen. Er würde nicht diewillenslose Marionette uralter Zauberer sein. Er würde nichtnachgeben ...

Wem oder was? Wem oder was würde er nicht nachgeben?Er konnte sich nicht erinnern. Es gab keinen Grund, sich zuerinnern. Er stand an einem Strand und betrachtete denSonnenuntergang. Merkwürdige Bäume schwankten in einersanften Brise. Es war warm und roch nach fremdartigenDüften. Unter den tastenden Fingern des Windes schwanktenBlumen, die viel üppiger waren als alles, was je in der kahlenÖde von Fenris geblüht hatte.

»Ragnar.«Er drehte sich um. Die schönste Frau, die er je gesehen hatte,

ging auf ihn zu. Doch diese Beschreibung war nicht liebreizendgenug, um die Eleganz ihrer Bewegungen zum Ausdruck zubringen. Ihre Haut war bernsteinfarben. Ihre Haare waren voneinem Schwarz, das sie flüssig wirken ließ. Etwas an ihrenZügen erinnerte ihn an Ana, aber an eine Ana ohne Makel, eineAna, aus der alle Unzulänglichkeiten ausgemerzt wordenwaren. Sie lächelte, und Ragnar spürte, wie sein Herz einenSprung tat. Es war ein Lächeln, das seine Umgebung erwärmte,

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wie es sonst nur die Sonne vermocht hätte. Er fühlte sich durcheine subtile Kraft zu ihr hingezogen, obwohl ihr Lächeln kleinespitze Fänge entblößte wie diejenigen einer blutsaugendenBestie.

»Dann hast du dich also entschlossen«, sagte sie. IhreStimme war melodisch und so erregend wie die Sünde. Vonihrem bloßen Klang wurde er so trunken wie von einemSchlauch Wein.

»Entschlossen? Wozu?«»Spiel nicht mit mir. Du hast dich entschlossen, dich uns

anzuschließen? Dich mit uns zu verbinden und deine Seeleunserem großen Herren Slaanesh anzubieten?«

Was redete sie da? Wer war Slaanesh? Er hatte im Grundekeine Ahnung, aber allein der Name weckte das Empfindenvon etwas Bösem. Mehr noch, er spürte, dass ihre Worte nocheine tiefere Bedeutung hatten, wie auch ihre verderbteSchönheit auf eine tiefergehende Wirklichkeit hinwies. War daeine Andeutung von Gereiztheit in ihrer Stimme? Verwechseltesie ein Missverstehen mit einer Weigerung? Was ging hiereigentlich vor?

»Ich habe mich noch nicht entschlossen«, sagte er, um Zeitzu gewinnen.

»Das ist bedauerlich«, erwiderte die Frau und beugte sichvor, um ihn zu küssen. Seine Lippen kribbelten von ihrerBerührung. Ihre Haut schien subtile Rauschmittel abzusondern.Ihre bloße Berührung bereitete ihm ein so intensivesVergnügen, dass es fast schmerzhaft war.

Je länger der Kuss dauerte, desto mehr beschlich ihn dasGefühl, dass ihm etwas entzogen wurde, nämlich die Essenzseiner Persönlichkeit, seine Seele. Das war nicht schmerzhaft.Es war angenehm, als döse man auf einem weichen Daunenbettmit einer wunderschönen Frau neben sich ein, nachdem mansich alle nur erdenklichen Freuden bereitet hatte. Und doch war

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irgend etwas nicht richtig. Mit Ana hatte es sich andersangefühlt.

Plötzlich erkannte Ragnar, dass er sich nicht in diese sanfteZerstörung all dessen, was er war, fügen wollte, nicht mehr, alser es begrüßen würde, vom stählernen Fuß einer mächtigenKriegsmaschine zerquetscht zu werden. Er kämpfte dagegenan, und dabei erkannte er ihre Kraft. Es war, als werde manvon einer starken Strömung unter Wasser gezogen. Man konntesich wehren, so viel man wollte, und würde dennoch zu denMeerdämonen herabgezogen werden. Er versuchte zuwiderstehen, und dennoch wurde ihm weiterhin seineLebenskraft entzogen, und Schwärze umwölkte die Eckenseines Blickfelds.

Wieder erwachte er in einem Albtraum. Diesmal stand er voreinem riesigen schwarzen Altar. Überall tollten seltsameGestalten herum. Hoch über ihm schwebte ein gehörnterZauberer auf einer großen leuchtenden Scheibe und trotzte derSchwerkraft mit seiner Magie. Kaum hatte Ragnar ihn erblickt,als er herabsank. Ein Lichtkreis umspielte die Klauenhände desZauberers, doch bisher hatte er noch nichts Bedrohlichesunternommen. Ragnar hob seine Waffe, schlug aber nicht zu,weil er wissen wollte, was geschehen würde.

»Was kann mein Herr dir im Tausch für deine Seelegewähren?«, fragte der Zauberer mit einer Stimme, in der dieMacht der Zauberei mitschwang. »Was wünschst du dir? Dubrauchst nur daran zu denken, und es ist dein.«

Augenblicklich und ungebeten kam ihm das Bild vonStrybjörns Leiche in den Sinn. Bevor er auch nur versuchenkonnte, seine Gedanken zu verschleiern, tauchte Strybjörngefesselt auf dem Altar auf, und plötzlich hielt Ragnar eingroßes Opfermesser fest in beiden Händen.

Hass ließ seine Eingeweide verkrampfen. Er sah seinenVater tot in den ausgebrannten Ruinen seines Heimatdorfs

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liegen. Er sah, wie die überlebenden Angehörigen des Klansals Leibeigene auf die Drachenschiffe der Grimmschädelgeführt wurden. Er durchlebte erneut das Duell, in dem erStrybjörn erschlagen zu haben glaubte und in dem derGrimmschädel beinah auch ihn erschlagen hatte. Der Drang,seinem Feind das Opfermesser in die ungeschützte Brust zustoßen, war überwältigend, und fast hätte er es getan. Er wolltespüren, wie die Klinge in Strybjörns Brust eindrang, wie derStahl auf Knochen traf, wollte spüren, wie das Blut über seineHände spritzte. Das Einzige, was seine Hand für einen Momentruhig hielt, war die Tatsache, dass Strybjörn ein Amulett mitdemselben Wolfskopf-Emblem trug, wie es auch auf Ragnarseigener grauer Rüstung prangte.

»Los! Stich zu!«, sagte der Zauberer. »Nimm deine Rache.Die Seelen deiner Vorfahren schreien danach. Stich zu, und dieRache ist dein.«

Ragnars Hand zitterte, so groß war der Drang zuzustechen.In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nichts sehnlichergewünscht. Obwohl er wusste, dass seine Seele im gleichenAugenblick dem Gott des Zauberers gehören würde, war derDrang, den Dolch niedersausen zu lassen, fast zu stark für ihn.Obwohl er wusste, dass es Verrat an seiner Rüstung und anseinen Kameraden war, erfüllte ihn dieses Verlangen.

Subtiles Wissen flutete in seinen Verstand. Wenn er jetztzustieß, würde er zu einem Verräter an seinem ganzen Volkwerden, in den Fang zurückkehren und die Diener Russ' an ihreFeinde verraten. Wenn er zustieß, würde ganz Fenris und seinVolk der Vernichtung und der Sklaverei anheimfallen. EinenMoment stand er da wie auf einer Messerklinge, mit seinemHass auf der einen und seinem Pflichtgefühl auf der anderenSeite. Das Schicksal der Welt hing in der Schwebe. In dereinen Waagschale lag sein allesverzehrender Hass. In deranderen lag das Wissen, dass sein Name auf ewig verfluchtsein würde.

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Was spielte das für eine Rolle?, sagte eine ruhige, leiseStimme. Was bedeuteten ihm die Bewohner von Fenris? Alleseine Blutsverwandten waren tot, erschlagen von diesem Mannund seinen Leuten. Und was hatten die Bewohner des Fangs jefür ihn getan, außer ihn zu zwingen, Schmerzen,Demütigungen und Entbehrungen zu ertragen? Wenn erdadurch, dass er Strybjörn tötete, die Zerstörung seiner Weltverursachte, was machte das schon? In dem allgemeinenSterben würden die Grimmschädel in einer Woge von Bluthinweggeschwemmt werden, und dann war die endgültigeRache sein. Eine Rache, die so vollständig war, dass sie nieübertroffen werden konnte.

Seine Hand zitterte, und die Klinge senkte sich langsam. Erkämpfte gegen den Drang an. Dies war nicht die Art vonRache, die er gewollt hatte. Dies war nicht das Kräftemessen inder hitzigen Erregung eines tödlichen Zweikampfs. Dies wardas Abschlachten eines gebundenen Feindes, dessen Seele voneiner dunklen Macht verschlungen würde. Dies war keinewürdige Art der Rache.

»Nimm deine Rache, wie es dir gefällt«, sagte der Zauberer.»Aber nimm sie!«

Er gestikulierte, und die Ketten fielen von Strybjörn ab. DerGrimmschädel sprang auf.

»Verräter!«, kreischte er und warf sich auf Ragnar. Der fällteihn mit einem Faustschlag und hätte seinem Feind beinahe dasMesser in die Brust gestoßen. Wieder konnte er sich geradenoch zurückhalten.

Und wieder wurde er sich der Tatsache bewusst, dass er derSpielball von Mächten größer als er war. Erneut sah er jenefurchtbaren alten Männer vor sich, die hinter Morkais Torlauerten. Er wusste, dass sie irgendwo dort draußen waren, mitihm spielten, die innersten Geheimnisse seines Wesensergründeten, seine Gedanken lasen und beurteilten, ob er

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würdig war.Die Vorstellung erfüllte ihn mit einem Zorn brennender als

sein Hass. Wer waren sie, über ihn zu urteilen? Wer waren sie,seinen Verstand ihrem Willen zu unterwerfen? Er wollte nichtsmehr davon wissen. Er biss sich auf die Zunge, bis Schmerzenihn durchzuckten. Er nahm das Messer und stieß es sich in deneigenen Leib.

»Keines von diesen Spielen mehr!«, rief er, indem er auf dieKnie fiel und zusah, wie sich sein Blut vor seinen Füßen ineiner Lache sammelte. Schmerzen brannten sich durch seineAdern. Seine Lippen verzogen sich zu einem Knurren der Wutund der Schmerzen.

Die Welt erzitterte. Felsen fielen von der Decke. Allesschien sich zu bewegen, zu tanzen, zu zerfließen.

»Ich bin Ragnar, und ich trotze euch!«, tobte er, als ihn zumletzten Mal vollständige Dunkelheit verschlang.

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10

DER WOLFENKELCH

Ragnar erwachte langsam und unter Schmerzen. Er fühltesich so müde, als sei er gerade von den Toten auferstanden. Allseine Energie, all seine Lebenskraft schien verbraucht zu sein.Er konnte sich nur noch an sehr wenig von seiner Feuerprobeerinnern. Sie war ein endlos erscheinender Albtraum derGewalt und des Todes, in dem jede Schwäche seiner Psycheentblößt worden war. Als er an sich herabschaute, nahm er zuseiner Überraschung zur Kenntnis, dass er keine Wunden oderSchrammen davongetragen hatte. Er hatte das Gefühl, alssollten dort welche sein.

Er war nackt und lag auf einer kalten Steinplatte in einerHöhle. Das Licht stammte aus einer der seltsamenZauberkugeln. Auf anderen Steinplatten lagen andereAnwärter. Er erkannte Sven, Strybjörn und Kjel. Kalter Atemdrang aus ihrem Mund und verband sich zu kleinen Wolken,wo er auf die Kälte der Höhle stieß. Ragnar schauderte undbemerkte erst jetzt, wie kalt ihm war. Er richtete sich mühsamauf, glitt von der Steinplatte und trat an den anderen. Einer vonihnen, ein Anwärter, den er nicht kannte, schien nicht mehr zuatmen.

Ragnar ging weiter, während die eisige Kälte ihm das Gefühlin den Füßen raubte, und untersuchte den Jungen. Er legte demAnwärter eine Hand auf die Brust. Sie war kalt und ohneHerzschlag. Die Leichenstarre hatte die Glieder bereits steifwerden lassen. Also stimmte es, dachte Ragnar. Man konntesterben, wenn man durch Morkais Tor schritt. Ihm schaudertewieder, und diesmal wusste er nicht, ob aus Kälte oder vorFurcht. Er war nur knapp demselben Verhängnis entgangen,das diese arme Seele ereilt hatte.

Er spürte, wie in ihm eine ruhige, eisige Wut Gestalt

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annahm. Er war wütend darüber, dass jemand seine Gedankenund Erinnerungen durchwühlt hatte wie ein Plünderer einHaus. Was gab diesen Leuten das Recht, so etwas zu tun? Odervielmehr, was vermittelte ihnen den Eindruck, sie hätten dasRecht dazu?

Etwas ließ ihn innehalten und nachdenken. Wer sie auchwaren, sie mussten es aus einem ganz bestimmten Grund tun.Hinter all diesen gnadenlosen Prüfungen und Aussonderungen,hinter diesem endlosen Ausmerzen der Schwachen undUnwürdigen musste ein großer Plan stecken. Anders machte eskeinen Sinn. Es konnte nicht einfach nur eine Form grausamerBelustigung für die Götter sein, oder?

Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er fror und müde undhungrig war und von diesem schrecklichen Ort fort wollte. Erging zur Einmündung der Höhle und sah, dass dahinter nocheine Höhle lag. Darin gab es noch mehr Steinplatten, die aberleer waren. Eines der seltsamen Wesen, halb Mensch, halbMaschine, stand da und beobachtete ihn. Ein Auge warmenschlich und blau. Das andere war aus Glas und Stahl undreflektierte das Licht wie eine winzige Sonne. Es drehte sich inseine Richtung, und als es den Kopf bewegte, ertönte einseltsames Surren. Der Hals war zum Teil mit Metall bedecktund ein stählerner Kragen in die Metallplatte eingepasst, dieseine Brust bedeckte.

»Komm mit mir«, sagte er mit einer seltsam gleichgültigenStimme und einem Akzent, den Ragnar nicht kannte. Er folgteihm durch mehrere Metalltüren. Nach jeder Tür wurde eswärmer. In der letzten Kammer gab es Gewänder ausdemselben dehnbaren Material wie die Tuniken, welche manden Anwärtern in Russvik gegeben hatte. Diese wiesen jedochaußer dem Wolfskopf-Emblem noch krallenartige Streifen aufder Brust auf. Ragnar blieb stehen und zog eines an, ohne dassman ihn aufgefordert hätte. Dann folgte er der Mensch-Maschine in eine große Kammer, wo Ranek mit den drei

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schrecklichen alten Männern wartete, die jenseits von MorkaisTor alles beobachtet hatten.

Er musterte Ragnar seltsam und lächelte dann kalt, wobei erjene gewaltigen Eckzähne zeigte. »Du hast uns vor ein Rätselgestellt, Junge.«

Ragnar sah ihn nur an und ließ dann den Blick über die altenMänner in ihren Rüstungen und Wolfsfellen wandern. Sieschienen nur unwesentlich weniger ergraut als Ranek undwaren von einer Aura der Macht und Absonderlichkeitumgeben. Die drei hatten eine Spur des Unheimlichen an sich,dachte Ragnar, und daran konnte kein Zweifel bestehen. Erhatte schon oft Ranek in Verdacht gehabt, ein Zauberer zu sein,aber er erkannte jetzt, dass er sich geirrt harte. Diese drei warendie wahren Magier, die Runenweber, die Seher, die in dieGedanken der Menschen schauen konnten. Er spürte, wie sichseine Wut und Furcht auf sie richtete.

Wenn sie dies spürten, gaben sie es nicht zu erkennen. Siesahen ihn an, wie ein Mann einen Hund ansehen mochte,dessen Kauf er erwog. Ragnar richtete seine Aufmerksamkeitwieder auf Ranek.

»Niemand war je näher daran, bei dieser Prüfungdurchzufallen«, sagte Ranek. »Du hast einen Makel in dir,Junge, und der könnte einmal dein Verderben sein.«

»Einen Makel?«»Hass. Du besitzt ein unglaubliches Vermögen zu hassen.«»Seit wann ist Hass ein Makel in einem Krieger? Seine

Feinde zu hassen macht einen Mann stark.«»Gewiss, aber seine Kameraden zu hassen ist ein Luxus, den

ein Krieger sich nicht leisten kann.»Ach?«»Du hasst den Grimmschädel und willst dich an ihm

rächen.«

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Ragnar sah keinen Sinn darin, das zu bestreiten. »Ja.«»Du bist nicht der Erste, der auf diese Weise hierher kommt,

Junge. Oft wählen wir Krieger von beiden Parteien einerSchlacht aus. Mitunter schließen sich uns alte Feinde zurgleichen Zeit an. Sie lernen, Seite an Seite zu kämpfen.«

»Das überrascht mich.«»Das sollte es nicht. Die Ausbildung der Anwärter knüpft

starke Bande. Nur in deinem Fall war das Verfahren nicht vonErfolg gekrönt.«

»Man kann nicht von mir erwarten, dass ich meinen Feindam Leben lasse.«

»Du musst dich entscheiden, was dir wichtiger ist. DeinenFeind zu töten oder dein Leben im Dienst einer großen Sachezu führen. Glaub mir, falls du überlebst, wirst du in ZukunftFeinde genug haben, um deine Kampfeslust zu befriedigen.«

»Also muss ich Strybjörn verschonen, sonst falle ich durcheure Prüfungen?«

»Nein, du musst Strybjörn verschonen, sonst wirst dusterben.«

»Warum erzählt ihr mir das?«»Weil du das Zeug hast, ein großer Krieger zu werden,

Junge. Und wir brauchen dringend große Krieger. Aber dieseKrieger müssen ihren Kameraden gegenüber loyal undaufrichtig sein, sonst sind sie nutzlos, sowohl für uns als auchfür sich selbst. Sei auf der Hut, Junge, dein Weg in dieDunkelheit führt durch deinen Hass. Vergiss das niemals.«

Ragnar sah den alten Mann nachdenklich an. Ihm fiel daraufkeine Antwort ein, also schwieg er. Er warf einen Blick auf dieanderen, aber deren Mienen waren unergründlich.

»Geh ins Vorzimmer und warte dort«, sagte Ranek zu ihm.»Du wirst sehr bald erfahren, was das alles zu bedeuten hat.«

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***

Ragnar stand am Rande eines riesigen Amphitheaters an derSeite des Fangs. Es war so groß, dass es Platz für Zehntausendebot, nicht nur für die wenigen Dutzend Anwärter, die dortwarteten. Vereinzelt brachen Sonnenstrahlen durch dieaufgewühlten Wolken. Es war kalt, und kleine Schneeflockentrieben im Wind. In der Mitte der Arena stand ein riesigesPodest, das mit dem Wolfskopfsymbol versehen war. Großewolfsköpfige Statuen bewachten den Eingang. Ranek stand inder Mitte und sah sie an. Unter seinem kalten Blick fühlteRagnar sich klein.

»Ihr habt euch sehr gut geschlagen, da ihr es bis hierhergeschafft habt«, sagte der Wolfpriester. Seine gelassene,schroffe Stimme erfüllte mühelos die gesamte Arena. Er warein guter Redner, und die Akustik war perfekt, erkannteRagnar. Seine Worte hatten eine merkwürdige Wirkung aufRagnar. Er spürte Stolz in seiner Brust aufwallen. Dies war daserste Lob, das die Anwärter jemals von ihm oder einem deranderen Meister bekommen hatten. »Ihr seid aus Russvik,Grimnir und Valksberg gekommen, alles Orte, wo Anwärterausgebildet werden. Ihr habt überlebt, wo andere gestorbensind. Ihr habt euch als würdig erwiesen, dass man erwägt, euchin unsere Reihen aufzunehmen.«

Er hielt einen Augenblick inne, um seine Worte wirken zulassen. Ragnar konnte das Grinsen auf den Gesichtern deranderen sehen. Raneks Worte hatten dieselbe Wirkung auf siewie auf ihn. Was auch so beabsichtigt war, dachte erverdrossen.

»Ja. Aber das ist alles, was ihr bewiesen habt. Alles, was ihrbisher erlebt habt, war nur ein Kinderspiel verglichen mit dem,was euch noch bevorsteht. Die wahre Prüfung fängt gerade erstan.«

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Ein Ächzen entwich den Lippen aller Anwärter. Raneklächelte gemein, bevor er fortfuhr. »Jammert nicht. Wenn ihrerst begreift, warum es getan werden muss, werdet ihr auchunsere Absicht erkennen. Ihr werdet erfahren was ihr ertragenmüsst, und ihr werdet erfahren, warum ihr es ertragen müsst.Ihr seid bis hierher gekommen und habt es verdient, zumindestdies zu erfahren.«

Alle waren jetzt still. Sie spürten, dass sie kurz davorstanden, in ein großes Geheimnis eingeweiht zu werden.Ragnar stellte fest, dass er sich vorgebeugt und die Ohrengespitzt hatte, auf dass ihm kein einziges Wort desWolfpriesters entgehen möge. Wie alle anderen wollte erunbedingt wissen, was all das sollte.

»Wofür haltet ihr uns?«, fragte Ranek. »Wer, glaubt ihr, lebtin diesem riesigen Berg?«

»Russ' Krieger!«, bellte Strybjörn.Ranek lachte, und sein Gelächter ließ Ragnar frösteln. »Aye,

das sind wir. Wir sind in der Tat die Auserwählten. Wie auchunsere Vorgänger auserwählt waren und deren Vorgänger. Undso weiter bis zum Anbeginn der Zeit, als Russ unter denMenschen wandelte und der Allvater, der Kaiser, seine großenKriege gegen die Mächte der Finsternis führte.

Ihr steht in der Tat vor der Heimat der Auserwählten. Diesist der Fang. Der Fang ist eine mächtige Festung in einemgewaltigen und endlosen Ringen zwischen der Menschheit undjenen Kräften, welche die Menschheit vernichten wollen. Es istein Ort, von dem große Krieger aufbrechen, um zwischen denSternen zu fahren und Missionen auszuführen, die dasSchicksal von Millionen beeinflussen.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie bedeutsam dieseMissionen sind. Wie solltet ihr auch? Wenn ihr überlebt, wirdes viele Jahre, vielleicht sogar viele Lebensalter dauern, wieMenschen diese Dinge messen, bis ihr auch nur die leiseste

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Ahnung habt.Ihr glaubt, man hätte euch auserwählt, euch den Reihen der

Unsterblichen anzuschließen, um am Tag des Zorns nebenRuss zu kämpfen. Das ist nichts weniger als die Wahrheit. DerFang ist die Heimat einer Bruderschaft von Kriegern, einesOrdens, wie wir sie nennen. Wir sind die Söhne von Russ undentstammen seinem Volk. Wir nennen uns die Space Wolves -Raumwölfe -, und eines Tages werdet ihr verstehen, warum.

Ich will euch von Russ erzählen. Manche von euch stellensich ihn als mächtigen Geist vor, als Gott, der über euch wacht.Das war er nicht. Wenigstens nicht in dem Sinn, in dem ihr esglaubt. Er war ein Mensch. Aye, und auch mehr als einMensch. Er war ein Primarch, ein Supermensch, der durch dieKraft und Technologie des Allvaters über all die anderenSterblichen gehoben wurde. Er war stärker, schneller, zäher,widerstandsfähiger und mächtiger als alles, was ihr euchvorstellen könnt. Er hat unseren Orden gegründet, auf dass erihm in die Schlacht folgen möge. Er hat unser Volk, dieBewohner von Fenris, als seine Krieger auserwählt. Er hat nurdie zähesten und die besten unserer Vorfahren auserwählt,denn nur diese waren dieser letzten Auszeichnung würdig. Diesist eine Tradition, die wir auch in diesen dunkleren Zeitenbewahrt haben.«

Er hielt einen Augenblick inne und sah sie an. EinSonnenstrahl fiel auf seine Augen, und plötzlich schienen siewie Feuer zu brennen. Keiner von ihnen konnte seinem Blickstandhalten. »Ich trage Russ' Zeichen in mir. Alle Mitgliederder Wölfe, denen ihr in dieser Festung begegnen werdet, tundas. Das ist etwas, das mich verändert hat. Etwas, worin ichmich von sterblichen Menschen unterscheide. Es hat meinLeben um Jahrhunderte verlängert und mich schneller, stärkerund mächtiger gemacht als jeden Sterblichen, dem ihr jebegegnet seid und je begegnen werdet. Es kann dasselbe füreuch tun.«

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Er hielt erneut inne. Alle Anwärter sahen einander fragendan. Ragnars Gedanken überschlugen sich nach allem, was ergehört hatte. Wie konnte dieser alte Mann wissen, wie Russwar? Wie konnte er mit solcher Gewissheit über uralte Zeitensprechen? Er war nicht verrückt, soweit Ragnar dies beurteilenkonnte. Er klang so, als sei er von der Richtigkeit seiner Worteüberzeugt. Und natürlich unterschied er sich von allenSterblichen, denen Ragnar je begegnet war. Er war größer,stärker, schneller. Er besaß jene furchtbaren Reißzähne undjene seltsamen Wolfsaugen.

»Ich sage >kann<, weil es noch eine andere Möglichkeitgibt. Es kann euch umbringen, und es kann noch Schlimmeresmit euch anstellen. Es kann euch in eine abscheuliche Bestieverwandeln, in einen Wolfen, ein Ding mehr als ein Tier undweniger als ein Mensch. Auch andere Dinge könnenmisslingen.«

Der alte Mann beschrieb eine Geste, und plötzlich wurde esdunkel. Er allein war beleuchtet, da er in einer Insel aus Lichtstand. Ragnar hörte einige Anwärter etwas über Zaubereimurmeln, aber er war nicht so sicher. Er hatte viele Dingegesehen, seit er hier war. Es war ebenso wahrscheinlich, dassdem alten Mann verborgene Mittel der Herrschaft über jeneewig brennenden Lampen zur Verfügung standen. Es schienmöglich zu sein, dass sie einfach nur Maschinen waren,weitaus komplexere Versionen der Lampen, die es daheimgegeben hatte. Was als Nächstes geschah, veranlasste ihn dazu,seine selbstzufriedene Einschätzung zu überdenken.

»Passt jetzt genau auf«, sagte Ranek. »Gleich werdet ihr denersten Schritt auf dem Weg des Wissens machen.«

Er beschrieb eine weitere Geste, und plötzlich schwebte einnackter Jugendlicher in der Luft über ihm, der ungefähr imgleichen Alter war wie die Anwärter. Er sah so wirklich aus,dass Ragnar zunächst vermutete, er sei wie ein Geist aus demNichts beschworen worden. Nach einigen Augenblicken

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erkannte er jedoch, dass die Gestalt sich nicht bewegte undman bei genauem Hinsehen fast durch sie hindurchsehenkonnte. Der Bursche war in der Tat so durchscheinend wie einGeist. Ragnar staunte über die Magie, die damit verbunden seinmusste.

»Dies ist ein junger Mensch. Ein Bursche ähnlich wie ihr.Passt auf, was gleich passiert. Ihr werdet sehen, was geschieht,wenn die Canis-Helix hinzugefügt wird. Das ist Russ'Zeichen.«

Vor Ragnars Augen begann der Jugendliche, sich zuverwandeln. Sein Körper wurde muskulöser und haariger. DieFingernägel wurden dicker und krallenähnlich. Die Augenbekamen jenes merkwürdige wolfsähnliche Aussehen, das erschon von Raneks und Hakons Augen kannte. Reißzähnewuchsen. Der Junge bekam die Aura der Seltsamkeit undKraft, die Ragnar mittlerweile mit den Herren des Fangsverband. Er konnte das verblüffte Keuchen der anderenAnwärter hören, die ebenfalls gebannt zusahen.

»Am Ende der Verwandlung, wenn alles gutgeht, werdet ihrviele Male stärker und schneller sein als jetzt. Wunden werdenrascher verheilen. Eure Sinne werden viel schärfer. Ihr werdettapferer und wilder sein, als ihr es je wart ... Wenn allesgutgeht. Wenn etwas bei der Verwandlung schiefgeht, kannSchlimmes mit euch geschehen.«

Ein Ausdruck idiotischer Wildheit und des Wahnsinns trat indie Augen der Projektion. Die Gestalt sank auf eine widerlichraubtierhafte Weise nach vorn. Alle Intelligenz wich aus ihremBlick. »Ihr könnt wahnsinnig werden oder schwachsinnig.«

Die Verwandlung schritt voran. Der dichte Haarwuchsspross weiter, bis er den ganzen Körper bedeckte wie das Felleines Tiers. Die Gesichtszüge waren darunter kaum noch zuerkennen. Die Nägel an den Fingern und Zehen wurden länger,bis es richtige Krallen waren. Die Reißzähne wurden so groß,

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dass sie über das Kinn ragten. Ein Ausdruck wilden Hungersverzerrte die Züge des Jugendlichen. Ragnar erinnerte sich andie Kreatur, von der er einmal geträumt hatte. Sie hatte genauso ausgesehen, nur das Fell hatte eine etwas andere Farbegehabt. Er bezweifelte jetzt nicht mehr, dass er einen Wolfenim Traum gesehen hatte.

»Oder ihr könnt zu einem Wolfen werden. Wie kommt das,fragt ihr euch? Es liegt daran, dass Russ Zeichen den Geist derBestie loslässt, der in uns allen ist Manche Menschen sind starkgenug, um diese Bestie zu beherrschen. Andere lassen sich vonder Bestie beherrschen. Wenn das geschieht, wird ein Wolfengeboren.

All diese Dinge können geschehen, wenn ihr aus denWolfenkelch trinkt. Wenn ihr die erste Verwandlung übersteht,seid ihr auf dem besten Weg, ein Space Wolf zu werden. DieFrage, die sich euch jetzt stellt, ist die ob ihr habt, was nötig ist,um gegen die Bestie in euch zu bestehen. Oder ob ihr versagtund vollständig von ihr verzehrt werdet.«

Ragnar sah den alten Mann an und dachte über seine Wortenach. Allem Anschein nach ließ man ihnen keine Wahl. Dieswar eine weitere Prüfung, der sie unterzogen wurden und diesie bestehen mussten. Würden die Prüfungen niemals enden?

***

Im Fang gab es keine Möglichkeit, Nacht und Tag zuunterscheiden. Sie bekamen Einzelzellen und wurden darineingesperrt. Eine Mahlzeit wartete auf ihn in dem kleinenGemach. Sie bestand aus heißem Fleisch, frisch gebackenemBrot und Ale, das ein wenig metallisch schmeckte. Er schlangalles hinunter, als könne die Mahlzeit seine letzte sein. Esschmeckte besser als alles, was er je gegessen hatte.

Kaum hatte er die Mahlzeit beendet, als er damit begann, in

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seiner Zelle auf und ab zu marschieren. Er rüttelte an der Tür,aber sie war abgeschlossen, und es überstieg seine Kräfte, siezu öffnen. Augenblicke später erlosch das Licht, und der Raumwurde in Dunkelheit getaucht. Unfähig, etwas anderes zu tun,legte er sich auf seine Matte und war Augenblicke spätereingeschlafen.

Seine Träume waren finster. Er wurde in einem Labyrinthvon einem Ungeheuer verfolgt. Wie schnell er auch lief undwie schlau er sich auch versteckte, es war immer da, immer nurwenige Schritte hinter ihm. Doch er wagte es nicht, sichumzuschauen, denn wenn er es tat, würde er sehen, dass dieZüge des Ungeheuers seine eigenen waren.

Er war in kalten Schweiß gebadet, als er erwachte.

***

Der Tempel war kunstvoll mit erlesenen Steinmetzarbeitenverziert, die das Alter abgenutzt hatte, doch trotz all dieserPracht fand Ragnar, dass es ein düsterer Ort war. KünstlicheLeuchtlampen warfen ihren Natriumglanz in eine sorgfältigausgerichtete Insel gelblichen Lichts, in der sich derMittelpunkt der uralten Kammer befand. Wolfsköpfe verziertenden Altar, der aus einem einzigen Felsen gemeißelt zu seinschien. Auf der reich ornamentierten Steinplatte ruhte einKelch aus irgendeinem unbekannten Metall, der ebenfalls dasWolfskopfsymbol der Space Wolves trug. Ranek sah so alt wieder Berg selbst aus. Er wurde von zwei maskierten Kriegernflankiert, die ähnliche Rüstungen wie er trugen. Ragnar konnteerkennen, dass einer der maskierten Krieger einen Arm ausMetall hatte. Entblößte Teile des Arms klickten und surrten,wenn er bewegt wurde. Beide hielten einen Gegenstand, derwie ein Hammer aussah. Ragnar musste sofort an Russ'Hammer denken, den Blitzbringer. Vielleicht waren diese

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Waffen seine Ebenbilder.Ranek funkelte sie alle an und schritt dann vorwärts zum

Altar. Er nahm den großen Kelch mit seinen mächtigenknorrigen Händen und hob ihn dann fast so in die Höhe, alswolle er ihn auf den Boden schmettern.

»Seht den Wolfenkelch«, sagte er. In seiner Stimme lag eineHeiserkeit, die Ragnar nach einem Augenblick der Überlegungals Ehrerbietung deutete. »Seht ihn und staunt. Ihr seht einenGegenstand vor euch, der älter ist als diese Festung. EinArtefakt, das am Anbeginn der Zeit von den Dienern desAllvaters geschmiedet wurde. Dieser Kelch ist vom Ordendurch den gesamten Großen Kreuzzug getragen worden. Erwar Teil unseres Erbes in den dunklen Zeiten der GroßenKetzerei und des Krieges mit Horus. Russ hat diesen Kelch inder trüben Dämmerung der Zeit selbst in den Händen gehalten.Seht ihn euch an und denkt dabei an meine Worte.«

Ragnar sah genauer hin. Wenn es stimmte, was Ranekbehauptete, und er sah keinen Grund, an den Worten desWolfpriesters zu zweifeln, war dies ein Artefakt, das der Gottseines Volkes in den Händen gehalten hatte. Es war viel älterals alles, was ihm je begegnet war. Auf den ersten Blick sahder Kelch nicht nach viel aus, aber dann glaubte er, funkelndeRunen aus Licht auf der Wandung aufleuchten zu sehen. EinNimbus seltsamer Energien schien darum zu spielen.

»Wir nennen dies den Wolfenkelch aus einem ganzbestimmten Grund. Die Alten, die dieses Gefäß fertigten,haben mächtige Magie darin verankert. Wer aus diesem Gefäßtrinkt, wird, wenn er würdig ist, Russ' Zeichen übernehmen undmit ihm einen Teil der Kräfte des Gott-Menschen. Ist erunwürdig, zahlt er einen schrecklichen Preis. So hört denn dieGeschichte der Wolfen und erfahrt den Grund.

Damals in den Zeiten, als Russ erstmals nach Fenris kam, umseine Krieger zu rekrutieren, gab es einen Jarl namens Wolfen.

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Er war ein mächtiger Mann, grimmig und stark und stolz aufseine Kraft. Er war ein Mann mit einer überragenden Begabungfür die Kriegskunst und wurde in seinem ganzen Leben nur eineinziges Mal besiegt, und zwar von Russ, der ihn vor all seinenLeuten demütigte, ihn aber, da er einen würdigen Krieger vorsich sah, verschonte und ihm einen Platz unter seinen Kriegernanbot.

Russ sprach zu den versammelten Männern von Fenris underzählte ihnen von seinem Plan. Er bot ihnen Macht an undeine riesige Lebensspanne, wenn sie ihm folgten, um Kriegzwischen den Sternen zu führen. Sie brüllten ihre Zustimmungund jubelten Russ als ihrem Anführer zu. Er verriet ihnen, dasssie ein starkes Gebräu aus dem großen Becher trinken müssten,wodurch ihre Verwandlung beginnen werde. Wolfen war derErste, der vortrat, und das herrliche Met von Russ aus demKelch trank.

Doch in Wolfen lauerte immer noch das Böse. Er wurde voneinem geheimen nagenden Hass auf Russ verzehrt und hattevor, verräterische Rache an dem Gott-Mensch zu nehmen. DerSchutzgeist in dem Kelch sah dies in dem Augenblick, alsWolfen ihn an die Lippen setzte, und wirkte einen Zaubergegen ihn, der bewirkte, dass sein äußeres Selbst seineminneren Bösen entsprechen möge. Zum Entsetzen derZuschauer verwandelte sich der große Häuptling. Er wurde zueinem schrecklichen Ding, halb Mensch, halb Wolf, und ersprang Russ mit einem hasserfüllten Heulen an. Doch Russ warnicht um eine Antwort verlegen. Mit einem einzigen Hiebzerschmetterte er Wolfens Schädel und erschlug die Bestie, diezum Vorschein gekommen war. Er wandte sich an seineAnhänger und erklärte ihnen, dass Wolfen unwürdig sei unddies das Schicksal all jener sein würde, die mit Bösem imHerzen daraus tränken. Er verriet ihnen, dass all jene, die eswünschten, jetzt gehen könnten, ohne zu trinken. ZurEhrenrettung unserer Vorfahren muss gesagt werden, dass

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niemand ging. Alle tranken und gewannen die Kraft, die zuerringen Russ ihnen eröffnet hatte. Und so begann dieGründung unseres Ordens. Jene Männer schritten hinaus undschrieben ihren Namen in die Geschichtsbücher allerMenschenwelten. Jene, die nun aus diesem Kelch trinken,werden es ihnen nachtun, wenn sie würdig sind. Denkt einenAugenblick darüber nach.«

Ragnar tat es. War dies nur eine Geschichte? Irgendwiebezweifelte er es. Bisher hatte man ihnen nichts ohne einebestimmte Absicht erzählt, und Ranek sah nicht wie jemandaus, die jetzt damit anfangen würde, Dinge zu erfinden.Mittlerweile hatten die beiden gerüsteten Krieger damitbegonnen, ein seltsames Gebräu in den Kelch zu leeren, denRanek ihnen hinhielt. Die Zutaten stammten aus zweigetrennten Flaschen, und als sie sich in dem Kelchvermischten, fing die Flüssigkeit an zu brodeln und zudampfen. Dabei sprach Ranek beständig Worte in jenersonderbaren Sprache, die Ragnar schon zuvor gehört hatte.

Wenn er aus diesem Kelch mit Bösem im Herzen trank, warer anscheinend dazu verurteilt, ein Ungeheuer zu werden undzweifellos wie der ursprüngliche Wolfen getötet zu werden. Erfragte sich jedoch, woher dann die Wolfen genanntenUngeheuer kamen. Wenn es sich bei ihnen um unwürdigeAnwärter handelte, warum lebten sie dann noch? Wieentkamen sie aus dem Fang? Wiederum spürte er hier einGeheimnis Eines, das zu enträtseln er noch nicht in der Lagewar.

Eine weitere Frage beschäftigte ihn. Hatte er Böses imHerzen? Würde er Wolfens furchtbares Schicksal teilen? Erdachte darüber nach, was man ihm über seinen Hass aufStrybjörn gesagt hatte. War dieser Hass böse? Er glaubte esnicht. Jeder Krieger auf Fenris würde angesichts der Mörderseines Klans so empfinden. Warum hatte man ihn dann davorgewarnt?

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Die Priester waren mit dem Vermischen des Inhalts derbeiden Flaschen fertig. Ranek stellte den Becher auf den Altar.Alle Anwärter konnten den Inhalt darin brodeln sehen wie eineTeufelsbrühe. Der Wolfpriester sah sie alle an, dann griff er inseinen Beutel und holte eine Hand voll Holzspäne heraus.

»Jeder von euch muss trinken. Ihr werdet nicht gefragt, obihr euch freiwillig meldet. Das wäre sinnlos. Wir lassen Russüber die Reihenfolge entscheiden. Ich halte hier eine Reihe vonHolzspänen in der Hand. In jeden Holzspan ist eine bestimmteAnzahl von Kerben geritzt. Jeder von euch zieht einen Span.Beginnend mit demjenigen, der die höchste Anzahl von Kerbenhat, werdet ihr trinken. Ihr werdet der Reihe nach vortreten, vordem Altar niederknien und einen Schluck vom heiligen Metaus dem Kelch trinken, ist das klar?«

Alle von ihnen bellten ihr Ja. Jede Stimme hatte einennervösen Unterton, fand Ragnar. Und das war kein Wunder.Jeder von ihnen musste an die Möglichkeit denken, dass er sichin eine reißende Bestie verwandelte. Ranek kam ihnen mitausgestreckten Händen entgegen. Einer nach dem anderenzogen die Anwärter einen Holzspan aus dem Bündel in seinerHand. Ragnar beobachtete ihre Gesichter, um eine Reaktiondarin zu erkennen. Er wurde belohnt, als Strybjörns Miene sichzu einem Ausdruck der Bestürzung verzog. Als Ragnar an dieReihe kam, war seine Hand ruhig, als er die Hand ausstreckte,um seinen Holzspan zu ziehen. Bevor er ihn auch nurbetrachten konnte, hatten seine Finger ihn bereits betastet undnur eine Kerbe entdeckt. Anscheinend würde er als Letztertrinken. Er wusste nicht, ob er sich freuen oder ob er esbedauern sollte.

Ranek sagte ihnen, dass sie die Hände öffnen und sich ihrenSpan ansehen sollten. Er ordnete sie nach der Anzahl derKerben und wandte sich dann dem Altar zu. Ragnar sah, dassStrybjörn ganz vorn stand, gefolgt von Sven und Kjel.Zwischen ihm und seinen Kameraden standen andere. Wie er

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sich gedacht hatte, war er der Letzte.»Der Erste möge zum Altar treten«, sagte Ranek.Strybjörn trat vor. Sein Gesicht war blass, wirkte aber

entschlossen. Er wusste, dass alle Augen auf ihn gerichtetwaren und auf seine Reaktion warteten. Er würde keine Furchtzeigen. Hass rang in Ragnar mit Bewunderung für den Mut desGrimmschädels, als ihm dessen fester Schritt auffiel. Strybjörnkniete vor dem Altar nieder und erhob sich dann stolz, um denWolfenkelch mit fester Hand zu ergreifen. Er hob ihn an dieLippen, warf den Kopf in den Nacken und trank. Ranek mussteeingreifen und den Becher herunterziehen, um ihn daran zuhindern, ihn zu leeren.

