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Nr. 1 | 35. Jahrgang 2005 | Biol. Unserer Zeit | 13 | TREFFPUNKT FORSCHUNG lie der Orobanchaceae gehören. So- wohl die beiden Spezies von Wirts- pflanzen als auch diese Parasiten wachsen hauptsächlich in den nörd- lichen Anden – ein zusätzlicher Hin- weis darauf, dass tatsächlich ein Transfer von Genen aus den Parasiten in die Wirtspflanzen stattgefunden hat. Der enge Kontakt zwischen die- sen Pflanzen ist ein weiteres gutes Argument für dieses Szenario: alle be- troffenen parasitischen Pflanzen schieben Auswüchse, so genannte Haustorien, in die Zellen ihrer Wirts- pflanzen. Bei einem so engen Kon- takt ist ein Austausch von DNA sehr viel leichter vorstellbar, als bei ande- ren Schmarotzern wie beispielsweise Schlingpflanzen, die stets außerhalb der Wirtszellen wachsen und keinen Kontakt innerhalb der Zellen haben. Diese Beispiele aus der Natur zei- gen, dass nicht die Menschen den Transfer von Genen zwischen Tieren oder Pflanzen erfunden haben, son- dern dass die Natur dieses Geschäft schon sehr lange betreibt. Solche Be- funde mögen Bedenken stärken, dass durch Menschen eingebrachte neue Gene sich in der Natur weiter ver- breiten können, als nur innerhalb einer Spezies oder unter nahen, natürlich kreuzbaren Verwandten. Diese Beobachtungen können uns aber auch beruhigen, da solche natür- lichen Gentransfers unter Pflanzen und Tieren offensichtlich nicht zur Entstehung von Superunkräutern führen. [1] C. C. Davis, K. J. Wurdack, Science 2004, 305, 676-678. [2] P. Melamed et al., Nature Genet. 2004, 36, 786-787. [3] J. P. Mower et al., Nature 2004, 432, 165-166. [4] Y. Nakamura et al., Nature Genet. 2004, 36, 760-766. Axel Brennicke, Ulm GENOMFORSCHUNG | Willkommen im Club: Huhn-Genom entziffert Die Entschlüsselung der Erbinformation des Huhns, von Forschern als „größerer Meilenstein“ gefeiert, liefert viele neue Möglichkeiten für Wissenschaft und Praxis. Aus einer Milliarde Basenpaaren be- steht die DNA-Sequenz des Hühner- genoms. Dies ergab diese erste Ana- lyse der Erbsubstanz eines Vogels, die von einem internationalen Konsor- tium durchgeführt wurde. Mehr als 170 Forscher waren an 50 Instituten daran beteiligt, die 23.000 Gene aus DNA-Proben von Gallus gallus, dem als „Stammvater“ der heutigen Haus- hühner geltenden Bankivahuhn, zu entziffern. Ein gemeinsamer Vorfahr von Huhn und Mensch lebte zuletzt vor rund 310 Millionen Jahren. Von den Informationen des Hühnergenoms erwarten sich die Wissenschaftler nun vertiefende Informationen über die Stammesgeschichte und die Frage, warum sich bestimmte Se- quenzen trotz der langen eigenstän- digen Entwicklung nicht verändert haben. Einige überraschende Ergebnisse zeichnen sich bereits ab: Beispiels- wiese glaubte man bislang, dass Hüh- ner über keinen Geruchssinn ver- fügen. Die große Zahl olfaktorischer Gene in der Sequenz spricht nun je- doch eine andere Sprache. Die Gene für Keratin – das Pro- tein, das den Aufbau von Haaren und Fingernägeln beim Menschen sowie von Schnabel und Federn beim Vogel steuert – entstammen möglicher- weise einer gemeinsamen Quelle. Allerdings unterscheidet sich die Hühnersequenz von den bislang be- kannten Säugetiergenen, was den Verdacht nährt, dass sich die Keratin- Produktion auch zweimal getrennt voneinander entwickelt haben könnte. Rund 60 Prozent der Protein-Erb- informationen des Huhns finden sich in Abwandlungen auch beim Men- schen, beispielsweise bestimmte Im- mun-Gene. Allerdings fehlen dem Federvieh die Gene für Zahnschmelz, Speichelproteine und Milcheiweiß, die dem Menschen eigen sind. Den- noch gilt das Huhn als ein ideales Modell zur Erforschung der Embryo- nalentwicklung von Wirbeltieren und Krankheiten des Menschen wie Epilepsie und Muskelschwund. Eine Forschergruppe verg- lich die Sequenzen dreier Zuchtrassen mit der des Bankivahuhns. Das Wild- huhn legt lediglich ein paar Dutzend Eier im Jahr und fliegt hoch auf Bäume, um sich beispielsweise vor Feinden in Sicherheit zu bringen. Die Legehenne von heute beginnt im Alter von sechs Monaten mit dem Eierlegen, bis sie nach 15 Monaten und einer Legeleistung von rund 300 Eiern pro Jahr als „Suppen- huhn“ endet. 2,8 Millionen feine Differenzie- rungen konnten die Genetiker in den Genen ausmachen. Diese Unter- schiede eröffnen nun neue Perspekti- ven und machen es einfacher, Merk- male zu identifizieren, die für Züch- ter eine große Rolle spielen können. Auch die Tiermedizin sieht ge- spannt auf die Ergebnisse der DNA- Entschlüsselung. Die Umstrukturie- rung der Hennenhaltungsbetriebe aufgrund der Nutztierhaltungsverord- nung der EU und die Abschaffung der Käfighaltung schaffen Bedarf für ein „Öko-Huhn“, das in Bodenhaltung Verhaltensweisen wie Kannibalismus und Federpicken nicht mehr zeigt. [1] L. Andersson, Nature 2004, 431, 717-722. [2] R.K. Wilson, E. Birney, Nature 2004, 431, 695-715. [3] W. Warren, Nature 2004, 431, 761-764. Wilhelm Irsch, Rehlingen-Siersburg ABB. Huhn im Freiland. Bild: Wilhelm Irsch Mehr zum Thema im Internet: www.ncbi.nlm. nih.gov/genome/ guide/chicken/

