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Wolfgang Iser R DER TEXTE DIE APPELLSTRUKTU , W'rltungsbeJingung literarischer Prosa UnbestimmtheIt als I . f "1 . ties we need an eroues 0 art . Mit dies -In place of a zielt Susan Sontag in ihrem Ess:; ironisch auf jene Form der Textauslegung hin, die sich Agllinst g der in literarischen Texten enthaltenen Bedeu_ , , um die rmltt un 11' d d b seit Je -h W rsprünglim sinnvo war, In em ver er te Texte tungen bemu t. as u , -L S S J b ch t wurden hat Slw - wie usan ontag meint _ wieder es ar gema , d' h h b ehr d h zu einem Mißtrauen gegen le wa rne mare T ext- m un me r . ff b 11' d -L d' estal chsen deren Hintersmn 0 en ar a em urUl le Inter- g 'werden kann,! Daß Texte Inhalte haben, die ihrer- pretanon au g d I' ß '-L b' A b -L d ' T" von Bedeutungen sin , le Slw IS zum n ruUl mo erner SeJts rager 'I' I " . Kunst schwer bestreiten, so daß eme war, wenn sie die Texte auf redUZierte. Wiesen diese dO<h anerkannte Konventionen und damit Jenen Betrag an Bekanntem auf, der als akzeptiert galt oder wenigstens ,einsehbar. war .. klassifika- torische Eifer dieser Art der Interpretation beruhigte Sich In der Regel erst dann, wenn die Bedeutung des Textinhalts ermittelt und ihre Gel- tung durch das immer smon Gewußte ratifiziert worden war. Das Zu- rückholen der Texte auf bereitstehende Bezugsrahmen bildete ein nicht unwesentliches Ziel dieser Interpretationsweise, durch das die Texte zwangsläufig entschärft wurden. Wie aber läßt sich dann Aufregendes beschreiben? Texte haben ohne Zweifel stimulierende Momente, die be- unruhigen und damit jene Nervosität verursachen, die Susan Sontag als die Erotik der Künste bezeichnen möchte, Besäßen die Texte wirklich jene von Interpretation hergestellten Bedeutungen, dann bliebe fur den Leser nuilt mehr viel übrig. Er könnte sie nur annehmen oder Doch zwischen Text und Leser spielt sich ungleich mehr nur zu einer Ja/Nein-Entsdteidung ab. Allerdings 1st es 10 dIesen Vorgang hineinzublicken, und es fragt sidl, ob man uber dIe hödtst ch' d' 'd' ischen T vers le enartlgen Interaktionen, le zW , ext und Leser abI f "b h k hne tn SkI . au en, u er aupt Aussagen machen ann, 0 . pe u atlonen abzugle' t Z l' -L ' .. daß ein Text "be ha I en. ug elw WIrd man sagen mussen, erpbtusJa .fiept elst el'1'lacht, wenn er gelesen wird. Dara u , eire otYtacliJkeic,' cfal&vJlI da Tex", dUld! Die Appellstruktur der Texte 229 Was aber ist der Lesevorgang? Besteht er dodt' , g egebenheit einer komponierten Textgestalt d' eldnerselts, aus der Ge- , ' LehR' , le an ererselts erst d eh die Im eser verursa ten eaktlOnen Zur Wi k 1 ur man einmal den Lesevorgang als die Aktualisi: un g d ge T angt . Bestimmt 'm b' Ich Ak I" rung es extes so fragt es ßSI ,0 elnle e p tucha ISller.ung überhaupt besehreibbar 'ist ohne da man sog elw zur sy 0 ogle des Lesens Z fl eh h ' 'T d u u t ne men muß Wenn man emen ext von en Formen seiner mo"gl'm Ak I" . eh 'd ' I en tua ISlerung unters el et, so setzt man Sieh dem Vorwurf 'Id' _ d 'h 'd' 'Ilk aus, seme entltat zu leugnen un I n m le WI ür subjektiven Begrel'fe f 1- 11 d ch ns au zu osen. Em Text, 50 sagt man, ste e 0 etwas dar und die B d d D II " bh'" ' e eutung es arge- st.e eXllschtlerBe udna anglg von den versdtiedenartigsten Reaktionen die eme 50 e e eutung auszulösen vermag Demgege "be . 'ed-';' , -L d V d ch '- ,nu r sei' uw hier swon er er a t geaußert, daß die smeinbar von ,'ed Ak 1'- , d T bh" , er tua I slerung es extes so una anglge Bedeutung ihrerseits viell . ..1. 'eh ' , I ' b ' etUIt Dl ts Ist; s el,nde des Textes, die nun allerdings mit em ext I. entl Ziert wud, So hat es eine auf die Ermittlung 'Von Bedeutung gerIchtete Interpretation immer gehalten und daher die Texte konsequenterweise verarmt. Gott sei Dank hat man solmen Be- deutungen von Zeit zu Zeit widersprodten, meistens jedoch nur mit dem Ergebnis, eine andere, letztlich ebenso begrenzte Bedeutung an die Stelle der soeben demontierten zu setzen. Die Rezeptionsgesdtimte lite- rarischer Werke weiß davon zu beridtten, Wenn es wirklich so wäre, wie uns die 'Kunst der Interpretation' glauben machen möchte, daß die Bedeutung im Text selbst verborgen ist, so fragt es sich, warum Texte mit den Interpreten solche Versteck- spiele veranstalten; mehr noch aber, warum sich einmal gefundene ße. deutungen wieder verändern, obgleich doch Buc:h:naben. oner and Sätze des Textes dieselben bleiben. Beginnt da nicht eine Dada dem Hintersinn der Texte fragende Interpretauonsweise diese zu mymfi!ic ren und damit ihr erklärtes Ziel, Klarheit und Licht iD die Tate D tragen, selbst wieder aufzuheben? Sollte am Ende die Inrerpn:taliGa nichts weiter als ein kultiviertes Leseerlebnis und damit nur eil'. möglichen Aktualisierungen des Te tes sein? Verhält es sich heißt dies: Bedeutungen literarischer Texte Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt eIDer I.nce n und Leser und keine im Text versteckten Größen, die allem der Interpretation vorbehalten bleibt. Gen lien eine Textes, so ist e nur z anpläu cIi Ul emer Je