Strybjörn stand einen Augenblick da. Sie alle sahen mitangehaltenem Atem zu, was geschehen würde. Ragnar konnteseinen Herzschlag hören und den Schweif auf seinenHandflächen spüren, während er wartete. Er war bereit,vorzuspringen und Strybjörn mit bloßer Händenniederzuschlagen, falls sich bei ihm auch nur das geringsteAnzeichen einer Veränderung zeigte. Er bezweifelte, dass erdie Zeit haben würde, etwas vor Ranek zu unternehmen, aberer würde es wenigstens versuchen.

Augenblicke verstrichen. Nichts geschah. Ranek bedeuteteStrybjörn, wieder in die Reihe zu treten, und der Grimmschädelwich zurück. Sven war der Nächste Seine Bewegungen wareneckig. Er hielt das Kinn hoch.

Als er niederzuknien vergaß, half Ranek mit einem Schlagnach. Sven schüttelte den Kopf, grinste den Wolfpriester ohneBosheit an und erhob sich, um aus dem Kelch zu trinken. Alser fertig war, schmatzte er sogar mit den Lippen und brachteein Rülpsen zustande. Zu Ragnars Überraschung schlug Ranekihn nicht noch einmal. Vielmehr lachte er nur und sagte zuSven, er möge sich entfernen. Wiederum fand keineVerwandlung statt. Kjel trat vor. Er sah blass und erschüttert

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aus, aber er nahm den Kelch und trank. Er verzog das Gesicht,als er seinen Teil getrunken hatte, und sah aus, als wolle erausspeien, aber irgendwie brachte er alles hinunter, um dannebenfalls zurückzuweichen. Keine Verwandlung überkam ihn.

Einer nach dem anderen traten die Anwärter vor. Einer nachdem anderen tranken sie. Keiner von ihnen verwandelte sich inein Ungeheuer. Dann, allzu rasch, war die Reihe an Ragnar. Ermarschierte vorwärts und spürte die Blicke der anderen imRücken. Jetzt beobachteten ihn alle und fragten sich, ob erwohl derjenige sein würde, der scheiterte. Sie hatten allebestanden. Sie waren in Sicherheit. Er nicht.

Er ging steten Schrittes zum Altar. Er kniete davor nieder,richtete ein lautloses Gebet an Russ und erhob sich dann, umden Wolfenkelch aus Raneks Händen entgegenzunehmen. Erwar schwerer, als er erwartet hatte. Das Metall war kühl, undseine Hände kribbelten bei der Berührung. Ja, hier war in derTat Magie im Spiel, dachte er. Er hob das Gefäß an die Lippenund hielt einen Augenblick inne. Die Warnung, die man ihm anMorkais Tor mit auf den Weg gegeben hatte, ging ihm durchden Kopf. Stellte sein Hass auf Strybjörn den Makel dar, derdie Bestie in ihm entfesseln würde?

Ein vorübergehender Drang, den Kelch fallen zu lassen,überkam ihn, als habe er sich in seinen Händen in eineGiftschlange verwandelt. Wenn die Flüssigkeit verschüttetwurde, brauchte er sie nicht zu trinken. Dann konnte aus ihmkein Ungeheuer werden. Hatten die anderen auch soempfunden? Waren sie versucht gewesen, den Kelchwegzuwerfen? Hatten sie über ihre Fehler nachgedacht, bevorsie tranken? Er wappnete sich. Er würde sich jetzt nichtentehren. Keiner der anderen hatte es getan, und er würde denDonnerfäusten keine Schande bereiten. Er war der Letzte vonihnen. Wenn es seine Bestimmung war, sich in eine grässlicheBestie zu verwandeln, dann sollte es so sein. Er würde sichdem Verhängnis, welches das Schicksal für ihn bereithielt, wie

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ein Krieger stellen.Er hob den Becher an die Lippen und trank. Dem Geruch

nach hatte er damit gerechnet, dass das Gebräu widerlichschmecken würde. Dem war nicht so. Tatsächlich konnte er garkeinen Geschmack ausmachen. Seine Zunge kribbelte, und seinGaumen wurde taub. Seine Kehle fühlte sich an, als habe ereinen Kübel eiskaltes Wasser getrunken. Er trank und trank, biser spürte, wie der Wolfpriester ihm den Kelch sanft aus denHänden wand.

Jetzt kribbelte seine Haut. Sein ganzer Körper fühlte sichkalt an. War es das?, fragte er sich. War dies das Vorspiel fürseine Verwandlung in eine Bestie? Würde er sich jedenAugenblick in ein Ungeheuer verwandeln und erschlagenwerden? Er schaute auf und blickte in Raneks Augen. Erkonnte dort nichts entdecken. Kein Mitgefühl, kein Entsetzen,keine Beunruhigung. Er fühlte sich ein wenig schwindlig, undes kam ihm so vor, als verlasse ihn alle Kraft. Er konnte seinenHerzschlag jetzt so laut wie Donnerhall hören und war sicher,jeden Augenblick zu spüren, wie seine Muskeln sichverdrehten und zerrissen, wenn die Verwandlung über ihn kam.

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DER GEIST DER BESTIE

Es war wieder der Traum. Er lief durch einen dunklen Gangin einem endlosen Labyrinth unter einem gewaltigen Berg.Hinter ihm schloss die Bestie auf. Sie war groß und wild, undwenn sie ihn einholte, würde sie ihn verschlingen. Seine Füßewaren wie Blei. Der Boden klebte an seinen Sohlen wie Teerund verlangsamte ihn, behinderte seinen Verfolger aber nichtim Geringsten. Das Heulen der Bestie hallte durch die düsterenGänge. Ihr Atem brannte heiß in seinem Nacken. Ihrwiderlicher Geifer tropfte auf seine Haut, und als er sich zu ihrumdrehte, hatte sie sein Gesicht, doch schrecklich entstellt, wieer gewusst hatte, dass er sich verändern würde. Er hob dieHände, um sich zu schützen, doch es war sinnlos. Die Bestiestreckte ihre riesigen Krallen nach ihm aus. Sie bohrten sich inseine Haut, und er fing an zu bluten. Die Schmerzen waren wierotglühende Eisen in seiner Hüfte. Er erwachte, den Mund weitaufgerissen, und schaffte es gerade noch, nicht laut zu schreien.

Einen Moment sah er einen der ektoplasmischenWolfgeister, die beim Passieren von Morkais Tor in ihneingedrungen waren, gerade außer Reichweite schweben. Alser atmete, schimmerte der Geist und verschwand, da er beimEinatmen offenbar wieder von ihm eingesogen wurde. EinTraumgespinst, sagte sich Ragnar. Nur ein Streich, den ihmsein fiebriges Hirn spielte.

Sein ganzer Körper schmerzte. Er hatte das Gefühl, auf eineStreckbank geschnallt worden zu sein. Sein Kopf tat weh. SeinZahnfleisch blutete. Seine Hände brannten. Ihm warabwechselnd zu heiß und dann wieder zu kalt. Auf seiner Hautbildeten sich grundlos Schweißperlen. Das Denken fiel ihmschwer. Seine Gedanken waren zäh wie Melasse. Und dieSchmerzen erschwerten das Denken noch mehr. Er war taub.

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Fror. Hatte kein Gefühl mehr.Ragnar starrte staunend auf seine Hände, wobei er blinzelte,

um besser sehen zu können. Seine Hand sah anders aus. Siewar breiter und flacher. Die Muskeln waren stärker ausgeprägt.Die Nägel waren dicker und spitzer. Tatsächlich sah die ganzeWelt anders aus. Seine Augen tränten wieder. Zumindest wardas besser als der sengende Schmerz, wenn er manchmal dasGefühl hatte, als habe ihm jemand eine heiße Nadel ins Augegestochen. Er schnupperte. Da war wieder dieser seltsameGeruch. Was war es? Er schüttelte den Kopf. Er hatte keineAhnung. Seit einer Woche stürzte eine Flut von Gerüchen aufihn ein, die so stark waren, dass sie ihn zu überwältigendrohten.

Die glatten Laken unter ihm klebten an seiner Haut. Erschälte sie förmlich ab. Die Reibung der sich von dem Leinenlösenden Haut fühlte sich an, als bearbeite ihn jemand mit einerFeile. Er war viel zu empfindlich. Irgendwo in weiter Fernekonnte er jemand murmeln hören. In der Zelle nebenan hörte erSven atmen. Das Geräusch war entsetzlich, als bearbeitejemand einen Blasebalg. Er schüttelte noch einmal den Kopfund wartete darauf, dass die Sinneseindrücke nachließen.

Das taten sie nicht. Was ihn nicht überraschte. Manchmaltaten sie es. Manchmal eben nicht. Eigentlich taten sie esmeistens nicht. Manchmal glaubte er, dass es nicht dieEmpfindungen waren, die nachließen, sondern dass seineFähigkeit, sie zu ertragen, zunahm. Aber er war sich dessennicht sicher. Er war sich gar nichts mehr sicher. Er wareigentlich nur noch krank. Ihm war übel, aber gleichzeitig hatteer auch Hunger. Es war eine fast unerträgliche Qual.

Wilde Wut durchzuckte ihn. Er biss sich auf die Innenseiteseiner Wangen, bis der salzige Geschmack von Blut seineLippen benetzte. Er hämmerte in blinder Wut gegen die Wand,bis Blut floss. Die Schmerzen waren für seine verschärftenSinne fast unerträglich, aber auf eine seltsame Art halfen sie

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ihm auch dabei, sich zu beruhigen und ihn zur Vernunft zubringen.

Er rieb die dehnbaren, miteinander verflochtenen Glieder desMetallreifs an seinem Arm und hielt inne, als seine Finger dieMetallscheibe berührten, die mit seiner Rune beschriftet war.Das hatten die Eisenpriester getan, nachdem er aus demWolfenkelch getrunken hatte. Jeder Anwärter erhielt eine. Siehatten nichts Magisches an sich, soweit er das sagen konnte,obwohl eine Rune eingraviert war. Jeder Anwärter hatte eineandere Rune. Er und Kjel und die anderen hatten sieverglichen. Die Rune auf Ragnars Armband sah aus wie dasBild eines Mannes mit zwei Wellenlinien darüber. Die Linienmochten Wolken andeuten oder auch überhaupt nichts. KjelsRune zeigte einen stilisierten Falken. Wenn man bedachte, dasssie dadurch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem doppelköpfigenAdler-Emblem aufwies, dem man hier überall begegnete,konnte man dies als gutes Zeichen betrachten.

Ständig verschwammen seine Gedanken. Denk nach, sagteer sich. Erinnere dich! Du heißt Ragnar. Du bist der Letzte derDonnerfäuste. Du bist ein menschliches Wesen, keine geistloseBestie. Du bist nicht krank. Du verwandelst dich. Du trägstRuss' Zeichen in dir. Er betrachtete wieder seine Hände. Ja.Der Handrücken wies eindeutig mehr Haare auf als am Tagzuvor. Auch auf der Brust waren mehr Haare und an seinemganzen Körper. Er erhob sich schwankend und kämpfte gegendas jäh einsetzende Schwindelgefühl an. Einen Moment stander da, schwach und zitternd, und dann war das Schwächegefühlebenso schnell vorbei, wie es gekommen war, und er fühltesich stark, unglaublich stark, stark genug, um Stahl zuzerreißen und durch massives Gestein zu brechen. Er rannteaus seiner Kammer und durch den Gang, da er entschlossenwar, etwas zu essen zu finden, um den Hunger zu stillen, der inseinen Bauch wütete.

In den Gängen war es angenehm dunkel. Es spielt keine

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Rolle. Seine Augen konnten jetzt besser im Dunkeln sehen alsfrüher. Er brauchte sie ohnehin nicht, nur das Essen zu finden.Er konnte es riechen. Er konnte das rohe frische Fleischriechen, obwohl es Hunderte vor Schritten entfernt war. Er liefweiter und an den Zellen vorbei, in denen die anderen lagen.Keiner von ihnen sah besser aus als er. Eigentlich sahen vielevon ihnen sogar schlimmer aus. Aber jeder sah anders aus.

Als er an Kjels Zelle vorüberging, sah er den Falkner dortliegen. Seine Augen waren offen, und sie reflektierten dasmatte Licht wie die eines Hundes oder Wolfs. Sie wurden wiedie Augen von Ranek und Hakon und all den anderen, die siehier im Fang gesehen hatten. Ragnar nahm an, dass seine nichtanders aussahen. Kjel sah massiger und muskulöser aus. Erschien wie Unkraut zu wachsen und Muskelmasse zuzulegen.Das war bei ihnen allen so. Der Teil von Ragnars Verstand dernoch funktionierte, fragte sich, ob dies einer der Gründe war,warum die Welt so anders aussah. Er war in den letzten Tagenso stark gewachsen, dass seine Augen sich höher über demBoden befanden. Seine ganze Perspektive hatte sich verändert.Das war eine Quelle des Staunens für ihn.

Einem anderen Teil von ihm war dies völlig egal. Dieser Teilwollte nur Fleisch. Er wollte seinen Hunger stillen und dannseinen Durst, und dann wollte er sich auf den Boden legen undschlafen. Und er war bereit, alles zu töten, was ihn daranhindern wollte. Der Teil Ragnars, der noch ein Mensch war,wollte schaudern. Er wusste, dass die Bestie in ihm stärker undmanchmal sogar so stark wurde, dass sie sein Bewusstseinunterdrückte und ihm jeden vernünftigen Gedanken austrieb.Er versuchte dagegen anzukämpfen, denn für den Wolfgeistwürde es umso leichter sein, wieder die Herrschaft zuübernehmen, je öfter dies geschah. Schließlich würde erdauerhaft die Herrschaft übernehmen, und dann würde es sosein, als sei Ragnar gestorben, denn als Mensch würde es ihnnicht mehr geben.

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Er zwang sich zu denken. Es war so, als habe er jetzt zweiSeelen, eine menschliche und eine tierische. Nein, es war mehrso, als sei seine Seele zweigeteilt, ein Teil Tier, ein TeilMensch, und als rängen die Teile um die Herrschaft. Er wusstejetzt, dass ihr Triumphgefühl verfrüht gewesen war, als sichkeiner von ihnen veränderte, nachdem sie aus demWolfenkelch getrunken hatten. Die Verwandlung erfolgte nichtso wie in der Geschichte, die Ranek ihnen erzählt hatte. Sieerfolgte nicht augenblicklich. Sie ging langsamer voran,subtiler. Es hatte Tage gedauert, bis die Bestie aus demSchatten getreten war und sich ihre inneren Veränderungenauch äußerlich zu manifestieren begannen. Sie hatten alle vielzu früh geglaubt, sie hätten gewonnen. Ranek und die anderen,die beiden Eisenpriester, wie er sie nannte, hatten es bessergewusst.

Ragnar erinnerte sich daran, wie er durch die Gänge desFangs in seine Zelle geführt worden war. Zuerst war es ihmseltsam vorgekommen, dass der gesamte Abschnitt mitvergitterten Metalltüren abgeriegelt war. Es sah aus wie einGefängnis und nicht wie ein Aufenthaltsort für Anwärter, diegerade einen Eignungstest bestanden hatten, und genau das wares - ein Block mit sicheren Gefängniszellen. Man hatte sie indiesen düsteren Kammern eingesperrt, um dort dieVerwandlung über sich ergehen zu lassen und, wie es schien,wahnsinnig zu werden. Zuerst war ihnen gar nicht klargewesen, was vorging. Dann hatten sie sich krank gefühlt.Dann waren die Kämpfe ausgebrochen; sie waren aggressivund hungrig geworden, und das Sehnen nach Fleisch hatte sieübermannt.

Ragnar schüttelte den Kopf, als ihn eine Woge raubtierhafterWut durchzuckte. Der bloße Gedanke daran, dass jemandversuchen mochte, ihn daran zu hindern, sich sein Essen zuholen, erfüllte ihn mit Zorn. Sollten sie es versuchen, dachte er.Er würde ihnen mit bloßen Händen das Fleisch von den

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Knochen reißen und es verschlingen. Hör auf damit, sagte ersich, so benimmt sich kein Mensch. So benimmt sich keinKrieger. Ein Krieger hat Stolz. Ein Krieger hat Beherrschung.Irgendwo tief in ihm heulte die Bestie höhnisch auf.

Er gelangte in den Bereich, wo das Essen lag. Der blutigeKadaver eines großen Hirschs war auf die kalten Steinfliesengeworfen worden. Er hatte Glück. Von den anderen war nochkeiner erwacht. Nein. Augenblick! Was war das?

Ragnar hörte plötzlich das Geräusch bloßer Füße hinter sich.Nacktes Fleisch klatschte auf die Fliesen. Als er sich umdrehte,sah er Strybjörn heranstürmen. Mit seinem vor Hass undHunger verzerrten Gesicht sah Strybjörn ganz anders aus alsder Jugendliche, den Ragnar aus Russvik kannte. Seine Zügewaren breiter, harscher und sogar noch brutaler. Seine Augenblickten irr. Seine Nase war größer, die Nasenlöcher breiter. Erwar größer, breitschultriger und muskulöser und verfügte überdie geschmeidige Kraft eines erwachsenen Kriegers.

»Meins«, kreischte er und warf sich vorwärts, die Fingerausgestreckt und die Nägel wie Krallen gekrümmt. Einenwinzigen Augenblick stand Ragnar wie erstarrt da. Der nochmenschliche Teil in ihm war entsetzt. Hätten Dämonen Besitzvon dem Grimmschädel ergriffen, hätte das Ergebnis nichtfurchtbarer sein können. In sein Gesicht war ein bestialischerAusdruck gemeißelt, der grässlich anzusehen war. Seine Augenfunkelten vor Wut. In diesem Augenblick sah er so aus, alshabe er die Absicht, Ragnar zu töten. Einem Teil Ragnarsmachte dies nichts aus. Ein Teil von ihm begrüßte es. Jetzt wardie Gelegenheit da, endgültige Rache an seinem Feind zunehmen.

Im letzten Augenblick sprang Ragnar zur Seite. StrybjörnsNägel kratzten seine Rippen an, so dass Blut floss. Der salzigeGeruch drang ihm in die Nase, und irgendwo tief in ihm rührtesich die Bestie. Plötzlich war er wieder wütend, von Ärger undeinem schwarzen, brütenden Zorn erfüllt. Alle bewussten

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Gedanken verblassten und wichen dem Verlangen, zu reißenund zu fetzen. Animalische Grausamkeit durchflutete seinHirn. Es schien, als werde sein Verstand untergehen wie einDrachenschiff, das bei stürmischer See kenterte.

Er wehrte sich, versuchte die Welle animalischer Gefühle inSchach zu halten, denn neben seiner animalischen Schläue undWildheit würde er auch seine Intelligenz brauchen, um denbevorstehenden Kampf zu überleben. Strybjörn sprang erneut.Diesmal duckte Ragnar sich und ließ Strybjörn über sichhinwegfliegen. Im passenden Moment richtete Ragnar sichwieder auf, packte den Grimmschädel und schleuderte ihn zuBoden. Strybjörn flog davon. Ragnar drehte sich um und sahgerade noch, wie er unglücklich landete, sich aber dennochabrollte, um die Wucht des Sturzes abzufangen, und sich dannwieder erhob.

Ein Teil Ragnars war sich der Tatsache bewusst, dass einervon ihnen beiden sterben oder wenigstens schwer verwundetwürde, wenn dieser Kampf bis zum Ende ausgetragen wurde.Die Bestie in ihm heulte und geiferte. Ihr war das egal. Siewollte nur kämpfen. Töten oder getötet werden, und wenn sieüberlebte, fressen. Und ein Teil des menschlichen Ragnarswollte unbedingt dasselbe.

Ragnar ging auf, dass er diesen Kampf auf mehreren Ebenenausfocht, nicht nur mit Strybjörn, sondern auch mit sich selbst,mit dem Ding, das in ihm lauerte. Wenn er der Bestie nachgab,wurde sie nur noch stärker, und das würde am Ende zu einerVernichtung führen, die ebenso unvermeidlich war wie alles,was Strybjörn ihm antun konnte.

Der Grimmschädel ging zum Angriff über. Mit flinkenSchritten und offenem Mund kam er näher, die Zähne zu einemwiderlichen Grinsen gebleckt, das seine gewachsenenEckzähne enthüllte. In diesem Augenblick sah er wahrhaftigdämonisch aus. Er schlug zu, die Finger gestreckt, die Nägel zuKrallen gekrümmt, um zu kratzen und zu zerreißen. Wieder

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floss Blut. Ragnar stellte fest, dass er nicht nur gegen dieSchmerzen ankämpfte, sondern auch gegen dieunwiderstehliche Flut des Zorns und des Hasses, die ihndrängte, vorzuspringen und die Zähne in Strybjörns Hals zuvergraben. Die Warnung, die Ranek ihm nach Morkais Tor mitauf den Weg gegeben hatte, ging ihm durch den Kopf. Ererkannte jetzt, dass sein Hass in der Tat eine Schwäche war,die der Bestie in ihm gestatten würde, sein menschliches Selbstzu überwältigen. Jetzt nachzugeben würde nur zur Zerstörungseiner Seele führen. Seine Rache war nicht den Verlust seinerPersönlichkeit wert. Er würde warten und später Rachenehmen.

Anstatt in bestialischer Raserei anzugreifen, ballte er dieHand zur Faust, schlug zu und erwischte Strybjörn mit seinemHieb genau über dem Herzen. Als der Grimmschädelzurücktaumelte, schlug Ragnar noch einmal zu. Seine Fausttraf ihn so hart unter dem Kinn, dass Strybjörn ein wenighochgehoben wurde, bevor er bewusstlos zu Boden ging.Ragnar kämpfte den Drang nieder, sich auf seinen reglosdaliegenden Feind zu werfen, zu reißen und zu fetzen, um ihnzu töten und zu verschlingen. In diesem Augenblick hatte erdas Gefühl, als schwanke seine Seele am Rande eines tiefenAbgrunds, in den sie fallen würde, um nie wieder in die Weltder Menschen zurückzukehren.

Wenn er diesem Drang nachgab, würde er seinMenschentum verlieren, endgültig und für immer. DasVerzehren von Menschenfleisch war eines der stärksten Tabusseines Volkes, und wenn er es brach, würde er sich seinerselbst schämen, was Ragnar die Bestie stärker und Ragnar denMenschen schwächer machen würde. Das durfte nichtgeschehen. Und doch wollte ein Teil von ihm es trotzdem tun,wollte nachgeben, wollte sich der beständigen schweren Lastdes bewussten Denkens entledigen und weniger als ein Menschund doch mehr als ein Tier werden. Er wusste, dass ein

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Verräter in ihm lauerte, der einfach nur nachgeben und dieseneinseitigen Kampf beenden wollte, um eine Welt zu betreten,in der alles einfach und grundlegend war und in der es keineNotwendigkeit für Vernunft, Nachdenken und Ehre gab. EinTeil von ihm wollte dem verbotenen Drang nachgeben undMenschenblut trinken. Und schlimmer noch, ihm ging auf, dassdieses finstere Ding schon immer dagewesen war und nurdarauf gewartet hatte, dass das Gebräu im Wolfenkelch es zumVorschein brachte und stark machte. Jetzt war Ragnar nichtmehr sicher, ob er es daran hindern konnte, ihn zu verzehren.

Für vielleicht ein Dutzend Herzschläge stand er da, im Kriegmit sich, und rang um Beherrschung. Der Kampf war ebensorasch, heftig und tödlich wie derjenige, den er gerade mitStrybjörn ausgetragen hatte, und er wusste, dass dessenAusgang ebenso bedeutsam war. Er rang um die Herrschaft,suchte einen Weg, der Bestie Fesseln anzulegen. Er zwang sichdazu, sich an all die unerledigten Dinge zu erinnern, dieunerledigt bleiben würden, wenn er der Bestie nachgab. Erwürde niemals die Geheimnisse der Space Wolves erfahren. Erwürde niemals ihre Magie verstehen. Langsam, Atemzug fürAtemzug, beruhigte er sich. Sein Herz hörte auf zu rasen. Esgelang ihm, den Blick auf das Essen zu richten, das der äußereAnlass für den Streit mit Strybjörn gewesen war.

Er griff zu und riss mit den Fingern ein großes Stückblutigen Fleisches ab. Er stopfte es sich in den Mund! undkaute das kalte, rohe Fleisch hungrig. Er schluckte rasch undschlang noch mehr hinunter, da er entschlossen war, sich zusättigen, bevor irgendjemand ihn daran hindern konnte. Er bissund kaute, bis sein Hunger gestillt war, und erst da hielt wiederso etwas wie Vernunft Einzug in ihm.

Er ging zur Tränke, wo kaltes Wasser in einen steinernenTrog lief. Irgendeine Magie bewirkte, dass er nie überlief.Wenn der Trog voll war, hörte das Wasser auf zu fließen. Ersenkte den Kopf, um zu trinken, und erstarrte, als er sein

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Spiegelbild erblickte. Er sah sich selbst, und es war keinberuhigender Anblick. Sein Haar , war zerzaust. Seine Augenleuchteten seltsam. Blut war « aus seinen Mundwinkelngelaufen und hatte Hände und Kleidung befleckt. Sein Gesichtwar hager wie das eine« Wahnsinnigen. Er öffnete den Mund.Seine Zähne waren länger und spitzer geworden. Die Eckzähnebekamen immer größere Ähnlichkeit mit Reißzähnen. Er sahmonströs und raubtierhaft aus. So muss ein Wolfen aussehendachte er, wenn er aus seinem Bau kommt, um zu fressen.Rasch ließ er die Hände sinken und wölbte sie, um Wasserdarin zu schöpfen. Er sagte sich, dass er es tat weil er Dursthatte. In seinem tiefsten Innern wusste Ragnar jedoch, dass dereigentliche Grund der war, das Wasser aufzuwühlen, sodasssein Spiegelbild unkenntlich wurde.

***

Ragnar fühlte sich jetzt ruhiger. Er hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war. Zuerst hatte er versucht, mit Kratzernin der Zellenwand festzuhalten, wie viele Tage vergangenwaren, oder wenigstens wie oft das Licht trüber und wiederheller geworden war. Er wusste, dass das nicht immerfunktioniert hatte. Es hatte lange Zeiträume gegeben, die er imDelirium oder in bestialischer Raserei verbracht hatte.

Er stand auf und ging zur Fütterungsgrube, denn so dachte ermittlerweile darüber. Er war immer noch hungrig, verspürteaber nicht mehr jenen allesverzehrenden brennendenHeißhunger, der gedroht hatte, seine Seele zu verschlingen. DieBestie war noch da, aber er hatte sie jetzt durchschaut. Sie warein Teil von ihm, doch er hatte sie unter Kontrolle. Seine Sinnewaren nicht mehr so scharf, dass es schmerzte. Er wusste, dasssie weit besser waren als je zuvor, aber er hatte sich an siegewöhnt. Er konnte die Informationen, die sie ihm

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übermittelten, durchgehen und verstehen. In gewisser Weisewar dies kaum weniger als ein Wunder. Er konnte im Dunkelnsehen, Leute anhand ihres Geruchs verfolgen und eine Federfallen hören.

Und er fühlte sich schneller und stärker als je zuvor. Erbezweifelte nicht, dass die meisten normalen Leute sich für ihnjetzt wie Schnecken bewegten, falls es je zum Kampf mit ihnenkam. Er war auch breiter. Er konnte die große Steinbank inseiner Zelle hochheben, eine Leistung, bei der er sich inRussvik das Kreuz gebrochen hätte. Er hatte das Gefühl,Meilen laufen zu können, ohne zu ermüden, und er war sicher,dass er viel zäher und gesünder war. Er hatte sich in seinemganzen Leben noch nie besser gefühlt.

Nicht alle hatten so viel Glück gehabt. Er wand sichinnerlich, wenn er sich an einige der Dinge erinnerte, die sichereignet hatten. Sie waren wie vage Szenen aus einementsetzlichen Albtraum. Einige der Anwärter waren verrücktgeworden. Er wusste noch, wie Blarak gegen eine Wandgelaufen war und sich den Schädel eingeschlagen hatte, unddann hatte ein anderer versucht, das herausgespritzte Gehirn zuessen. Er war nur froh, dass nicht er es gewesen war. Es wäreleicht möglich gewesen, als ihn der Wahnsinn überkommenhatte. Er schauderte, als er sich fragte, ob wahrhaftig allesvorbei war, ob er tatsächlich wieder sein eigener Herr war oderder Wahnsinn nur vorübergehend nachgelassen hatte. In derFütterungsgrube, das wusste er, erwartete ihn frisches rohesFleisch.

***

Die Eisenpriester zogen Ragnar aus dem Sensorsarg. Daswar auch gut so, dachte er. Er wusste nicht, ob er es nochlänger ausgehalten hätte. Die Metallwände, die ihn in ihrem

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kalten Griff hatten, die Drähte der Sensorsonden, die sich wieSchlangen über seine Haut wanden, die merkwürdigenEmpfindungsstöße, als die Priester ihre magischen Maschinenbeschworen, all das hatte sich verschworen, um ihn in denWahnsinn zu treiben. War er Stunden, Tage oder vielleichtsogar Jahre in diesem kalten Grab eingekerkert gewesen? Erkonnte es nicht sagen. Die Bestie in ihm hatte geheult undgetobt, da sie die Gefangenschaft nicht ertragen konnte, siehatte unbedingt entkommen wollen, und zur Abwechslung warRagnar einmal völlig einer Meinung mit ihr gewesen.

Er wusste jetzt, dass dies einem Zweck diente, dass dieEisenpriester ihn testeten, da sie sehen wollten, wie seinKörper sich den Veränderungen anpasste, und sie ihnuntersuchten, um festzustellen, ob etwas schiefgegangen war.Die Blutproben, die sie ihm mit ihren Messingnadelnentnahmen, wurden irgendwohin geschickt, wo sie mit uraltenMaschinen analysiert wurden, und die Reflextests, die sie mitihren gebändigten Blitzschlägen anstellten, wurden von denPriestern sorgfältig begutachtet. Dennoch, das Wissen, dassdiese Härten, diese Tests, zu seinem Besten waren, trug nichtim Geringsten dazu bei, das Gefühl irrsinniger Klaustrophobiezu mildern, das Ragnar erlebte, da er meinte, von der Engezerquetscht zu werden, und er im Geiste nach den weitenoffenen Räumen der Außenwelt schrie.

Und natürlich, dachte er verdrossen, würde ihm letztenEndes all das nichts nützen. Ihre Magie mochte den Priesterneine Prognose ermöglichen, was mit ihm geschehen würde.Allem Anschein nach konnten sie erkennen, wer demWahnsinn verfallen, wer mutieren und wer sich in einenWolfen verwandeln würde, sobald die Verwandlung einmalbegonnen hatte. Sie würden nur nichts deswegen unternehmen.Es schien ihnen zu reichen, diesen Dingen ihren Lauf zu lassenund die Resultate in ihre großen, muffigen ledergebundenenBücher einzutragen. Sie schienen der Ansicht zu sein, dass es

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noch reichlich Anwärter gab, aus deren Reihen man auswählenkonnte, und wenn ein einzelner scheiterte, tja, dann war eseben der Wille der Götter.

Er schüttelte den Kopf und sah sich in der Kammer um. Siewar riesig und wurde vom flackernden Schein der altenLeuchtkugeln erhellt. Überall summten und surrten mächtigeMaschinen. Sie schienen unvorstellbar alt zu sein und warenzum Teil verrostet. Gewaltige Bündel von Drähten, die mitKupferschlingen umwickelt und mit altersgrauen Runenbeschriftet waren, liefen von Maschine zu Maschine undverbanden sie mit den massiven Steueraltären, hinter denen dieEisenpriester saßen und beteten und die merkwürdigenelektrischen Geister riefen, die sie anbeteten. Es roch nachOzon, Öl und den Salben, mit denen die Maschinen geputztwurden. Lichtkreise spielten um die aktiven Maschinen, wasdie Anwesenheit der beschworenen Geister anzeigte. Vonseinem Platz aus konnte Ragnar Strybjörn sehen, der in einengewaltigen Kupferkreis geschnallt war. Seine Arme und Beinewaren weit gespreizt. Der Kreis schwebte in einem anderenKreis und drehte sich erst nach links, dann nach rechts, dannaufwärts, so dass Strybjörn verkehrt herum stand, und dannwieder in die Ausgangsposition. Dabei bildete sich in der Luftneben der Maschine ein Bild. Es hatte ungefähr dieselbe Größewie Strybjörn und hatte auch seine Umrisse, die mitleuchtenden Lichtlinien nachgezeichnet wurden. An manchenStellen, hauptsächlich um Kopf und Brust, hatten die Linieneine kräftige rote Farbe. An den meisten anderen Stellen warensie grün oder gelb. Ragnar vermutete, dass die verschiedenenFarben erkennen ließen, wo die meisten Veränderungen imKörper des Anwärters stattfanden, aber wie bei allen neuenDingen, die er hier erlebte, wusste er es nicht mit Sicherheit.Nach einem Augenblick des Zögerns kam Ragnar zu demSchluss, dass es nur eine Möglichkeit gab, es herauszufinden.

»Was bedeuten die Linien an dieser leuchtenden Figur?«,

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fragte er, indem er in Strybjörns Richtung zeigte. DerEisenpriester drehte sich zu ihm um. Seine Züge waren hinterder ausdruckslosen Metallmaske verborgen. Er betastete eineder Runen, welche in die Eisenbarren um seinen Halseingraviert waren, und starrte Ragnar an, als überlege er, ob ereines der geheimen Mysterien seines Ordens enthüllen sollte.Ragnar erkannte überrascht, dass die Rune einer derjenigenentsprach, welche in die Seiten des Eisentempels auf den Inselndes Feuers eingemeißelt waren. Gab es eine Verbindungzwischen den beiden Orden?, fragte er sich.

»Die roten Bereiche im Holoschatten weisen auf jene Stellenim Körper des Anwärters hin, wo noch große Veränderungenseiner Körperchemie stattfinden. Die gelben Bereiche sinddiejenigen, welche sich gerade stabilisieren oder zu verwandelnbeginnen. Die grünen Bereiche sind stabil.«

Ragnar hatte keine Ahnung, was das Wort »Chemie«bedeutete, aber er sah, dass sein erster Eindruck richtiggewesen war. Er war erstaunt, dass der Priester ihm daserzählte. Früher waren die Diener Russ' schweigsam undgereizt gewesen, doch nun veränderten sie sichmöglicherweise. Dieser schien ihn immer noch nicht alsgleichberechtigt zu akzeptieren, aber zumindest betrachtete erihn anscheinend als jemanden mit geringen Verdiensten. EineWoge der Erregung durchzuckte Ragnar. Vielleicht konnte erjetzt erkennen, wie Strybjörns Verwandlung ablief und obseine Omen günstig waren. Oder vielleicht war es auch besser,nichts dergleichen in Erfahrung zu bringen, unwissend intobender Bestialität zu versinken, falls dies sein Schicksal war.Er beschloss festzustellen, ob er es herausfinden konnte.

Der Eisenpriester dachte lange über seine Frage nach, bevorer mit seiner trägen, kalten Stimme antwortete. Diesmal warRagnar ziemlich sicher, den Akzent der Insel des Feuers ausder Stimme des Mannes herauszuhören.

»Deine Verwandlung schreitet langsam und auf kontrollierte

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Weise voran«, sagte er schließlich.»Ist das schlecht?«, fragte Ragnar, während sich in seinen

Eingeweiden die Besorgnis regte.»Negativ. Normalerweise ist das ein positiver Indikator. Ein

Körper, der sich auf langsame, stetige Weise anpasst, reagiertgewöhnlich günstig auf die genetischen Implantate.Normalerweise prognostizieren wir eine eher bedauerlicheEntartung in der Testperson, wenn die Verwandlung rapide undin unkontrollierten Schüben erfolgt.«

»Also werde ich überleben.«»Das habe ich nicht gesagt. In diesen Auguren liegt immer

Spielraum für Irrtümer. Manchmal sieht ein Anwärtermonatelang gut aus und scheint die Verwandlung erfolgreichzu überstehen, um dann im letzten Augenblick zu scheitern.Manchmal beginnt bei einem Anwärter die Entartung, aber ererholt sich wieder. Nichts ist sicher. Alles ist Zufall undunterliegt dem Willen von Russ und den Blutgeistern.«

Ragnar schauderte. Er hätte sich denken können, wie dieAntwort des Priesters ausfallen würde. Allem Anschein nachbestand immer noch die Möglichkeit, dass er scheiterte.

***

Wochen vergingen. Ragnar fühlte sich viel besser. Er fühltesich wie damals als Kind, als er sich vom roten Fieber erholte.Solange er krank gewesen war, hatte es so ausgesehen, alswerde er nie wieder genesen. Jetzt, da er sich erholt hatte, warer zutiefst dankbar für das neue Gefühl von Gesundheit undKraft. Alles sah strahlender und farbenprächtiger aus. Die Luftroch lieblicher. Das Essen schmeckte besser. Das Gefühl desmerkwürdigen Stoffs auf der Haut war keine Qual mehr,sondern ein Vergnügen.

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Natürlich, sagte er sich, war es auch möglich, dass das nichtsdamit zu tun hatte, dass er sich besser fühlte. Es mochteeinfach eine Folge der Veränderungen sein, die durch denTrank aus dem Wolfenkelch herbeigeführt worden waren.Seine Sinne schienen jetzt alle viel schärfer zu sein, und wasKraft und Ausdauer betraf, fühlte er sich besser denn je. DieEisenpriester hatten ihrer Zufriedenheit mit demVoranschreiten seiner Verwandlung Ausdruck verliehen,obgleich es ihnen wie immer gelungen war, auch noch ein paargeheimnisvolle Warnungen auszusprechen.

Ragnar brauchte ihre Warnungen nicht, um das zu erkennen.Er spürte, dass die Bestie immer noch in ihm lauerte, obwohl ersich, um die Wahrheit zu sagen, von Tag zu Tag wohler mitihrer Anwesenheit fühlte. Sie war jetzt ein Teil von ihm, etwas,das ihm Kraft und Wildheit geben würde, wenn er sich daraufberief, und das ihn in die Lage versetzte, die Informationen zuverstehen, die seine geschärften Sinne lieferten. Er hatte jetztein Gefühl, als sei er teils Mensch und teils Wolf odervielleicht etwas Größeres als eines davon. Ein Blick auf dieanderen Anwärter reichte, um zu erkennen, dass nicht alle soempfanden. Vielleicht fanden sie es schwieriger, sichanzupassen.

Kjel sah gehetzt aus. In seinen Augen stand ein merkwürdigtodgeweihter Ausdruck, und sein Gesicht war hager undangespannt. Seine Blicke irrten ständig hin und her wie beieinem in die Enge getriebenen Tier. Wenn er spürte, dassRagnar ihn ansah, knurrte und geiferte er, als wolle er ihnwarnen. Ragnar fiel auf, dass Kjel überall Haare wuchsen. Siebedeckten seine Handrücken und ragten aus Kragen undÄrmeln seiner Tunika. Auch seine Haltung hatte sichverändert. Sie war vorgebeugt, so dass die Hände tiefherabhingen, und die Finger waren wie Klauen gekrümmt.Ragnar fiel es schwer, den fröhlichen Kjel in dieser verstörtenKreatur wiederzufinden, der er einmal gewesen war. Kjel

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kratzte das Armband an seinem Handgelenk und machte sichhartnäckig daran zu schaffen, bis Blut floss. Er hatte etwas ansich, das Ragnar an einen Wolf erinnerte, dessen Pfote in einerFalle klemmte.

Sven war hingegen äußerlich kaum verändert, vielleicht weiler von Anfang an brutaler ausgesehen hatte. Er grinste Ragnaran, wobei er seine neuen Fänge zeigte, und in seinen Augenfing sich das Licht der Leuchtkugeln und reflektierte es aufunheimliche Weise. Sven war noch breiter und muskulösergeworden. Seine Arme waren jetzt so dick wie RagnarsOberschenkel, und seine Brust war rund wie ein Fass. Ragnarspürte, dass Sven die Verwandlung genoss und sich mit derBestie beinahe ausgesöhnt hatte, die in ihm tobte.

Als er einen brennenden Blick auf sich ruhen spürte, drehteer sich um und sah Strybjörn. Hier war ein Mann, der nicht imGeringsten ausgeglichen war. Der Grimmschädel war soangespannt wie ein Tau im Sturm. Er hatte etwas Wildes ansich, einen wahnsinnigen Zorn, der in seinen Augen Amok lief,und dieses Etwas war auch in seiner Haltung offensichtlich.Strybjörn sah aus, als sei er in jedem Augenblick bereit, bei dergeringsten Provokation zuzuschlagen. Als Ragnar in seinehohlen Augen schaute, war es nur zu leicht für ihn, die Bestiewahrzunehmen, die dort lauerte.

Ragnar fand es immer noch merkwürdig, beinahunangenehm, wie er in der Lage zu sein schien, dieStimmungen der anderen zu spüren und vielleicht einenEindruck von ihren Gedankengängen zu bekommen. Vielleichtwar das eine weitere Auswirkung der Verwandlung. Vielleichtbekamen sie etwas von Wölfen in einem Rudel und konnteneinander durch andere Mittel als Worte und Gesten verstehen.Vielleicht entnahm er der Haltung und Witterung der anderenAnwärter alles Nötige. Das war zumindest ein Teil derErklärung. Ragnar hatte das Gefühl, als könne er ihreStimmung riechen. Kjels Seltsamkeit roch merkwürdig

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stechend. Der Geruch von Strybjörns beherrschter Wuterinnerte ihn an schwelendes Holz, Svens Fröhlichkeit an denGeruch von Ale. Er wusste, dass dies eine unpräzise Art war,die Dinge auch nur sich selbst zu beschreiben, aber ihm fehltendie Worte, um es anders auszudrücken. Seine Sprache hattenichts an sich, was es ihm gestattet hätte seine Vorstellungen inWorte zu kleiden, die Gerüche zu beschreiben oder dieMillionen subtiler Abweichungen in den Gerüchen zuunterscheiden.