Willkommen im Club: Huhn-Genom entziffert

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Page 1: Willkommen im Club: Huhn-Genom entziffert

Nr. 1 | 35. Jahrgang 2005 | Biol. Unserer Zeit | 13

| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

lie der Orobanchaceae gehören. So-wohl die beiden Spezies von Wirts-pflanzen als auch diese Parasitenwachsen hauptsächlich in den nörd-lichen Anden – ein zusätzlicher Hin-weis darauf, dass tatsächlich einTransfer von Genen aus den Parasitenin die Wirtspflanzen stattgefundenhat. Der enge Kontakt zwischen die-sen Pflanzen ist ein weiteres gutes Argument für dieses Szenario: alle be-troffenen parasitischen Pflanzenschieben Auswüchse, so genannteHaustorien, in die Zellen ihrer Wirts-pflanzen. Bei einem so engen Kon-takt ist ein Austausch von DNA sehr

viel leichter vorstellbar, als bei ande-ren Schmarotzern wie beispielsweiseSchlingpflanzen, die stets außerhalbder Wirtszellen wachsen und keinenKontakt innerhalb der Zellen haben.

Diese Beispiele aus der Natur zei-gen, dass nicht die Menschen denTransfer von Genen zwischen Tierenoder Pflanzen erfunden haben, son-dern dass die Natur dieses Geschäftschon sehr lange betreibt. Solche Be-funde mögen Bedenken stärken, dassdurch Menschen eingebrachte neueGene sich in der Natur weiter ver-breiten können, als nur innerhalb einer Spezies oder unter nahen,

natürlich kreuzbaren Verwandten.Diese Beobachtungen können unsaber auch beruhigen, da solche natür-lichen Gentransfers unter Pflanzenund Tieren offensichtlich nicht zurEntstehung von Superunkräuternführen.

[1] C. C. Davis, K. J. Wurdack, Science 22000044,,305, 676-678.

[2] P. Melamed et al., Nature Genet. 22000044,, 36,786-787.

[3] J. P. Mower et al., Nature 22000044,, 432, 165-166.

[4] Y. Nakamura et al., Nature Genet. 22000044,,36, 760-766.