Wolfgang Iser, Die Appelstruktur der Texte

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in: R. Warning (ed.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. Wilhelm Fink Verlag, München 1994 (4. Aufl.)

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Page 1: Wolfgang Iser, Die Appelstruktur der Texte

Wolfgang Iser R DER TEXTE

DIE APPELLSTRUKTU

, W'rltungsbeJingung literarischer Prosa UnbestimmtheIt als I

. f "1 . ties we need an eroues 0 art . Mit dies -In place of a .herme~:derung zielt Susan Sontag in ihrem Ess:; ironisch zugespltzte~ auf jene Form der Textauslegung hin, die sich Agllinst In~erEPret~t'Jon g der in literarischen Texten enthaltenen Bedeu_

, , um die rmltt un 11' d d b seit Je -h W rsprünglim sinnvo war, In em ver er te Texte tungen bemu t. as u , -L • S S

J b cht wurden hat Slw - wie usan ontag meint _ wieder es ar gema , d' h h b

ehr d h zu einem Mißtrauen gegen le wa rne mare T ext-m un me r . ff b 11' d -L d' estal chsen deren Hintersmn 0 en ar a em urUl le Inter-g ~ ausgefw~ec:kt 'werden kann,! Daß Texte Inhalte haben, die ihrer-pretanon au g d I' ß '-L b' A b -L d ' T" von Bedeutungen sin , le Slw IS zum n ruUl mo erner SeJts rager 'I' I " . Kunst schwer bestreiten, so daß eme nterpr~tatlon ~tets e~lt1mlert war, wenn sie die Texte auf Bedeut~n~en redUZierte. Wiesen diese dO<h anerkannte Konventionen und damit Jenen Betrag an Bekanntem auf, der als akzeptiert galt oder wenigstens ,einsehbar. war .. D~r klassifika­torische Eifer dieser Art der Interpretation beruhigte Sich In der Regel erst dann, wenn die Bedeutung des Textinhalts ermittelt und ihre Gel­tung durch das immer smon Gewußte ratifiziert worden war. Das Zu­rückholen der Texte auf bereitstehende Bezugsrahmen bildete ein nicht unwesentliches Ziel dieser Interpretationsweise, durch das die Texte zwangsläufig entschärft wurden. Wie aber läßt sich dann Aufregendes beschreiben? Texte haben ohne Zweifel stimulierende Momente, die be­unruhigen und damit jene Nervosität verursachen, die Susan Sontag als die Erotik der Künste bezeichnen möchte, Besäßen die Texte wirklich ~~r jene von de~ Interpretation hergestellten Bedeutungen, dann bliebe fur den Leser nuilt mehr viel übrig. Er könnte sie nur annehmen oder verw~rfen, Doch zwischen Text und Leser spielt sich ungleich mehr ~ls nur dIe,A~ff~rde~ung zu einer Ja/Nein-Entsdteidung ab. Allerdings 1st es sdt~Jertg" 10 dIesen Vorgang hineinzublicken, und es fragt sidl, ob man uber dIe hödtst ch' d' 'd' ischen T vers le enartlgen Interaktionen, le zW ,