Ragnar sah sich die anderen an. Sein Mut sank. So wenigewaren noch übrig. Nils war noch da und ein Fremder namensMikal. Von den anderen war keine Spur zu sehen. Er hattekeine Ahnung, was mit ihnen geschehen war. Irgendwo imFieberwahn der Erinnerungen an seine Verwandlung glaubte erBilder von den Eisenpriestern ausmachen zu können, wie sieeintraten und Anwärter wegbrachten, aus denen schleichendeUngeheuer geworden oder die in kichernden Irrsinn versunkenwaren, aber er war nicht sicher. Solange er lebte, würde er nieganz sicher sein, was in dieser Phase seines Lebens geschehenwar, und in gewisser Weise war er froh darüber. Er war nichtsicher, ob er in dieser Zeit etwas getan hatte, woran er sichlieber nicht erinnern würde.

Die Metalltür glitt auf magische Weise auf. Ranek stand inkompletter mystischer Aufmachung da. Er betrachtete sie einenAugenblick und lächelte grimmig. Seine anschließenden Wortesandten einen Schauder der Furcht durch Ragnars innerstesWesen.

»Ihr seid nicht mehr viele«, sagte Ranek. »Überhaupt nichtmehr viele. Und bald werdet ihr noch weniger sein. Es wirdZeit für die letzte Prüfung.«

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12

DIE LETZTE PRÜFUNG

Ragnar schauderte. Es war kalt, es war dunkel, und er warallein. Er ließ den Blick über die eisige Landschaft und dietitanischen Gipfel schweifen und erkannte, dass er hier ohneWeiteres sterben konnte. Zum ersten Mal seit Monaten war erwirklich und wahrhaftig ganz allein. Im Umkreis Hundertervon Meilen gab es außer ihm niemanden. Der Thunderhawkwurde in der Ferne kleiner und verschwand in den schwerengrauen Wolken in der Richtung des Fangs. Er war als Letzterim Schnee abgesetzt worden. Alle anderen waren ebenfallsweit entfernt irgendwo zwischen den einzelnen Gipfelnausgestiegen. Ragnar war nicht klar gewesen, dass es so vieleAnwärter gab, bis er sie an Bord des Thunderhawk gesehenhatte. Alles in allem hatte er über zwanzig gezählt.Offensichtlich, dachte er, wurden Kandidaten für die SpaceWolves auch von anderen Orten als Russvik eingeflogen und invielen abgesonderten Bereichen des Fangs untergebracht. Erhatte keine Ahnung, warum dies so war, aber es musste so sein.Es war die einzige Erklärung, die ihm einfiel. Rasch tat er denGedanken als unerheblich für seine gegenwärtige Situation ab.Er musste an sein Überleben denken.

Ragnar sah sich in der öden und trostlosen Landschaft um.Gewaltige Felsbrocken waren in das Tal gestürzt undverdeckten die Sicht. Einige der gewaltigen Felsen waren mitFlechten bedeckt, die zeigten, dass zumindest Pflanzen indieser öden Wildnis überleben konnten. Viele der Felsen warenbereits mit Schnee bedeckt. Große Flocken fielen, langsam undleise, aber unaufhörlich. Nachdem er die trostlose Szenerieeinen Augenblick betrachtet hatte, schüttelte Ragnar den Kopf,um seine wirren Gedanken zu klären, nahm einen tiefen Zugvon der kalten Luft und machte sich seine Lage bewusst.

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Er trug lediglich die graue Anwärter-Tunika und denLedergürtel, in dem sein Dolch und die Scheide steckten. Daswar alles. Er hatte keinerlei Proviant bei sich. Nichts anderes,was ihm dabei helfen mochte, in dieser tödlichen Wildnis zuüberleben. Auf den ersten Blick mochte seine Aufgabe einfacherscheinen: Er musste zum Fang zurückkehren und sich denSpace Wolves präsentieren. Wenn er überlebte, würde man ihnin die Reihen der Space Marine aufnehmen. Wenn erscheiterte, würde er sterben. So einfach war das.

Die Dinge standen nicht so schlimm, sagte sich Ragnar. Siehätten schlimmer sein können. Zumindest war seine ausirgendeinem sonderbaren grauen Material gefertigte Anwärter-Tunika geradezu unheimlich warm. Außerdem hatte er seinMesser. Das klang nicht einmal für Ragnar nach viel, da erallein in der Dunkelheit in den Schneewüsten hoch in denBergen Asaheims stand. Aber wenigstens war der Fang leichtzu finden. Er überragte alle anderen Gipfel in dem Gebirge undwar am Horizont zu sehen. Doch kaum hatte er das gedacht, alsein anderer Teil seines Verstands ihm zuflüsterte, dass seinSchicksal besiegelt sei. So vieles konnte schiefgehen. So warmseine Tunika auch war, er bezweifelte, dass sie warm genugsein würde, wenn der Wind kräftig blies und die Temperaturensanken. Und es bestand immer die Möglichkeit, dass er sieunterwegs zerriss. Ragnar fragte sich, ob sie sich auch dannnoch ihre wunderbar wärmenden Eigenschaften bewahrenwürde.

Ja, der Fang war zu sehen, aber aus seiner Zeit in denweitaus weniger hohen Bergen rings um Russvik wussteRagnar, dass sich jederzeit Wolken und kalter Nebel bilden unddie Sicht verringern konnten. Diese Täler waren seinLabyrinth, und wenn der Nebel kam, würde es nur allzu leichtmöglich sein, sich darin zu verirren. Und was würde er inBezug auf Essen unternehmen? Diese Gegend war so öde undkahl wie die Hölle. Er glaubte nicht, dass er hier irgendetwas

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Essbares finden konnte. Und wenn doch, würde es ihnvielleicht ebenso essbar finden.

In diesen Bergen mochten Rudel der großen eisengrauenWölfe unterwegs sein, aber auch Trolle, Nachtgänger undkannibalische Stammeskrieger oder, schlimmer noch, Wolfen.Nicht einmal sein Wissen, wie Wolfen entstanden, ließ ihnseine Furcht vor diesen Ungeheuern abschütteln.

Nun, dachte Ragnar, es blieb immer noch Zeit genug, sichdeswegen Sorgen zu machen, falls er ihnen begegnete. Jetztmachte er sich besser auf den Weg. Vielleicht fand er eineHöhle, bevor es richtig dunkel wurde.

***

Voraus war ein verkrüppelter Baum. Das forsche Gewächsermunterte Ragnar seltsamerweise. Es war klein undverkümmert, aber zumindest wuchs es und klammerte sich mitseinen Wurzeln an den Berghang. Es trotzte dem Berg undzeigte, dass Lebendiges hier überleben und gedeihen konnte.Mehr noch, wenn er es geschickt anstellte, würde es ihm dabeihelfen zu überleben. Wenn er weiter abwärts kletterte, würde erbald andere Bäume sehen. Er war lange genug in den Bergen,um zu wissen, dass es eine Grenze gab, oberhalb derer Bäumenicht mehr wuchsen, und dass es auf den höchsten Hängen undGipfeln keine Vegetation außer Moos gab.

Er hob eine Hand voll Schnee auf und schob ihn sich in denMund. Zumindest würde er nicht verdursten, solange er aufdem Boden lag. Nach allem, was Hakon ihnen in Russvikerzählt hatte, wusste er, dass Krankheitsgeister in solcherartungereinigtem Wasser lauern mochten, aber im Augenblickwar ihm das egal. Durst war eine weitaus wirklichere undunmittelbarere Gefahr, und derzeit hatte er weder eineMöglichkeit, Feuer zu machen, noch einen Topf, um den

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Schnee zu schmelzen und das Wasser abzukochen.Der Schnee war kalt an Zähnen und Zahnfleisch, aber er

schluckte das geschmolzene Wasser. In der Hand hielt Ragnareinen Brocken Feuerstein, den er sich aus einer dertrügerischen Geröllhalden am Berghang geholt hatte. Erwünschte, er hätte einen Beutel gehabt, um ihn darin zuverstauen, aber er hatte keinen, also konnte er ihn nur in derHand halten. Der Stein würde einem doppelten Zweck dienen,hoffte Ragnar. Zum einen konnte er damit nach etwaigenumherstreifenden Bestien werfen. Wegen seiner neuenMuskelkraft war Ragnar äußerst zuversichtlich, einenscharfkantigen Stein sehr fest werfen zu können. Der Gedankezauberte ein wölfisches Lächeln auf sein Gesicht. Der zweiteVerwendungszweck des Feuersteins bestand darin, dass er ihnmit seinem Messer anschlagen, Funken erzeugen und somit einFeuer entfachen konnte.

Was für eine Hoffnung, dachte Ragnar, während die Kraftaus ihm wich, als er die feuchte Rinde des Baums betrachtete.Jetzt hatte er reichlich Holz, aber es war nass und kalt und erhatte keine Möglichkeit, das Holz unter diesen Umständenanzuzünden.

Ragnar schauderte und fragte sich kurz, wie es den anderenwohl erging. Waren ihre letzten paar Tage ebenso hart gewesenwie seine, ein langer ermüdender Marsch durch Schnee undKälte in dem Versuch, den Tälern zu folgen und dabei immerden großen Gipfel des Fangs im Auge zu behalten? Hatten siein den eisigen Böen des Windes gezittert, während sie überschmale, vereiste Grate stiegen, die über furchtbare, mit Geröllübersäte Schluchten führten? Hatten sie immer die Ohrengespitzt, um etwaige Schreie der großen Bestie, des Wolfen, zuhören, vor der sie sich so sehr fürchteten? Hatten sieehrfürchtig zugesehen, wie ein mächtiger Steinadler über siehinwegflog und in der trostlosen Landschaft nach BeuteAusschau hielt mit Augen, die scharf genug waren, um eine

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umherhuschende Maus noch aus tausend Fuß Höhe ausmachenzu können? Hatten sie auch überlebt, indem sie Moos gegessenhatten und Eier, die sie aus den Nestern von Gebirgsvögelnstahlen?

Ragnar schauderte. Es war möglich, dass die anderen bereitstot waren. Er hatte auf seinem Marsch schon so viele Gefahrengesehen und war doch erst ein paar Tage unterwegs. In densturmgepeitschten Bergen bestand ständig die Möglichkeiteines Steinschlags. Dann war da die kräftezehrende Kälte, diebewirkte, dass man sich hinlegen und sterben wollte. Es gabschmale Pfade, auf denen ein einziger Fehltritt den Sorglosenin einen unendlich tiefen Abgrund riss. Vielleicht waren sievon Bestien gefressen worden. Vielleicht waren sie wahnsinniggeworden. Vielleicht waren sie von den verzögertenAuswirkungen der Verwandlung überwältigt worden undhatten sich selbst in Ungeheuer verwandelt, die gerade auf derJagd nach Ragnar waren, um ihm Glied für Glied einzelnauszureißen.

Von allen möglichen Verhängnissen, die ihm durch denKopf gingen, setzte dieses Ragnar am meisten zu. Auch jetztnoch bestand die Möglichkeit, dass etwas schiefging. DieEisenpriester hatten ihm verraten, dass es mindestens einenMonat dauerte, bis ein Anwärter sich nach der Verwandlungsicher fühlen konnte, und möglicherweise nicht einmal dann.Die Bestie, die tief in ihm lauerte, mochte immer nochvorspringen und seine Seele verschlingen. Vielleicht war nurdiese wilde Umgebung nötig, um sie herauszulocken und dazuanzuspornen, völlig Besitz von ihm zu ergreifen. Das war keinberuhigender Gedanke.

Ragnar zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen,denn er musste bald eine Stelle finden, wo er die Nachtverbringen konnte. Auch mit seinen veränderten Augen war esSelbstmord, im Dunkeln durch diese Berge zu wandern. Es warimmer möglich, etwas zu übersehen, auf loses Gestein zu

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treten, eine Gerölllawine auszulösen und von ihr in die Tiefegerissen zu werden oder in einen schwer zu erkennenden Spaltzu fallen. Außerdem sank die Temperatur in der Nacht nochweiter, und er hatte nicht den Wunsch, die wärmespeicherndenEigenschaften seiner Tunika noch mehr zu strapazieren, als erdies ohnehin schon musste. Bei seinem Aufenthalt in Russvikhatte er gelernt, dass das Überleben unter diesen Umständen inerster Linie davon abhing, dass man nichts tat, was dieSchicksalsgöttinnen provozierte. Der Trick bestand darin, esnicht darauf ankommen zu lassen und dafür zu sorgen, dassmöglichst viele Faktoren vorteilhaft für einen blieben. Dasbedeutete auch, dass man nur dann ein Risiko einging, wenneinem nichts anderes übrig blieb. Auch wenn man stark undzuversichtlich war, wie Ragnar es mit seinen neuenFähigkeiten sein musste, konnte unter diesen erschwertenBedingungen bereits ein geringes Missgeschick ausreichen, umden Tod zu finden. Schon ein kleiner Unfall, ein verstauchterKnöchel, ein verrenktes Glied, eine leichte Krankheit konntereichen. Ragnar wusste, dass solch ein Unfall immer Müdigkeitmit sich brachte, den Geist erschöpfte, Kräfte raubte und auchden zähsten Krieger zu einer leichten Beute für andereGefahren machte. Mit der Zeit konnten unbedeutendeKleinigkeiten immer schlimmer werden, bis sie auch denStärksten bei den Space Wolves zur Unbeweglichkeitverurteilten. Ragnar kam zu dem Schluss, dass der Trick darinbestand, alle vermeidbaren Missgeschicke auch tatsächlich zuvermeiden. Was leichter gesagt als getan war.

Er sah sich nach einer Stelle um, wo er rasten konnte, undentdeckte unweit des Baumes eine kleine Einbuchtung untereinem Überhang, der die Höhlung vor den schlimmstenWindböen und dem Schneefall schützte. Ragnar entschied,dass er bis zum Einbruch der Nacht wahrscheinlich keinenbesseren Unterschlupf finden würde. Er hackte auf den Baumein, sammelte Zweige, Nadeln und Zapfen als Feuerholz und

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darüber hinaus einen dicken Ast, der ihm sowohl als Keule alsauch als Stütze dienen würde. Mit einiger Mühe gelang es ihmsogar, einen längeren, geraden Ast abzubrechen, den er zueinem Speer zurechtschnitzen wollte.

Es dauerte einige Zeit, bis Ragnar alles aufgesammelt und zuseinem Unterschlupf gebracht hatte. Es dauerte noch länger, biser den Versuch aufgab, mit seinem Messer an dem FeuersteinFunken über einem kleinen Haufen aus Nadeln und Zapfen zuschlagen, um ein Feuer zu entzünden. Die Nadeln waren feuchtund konnten unmöglich Feuer fangen. Zumindest hielten ihndiese Bemühungen wach, und Ragnar glaubte, dass das indieser gefrorenen und trostlosen Landschaft wahrscheinlichbesser so war. Durchgefroren und müde, wie er war, machte ersich einen Teppich aus Nadeln, um wenigstens ein klein wenigSchutz vor dem eiskalten Fels des Bodens zu haben, legte sichhin und schlief ein. Sein letzter Gedanke war die Frage, ob er jewieder aufwachen werde.

***

Ragnar träumte von Wolfen. Er träumte von Bestien, die halbMensch und halb Wolf waren. Er träumte, dass sie ihn in denendlosen Felsschluchten im Schatten der Berge beschlichen. Inseinen Träumen fror er. Im Geiste spürte er die Anwesenheitdes anderen, der Bestie, die in ihm erwacht war, als er aus demWolfenkelch getrunken hatte. Die Bestie reagierte ebenfalls aufdas Heulen. Zur Abwechslung schien sie sich einmal nichtgegen seine Herrschaft wehren zu wollen. Sie schieneinzusehen, dass sie sich einen Körper teilten und ihre Existenzebenfalls enden würde, wenn Ragnar starb. Sie war ebensowachsam wie er, was Gefahren betraf, und zum ersten Mal sahRagnar eine andere Möglichkeit als die eines unbehaglichenWaffenstillstands zwischen ihm und seiner dunkleren,

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bestialischeren Seite.Im Traum begann Ragnar, seinen Feind zu beschleichen,

anstatt davonzuhuschen, und von dem Wolfgeist in sichgeleitet, wusste er, dass er Beute in den Steintälern finden undbald in der Lage sein würde, seine Fänge in heißes, blutigesFleisch zu schlagen.

***

Er erwachte bis auf die Knochen durchgefroren und zitternd,unsicher, ob das Geräusch, das er hörte, aus der Schattenweltseines Traums oder aus der harschen, felsigen Wirklichkeitstammte, die ihn umgab. Er musste nicht lange warten, um esherauszufinden. Das Heulen ertönte erneut, und zwar lauterund näher. Gewiss war es das Heulen eines Sturmdämons, derseine Brüder rief. Ein Schrei unvorstellbaren Hungers, Leidensund Müdigkeit. Ragnar erkannte darin das Heulen eines dergroßen Wölfe Asaheims. Er schauderte in dem Wissen, dasssein Leben bald vorbei sein würde, falls weitere Artgenossender Kreatur in der Nähe waren. Falls er sie überraschen konnte,gelang es ihm vielleicht, die große Bestie im Kampf zubesiegen, aber er konnte sich unmöglich gegen ein ganzesRudel behaupten. Wenn die Wölfe auf Fenris im Rudel jagten,konnten sie einen Troll oder sogar einen Eisdrachen zurStrecke bringen. In allen Einöden Asaheims gab es keinetödlicheren Kreaturen.

Er spitzte die Ohren, um zu lauschen, und schnüffelte imNachtwind. Er glaubte etwas zu riechen, die Überreste einersauren Ausdünstung, die von den kalten Fingern des Windesbereits zerfasert wurden. Es war ein Geruch, den er instinktiveinem großen Wolf zuordnete. Er zog sich so tief wie möglichin seine Höhlung zurück und ging seine Möglichkeiten durch.Die Situation hatte zumindest ein Gutes. Im Augenblick kam

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der Wind aus der Richtung des Wolfs, was bedeutete, dass derWolf ihn nicht wittern konnte. Natürlich konnte sich das sorasch ändern, wie sich die Windrichtung ändern mochte, aberdagegen ließ sich nichts unternehmen, außer zu Russ beten,dass es eben nicht geschah. Und der Witterung des Wolfshaftete noch etwas anderes an - ein Makel, ein Gestank, einGeruch von Krankheit. Ragnar war noch nicht erfahren genug,um genau zu wissen, was dieser Geruch zu bedeuten hatte, aberer hoffte, dass die Kreatur lediglich krank und nicht derÜberträger irgendeiner Seuche war.

Er überprüfte seine Waffen. Er hielt sein Messer in derlinken Hand und seinen Speer in der rechten. Die Keule laggriffbereit in der Nähe, sobald er seinen zugespitzten Stockgeworfen hatte. Ragnar erhoffte sich nicht viel davon. Er hattedie Absicht gehabt, die Spitze in den Flammen des Feuers zuhärten, das anzuzünden ihm nicht gelungen war, also wusste ernicht, wie wirksam die Waffe sein würde. Dennoch musste siebesser sein als gar nichts. Ragnar fand es bedauerlich, dass erkeinen Schild hatte. Er zuckte die Achseln. Ebenso gut hätte ersich eine von Raneks magischen Waffen wünschen können.Beides war gleich unerreichbar für ihn.

Ragnar beruhigte sich innerlich. Seine Nackenhaaresträubten sich, als er das leise Kratzen von Krallen auf Steinhörte, und dann kam der Fenris-Wolf auf dem steinigen Pfad inSicht. Während er über die Fähigkeit seiner Augen staunte,auch im Dunkeln noch so viele Einzelheiten wahrnehmen zukönnen, erkannte Ragnar sofort, dass der Wolf alt undverwundet war. Sein Fell war weiß und struppig, und eine alteWunde in seiner Flanke, die sich entzündet hatte, war dieUrsache des widerlichen Gestanks. Der Wolf hinkte ein wenigund schonte die rechte Vorderpfote.

Ragnar hielt den Atem an. Es war ein alter Wolf, vielleichtein Rudelführer, der im Kampf gegen jüngere, wildere Wölfeunterlegen und verjagt worden war. Er war offensichtlich

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geschwächt und ausgehungert und sah dennoch nach einemfurchterregenden Gegner aus. Seine Schulterhöhe entsprachderjenigen Ragnars, und er musste sogar in seinemgeschwächten Zustand noch doppelt so viel wiegen wie er. DieFänge waren wie Dolche, und in den Augen brannte roterWahnsinn. Während Ragnar all das sah, schien der Wolf ihnjetzt zum ersten Mal zur Kenntnis zu nehmen. Er riss das Maulauf, stieß ein langgezogenes verlorenes Heulen der Wut unddes Hasses aus und sprang.

Ragnar warf seinen Speer direkt auf die Brust der gewaltigenBestie. Von der vollen Kraft der stählernen Muskeln Ragnarsgetrieben, bohrte die Spitze sich in den Wolfskörper. Blut floss,wo das Fell sich teilte. Der Wolf taumelte, und der Schaftbrach. Ragnar hoffte, dass die Spitze in der Wunde steckengeblieben war. Er wartete nicht, um die Keule aufzuheben,sondern sprang vorwärts, da er seinen Vorteil ausnutzen wollte.Der gewaltige Wolf knurrte und warf sich auf ihn. Ragnarsprang zur Seite und schlang der vor Wut halb wahnsinnigenBestie einen Arm um den Hals, ohne von den tödlichen Fängenerwischt zu werden. Er bezweifelte nicht, dass ein einziger Bissseine Kehle zerreißen oder einen Arm zu blutigem Breizermalmen würde. Ragnar hatte die Absicht, die Bestieniederzuringen, da er Zutrauen in die Kraft seinerübermenschlichen Muskeln hatte, jeden gewöhnlichen Wolfüberwinden zu können.

Als die Bestie knurrte und sich ins Zeug legte, den Anwärterzu besiegen, lernte Ragnar rasch, dass sein blindes Zutrauenunbegründet war.

Es war wie der Versuch, einen Erdrutsch aufzuhalten.Gewaltige Sehnen wie Taue traten unter dem matten Fellhervor. Der Geruch des stinkenden Wolfsatems stach Ragnar indie Nase. Mit der Schläue seines Alters warf der große Wolfsich mit seinem ganzen Gewicht auf Ragnar und schleuderteihn gegen die scharfkantigen Felsen, die überall auf dem

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Talboden verstreut lagen. Messerscharfe Splitter schnitten aneinem Dutzend Stellen in seine Arme, und seine Hände warenrasch glitschig von seinem eigenen Blut. Die Last der altenBestie auf der Brust presste Ragnar die Luft aus der Lunge.Nach kurzer Zeit keuchte er, und vor seinen Augen tanztenbunte Lichter. Der Wolf knurrte tief aus der Kehle. Ragnarschlang seinen Arm noch fester um dessen Hals und legte alleKraft in sein Bemühen, die Bestie festzuhalten. Plötzlich fuhrder Wolf herum und schnappte nach ihm. Die furchtbarenKiefer schlossen sich wie eine Bärenfalle nur wenigeFingerbreit vor Ragnars Nase. Sein Atem kam nur noch injapsenden Stößen, als er sein Messer hochriss und es immerwieder in das warme nachgiebige Fleisch der Wolfskehle stieß.Er zog das Messer nach rechts und links und spürte denWiderstand von Muskeln, Sehnen und Adern. Blut spritzte, alsdie Kehle der Bestie durchschnitten war. Warme, roteFlüssigkeit sprudelte auf den kalten grauen Fels. Während dasBlut in der kalten Nachtluft dampfte, hielt Ragnar den Wolf solange fest, bis dessen krampfhafte Bewegungen nachließen,schwächer wurden und schließlich vollständig aufhörten. Dannmachte er sich daran, das Tier auszuweiden.

***

Ragnar war sehr zufrieden mit seinem nächtlichen Werk. Erhatte einen neuen Umhang aus ungegerbtem Wolfsfell.Zugegeben, das ausgekratzte Fell stank, aber es bot seinemKörper den zusätzlichen Schutz vor Kälte und Wind. Das roheFleisch und die Innereien des Kadavers hatten seinenbrennenden Hunger gestillt, und das warme Blut hatte ihnerfrischt. Besser noch, die Sehnen des Wolfs versorgten ihn miteiner Schnur, die es ihm gestattete, sein Messer an die Spitzeeines Speers zu binden, was ihn zu einer wirklich beachtlichenWaffe machen würde, sobald er einen geeigneten Zweig fand.

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Ein Stück Fell diente bereits als Beutel, in dem er seineFeuersteine verwahrte. Außerdem hatte er aus den Überrestenvon Fell und Sehnen eine Schleuder gebastelt, mit der erscharfkantige Steine über große Entfernungen schleudernkonnte. Unterwegs übte er damit und brachte es bald zu einerbeachtlichen Fertigkeit.

Ragnar musterte den Himmel, und was er sah, gefiel ihmnicht. Große schwarze Wolken verbargen den Fang und densüdlichen Teil des Himmels. Er glaubte in der FerneDonnergrollen zu hören. Aber er konnte nichts anderes tun, alsweiterzumarschieren. Einen feuchten Streifen Wolfsfleischkauend, lief er leichtfüßig den Hang hinunter.

***

Ragnar setzte seinen Weg durch den Wald fort, indem erseinen Speer als Wanderstab benutzte. Er war sehr zufriedenmit seiner neuen Waffe. Der lange Zweig war stark. Der Dolchsaß fest an der Spitze. Er war jetzt bereit, es mit so gut wiejeder Gefahr aufzunehmen.

Hier gefiel es ihm besser, dachte er, während er die Pinienbetrachtete, von denen der Pfad umgeben war. Der Waldschien endlos zu sein, aber es war wärmer, und er war jetztweit unterhalb der kahlen Hänge oberhalb der Baumgrenze.Schmelzwasser und Regen führende Bäche plätschertenabwärts. Vögel sangen und zwitscherten, und überall fandensich Spuren von kleinen Tieren. Er wusste jetzt, dass er wederverhungern noch verdursten würde.

Er war bereits auf Bäume geklettert und hatte Eier ausNestern gestohlen, um sie durch ein kleines in die Spitzegebohrtes Loch auszusaugen. Das Bachwasser war kalt underfrischend, und er wünschte, er hätte ein Gefäß gehabt, um estransportieren zu können. Wenn er in diesem Wald blieb,

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konnte er hier überleben, dachte Ragnar. Vielleicht sollte er dasversuchen. Schließlich musste er nicht zum Fangzurückkehren, und er schuldete der Space Wolves nichts außereiner Menge Schmerzen. Ragnar bezweifelte, dass ihn jemandfinden würde, wenn er sich entschloss, im Wald zu bleiben.Tatsächlich bezweifelte er, dass jemand es überhauptversuchen würde. Die Einstellung der Space Wolves schien diezu sein, das sie niemanden wollten, der nicht ihren Maßstäbenentsprach, und, wenn er nicht zurückkehrte, hätte er diesePrüfung ohnehin nicht bestanden.

Je länger er marschierte, desto mehr Anzeichen sah Ragnar,dass ein Mensch in diesen Wäldern recht gut würde lebenkönnen. Er konnte sich einen Unterschlupf bauen, wie man esihn gelehrt hatte, bis er eine geeignete Höhle fand. Er konnteHolz trocknen und ein Feuer machen. Er konnte jagen undessbare Pflanzen suchen. Er konnte hier nach seinen eigenenRegeln in einen Land leben wie in seinem eigenen kleinenKönigreich.

Und doch wusste Ragnar in seinem tiefsten Innern, dass ersein Unternehmen nicht abbrechen konnte. Es war nicht nureine Frage des Stolzes, obwohl der gewiss eine Rolle spielte.Er hatte im Fang noch etwas mit Strybjörn zu regeln, falls derGrimmschädel-Bastard immer noch lebte. Aber da war nochmehr, und das war noch wichtiger. Ragnar wollte nicht alleinhier draußen in den Bergwäldern leben. Etwas im Fang rief ihn,wie die Kameradschaft eines Rudels einen einzelnen Wolfrufen mochte. Ragnar hatte sich verändert, als er aus demWolfenkelch trank, das wusste er. Er war jetzt mehr undzugleich weniger als ein Mensch. Es war, als habe die Bestie,die in ihm erwacht war, ihn zumindest teilweise zu einem Wolfgemacht, und der Wolf in ihm sehnte sich nach derGesellschaft des Rudels. Er sehnte sich danach, seinen Platzdarin zu finden. Er sehnte sich danach, sich seine Stellung inder Hierarchie zu erkämpfen.

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Mehr noch, Ragnar wusste jetzt, dass es im Fang selbstetwas gab, wonach er sich sehnte. Zwar hatte er von Ranek undHakon und ihresgleichen nur Schläge eingesteckt, aber erwusste jetzt, dass sie Supermenschen waren, die Hochachtungverdienten, und dass sie ihre Lebensaufgabe als ehrenhaft undwürdig betrachteten. Ragnar wollte, was sie hatten: ihreSicherheit, ihren Stolz, ihre Macht und ihre Magie. Er wollteeiner der heimlichen Herren dieser Welt sein, und noch mehrals das wollte er würdig sein, zu ihnen zu gehören. Und daswürde ihm nicht gelingen, wenn er hier in den Wäldern blieb,wie anziehend der Gedanke auch sein mochte.

Ragnar wusste, dass er sich verändert hatte, seit erauserwählt worden war, und zwar nicht nur, weil er aus demWolfenkelch getrunken hatte. Eine ganz neue Welt hatte sichihm erschlossen, ein Ort, der größer und wilder war als alles,was er sich auf seiner Heimatinsel je hatte vorstellen können.Er hatte Dinge getan, wie sie keiner aus seinem Volk je erlebthatte: er war in fliegenden Schiffen gefahren, durch MorkaisTor gegangen und hatte die wolkenverhangenen Türme desFangs gesehen. Er hatte angefangen zu verstehen, dass dieWelt nicht so war, wie er sie sich immer vorgestellt hatte, unddass es größere und schrecklichere Dinge im Universum gabals Stammeskriege und lange Seereisen. Er hatte zu spürenbegonnen, dass die Space Wolves einen großen undfurchtbaren Zweck hatten und all diese Prüfungen, die ihm sogefährlich erschienen, nötig waren, damit sie diesen Zweckerfüllen konnten. Seine Vision in Morkais Tor hatte ihm einenEindruck von der gewaltigen und entsetzlichen Natur ihreraußerweltlichen Feinde und von der Bestimmung vermittelt,die ihn vielleicht erwartete, falls er sich als würdig erwies.Ragnar war überzeugt, dass diese Vision kein Zufall gewesenwar. Er war sicher, dass jene Alten, die ihn prüften, ihm diesesgrundlegende Wissen absichtlich vermittelt hatten, und er hattedas Gefühl, es könne sogar mit zur Prüfung gehören, wie er mit

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diesem Wissen umging. Aus Gesprächen mit den anderenAnwärtern wusste Ragnar, dass einige von ihnen sich einfachweigerten, diese schrecklichen Visionen zu glauben,geschweige denn zu akzeptieren, und dies war sicherlich einFehler.

Auf eine seltsame Art war Ragnar sogar zufrieden, jetzt hierinmitten der hoch aufragenden Berge zu sein. Er erlebte diewilde und schreckliche Schönheit der Natur an einem Ort, denseiner Ansicht nach noch kein Mensch je zuvor erblickt hatte.Wie das Segeln auf einem sturmgepeitschten Ozean oder derAnblick der roten untergehenden Sonne am Ende eines hartenTages am Ruder war das an und für sich schon aufregend. Erempfand sogar etwas wie Dankbarkeit gegenüber den SpaceWolves, da sie ihn in die Lage versetzt hatten, die unglaublicheEinsamkeit dieser Gegend zu erfahren.

Kopfschüttelnd atmete Ragnar aus und sah, wie sein « Atemin der frischen kühlen Luft eine Wolke vor seinem Mundbildete. Er musste weitermarschieren. Er hatte die Absicht, denRückweg zum Fang zu finden. Und er wollte nicht der Letztesein, dem dies gelang.

***

Der Nebel war dicht und träge und reduzierte alles zuschattenhaften Umrissen. Die Felsen rings um Ragnar warenPhantome. Der Pfad war kaum zu sehen und verschwandwenige Schritte voraus im wesenlosen Grau. Manchmalwogten und wallten die Schwaden, und er konnte ein wenigweiter sehen, aber meistens war er von matten, unstofflichenWänden umgeben, die Geräusche und Sehvermögen dämpftenund den Weg unsichtbar machten.

Ragnar fühlte sich an die Vorstellung seines Volkes von derHölle erinnert - ein kalter und nebliger Ort, wo die Schatten der

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Toten ein ödes und felsiges Land durchstreiften. Dieser Ortentsprach der Beschreibung ziemlich genau, und in diesemAugenblick kam es Ragnar durchaus wahrscheinlich vor, dasser irgendwie gestorben war, ohne es zu wissen, und nun durchdie Tore des Todes stolperte. Er lauschte den sanftenBewegungen des Windes, schnüffelte in der Luft nachWitterungen und betete, dass dies nicht stimmte. Wenn doch,kam es ihm wenigstens so vor, als könne er selbst im Tod seineneuen Kräfte behalten. Dennoch hatte Ragnar das Gefühl, dasses ungerecht ihm gegenüber wäre, wenn er so weit gekommenund dann gestorben war, ohne es zu wissen.

Er schob den Gedanken als Gespinst seiner zu regenPhantasie beiseite. Er war noch am Leben. In seinen Adernfloss immer noch Blut. Seine Haut kribbelte von der Kälte.Feuchtigkeit hatte sich auf dem Stoff seiner Tunikaniedergeschlagen, und er spürte die Tröpfchen, als er sieabwischte. All das war wirklich. Er konnte wahrhaftig hiersterben, aber er war noch nicht tot. Er grinste grimmig in sichhinein.

Der Nebel war gefährlich. Das bezweifelte Ragnar nicht. Erfolgte einer langen Kammlinie zwischen zwei mächtigenGipfeln. Der Pfad war beschwerlich. Stellenweise war erextrem schmal und drohte unter seinen Füßen wegzubröckeln.Oft war es nur ein Vorsprung über einem Abgrund, dessenTiefe Ragnar nicht ermessen konnte. Er wusste nur, dass er sienicht herausfinden wollte, indem er hinunterfiel. Vielleicht dasSchlimmste daran war, dass der Pfad gewunden war undbeständig Biegungen beschrieb, so dass immer die Gefahrbestand, dass er plötzlich nach rechts oder links abknickte undRagnar seinen Fuß ins Leere setzte, bevor er in sein nebligesVerhängnis stürzte.

Ragnar benutzte den Griff seines Speers als Stab undertastete mit ihm den Weg über den Vorsprung. Er hatte nichtdie geringste Ahnung, ob er in die richtige Richtung

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marschierte oder nicht, war aber einfach überzeugt davon, dasser sich beeilen musste. Für einen kurzen Augenblick teilte sichder Nebel, und Ragnar hatte einen ungehinderten Ausblick. Füreinen Moment hatte er das Gefühl, auf Schwingen hoch überden Wolken zu schweben. Tief unter ihm waren Täler undKämme in Finsternis gehüllt, aber überall ringsumher tauchtenGipfel aus den Wolken auf wie Inseln aus den Meeren vonFenris. Die kümmerliche Sonne warf Lichtspeere in den Nebel.Ragnar hielt den Atem an, als er die gewaltige Säule des Fangsvor sich sah, der mit finsterer, majestätischer Größe aus denwirbelnden grauen Wolken ragte. Dies war wahrhaftig einAnblick von staunenswerter Schönheit.

Ragnar hatte das Gefühl, die Mauern des Himmels zuerklimmen, dass er auf den Wolken marschierte. So musste essein, wenn man Russ war, dachte er, oder ein Gott. Es war aufeine merkwürdige Art das Beeindruckendste, was er je gesehenhatte, und es bewegte ihn tief. Ragnar schwoll das Herz in derBrust, und eine grimmige Freude überkam ihn. Er würdeüberleben! Er würde in den Fang zurückkehren, um seinenrechtmäßigen Platz bei den Wölfen einzunehmen!

Einen Moment später hoben sich die Wolken wie gewaltigeBrecher, die über einer sturmgepeitschten Küstezusammenschlugen. Der feuchte Nebel ballte sich erneut umihn zusammen. Der Ausblick verschwand. Einen Schauderunterdrückend, zog Ragnar sich das stinkende Wolfsfell engerum die Schultern und marschierte vorwärts ins Reich derSchatten.

Seit einiger Zeit spürte Ragnar etwas dort draußen imdunklen Grau des dichten Nebels. Er wusste nicht, was es war,aber er war sicher, dass ihn etwas beobachtete. Er bildete sichein, den brennenden Blick spüren zu können, der sich wie eineKlinge in seinen Rücken bohrte. Ragnar warf zum zehnten Malin ebenso vielen Minuten einen Blick zurück und sah nichts. Erschnüffelte beständig und war sicher, die Witterung von etwas

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wahrzunehmen, das vertraut und zugleich seltsam fremdartigwar, einen bitteren Geschmack in der Luft, eine Witterung, dieihn schaudern ließ.

Ragnar wusste, dass der Fang jetzt nicht mehr weit war.Nach einer in unruhigem Schlaf auf einem hohen Kammverbrachten Nacht hatte er an diesem Morgen von den sichimmer höher erhebenden Hügeln die niedrigeren Hänge desFangs erblickt. Als es dämmerte und die Dunkelheithereinbrach, sah er regelmäßige Lichtmuster auf demBerghang, welche die Anwesenheit menschlicher Wesenverrieten. Vor seinem geistigen Auge konnte er sich diegewaltigen Strukturen vorstellen, die er bei seinem erstenEintreffen gesehen hatte, und er hatte wenig Mühe, die Lichterin Übereinstimmung mit den Umrissen jener gigantischenMaschinen zu bringen. Jetzt kamen sie ihm so verheißungsvollvor, wie sie zuvor furchterregend und absonderlich gewesenwaren.

Er hatte einen langen Marsch hinter sich. Sieben harte Tagevon der Stelle, wo man ihn abgesetzt hatte, bis zu diesemletzten Berg. Er war müde und hungrig und er fror, aber dasGefühl, etwas erreicht zu haben, war so stark wie noch niezuvor in seinem Leben. Er hatte alle Lektionen angewandt, dieer in Russvik gelernt hatte. Er hatte Unterschlupf, Nahrung undWasser gefunden. Er hatte sich seine Gesundheit bewahrt,sowohl in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht. Er hatteausgiebig Gebrauch von seinen neu gewonnenen, schärferenSinnen gemacht. Er hatte sich am Leben erhalten, und dabeihatte ihm nichts und niemand geholfen außer Russ' Segen. Unddie Wahrheit war, dass er bis vor wenigen Augenblicken nochselten ein besseres Gefühl in Bezug auf sich selbst oder dieWelt gehabt hatte. Jetzt spürte er jedoch, wie ihn ein Schauderder Furcht überlief, da er das Gefühl hatte, von einerunmenschlichen und bösen Kreatur beschlichen zu werden.

Ragnar vermutete, dass ihn ein weiterer Tagesmarsch zu

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einem der Außenposten der Space Wolves führen würde, fallses kein Unglück gab, und er hatte sich schon darauf gefreut, andiesem Abend zu rasten, um am nächsten Morgen zeitig wiederaufzubrechen. Jetzt verspürte er einfach den Drang, im Lichtdes Vollmonds in Bewegung zu bleiben. Er musste sichzusammennehmen, um nicht loszulaufen wie ein Hase, der voneinem Fuchs verfolgt wurde. Seine menschliche Logik sagteRagnar, dass er keinen Beweis dafür hatte, dass ihm überhauptetwas folgte, dass seine Nerven nach der langen Quälereieinfach überreizt waren. Der animalische Instinkt der Bestietief in seinem Innern erzählte ihm etwas ganz anderes. Erschrie ihn an, er möge fliehen oder kämpfen, zurückweichenoder sich wehren, und mittlerweile respektierte Ragnar dieBestie.

Er spürte, dass eine Flucht wenig aussichtsreich sein würde.Bei unsicherem Licht über zerklüftetes Gelände zu laufenwürde mit Sicherheit zu einem Unfall führen, der sich alstödlich erweisen mochte, falls er in jenem Augenblickangegriffen wurde. Das Beste war, ein Lager aufzuschlagen,unter Benutzung seines Beutels voller getrockneter Blätter,Zweige und Stöcke ein Feuer zu machen und zu versuchen,sich auszuruhen. Vielleicht verscheuchten die Flammen denBeobachter, wer es auch sein mochte. Vielleicht auch nicht.Jedenfalls war es einen Versuch wert.

Irgendwo tief in sich spürte er die Anwesenheit der Bestie.Sie beobachtete und wartete und baute eine grimmige Wut insich auf. Ihr gefiel nicht, dass sie gejagt wurde. Ihr gefiel nicht,Beute zu sein anstatt Jäger. Sie wollte innehalten und mitZähnen und Klauen gegen ihren Verfolger antreten.Merkwürdigerweise beruhigte das Ragnar, und er stellte fest,dass er sich in Übereinstimmung mit der Bestie befand. Durchdie Dunkelheit zu fliehen würde nicht helfen, und dasselbe galtfür Furcht und Besorgnis. Sie würden ihn nur lahmen undseiner Energie berauben. Bei seinem grimmigen Seufzer der

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Entschlossenheit erkannte Ragnar, dass er eine Entscheidunggetroffen hatte. Nicht weit entfernt standen mehrere großeFelsbrocken, enorme Schatten in der Finsternis.

Ihr Windschatten würde ihm einigen Schutz vor denElementen bieten. Er schlug die entsprechende Richtung ein,entschlossen, ein Feuer anzuzünden. Und zu warten.

***

Die Flammen flackerten. Der Geruch von harzigem Rauchstieg Ragnar in die Nase. Er aß die Nüsse und Beeren, die erfrüher am Tag gesammelt hatte, und wünschte, er hätte etwasWasser gehabt, um seinen Mund zu befeuchten. Morgen würdeer einen Bach finden, sagte er sich. Falls er dann noch lebte.