Axel Brennicke, Ulm

G E N O M FO R S C H U N G |Willkommen im Club: Huhn-Genom entziffertDie Entschlüsselung der Erbinformation des Huhns, von Forschern als „größerer Meilenstein“ gefeiert, liefert viele neue Möglichkeiten für Wissenschaft und Praxis.

Aus einer Milliarde Basenpaaren be-steht die DNA-Sequenz des Hühner-genoms. Dies ergab diese erste Ana-lyse der Erbsubstanz eines Vogels, dievon einem internationalen Konsor-tium durchgeführt wurde. Mehr als170 Forscher waren an 50 Institutendaran beteiligt, die 23.000 Gene ausDNA-Proben von Gallus gallus, demals „Stammvater“ der heutigen Haus-hühner geltenden Bankivahuhn, zuentziffern.

Ein gemeinsamer Vorfahr vonHuhn und Mensch lebte zuletzt vorrund 310 Millionen Jahren. Von denInformationen des Hühnergenoms erwarten sich die Wissenschaftlernun vertiefende Informationen überdie Stammesgeschichte und dieFrage, warum sich bestimmte Se-quenzen trotz der langen eigenstän-digen Entwicklung nicht veränderthaben.

Einige überraschende Ergebnissezeichnen sich bereits ab: Beispiels-wiese glaubte man bislang, dass Hüh-ner über keinen Geruchssinn ver-fügen. Die große Zahl olfaktorischer

Gene in der Sequenz spricht nun je-doch eine andere Sprache.

Die Gene für Keratin – das Pro-tein, das den Aufbau von Haaren undFingernägeln beim Menschen sowievon Schnabel und Federn beim Vogelsteuert – entstammen möglicher-weise einer gemeinsamen Quelle. Allerdings unterscheidet sich dieHühnersequenz von den bislang be-kannten Säugetiergenen, was denVerdacht nährt, dass sich die Keratin-Produktion auch zweimal getrenntvoneinander entwickelt habenkönnte.

Rund 60 Prozent der Protein-Erb-informationen des Huhns finden sichin Abwandlungen auch beim Men-schen, beispielsweise bestimmte Im-mun-Gene. Allerdings fehlen dem Federvieh die Gene für Zahnschmelz,Speichelproteine und Milcheiweiß,die dem Menschen eigen sind. Den-noch gilt das Huhn als ein ideales Modell zur Erforschung der Embryo-nalentwicklung von Wirbeltieren und Krankheiten des Menschen wieEpilepsie und Muskelschwund.

Eine Forschergruppe verg-lich die Sequenzen dreierZuchtrassen mit der desBankivahuhns. Das Wild-huhn legt lediglich ein paarDutzend Eier im Jahr undfliegt hoch auf Bäume, umsich beispielsweise vorFeinden in Sicherheit zubringen. Die Legehenne von heutebeginnt im Alter von sechs Monatenmit dem Eierlegen, bis sie nach 15Monaten und einer Legeleistung vonrund 300 Eiern pro Jahr als „Suppen-huhn“ endet.

2,8 Millionen feine Differenzie-rungen konnten die Genetiker in denGenen ausmachen. Diese Unter-schiede eröffnen nun neue Perspekti-ven und machen es einfacher, Merk-male zu identifizieren, die für Züch-ter eine große Rolle spielen können.

Auch die Tiermedizin sieht ge-spannt auf die Ergebnisse der DNA-Entschlüsselung. Die Umstrukturie-rung der Hennenhaltungsbetriebeaufgrund der Nutztierhaltungsverord-nung der EU und die Abschaffung derKäfighaltung schaffen Bedarf für ein„Öko-Huhn“, das in BodenhaltungVerhaltensweisen wie Kannibalismusund Federpicken nicht mehr zeigt.

[1] L. Andersson, Nature 22000044, 431, 717-722. [2] R.K. Wilson, E. Birney, Nature 22000044, 431,

695-715.[3] W. Warren, Nature 22000044, 431, 761-764.

Wilhelm Irsch, Rehlingen-Siersburg

A B B . Huhn im Freiland. Bild: Wilhelm Irsch

Mehr zum Themaim Internet:www.ncbi.nlm.nih.gov/genome/guide/chicken/