ext und Leser abI f "b h k hne tn SkI . au en, u er aupt Aussagen machen ann, 0 . pe u atlonen abzugle' t Z l' -L ' .. daß ein Text "be ha I en. ug elw WIrd man sagen mussen,

erpbtusJa .fiept elst zu~ Le~D el'1'lacht, wenn er gelesen wird. Darau, eire otYtacliJkeic,' cfal&vJlI da Tex", dUld!

Die Appellstruktur der Texte 229

Was aber ist der Lesevorgang? Besteht er dodt' , gegebenheit einer komponierten Textgestalt d' eldnerselts, aus der Ge­

, ' LehR' , le an ererselts erst d eh die Im eser verursa ten eaktlOnen Zur Wi k 1 ur man einmal den Lesevorgang als die Aktualisi: ung

dge Tangt. Bestimmt

'm b' Ich Ak I" rung es extes so fragt es ßSI ,0 elnle ,~ e p tucha ISller.ung überhaupt besehreibbar 'ist ohne da man sog elw zur sy 0 ogle des Lesens Z fl eh h '

'T d u u t ne men muß Wenn man emen ext von en Formen seiner mo"gl'm Ak I" . eh 'd ' I en tua ISlerung unters el et, so setzt man Sieh dem Vorwurf 'Id' _

d 'h 'd' 'Ilk aus, seme entltat zu leugnen un I n m le WI ür subjektiven Begrel'fe f 1- • 11 d ch ns au zu osen. Em Text, 50 sagt man, ste e 0 etwas dar und die B d d D

II " bh'" ' e eutung es arge-st.e t~n eXllschtlerBe udna anglg von den versdtiedenartigsten Reaktionen die eme 50 e e eutung auszulösen vermag Demgege "be . 'ed-';'

, -L d V d ch '- ,nu r sei' uw hier swon er er a t geaußert, daß die smeinbar von ,'ed Ak 1'-, d T bh" , er tua I slerung es extes so una anglge Bedeutung ihrerseits viell . ..1. 'eh ' , I ' b ' etUIt Dl ts

w~ltder Ist; s el,nde e,sfitu~mte ~ealisierung des Textes, die nun allerdings mit em ext I. entl Ziert wud, So hat es eine auf die Ermittlung 'Von Bedeutung gerIchtete Interpretation immer gehalten und daher die Texte konsequenterweise verarmt. Gott sei Dank hat man solmen Be­deutungen von Zeit zu Zeit widersprodten, meistens jedoch nur mit dem Ergebnis, eine andere, letztlich ebenso begrenzte Bedeutung an die Stelle der soeben demontierten zu setzen. Die Rezeptionsgesdtimte lite­rarischer Werke weiß davon zu beridtten,

Wenn es wirklich so wäre, wie uns die 'Kunst der Interpretation' glauben machen möchte, daß die Bedeutung im Text selbst verborgen ist, so fragt es sich, warum Texte mit den Interpreten solche Versteck­spiele veranstalten; mehr noch aber, warum sich einmal gefundene ße. deutungen wieder verändern, obgleich doch Buc:h:naben. oner and Sätze des Textes dieselben bleiben. Beginnt da nicht eine Dada dem Hintersinn der Texte fragende Interpretauonsweise diese zu mymfi!ic ren und damit ihr erklärtes Ziel, Klarheit und Licht iD die Tate D

tragen, selbst wieder aufzuheben? Sollte am Ende die Inrerpn:taliGa nichts weiter als ein kultiviertes Leseerlebnis und damit nur eil'.