Er vermied es, in die Flammen zu schauen, um sich seinestark verbesserte Nachtsicht nicht zu verderben. Er war sichdes Gefühls der Anwesenheit einer anderen Kreatur immernoch stark bewusst. Ragnar lauschte aufmerksam denGeräuschen der Nacht und witterte in der kalten Luft. DieHaare in seinem Nacken sträubten sich, als er hörte, wie einigeKiesel ins Rutschen gerieten, da sie von etwas Schwerembewegt wurden. Von einer Kreatur, die sich mit verstohlenerVorsicht bewegte. Ragnar griff nach seinem Speer und erhobsich zu einer geduckten Haltung, wobei er sich mit demRücken an den größten Felsen schmiegte, einen Steinbrocken,der vielleicht eineinhalb Mal so hoch war wie er selbst. Aufdiese Weise konnte er wenigstens nicht von hinten überraschtwerden. Was es auch war, es musste sich seinem Zorn stellen.Und wenn er sterben musste, würde Ragnar mit einemMaximum an Wunden sterben, wie sein Vater es ihn gelehrthatte. Er leckte sich die Lippen, und seine Hände krampftensich um den Schaft seines einfachen Speers.

Der Gestank, den er schon viel früher wahrgenommen hatte,

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wurde stärker. Darin lag ein Anflug vor etwas Menschlichemund von etwas Animalischem. Der Geruch war wie der voneinem Wolfsfell. Jetzt konnte er ein leises Schnüffelgeräuschhören, als versuche ein großes Tier Witterung aufzunehmen.Seine Finger schlossen sich noch fester um den Speerschaft,und sein Körper spannte sich wie eine Feder, als er sichbereitmachte gegen den unsichtbaren Feind zu kämpfen.

Furcht brodelte in seiner Magengrube. Die feinen Härchenan seinem Körper sträubten sich. Er erkannte die Umrisse desWesens, das im Feuerschein auftauchte. Es war groß undschwer und menschenähnlich. Rumpf war mit den Überresteneiner zerrissenen grauen Tunika bekleidet, die jetzt viel zuklein für die ungeheuer muskulöse Gestalt war. Die Händeendeten in langen, klauenartigen Krallen. Der Kopf war nochmenschlich, aber mit dichtem, verfilztem Fell bedeckt, und dasknurrende Maul bleckte gewaltige Fänge. In den Augen desUngeheuers brannten Hunger, Wut und eine verblüffendeIntelligenz. Es öffnete das Maul und stieß ein leisesraubtierhaftes Knurren aus. Ragnar antwortete mit einemähnlichen Laut, der ungebeten über seine Lippen kam.

Es war ein Wolfen. Ragnar wusste jetzt, was ihn beschlichenhatte, wusste auch, dass er es die ganze Zeit geargwöhnt hatteund dies auch die Ursache seines Unbehagens gewesen war.Die Bestie in ihm hatte den Wolfen erkannt. Dass das Ding dieAbsicht hatte, ihn zu töten und aufzufressen, bezweifelte erkeinen Augenblick. Es ging darum, zu töten oder getötet zuwerden. Er wusste, er würde rasch und ohne Gnade zuschlagenmüssen, wenn er überleben wollte. Er hob seinenimprovisierten Speer und wappnete sich für denentscheidenden Stoß. In seinem Innern war auch die Bestiezum Kampf bereit.

Und in diesem Augenblick erstarrte seine Hand. Er stelltefest, dass er es nicht über sich bringen konnte, den tödlichenWurf anzubringen. Dieser Wolfen war einmal ein Mensch wie

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er gewesen. Ein Anwärter. Er hatte aus dem Wolfenkelchgetrunken. Er hatte dieselbe Veränderung durchgemacht unddieselben Qualen erlitten wie Ragnar. In Russ' Namen, dieserWolfen hätte auch er selbst sein können, wenn die Bestie dieHerrschaft übernommen hätte. Tatsächlich war es nur allzuwahrscheinlich, dass diese Kreatur jemand war, den er kannte.Der Wolfen konnte Kjel, Sven oder sogar Strybjörn sein.Konnte er ihn einfach so töten?

Allem Anschein nach empfand der Wolfen etwas Ähnliches.Er hielt einen Augenblick inne. Sein Blick wanderte vonRagnar zum Feuer und dann wieder zurück zu Ragnar. Erknurrte noch einmal. Ragnar sah, wie er die Muskeln spannte.Er konnte jetzt erkennen, dass am Handgelenk des Wolfen einArmband ganz ähnlich wie seines glitzerte, und mit einemEntsetzens Schauder wusste er, dass es sich um einen seinerehemaligen Kameraden handelte. Aber um wen?, fragte er sich.War er ein Freund oder ein Feind?

Einen Augenblick später waren alle derartigen Überlegungenmüßig. Der Wolfen sprang. Einem instinktiven Reflex folgend,stieß Ragnar ihm den Speer in die Brust. Die lange Klinge fandeinen Weg durch die Rippen und bohrte sich ins Herz desUngeheuers. Der Schaft bog sich und brach dann unter demGewicht des Wolfen und der Gewalt seines Sprungs. Ragnarwurde gegen den Felsen geschleudert und starrte der Kreatureinen Moment lang in die Augen. Menschliche Intelligenzschien in sie zurückzufluten.

Die verzerrten Lippen formten ein einziges Word »Ragnar«,dann starb der Wolfen.

Ragnar starrte auf die zusammengesunkene Gestalt, undseine Tat erfüllte ihn sowohl mit Entsetzen als auch mitTriumph. Er hatte einen Wolfen getötet. Allein. Aber er hatteden Wolfen auch als Mensch gekannt und als guten Freund.Ragnar bückte sich, um das Armband am Handgelenk derKreatur zu betrachten und herauszufinden, wer es gewesen

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war, wobei er wider alle Vernunft hoffte, es möge Strybjörnsein.

Im flackernden Licht des Feuers war die in das Metallgeritzte Rune deutlich zu sehen: das Zeichen des Falken.Ragnar brüllte ein lautes Heulen der Wut und de Kummers indie kalte, gleichgültige Nacht hinaus, da er soeben Kjel getötethatte, seinen einzigen wahrer Freund.

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AUFNAHME

Ragnar lag wieder auf dem Operationsaltar. Er schaute zuden maskierten Gesichtern der Eisenpriester auf. Er konnte dasunterschwellige Brummen ihrer Maschinerie, diemerkwürdigen rituellen Gesänge und das gelegentlicheSchreien eines Kriegers hören, wenn die kreisrunden Messerder Priester in ihr Fleisch schnitten.

Der Tisch unter ihm war klebrig von seinem geronnenenBlut, und dessen Geruch sowie derjenige verschiedenerChemikalien drangen ihm in die Nase. Seine Finger krampftensich um die Metallgriffe an den Seiten des Altars. Er holte tiefLuft und zwang sich zur Ruhe.

Seit seiner Rückkehr in den Fang waren viele merkwürdigemedizinische Rituale an ihm vollzogen worden. Man hatte ihnin verschiedene technische Maschinen gesteckt und untersucht.Eisenpriester hatten ihn mit Sensorstäben gepiekt, seinen Kopfin Scannerhelme gesteckt und Aufzeichnungskabel an seinenGliedern festgeklemmt. Man hatte ihn mit einer Diät ausFleisch und Ale gefüttert, die mit dem chemischen Makelvieler fremdartiger Drogen versetzt war. Seine verbessertenSinne hatten ihm die Zusätze verraten, aber er ging davon aus,dass sie zu seinem Besten darin enthalten waren, so dass er sichdeswegen keine Sorgen machte. Nicht, dass ihm Besorgnisetwas genützt hätte, da er vollkommen der Willkür derEisenpriester ausgeliefert war.

Wenigstens lebte er noch. Das galt nicht für alle anderenAnwärter. Sven war wieder da. Strybjörn ebenfalls. Und auchviele andere, aber nicht alle. Wenigstens fünf, unter ihnen auchKjel, waren nicht von der letzten Prüfung zurückgekehrt. Einganzer Monat war vergangen, und es war unwahrscheinlich,dass es noch einer von ihnen schaffen würde.

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Ragnar zwang sich, den Gedanken an Kjel zu verdrängen. Erdachte nicht gern darüber nach. Kjel war sein bester Freundunter den Anwärtern gewesen, und jetzt war er tot. In letzterZeit hatte Ragnar oft wach gelegen und sich gefragt, wie es fürden Falkner wohl gewesen war, allein durch die unendlicheWildnis zu wandern, während sein Körper sich in etwasUnmenschliches verwandelte und die Bestie in ihm seinenGeist und seine Seele verschlang. War ihm ständig bewusstgewesen, was vorging? Oder war ihm schon früh gnädigesVergessen vergönnt gewesen? Ragnar würde es nie erfahren.

Die Eisenpriester versicherten ihm, dass die durch denWolfenkelch hervorgerufenen Veränderungen abgechlossenseien, dass sein Körper das magische Ding, das sie Canis-Helixnannten, vollständig integriert habt und dass er bereit sei, in dienächste Phase des Vorgangs einzutreten, der ihn zu einemSpace Wolf machen würde. Er war bereit, sich das Dingeinsetzen zu lassen welches sie Gensaat nannten.

Ragnar holte noch einmal tief Luft und bemühte sich ruhigzu bleiben. Der Bestie, der animalischen Seite seines Wesens,gefiel das nicht. Sie hasste es, angeschnallt eingesperrt unddem Willen anderer unterworfen zu sein. Ihr gefiel diese Sacheganz und gar nicht. Er konnte nichts dagegen tun. Er wandteden Kopf ein wenig und sah, dass sich einer der Eisenpriesternäherte. Er hielt einen Glaskelch ehrerbietig in beiden Händen.Darin befand sich ein schwammiges, fleischiges Ding, aus demverschiedene Knötchen und Geweberöhrchen ragten. DerSingsang der Priester rings um Ragnars Altar wurde lauter undrhythmischer.

Dies war die Gensaat, wie Ragnar wusste, als er sich an dieDinge erinnerte, die er in den letzten Wochen gelernt hatte.Dies war der Hauptbestandteil, von dem alle anderen abhingenund der ihm die Verwandlung in einen echten Space Wolfermöglichte. Er würde seinen Körper in die Lage versetzen,sich anzupassen, und die Kontrolle über die Vielzahl anderer

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Implantate übernehmen, welche die Eisenpriester in seinenKörper einsetzen würden. Das Ding sah nach nichts aus, aberes war heilig. Dieser Fetzen blutigen Fleisches war von vielenWölfen vor Ragnar getragen worden und stammte ursprünglichaus dem Fleisch und Blut von Russ persönlich. Er war einunmittelbares Bindeglied zu den alten Zeiten und zu dem Gottseines Volkes. Für Ragnar war es ein schwindelerregenderGedanke, dass sich bald ein Teil seines Gottes in seinemKörper befinden würde. Andererseits traf das auf alle SpaceWolves zu, was natürlich auch einiges hinsichtlich ihrerübermenschlichen Eigenschaften erklärte. In einem sehr reellenSinn waren sie mit den Göttern verwandt. Und sehr bald,dachte Ragnar, war er das auch, wenn alles klappte!

Der Eisenpriester kam immer näher. Ragnar spürte, wie eineNadel in seinen Arm gestochen wurde. In seinemhypersensiblen Zustand fühlte sich der Piekser wie einSchwertstich an. Einem kurzen Aufflammen von Schmerzenfolgte Kühle, die ausgehend von dem Einstich durch seineAdern floss. Augenblicke später war er entspannt und taub undsich seines Körpers nur noch als weit entferntes Anhängselbewusst. Es war, als treibe seine Seele auf einer Wolke aus Eisund schaue den Dingen zu, die seinem Fleisch widerfuhren.

Er spürte seine Haut beben und einen sanften Druck auf derBrust, als ihn einer der Eisenpriester mit einer Spaltsägeschnitt. Fleisch teilte sich. Blut floss. Ragnar bezweifelte, dassmit einem Axthieb mehr Schaden hätte angerichtet werdenkönnen, und doch spürte er nur ein vorübergehendesUnbehagen. Er sah, wie der hohe Eisenpriester einekomplizierte Geste über dem Gefäß beschrieb, in dem dieGensaat ruhte, bevor er mit einer behandschuhten Handhineingriff und das fleischige Ding herausholte. Er hörte einmerkwürdiges Sauggeräusch, als die Gensaat in seinenBrustkorb gelegt wurde und damit begann, sich mit seinenNerven Adern und Sehnen zu verbinden. Es war ein

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sonderbares Gefühl, wie er es noch nie erlebt hatte. Es war so,als krabble ein Lebewesen in seiner Brusthöhle umher. E stelltesich vor, wie Tentakel aus Fleisch aus der äußerer Umhüllungwuchsen und Adern sprossen wie Wurzeln aus einemSamenkorn, wie sich Nervenenden mit denen seines Körpersverbanden. Diese Vorstellung erfüllte ihn, als er wieder voneiner Nadel gestochen wurde. Geschmolzene Schmerzendurchzuckten ihn und zerstreuten die kühle Losgelöstheit, undsein Geist versank einen dunklen Abgrund.

***

Ragnar kniete in der Meditationskammer. Er fühlte sich jetztbesser. Seine Brust fühlte sich nicht mehr geschwollen unddurch die Anwesenheit der Gensaat beengt an. Die Narben derZeremonie verblassten bereits, obwohl erst ein paar Tageverstrichen waren. Er spürte nur noch bei Berührungen eineleichte Empfindlichkeit in dem gesamten Bereich. Er hatte dieStelle jeden Tag betastet, wie man ein Loch im Zahn mit derZunge sondieren würde. In diesem Augenblick kam es ihmunvorstellbar vor, dass sowohl die Narben als auch dieEmpfindlichkeit ein Zeichen von Russ' Gunst waren, und dochwusste er, dass es so sein musste. Die Dinge, die er in denvergangenen Tagen gelernt hatte, ließen daran kaum einenZweifel.

Er schlug sich die Gedanken mit einer bewusstenAnstrengung aus dem Kopf und konzentrierte sich auf, Ranek.Der Wolfpriester stand wieder einmal vor den Anwärtern undbedeutete ihnen, mit dem Ritual zu beginnen. Ragnar reinigteden Geist, wie man es ihn gelehrt hatte, und begann mit demmerkwürdigen Gebet. Er spürte, wie er sich entspannte, als erdie Hand ausstreckte und die Krone des Wissens aufhob. Siewar ein geheimnisvolles und uraltes Gebilde aus Messing und

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Eisen und über pulsierende Kabel aus Kupfer und Glas mit denMaschinen des Wissens verbunden. Ranek hatte ihnen erklärt,die Kronen seien mit großen Wissensmaschinen verbunden, indenen die gesamte Geschichte des Ordens und darüber hinausviel altes Wissen gespeichert sei. Durch das Aufsetzen derKrone könne dieses Wissen direkt in seinen Kopf gepumptwerden, und zwar mit einem Tempo, das viel größer sei als das,mit dem eine Person sich normalerweise Dinge einpräge.Ragnar fand den ganzen Vorgang beängstigend und magisch.Als die Krone an Ort und Stelle saß und die Priester dieentsprechenden Litaneien intoniert hatten, kam das Wissen.Nicht nur in Form von Worten und Erinnerungen, sondern auchin Geräuschen, Bildern und Gefühlen. Ragnar wusste, dassseine eigenen Gefühle von den Maschinen irgendwie verändertwurden, aber das war ihm egal: der Besitz des Wissens war denPreis wert. Er hatte in so wenigen Tagen so viel gelernt. Aufseine ganz eigene Weise war es ein erhellendes Erlebnis. Jemehr er erfuhr, desto besser verstand er die Space Wolves, undje besser er den Orden verstand, desto mehr sehnte er sichdanach, ihm zu dienen und Teil von ihm zu werden.

Er wusste jetzt, dass die Welt viel größer und komplizierterwar, als er je geglaubt hatte. Tatsächlich gab es nicht nur eineWelt, sondern viele. Fenris war eine Kugel, die das Auge vonRuss umkreiste. Und diese Kugel war wiederum nur eine vonvielen solcher Welten, die im Raum um diese gewaltige Sonnekreisten. Und das Auge von Russ war wiederum nur eine vonMillionen Sonnen, aus denen die Galaxis bestand, und vondenen viele von anderen bewohnten Welten umkreist wurden.Das Seltsamste war jedoch, dass nicht alle diese Welten vonMenschen bewohnt waren. Manche wurden von grünhäutigenUngeheuern besiedelt, die Orks genannt wurden. Andere warendie Heimat eines hochgewachsenen und wunderschönen, abervöllig fremdartigen Volks, das die Eldar genannt wurde. Einganzer Abschnitt der Galaxis war die Heimat von Dämonen

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und jenen, die ihnen dienten.Der Großteil der Menschenwelten wurde vom Imperium

beherrscht, dem die Space Wolves dienten. Das Imperiumwurde vom Kaiser regiert, dem Allvater und verkrüppeltenGott, der Russ und dessen Brüdern das Leben geschenkt hatteund dessen zerschmetterte Hülle jetzt in einer großen Maschineauf der Welt der Vorfahren existierte, die Terra genannt wurde.Dem Kaiser diente ein gewaltiges Heer von Priestern,Magistraten, Regenten und Steuereinnehmern. In seinemNamen zogen riesige Armeen in gewaltigen Schiffen durch dieGalaxis, die zwischen den Sternen segelten. Alle anderenRassen, Nationen und Königreiche, von denen Ragnar erfahrenhatte, waren Feinde des Kaisers und der Menschheit undwürden alles tun, um die Herrschaft des Allvaters zuuntergraben und sein Reich zu vernichten. Überall in derGalaxis tobten grausame Kriege zwischen den Legionen desKaisers und jenen seiner Feinde, und die Wölfe kämpften invielen dieser Kriege an vorderster Front.

Er sah die Gründung der Wölfe vor unendlich vielen Jahren,als der Allvater noch jung war und unter den Menschenwandelte. Er sah Russ' Ankunft auf Fenris und das Eintreffendes Allvaters, der seinen verlorenen Sohn suchte. Er sah, wieRuss seine Ehrengarde aus Kriegern rekrutierte und sie dieWölfe des Weltraums taufte. Er sah auch, dass der Allvaterviele starke Söhne hatte, die Primarche genannt wurden undihre eigenen Orden gründeten, wie Russ es getan hatte. Ererfuhr, dass diese Krieger, die alle die Gensaat ihres Primarchsteilten, in ihrer Gesamtheit als Space Marines bezeichnetwurden.

Ragnar sah die Gründung des Imperiums und dann denfurchtbaren Krieg mit dem Erzketzer und Verräter Horus, derdas neu gegründete Reich zerriss und zur Verkrüppelung desAllvaters und zu Horus' Tod führte. Er sah, dass viele derSpace Marines und ihrer Primarche Horus in dessen Torheit

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folgten und ihren dem Kaiser geschworenen Eid brachen. Ersah sie zu dem seltsam verdrehten Bereich der Galaxisaufbrechen, der als Auge des Schreckens bekannt war, underlebte, wie sie sich zu Wesen zurückentwickelten, die wenigerals ein Mensch waren. Ragnar wusste jetzt, dass ihm Wissenzugänglich gemacht wurde, das der überwiegenden Mehrheitder Bevölkerung vorenthalten blieb, und er dieses Wissenniemals und in keinem Fall jemandem mitteilen durfte, der esnoch nicht kannte. Ihm schauderte, als er von den vierGroßmächten des Chaos erfuhr, den ultimativen Erzdämonen,die immer und ewig daran arbeiteten, das Reich derMenschheit zu zerstören.

Da war Khorne, der Blutgott, der Herr des Schlachtens,dessen Anhänger lachend ins Feld zogen und von einemunstillbaren Durst nach Gemetzel erfüllt waren. Da warTzeentch, der Große Mutator, der seine Anhänger verwandelteund in die finstersten Geheimnisse der Zauberei einweihte. Dawar Nurgle, der Seuchenfürst, dessen Anhänger Krankheitenbis in die entferntesten Winkel des Kosmos verbreiteten. Undda war Slaanesh, der verderbte Gott der unaussprechlichenFreuden. Er wusste jetzt genug, um in einigen der Wesen,denen er in seinen Visionen jenseits von Morkais Tor begegnetwar, ihre Anhänger zu erkennen. Ragnar betete sehr ernsthaft,er möge niemals mehr erfahren müssen.

Er erfuhr von Russ' Verschwinden auf seiner großen Queste,die Samen des Lebensbaums zu finden, die seinen Kaiserheilen würden, und von der langen und ehrenhaften Geschichteder Wölfe bis in die Gegenwart. Mehr und mehr Wissenströmte in sein williges Hirn, und er sog es auf wie einSchwamm.

Er sah jetzt, wie groß und schrecklich die Feinde derMenschheit waren und wie groß der Bedarf an mächtigenKriegern war, um ihnen entgegenzutreten. Er begriff jetzt,warum die Prüfung der Anwärter so grausam und unerbittlich

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war. In diesen dunklen Zeiten konnte kein Makel in jenengeduldet werden, welche sich zwischen die Menschheit undihre Feinde stellten.

Gesänge, Litaneien und Gebete erfüllten seinen Geist. Erverstand jetzt viele davon. Sie sollten die Gedanken einesKriegers sammeln, um dessen Glauben so stark zu halten wieseinen Arm. Er wusste, dass es andere gab, die ihm helfenwürden, seine neuen Fähigkeiten einzusetzen, die er täglichhinzugewann, da die Eisenpriesten ihre Arbeit taten.

Er verstand die Veränderungen jetzt besser, die in seinemKörper stattfanden. Man gab ihm das Wissen, das ihm beimVerständnis half. Er wusste, dass man ihm ein zweites Herzund dazu verstärkte Muskeln und Drüsen gegeben hatte, die ihnin die Lage versetzten, giftige Luft zu atmen und vergifteteNahrung zu sich zu nehmen, ohne Schaden zu nehmen. SeineSinne waren noch schärfer und sein Körper nochwiderstandsfähiger gemacht worden. Er konnte sich vonpraktisch jeder Wunde erholen, die ihn nicht augenblicklichumbrachte und zwar auch ohne medizinische Hilfe, wenn ergenug Zeit hatte. Er lernte die Grundlagen der Feldmedizin fürdas Ausbrennen bei Amputationen.

Der größte Teil seines Körpers war in einen biegsamenschwarzen Metallpanzer gehüllt. Die verschiedenen daraushervorstehenden Knoten aus Plastahl waren Kontaktpunkte, dieseinen Körper in die Lage versetzten, sich mit der Rüstung zuverbinden, die alle Space Marines wie eine zweite Haut trugen.Er war erstaunt, dass er jetzt über das Vokabular und dasWissen verfügte, um diese Begriffe und Konzepte zuverstehen. Die Macht dieser alten Maschinen war wahrhaftiggroß.

Immer mehr Wissen floss in seinen Verstand. Er erfuhr vonverschiedensten Waffen und ihrem Gebrauch. Er lernte allesüber Taktik und Organisationsstrukturen. Er lernte die zehngrundlegenden Angriffsmanöver und die vier starken

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Verteidigungen. Und er lächelte, als er dies tat, da dasLustzentrum seines Gehirns von den unglaublich kompliziertenund raffinierten Mechanismen der alten Maschinen stimuliertwurde.

Er sah die Organisation seines Ordens. Er sah, dass er inzwölf große Kompanien eingeteilt war, die jede von einemmächtigen Anführer befehligt wurde, der seiner Kompanieauch ihren Namen gab. Er sah, dass es eine dreizehnte großeKompanie gab, die zum Anführer des Ordens gehörte und ausallen Priestern und den übrigen Kriegern bestand. Er sah dieBeförderungsmöglichkeiten und Dienstränge innerhalb desOrdens. Er erfuhr, dass er, falls man ihn aufnahm, eineBlutkralle sein würde, Teil eines Rudels gleichartigerjugendlicher Krieger, die sich mühten, die widerspenstigeBestie in sich zu zähmen. Wenn er überlebte, würde er zuerstein Grauer Jäger und später, wenn er älter, weiser, mächtigerund schlauer war, ein Langfang werden.

Immer weiter floss der endlose Wissensstrom, brannte sichin sein Gedächtnis ein, machte ihn klüger und veranlasste seinHirn, vor Liebe zu seinem Orden, zu Russ und zum Kaiser zustrahlen.

***

»Heb deinen Arm«, sagte der Eisenpriester. Servomotorenjaulten, als Ragnar es tat. Der Priester nickte mit seinemmaskierten Kopf und zog dann mit seinem Elektroschrauberein Gelenk nach. Ragnar spürte, wie er es tat. Die Empfindungwar merkwürdig, nicht direkt schmerzhaft, aber sie ließ ihnwissen, dass etwas mit seinem Plastahl-Panzer geschah. Das insein Hirn implantierte Wissen verriet ihm, dass er in denkommenden Monaten und Jahren besser darin werden würde,die Bedeutung dieser Empfindungen zu erkennen.

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»Jetzt beweg deine Finger.« Ragnar tat, wie ihm gel heißen.Abermals nahm der Priester einige Korrekturen vor. Sofortfühlte sich seine Hand besser, gelenkiger und stärker an. DerPriester hielt den Maschinengeistern eine Litanei undverbeugte sich dann noch einmal. Es hatte den Anschein, alssei seine Arbeit bei endet.

»Du darfst aufstehen«, sagte der Priester. Ragnar erhob sichvom Altar. Dabei zogen sich die verschiedenen Kabel undLeitungen, die der Priester an ihn angeschlossen hatte, in diegeheiligte Steinplatte zurück. Er konnte sich frei bewegen.Ragnar lächelte und betrachtete seinen Körper. Seine massigeGestalt war in Plastahl und Ceramit gehüllt, aber er fühlte sichnicht viel anders als vorher. Er hatte nicht das Gefühl, in einerschweren Rüstung gefangen zu sein. Wenn überhaupt, fühlte ersich leichter, ausdauernder und stärker. Er wusste jetzt, dass diestarken Servomotoren in der Rüstung ihre Arbeit taten unddabei halfen, sein Gewicht zu tragen, um ihn beweglich zumachen. Der Eisenpriester hatte diese Art von Lächeln offenbarschon oft gesehen und kannte seine Bedeutung.

»Du musst in den nächsten Tagen sehr vorsichtig sein, weildu deine Kraft noch nicht richtig kennst.«

Ragnar sah ihn an, da er ihm nicht ganz folgen konnte. Einkleiner Robot-Diener kam auf die Geste des Priesters näher.Ein Fach in seiner Brust öffnete sich, und ein langerTeleskoparm wurde ausgefahren und reichte dem Priester einenStein. Ragnar staunte über die scheinbar mystische Art, wie derPriester und seine Maschine miteinander kommunizierten.Nicht ein Wort war gesprochen worden.

»Nimm diesen Stein«, sagte der Eisenpriester. »Keine Sorge.Es ist vollkommen ohne Bedeutung. Ich will dir nur etwaszeigen.«

Ragnar nahm den Stein und staunte dabei über dieEmpfindlichkeit der Handschuhe, die ihn die Struktur des

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Steins spüren ließen, obwohl sie dick genug waren, um einenAxthieb aufzuhalten. Es war nicht ganz so, als berühre er denStein mit der nackten Haut. Es fühlte sich mehr so an, als trageer ganz dünne Handschuhe. Der Eisenpriester hatte Recht. Eswürde einige Zeit dauern, bis er sich daran gewöhnt hatte.

»Zermalme den Stein«, sagte der Eisenpriester.Ragnar sah ihn an, da er nicht ganz begreifen konnte, was

der Priester verlangte. Er wusste, dass es den Systemen in denHandschuhen theoretisch möglich war, genug Druck zuerzeugen, um das zu schaffen, doch irgendein Instinkt inseinem Kopf wehrte sich gegen die Vorstellung. Es war nichtmöglich. Menschliche Wesen konnten nicht mit den bloßeHänden Steine zermalmen.

»Tu es«, sagte der Priester. Seine Stimme enthielt einenbefehlenden Unterton, dem er sich nicht widersetzen konnte.Ragnar schloss die Faust. Augenblicklich spürte er Widerstand,und instinktiv lockerte er den Griff, aber der Eisenpriesterwiederholte seinen Befehl noch einmal. Ein Knirschen ertönte,als der Stein zerbröselte wie eine Eierschale. Ragnar öffneteseine Hand und sah, dass von dem harten Stein nur noch kleineKrümel übrig waren.

Er atmete ganz langsam aus. Jetzt begann er wahrhaftig dieMacht zu verstehen, die man ihm verliehen hatte.

***

»Das sind eure persönlichen Waffen«, sagte der Rüstmeister.»Ihr seid selbst für sie verantwortlich. In jede ist euerRunenzeichen eingestempelt, so dass ihr sie erkennen könntund wir in der Lage sind, sie im Falle eures Todes zuidentifizieren.«

Ragnar nahm die Waffen ehrerbietig an sich. Es gab eine

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Projektilwaffe, die Bolzenpistole genannt wurde. Sie ähnelteder magischen Waffe, mit der Ranek den Meerdrachen getötethatte, war jedoch kleiner. Und es gab ein Kettenschwert, eineder mächtigen Waffen, die Sergeant Hakon getragen hatte. ImGürtel, an dem die Pistole in einem Halfter steckte, befand sichein Spender für weitere kleine, aber nicht weniger mächtigeWaffen, die als Mikrogranaten bezeichnet wurden.

»Seid vorsichtig damit«, sagte der Rüstmeister. »FürDummköpfe sind sie ebenso gefährlich wie für Feinde. Jetztfolgt dem Diener und meldet euch auf den Übungsständen.«

Ragnar sah sich um und erblickte Sven, Nils, Strybjörn unddie anderen, die dastanden und ihre Waffen begutachteten. Siesahen jetzt alle anders aus, größer, schwerer und stämmiger,und sie hatten den Kopf bis auf eine lange Haarsträhnekahlrasiert und waren in eine Rüstung gehüllt.

Auf ihren Gesichtern stand derselbe Ausdruck von Stolz undStaunen, der sich, wie er wusste, auch auf seinem Gesichtzeigte. Sie sahen alle so aus, als habe man ihnen geradeZauberwaffen aus der Legende überreicht, und in gewisserWeise war genau das geschehen. Er warf Strybjörn noch einenlangen harten Blick zu. Es war durchaus möglich, dass derGrimmschädel auf den Übungsständen einen Unfall erlitt.Strybjörn sah auf und begegnete seinem Blick, und Ragnarhatte plötzlich das Gefühl, dass sein Gegner gerade dasselbe inBezug auf ihn dachte.

***

Die Bolzenpistole ruckte in Ragnars Hand. Trotz der Stärkeseiner Rüstung und seines veränderten Körpers war derRückschlag ziemlich heftig. Die Pistole schlug aus wie einwildes Tier, das in der Falle seines Griffs gefangen war.

Die Granate pfiff am Ziel vorbei, traf die Steinmauer

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dahinter und sprengte ein beachtliches Stück aus derHöhlenwand. Ragnar war in Hochstimmung wegen desschieren Machtgefühls, das die Benutzung dieser Waffe ihmvermittelte, aber gleichzeitig war er auch enttäuscht über seineUnfähigkeit, das Ziel zu treffen. Nicht zum ersten Mal gingihm der Unterschied zwischen dem theoretischen Wissen, dasdie alten Maschinen in seinen Kopf verfrachtet hatten, und dertatsächlichen Fähigkeit auf, etwas zu tun.

Er wusste alles über diese Waffe. Er wusste, wie siefunktionierte und dass sie hülsenlose selbsttreibende Munitionverschoss, die in der Lage war, noch auf mehrere hundertSchritt Entfernung Panzerung zu durchschlagen. Er kannte dasFassungsvermögen des Magazins. Er wusste in der Theorie,wie man die Waffe auseinandernahm, reinigte und reparierte.Er wusste alles darüber, wie man mit ihr schoss. Er wusste,dass man sich beim Zielen entspannte und beim Abdrückensanft ausatmete. Bedauerlicherweise gab es einen großenUnterschied zwischen diesem Wissen und der Fähigkeit, esauch umzusetzen.

»Mach dir keine Sorgen, Junge«, sagte Sergeant Hengist, ihrWaffenausbilder. »Lass nur nicht locker. Irgendwann lernst dues. Übung macht den Meister. Und meistern musst du es. Obdu es glaubst oder nicht, es gab einmal eine Zeit, als ich nichteinmal ein Scheunentor getroffen hätte. Jetzt ...«

In einer einzigen flüssigen Bewegung und scheinbar ohne zuzielen oder sich zu konzentrieren, zog Hengist seine eigenePistole und schien dann lediglich den Arm auszustrecken undabzudrücken. Ein Fächer von drei Schüssen traf das Schwarzedirekt über dem Herzen einer Zielscheibe in der Form einesMenschen.

Ragnar sah ehrfürchtig zu. »Bei Ihnen sieht es so leicht aus,Sergeant«, sagte er.

»Nichts ist so leicht, wie es aussieht, Junge. Und es ist das

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Kennzeichen des Meisters, schwierige Dinge leicht aussehenzu lassen.«

Ragnar nickte. Er hörte Hengist gern zu, und es machte ihmSpaß, von dem grau gewordenen Veteranen zu lernen. Das wareines der angenehmsten Dinge, die sein neuer Status mit sichbrachte. Er und die anderen Anwärter waren nichtgleichgestellt, aber wenigstens wurden sie auch nicht wieentbehrliche Dinge behandelt. Sie hatten jetzt einen Wert fürdie Space Wolves Sie mochten zu einem späteren Zeitpunkt inden Orden aufgenommen werden. Oder vielleicht war Hengistauch einfach nur freundlicher als die anderen Space Marines.Eines wurde Ragnar immer bewusster, dass nämlich all diesefurchterregenden Männer verschieden waren. Sie warenPersonen an und für sich, so verschieden wie die Leute inseinem Heimatdorf. Seinem ehemaligen Heimatdorf,korrigierte er sich. In einem anderen, weit entfernten Leben.

Er wusste nicht, warum ihn das überraschte. Vielleicht lag eseinfach daran, dass er sich angewöhnt hatte, alle Space Wolvesals gleich zu betrachten. Jedenfalls sahen sie alle gleich aus.Sie waren alle viel größer und stärker als sterbliche Menschen,und sie besaßen alle jene seltsamen Wolfsaugen undbeängstigenden Fänge. Und in mancherlei Hinsicht hatten siealle dieselbe grimmige, wölfische Art. Und natürlich trugen siealle die graue Rüstung, in denen sie manchmal nicht wieMenschen, sondern wie Maschinen aussahen. Dennochgelangte Ragnar zu der Erkenntnis, dass sie trotz alledemMenschen wie er selbst waren. Und er respektierte sie auchimmer mehr, denn alle hatten dasselbe durchgemacht wie eroder Schlimmeres und außerdem noch unzählige Jahre Kriegüberlebt.

»Versuch's noch mal, Junge«, sagte Hengist freundlich.»Und denk diesmal nicht so sehr darüber nach, was du tust.Entspann dich und tu es einfach. Tu es tausendmal, wenn essein muss, aber tu es immer wieder. Eines Tages wird dein

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Leben und das deiner Kameraden von deiner Treffsicherheitabhängen. So sicher, wie Russ ein Trinker war, ist das dieWahrheit.«

Ragnar nickte und hob wieder die Pistole. Er drehte sich um,weil er sehen wollte, ob Hengist ihn beobachtete, aber derSergeant schritt bereits weiter die Reihe der Anwärter ab undredete jetzt leise mit Sven. Ragnar schloss ein Auge, atmete tiefein und drückte beim Ausatmen ab. Die Granate derBolzenpistole flog am Ziel vorbei und grub sich in die Wand.

Ragnar stieß einen enttäuschten Seufzer aus. Er würde nochlange und ausgiebig üben müssen.

***

Ragnar stürmte durch das Dschungeldickicht. Es war heißund feucht. Grüne Palmwedel peitschten ihm ins Gesicht.Fleischfressende Pflanzen schnappten nach seinen Knien. Erduckte sich unter eine Schlingpflanze hindurch, rutschte aufden Knien weiter und rollte sich vorwärts über den Blattmulchund hinter den umgestürzten Überresten eines gewaltigenUrwaldriesen in Deckung.

Er hörte ein Rascheln vor sich im Unterholz. Er wischte sichSporen aus dem Gesicht, zielte an seinem Pistolenlauf entlangund gab einen Schuss ab. Er durchschlug das Blätterdickichtund explodierte. Svens geduckte Gestalt wurde mit einerFarbwolke überschüttet. »Erwischt«, rief Ragnar.

Mit einem Ächzen presste Sven die Hände auf die Brust unddrückte dabei auf den Knopf, der sein Funkgerät ausschaltete,um sich dann theatralisch fallen zu lassen. Ragnar lächeltezufrieden. Sven war das dritte Mitglied der Roten Gruppe, daser im Laufe dieser Übung ausgeschaltet hatte. Noch eines, dannhatte seine Gruppe gewonnen, und er würde das gesamtegegnerische Team erledigt haben. Er hatte seinen Spaß daran.

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Ihm gefiel es an diesem seltsamen Ort, und ihm gefielen dieManöver. Diese große Höhle voller exotischer Pflanzen warder Ort, an dem die Rekruten die Grundlagen desDschungelkriegs lernten. Es war ein Stück kontrollierteUmwelt tief unterhalb des Fangs, wo Hitze und Feuchtigkeitkonstant gehalten wurden, um die genaue Kopie einer richtigenDschungelwelt zu erschaffen. Er war zufrieden mit sich. SeineTreffsicherheit hatte sich im Laufe der Zeit und mit viel Übungverbessert, wie Sergeant Hengist versprochen hatte.

»Erwischt«, murmelte er in dem Wissen, dass er jetzt nurnoch Strybjörn finden musste, das letzte Mitglied des RotenTeams.

»Und ich habe dich, Ragnar«, sagte eine Stimme hinter ihm.Ragnar fuhr herum und bemühte sich, seine Pistole in Anschlagzu bringen, aber es war zu spät Strybjörn stand da und hatteseine Waffe bereits auf ihn angelegt. Er drückte ab, und derAufprall der Granate warf Ragnar um. Eine Farbwolkebedeckte seine Rüstung. Ragnar erwog kurz, den Treffer zuignorieren und das Feuer auf Strybjörn zu erwidern, doch seinEhrgefühl ließ es nicht zu. Das und das Wissen, dass SergeantHengist sie vermutlich durch eines der Kameraaugen derDrohnen beobachtete, die durch die Höhlen flogen. Frustriertdrückte er auf den Knopf seines Funkgeräts und klinkte sichdamit aus dem Kommunikationsnetz aus.

Ragnar fluchte. Er würde die ganze Nacht schrubbenmüssen, um seine Rüstung wieder sauber zu bekommen.Trotzdem war er dankbar, dass es nur eine Farbgranate undkeine scharfe Munition gewesen war, als Strybjörn geschossenhatte.

Er fragte sich, ob der Grimmschädel auch so schnellabgedrückt hätte, wäre die Waffe mit scharfer Munitiongeladen gewesen. Ragnar wusste, dass er selbst kein Problemdamit gehabt hätte.

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***

Ragnar betrachtete Vrotwulfs Leiche. Es war eine ziemlicheSchweinerei. Sein Hinterkopf war nicht mehr da, und ein Breiaus Blut und Hirnmasse zierte die Wand über der Koje desAnwärters.

»Bei Russ' Knochen«, hauchte Ragnar. Alles war so schnellgegangen. Gerade hatte Vrotwulf noch lachend und scherzenddagesessen und seine Bolzenpistole gereinigt. Dann hatte esgeknallt, und sein Kopf hatte sich aufgelöst. Alles war soschnell gegangen, dass der Junge nicht einmal Gelegenheitzum Schreien gehabt hatte.

Sven kam herüber und betrachtete die Leiche. Er hob diePistole auf und untersuchte sie. »Idiot!«, murmelte er. »DasMagazin war noch darin.«

Ragnar sah genauer hin. »Und der Sicherungsknopf warnicht gedrückt«, fügte er hinzu. Sie sahen einander an. Ragnarnahm an, dass sie beide dasselbe dachten. Es kam immer nochzu Todesfällen in der Ausbildung, meistens infolge schlichterAchtlosigkeit. Langsam erkannte er die Zeichen. Dies war inder Tat ein Teil des Problems, wie ihnen das Wissen vermitteltworden war. Alle Anwärter wussten viele Dinge, aber dasWissen war noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Siekannten alle die Vorgehensweise beim Reinigen ihrer Waffen,aber sie hatten noch nicht den absoluten Respekt verinnerlicht,den die Schusswaffen geboten. So war es mit einem Großteilihres neuen Wissens. Wie immer gab es einen gewaltigenUnterschied zwischen theoretischem Wissen und seinerUmsetzung in die Praxis.

»Ich denke, jemand sollte es oben melden«, sagte Sven. Ersah Ragnar vielsagend an in der Hoffnung, er werde sichfreiwillig melden.

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»Dann geh«, sagte Ragnar. Sven knurrte und zeigte seinesich entwickelnden Fänge, erhob aber keine Einwände. Er undRagnar waren in den vergangenen Wochen oftaneinandergeraten, da sie ihre Stellung innerhalb des Rudelsfinden mussten, doch Ragnar hatte sich jedes Mal durchgesetzt.Die anderen lernten, ihn nicht herauszufordern, sei es zu einemeinfachen Wettstreit der Willenskraft oder zu einemSchlagabtausch. Ragnar widmete sich wieder der Betrachtungder Leiche. Er richtete ein Gebet an Russ.

Tja, dachte er, sie lernten den Respekt auf die harte Tour. Erfragte sich nur, wie viele von ihnen noch sterben würden, bisdie Ausbildung vorbei war.

***

Seines Wissens starben nur noch zwei weitere. EinemAnwärter namens Logi gelang es, sich bei einer Übung mitscharfen Waffen mit seiner eigenen Krak-Granate in die Luftzu sprengen. Ein anderer Anwärter, Hrald, war eines Tageseinfach beim Essen umgekippt. Seine Leiche war von denRobot-Dienern weggekarrt worden, so dass sie von denEisenpriestern seziert werden konnte Niemand begriff, waseigentlich passiert war, obwohl es hieß, dass sein Körperentweder die Gensaat oder die neu implantierten Organeabgestoßen habe. Ragnar wusste nicht, wie das möglich seinsollte, aber das neue in seinem Hirn verankerte Wissen verrietihm, dass menschliche Körper manchmal eben keineImplantate akzeptierten, dass sie sich gegen jede Veränderungwehrten und dass die Person ganz einfach starb. Das war keinaufheiternder Gedanke, weder für Ragnar noch für die anderenAnwärter, aber sie konnten diesbezüglich nichts unternehmen,außer nachts in ihren Zellen wachzuliegen und sich zu fragen,ob ihnen das wohl auch widerfahren würde. Nach ein paar

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Tagen hörte Ragnar einfach auf, sich deswegen Sorgen zumachen. Er war nicht gestorben, und alle weiterenÜberlegungen in dieser Richtung schienen eine sinnloseEnergieverschwendung zu sein.

Außerdem gab es so viel zu lernen und zu tun, dass seinVerstand ständig beschäftigt war. Jeden Tag im Morgengrauenstand er auf und ging in eine der großen Meditationskammern,wo er sich damit beschäftigte, die Litaneien zu rezitieren, dieihm am Tag zuvor übermittelt worden waren. Nach dreiStunden des Nachdenkens über religiöse Mysterien und derEinstellung des Geistes auf den Krieg nahm er ein herzhaftesFrühstück zu sich. Während sein Körper verdaute, war er aneine der alten Lehrmaschinen angeschlossen und ließ sich mehrWissen ins Hirn pumpen und mit dem Wissen auch einebedingungslose Verehrung für Russ und den Kaiser. GegenMittag wurde er steif, aber nicht ermüdet, von diesen uraltenrätselhaften Gerätschaften getrennt und ging zurWaffenkammer. Je nach Ausbildungsplan übte er dann denRest des Tages den Kampf ohne Waffe oder mit den an sieausgegebenen Waffen oder er trainierte Ausdauer und Fitness.Alle paar Tage wurden sie in eine der Umweltkammerngeschickt, die irgendwelchen fremdartigen Landschaftennachempfunden waren, und übten sich dort in den Disziplinender Kriegführung und das Überleben in solch einer Umgebung.Ragnar wusste nach einiger Zeit immer schon vorher, wann soein Tag anstand, da ihm am Tag zuvor das entsprechendeWissen vermittelt wurde.

Danach zogen sie sich für das Abendmahl ins Refektoriumzurück, und dann folgte noch eine abschließende Sitzung,entweder mit den Lehrmaschinen oder den Eisenpriestern. DieDinge, die sie jetzt lernten, waren immer technischer Natur unddrehten sich gewöhnlich um die Wartung ihrer Waffen undRüstungen oder um die neuen Organe, die man ihnenimplantiert hatte. Der Tag endete mit einer mehrstündigen

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Sitzung in den Meditationszellen, und wenn Ragnaranschließend zu Bett ging, fiel er sofort in einen tiefen Schlaf.

Jeden siebten Tag versammelten sie sich in der Kammer derAnwärter, wo Ranek ihnen zum ersten Mal den Zweck ihresDaseins erklärt hatte. Auch der Wolfpriester kam und predigtevor ihnen. Er erzählte alte Geschichten über die ruhmreichenTaten des Ordens und rührte sie mit Schilderungen vonHeldentaten derjenigen, die ihnen vorangegangen waren. Dannwurden sie im Fang herumgeführt, und man zeigte ihnen Orte,die sie noch nicht kannten. Natur und Zweck der großerAnlagen, die zu sehen man ihnen gestattete, wurden ihnenzusammen mit Beispielen für ihre erfolgreiche Anwendungerklärt.

Mit Ehrfurcht betrachtete Ragnar die Schauplatz alterSchlachten mit den Mächten des Chaos aus jenen dunklenEpoche, als der Fang selbst angegriffen worden war. Staunendsah er zu, wie mächtige Luftschiffe abhoben mit dem Ziel, dieLufthülle um Fenris zu durchstoßen und sich mit jenengewaltigen Schiffen zu treffen, welche die unvorstellbarenEntfernungen zwischen den Sternen überwanden. Er starrte aufdie riesigen automatischen Fabriken, in denen Waffen undMunition für die Space Wolves aus den Knochen des Planeten,aus den durch Tiefenbohrungen gewonnenen Metallen,Mineralien und Öl, hergestellt wurden.

Als aus den Tagen Wochen und aus den Wochen Monatewurden, fand er sich immer besser mit seiner neuen Stellungzurecht. Er lernte viele der Leute im Fang mit Namen kennenund sah, dass er zunehmend als einer von ihnen anerkanntwurde, je mehr er lernte, wuchs und überlebte. Er stellte sichimmer besser auf den speziellen Rhythmus dieses Ortes undauf die Tatsache ein, dass die eigentlichen Space Wolves nurselten im Fang waren, da sie praktisch ständig im Dienst desKaisers in der Galaxis unterwegs waren.

Er wusste jetzt mehr über die Organisation des Ordens und

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seine Einteilung in große Kompanien, die das bewaffneteGefolge mächtiger Heerführer waren, und dass es in der Tatnur selten vorkam, dass sich zu einem bestimmten Zeitpunktmehr als eine solche Kompanie im Fang aufhielt. Manchmalkehrten die Kompanien kurz nach Hause zurück, um sich neubewaffnen und ausrüsten zu lassen und um in der Schlachterlittene Verluste mit neuen Rekruten aus den Reihen derAnwärter auszugleichen. Er wusste, dass ein beständiger Flussvon Anwärtern den Fang durchlief und es seine Bestimmungwar, eines Tages ausgewählt zu werden, eine jener großenKompanien zu den Sternen zu begleiten.

Er sah viele neue Anwärter eintreffen, die von Russvik undanderen Orten in Asaheim kamen und die durch Morkais Torgehen mussten. Er erkannte auch diejenigen wieder, die vorihm eingetroffen waren. Manchmal sah er auch richtige SpaceWolves in den Meditationskammern. Ergraute Krieger, die vonunglaublichen Abenteuern zurückkehrten und einenAugenblick des Friedens in den heiligen Stätten des Fangssuchten, bevor sie sich wieder ihren Pflichten widmeten. Beisolchen Gelegenheiten wollte er nichts mehr, als sich ihnenanschließen und sich auf den Weg machen zu den großenSchlachten in den entlegensten Gegenden des Universums,aber tief im Herzen wusste er, dass er noch einen weiten Wegzurückzulegen hatte, bevor dieser Tag kommen würde. Ragnarhatte von den älteren Anwärtern erfahren, dass manchmal Jahreverstrichen, bevor sie sich ihren Brüdern im Einsatzanschließen durften. Andererseits, sagte er sich, war das garnicht schlecht, weil es ihm reichlich Zeit gab, seineFertigkeiten zu üben und sicherzustellen, dass er sich nichtblamierte, wenn der große Tag kam.

Sein Hass auf Strybjörn wurde zu einem dumpfen Schmerz,der an ihm nagte, aber der Grimmschädel war dennoch zueinem Teil seines neuen Lebens geworden wie Sven, Nils unddie anderen. Sie trainierten alle zusammen und als Gruppe, und

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ihnen war allen klar, dass sie Teil eines Kampftrupps warenund gemeinsam an die Front entlassen würden, wenn die Zeitgekommen war. Sie waren immer noch keine vollwertigenBlutkrallen oder einem Heerführer zugeteilt worden, aber siewussten, der Tag würde kommen, an dem das geschah.Niemand bezweifelte noch, dass sie gut genug waren oder dasssie den Abschluss schaffen würden. Allen war klar, dass es nureine Frage der Zeit war.

***

Ranek betrachtete sie von der Empore. Sein vernarbtesGesicht spiegelte einen Stolz wider, wie er sich auch inRagnars Herz und auf den Zügen aller anwesenden Anwärterfand.

»Ihr habt euch gut geschlagen«, sagte er zu ihnen »Ihr habtalles gelernt, was euch aufgetragen wurde und ihr habtPrüfungen überlebt, wie sie nur wenige Menschen ertragen,geschweige denn überleben könnten. Ihr habt ein Recht darauf,stolz zu sein.

Aber nicht zu stolz, denn alles, was ihr hier gelernt habt,sollte eure Gedanken in die Richtung einer großen Wahrheitlenken. Das Leben eines Raumwolfs ist eine einzige langePrüfung, und es gibt immer noch zahllose Möglichkeiten füreinen Krieger, durch diese Prüfung zu fallen. Er mag feigewerden oder lasch in seiner Pflichtauffassung, oder er mageinem Irrtum oder der Sünde erliegen. Er mag einen kleinenSpalt des Zweifels oder des Hasses ...«

War es nur seine Einbildung, oder sah der WolfpriesterRagnar bei diesen Worten an?

»... des Makels oder der Schwäche offen lassen, durch denunsere dämonischen Feinde in seine Seele eindringen und ihnkorrumpieren können. Wir dürfen niemals vergessen, dass es

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einigen Orden unserer Vorfahren in uralten Zeiten so ergangenist und dass sie in vielerlei Hinsicht mächtige Männer waren,mächtiger noch als wir. Wir dürfen nie vergessen, dass dieKriege, die wir ausfechten, in vielerlei Hinsicht ebenso sehrspirituelle Auseinandersetzungen sind wie körperlicheSchlachten und dass unser Glaube an Russ und den Allvaterunser Schild ist.

Und wir dürfen niemals den Zweck dieses langen Lebens derPrüfungen und Entbehrungen vergessen. Er besteht darinfestzustellen, ob wir würdig sind, unserem Primarch in denletzten Tagen beizustehen, wenn die Mächte des Chaos wieDrachen aus ihren Höhlen kriechen, um das Universum zuverschlingen, und das Ende aller Dinge bevorsteht. Denn indiesen Tagen werden die Auserwählten neben Russ stehen undKrieg gegen das Böse führen, auf dass sich das Schicksal vonallem entscheiden möge. Haltet euch das in Zukunft vorAugen, wenn man von euch verlangt, dass ihr für eureKameraden und für den Orden euer Leben aufs Spiel setzt.Wenn ihr euch als würdig erweist, wird eure Belohnung darinbestehen, in der wichtigsten aller Schlachten neben denallergrößten Helden zu stehen, und mehr kann kein Kriegerverlangen.

Jetzt seid ihr für würdig befunden worden, euch vor demgeheiligten Altar von Russ zu verpflichten und den Reihen derWölfe beizutreten. Tretet vor, kniet vor dem Altar nieder undschwört, dass ihr diesem Orden immer und zu allen Zeitendienen werdet, bis zum Tod und darüber hinaus, mit Leib,Geist, und Seele.«

Als Ragnar dies tat, war es der stolzeste Augenblick seinesLebens.

***

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Ragnar und Sven stießen mit ihren Alekrügen an. Ragnarwarf den Kopf in den Nacken und trank das schaumige Gebräuin einem einzigen Zug. Er wischte sich die Lippen mit seinemgerüsteten Unterarm ab und stieß einen langen Rülpser aus. Erwar betrunken und wusste es auch. Dieses Ale musste ziemlichstark sein, ging ihm auf, wenn es trotz der Fähigkeit seinesKörpers, Gifte zu neutralisieren, eine derartige Wirkung auf ihnhatte. Vielleicht war dies der Ursprung der Legenden über jene,die angeblich gestorben waren, nachdem sie das Ale der Göttergetrunken hatten. Nicht, dass ihm das im Augenblick wichtiggewesen wäre.

Er sah sich in der Halle um. Sie war voll. Es schien so, alshätten sich alle im Fang anlässlich des Fests der Aufnahme hierversammelt. Die Kammer war mit langen Klapptischenvollgestellt. Die neu aufgenommenen Anwärter hatten einegroße Bank für sich allein. Kreaturen halb Mensch, halbMaschine versorgten sie unablässig mit Ale und Tellern mitfrischem Wildbret, das auf riesigen Spießen am Ende desRaums gegrillt wurde. Auf dem Tisch standen Teller mit Brot,Butter und Käse. Er glaubte, dass ihm Essen noch nie so gutgeschmeckt hatte. Vielleicht lag das nur an seinen verbessertenSinnen, vielleicht war das Essen aber auch nur von bessererQualität, als Ragnar es gewöhnt war.

»Noch einen, Ragnar«, sagte Sven, dessen Gesicht vor Glückund Ale gerötet war, »und dann messen wir uns imArmdrücken.«

»Gut!« Ragnar trank mehr Ale und spürte Raneks Blick aufsich ruhen. Er hob seinen Krug und prostete dem Wolfpriesterzu. Ranek erwiderte die Geste herzlich. Ihm folgten gerüsteteGestalten auf allen Seiten. Spontan stimmten die versammeltenWölfe lautstark ein frivoles Lied an. Ragnar kannte den Textzwar nicht, aber er fiel trotzdem ein, indem er die Melodiemitgrölte und nur innehielt, um sich mehr Essen in den Mundzu stopfen und es mit Ale hinunterzuspülen.

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Sein Glück wurde nur von der Anwesenheit Strybjörns anseinem Tisch getrübt. Bald würde es eine Abrechnung geben,dachte er. Er hatte seine Rache viel zu lange aufgeschoben.Nachdem Ragnars benebeltem Verstand diese Erkenntnisgekommen war, kam ihm der Abend lange nicht mehr sostrahlend, das Bier nicht mehr so köstlich und der Gesang nichtmehr so erhebend vor.

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14

IM FELD

Ragnar umklammerte das Heft des Kettenschwerts fester,während er dem startenden Thunderhawk nachsah. DasTriebwerk des Luftschiffs flammte grell auf, als es über dieBerge davonraste. Sekunden später ertönte ein Geräusch wieein Donnerschlag, und das Vehikel war verschwunden. Er warfeinen Blick auf die anderen, um festzustellen, wie sie damitzurechtkamen.

Niemand im Rudel sah nervös oder betroffen aus, was gutwar, wenn man bedachte, dass dies die erste aktive Mission derBlutkrallen war. Sie alle, auch Ragnar, schauten SergeantHengist an und warteten auf seine Befehle, aber der ältereRaumwolf schien in diesem Augenblick eigenen Gedankennachzuhängen, also richtete Ragnar seine Aufmerksamkeitwieder auf seine Umgebung.

Das Rudel war an einem trostlosen Ort gelandet. Nicht ganzso wild wie die Berge, die er vor seiner Aufnahmedurchwandert hatte, aber doch so zerklüftet, dass es denmeisten zu denken gab. Sie standen auf der Lichtung einesWaldes in einem langgestreckten Tal. Überall ringsumherreckten gewaltige Berge ihre schneebedeckten Gipfel in denHimmel. Irgendwo in der Ferne konnte er das Geräuschplätschernden Wassers hören. Das musste der Fluss sein, densie aus der Luft gesehen hatten, dachte er, der das Taldurchschnitt und sich weiter unten mit den Seen vereinigte.

Der Wald ringsumher war dunkel und finster. Er konntePinien, Graublätter und andere zähe und widerstandsfähigeBaumarten riechen, die in dieser Höhe noch wuchsen. Erkonnte das Rascheln kleiner Tiere im Unterholz undVögelgezwitscher hören. Strahlen frühmorgendlichen Lichtsdurchbrachen die Wolken und ließen den grauen Morgen etwas

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freundlicher erscheinen. In der Ferne sammelten sichrußschwarze Gewitterwolken, und Ragnar erkannte, dass esnoch vor Einbruch der Dunkelheit ein Gewitter geben würde.Das bereitete ihm keine Sorgen. Er hatte sich an das extremwechselhafte Wetter in den Bergen gewöhnt. Oder wenigstenshoffte er das. Eine leise, behutsame innere Stimme wandte ein,dass kein Mensch sich je an das Klima hier gewöhnte undjedem Mensch, der etwas anderes dachte, das frühe Grab einesDummkopfs bestimmt war. Es war immer das Beste, dieelementaren Gewalten der Natur zu respektieren.

Soweit er das sagen konnte, gab es keine unmittelbarenGefahren, aber auch das hatte nichts zu bedeuten. Man hatteihm beigebracht, immer auf Schwierigkeiten vorbereitet zusein. Wer konnte es also sagen? Alles Mögliche mochte dortdraußen im Hinterhalt lauern. Vielleicht war es so dem Rudelzuvor ergangen.

Ragnar musterte die Umgebung über den Lauf seinerBolzenpistole, da er Ausschau nach einem Ziel hielt. Nichtswar zu sehen außer einigen Eichhörnchen, die am Fuß einesBaumes in der Nähe Nüsse suchten. Keine finsteren Truppenwaren zu sehen. Vielleicht hatte das Rudel sich verirrt oder waraufgehalten worden, oder vielleicht war ihreKommunikationsanlage ausgefallen. Ragnar lächelte in sichhinein. Er bezweifelte die Stichhaltigkeit einfacherErklärungen. Ein Rudel Blutkrallen, das von einem erfahrenenSergeant der Space Wolves angeführt wurde, konnte sich nichtin den Bergen Asaheims verirren. Sie hatten Kompasse undPeilgeräte und alle möglichen zuverlässigenAusrüstungsgegenstände, deren Vielseitigkeit Ragnar immernoch staunen ließ. Natürlich konnten Radarstürme diePeilgeräte und Kommunikationsnetze stören, undMagnetstrudel konnten Kompasse unbrauchbar machen. Aberwie groß waren die Chancen, dass beides gleichzeitig geschah?Und dass ein Nebel aufkam, der Orientierung nach Sicht

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unmöglich machte? Gering, dachte er, aber waren sie gleichnull? Es blieb die Tatsache, dass das andere Rudel überfälligwar und sein Rendezvous mit dem Thunderhawk versäumthatte. Zweifellos war irgendetwas vorgefallen, und jetzt war esdie Aufgabe von Hengists Rudel, herauszufinden, wasgeschehen war.

Ragnar warf einen Blick auf den Sergeant. Er untersuchte dieunzähligen Pfade, die von dieser Lichtung wegführten. Ragnarbezweifelte, dass er irgendetwas finden würde. AlleWitterungen würden über eine Woche alt sein, undwahrscheinlich hatte der Regen alle Spuren fortgewaschen.Andererseits wussten sie dies erst mit Bestimmtheit, wenn sienachschauten.

Die anderen Blutkrallen schienen ebenso ungeduldig zu seinwie er selbst. Sie zählten ein Dutzend, die Überlebendensämtlicher Anwärter-Gruppen, mit denen Ragnar angekommenwar. Da waren Strybjörn, Sven und Nils. Er sah auch densonderbaren, hellsichtigen jungen Lars, von dem allebehaupteten, es sei ihm bestimmt, eines Tages Runenpriesterzu werden. Dann waren da noch Snori, Wulf und Kezan undnoch ein paar andere, die Ragnar nicht so gut kannte. Siebrannten alle darauf, aktiv zu werden, da sie diese Gelegenheitergreifen wollten, um sich in Sergeant Hengists Augen zubeweisen.

Ragnar war froh, dass Hengist ihr Anführer war. DieAnwesenheit des alten Veteranen war äußerst beruhigend. Erschien über eine Weisheit und Besonnenheit zu verfügen, wiesie ihnen allen fehlte. Vielleicht kam all das mit den Narbenund den langen Fängen, dachte Ragnar. Hengist war von einerAura der Traurigkeit umgeben, der Traurigkeit eines Mannes,der weit über seine Zeit hinaus gelebt hatte. Ragnar wusste,dass Hengist wie viele Ausbilder im Fang und an Orten wieRussvik der einzige Überlebende seines Rudels war. All diealten Kameraden, mit denen er die Grundausbildung beendet

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und an deren Seite er im Laufe seines Lebens gekämpft hatte,waren tot, so dass Hengist seine letzten Tage allein verbringenmusste. Ragnar sah sich um, und nachdem er seine Kameradenbetrachtet hatte, ging ihm auf, dass es durchaus möglich war,dass einem von ihnen später einmal dieselbe Rolle zufallenwürde. Er betete zu Russ, dass er es nicht sein würde.

Ab und zu hielt der Sergeant inne und konsultierte das kleinePeilgerät in seiner rechten Hand. Ragnar ging auf, dass derSergeant nicht einfach nur nach einem Zeichen Ausschau hielt,sondern seine logischen Fähigkeiten zu Rate zog und überlegte,welchen Pfad die Gesuchten von hier zu ihrer letztenbekannten Position wohl am wahrscheinlichsten genommenhatten.

Nach etwa fünf Minuten nickte der Sergeant zufrieden undbedeutete ihnen, ihm zu folgen, da er den Pfad beschritt, den erausgesucht hatte. Als sie in die Schatten der Bäume traten,trällerte irgendwo in weiter Ferne ein Vogel. Ragnar kannteden Vogel nicht, aber etwas daran war bestürzend. Erschauderte, da ihn plötzlich die Vorahnung einer drohendenKatastrophe überkam. Er schaute sich um und sah, dass Larsanscheinend genauso empfand. Sein asketisches Gesicht warverzerrt, und in seine Augen trat für kurze Zeit ein verstörterAusdruck.

Ragnar schaute weg. Selbst nach den Maßstäben derBlutkrallen, die sich gerade an die Auswirkungen desWolfenkelchs gewöhnt hatten, galt Lars als ziemlichverschroben.

***

Ragnars Rüstung jaulte, als er entschlossen den Hügelempormarschierte. Die Servomotoren und Gyrostabilisatorengaben sich alle Mühe, ihn auf diesen langgezogenen Hängen

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im Gleichgewicht zu halten, und seine gepanzerten Füßewühlten große Brocken aus der Erde, während die SpaceMarines dahineilten. Die kalte klare Luft und die Schönheit derUmgebung versetzte Ragnar in Hochstimmung. Seineverstärkten Muskeln fühlten sich nicht im Geringsten müde an.Es schien so, als leiste die Rüstung den Großteil der Arbeit undmarschiere für ihn, so dass er noch ewig so weitermarschierenkonnte, wenn er wollte. Vor ihm knurrte Sven vor sich hin. DieCanis-Helix schien seinen Charakter verändert zu haben. Erredete mehr mit sich selbst, murrte oft und viel und warbeständig von einer Aura des Trübsinns umgeben. So war eseben, dachte Ragnar mit einem innerlichen Achselzucken.Heute war mehr nötig als Svens schlechte Laune, um RagnarsWohlbefinden zu beeinträchtigen. Natürlich, erinnerte sichRagnar, hatte das Erwachen der Bestie bei ihnen allen Spurenhinterlassen. Ihm war vollkommen klar, dass er selbstaufbrausender und seine Bereitschaft viel größer war, sich vonKleinigkeiten provozieren zu lassen. Jedes Mal, wenn jemandRagnar widersprach oder versuchte, ihn in die Schranken zuweisen, verspürte er den Drang, über den Betreffendenherzufallen und ihm seine Überlegenheit durch schiereKörperkraft zu beweisen. Schlimmstenfalls führte das dazu,dass er den Drang verspürte, ihnen die Kehle durchzubeißen. Insolchen Momenten brauchte er seine ganze Willenskraft, umdie Bestie im Zaum zu halten, und alle Gelassenheit, die ihmdas Rezitieren der alten Litaneien brachte. Das Schlimmstedaran war, dass ihm diese Ausbrüche erst dann auffielen, wennsie vorbei waren. Sie schienen so etwas wie eine natürlicheReaktion zu sein. Und das waren nur die Veränderungen, dieihm aufgefallen waren. Er fragte sich oft, ob es vielleichtandere, tiefergehende gab, die ihm einfach nicht bewusstwaren. Bei einigen anderen verhielt es sich jedenfalls so.

Sven schien gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass erSelbstgespräche führte. Nils war sich nicht bewusst, dass er

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beständig witterte, als schnüffle er nach der Anwesenheit vonFeinden. Strybjörn war noch schweigsamer, noch grimmigerund brütender als je zuvor. Es schien, als müsse ein Preis fürdie unglaublichen Fähigkeiten, die sie erworben hatten,entrichtet werden und als zahle ihn jeder auf seine Art. Das warein bestürzender Gedanke. Man hatte ihnen gesagt, dass siesich mit der Zeit alle anpassen würden, aber gerade in diesemAugenblick fand Ragnar das schwer zu glauben.

Um sich von diesen düsteren Überlegungen abzulenken,dachte Ragnar über ihre Mission nach. Das ursprünglicheRudel war an diesen entlegenen Ort geschickt worden, umeinen seltsamen Meteoritenregen zu untersuchen, der überdiesem Gebiet niedergegangen war. Anscheinend ereignetesich so etwas recht häufig in diesem Teil Asaheims. Dennochmusste so ein Vorkommnis untersucht werden, denn manchmalversuchte der Feind, sich auf die Planetenoberfläche zuschleichen, indem er solche Meteoritenregen als Tarnungbenutzte. Ragnar wusste nicht, was der Feind unternehmenmochte, nachdem er gelandet war, aber er hatte gelernt, dassdie Space Wolves nur selten etwas ohne guten Grund taten.

Als er an die ungeheuren Kräfte der Feinde der Menschheitdachte, ging Ragnar auf, dass dieser Orden allen Grund hatte,wachsam zu sein. Es gab viele seltsame magische und auchtechnische Dinge, die in dieser abgelegenen Gegend inStellung gebracht werden konnten. Ein Spion konnte zumBeispiel alle Geheimnisse der Fang-Akademie in Erfahrungbringen und damit eine regelrechte Invasion einleiten. Erwusste, dass so etwas früher schon vorgekommen war und sichjederzeit wiederholen konnte.

Jedenfalls sollten sie die Überlebenden der ersten Patrouillefinden, falls es welche gab, und jede mögliche Hilfe leisten.Wenn es keine Überlebenden gab, sollten sie die Leichenfinden und die geheiligte Gensaat retten und darüber hinaus inErfahrung bringen, was das erste Rudel vernichtet hatte. Immer

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vorausgesetzt, dass Hengists Rudel nicht ebenfalls ausgelöschtwurde. Diese Möglichkeit bestand immer, dachte Ragnar.Schließlich war die vorherige Einheit ebenso zahlreich und gutbewaffnet gewesen wie sie.

Der Unterschied war, sagte sich Ragnar, dass sie gewarntund somit darauf vorbereitet waren, dass etwas geschah.Darüber musste er unwillkürlich lächeln. Ein Space Marinewar immer vorbereitet. Jede Mission sollte so ausgeführtwerden, als sei sie eine Sache auf Leben und Tod. Schließlichmusste sich diese vernünftige Annahme irgendwann alsschmerzliche Wahrheit enthüllen.

***

Sie lagerten in dieser Nacht weniger, weil sie Ruhebrauchten, sondern um auszuschließen, dass sie in derDunkelheit etwas übersahen. Sie waren dem letzten bekanntenStandort der Gesuchten jetzt viel näher. Ragnar sah jetzt,warum es klug gewesen war, sie in einiger Entfernung davonabzusetzen und sie den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen zulassen. Sie waren von langen, schmalen, bewaldeten Tälernumgeben, in denen es keinen offensichtlichen Landeplatz füreinen Thunderhawk gab. Der einzig vernünftige Weg war derzu Fuß. Außerdem hatten sie einige Spuren desverschwundenen Rudels entdeckt: weggeworfeneVerpflegungsröhrchen und Stellen, wo das Unterholz mitKettenschwertern beseitigt worden war. In gewisser Hinsichtwaren das Anzeichen für Achtlosigkeit oder übermäßigesSelbstvertrauen. Hengists Truppe achtete darauf, keine Spurenzu hinterlassen. Ragnar hatte keine Ahnung, auf was derSergeant zu stoßen befürchtete, aber ganz offensichtlich ging erkein Risiko ein.

Feuer waren nicht entzündet worden. An strategischen

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Stellen rings um das Lager waren Wachen postiert. SämtlicheKommunikation wurde mit Richtfunk und Zerhackerabgewickelt. Jemand, der sie belauschen wollte, würde größteProbleme haben. Ragnar musste sich immer noch darangewöhnen, dass ein kleiner Knopf im Ohr und ein weiterer inder Kehle ihm ermöglichten, sich mit anderen Blutkrallen übergroße Entfernung zu unterhalten, ohne schreien zu müssen,aber er war sehr froh, dass es diese Möglichkeit gab. EinPosten konnte sie rasch und beinahe lautlos warnen, wenn eretwas bemerkte. Falls jemand hoffte, sich anschleichen und sieüberraschen zu können, würde dieser jemand raschherausfinden, dass der Spieß umgedreht worden war.

Ragnar warf einen Blick auf Sven. Das Selbstgesprächschien vorbei zu sein, und er war wieder ganz der Alte. Miteiner Grimasse sog er Nahrungspaste aus einerselbstschließenden Tube. »Ich frage mich, ob sie dieseHundescheiße gleich in die Tuben füllen oder ob sie alsUnterlage zuerst Katzenkotze hineingeben«, sagte er mit einemwehmütigen Grinsen, während er die Tube leersog. Ragnarwusste, was Sven meinte. Der Feldproviant mochte nahrhaftsein und alles enthalten, was ein Krieger brauchte, um im Feldzu überleben, aber er schmeckte nicht einmal annähernd wierichtiges Essen.

»Wenn du deine nicht willst, gib sie mir«, sagte Nils. Ragnarkonnte einfach nicht begreifen, wie jemand, der so hager unddürr war, so viel essen konnte. Diese Meinung wurde von Svenoffensichtlich geteilt.

»Du willst noch mehr davon?«, fragte er.»Mit dem Zeug ist alles in Ordnung. Ich mag es.«Ein Ausdruck der Ungläubigkeit flackerte über Svens

Gesicht. Ragnar fiel auf, dass er trotz seiner Proteste keineAnstalten machte, seine Essenstube weiterzugeben.

»Gibt es nichts, was du nicht essen würdest?«, fragte Sven.

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»Ich weiß nicht. Bis jetzt habe ich noch nichts gefunden.Offenbar gibt es nur sehr wenig, was mein neuer Magen nichtverarbeiten kann.«

Das stimmte. Sie hatten gelernt, dass man ihrem Magen allemöglichen »Enzyme« und »Drüsen« zusammen mit derGensaat hinzugefügt hatte. Sie konnten jetzt Holz essen, wennsie mussten, und selbst Gift, hatte man ihnen gesagt, würde sienicht umbringen. Ragnar war froh darüber, dass erdiesbezüglich noch nie die Probe aufs Exempel hatte machenmüssen.

»Ich habe gesehen, wie er vorhin ein paar Zweige gegessenhat«, sagte Strybjörn.

»Auf einem davon war eine schöne fette Schnecke«, sagteNils mit einem Ausdruck des Genusses. Ragnar wusste nicht,ob das tatsächlich stimmte oder er sich das nur ausgedachthatte, um die anderen Blutkrallen anzuwidern. »Aber ich weißgar nicht, warum Sven sich immer darüber auslässt, was ichesse. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so viel isst wieer.«

Sven grinste. »Ja, aber nur richtiges Essen. Wild, Brot undKäse. Nicht dieses Zeug.«

»Im Moment würde ich für ein Stück Käse töten«, sagteLars. Ragnar gab ihm Recht. Vom bloßen Gerede überrichtiges Essen lief ihm das Wasser im Mund zusammen.Plötzlich schmeckte die Essenspaste noch widerlicher als sonst.

»Versucht etwas zu schlafen«, sagte Sergeant Hengist. »Werweiß - vielleicht habt ihr alle bald genug Gelegenheit dazu.«

***

Ragnar sah zu, wie der Morgen über die Berge hereinbrach.Es war das Ende seiner Wache, und er war nicht einmal ein

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wenig müde. Die Schönheit des Naturschauspiels war auf seineganz eigene Weise atemberaubend. Zuerst waren die Berge nurein klein wenig mehr als unsichtbar. Ihre Umrisse waren wieein unregelmäßiges Loch im Stoff der Nacht. Als sich derHimmel aufhellte, kamen sie langsam in Sicht, wirkten aberflach, wie eine gemalte Kulisse auf einer Steinwand. Je helleres wurde, desto mehr Substanz, Tiefe und Einzelheitenbekamen sie, bis sie plötzlich wie neu erschaffen in der Sonneglitzerten.

Nebel erhob sich wie Rauch aus den Bäumen unter ihnen. Eswar, als gebaren die Berge die Wolken im Morgenlicht. Oderals habe ein Zauberer mit irgendeinem geheimnisvollenmagischen Trick, der Rauch ohne Feuer erzeugte, den Wald inLicht getaucht. Ragnar wusste, dass dies nicht der Fall war,dass der Dunst sich bald auflösen würde wie ein Geist imSonnenlicht. Dennoch genoss er es, die wiedergeborene Weltzu betrachten und dem Chor der Vögel zu lauschen, welche dieSonne begrüßten.

In der Ferne hörte er Sven und Nils über Essen streiten. Svenbeschuldigte die andere Blutkralle, während der Nacht seineEssenstuben gestohlen zu haben.

***

Sie eilten den Hang hinunter und einem seltsam entstelltenGebiet im Wald entgegen. Alle waren längst verstummt undwachsam. Auf ihrem Weg den Pfad entlang hatten sie dasGebiet unter ihnen gesehen. Der Wald erschien tiefer unddunkler, die Bäume sahen aufgebläht und widerlich aus.Sergeant Hengist betrachtete sie durch ein Fernglas, bevor eretwas sagte.

»Das ist neu«, sagte er. »Davon hat Urlek nichts berichtet.«»Es sieht so aus, als hätten diese Bäume die Pest«, bemerkte

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Ragnar.»Sag nicht so etwas«, warf Sven ein. »Nils wird sie essen

wollen.«Es sah wirklich so aus, als seien die Bäume von irgendeiner

Seuche befallen, dachte Ragnar. Sie waren verkrüppelt undgebeugt wie kranke Menschen. Alle machten den Eindruck, alswürden sie verfaulen und absterben. Sonderbar leuchtendePilze klebten an den Seiten, deren schwacher Schein sogar imwässrigen Tageslicht zu sehen war, das durch das Blätterdachdes Waldes fiel. Ragnar hatte noch nie etwas gesehen, das auchnur entfernte Ähnlichkeit mit diesem Wald hatte.

Er sah sich um. Lars' Gesicht hatte sich zu einer Grimasseverzogen. Ragnar konnte verstehen, warum. Er hatte ebenfallsein schlechtes Gefühl. Etwas roch falsch. Der ganzen Gegendhaftete ein Geruch nach Verfall und Verwesung an, und dieLuft hatte einen kaum merklichen, aber extrem unangenehmenBeigeschmack, bei dem sich seine Nackenhaare sträubten. Eswar offensichtlich, dass Sergeant Hengist genauso empfand. Ernahm über einen Breitbandkanal Verbindung mit dem Fangauf, um Meldung zu erstatten. Statisches Knistern ertönte.Irgendetwas störte das Funksignal. Einen Moment lang hatteRagnar das unheimliche Gefühl, die Krankheit der Bäume habeetwas mit der Funkstörung zu tun, aber er tat den Gedanken alslächerlich ab. Wie konnte das sein? Irgendwo in den Tiefenseines Verstandes hatten die alten Maschinen das Wissenverankert, dass schon viel merkwürdigere Dinge passiertwaren.

Ragnar fragte sich, was der Sergeant tun würde. Er konntemit ihnen in größere Höhen zurückkehren und hoffen, denBereich der Funkstörung hinter sich zu lassen, und er konnteihnen befehlen weiterzumarschieren. Einen Moment schien esso, als sei Hengist unentschlossen, aber dann gab er das Signalzum Vorrücken. Es sah so aus, als würden sieweitermarschieren.

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***

Sie hatten die letzte bekannte Position des vermissten Rudelserreicht. Dies war der letzte Bezugspunkt, wo es denhochentwickelten Ortungssystemen des Fangs gelungen war,sie auszumachen. Ragnar begriff jetzt, warum. Der Pfad durchden kranken Wald endete vor einer Steilwand. Der einzigeWeg voran führte durch eine Höhleneinmündung, die in derBergwand klaffte.

Sergeant Hengist gab ein Handzeichen, das Ragnar auftrug,vorzurücken und zu erkunden. Mit bereitgehaltenen Waffenrückte er behutsam vor, als sei die Höhle ein Drachenmaul, dasjederzeit zuschnappen und ihn verschlingen mochte. Je näherer kam, desto ausgeprägter wurde der sonderbare Gestank, undRagnars Unbehagen wurde stärker. Irgendwie spürte er, dass esetwas in der tintigen Schwärze der Höhle gab, das ihm nichtgefiel, die Andeutung einer Verkommenheit viel größer alsalles, was in dem kranken Wald ringsumher zu finden war.

Vorsichtig tastete Ragnar sich bis zur Einmündung vor undlugte in die Düsternis. Er sah nichts außer einem langen Pfad,der in die Dunkelheit unter dem Berg führte. Er hatte dasGefühl, in den Schlund einer riesigen Bestie zu starren.+Irgendwas zu sehen?+, fragte Hengist über

Sprechfunk.»Nur ein Tunnel«, erwiderte Ragnar. »Was nun?«+Wir gehen rein+, ertönte Hengists Stimme in seinem

Ohr.Ragnar hatte bereits befürchtet, dass Hengist das sagen

würde.

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15

IM DUNKELN

Ragnar sah sich in der Düsternis um. Die Schulterlampe anseiner Rüstung sandte einen hellen Lichtfinger aus, der sich indie stygische Finsternis bohrte. Im Augenblick zeigte er nur diefeuchte Wand der Höhle, aber Ragnar hatte das bestimmteGefühl, dass sich dies bald ändern würde. Die Wändeschillerten im Licht der Lampe wie Perlmutt. Irgendetwasstimmte einfach nicht. Jeder verstärkte und superscharfe Sinn,den Ragnar besaß, schrie ihm diese Tatsache ins Gesicht. AufsÄußerste gespannt, lauschte er auf der ihnen zugewiesenenFunkfrequenz, hörte jedoch lediglich statisches Rauschen undKnistern. Irgendeine Kraft, vielleicht Hintergrundstrahlung vonden umgebenden Felsen, störte den Funkverkehr. Das war nichtgut. Alle Übungsmissionen, an denen Ragnar beteiligt gewesenwar, hatten gezeigt, wie wichtig eine gute Kommunikation fürdie Effektivität einer Einheit war.

»Was ist das?«, fragte Sven. Ragnar konnte erkennen, dassSven, der die Spitze bildete, stehen geblieben war und sichbückte, um etwas im nassen Sand des Tunnelbodens zuuntersuchen. Ragnar behielt das Gebiet jenseits seinesKameraden im Auge, falls etwas Unerwartetes und zweifellosBedrohliches aus der Dunkelheit kam. Er blieb in Bewegung,bis er an Sven vorbei war, und bezog dann eine Stellung, die esihm ermöglichte, den ganzen grob aus dem Gestein gehauenenGang mit seinen Waffen zu bestreichen. Dabei erhaschte ereinen flüchtigen Blick auf das, was Sven untersuchte. Ceramitglitzerte im Sand, da es den blau-weißen Schein von SvensSchulterlampe reflektierte. Es schien sich um ein Stück aus derRüstung eines Space Marines zu handeln, das halb im Sandvergraben war, vielleicht ein Fetzen aus einer Brustplatte. Einisolierter Teil von Ragnars Verstand nahm beinahe abwesend

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zur Kenntnis, dass sich die bruchstückhaft sichtbare Insignienmühelos als Teil der Wolfskopf-Rune identifizieren ließ.

Während er diese Tatsache geistig abspeicherte, starrteRagnar in den Tunnel und hielt sich dabei auf den Fußballen,um möglichst auf der Hut zu sein, während sein Verstand mitdieser Information rang. Diese neue Entwicklung war nicht gut.Sehr wenige Naturkräfte konnten Ceramit-Panzerung spalten.Ragnar ging davon aus, dass es kein Erdrutsch und auch keinTier war, was den Träger der Rüstung getötet hatte. Wenn derTräger tatsächlich getötet worden war und nicht verletzt odergefangen irgendwo in diesen scheinbar endlosen Gängen lag.

All das führte zu einem weiteren bestürzenden Gedanken.Ragnar fragte sich, ob er den Träger dieser Rüstung wohlgekannt hatte. Hatte sie einer der älteren Blutkrallen gehört, dievor ihm in den Orden aufgenommen worden waren? Er hatteviele davon im Fang gesehen. Ragnar begann damit, eine deralten Litaneien lautlos im Geiste zu rezitieren, wie man es ihngelehrt hatte. Während er die Worte herunterbetete, fühlten siesich wie alte Freunde an, die ihn daran erinnerten, im Hier undJetzt zu bleiben, sich auf seine Umgebung zu konzentrierenund sich nicht von Erinnerungen ablenken zu lassen. Andiesem finsteren Ort kam ihm all das sorgsam Gelernte wie einguter Rat vor.

Ragnar versuchte zu schätzen, wie weit sie gekommenwaren. Es kam ihm so vor, als seien sie meilenweit durch dieGänge marschiert, um kaum vorhandenen Spuren zu folgen.Der in seine Rüstung integrierte Schrittmesser zeigte an, dasssie genau fünf Komma null-sechs impériale Kilometerzurückgelegt hatten, aber das ließ keinen Schluss darauf zu,wie tief sie sich unter der Erde befanden. Die Gänge hatten sichgeschlängelt und gewunden wie eine betrunkene Schlange. Siemochten sich tief in den Eingeweiden von Fenris befinden oderauch nur hundert Schritte von ihrem Ausgangspunkt entferntsein. Das ließ sich unmöglich sagen.

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Einer Sache war er sich ganz sicher. Der Geruch an diesemOrt gefiel ihm nicht. In der kühlen, klammen Luft lag dieAndeutung von Verdorbenheit und einer Witterung, bei der erdie Fänge blecken und alles angreifen wollte, was ihm über denWeg lief. Es war etwas Unnatürliches, und die Bestie in ihmbegehrte instinktiv dagegen auf. Nur die Anwesenheit seinerSchlachtbrüder vermittelte Ragnar überhaupt so etwas wieZuversicht.

»Ceramit-Panzerung«, hörte er Hengist mit seiner rauhen,kategorischen Stimme sagen. »Und noch dazu ein saubererBruch. Die Bruchstelle lässt darauf schließen, dass jemand eineMagnetstahlklinge benutzt hat. Sehr interessant.« Hengist hätteauch die wesentlichen Merkmale einer automatischenKampfdrohne in den Übungsgruben des Fangs beschreibenkönnen, so viel Gefühl lag in seiner Stimme.

»Ich wusste gar nicht, dass die EinheimischenMagnetstahlschmieden haben«, sagte Sven.

»Vielleicht haben sie auch keine«, erwiderte Hengist.»Was wollen Sie damit sagen, Sergeant?«»Wir werden sehen. Es geht weiter. Ragnar, du scheinst die

Spitze übernommen zu haben. Da kannst du ebenso gut dortbleiben.«

»Jawohl, Sergeant.«Ragnar tastete sich tiefer in die alles umhüllende Dunkelheit

vor.