möglichen Aktualisierungen des Te tes sein? Verhält es sich heißt dies: Bedeutungen literarischer Texte ~erden üba~upt Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt eIDer I.nce a~ n • und Leser und keine im Text versteckten Größen, die u&~ allem der Interpretation vorbehalten bleibt. Gen lien der.ln~ ~ I~~

eine Textes, so ist e nur z anpläu cIi Ul emer Je

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Wolfgang Iser

230 ch . f d

ufwirft ist aber s on Jetzt ormulierb

I.' gern ' das Problem~ as ~rchaer Tex; wirklich auf eine bestimmte Bar. an , .. ' hterarts ck e-

Es lautet: Ware elfi d äre er Ausdru von etwas anderem - v d . bar ann w ch b' . d ß On deutung re UZler , deren StatuS dadur estlmmt Ist~ a sie auch

eben dieser Bedeutung, 't'ert Radikal gesprochen heißt dies' D , m Text eXlS I· " h b' er

unabhängig vo .. d' Illustration emer I m vorgege enen Bedeu literarische Text ;are I~ der literarische Text bald als Zeugnis de­tung. So wurde lenAn aUd uck von Neurosen seiner Verfasser, bald alS .' bald a s us r d d I d S Zeltgelst,eS, 11 ch~ ftlicher Zustän e un a s an eres mehr ge-

WidersPlegel~~g gese '~t ;eleugnet werden, daß literarische Texte ein l~sen. ,Nun S~ub!~:;~esitzen. Doch allei~ die. Art, in der sie dieses hlstor.ls~es d 'tteilbar machen, schemt Olcht mehr ausschließlich konstitUieren un ml . Ib . ch" I'ch d ß . , , ' ch d 'niert zu sem. Desha 1st es au mog I , a Wir bel histons eterml ch ft d G f"hl h

L k .. Werken vergangen er Epo en 0 as e u aben der e ture von I b . d ,,' . h' ' chen Zuständen so zu bewegen, aso WIr azugehorten uns m IStortS . D' .

oder als ob das Vergangene ,:ie~er Gegenwart seI. le Bedmgungen

d· E'ndrucks liegen sicherlich Im Text, doch am Zustandekommen leses I 'ch b '1' W' k b dieses Eindrucks sind wir als Leser ol t un etel Igt. Ir a tuali-

:ie~:n den Text durch die Lektüre. Offensichtlich aber muß der Text einen Spielraum von Aktualisierungsmöglichkeiten gewähren, denn er ist zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Lesern immer ein wenig anders verstanden worden, wenngleich in der Aktualisierung des Textes der gemeinsame Eindruck vorherrscht, daß die von ihm eröff­nete Welt, so historisch sie auch sein mag, ständig zur Gegenwart wer­den kann.

An diesem Punkt können wir unsere Aufgabe formulieren. Sie lautet: Wie ist das Verhältnis von Text und Leser beschreibbar zu machen? Die Lösung soll in drei Schritten versucht werden. In einem ersten Schritt gilt es, die Besonderheit des literarischen Textes durch Abgren­zun~ von anderen Textarten kurz zu skizzieren. In einem zweiten Schntt sollen elementare Wirkungsbedingungen literarischer Texte be­na~nt und analysiert werden. Dabei gilt unsere besondere Aufmerksam­keIt. den ver~chiedenen Unbestimmtheitsgraden im literarischen Text sO~le den, SpIelarten ihres Zustandekommens. In einem dritten Smritt ~u~en . WIr dha~ seit dem 18. Jahrhundert beobachtbare Anwachsen der

n estlmmt eltsgrade in l't . eh T ch Un terstellt d ß . 1 erans en exten zu klären versu en. -verkö man, fa Unb~stlmmtheit eine elementare Wirkungs bedingung

rpert, so ragt es Sich 'h E d er Literatur _ b S. ' was 1 re xpansion - vor allem in mo ern

esagt le .. d . n Text und Leser J' h v~ran ert ohne Zweifel das VerhältnIs vo

, e me r dIe Texte an Determiniertheit verlieren, destO

Die Appellstruktur der Texte 231

stärker ist der Leser in den Mitvollzug ih ., l' schaltet. Wenn die Unbestimmtheit gewissrerTrnlog Ichen Intention einge-