***

»Sieht wie ein Platz zur Lagerung aus«, sagte Ragnar,während er sich in der ausgedehnten Höhle umsah. Rohbehauene Wände mit grau-grüner Färbung reckten sich über

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ihnen in die vollkommene Dunkelheit. Roststellen vonMineralerzen befleckten die Wände wie altes Blut. Ragnarbezweifelte, dass diese Höhle natürlichen Ursprungs war. Derrötliche Sand unter ihren Stiefeln war hier trockener undknirschte beim Gehen. Fledermausflügelige Kreaturenflatterten auf der Flucht vor ihrem Licht auf wie losgelösteSchattenfetzen. Von einem Dutzend Schulterlampen tastetensich Lichtstrahlen suchend voran und ließen lange Schattenentstehen. Das leise Jaulen der Rüstungsservos und das Flatternder Fledermauswesen waren die einzigen Geräusche. Überallan den Wänden standen tönerne Urnen. Ragnar ging zurnächsten, während er sich fragte, ob er den Deckel hochhebensollte. Hengist kam ihm zuvor und zerschmetterte ihn mit derFaust. Ein schaler Geruch nach altem Korn und Schimmeldrang in Ragnars Nase.

»Sieht so aus, als hättest du Recht«, sagte Hengist. Ragnarsah sich um, während der Rest des Rudels in die Höhlemarschierte. Diesem Ort haftete etwas sehr Sonderbares an,ging ihm auf. Teile der Kaverne waren natürlich, und andereTeile sahen eindeutig aus wie von Menschenhand geformt.Ragnar hätte schwören können, dass er ein Stück von einemPlastahlträger sehen konnte, der fast vollständig vom Gesteinumschlossen war. Er wies den Sergeant darauf hin.

»Sieh dir das näher an«, sagte Hengist. Ragnar hielt nachHalt in der Felswand Ausschau und kletterte empor. Dabeidrang ihm ein übler Gestank nach Exkrementen in die Nase.Offenbar hatten die Fledermauswesen hier genistet. Auf seinemWeg nach oben passierte er einige Nischen, die in der Tat wieNester aussahen. Der Rest des Rudels war tief unter ihm undwurde vom flackernden Strahl seiner Schulterlampe beleuchtet.

Dann erreichte er das Kavernendach und war nichtüberrascht, als er feststellte, dass seine ursprüngliche Annahmerichtig war. Es handelte sich eindeutig um Träger aus Plastahl,die zum Teil verrostet waren. Das von den Lehrmaschinen des

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Fangs in seinem Kopf verankerte Wissen verriet ihm, dass sieunglaublich alt sein mussten. Es dauerte Jahrtausende, bisPlastahl zu rosten begann. Er ließ sich wieder auf den Bodenherab und meldete Hengist seinen Fund.

»Es scheint fast so, als hätten wir eine Stätte der Altenentdeckt«, sagte der Sergeant. »Und offensichtlich sind wirnicht die Ersten.«

Ragnar sah ihn fragend an.»Die Menschheit ist schon sehr lange auf Fenris, lange vor

Russ und dem Imperium. Die ursprünglichen Siedler haben indiesen Kavernen vor den Elementen Schutz gesucht und sichhier im Zeitalter der Katastrophe versteckt.«

Ragnar nickte. Das klang einleuchtend. Diese Höhlen warenein perfekter Ort, um vor Kälte, Gewittern undMeteoritenregen Schutz zu suchen. Und dieser Teil Asaheimswar stabil. Keine Beben. Natürlich warf das die Frage auf,warum sie geräumt worden waren. Ragnar fragte Hengist. DerSergeant verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Es gibt nur noch Legenden, aber es heißt, dass in denFelsen eine alte Kraft steckte, die zu Mutationen führte und dieBewohner empfänglich für den Einfluss des Chaos machte.Manche sagen, dass es sich um etwas Natürliches gehandelthabe, andere behaupten, es sei das Resultat der Zündung alterverbotener Waffen gewesen. Jetzt weiß es niemand mehr mitBestimmtheit. Man weiß nur noch, dass die Höhlenstädteaufgegeben wurden und Russ persönlich verboten hat, sichdarin niederzulassen. «

»Es sieht so aus, als sei Russ' Gebot missachtet worden«,sagte Ragnar.

»Ja«, stimmte Hengist zu. »Es gibt immer Leute, dieverbotene Dinge tun, und sei es nur deshalb, weil sie verbotensind. Das liegt in der menschlichen Natur.«

Ragnar stellte zu seiner Überraschung fest, dass er zumindest

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teilweise mit den Ansichten jener sympathisierte, die sich inden Höhlen niedergelassen hatten. Schließlich waren sie einidealer Schutz vor den wilden Stürmen Asaheims. Die Nöte derGegenwart waren oft stärker als alte Tabus. Er sprach dieseGedanken jedoch nicht laut aus. Kurz flackerte der Verdachtauf, dass diese ketzerischen Gedanken vielleicht gar nicht seineeigenen waren, sondern das Produkt eines äußeren Einflusses,der heimtückisch auf seinen Verstand einwirkte, aber dann tatRagnar diese Überlegung als unsinnig ab.

»Wir gehen besser weiter, wenn wir eine Spur unserervermissten Brüder finden wollen«, sagte Hengist.

***

Voraus konnte Ragnar das beständige Tropfen vonFeuchtigkeit hören, die an der Höhlendecke kondensierte unddann in einen tiefen unterirdischen Teich fiel. Als er um eineEcke bog, sah er zu seiner Überraschung einen blassgelbenSchein voraus. Er trübte seine Schulterlampe und gab denBlutkrallen hinter sich ein Zeichen, an Ort und Stelle zubleiben, dann rückte er langsam zur Lichtquelle vor.

Der Tunnel wurde schmaler, und der Boden des Gangs hobsich ein wenig. Ragnar war gezwungen, sich mit einer Handabzustützen, während er die Steigung erklomm. In der rechtenHand hielt er die Bolzenpistole in Bereitschaft. Als sein Kopfsich über das Niveau des Gangs hob, bot sich ihm einabsonderlicher Anblick.

Er sah, dass er aus einer Öffnung hoch in der Seite einerriesigen Kaverne hinabschaute und dass sich tief unter ihm ineiner Art natürlicher Schüssel ein großes Gewässer befand.Phosphoreszierende Algen wirbelten wie gefangene Nebelunter der schwarzen, öligen Wasseroberfläche. Diese Algenwaren es, die für den grünlich-gelben Schein verantwortlich

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waren. Von den Stellen, wo die wie Speichel von den riesigenStalaktiten-Fängen der Decke tropfenden Flüssigkeitsperlen inden Teich fielen, breiteten sich Ringe aus und störten die Ruheder Oberfläche. Fast kam es Ragnar so vor, als würden er unddie anderen Blutkrallen von irgendeiner riesigen Bestielebendig verschlungen. Es war, als sei der Berg selbst lebendigund als werde er immer tiefer in seinen Magen gesogen, umverdaut zu werden. Das Gefühl ließ ihn schaudern. Eine Rampeaus losem Felsgestein und Sand führte steil zum Teichhinunter.

Ragnar drehte sich um und bedeutete Sven und Strybjörnvorzurücken. Seine beiden Kameraden huschten an ihm vorbei.Während er ihnen Deckung gab, eilten sie wie Krebse zumTeich hinunter. Ragnar wartete gespannt, während er halbdamit rechnete, dass irgendein riesiger Kopf aus dem Wasserauftauchen und nach ihnen schnappen würde, aber nichtsdergleichen geschah. Die einzigen Geräusche waren das leiseTropfen des Wassers und das Rascheln der Stiefel der beidenBlutkrallen auf dem schlüpfrigen Fels sowie ein gelegentlichesZischen oder Surren eines Kompensators, der sich umAusgleich bemühte, wenn unter dem Gewicht der Rüstungeines der Space Marines Steinbrocken beiseite glitten.

Sven und Strybjörn standen lange Augenblicke wartend da,den Kopf zur Seite geneigt, da sie witterten, und gaben danndas Zeichen, dass alles in Ordnung war. Einer nach demanderen rückten die übrigen Blutkrallen in die Kammer vor, zudenen sich auch Sergeant Hengist gesellte. Als alle untenwaren, ging auch Ragnar zu ihnen.

»Das ist hoffnungslos«, hörte er Sven murmeln. »Wirwerden sie nie finden.« Um seinen Worten Nachdruck zuverleihen, spie er einen Klumpen Schleim in der Teich. »Dasheißt, wenn sie überhaupt je hier waren.«

Hengists scharfe Ohren hörten selbst diese leiser Worte.»Wir marschieren weiter, bis wir das Schicksal unserer

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Wolfbrüder kennen«, knurrte der alte Sergeant »Das ist unserePflicht und unsere Art.«

»Aye«, sagte Sven. »Das ist wohl angebracht.« Er tratgeistesabwesend gegen einen Steinbrocken, der in der Teichflog und mit einem matten Platschen versank »Trotzdem siehtes hier ziemlich übel aus. Ich rechne jeden Augenblick damit,einem Haufen Trolle zu begegnen.«

Ragnar hätte das Erscheinen derart monströser Kreaturenbeinahe begrüßt. Das hätte seine seltsame Anspannunggemildert und ihm auch dabei geholfen, das seltsame Gefühl zuverjagen, von feindseligen Augen beobachtet zu werden, einGefühl, das ein Kribbeln zwischen den Schulterblätternauslöste. Vielleicht war es nur seine übermäßig aktiveEinbildung, die ihm Streiche spielte. Irgendwie bezweifelte eres diesmal.

»Das ist wie ein verfluchtes Meer«, sagte Sven mitironischem Unterton. »Vielleicht können wir uns ein paarFische fürs Mittagessen fangen.«

»Ich würde nichts essen, was aus diesem üblen Gewässerstammt«, sagte Lars. »Und ich würde auch nicht daraustrinken.«

Ragnar musste ihm beipflichten. Dieser unterirdische Seeund seine leuchtende Oberfläche hatten etwas zutiefstBeunruhigendes an sich. Von seinem Platz konnte er dasandere Ufer nicht sehen. Seine Furcht davor hatte nicht imGeringsten abgenommen und auch nicht der Verdacht, dassjeden Augenblick ein monströses Haupt die Oberflächedurchbrechen würde. Ragnar fragte sich, ob die großenMeerdrachen vielleicht Verwandte hatten, die in denGewässern dieser unterirdischen Kavernen beheimatet waren.Alle paar Herzschläge ertappte er sich dabei, wie er einenraschen Blick auf das Wasser warf, bevor er sich umdrehte, umsich zu vergewissern, dass sich nichts von hinten anschlich.

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Etwas in Witterung und Haltung der anderen Blutkrallenverriet ihm, dass sie trotz ihrer Bemühungen, ihre Nervosität zuverheimlichen, ebenso empfanden.

Keiner von ihnen konnte vergessen, dass ein anderes Rudelihrer Brüder verschollen und vielleicht hier unten gestorbenwar. Hin und wieder hatte er das sichere Gefühl, watschelndeSchritte hinter sich zu hören, aber wenn er einen Blick über dieSchulter warf, konnte er in der düsteren, geröllübersäten Weiteder Kaverne nichts erkennen. Es erstaunte ihn, als SergeantHengist sich langsam zurückfallen ließ und dabei gelegentlichinnehielt, um der einen oder anderen Blutkralle Anweisungenzu geben. Als er zu Ragnar kam, flüsterte er ihm zu:

»Schalte deine Schulterlampe aus. Wir zwei werden hierwarten und überraschen, wer immer hinter uns herschleicht.«

Ragnar nickte und gehorchte. Jetzt wusste er, dass auf seineInstinkte Verlass war. Dieses Wissen gab ihm eine grimmigeBefriedigung.

Ragnars Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit. Dasschwache Leuchten des Sees erzeugte gerade genug Licht, umeinigermaßen sehen zu können. In der Ferne konnte er dieLichter der übrigen Blutkrallen ausmachen, die immer kleinerwurden. Außerdem hörte er ihre Schritte auf dem Gestein.Aufregung und Furcht krampften seinen Magen zusammen. Erwusste, dass die anderen beim ersten Anzeichen von Ärgerkehrtmachen und zurückeilen würden, aber er fragte sich, obsie noch rechtzeitig eintreffen würden.

Die Anwesenheit des Sergeants, der hinter einem nicht weitentfernten Felsen kauerte, war äußerst beruhigend. Hengist warein lange erprobter und kampferfahrener Krieger, vor demRagnar gewaltigen Respekt hatte. In einer Situation wie dieser,da sein erster richtiger Kampf seit der Schlacht in seinemHeimatdorf bevorstand, war dies eine wichtige Überlegung. Erkonzentrierte sich auf die Litaneien, die er im Fang gelernt

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hatte, um seinen Geist von Furcht, Besorgnis und anderenGefühlen freizumachen, die seine Überlebenschancenverringern mochten. Er betete zu Russ und zum Allvater, aufdass sie seinen Arm stark und sein Auge sicher machen und ihndurch die bevorstehende Auseinandersetzung führen mochten.Bereitschaftssignale huschten an seinen Sinnen vorbei, da seineRüstung ihm meldete, dass alle Kampfsysteme vollfunktionstüchtig seien. Ragnar war für den bevorstehendenKampf bereit.

Das hieß, falls es einen Kampf gab. Ragnar war immer nochnicht überzeugt, dass es dazu kommen würde. Bisher hattenseine scharfen Sinne noch keine Spur von einem Verfolgerentdecken können. Vielleicht bildete Sergeant Hengist sich nuretwas ein. Gleichzeitig wusste er, dass dies lediglichWunschdenken war. Hengists Sinne waren viel schärfer alsseine eigenen, und der Sergeant hatte ihm unzählige Jahre derErfahrung voraus, was die Interpretation der von ihnenaufgeschnappten Daten betraf. Es war äußerstunwahrscheinlich, dass Hengist ein Fehler unterlief. Außerdembestätigten Ragnars üble Vorahnungen und scharfe Instinkteauf einer tieferen Ebene, dass Gefahr in der Nähe lauerte.Irgendwo in den Tiefen seines Verstandes rührte sich dieBestie, da sie auf die Bedrohung reagierte. Plötzlich warRagnar froh über ihre Gegenwart, froh über all die Implantateund die Ausbildung, die er im Fang genossen hatte. Er fühltesich stark und mächtig und fähig. Er wusste, dass ihm undseinen mächtigen Waffen kein gewöhnlicher Sterblichergewachsen war. Der vorsichtigere Teil seines Verstandeserinnerte ihn daran, dass ein Rudel seiner gleichermaßenbefähigten und gut ausgerüsteten Brüder hier unten verschollenwar, und seine schlimmen Vorahnungen kehrten mit doppelterWucht zurück.

Ein aus dem Augenwinkel aufgeschnapptes Handzeichenverriet ihm, dass Hengist etwas ausgemacht hatte. Einen

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Moment später hörte Ragnar ein leises Watscheln wie vonunbeschuhten Füßen auf dem nassen Sand - und da wusste er,dass der Sergeant Recht hatte und sie verfolgt wurden.

Er packte seine Waffen fester und wappnete sich. SeinKörper spannte sich wie eine große Feder und war bereit, jedenAugenblick zuzuschlagen. Er spürte, wie der Sergeant sichebenfalls kampfbereit machte. Ragnar spähte in die Finsternisund sah, dass sich ihnen eine Reihe schattenhafter humanoiderGestalten näherte, die sich so leise, verstohlen und zielstrebigbewegten, wie die Flut einen Strand hochkroch.

Sein Mut sank, als er sah, wie zahlreich ihre Verfolgerwaren. Es mussten Hunderte sein. In diesem Augenblick kames ihm so vor, als müsste die Übermacht unüberwindlich sein.Er schüttelte den Kopf, empfahl seine Seele Russ und demKaiser und machte sich bereit zu sterben. Dann sah er plötzlich,wie Hengist sich bewegte, und hörte gleichzeitig etwas durchdie Luft fliegen. Einen Augenblick später zuckte ein Lichtblitzdurch die Kaverne, und ein Knall wie ein Donnerschlagertönte, als etwas mitten in der sich nähernden Mengeexplodierte.

Ragnar brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dassder Sergeant eine Granate geworfen hatte, bevor sich der ganzeSchrecken der Szenerie, von der gewaltigen Detonationbeleuchtet, in sein Hirn brannte. In diesem kurzen flammendenAugenblick, in jenem höllischen Licht erhaschte er seinenersten richtigen Blick auf die Bewohner der Höhlen tief unterder Oberfläche von Fenris. Er sah jetzt, dass es sich bei ihnenunbestreitbar um Nachtgänger handelte.

Sie waren bestialisch. Ihre Körper waren annäherndhumanoid, aber gebückt und affenartig. Große Telleraugen, umauch noch den kleinsten Lichtfunken aufzunehmen,beherrschten ihre affenartigen Gesichter. Ihre Haut warfahlweiß und leprös, stellenweise aufgebläht und wies bizarreGeburtsmale sowie die Stigmata von Mutation und Krankheit

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auf. Ragnar fühlte sich auf merkwürdige Art an den krankenWald erinnert, und ihm ging auf, dass diese Leute in gewisserWeise die menschliche Entsprechung jener entstellten Bäumewaren.

Aber das Furchtbarste war, dass diese Wesen ganzoffensichtlich Menschen waren oder früher einmal gewesenwaren. Sie oder ihre Vorfahren waren einst ebenso menschlichgewesen wie sein eigener Klan. Wie lange hatte dieseVerwandlung gedauert?, fragte sich Ragnar. Wie viele Äonenwaren in langsamer Rückentwicklung unter der Erde nötiggewesen, um diese Rasse von Ungeheuern hervorzubringen?Waren die Stigmata der Mutation von Generation zuGeneratior langsam schlimmer und das Höhlenvolk ebensoschleichend immer bestialischer und unwissender geworden?Oder war alles auf einen Schlag geschehen, das Produkt einerabsonderlichen Magie, die hier in dieser finsteren Welt tiefunter dem Berggipfel entfesselt worden war?

Nicht, dass es im Augenblick eine Rolle gespielt hätte. DieNachtgänger erholten sich vom Schock der Explosion in ihrerMitte. Sie wogten durcheinander und hielten nach der UrsacheAusschau. Diesen Augenblick wählte Hengist, um noch eineGranate zu werfen. Abermals vertrieb der gewaltige Lichtblitzdie Jahrtausende alte Finsternis. Wieder starben einige derentstellten Bewohner der Unterwelt, während Blut,Fleischfetzen und Knochensplitter auf die Überlebendenregneten. Durch das ungewohnte Licht der Explosiongeblendet, wichen sie zurück, während Hände mit Krallen undSchwimmhäuten ihre Telleraugen bedeckten.

Der Blutgeruch in Verbindung mit der Anspannung desWartens stachelte die Bestie in Ragnar zu äußerster Wut an. Ersprang aus seinem Versteck, und seine Bolzenpistole spie Todund Verderben. Er gab Schuss um Schuss in die Menge ihrerVerfolger ab. Sie standen so dicht, dass alle seine Patronen einZiel fanden. Manchmal durchschlugen sie auch die

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Fleischmassen und bohrten sich in ein anderes Ziel.Schmerzensschreie vermischten sich mit bestialischemWutgebrüll.

Und doch, so missgestaltet sie auch waren, denNachtgängern mangelte es nicht an Mut. Entweder das, odersie waren übermäßig mit Dummheit gesegnet. Ragnars eigenesVolk wäre zumindest vorübergehend vor dem übernatürlichenTod geflohen, der auf sie herabregnete, aber dieseUnterweltbewohner flohen nicht. Sie waren aus härterem odervielleicht auch wahnsinnigerem Holz geschnitzt. Rascherkannte Ragnar, dass es ein Fehler gewesen war, das Feuer zueröffnen. Das Mündungsfeuer seiner Pistole und dieKondensstreifen der Treibladungen in den Patronen verrietenden Nachtgängern seine Stellung. Sie konnten gar nicht anders,als zur Kenntnis zu nehmen, wo er sich befand, und mit einemgewaltigen Gebrüll irrer Wut rannten sie ihm entgegen.

Ragnar beantwortete ihren Schlachtruf mit einem wölfischenGeheul und hörte zu seiner Beruhigung dessen Echo aus denKehlen seiner herbeieilenden Kameraden. Er drückte immerwieder ab und sandte der heranstürmenden Masse derMutanten Bolzenpatrone auf Bolzenpatrone entgegen. Köpfeexplodierten, und Rümpfe wurden zerfetzt, wenn die Granatenim Ziel detonierten. Die Nachtgänger hatten keine Rüstung, dieimstande gewesen wäre, jenen furchtbaren Geschossen zuwiderstehen. Für sie sprachen lediglich die Anzahl und ihrirrsinnig grimmiger Mut.

Hengist warf Granate auf Granate aus seinem Versteck, undjede einzelne richtete ein furchtbares Blutbad unter denNachtgängern an. Ragnar kam es fast so vor, als greife dieHand eines Riesen in die Mitte ihrer Feinde und wirble sieumher wie Blätter im Wind.

Die Nachtgänger waren jetzt so nah, dass er Einzelheitenerkennen konnte. Das schockierende Ausmaß ihrer Mutationwurde deutlicher. Einige der erbarmlichen Kreaturen hatten ein

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Fell, anderen ragten Hörner aus dem Kopf, und manche hattenHufe und Krallen und Zahnreihen wie Haie in den grässlichverlängerten Kiefern. Sie waren wie Widernatürlichkeiten ausden wildesten Tiefen eines Albtraums. Es war, als hätten sichdie Tore der Hölle geöffnet, um eine Horde schnatterndermissgestalteter Wesen auf die Welt loszulassen.

Während er schoss, fragte sich ein losgelöster undberechnender Teil von Ragnars Verstand, ob sich dieseNachtgänger wirklich so sehr von ihm unterschieden.Schließlich besaß er ebenfalls eine übermäßigeKörperbehaarung, die an ein Fell grenzte, und dazu hatte erFänge und veränderte Augen. Er schob diese Gedanken raschbeiseite. Sie hatten nichts mit diesem Kampf zu tun, und sienäherten sich bedenklich der Ketzerei. Die Veränderungenseines Körpers waren Merkmale seiner Verwandtschaft mitRuss, Zeichen der Gunst und des Segens des Kaisers. Siewaren Produkte eines uralten mystischen Vorgangs, der insDunkle Zeitalter der Technologie zurückreichte. Die Stigmatadieser Nachtgänger waren Zeichen für etwas anderes.Vielleicht waren sie das Merkmal des Chaos und jener, derenSeelen durch seinen entstellenden Einfluss ebenso verdorbenworden waren wie deren Körper.

Die Nachtgänger kamen immer näher. Ragnar sprang aufden Felsen, hinter dem er gewartet hatte. Die Nachtgängerhatten nicht auf ihn geschossen, und daher benötigte er keineDeckung. Im Nahkampf würde ihm die Höhe einenzeitweiligen Vorteil geben. Mit einem raschen geistigen Befehlerhöhte er die Lichtstärke seiner Schulterlampe, so dass siejeden Nachtgänger blenden würde, der direkt in das Licht sah.Die Berührung eines Schalters aktivierte sein Kettenschwert.Es vibrierte zornig in seiner Hand, da die gezackten Sägeblätterauf Höchstgeschwindigkeit beschleunigten. Ragnar lachte laut,als er spürte, wie ihn die Kampfeswut überkam. In seiner Seelebrüllte die Bestie und verlangte ihre uneingeschränkte

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Freilassung.Die Nachtgänger hatte ihn fast erreicht. Hengist warf eine

letzte Granate, die noch einmal eine Lücke in ihre Reihen riss,und dann hörte Ragnar, wie auch der Sergeant seinKettenschwert aktivierte. Er schaute auf das Meer derMutantengesichter herab, stieß ein langgezogenes wütendesHeulen aus und stürzte sich dann auf sie wie ein Schwimmer,der in eine aufgewühlte See springt.

Noch vor der Landung schlug er mit seinem Kettenschwertzu. Es schnitt durch die Mutanten wie ein Hackbeil durchFleisch. Der Geruch nach durchsägten, erhitztem Knochendrang Ragnar in die Nase, während sich eine schrillere Note indas Kreischen des Kettenschwerts mischte, als es Knochendurchtrennte. Der Augenblick verstrich, da das Kettenschwertdas Glied säuberlich abtrennte. Blut spritzte aus dem Stumpf.Ragnar schlug einen Kopf ab, indem er die Halswirbeldurchschnitt, und ließ gleich darauf den nächsten folgen.Währenddessen gab er ständig Schüsse aus seinerBolzenpistole auf Leiber ab, die zu dicht standen, um sieverfehlen zu können. Das Geschrei und Geheul derGetroffenen hallte in seinen Ohren und stachelte die Bestie inihm zu größerer Wut an, was ihm noch grimmigere Kräfteverlieh.

Nach wenigen Augenblicken hatten die Nachtgänger sichvom Schock seines Angriffs erholt und begegneten ihm. Siewaren nur mit primitiven Beilen sowie Keulen und Speeren mitSteinspitzen bewaffnet. Sie schlugen nach ihm, zunächst wildund unbeherrscht, so dass ihre Hiebe seine sich raschbewegende Gestalt entweder gar nicht erst trafen oder harmlosvom sanft gerundeten Ceramit seiner Rüstung abglitten. Er warsich ihrer Schläge so bewusst, wie ein Mann niederprasselndenRegen zur Kenntnis nahm. Es war allenfalls unbehaglich, abergewiss nicht schmerzhaft.

Er huschte durch seine Feinde wie ein Wirbelsturm des

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Todes und ließ tote und sterbende Nachtgänger in seinemKielwasser zurück. Einen kurzen triumphalen Augenblick hatteer das Gefühl, als könne ihm nichts widerstehen. Er warunüberwindlich, unaufhaltsam, ein Gott des Todes, der dasLeben seiner Feinde beendete. In diesem ekstatischenAugenblick hatte er eine schwache Vorstellung, wie Russ sichnach seiner Apotheose gefühlt haben musste. Er wirbelte,schlug und trat und spürte Knochen unter seiner Klingenachgeben. Er stampfte vorwärts und zerquetschte Finger undSchädel gefallener Feinde zu Brei. Er heulte lange undfrohlockend, und in den Rufen seiner Kameraden spiegelte sichsein Blutdurst wider. In diesem Augenblick hatte Ragnar dasGefühl, sie nicht zu brauchen, ganz allein in der Lage zu sein,die Nachtgänger zu töten oder wenigstens in die Flucht zuschlagen. Es spielte keine Rolle, wie zahlreich sie waren oderwie tapfer. Sie hatten schlichtweg keine Möglichkeit, ihn zuüberwinden. Der Kampf war viel zu einseitig.

Dann empfand er einen stechenden Schmerz in der Brust. Erschaute an sich herab und sah eine Axtklinge im gehärtetenCeramit seiner Rüstung stecken. Die Klinge bestand ausschwarzem Eisen und hatte dennoch eine der härtesten je imFang hergestellten Substanzen durchschnitten. Wie war dasmöglich? Dann fielen ihm die rötlich leuchtenden Runen aufder Klinge auf, und damit hatte er seine Antwort. Hier warböse Zauberei am Werk.

Einen Moment wallte Panik in ihm auf. Er rechnete halbdamit, üble magische Kräfte durch seinen Körper fließen zuspüren wie Gift. Er wusste von solch niederträchtigen Waffen,da Geschichten über ihr Wirken von den Lehrmaschinen derSpace Wolves in seinem Gedächtnis verankert worden waren.Sie konnten alle möglichen furchtbaren Kräfte haben, die ihnenvon ihren dämonischen Machern verliehen wurden. Werwusste schon, wozu diese in der Lage war?

Er stand einen Moment wie erstarrt da, und die Nachtgänger

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nutzten seine Verwirrung aus, um über ihn herzufallen und ausLeibeskräften auf ihn einzuschlagen. Ein Hieb von einersteinernen Keule schlug ihm die Bolzenpistole aus der Hand.Ein weiterer Hieb von einer Axt kratzte seine Stirn an undhinterließ eine blutige Schramme. Einige Nachtgängerklammerten sich an seine Beine, andere an seine Arme. Sieheulten in triumphalem Blutdurst, da sie davon überzeugtwaren, ihre Beute gefangen zu haben.

»Im Namen des Kaisers, kämpf, Junge!«, hörte er Hengistrufen. Die Worte rissen ihn aus seiner Benommenheit, undplötzlich ging ihm auf, dass es keine Rolle spielte, ob ervergiftet oder verflucht worden war. Wenn er sich nichtwehrte, würde er ohnehin in wenigen Sekunden tot sein, da dieNachtgänger mit ihren Waffen auf die Gelenke undSchwachstellen seiner Rüstung einschlugen. Mit einemAufbrüllen spannte er die Glieder. Servomotoren jaulten unterder Belastung, als er die Nachtgänger abschüttelte und siewegschleuderte, als seien sie aus Stroh. Er fuhr herum undschwang beidhändig das Kettenschwert, um jedemNachtgänger in seiner Reichweite Kopf oder Gliederabzuschlagen.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein Häuptling oderSchamane der Nachtgänger eine der verfluchten Äxte hob, umsie auf ihn zu werfen. Vor Wut knurrend, sprang Ragnar vorund ließ das Kettenschwert in tödlichem Bogen herabsausen.Es traf den Kopf des Schamanen und schnitt ihn entzwei,durchschlug Kopf, Hals, Brust, Bauch und Hüftknochen.Gedärme und Eingeweide purzelten auf den Steinboden derKaverne. In diesem Augenblick sah Ragnar, dass er sich einwenig Luft verschafft hatte, da kein Gegner mehr in seinerunmittelbaren Nähe war. Er nutzte die Gelegenheit, um die Axtaus seiner Rüstung zu reißen und das widerliche Ding so weitweg zu schleudern wie möglich.

Ein Rundumblick zeigte ihm, dass Hengist eine Schneise des

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Todes durch die Horden der Nachtgänger geschlagen hatte undgerade kehrtmachte, um erneut auf sie loszugehen. Währendder Sergeant sich auf das neuerliche Gemetzel vorbereitete,stießen die verbliebenen Nachtgänger ein Heulen derBestürzung aus, da die übrigen Blutkrallen eingetroffen warenund durch ihre Reihen pflügten. Hengist und Ragnar stürztensich gemeinsam ins Getümmel.

Das war selbst für den Mut der Nachtgänger zu viel Diesmalmachten sie kehrt und flohen und ließen die Leichen ihrerzahlreichen Toten überall auf dem Kavernenboden verstreutzurück.

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DER CHAOS-TEMPEL

Ragnar betrachtete die Szene des Gemetzels. Er konnte nichteinmal damit beginnen, die toten Nachtgänger zu zählen, aberseiner Schätzung nach waren mindestens hundert gestorben.Überall ringsumher hörte er sporadische Schüsse, da dieanderen Blutkrallen auf die fliehenden Feinde feuerten. Er hätteebenfalls weitergeschossen, war aber neugierig, was SergeantHengist plante.

Der Veteran hatte sich über die Leiche des toten Schamanengebeugt und inspizierte dessen Wurfaxt, ohne sie zu berühren.Ragnar trat neben seinen Anführer.

»Was haben Sie herausgefunden, Sergeant?«, fragte er.»Diese Waffen sind mit den Kräften des Chaos in Berührung

gekommen«, erwiderte Hengist.»Das dachte ich mir. Eine von ihnen hat meine Rüstung

durchschlagen.«»Was? Lass mich sehen.« Hengist beugte sich vor und

begutachtete die Stelle, wo die Waffe das Ceramitdurchschlagen hatte. Er untersuchte die Bresche eingehend undschnüffelte auch daran.

»Kein Blut«, sagte er. »Die Axt hat deine Haut nicht einmalgeritzt. Du hast Glück gehabt.«

»Glück?«»Manchmal sind diese Waffen vergiftet oder verbreiten den

Makel des Chaos. Das allein kann schon ausreichen, umMenschen in den Wahnsinn zu treiben.«

Er tippte gegen den Vielzweckgürtel um Ragnars Taille.»Besser, du flickst die Bruchstelle mit Zement.

Der sollte deine Rüstung wenigstens bis zu unserer Rückkehr

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in den Fang zusammenhalten.«Ragnar tat, wie ihm geheißen, und schmierte die rasch

härtende Paste auf den Riss in seiner Rüstung, um dann diepaar Augenblicke abzuwarten, bis das Material an der Luft hartgeworden war.

»Was nun?«, fragte er.»Wir gehen weiter«, sagte Hengist.

***

Das Rudel Blutkrallen drang tiefer in den Berg ein.Unterwegs nahm Ragnar weitere Anzeichen für dieAnwesenheit von Lebewesen zur Kenntnis. Hier und da lagenKnochen in den Gängen, die in dem Bestreben, ans Mark zugelangen, geknackt waren. Eine eingehendere Untersuchungzeigte, dass sie Menschen oder menschenähnlichen Wesengehört haben mussten.

»Was essen diese Leute?«, fragte Sven.»Du denkst wirklich nur ans Essen, was?«, erwiderte Nils.»Du meinst, wenn sie sich nicht gegenseitig verspeisen?«,

fügte Strybjörn hinzu.Ragnar nickte. Mochte er sich auch noch so bemühen, es war

schwer, sich auszumalen, wovon die Nachtgänger sichernährten, wenn sie nicht die riesigen Schaben aßen, die hierund da vom Scheinwerferlicht aufgescheucht wurden unddavonhuschten. Vielleicht aßen sie die Fledermauswesen oderdie unheimlich leuchtenden Pilze, die an den Wändenwucherten. Oder vielleicht unternahmen sie Jagdausflüge andie Oberfläche. Strybjörns Worte beschworen noch ein anderesBild von gegeneinander Krieg führenden Klans der widerlichenMutanten, wie sie einander im Dunkeln bekämpften undanschließend ihre toten Gegner aßen.

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War das dem Rudel vor ihnen zugestoßen?, fragte er sich.Hatten die Nachtgänger ihre Rüstungen geknackt und ihnen dasFleisch von den Knochen gerissen, wie Ragnar es manchmalmit Krebsfleisch tat? Aber wie hatte so etwas passierenkönnen? Es erschien ihm unmöglich, dass die Nachtgänger einvollständig bewaffnetes und gut ausgebildetes RudelBlutkrallen überwinden konnten. Bei Russ, er und SergeantHengist hatten eine beträchtliche Anzahl von ihnen ganz alleinin die Flucht geschlagen. Ihre Waffen waren zu primitiv undihre Taktiken zu simpel, um ein ganzes Rudel überwältigen zukönnen.

Und warum war das andere Rudel überhaupt ersthergekommen? Sein Auftrag hatte in der Routineuntersuchungeines Gebiets bestanden, auf dem ein großer Meteoritenregenniedergegangen war. Waren sie hierher ins Verderben gelocktworden? Geschah dasselbe gerade auch mit Ragnar und seinenKameraden? Er wünschte, er hätte Antworten auf diese Fragengehabt, aber die hatte er nicht.

Andererseits, sagte er sich, die Wahrheit würde er zweifellosnoch früh genug herausfinden.

***

»Es sieht so aus, als sei dieser Höhlenkomplex geradegeräumt worden«, sagte Lars.

»Du hast Recht«, sagte Ragnar, während er sich raschumschaute. Töpfe und Pfannen, Statuetten, Halsketten ausFingerknochen und Ledersäcke gefüllt mit irgendwelchemKram lagen überall verstreut herum, als seien die Sachengerade erst dort abgelegt worden. Ragnar schnüffelte. DieWitterung der Nachtgänger war noch überall frisch und stark.Einige der Duftspuren waren ein wenig anders. WahrscheinlichFrauen und Kinder, vermutete Ragnar.

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»Sie müssen gewusst haben, dass wir kommen«, sagte Sven,wobei ein gemeines Grinsen sein hässliches Gesicht verzerrte.»Vielleicht sind die Überlebenden unserer letzten Schlachthierher gekommen und haben sie gewarnt, uns nicht in dieQuere zu kommen.«

»Oder vielleicht wollten sie nur ihre Frauen und Kinder inSicherheit bringen, bevor sie den Berg über uns zum Einsturzbringen«, mutmaßte Lars.

Sven bleckte die Zähne zu einem Knurren. Der Tonfall deranderen Blutkralle gefiel ihm nicht. Hengist trat zwischen sie,um jede mögliche Schlägerei im Keim zu ersticken. Jetzt warnicht die Zeit für einen Streit um die Hackordnung im Rudel.Sven und Lars gingen sofort auseinander.

»Ich denke nicht, dass das geschehen wird«, sagte Hengist.»Nein, ich glaube, uns erwartet etwas anderes.«

»Und das wäre?«, fragte Ragnar.»Ich wünschte bei Russ, ich wüsste es. Aber was es auch

sein mag, eines ist sicher. Es wird nicht angenehm.«Ragnar sah sich gezwungen, ihm beizupflichten. Wie der

Sergeant konnte er die Anwesenheit von etwas anderem in derLuft spüren und auch, wie sich Kräfte sammelten, um ihnenentgegenzutreten. Hier, tief unter dem Berg, gab es irgendeineMacht. Er war sich dessen sicher. Und er war sicher, dass dieseMacht stark und uralt und böse war. Er kam zu dem Schluss,dass er einen Gedanken, der ganz offensichtlich allenBlutkrallen im Kopf herumging, wohl besser laut aussprach.

»Vielleicht sollten wir umkehren, Sergeant«, schlug er vor.»Noch nicht«, sagte Hengist. »Wir haben noch nicht

gefunden, weswegen wir hergekommen sind.«»Und ich bezweifle, dass wir es noch finden«, murmelte

Sven.Es sei denn, wir wären gekommen, um den Tod zu finden,

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dachte Ragnar.

***

»Was war das?«, fragte Lars. Ragnar sah ihn an. Er brauchtenicht zu fragen, was die blondhaarige Blutkralle gemeint hatte.Er hatte es auch gehört. Irgendwo in der Ferne schlug einegroße Trommel. Ihre Vibrationen waren durch die Felswändehindurch spürbar wie der Schlag eines gewaltigen Herzens.

»Unsere untermenschlichen Freunde lassen ihre Artgenossenwissen, dass das Essen serviert ist. Und dass es aus zartenjungen Blutkrallen besteht«, sagte Sven in seinem mürrischstenTonfall.

Nils schüttelte den Kopf. »Essen. Du denkst immer nur ansEssen«, sagte er spöttisch.

***

Der Gang führte abwärts. Der Weg wurde von Leuchtpilzenerhellt. Der feuchte Boden und die Wände waren mitaufgeblähten Pilzen überwuchert, die einen unheimlichengrünen Schein erzeugten. Ragnar konnte ihre Sporen auf derZunge schmecken, und ihr Geruch überdeckte fast alle anderen.Er war süßlich und widerlich und ließ Fäulnis undVerdorbenheit erahnen. Er hatte etwas an sich, das ihn anVerwesung erinnerte. Hier und da hingen Fäden aus einemleuchtenden Schleim zwischen den Gewächsen undverschwanden in den Wänden des Tunnels in großen Löchern.Eine Vorstellung von widerlichen schneckenähnlichenKreaturen nistete sich in Ragnars Gedanken ein und wolltenicht mehr verschwinden. Vielleicht ernährten sich dieNachtgänger von solchen Kreaturen.

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Er wusste, dass es Tunnel gab, die parallel zu demjenigenverliefen, in dem sie sich befanden. Er spürte, dass es in diesenTunneln von Horden der Nachtgänger wimmelte. Ab und zuerhaschte er einen flüchtigen Blick auf sie, wenn sie an einerAbzweigung zu einem Seitentunnel vorüberkamen, aber dieMutanten hielten Abstand. Entweder hatten sie ihre Lektiongelernt, oder sie warteten auf etwas, das bald geschehen würde.

Ragnar hatte den Verdacht, dass Letzteres zutraf. Hengistschien all das nicht zur Kenntnis zu nehmen und trieb sieweiter voran, da er einer Spur folgte, die nur für ihnoffensichtlich zu sein schien. Ragnar wusste nicht, ob dies anden schärferen Sinnen des Sergeants und seiner größerenErfahrung lag oder ob der Sergeant eine Todesahnung hatteund seinem Schicksal folgte. Ragnar hatte gehört, dass diesauch schon anderen passiert war. Dann hörten sie die Sirenenvon ihrem bevorstehenden Verhängnis singen und erhoben sichvom Tisch, um geradewegs in die Höhle eines Trolls und in ihrVerderben zu laufen. Er sah nicht ein, warum einem SpaceWolf so etwas nicht widerfahren sollte, obwohl er es imAugenblick für das Beste hielt, seine Überlegungen für sich zubehalten.

Ragnar riskierte einen Blick über die Schulter. Weit entferntglaubte er das Funkeln leuchtender Augen zu sehen. Er beeiltesich, um nicht den Anschluss an das Rudel zu verlieren.

***

Plötzlich war der Weg zu Ende. Vor ihnen spannte sich einelange Steinbrücke über einen riesigen Abgrund. Ragnar standam Rande des Abgrunds. Irgendwo tief unter sich glaubte erWasser rauschen zu hören. Sven hob einen Stein auf und ließihn in den Abgrund fallen. Sie blieben beide stehen und zähltendie Sekunden, hörten aber beide kein Aufplatschen. Auf der

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anderen Seite des Abgrunds befand sich ein Torbogen in derWand. Er war aus behauenem Stein, und sogar auf dieseEntfernung konnte Ragnar erkennen, dass in jeden Steinblockein grinsender Dämonenkopf eingemeißelt war. AllemAnschein nach hatte Hengist gefunden, weswegen siegekommen waren.

Der Sergeant wandte sich an seine Blutkrallen. Sein altes,runzliges Gesicht sah im Licht ihrer Schulterlampen blass undabgezehrt aus. Die Augen hatten einen fiebrigen Glanz.

»Wie ich vermutet habe«, sagte er. »Ein Chaos-Tempel.«»Vielleicht sollten wir jetzt umkehren und unsere

Entdeckung melden«, sagte Lars.Hengist machte auf dem Absatz kehrt, hielt seine Waffen

bereit und schritt auf die Brücke zu. Als er sie erreichte, hielt erinne, denn als Anführer war es nicht seine Aufgabe, sichunnötigen Risiken auszusetzen. Er blieb einen langenAugenblick stehen und sagte dann: »Ragnar, du rückst vor underkundest den Eingang. Sei vorsichtig. Die Brücke ist vielleichtnicht sicher.«

Als brauchte ich jemanden, der mir das sagt, dachte Ragnar,als er losmarschierte. Er war sicher, in der Ferne ein Murmelnwie von einer großen Menge zu hören.

***

Gerade breit genug für einen Space Marine und mehrerehundert Schritt lang, fühlte die Steinbrücke sich solide unterseinen Füßen an, aber Ragnar ging kein Risiko ein. Er tastetesich vorsichtig vorwärts, indem er langsam einen Fuß vor denanderen setzte und immer nur allmählich mit seinem vollenGewicht belastete. Er konnte es sich nicht leisten zu vergessen,wie schwer er jetzt trotz seiner Schnelligkeit und Gewandtheit

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in seiner Rüstung war. Außerdem gab es vielleicht Falltürenoder andere Fallen auf der Brücke. Ragnar wusste, dass manangesichts des teuflischen Verstands der Chaos-Anbeter nichts,aber auch gar nichts ausschließen durfte. Das Gestein sahsolide aus, aber wenn es auch nur die geringste Möglichkeitgab, dass es unter ihm nachgeben und in den Abgrund stürzenkonnte, wollte Ragnar darauf vorbereitet sein. Wenn er hierstarb, wollte er sein Leben in der Schlacht aushauchen. Daswar die einzige Art und Weise, wie ein Krieger sichverabschieden sollte.

Woher war nun dieser Gedanke gekommen, fragte sichRagnar, als er spürte, wie die Bestie in ihm sich wachsamregte. War er aus dem Tempel am Ende der Brückegekommen? Er konnte die Ausstrahlung von etwas darinspüren, so sicher, wie er die kalte, feuchte Brise auf der Stirnspürte. Sie pulsierte durch die Düsternis wie ein unsichtbaresspektrales Leuchtfeuer. Er richtete ein Gebet an Russ und anden Kaiser, in dem er um die Unversehrtheit seiner Seele bat,und ging weiter, während seine gepanzerten Füße Staub vonder schmalen Brücke fegten.

Vor ihm wurde der Torbogen immer größer. Ihm ging auf,dass er riesig war. Die Brücke war länger, als es zunächst denAnschein gehabt hatte, und auch der Durchgang warentsprechend größer. Er bekam eine Ahnung davon, wie vielArbeit in die Erschaffung dieses obszönen Ortes geflossen war.Der ganze Bau war nicht erst kürzlich entstanden. Die Fliesen,über die er schritt, waren von vielen Füßen abgenutzt worden.Dies alles war Jahrhunderte alt, wenn nicht gar Jahrtausende.In der Düsternis waren seine Augen durch die großeEntfernung getäuscht worden. Jetzt ging ihm langsam dasganze Ausmaß der Täuschung auf. Er schätzte, dass derTorbogen das zehnfache seiner eigenen Höhe hatte und jederder Blöcke, aus denen er bestand, mindestens so groß war wieer selbst. Die in den Stein gemeißelten, abscheulich entstellten

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Köpfe sahen groß genug aus, um einen ausgewachsenen Mannmit einem Bissen verschlingen zu können. In gewisser Hinsichtwar die künstlerische Meisterschaft ihrer Erschaffer wunderbar.Sie sahen aus wie die Köpfe lebendiger Ungeheuer, die sichjeden Augenblick in voller Größe aus den Steinblöcken lösenwürden. Er rechnete fast damit, dass jene halb geöffnetenMäuler noch weiter klaffen und bei seiner Annäherung nachihm schnappen würden.

Aus dem Torbogen glaubte Ragnar ein leises Murmeln odereine Art Singsang zu hören, war aber nicht sicher. Er gingweiter, bis er vor dem eigentlichen Torbogen stand. Dort blieber einen Augenblick stehen und schaute hindurch, und was ersah, raubte ihm den Atem.

Er schaute eine breite Marmortreppe herab und in einegewaltige Kammer, die in das Herz des Berges gehauen war.Am entfernten Ende der Kammer stand eine riesige Statue, beider es sich nur um die Darstellung eines enormen Dämonshandeln konnte. Die Statue schien aus irgendeinem Kristallgehauen und mit Intarsien aus Knochen verziert zu sein. Jedeeinzelne Schuppe der funkelnden Haut war ein Juwel. DieFarben veränderten sich ständig und flackerten über diegesamte Oberfläche. Die Statue war vielleicht fünf Mal so großwie ein Mensch, aber die Aura der Macht, welche sie umgab,ließ sie viel größer erscheinen. Die Augen flackerten wieFlammen. Das Leuchten der Haut hatte etwas an sich, das esschwierig machte, sich darauf zu konzentrieren, und verwirrteRagnars Sehvermögen, da er den Eindruck hatte, die Statuekönne jeden Augenblick ihre Gestalt verändern oder gar zumagischem Leben erwachen.

Große Metallschwingen waren um die Schultern der Statuegefaltet wie ein Umhang. Der Kopf hatte eine seltsameÄhnlichkeit mit dem eines Vogels. Die Statue streckte riesigeKrallen in einer Geste aus, die auf absonderliche Weisemenschlich und äußerst bedrohlich wirkte. Das Götzenbild

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erweckte den Eindruck von etwas, das bestialisch undgottgleich zugleich war, von etwas, das einerseits viel mehr,aber andererseits auch viel furchtbarer als ein Mensch war.Und von dieser Statue schienen Wellen finsterer Macht inregelmäßigem Puls auszustrahlen wie der böswilligeHerzschlag eines wahnsinnigen Gottes. Ragnar wusste, ohnedass es ihm jemand hätte sagen müssen, dass dies ein Bildnisirgendeines Aspekts von Tzeentch war, dem Großen Mutator,dem Dämonenfürst übler Zauberei. Sein implantiertes Wissenverlieh ihm hinsichtlich dieser furchtbaren Tatsache absoluteGewissheit. Von der magischen Ausstrahlung kribbelte seineHaut.

Die Statue hinterließ einen derart nachhaltigen Eindruck undfesselte seinen Blick so sehr, dass es einige Herzschlägedauerte, bevor Ragnar damit beginnen konnte, die Kammer inAugenschein zu nehmen. So beeindruckend die Statue war, sowiderlich war der Rest. Bunte Flammenzungen zuckten ausden Wänden der Kammer und warfen ihr infernalisches Lichtin jede Ecke. Ihrem stechenden Geruch und der Art, wie sietanzten, entnahm Ragnar, dass die Flammen durch dasVerbrennen von natürlichem Gas erzeugt wurden.

Erschreckend war, was ihr Licht enthüllte. Überall auf demBoden verstreut lagen schrecklich mutierte Leichen, aufgeblähtund entstellt, aber sofort als früher einmal menschlicherkennbar. Es sah aus, als sei ihr Fleisch verflüssigt wordenund zu neuen, bizarren Gestalten zerlaufen. Köpfe waren wieBallons auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Größegeschwollen. Finger hatten sich verbunden und bildetenFlossen. Eingeweide waren aus Bäuchen gequollen und hattensich in entstellte Tentakel verwandelt, die aussahen, als hättensie ihre Besitzer erwürgt. In einigen Fällen waren aus kleinenEckzähnen riesige Hauer geworden. Manchen war ein Fellgewachsen. Bei anderen war die Haut durchsichtig geworden,so dass die inneren Organe sichtbar waren. Ein armer Teufel

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hatte seine Haut abgestreift wie eine Schlange, so dass die rosaMasse der Muskeln und Adern darunter zum Vorscheingekommen war. Hier war ein fürchterliches Beispiel für diewahre Macht Tzeentchs.

Ragnar kannte nun endlich das Schicksal des anderenRudels. Ihre Rüstungen und Waffen hingen an großenGestellen aus bearbeitetem Knochen. Unwillkürlich drang einHeulen des Entsetzens und der Wut aus Ragnars offenemMund. Im flackernden Licht der Flammenstrahlen schien diegroße Statue Tzeentchs spöttisch zu lächeln.

Er machte kehrt und bedeutete seinen Kameraden, ihm zufolgen. Sie eilten viel schneller über die Brücke als er zuvor,indem sie von einer Steinplatte zur nächsten sprangen.

»Bei Russ!«, hörte er Sven murmeln. »Was für einschlimmer Ort.«

»Ein Tzeentch-Tempel«, sagte Hengist. »Das ist der GroßeMutator. Einer der vier größten Feinde des Allvaters.«

»Wir müssen ihn zerstören«, sagte Strybjörn.»Ausgezeichnete Idee«, sagte Lars. »Aber wie?«»Mit Granaten«, schlug Nils vor.»Das wird nicht funktionieren«, wandte Hengist ein. »Wenn

mich nicht alles täuscht, wird diese Statue durch böse Zaubereigeschützt. Es bedarf mächtigerer Waffen als unserer, sie zuzerstören. Wir müssen den Orden über unseren Fundinformieren.«

»Ich glaube, du wirst dich um andere Dinge kümmernmüssen, falscher Marine«, sagte eine kalte und spöttischeStimme.

Ragnar sah auf. Eine Gestalt war vor dem Tzeentch-Altaraufgetaucht. Er wusste nicht, wie es kam, dass sie plötzlich dawar, denn er hatte niemanden in den Tempel kommen sehen.Ragnar stellte fest, dass der Sprecher seinen Blick magisch

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anzog. Es war schwer, dem Impuls zu widerstehen, ihnanzustarren.

Der Neuankömmling war wie die Parodie eines SpaceMarine gekleidet. Seine Rüstung war klobig und schien vonarchaischer Machart zu sein. Mehr noch, es sah so aus, alsseien Teile entfernt und durch Streifen aus goldenem undschwarzem Eisen ersetzt worden. Rote leuchtende Augenbrannten in einem massiven und mit geschwungenen Hörnernversehenen Helm. In jeder Hand hielt er eine Bolzenpistolegleichermaßen antiker Konstruktion.

Ragnar konnte erkennen, dass die Rüstung unglaublich reichverziert war. Funkelnde Juwelen und Dämonenköpfe warenüberall in die Rüstung eingelassen und schimmerten im Lichtder Flammenstrahlen. Vielleicht war es nur ein Streich, den dasLicht den Augen spielte, aber einige der Köpfe schienen zugrinsen, zu gähnen und zu blinzeln, wobei sie sich auf eineWeise streckten, wie dies kein natürliches Metall konnte. Denvon den Lehrmaschinen des Fangs in seinem Verstandhinterlegten Informationen konnte er entnehmen, dass er einender tödlichsten Feinde der Menschheit betrachtete, einen ChaosMarine.

»Du bist der falsche Marine«, erwiderte Hengist.»Schließlich waren es du und deinesgleichen, die den demKaiser und der Menschheit geleisteten Eid gebrochen haben.«

»Dein seniler Gott war es, der das Vertrauen in uns verlorenhatte. Er war zu schwach. Und die Menschheit erwies sich alsundankbar und unserer Herrschaft unwürdig.« Die Stimmevermittelte einen Anflug von Arroganz, vielleicht sogarLangeweile.

»Der Herrschaft von Dämonen und ihren Anbetern. DerHerrschaft jener, die das Knie vor unseren ältesten Feindenbeugen. Du bist Abschaum, schlimmer als Abschaum.«

»Und du wirst noch eine Menge Zeit haben, um diese Worte

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zu bereuen und Ihn, der bald deine Seele verschlingen wird, umGnade anzuflehen. Und glaub mir, deine Bitten werden nichterhört.«

»Du wirst nicht mehr so stolz daherreden, wenn ich dir denKopf abgeschlagen und deine stinkende Leiche in den Abgrundgeworfen habe.«

Der Chaos Marine lachte. Es war kein angenehmes Lachen,dachte Ragnar. Es war zu spöttisch und kündete von zu vielSelbstvertrauen. Kein Krieger sollte so lachen, wenn er es miteinem ganzen Rudel Space Wolves zu tun bekam. Der blau undgolden gerüstete Krieger schien seine Gedanken zu lesen.

»Das könntest du nicht einmal mit der Hilfe all deinerkläffenden Welpen schaffen.«

»Nicht? Der Schwächste dieser Blutkrallen ist ein bessererund wahrhaftigerer Krieger als du, Eidbrecher.« Hengist spieauf den polierten Boden des Chaos-Tempels.

»Ich gebe zu, dass sie sich gegen die unwissenden,abergläubischen Untermenschen durchaus nicht ungeschicktangestellt haben, aber wie du siehst, bin ich mindestens so gutgerüstet wie ihr.« Der Chaos Marine beschrieb einetheatralische Geste. »Vielleicht sollte ich meine Waffenablegen und mit dem Speer gegen euch kämpfen. So hättet ihrwenigstens eine Chance. Aber nein, das wäre immer noch zuleicht. Ich könnte meine bloßen Hände benutzen.«

»Du redest ziemlich tapfer für einen, der sich im Dunkelnunter der Welt versteckt!«, warf Ragnar ein, der spürte, wiesein Zorn immer größer wurde.

»Ich muss nichts beweisen, Sklave eines falschen Gottes.Der Name Madok lässt meine Feinde seit zehntausend Jahrenvor Furcht zittern.«

»Nur die willensschwachen Narren, die sich durch leereDrohungen einschüchtern lassen.«

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»Deine Prahlereien ermüden mich, Jüngling, und da du sonett warst, meinen Brüdern Zeit genug zum Eintreffen zulassen, können wir, glaube ich, mit dem Gemetzel fortfahren.«

Bei diesen Worten öffneten sich Seitentüren in denTempelwänden, und weitere Chaos Marines wurden sichtbar.Hengist hob seine Pistole und schoss, doch Madok warschneller. Seine beiden Pistolen ruckten hoch und spienPatronen, die den Sergeant eindeckten, während er sich hinterdem Torbogen in Deckung warf. Zwei Mitglieder des Rudelshatten nicht so viel Glück und gingen im Geschosshagel derChaos Marine zu Boden.

Ragnar folgte Hengists Beispiel und hechtete aus derSchusslinie. Strybjörn, Sven und mehrere andere Mitgliederdes Rudels hielten Stand und erwiderten das Feuer. IhrePatronen flogen durch den Tempel, aber irgendeine böse Machtschien sie abzulenken, so dass sie harmlos auf den Steinplattenrings um die Chaos Marines explodierten. Ragnar sah Hengistan, da er auf Befehle wartete. Der Sergeant spurtete amTorbogen vorbei und warf sich neben Ragnar in Deckung.

»Da drinnen muss sich ein ganzer Trupp Chaos Marinesaufhalten, vielleicht sogar noch mehr. Sie werden sich als zustark für ein Rudel Blutkrallen erweisen. Der Orden mussgewarnt werden. Nimm Sven, Strybjörn, Nils und Lars mit undkehr an die Oberfläche zurück. Wir übrigen werden sie solange wie möglich aufhalten.«

Ragnar wollte protestieren. Die Bestie in ihm war stark. DerBlutgeruch bewirkte, dass sich seine Nackenhaare sträubten,und erfüllte ihn mit Mordlust. Vor allem hatte er das Gefühl,dass es ungerecht war, ihm die Möglichkeit vorzuenthalten,einen Heldentod zu sterben. Hengist schien zu spüren, welcheGefühle seine Worte in Ragnar entfachten.

»Manchmal ist das Leben eines Space Marine nicht leicht«,sagte er. »Jetzt nimm die anderen und geh.« Er brüllte den

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Blutkrallen, die Ragnar folgen sollten, zu, sich zurückzuziehen.Dabei sah Ragnar Kraki und Volgard unter dem Beschuss derChaos Marines zu Boden gehen. Er sah außerdem, dass dieChaos Marines noch keine Verluste erlitten hatten, obwohl sielangsam und unbarmherzig wie Automaten über das offeneGelände des Tempels vorrückten. Er konnte ihraußerweltliches, entnervendes Gelächter hören. Sie mussten inder Tat von irgendeiner bösartigen Macht beschützt werden,dachte Ragnar. Da wusste er mit Sicherheit, dass es an der Zeitwar zu gehen.

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KÄMPFENDER RÜCKZUG

»Vorwärts!«, rief Ragnar und lief über die Steinbrückezurück und weg vom Tempel. Er brauchte sich nichtumzuschauen, um sich zu vergewissern, dass die anderen ihmfolgten. Er spürte ihre Anwesenheit hinter sich und nahm ihreverängstigte, zornige Witterung wahr. Er nahm an, dass sieebenso wie er selbst wütend und enttäuscht darüber waren, dassman ihnen befohlen hatte, den Kampf mit den Chaos-Verräternabzubrechen. Innerlich fluchte er darüber, dass solch eineBlasphemie überhaupt Einzug in den heiligen Boden vonFenris gehalten hatte, und fragte sich, wie lange der Chaos-Abschaum wohl schon unter Asaheims Erde lauerte. Ervermutete, dass die Chaos Marines im Schutz des letztenMeteoritenregens eingetroffen waren, aber ein Teil von ihmwürgte bei der Vorstellung, dass sie vielleicht schon seitMonaten, Jahren oder Jahrzehnten hier waren. Unmöglich!Ragnar weigerte sich, diesen Gedanken weiterzuverfolgen.Und nun, da sie dieses Schlangennest in ihrer Mitte aufgespürthatten, mussten sie fliehen!

Nicht, dass ihnen die Kämpfe erspart bleiben würden. EinStück voraus wurde der Weg durch eine Horde Nachtgängerversperrt, die von einer Gestalt angeführt wurden, bei der essich um einen Schamanen zu handeln schien, der eineRunenwaffe schwang. Der Schamane zeigte mit einem langen,in einem Schädel auslaufenden Stab auf Ragnar. Einunheimliches rotes Licht an der Spitze nahm Gestalt an, unddann zuckte ihm ein sengender Strahl aus mystischer Energieentgegen. Der Space Wolf sprang gerade noch rechtzeitig zurSeite, und der Strahl zerschmetterte das Gestein hinter Ragnar.

Ohne nachzudenken, hob Ragnar seine Bolzenpistole undgab einen Schuss ab. Die langen Zielübungen auf dem

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Schießstand bewiesen ihren Nutzen. Die Patrone raste ihremZiel mit äußerster Präzision entgegen, und der Kopf desSchamanen explodierte wie eine Qualle unter dem Schlag einesSchmiedehammers.

Die Nachtgänger ließen ein bestialisches Gebrüll hören undsetzten sich geschlossen in Richtung Brücke in Bewegung. Sieschwenkten wütend ihre Keulen und Äxte und skandiertenTzeentchs Namen. Ragnar bereiteten weniger ihre Anzahl undihre Waffen Sorgen, sondern viel eher die Tatsache, dass dieschiere Masse ihrer Leiber die Blutkrallen verlangsamen undihre Flucht so lange aufhalten mochte, bis sie von den ChaosMarines eingeholt wurden. Er war entschlossen, dem OrdenSergeant Hengists Nachricht zu überbringen.

»Granaten!«, befahl er. »Jetzt!«Wie ein Mann entnahmen die Blutkrallen den Spendern an

ihrem Vielzweckgürtel Mikrogranaten und warfen sie auf dieheranstürmenden Horden. Eine Reihe von Explosionen zerrissdie Reihen der Nachtgänger. Fleischfetzen und Blutfontänenflogen überallhin. Die schiere Gewalt des Angriffs stoppte denAnsturm der Nachtgänger. Die wimmelnde Masse schwankteund bebte für einen Moment.

»Mehr Granaten!«, rief Ragnar, und die Blutkrallenschleuderten die Mikrogranaten mit doppeltem Grimm. Immermehr Nachtgänger fielen. Der Geruch nach Blut und zerfetztenLeibern lag in der Luft. Dann, im letzten Augenblick, erkannteRagnar seinen Fehler. Die Zerstörungskraft der auf engstemRaum zur Explosion gebrachten Menge von Granaten zog dieBrücke in Mitleidenschaft. Vor seinen Augen barsten großeBrocken ab und fielen in den Abgrund. Ihm ging auf, dass dieganze Brücke einstürzen und die Blutkrallen mit in die Tiefereißen würde, wenn sie sie nicht rasch verließen.

Um alles noch schlimmer zu machen, verfehlte eineBolzenpatrone nur knapp seinen Arm und traf das

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Seitengeländer der Brücke. Er warf einen Blick zurück, umfestzustellen, ob aus dem Tempeleingang auf sie geschossenwurde, sah aber lediglich die Überreste von Hengists HäufleinÜberlebender, die zwar in ihren Stellungen festsaßen, sich aberimmer noch wehrten. Sein Blick fiel wieder auf dieNachtgänger, und seine scharfen Augen sahen, was sie suchten.Einige der Anführer der Mutanten waren mit Bolzenpistolenbewaffnet. Manche von ihnen sahen genauso aus wie seineeigene Waffe. Zweifellos waren sie den gefallenen SpaceWolves im Tempel abgenommen worden. Andere Waffensahen ebenso archaisch aus wie diejenigen der Chaos Marines.Sie mussten von den Ketzern mitgebracht worden sein, dachteRagnar. Nicht, dass dies noch eine Rolle spielen würde, wennsie nicht bald von der Brücke herunterkamen.

Er sah sich um, ob auch die anderen bemerkt hatten, was ihmaufgegangen war. Er entnahm sofort ihrer Witterung und ihrerHaltung, dass dies der Fall war. Er brauchte ihnen nicht mehrden Befehl zu geben, keine Granaten mehr zu werfen. Mit derUnabhängigkeit echter Space Wolves hatten sie dieseEntscheidung bereits selbst getroffen. Dennoch deckten sie denFeind mit einem Geschosshagel ein, der verheerend war.Ragnar sah sofort, dass ihnen nur noch eines zu tun blieb.

»Vorwärts!«, rief er. »Schnell! Wir müssen weiter!« Er liefvoran, während er spürte, wie die Brücke bei jedem Schrittzitterte und bebte. Sie war nur noch wenige Augenblicke vomEinsturz entfernt. Voraus fielen immer mehr Steinplatten inden Abgrund. Die gähnende Kluft zwischen dem noch stabilenBrückenteil und dem sicheren Boden auf der anderen Seitewurde immer breiter. Während er so schnell wie möglichrannte, fragte er sich, ob seine verstärkten Muskeln ihn in dieLage versetzen würden, so eine große Entfernung zuüberspringen. Nun, dachte er, während er die Zähne zu einemwölfischen Grinsen bleckte, es gab nur eine Möglichkeit, esherauszufinden.

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Jeder Schritt brachte Ragnar näher an den Rand desAbgrunds. Er hörte seinen Herzschlag laut in den Ohren hallenund roch seine eigene Anspannung und Aufregung. Er wusste,dass er den Sprung ganz genau abpassen musste. Ein einzigerFehltritt konnte ihn über den Rand tragen und abstürzen lassen.Zu früh zu springen würde sich als ebenso fatal erweisen, wenner nicht die ganze Entfernung überbrücken konnte. Erumklammerte seine Pistole und sein Schwert noch fester, liefso dicht an den Rand, wie er es wagte, und sprang.

Augenblicklich war er sich der gewaltigen Kluft unter seinenFüßen sehr deutlich bewusst. Wind zauste an seinen Haaren. Erfühlte sich, als bewege er sich verlangsamt. Er konnte jedeEinzelheit der Mutantengesichter vor sich erkennen, jedeWarze und Beule sehen, die ihre verzerrten Gesichterentstellten, und die Poren in ihrer Haut. Noch nie in seinemganzen Leben war er sich einer Sache so bewusst gewesen. Allseine übermenschlichen Sinne arbeiteten auf einer neuenLeistungsstufe, die absolut verblüffend war. Dem Tode so nah,hatte Ragnar sich noch nie so lebendig gefühlt.

Er stieß einen langgezogenen Schlachtruf aus. Noch währender durch die Luft flog, hob Ragnar seine Pistole und gab einenSchuss auf einen Nachtgänger am Rande des Abgrunds ab. DerMutant hielt sich die Hände vor den Bauch und kippte in denfinsteren Abgrund. Ragnar gab noch einen Schuss ab und fällteeinen weiteren Feind, dann überkam ihn eine Welle derErleichterung, als er festen Boden unter den Füßen spürte.Während seine Knie die harte Landung auf dem felsigen Bodenabfederten, schrie Ragnar der Masse der Nachtgänger seinetrotzige Verachtung entgegen. Er lebte, und jetzt würden siebüßen! Jetzt würden sie den wahren Zorn eines Space Wolfsam eigenen Leib erfahren! Er stürmte mit wirbelndemKettenschwert vorwärts und versuchte verzweifelt, sich einenWeg durch die dichtgedrängten Leiber der Nachtgänger zuhacken, bevor seine Brüder landeten. Unter den gegeben

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Umständen war es durchaus möglich, dass ihnen bei derLandung bereits so stark zugesetzt wurde, dass sie dasGleichgewicht verlieren und alle in den Abgrund stürzenmochten.

Fleisch teilte sich, und Knochen splitterten unter der Wuchtseines Kettenschwerts. Mit seiner Bolzenpistole schoss ereinfach ziellos, da er wusste, dass jede Patrone in dieser Massedichtgedrängter Leiber ein Ziel finden würde.

Ragnar hackte sich seinen Weg durch die Nachtgänger wieein Schiff, das durch schwere See pflügt. Er wurde zu einerlebenden Maschine der Zerstörung, zu einem Wirbelwind desTodes, der sich drehte und heulte und sich durch die massiertenReihen der Mutanten wand. Hinter sich hörte er den Gesangseiner Brüder, die seinem Beispiel folgten. Nach kurzer Zeitlag ein feiner roter Nebel in der Luft, eine Folge des blutigenGemetzels, das sein Kettenschwert anrichtete. Die Schreie derSterbenden waren trotz der Schalldämpfer in seinem Helmnahezu ohrenbetäubend. Tief in seiner Seele, hervorgelocktdurch den Geruch des Gemetzels, wurde die Bestie stärker.

Ragnar kämpfte jetzt rein instinktiv. Er brauchte nicht zudenken. Die Bestie hatte die Kontrolle. Reflexe, Nerven undSehnen waren in perfekter Harmonie. Auf jede von seinenhyperscharfen Sinnen wahrgenommene Bedrohung reagierte ermit Gedankenschnelle. In diesem Augenblick übertraf seinKampfgeschick bei weitem das eines gewöhnlichenSterblichen. Nichts konnte ihm den Weg versperren. Hinterihm hieben sich die anderen Blutkrallen durch die Mutantenwie eine scharfe Axt durch morsches Holz.

Albtraumgesichter grinsten, die Mäuler zum Schreiaufgerissen, da er sie niedermähte. Entstellte Leiber gabenunter seiner Klinge nach. Die Hiebe steinerner Keulen pralltenvon seiner Rüstung ab. Er duckte sich, um einemvorbeipfeifenden Schleuderstein auszuweichen. Seine Sinnewaren so scharf, dass der Stein scheinbar verzögert flog und er

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alle Zeit der Welt zu haben schien, ihm aus dem Weg zu gehen.Er drehte den Kopf und wurde mit dem Aufschrei einesNachtgängers hinter sich belohnt, der in der Flugbahn desSteins stand. Mit einem raschen Schuss zerschmetterte er denSchädel des Schützen und setzte seinen Weg in RichtungFreiheit fort.

Ein Strahl magischer Energie zischte durch die Luft, einebunte Schlange aus bläulich-violettem Licht, die sich ihmentgegenwand. Er roch Ozon und etwas Bitteres, als der Strahlnäher kam. Ragnar versuchte beiseite zu springen, über denKopf eines Nachtgängers hinwegzusetzen, aber der knisterndeStrahl änderte die Richtung und rauschte ihm entgegen. Er hobseine Klinge, um zu parieren, aber der Finger zuckender,widerlicher Energie wand sich vorbei und traf Ragnars Rüstungmitten auf die Brustplatte.

Augenblicklich badete sein ganzer Körper in Schmerzen, wieRagnar sie noch nie erlebt und auch nie für möglich gehaltenhätte. Jeder Nerv schrie gequält auf. Ragnar spürte, wie seineRüstung Blasen warf und zu schmelzen begann. Funkensprühten, als Systeme sich kurzschlossen. IrrwitzigeInterferenzmuster zuckten über sein Visier, und in seinenOhren dröhnte statisches

Knistern. Die Haare standen ihm zu Berge. Energieschübeveranlassten seine von der Rüstung unterstützten Glieder,unkontrolliert zu zucken und sich zu verkrampfen. Ragnarhatte das Gefühl, seine Augen kochten in ihren Höhlen. Er rochseine versengten Haare. In violettes Feuer gehüllt, schwankteer umher wie ein Betrunkener.

Mit einer gewaltigen Willensanstrengung zwang Ragnar sichzu konzentrieren und seinen Feind zu suchen. Zähneknirschendnahm er den Kupfergeschmack seines eigenen Blutes auf derZunge wahr. Ein Blick nach oben zeigte ihm einen gackerndenSchamanen der Untermenschen, der hoch über der Menge,nahe der Höhlendecke, wild auf einer Scheibe aus Licht tanzte.

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Noch mehr verfluchte Zauberei, dachte Ragnar. DieEnergieschlange wand sich aus dem Schädelende desZauberstabs in den klauenartigen Händen des Ketzers. Ragnarversuchte mit seiner Pistole zu zielen, aber ihm standen Tränenvor Schmerzen in den Augen, so dass er nur verschwommensah. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Schwarze undviolette Sterne tanzten vor seinen Augen, und die Zunge klebteihm am Gaumen. Ragnar wusste ohne den leisesten Zweifel,dass er in wenigen Augenblicken sterben würde.

Plötzlich flog eine Bolzenpatrone in die Höhe und bohrtesich ins Herz des Schamanen, der von der bereits abstürzendenLichtscheibe geschleudert wurde. Im Fallen breitete derSchamane die Arme aus, und die Energieschlange flackerteund erlosch. Noch bevor der Magier der Nachtgänger auf demBoden aufschlug, wurde er von einer weiteren Patronegetroffen, die seinen Fall durch die schiere Aufprallwuchtvorübergehend aufhielt. Die Patrone traf das Auge und trat amHinterkopf in einer Fontäne aus Gehirnmasse und Blut wiederaus. Ragnar schaute sich nach dem Bruder um, der seinemFeind den Garaus gemacht hatte, und sah zu seinerÜberraschung, dass es der verhasste Strybjörn war. Seineingeschworener Feind hob eine Hand zum Gruß und richteteseine Aufmerksamkeit dann wieder auf das Niedermetzeln derMutanten.

Ragnar kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, das ihn zuüberwältigen drohte. Seine Rüstung war bereits bei derAusführung der automatischen Systemtests, und über diePeripherie seines Gesichtsfelds huschte eine endlose Reihe vonIcons. Aus dem Augenwinkel sah er eine Granate auf sichzufliegen. Der Richtung nach zu urteilen, hatte sie keiner vonseinen Kameraden geworfen. Es musste sich um eine derWaffen handeln, welche die Nachtgänger den toten SpaceMarines abgenommen hatten. Eines war sicher, der Werfer gabwenig auf das Leben seiner Artgenossen. Ragnar war von

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heulenden Nachtgängern umringt, die alle sterben würden,wenn die Granate explodierte.

Trotz seiner Benommenheit wusste Ragnar, dass seineRüstung nicht in der Verfassung war, einen direkten Krak-Granatentreffer zu verkraften. Er konnte den Schaden imatonalen Jaulen der Servos hören, und die blinkenden rotenIcons auf seinen Anzeigen erzählten ihre eigene unschöneGeschichte. Er hatte nur eine Chance, und die hing davon ab,auf welche Zündzeit die Granate eingestellt war. Er hob seinSchwert, hieb mit der flachen Seite seines Kettenschwerts zu,traf die Granate im Flug und schlug sie weg, wobei er entgegenalle Wahrscheinlichkeit hoffte, der Schlag werde diebefürchtete Explosion nicht auslösen. Einen kurzenAugenblick, in dem ihm der Herzschlag stockte, rechneteRagnar damit, dass die Explosion ihm den Arm aus demSchultergelenk reißen werde, aber dann flog die Granaterückwärts in die dicht gedrängten Massen der Nachtgänger.Einen Augenblick später erfolgte die Detonation, die in tausendStücke gerissene Untermenschengestalten umherschleuderte.

Ragnar taumelte vorwärts. Die Nachtgänger spürten seineSchwäche und fielen über ihn her. Steinbeile und Keulenschmetterten auf die Bruchstellen in seiner beschädigtenRüstung. Ceramitstücke fielen auf den Steinboden. Ragnarschlug mit dem Kolben seiner Pistole zu und zerschmetterteeinen Schädel, stach die Spitze seines Kettenschwerts in dieBrust des nächsten Nachtgängers und spaltete dessen Leib dannmit einer raschen Aufwärtsbewegung. Die nächsten Mutantensahen die eiserne Entschlossenheit auf seinem Gesicht undmachten Anstalten zurückzuweichen. Das gab Ragnar denRaum, den er brauchte, um sein Kettenschwert wie einBerserker im Kreis herumzuwirbeln und dabei Leiber undKöpfe zu durchtrennen. Er wirbelte durch die Massen wie eineWindhose mit Rasiermessern an den Außenrändern, um danneinen Augenblick später zu erkennen, dass er keine Gegner

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mehr hatte. Er war nicht mehr von Nachtgängern umringt.Keuchend und atemlos warf Ragnar einen Blick zurück und

sah, wie Sven, Nils, Lars und Strybjörn sich einen Weg durchdie Massen der Mutanten hackten. Sie schienen durch ein Meeraus rohem Fleisch und sprudelndem Blut zu waten.Nachtgänger gingen zu Boden wie Korn unter einer Sense. DieBlutkrallen schienen unmenschlich, unüberwindlich undunaufhaltsam zu sein. Aber dann sah Ragnar eine weitereGranate auf Strybjörn und Sven zufliegen. Er heulte eineWarnung, sah die Blutkrallen herumfahren und wussteinstinktiv, dass seine Warnung zu spät kam.

Sven gelang es, sich gerade noch rechtzeitig zur Seite zuwerfen. Er hechtete kopfüber in eine Gruppe Nachtgänger undschlug dabei mit seinem Kettenschwert um sich. Strybjörn warnur einen Sekundenbruchteil zu langsam. MehrereNachtgänger hatten sich an ihn geklammert, um ihn zu Bodenzu reißen, so dass sie mit ihren Keulen auf seinenverwundbaren Schädel einschlagen konnten. Im letztenMoment schüttelte er sie mit lautem Gebrüll ab und versuchteder Granate auszuweichen, doch er hatte seinen Sprung geradeerst begonnen, als die Granate detonierte. Die Explosion trafseine Rüstung und schleuderte Strybjörn durch die Luft wieeine von einem Kind achtlos beiseite geworfene Puppe.

Ragnar stand einen Augenblick wie gelähmt da, zwischenseltsam gemischten Gefühlen hin- und hergerissen. AllemAnschein nach war sein verhasster Feind tot, von der Explosiongetötet, die Ragnar seiner Rache beraubt hatte. Aber das warnicht das Schlimmste daran. Plötzlich kam es Ragnar so vor,als sei seine Rache, verglichen mit der Bedrohung durch dieChaos Marines und dem bösen Gott, den sie anbeteten, eineunbedeutende Angelegenheit. Das Chaos war eine Gefahr fürdie ganze Menschheit, und Strybjörn war im Kampf dagegengefallen. Mehr als das, er hatte Ragnar das Leben gerettet, alser ihn vom bösen Zauber des Schamanen erlöste, und jetzt

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konnte Ragnar diese Schuld nicht mehr begleichen. Er heultevor Wut und Verzweiflung, da ihm plötzlich aufging, dass ernach all diesen Monaten des dumpfen Hasses nicht wollte, dassStrybjörn auf diese Weise starb, dass er vielleicht gar nichtmehr wollte, dass der Grimmschädel überhaupt starb.Verglichen mit der Gefahr, die tief in diesem Berg lauerte,kamen ihm ihre alten Stammesfehden kleinlich und albern vor.

Sven hatte bereits kehrtgemacht und kämpfte sich durch dieMasse der Leiber zu der Stelle, wo Strybjörn zu Bodengegangen war. Plötzlich tauchte Strybjörn aus dem Meerstinkender Leiber auf und kam schwankend auf die Beine.Seine Rüstung war geborsten, und die Maschinerie war zusehen. Auf einer Gesichtshälfte hatte sich die Haut abgeschält,und Zähne und Kieferknochen lagen bloß. Ein Arm hingschlaff und blutig herab, aber er kämpfte dennoch weiter undtötete mit seinem blitzenden Kettenschwert einen Gegner nachdem anderen. Wenn schon nichts anderes, so war Strybjörndoch zumindest ein großer Krieger, dachte Ragnar, der seineLähmung überwand und sich wieder ins Getümmel stürzte, umsich zu Sven und Strybjörn durchzukämpfen.

Augenblicke später hatte er einen Weg freigeräumt, unddann hatten er und die anderen Blutkrallen sich von denNachtgängern gelöst. Er packte den schwankenden Strybjörnam Arm und stützte ihn, während sie weitereilten. Sven undNils rief er zu: »Granaten!«

Sven grinste boshaft und begann damit, Granate um Granatein das Gedränge der Nachtgänger zu werfen. Augenblickespäter folgte Nils seinem Beispiel. Die Höhlen hallten vonDetonationen wider, und die Blitze erleuchteten sie wie einGewitter die Nacht. All das war zu viel für die Nachtgänger.Seit dem Tod ihres Schamanen führerlos, machten sie kehrtund zogen sich in Richtung des Abgrunds zurück. Der Druckder Leiber und ihre schiere Masse riss sie in den Abgrund.Ragnar konnte ihre Schreie hören, als sie in die ewige

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Dunkelheit fielen.Rasch holte er die Erste-Hilfe-Ausrüstung aus seinem Gürtel.

Ragnar musste schnell handeln, wenn er Strybjörns Lebenretten wollte. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bisdie Chaos Marines sich an ihre Fersen hefteten. Als eraufschaute, sah er Sven vor sich stehen. Seine Rüstung war mitgeronnenem Blut und Hirnmasse verschmiert.

»Guter Kampf«, grunzte Sven. Ragnar sah ihn an und nickte,während er sich fragte, wie lange es wohl noch dauern würde,bis die Chaos Marines über sie herfielen. Es war unbedingterforderlich, dem Orden ihren Fund zu melden, aber er wussteauch, dass er Strybjörn nicht seinem Schicksal überlassenwürde. Ihm fiel wieder ein, was ihm die alten Zauberer hinterMorkais Tor über seinen Hass gesagt hatten: dass er eineSchwäche sei, die dem Bösen einen Zugang zu seiner Seelegeben würde. Er wusste jetzt, dass sie Recht hatten und es nureinen Weg für ihn gab, wie er sich dieses Hasses entledigenkonnte. Rasch gelangte er zu einer Entscheidung, und er ließein kurzes Stoßgebet folgen, es möge die richtige sein.

»Sven, nimm Lars und Nils und verschwinde. Schlagt euchzur Oberfläche durch. Legt so viel Abstand zwischen euch unddiese verfluchten Höhlen, wie nötig ist, damit die Funkgerätewieder funktionieren, und verständigt den Orden.«

Statt zu antworten griff sich Sven an den Helm und öffnetedie Verschlüsse. Der Helm fiel mit dumpfem Knall auf dennassen Sand und enthüllte das grimmige Gesicht des SpaceWolfs, das wutverzerrt war und im flackernden Licht vonRagnars Schulterlampe wie das eines Dämons aussah. »Sollenwir dich und Strybjörn hier zurücklassen, damit ihr die Kämpfeund den Ruhm für euch allein habt?« Sven schüttelte heftig denKopf. »Bist du wahnsinnig oder hältst du mich dafür?«

Trotz der aussichtslosen Situation, in der sie sich befanden,konnte sich Ragnar ein Lächeln nicht verkneifen. Er legte Sven

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seine gepanzerte Hand auf die Schulter. »Setz deinen Helm aufund geh jetzt, du Idiot, sonst beiße ich dir die Kehle durch.Siehst du denn nicht, dass es viel wichtiger ist, dass die SpaceWolves erfahren, was hier geschieht, als dass du den Heldentodstirbst?«

»Das sagst du! Ich sehe aber, dass du bleibst.« Sven funkelteRagnar mit Augen an, die sich zu winzigen Schlitzen verengthatten, und seine Stimme war ein bedrohliches Flüstern.

»Strybjörn hat mir das Leben gerettet, daher werde ich ihnnicht allein zurücklassen.«

»Du gehst! Ich bleibe!« Svens Augen leuchteten imSchlachtfieber, und er betastete nervös die Zähne seinesKettenschwerts.

Ragnar verlor die Geduld mit Svens Halsstarrigkeit. »Ichsag's dir nicht noch mal!«, brüllte er. »Geh jetzt, oder ichbringe dich eigenhändig um.« Ihre Blicke trafen sich. Siebleckten die Zähne. Der Gestank nach Wut und Streit lag in derLuft. Ragnar spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.Einen Augenblick später spürte Sven instinktiv RagnarsEntschlossenheit und er wich zurück wie ein Wolf vor demRudelführer.

»Also gut«, lenkte er ein, indem er seinen Helm aufhob undblutbefleckte Sandkörner vom Visier abwischte. »Ich gehe.Aber beim nächsten Mal bleibe ich mit den Verwundetenzurück.«

Ragnar grinste ihn an. »Das ist nur fair«, sagte er. Sven sahkurz weg, dann bellte er Nils und Lars Befehle zu.

»Also, ihr zwei, ihr habt den Helden gehört. Auf geht's. Undich will keinen Widerspruch hören, sonst reiße ich euch dasHerz heraus und verspeise es vor euren Augen.«

»Immer denkt er ans Essen«, murmelte Nils. ImVorbeigehen grüßte er Ragnar mit erhobenem Daumen.

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»Wir sehen uns wieder«, sagte Lars. »Ich weiß es.«»Ich bete zu Russ, dass du Recht hast«, sagte Ragnar und sah

dann zu, wie das Trio in der Dunkelheit der Tunnelsverschwand.