'ch d L ' , e 0 eranzgrenz "b ' wird SI er eser m emem bisher nicht g k en u ersteigt, e annten Aus ß ' fühlen. Er kann gegebenenfalls Reaktione ' ' rna s,trapazlert wollten Diagnose seiner Einstellung füh ren nAzelrn, die zu emer unge­dann die Frage, welche Einsichten die Lit~ n I~semd' Punkt ergibt sich "'ff ratur m le menschl'ch S' tuatlon zu ero nen vermag. Diese Frage f f ' I e 1-

. d h ' d' . au zuwer en heißt b gleich, as ler zu Iskutlerende Verhältnis z ' ch T a er zu-eine mögliche Vorgeschichte zu diesem Probie

wis en exht und Leser als

rn zu verste en.

I

Kommen wir zum ersten Schritt. Wie läßt sich der Statu ' I' . b ch 'b s emes Iteran-

schen Textes es rel en? Zunächst wird man sagen rnu" d ß 'ch ' ssen, a er SI von allen J~ne~ Textarten unterscheidet, die einen Gegenstand vorstel-len oder mitteilbar machen, der eine vom Text unabh'a'ng' E ' . " Ige xlstenz beSitzt, Wenn em Text von emem Gegenstand spricht den e ß-h Ib ' 'd I 'ch ' s au er a semer mit er g el en Bestimmtheit gibt dann liefert er nur ' ., d' ,eme ~xposltlOn leses Geger;,sta?des. Er ist, in der Formulierung von Austin, language of statement - Im Gegensatz zu jenen Texten, die "language

of pe:f~rmance" sind,3 das heißt solchen, die ihren Gegenstand erst konstitUieren. Es versteht sich, daß literarische Texte zur zweiten Gruppe gehören, Sie besitzen keine genaue GegenstandsentspredlUD" in der 'Lebenswelt', sondern bringen ihre Gegenstände aus den in der l.e­benswelt' vorfindbaren Elementen erst hervor, Diese vorläufig noch grobe Unterscheidung von Texten als Exposition des Ge"enstandes be­ziehungsweise als Hervorbringung des Gegenstandes mtissen wir noch weiter differenzieren, um den Status des literarischen Textes zu errei­chen, Denn es gibt durchaus Texte, die etwas hervorbringen, ohne da­durch schon literarisch zu sein. So schaffen beispielsweise alle Texte. die Forderungen stellen, Ziele angeben oder Zwecke formulieren, eh nfalls neue Gegenstände, die jedoch erst durch das vom Text entwickelte ~ laß a? Bestimmtheit ihren Gegenstandscharakter gewinnen. Gesetzeste. te bIlden den paradigmatischen Fall solcher Formen der 'prachlichkeit. ?as von ihnen Gemeinte gibt es dann als verbindliche Verhaltensnorm Im menschlichen Umgang. Im Gegensatz dazu vermag ein literarischer Text niemals solche Sachverhalte zu smaffen. Kein Wunder 1"0, daß man diese Texte als Fiktionen bezeichnet. denn Fiktion i t Form ohne ~ealität. Ist aber Literatur wirklich so bar jeder Realität, oder besitzt sie eine Realität, die sich von der der expositorismen Texte genauso

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Wolfgang !ser

232 , d' Gegenstände erzeugt, sofern diese all-

, ener, le I':> E' I' , ..Leidet Wie von J ulative formu leren, m Iteransch unterSOl V haltensreg ff Ich' er ein anerkannte er " de ab noch erscha t er so e m dem be-

gern d Gegenstan ' D 11 R T t bildet we er f 1I "re er als die arste ung von eaktio_

ex ' b sten a s wa 'ch d G ..L riebenen S1One, e b ch eiben,4 Dies Ist au er rund dafür SOl " de zu es r 'd k ' en auf Gegenstan , viele Elemente wie erer ennen, die in n , ' d Literatur so '5" cl weshalb wir 10 er f II ' e Rolle spielen, le sm nur anders zu-

f h eben a s ew ' ch ' b unserer Er a rung 'ß ' konstituieren eme uns s em ar vertraute das hel t, sie 'ch d F sarnrnengesetzt, G wohnheiten abwel en en orm, Deshalb

" on unseren e 'E f Welt In etner v , ' I'terarischen Textes m unserer r ahrung , d' I tentlOn ewes I k ' f G beSi tzt le n Id ' ches Wenn er Rea tlonen au egenstände

nichts vollkornrnenh

edntls offeriert er Einstellungen zu der von ihm ' Inhalt at, ann 'ch d' h zu sel,ne~ W I 5 ' e Realität gründet m t arm, vor andene

k t tulerten e t, ew "eh 'd' o,ns I, ' b b'ld sondern darin, Emsl ten 10 lese parat Zu W rkhchkelt a zu I en, N ' ' .. d L'

1 h" d schier unaustilgbaren alvltaten er tteratur-halten

ch, Es ge ort z,u e:nTexte bildeten Wirklichkeit ab. Die Wirklichkeit

betra tung zu mew , , " d d . T " erst eine von Ihnen konstltUlerte un amlt Reak-der exte Ist Immer

ti on auf Wirklichkeit, . ' ' .. Wenn ein literarischer Text keme wtrkltchen Gegenstande hervor-

b' t so gewinnt er seine Wirklichkeit erst dadurch, daß der Leser die v: :gYext angebotenen Reaktionen mit vollzieht, Dabei kann der Leser sich allerdings weder auf die Bestimmtheit gegebener Gegenstände noch auf definierte Sachverhalte beziehen, um festzustellen, ob der Text den Gegenstand richtig oder falseh dargestellt hat. Diese Möglichkeit des Oberprüfens, die alle expositorisehen Texte gewähren, wird vom litera­rischen Text geradezu verweigert. An diesem Punkt entsteht ein Un­bestimmtheitsbetrag, der allen literarischen Texten eigen ist, denn sie lassen sich auf keine lebensweltliche Situation so weit zurückführen, daß sie in ihr aufgingen beziehungsweise mit ihr identisch würden. Lebens­weltJiche Situationen sind immer real, literarische Texte hingegen fiktio­nal; sie sind daher nur im Lesevorgang, nicht aber in der Welt zu ver­anker~: Wenn de: L~ser die ihm angebotenen Perspektiven des Textes durchlauft, so bleibt Ihm nur die eigene Erfahrung, an die er sich halten ka~n, ~m Feststellungen über das vom Text Vermittelte zu treffen. ~~rd. dle Welt .des Textes auf die eigene Erfahrung projiziert, so kann

5s1

eIne sehr differenzierte Skala der Reaktionen ergeben, auf der die pannung ablesbar w' d d' d . ' Er-

f h " Ir, le aus er KonfrontatIOn der eigenen a rung mit eIner pt ' ll E M"

J'chk' d 0 entle en rfahrung entsteht Zwei extreme og-1 elten er Re k ' 'd d . 1 d

Textes I h a ~Ion sm enkbar: Entweder erscheint die We t es a s p antastlsch '1' I 'd r-, wel SIe a len unseren G ewohnheiten WI e

Die Appellstruktur der Texte 233

spricht, oder aber als banal, weil sie so vollkommen . d' .. D "'ch ' mit lesen Zusam-menfallt, amlt ISt m t nur angezeigt wie stark u E f h ' , " nsere r a rungen

bei der ReallSlerung des Textes Im Spiele sind sond ch d ß ' , , , ern au , a In diesem Vorgang Immer etwas mit unseren Erfahrungen g ch' h