***

Ragnar nahm einen Kanister mit Kunstgewebe und sprühtees auf Strybjörns Gesicht. Das Gewebe verband sich sofort mitder Haut und bedeckte die bloßen Knochen und Zähne. Es sahnicht hübsch aus, aber wenigstens würde das Gewebe dieWunde sauber und steril halten. Nachdem er die gerissenenEnergieleitungen geflickt hatte, stopfte er mit demReparaturzement ebenso rasch die Risse und Sprünge inStrybjörns Rüstung. Schließlich, nach einem letzten Blick, umsich zu vergewissern, dass alles einigermaßen gerichtet war,injizierte er der verwundeten Blutkralle ein starkesAufputschmittel. Strybjörn öffnete die Augen und stieß einschmerzerfülltes Heulen aus.

»Du bist immer noch da, Donnerfaust. Das überraschtmich.« Seine Stimme klang heiser und kam stoßweise und ließdie Schmerzen erahnen, die seine Wunden ihm bereitenmussten.

»Du hast mir das Leben gerettet. Ich zahle meine Schulden.«»Ich brauche deine Hilfe nicht«, zischte Strybjörn

zähneknirschend und versuchte aufzustehen. Er schaffte es,sich auf die Knie zu erheben, geriet dann aber ins Wanken.Ragnar stützte ihn, indem er Strybjörn die Hand unter denlinken Arm legte. Sein Kettenschwert war gehalftert, und erhielt die Bolzenpistole in der Linken. Blut lief in dünnenRinnsalen durch die Risse in Strybjörns Rüstung und färbteRagnars Arm rot.

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»Wir machen uns besser auf den Weg. Es ist nur eine Frageder Zeit, bis die Nachtgänger neuen Mut schöpfen oder dieChaos Marines ihnen dabei helfen.«

Trotz seiner Schmerzen gelang es Strybjörn, nachdenklichdreinzuschauen. »Ich frage mich, wie es Hengist und denanderen ergeht.«

Ragnar lauschte einen Moment. Er konnte keineKampfgeräusche aus der Ferne hören. Allem Anschein nachwar Hengist mit dem Rest des Rudels getötet worden oder,schlimmer, in Gefangenschaft geraten. Ragnar hoffte, dass dieeingestürzte Brücke die Chaos Marines noch eine Weileaufhalten würde, aber irgendwie war ihm klar, dass dies für dieVerfolger kein unüberwindliches Hindernis sein würde.

Strybjörn stützte sich auf Ragnar, als sie sich auf den langenWeg durch die Dunkelheit der Tunnels machten.

***

Ragnar versuchte den Weg einzuschlagen, auf dem sie in denChaos-Tempel gelangt waren, was nicht leicht war. Er nahmhier und da Witterungsspuren der Space-Wolves war, diejedoch so stark vom stechenden Gestank der Nachtgängerüberlagert waren, dass es kaum noch möglich war, seineBrüder zu wittern. Ragnar erkannte jetzt, dass man sie in eineFalle gelockt hatte. Man hatte ihnen gestattet, immer tiefer inden Berg einzudringen, während sich ringsherum eine riesigeStreitmacht von Nachtgängern sammelte. Der Tempel warihnen offen gestanden, und sie waren hineinmarschiert wielebendige Opfer für den Großen Mutator. Es war keinerhebender Gedanke.

Ragnars Schulterlampe sondierte die Finsternis voraus. Erbückte sich und sah frische Anzeichen dafür, dass Sven und dieanderen hier entlang gekommen waren. Zumindest das war

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ermutigend. Ein Ächzen hinter ihm verriet ihm, dass Strybjörnin keiner guten Verfassung war. Als er sich umdrehte, sah er,dass der Grimmschädel blass war und seine Haut eine gelblicheFärbung annahm, die Ragnar in seinem früheren Leben auf denInseln mit dem Tod zu verbinden gelernt hatte. Er hoffte nur,dass Strybjörns übermenschliche Kraft den Ausschlag gebenund ihn durchbringen würde. Ragnar fragte sich, wie erherausfinden konnte, was mit dem Grimmschädel nichtstimmte. Vielleicht hatte er innere Verletzungen erlitten, die zubehandeln er weder die Fähigkeit noch die Mittel besaß. Ihmwar klar, dass dies nur allzu gut möglich war. Oft waren esnicht die offensichtlichen Wunden, die einen Kriegerumbrachten. Als Junge hatte Ragnar Geschichten über Männergehört, die scheinbar einen leichten Treffer an den Kopfbekommen und danach die Schlacht durchgekämpft hatten, umdann im Augenblick des Sieges tot umzufallen. Vielleichtdrohte Strybjörn ein ähnliches Schicksal.

»Geh ohne mich weiter, Donnerfaust«, sagte Strybjörn. DieWorte klangen seltsam aus seinem verstümmelten Kiefer. »Ichwarte hier. Wenn Verfolger kommen, halte ich sie auf.«

»Du kommst mit mir, Grimmschädel, und wenn ich dichbewusstlos schlagen und tragen muss. Du bist bis hierhergekommen. Sei Manns genug, den ganzen Weg zu gehen.«

Ihre Blicke trafen sich. Wie bei Sven spürte er Widerstand,und wie bei Sven überwand er ihn. Er hatte das Gefühl, dassStrybjörn im Vollbesitz seiner Kräfte nicht gehorcht hätte, aberin seinem geschwächten Zustand brachte er nicht dieWillenskraft auf, Ragnar zu trotzen.

»Du gewinnst«, sagte er. »Weiter.« Die Motoren inStrybjörns Rüstung keuchten asthmatisch, als er sich wieder inBewegung setzte, und aus seinem Rucksack spien geborsteneLeitungen Dampf aus, aber der Grimmschädel hinkte weiterden Tunnel entlang.

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Ragnar konnte gar nicht übersehen, dass Strybjörn sich kaumnoch auf den Beinen hielt.

***

Ragnar stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ererkannte diesen Ort wieder. Es war der große unterirdischeSee. Er hätte sich nie träumen lassen, dass er einmal so frohsein würde, dessen widerliches Wasser wiederzusehen, aberjetzt war er es zweifellos. Der Anblick der See rings um seineHeimatinsel hätte ihn in diesem Augenblick nicht glücklichergemacht. Wie trostlos und abscheulich dieser Ort auch seinmochte, er war ein Orientierungspunkt und vermittelte Ragnardas Wissen, dass er auf dem richtigen Weg war.

In den letzten Stunden hatte er oft das Gefühl gehabt, sichverirrt zu haben. Auf dem Weg zurück an die Oberfläche sahendie Tunnel ganz anders aus. Ragnar begriff durchaus denGrund dafür. Es lag einfach daran, dass er jetzt in dieentgegengesetzte Richtung marschierte und die Gänge undHöhlen aus einem anderen Blickwinkel sah als noch vorwenigen Stunden. Hinzu kam, dass er müde war. All dieseDinge hatten sich verschworen, um seine Wahrnehmung zuverändern und diesen Ort in etwas Unbekanntes, Bedrohlichesund Feindseliges zu verwandeln. Er schüttelte den Kopf undmachte sich klar, dass die Tunnel all das tatsächlich waren.

»Ist das der See der Toten?«, fragte Strybjörn, dessenStimme ein blubberndes Flüstern war. Ragnar erkannte, dasssein Wolfbruder halluzinierte. »Sind wir endlich da?«

»Nein«, sagte Ragnar. »Das ist er nicht. Es ist nur derwiderliche, vom Chaos verunreinigte See, in den Sven auf demHinweg gespuckt hat.« Ragnar versuchte zu lächeln, doch ihmgelang nur eine Grimasse.

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»Du bist es, Donnerfaust. Damals habe ich dich getötet unddu mich, und wir sind zusammen zur Hölle gefahren.«

Ragnar schauderte. Einen Moment lang schien dieseMöglichkeit durchaus gegeben zu sein. Ihm schwindelte beider Vorstellung. Vielleicht hatte Strybjörn Recht. Vielleichtlagen ihre Leichen in den Ruinen des Donnerfaust-Dorfs.Vielleicht war der Flug nach Russvik und die Aufnahme in dieReihen der Wölfe nur eine Halluzination, eine letzte Traum-Phantasie, die sich sein schmerzgepeinigtes Hirn in den letztenAugenblicken seines Lebens ausgedacht hatte. Vielleicht warensie jetzt wirklich tot. Da sie sich gegenseitig erschlagen hatten,waren sie vielleicht gemeinsam zur Hölle gefahren.

Ragnar klammerte sich an den letzten Rest seiner geistigenGesundheit. Er atmete die widerliche Luft tief ein und rochabgestandenes Wasser, Schimmel und Pilze. Er sah dieBlutspuren, wo die Leichen der von ihnen erschlagenenNachtgänger verschleppt worden waren, vermutlich umverspeist zu werden. Er spürte das kühle Ceramit derHandschuhe, die seine Finger umhüllten, und den Kolben derBolzenpistole in der Hand. Er begutachtete die Umgebung mitSinnen, die schärfer waren als diejenigen eines sterblichenMenschen.

Nein, sagte er sich. Ich bin nicht tot. Ebenso wenig wieStrybjörn. Jedenfalls noch nicht. Wir sind Space Wolves, vonRuss erwählt, und wir werden nicht aufgeben.

Er machte eine weitere Phiole des schmerzstillenden Mittelsin seiner Erste-Hilfe-Ausrüstung bereit und drückte sie auf dasInduktionsventil in Strybjörns Rüstung. Mit einem Zischenleerte sich die Phiole, und die Chemikalie drang in StrybjörnsBlutkreislauf ein. Der Grimmschädel stieß ein langgezogenesÄchzen aus, schüttelte den Kopf und sah sich um. Seineriesigen Augen waren schmerzerfüllt, aber nicht mehr ganz sofiebrig.

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»Gehen wir weiter«, sagte er. Ragnar nickte zustimmend. Inder Ferne glaubte er die Geräusche von Verfolgern zu hören.

***

»Was war das?«, fragte Strybjörn. Ragnar war überrascht,dass der Grimmschädel überhaupt noch etwas hörte. In derletzten Stunde war er immer schwächer geworden und konntesich kaum noch auf den Beinen halten.

»Nichts«, log Ragnar. Es war das Geräuschmetallverkleideter Füße, die sich hinter ihnen durch den Tunnelbewegten. Die Echos hallten rauh. Es war schwierig, dieEntfernung zu schätzen, aber Ragnar konnte nicht glauben,dass sie groß war. Wer ihnen auch folgte, er war sehrzuversichtlich, da er sich keine Mühe gab, seine Annäherungzu verheimlichen. Und er näherte sich schnell.

Ragnar fluchte. Ihm ging auf, dass sie sich in der langenGalerie befanden, wo er zur Decke geklettert und sich dieuralten Träger angesehen hatte. Ragnar kam es so vor, als seienseitdem Tage oder Wochen verstrichen. Die Oberfläche warjetzt nicht mehr weit entfernt, wenn er sich recht erinnerte. Siehatten es fast geschafft. Fast. Immerhin, tröstete er sich,schienen Sven, Lars und Nils entkommen zu sein. Er hatteunterwegs keinerlei Anzeichen dafür entdeckt, dass ihnenetwas zugestoßen war. Mittlerweile mussten sie die Oberflächeerreicht haben, dachte Ragnar. Vielleicht hatten sie sogar schondie Interferenzzone verlassen und Hilfe herbeigerufen. Siemussten den langen Anstieg aus dem dunklen Herzen desBerges an die Oberfläche viel schneller als er bewältigt haben,weil sie nicht mit der Bürde des verwundeten Strybjörn belastetwaren.

»Gehen wir weiter«, sagte Ragnar. »Jetzt ist es nicht mehrweit.«

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Strybjörn nickte und hinkte weiter.Sie hatten die Galerie beinahe durchquert, als Ragnar eine

vertraute melodiöse, doch finstere Stimme in seinem Rückenhörte.

»Wohin gehst du, Welpe? Dreh dich bitte um. Ich will dichansehen, denn ich schieße niemandem gern in den Rücken.«

Ragnar erkannte die Stimme. Sie gehörte dem Chaos Marine,der Sergeant Hengist verspottet hatte. Langsam drehte er sichum, während er Strybjörn zu Boden gleiten ließ und sich dannan den Gürtel griff, um sein Kettenschwert zu ziehen.

Ragnar zuckte fast zusammen, als er seinen Feind sah. Erhatte eigentlich damit gerechnet, einen ganzen Trupp dergefürchteten Chaos Marines und eine Horde Nachtgänger zusehen. Er konnte jedoch lediglich eine einsame Gestaltausmachen.

»Madok!«, spie er den Namen förmlich aus. Ragnar nahmzur Kenntnis, dass einige der Icons auf der Rüstung des ChaosMarine leuchteten, zweifellos unter dem Einfluss chaotischerEnergien. Ragnars Nackenhaare sträubten sich. Was ging hiervor? Wurde gerade ein Chaos-Zauber gewirkt?

»Du erinnerst dich. Ich bin geschmeichelt. Aber das ist gutso. Wenn deine Seele in der Hölle ankommt, kannst duwenigstens jedem erzählen, wer dich getötet hat.« Die Wortehallten durch die klamme Kaverne.

»Noch bin ich nicht tot.«»Glaub mir, es ist nur eine Frage von Augenblicken, bis ich

das ändere.«»Wo sind deine Brüder? Alle tot?«»Nein. Sie jagen die wenigen Überlebenden deiner kleinen

Gruppe, die wie Feiglinge vom Schlachtfeld geflohen sind.«»Ich glaube dir nicht.« Ragnar spürte, wie die Bestie in ihm

ob der Beleidigung wütend fauchte und weiter in den

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Vordergrund trat.»Was du glaubst oder nicht glaubst, ist unerheblich.« Wieder

vermeinte Ragnar einen Anflug von Langeweile aus derStimme des Chaos-Anhängers herauszuhören.

»Warum erzählst du mir dann all das, Abschaum?«Der gerüstete Zauberer seufzte, als staune er über die

Unwissenheit des Welpen vor sich. »Weil es lange her ist, dassich das Vergnügen hatte, einen deiner Art aus der Nähe zuverspotten. Und ich habe die Absicht, es zu genießen. Es isteine winzige Facette der Rache für die Verbrennung Prospères,aber in diesen Tagen hole ich mir mein Vergnügen, wo ichkann.«

»Dann bist du also einer der Tausend Söhne.«Ragnar wusste jetzt, dass Madok einer der ältesten und

gefürchtetsten Feinde seines Ordens war, teuflischer Magierebenso wie furchtbarer Krieger. Die Space Wolves hatten dieHeimatwelt der Tausend Söhne, Prospero, im Anschluss anHorus' Rebellion vor Tausenden von Jahren verbrannt. Dieverräterischen Marines hatten ihnen das nie vergessen. Seitdemhatten sie mehrfach Fenris angegriffen, anscheinend in derAbsicht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Ragnar fragtesich, ob Madoks Anwesenheit auf eine Neuauflage dieses Plansschließen ließ. Natürlich, dachte er, das musste es sein. Darumwar es so wichtig, dass jemand entkam, um die Space Wolveszu warnen. Der Gedanke daran, dass Sven die Nachrichtübermitteln und die Vergeltung nicht lange auf sich wartenlassen würde, erfüllte Ragnar mit Trost und Zuversicht.

»Bravo. Dann lehren die Idioten im Fang also immer nocheinige Aspekte der alten Wahrheiten.«

»Sie haben mich genug über deine verräterische Brut gelehrt,um einen unrettbar verlorenen Feind der Menschheit zuerkennen, wenn ich einen sehe.«

Zu Ragnars Überraschung lachte Madok. Seine spöttische

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Stimme bekam einen belehrenden Unterton. »Sie haben dichgar nichts gelehrt. Nicht wir haben euren Orden angegriffen.Ihr habt heimtückisch unsere Heimat angegriffen.«

»Nachdem ihr eurer Pflicht der Menschheit und dem Kaisergegenüber abgeschworen hattet.«

Madok schüttelte den Kopf. »So viel Gewissheit. So wenigWissen. Nicht wir haben dem Kaiser abgeschworen. Er hat unsim Stich gelassen. Er hat seine Wölfe geschickt, um unsanzugreifen, nur weil ihm der Weg nicht gefiel, den unserPrimarch, der verehrte Magnus, entdeckt hatte: den Weg zuWissen und grenzenloser Macht.«

»Grenzenlosem Bösen, meinst du.«Madok schüttelte bekümmert den Kopf.»Es heißt völlig zu Recht, dass es sinnlos ist, mit jenen zu

streiten, die ihren Geist verschließen. Und kein Orden hatte jeverschlossenere und uneinsichtigere Geister als die SpaceWolves. Ich weiß nicht, warum ich meine Zeit mit demVersuch vergeudet habe, dich aufzuklären.«

Das fragte sich auch Ragnar. Wartete der Chaos Marine aufetwas? Vielleicht hoffte er, dass seine Kameraden eintreffenund ihm dabei helfen würden, Ragnar gefangen zu nehmen. Indiesem Augenblick war Ragnar das völlig egal. Jede Minute,die er Madok aufhielt, war eine Minute mehr für Sven, um dieBrüder im Fang zu verständigen.

»Wir mögen uneinsichtig sein, aber wir halten unsere Eide«,knurrte Ragnar.

»Jedenfalls seid ihr beharrlich in eurer Dummheit.«Ragnar fragte sich, was Madok meinte. Ihm fiel jetzt

langsam etwas auf, ein Zauber, der an seinen Sinnen zupfte undihn zwang, dem zu lauschen, was der Chaos Marine zu sagenhatte. Handelte es sich um einen subtilen Zauber, der ihnempfänglich für die Ketzerei machen sollte?

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Er kam zu dem Schluss, dass er besser etwas unternehmensollte. Doch irgendetwas hielt ihn davon ab zu handeln. SeinVerstand fühlte sich an, als habe er sich in einem Netzverstrickt. Leuchteten die funkelnden Juwelen auf MadoksRüstung jetzt heller? Waren sie der Grund für seine Vorsicht?Während er den Kopf schüttelte, um klare Gedanken fassen zukönnen, fragte Ragnar den Chaos Marine: »Wie seid ihr nachFenris gekommen?«

»Wir haben die Gebete derjenigen erhört, die den GroßenMutator anbeten. Wir sind unter dem Schutz desMeteoritenregens gelandet, den deine kindischen Brüderuntersuchen wollten. Wir kamen, weil wir von denen gerufenwurden, die uns verehren. Der Tempel im Berg ist von einemmeiner Brüder geweiht worden, der nach unserem letztenAngriff auf den Fang auf dieser Welt geblieben ist. Er hat dieseMutanten den wahren Glauben gelehrt. Er hat sie vom Irrtumerlöst und in die Freiheit geführt.«

Ragnar nickte. Das letzte Mosaiksteinchen war an Ort undStelle. Er zwang seinen Arm, sich zu bewegen, sich gegen denZauber zu wehren, mit dem Madok ihn belegt hatte. Langsam,als kämpfe er gegen eine schwere Last an, hob er seineBolzenpistole, bis sie fast direkt auf den Chaos Marine zielte.Als habe Ragnar den Bann gebrochen, erlosch das Leuchtender Juwelen auf der Rüstung des Chaos Marine.

»Du hast einen stärkeren Willen, als ich dachte, Welpe«,sagte Madok, dessen Tonfall vor Spott und Hass troff. »Ichglaube, jetzt muss ich dich doch töten. Ein Jammer. Es wäreerfreulicher gewesen, wenn du bereitwillig zu Tzeentchs Altarmarschiert wärst und dich selbst dem Großen Mutatorangeboten hättest. Aber wir können wohl nicht alles haben.«

So schnell, dass die Bewegungen verschwammen, rissMadok seine Waffe hoch und schoss. Ragnars träge Reflexewaren ihm hoffnungslos unterlegen. Bevor er auch nurreagieren konnte, wurde ihm die Pistole aus der Hand gerissen.

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Es war ein Meisterschuss. Nun, da Ragnar wusste, dass er nurnoch eine Chance hatte, hob er sein Kettenschwert und stürmteMadok entgegen. Der Lauf von Madoks Bolzenpistole bliebständig auf ihn gerichtet. Die Mündung sah so groß aus wie derEingang zu einer Höhle. Ragnars verschärfte Sinne sahen, dassder Lauf der Waffe tatsächlich wie ein Dämonenkopf geformtwar, dessen Mund Kugeln spie. Im gleichen Augenblick wussteer, dass er sterben würde. Auf diese Entfernung konnte ihn einKrieger wie Madok gar nicht verfehlen.

Er zuckte zusammen, als er den Knall eines Schusses hörte,bevor ihm klar wurde, dass er unglaublicherweise nichtgetroffen war. Vielmehr sah er, dass ein großes Stück aus derRüstung des Chaos Marine gebrochen war und der Zaubererrückwärts taumelte. Strybjörn, grinste Ragnar innerlich. DerGrimmschädel musste irgendwie wieder zu sich gekommensein und geschossen haben. Madok taumelte rückwärts, fanddas Gleichgewicht jedoch sofort wieder und gab fast beiläufigeinen Schuss auf Strybjörn ab. Das Kreischen nachgebenderRüstung und ein schmerzerfülltes Ächzen verrieten Ragnar,dass die Patrone ihr Ziel getroffen hatte.

Dennoch hatte der Grimmschädel ihm eine Chanceverschafft, und Ragnar hatte die Absicht, sie zu nutzen. ImLaufen schüttelte er die Reste der durch den Zauberhervorgerufenen Lethargie ab, und er wusste, dass er wieder erselbst war: ein Space Wolf im Schlachtfieber. Mit einem lautenKriegsruf schwang er sein Kettenschwert in weitem Bogen inder Absicht, die Klinge sauber durch den Ketzer zu ziehen.Madok fuhr verzweifelt herum und versuchte seineBolzenpistole auf ihn anzulegen. Beinahe hätte er es auchgeschafft, aber ihm gelang lediglich, die Waffe zwischen sichund Ragnars Schwert zu bringen.

Das Kreischen von Metall auf Metall ertönte. Funkensprühten, als die beiden Waffen aufeinander trafen. Dannschnitt das Kettenschwert sauber durch die Pistole des Chaos

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Marine. Immerhin verschaffte die Verzögerung Madok dieZeit, die Pistole fallen zu lassen und zurückzuweichen. DerZauberer streckte die Hand aus und beschrieb eine Geste desGreifens. Aus der Scheide an seinem Gürtel glitt einRunenschwert und sprang in seine Hand. Die Klinge warschwarz. Auf ihrer gesamten Länge leuchteten rote Runen voraufgestauter Energie. Ragnar wusste augenblicklich, dass jederTreffer dieser Klinge tödlich sein würde. Er schlug beidhändigzu, um mehr Wucht in den Hieb zu legen. MadoksDämonenschwert hob sich zur Parade. Klinge traf mit einemKlirren auf Klinge, als schlage ein Hammer auf einen Amboss.

Madok schlug zurück. Ragnar wich mit einem Sprung ausund versuchte es mit einem Gegenschlag. Wiederum parierteMadok mühelos. Sie umkreisten einander, wachsam und mitstoßbereiter Waffe. Ragnars Haare sträubten sich, als MadoksKlinge plötzlich ein leises, unheimliches Stöhnen aussandte.Die Klinge war auf irgendeine Weise lebendig und zubewusstem Denken fähig, spürte Ragnar.

»Stimmt genau«, schnurrte Madik, der die Richtung ahnte,die Ragnars Gedanken nahmen. »Diese Dämonenwaffe wirddeine Seele verzehren, wenn sie dein Blut trinkt. Sie ist durstig,musst du wissen.«

»Zuerst muss sie mich treffen«, sagte Ragnar. Ein leisesKnurren drang aus seiner Kehle, und er hieb nach dem ChaosMarine. Madok duckte sich und parierte blitzschnell.

»Ich glaube nicht, dass das ein Problem wird«, sagte er,indem er einen Wirbel von Hieben entfachte. Ragnar bemühtesich verzweifelt, ihnen zu entgehen. Er parierte, duckte sich,sprang gerade noch zur Seite. Schnelligkeit und Kraft desChaos Marine waren unglaublich. Ragnar kannte seine eigeneStärke, aber verglichen mit Madok hätte er ebenso gut ein Kindsein können.

Und warum auch nicht, dachte Ragnar, während er mit Mühe

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den nächsten wuchtigen Hieb ablenkte. Der Schock desAufpralls ließ seinen Arm taub werden. Verglichen mit demChaos Marine war er tatsächlich nur ein Kind. Madok hatteJahrtausende der Erfahrung und dazu alles, womit die Mächtedes Chaos aufwarten konnten. Sich auf einen Kampf mitdiesem Mann einzulassen war mehr als Wahnsinn, es warschiere Dummheit. Es war vollkommen unmöglich, solch einenFeind zu bezwingen. Ragnar hatte das Gefühl, ebenso gutaufgeben zu können. Am Ende würde es weniger schmerzhaftsein.

Wieder ging Ragnar auf, dass diese Gedanken von außenkamen, dass er dem Einfluss einer äußeren Macht unterworfenwurde. Das jammervolle Klagelied des Runenschwertsbeeinflusste ihn. Die Wirkung war subtil undniederschmetternd. Ihr höllisches Kreischen beraubte RagnarsArm und Willen seiner Kraft. Wiederum wappnete er sich undschüttelte den Bann ab, um dann Madoks nächsten Hieb zuparieren und selbst die Initiative zu ergreifen und zu einemHagel von Schlägen anzusetzen, der den Chaos Marine Schrittfür Schritt zurückdrängte, bis Ragnar sämtlichen Bodenzurückgewonnen hatte, den er bei Madoks Angriff hattepreisgeben müssen.

Er spürte den Grimm des Chaos Marine ob diesesunerwarteten Widerstands. Seine Lippen verzogen sich zueinem wölfischen Grinsen, als er einen neuerlichen Hiebniedersausen ließ. Dieser durchstieß Madoks Deckung undrasierte einen der grinsenden Dämonenschädel von dessenRüstung. Für einen kurzen Moment glaubte Ragnar bereits, erhabe den Mann getroffen, aber dann sah er, dass rotglühendesflüssiges Metall aus der getroffenen Stelle floss. Es blubbertewie Lava und verflüchtigte sich dann zu einer silbrigenGiftwolke. Ragnar wich hastig zurück, da er instinktiv wusste,dass das Einatmen dieser üblen Dämpfe seinen Tod zur Folgehaben würde. Nicht einmal die übermenschlichen Fähigkeiten

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seines Körpers würden ihn vor der Zauberkraft dieses Chaos-Gifts retten.

»Ein guter Hieb«, sagte Madok zynisch. Völlig unerwartettrat er mit dem Fuß zu. Er traf Ragnar im Schritt, und dieserspürte, wie der Schutz seiner Rüstung unter der Wucht desTritts nachgab. Der Tritt schleuderte ihn durch die Luft, bis erkopfüber gegen die Wand prallte und neben der reglosenGestalt Strybjörns zu liegen kam. Er fühlte sich kaum in derLage, sich wieder zu erheben, und schüttelte den Kopf in demverzweifelten Bemühen, wieder zu Sinnen zu kommen.Inzwischen hatte Madok die Entfernung zwischen ihnen miterschreckender Schnelligkeit überbrückt. Sein heulendesRunenschwert war hoch erhoben und zum tödlichen Hiebbereit.

In diesem Augenblick spürte Ragnar, wie ihn eine geradezubetäubende Schwäche überkam. Er wusste, dass er nicht mehrdie Kraft hatte, den tödlichen Hieb abzuwenden, und dass seinLeben vorbei war. Ragnar konnte nur noch zusehen, wie derChaos Marine immer näher kam. Die leuchtenden Runen unddas klagende Lied der Klinge faszinierten ihn. Er wusste, dasser in wenigen Augenblicken ihren kühlen Biss spüren würde,und wenn es stimmte, was der Ketzer gesagt hatte, würde ihmdie Seele aus dem noch lebenden Leib gesogen.

Als Madok an Strybjörns verstümmelter Gestalt vorbeiging,öffneten sich die Augen des Grimmschädels. Mit einemKeuchen äußerster Willensanstrengung bewegte er seinenunverletzten Arm, umklammerte mit letzter Kraft den Knöcheldes Chaos Marine und brachte ihn aus dem Gleichgewicht.Madok hatte nicht mehr mit einem Angriff aus dieser Richtunggerechnet, und er stolperte und fiel. Ragnar hob instinktiv seinSchwert, um sich vor dem stürzenden Krieger zu schützen. DasKreischen von Metall auf Metall war zu hören, als dierotierenden Sägezähne auf die Rüstung trafen. Funken stoben,als sie durch das Höllenmetall schnitten. Ragnar hatte gerade

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noch Zeit, sich zur Seite zu wälzen, als das giftige Gasausströmte, und dann fiel Madok zu Boden und trieb sich diesurrenden Klingen noch tiefer in seine Brust, bis sie auf demRücken wieder austraten. Ein brodelnder Geyser aus üblemQualm strömte zur Decke und verteilte sich langsam, währendRagnars Sinne von einem langgezogenen Klagen aus Äonender Verzweiflung bestürmt wurden.

Madoks Helm löste sich von der Brustplatte seiner Rüstung,und Ragnar sah, dass er leer war, als sei er von niemandemgetragen worden. Vielleicht war das sogar der Fall, dachte er.Vielleicht existierte der Körper des Chaos Marine schon langenicht mehr, und die Rüstung wurde nur noch von einem üblenRückstand oder der bösen Essenz seiner verruchten Seeleanimiert.

Ragnar erhob sich und blieb einen Moment schwer atmendstehen. Sein Körper wurde von starken Schmerzen geschüttelt.In diesem Augenblick empfand er keinerlei Triumph, obwohler eigentlich allen Grund dazu hatte. Mit Strybjörns Hilfe hatteer einen der mächtigsten Feinde überwunden, mit dem einSpace Marine es zu tun bekommen konnte. Wider alleWahrscheinlichkeit hatten sie gewonnen. Ja, dachte Ragnar,aber mit mehr Glück als Verstand. Mit Glück und weil derFeind seiner Sache zu sicher gewesen war. Unter dengegebenen Umständen war Ragnar jedoch über den Siegglücklich, ganz gleich, wie er zustande gekommen war. Mehrkonnte man nicht erwarten.

Ragnar zog sein Schwert aus der reglosen Gestalt seinesFeindes. Er hob Strybjörns auf dem Boden liegende Pistole aufund schob sie in sein Halfter. Er bückte sich und hievte sichden Grimmschädel über die Schulter, dann atmete er tief durchund setzte sich langsam in Richtung Oberfläche in Bewegung.Seine beschädigte Rüstung knirschte und ächzte unter demDruck, und Ragnar nahm sich vor, dem Rüstmeister persönlichdafür zu danken, dass er die uralte Rüstung so sorgfältig

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gepflegt hatte. Bei seinem ersten richtigen Einsatz hatte sie ihmgute Dienste geleistet.

Ragnar grinste, als er an die schwere Last auf seiner Schulterdachte. Heute verdanke ich dir drei Mal mein Leben, Strybjörn,dachte er. Und diese Schuld werde ich begleichen, und wenn esmich umbringt.

Aber, ging ihm auf, das war nur möglich, wenn sie es beidelebend an die Oberfläche schafften. Den Mund zu einerGrimasse der Entschlossenheit verzogen, schritt Ragnar denTunnel entlang. Er hoffte, dass es nicht mehr weit war.

***

Die kühle Nachtluft schlug Ragnar entgegen, als er aus demHöhleneingang trat, und mit ihr kam ein seltsam chemischerGeruch nach Öl und Benzin. Sein schmerzgepeinigter Verstandbrauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass er es an dieOberfläche geschafft hatte. Er brauchte einen weiterenMoment, bis ihm klar wurde, dass in dem gesamten Gebiet umden Höhleneingang das Laub entfernt worden war. Undschließlich dauerte es einen weiteren Sekundenbruchteil, bis erregistrierte, dass die Mündungen von einem halben HundertWaffen auf ihn gerichtet waren. Seine Nüstern blähten sich,und er witterte seine Ordensbrüder. Viele.

»Ich bin es, Ragnar«, sagte er, um ihnen zu verstehen zugeben, dass er kein Feind war. Er war zwar sicher, dass sie ihnbereits erkannt hatten, aber unter den gegebenen Umständenwar äußerste Vorsicht geboten. Es wäre ein alberner, sinnloserTod, den langen gefährlichen Weg durch diesen Dämonenbergüberlebt zu haben, um dann von seinen eigenenSchlachtbrüdern niedergemäht zu werden.

Scheinwerferstrahlen fielen auf Ragnar und tauchten ihn ingrelles Licht. Seine geweiteten Pupillen verengten sich

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augenblicklich, um die Helligkeit zu kompensieren, aber er wardennoch für einen Moment geblendet. Eine Sekunde späterspürte er die Berührung mächtiger Geister, die sorgfältig seineGedanken sondierten, und er war sicher, die drei Alten zuspüren, die vor langer Zeit hinter Morkais Tor gewartet hatten.Diesmal öffnete sich Ragnar ihnen, da er sichergehen wollte,dass es keinerlei Missverständnisse gab. Geistige Fingerzupften an seinen Gedanken, und er spürte, wie er erkannt undanerkannt wurde.

»Es ist Bruder Ragnar mit Bruder Strybjörn«, sagte eineStimme. »Und sie haben nicht den Makel des Chaos an sich.Russ sei gelobt.«

»Tritt vor, Junge, und übergib Bruder Strybjörn der Obhutder Priester«, ertönte es aus der Dunkelheit. Ragnar erkannteRaneks Stimme. Die Scheinwerferstrahlen erloschen, und erkonnte die Positionslichter und die geisterhaften Umrissemehrerer Thunderhawks über sich ausmachen. Allem Anscheinnach hatte der Orden die Nachricht erhalten und unverzüglichund mit aller Macht reagiert. Ragnar wusste, dass es einAnzeichen dafür war, wie ernst diese Bedrohung genommenwurde.

Ragnar mobilisierte seine allerletzten Kraftreserven undschritt seinen Schlachtbrüdern entgegen, wobei er sich zwang,trotz seiner Schmerzen, der beschädigten Rüstung und derschweren Last des Grimmschädels auf den Schultern aufrechtzu gehen. Mehrere Brüder eilten zu ihm, um ihm Strybjörnabzunehmen. Er sah, dass sie die Insignien der Heiler trugen.Einer von ihnen betrachtete ihn kurz und bedeutete ihm dann,ihm den Hang hinunter zu folgen. Nach ein paar DutzendSchritten stand er im Eingang eines Feldlazaretts. Die Heilerhatten bereits ihre seltsamen Vorrichtungen mit StrybjörnsRüstung verbunden und begannen mit dem Skandieren ihrerarkanen Rituale. Ragnar sah, dass einer der Sanitäter auch anihm Gerätschaften anschloss.

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»Wie geht es Strybjörn?«, fragte er. »Wird er überleben? Erhat mir nämlich das Leben gerettet.« Die Worte klangenalbern, kaum dass sie über seine Lippen gekommen waren,aber der Heiler lächelte nur.

»Und du hast höchstwahrscheinlich seines gerettet, indem duihn noch rechtzeitig hierher geschafft hast. Jetzt sei still. Ichmuss mich um dich kümmern.« Die Worte waren zwar einBefehl, aber freundlich und ohne Groll geäußert, alsogehorchte Ragnar. Er hörte das Zischen der Luft, alsChemikalien in die entsprechenden Vorrichtungen seinerRüstung gespritzt wurden, dann ein Klicken, als sich diePaneele seiner Brustplatte öffneten. Einen Augenblick späterfühlte er sich entspannt. Er schüttelte den Kopf, da alles vorseinen Augen ein wenig zu verschwimmen schien, und dannsah er, dass Sven im Eingang des Zelts stand.

»Also hast du es geschafft, Bruder«, sagte Sven. »Ich binfroh.«

»Wie es scheint, habt ihr es auch geschafft und die Nachrichtweitergeleitet.«

»Ja, und wir haben Blut und Wasser geschwitzt. Ich dachte,wir würden nie aus der Interferenzzone herauskommen. Wirmussten sechs oder sieben Meilen zurücklegen, bevor ich überFunk Kontakt mit dem Fang aufnehmen konnte.«

»Was ist dann passiert?«»Dann war die Hölle los. Fünf Minuten nachdem ich meine

Botschaft durchgegeben hatte, sah ich die Feuerschweife derThunderhawks in der Luft. Sie kamen im Tiefflug undschossen chemische Raketen in den Wald. Binnen zweiMinuten hatten sie den Wald im Umkreis von tausend Schrittrings um den Höhleneingang entlaubt. Wenige Sekunden nachdem Erlöschen der chemischen Feuer landeten dieThunderhawks und spien anscheinend jeden Wolf aus demFang aus. Sie sind alle hier - Ranek, die Bibliothekare, die

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Eisenpriester. Es gibt eine große Monstermaschine, die sieBjörn die Todeshand nennen. Sie sagen, er sei einer von denAlten und neben Russ marschiert. Alle Brüder aus denMeditationszellen sind hier und eine Menge Ausrüstung.Anscheinend haben wir in ein Hornissennest gestochen, und siehaben die Absicht, es ein für alle Mal auszuräuchern. Nils, Larsund ich sind erst vor ein paar Minuten zurückgekehrt. Ichdachte, ich komme vorbei und sehe nach, wie es dir geht, bevorwir in den Berg gehen.«

»Du gehst wieder zurück?«»Versuch mal, mich daran zu hindern! Die ersten Gruppen

sind bereits unterwegs. Sie legen Funkleitungen, spüren Fallenauf und vergewissern sich, dass es keine großangelegte Falle istund uns der Berg auf den Kopf fällt, wenn wir alle unten sind.Die Thunderhawks suchen nach anderen Ausgängen. Sobalddas Signal kommt, dass alles klar ist, gehen wir runter undräuchern den Chaos-Abschaum aus.«

»Wir haben einen erledigt«, sagte Ragnar. »Strybjörn undich. Wir haben den Anführer getötet. Madok.«

»Das haben wir schon gehört. Die Bibliothekare haben dieNachricht verbreitet. Der ganze Orden redet darüber.Anscheinend ist es lange her, dass eine Blutkralle einen Kampfgegen einen Chaos-Meister wie Madok gewonnen hat. Du hasteine Heldentat vollbracht.«

»Wir hatten Glück.«»Wenn ich die Wahl zwischen einem Anführer mit Weisheit

und einem mit Glück hätte, würde ich immer den mit Glücknehmen«, sagte Sven. »Aber sag es nicht zu laut, sonstverdirbst du noch alles. Zum ersten Mal, seit ich nach Russvikkam, hat uns jemand so behandelt, als seien wir wichtig.«

»Ich glaube nicht, dass das stimmt. Sie haben uns immer sobehandelt. Deshalb waren sie so hart gegen uns.«

»Wie auch immer. Komm nach unten und begleite uns, wenn

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deine Wunden versorgt sind. Nils hat uns etwas zu essenbesorgt.«

»Das überrascht mich nicht im Geringsten«, sagte Ragnarund lächelte. Endlich stellte sich das Hochgefühl ein. Er hatteseine Feuertaufe überstanden, ohne sich zu entehren. Erwusste, dass sie dieses Schlangennest bald ausräuchern undihre gefallenen Brüder rächen würden. Und Ragnar freute sichdarauf, seine Rolle in der bevorstehenden blutigen Rache zuübernehmen.

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EPILOG

»Bruder Ragnar«, sagte eine kalte, klare, gebieterischeStimme. »Bruder Ragnar, wach auf.«

Ragnar schlug die Augen auf. Plötzlich war er sich seinerUmgebung bewusst, des frischen minzigen Geruchsmedizinischen Räucherwerks, des kühlen Marmors desOperationsaltars unter seinem Rücken, der Wolken, die seinAtem in der kalten Luft vor seinem Mund bildete. Er schauteauf und sah ein faltiges vernarbtes Gesicht, das ihn anlächelte.Die beiden durch das Grinsen gebleckten Fänge verrieten, dasser sich in Gesellschaft seiner Schlachtbrüder befand. DieSchmerzen in seiner Brust verrieten ihm, dass er wieder unterden Lebenden weilte.

»Ich kann nicht in der Hölle sein, Bruder Sigard. Du bist zuhässlich, um durch ihre Tore gelassen zu werden.«

»Und du bist zu hartnäckig zum Sterben, Bruder Ragnar.Obwohl es, um die Wahrheit zu sagen, eine Zeitlang aufMessers Schneide stand. Deine beiden Herzen hatten aufgehörtzu schlagen, und deine Seele hatte sich bereits von deinemKörper gelöst. Da dachten wir, wir hätten dich verloren, aberirgendwas hat dich zurückgeholt. Ich weiß nicht genau, was.«

»Ich habe noch einiges unter den Lebenden zu erledigen,Bruder. Ich muss Feinde erschlagen und Schlachten gewinnen.Noch bin ich nicht zum Sterben bereit. Wie läuft der Krieg?«

»Nun ja. Wir haben die Landestelle geräumt, undImperiumstruppen sichern die Umgebung. Wir hatten einenguten Start, aber die Schlacht geht weiter. Diese Ketzer sindzäh, und es gibt Gerüchte, die besagen, dass sie durch Chaos-Truppen verstärkt wurden. Tatsächlich könnte es sogar sein,dass die Tausend Söhne wieder dabei sind. Einige Gerüchtebesagen, Madok sei gesichtet worden und führe ihre Truppen

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an.«»Und da sind schon meine unerledigten Dinge, Bruder. Zwei

Mal dachte ich schon, ich hätte ihn getötet. Aller guten Dingesind drei.«

»Ich wünsche dir alles Gute bei diesem Unterfangen, Bruder.Und es könnte sein, dass dein Wunsch bald erfüllt wird, dennunsere Feinde bereiten einen gewaltigen Gegenangriff vor.«

»Wie bald kann ich hier weg?«, fragte Ragnar.»In ein paar Tagen, Bruder.«»Das reicht nicht«, sagte Ragnar, indem er den Schmerz

ignorierte und sich vom Altar erhob. DieLebenserhaltungssysteme zogen sich sofort aus denAnschlussöffnungen in seiner Rüstung zurück. »Der Ordenwird bei dem bevorstehenden Konflikt jeden Mann brauchen.«

»Wie du willst, Bruder Ragnar«, sagte Sigard.Ragnar nickte und ging langsam zur Tür. Von draußen hörte

er den willkommenen Schlachtendonner.

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