'b 'ch d ' es le t, Daraus ergl t SI le erste Einsicht in den Status de l't ' ch

ch 'd 'ch ' s I erans en Textes. Er unters ,ei et SI emerseits Von anderen Textarten dadurch, daß er weder bestimmte re~Ie Gegenstände expliziert noch solche her­vorbringt, und er unterscheidet sich andererseits von den realen Erfah­rungen des Les~rs dadur0, daß er Einstellungen anbietet und Perspek­tiven eröffnet, m denen eme durch Erfahrung gekannte Welt anders er­scheint. So läßt sich der literarische Text weder mit den realen Gegen­ständen der 'Lebens,welt' noch mit den Erfahrungen des Lesers vollkom­men verrechnen. Die mangelnde Deckung erzeugt ein gewisses Maß an Unbestimmtheit. Diese allerdings wird der Leser im Akt der Lektüre 'normalisieren', Auch dafür ließen sich schematische Grenzpunkte auf der Skala sehr differenzierter Reaktionen angeben. Unbestimmtheit läßt sich 'normalisieren', indem man den Text so weit auf die realen und damit verifizierbaren Gegebenheiten bezieht, daß er nur noch als deren Spiegel erscheint. In der Widerspiegelung verlischt dann seine literarische Qualität. Die Unbestimmtheit kann aber auch mit solchen Widerständen ausgestattet sein, daß eine Verrechnung mit der realen Welt nicht möglich ist. Dann etabliert sich die Welt des Textes als Kon­kurrenz zur bekannten, was nicht ohne Rückwirkungen auf die be­kannte bleiben kann. Die reale Welt erscheint nur noch als eine Mög­lichkeit, die in ihren Voraussetzungen durchschaubar geworden ist. Un­bestimmtheit läßt sich jedoch auch im Hinblick auf die jeweils indivi­duellen Erfahrungen des Lesers 'normalisieren'. Er kann einen Text auf die eigenen Erfahrungen reduzieren. Durch diese Selbstbestätigung fühlt er sich vielleicht erhoben. Bedingung dafür ist, daß die Normen des eigenen Selbstverständnisses in den Text projiziert werd~n, ;wenn die von ihm verfolgte Absicht realisiert werden soll, A~ch das 1St No~­malisierung' von Unbestimmtheit, die dann verschwmdet, wenn die privaten Normen des Lesers die Orientierung im Text verbürgen. Es ist aber auch der Fall denkbar, daß ein Text so massiv den Vorstellu~-

, I" den d1e gen seiner Leser widerspricht daß ReaktIonen ausge ost wer , , '1 ' K k vom Zuschlagen des Buches bis zur Bereitschaft emer re! eXlven orre -

tur der eigenen Einstellung reichen können, Dadurch erfoI~t eb~nf~s ein Abbau von Unbestimmtheit. Sie bildet in jedem Fall~ dIe. M~gh -keit, den Text an die eigenen Erfahrungen beziehungswe1se die el~enden W I . ß G eh' h d'es dann verschwm et e tvorstellungen anzuschhe en. es le t 1 ,

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Wolfgang Iser

234 . d . b k' . b ht darin, die A apuer ar eit des TeJCt . F nktlOn este . . .. l'ch es sie' denn Ihre.u 1 L erdisposltlOnen zu ermog I en. Daraus er-, . d' duel en es E . d ch . an höchst III I~I d r terarismen Textes. r Ist ur eine eigen_ gibt sich die Eigenart ch

es Ikterisiert die zwischen der Welt realer Ge

tümliche SchwebelagEe f ahraungswelt des Lesers gleichsam hin und he-d d der rar Ak d '11' r genstän e un .. . d daher zu einem t, as OSZI lerende Ge-

d 1 J de Lekture Wir ch d" d R pen e t. e B d utungen festzuma en, le m er egel im bilde des Textes an e e d Lesevorgang selbst erzeugt wer en.

II

ch d . h ben wir den Iiterarismen Text nur von außen besc:hrie_ Do amlt a . . m . 'ch' f 1 .

W· .. nun in ewern zweiten S ntt WI tlge orma e BedlO-ben Ir mussen b . h' h . b n die im Text selbst Un estlmm elt ervorbringen. gun gen enenne, .' . "b h

D b . d" t sich sogleich die Frage auf, wie es u er aupt um den a e1 rang . d b' d ch'

G t d eines solchen Textes bestellt 1st, enn er eSltzt 0 1m Be-egens an k' l' E ch

reich empirisch vorhandener Gegenstände emer el ntspre ung. N~n, literarische Gegenstände kommen dadurch z~stande, daß der Text e.lOe Mannigfaltigkeit von A~sichten. ent~o.l1t, .. d1e . den Gegenstand schntt­weise hervorbringen und Ihn gieHnZe1t1g fur die Anschauung des Lesers konkret machen. Wir nennen diese Ansichten im Anschluß an einen von Ingarden geprägten Begriff "schematisierte Ansichten» 5, weil eine jede von ihnen den Gegenstand nicht in einer beiläufigen oder gar zufälligen, sondern in einer repräsentativen Weise vorstellen möchte. Wie groß aber muß nun die Zahl solcher Ansichten sein, damit der literarische Gegenstand ganz deutlich wird? Offensichtlich bedarf es vieler solcher Ansichten, um den literarischen Gegenstand mit zureichender Deutlich­keit vorstellbar zu machen. Damit stoßen wir auf das uns hier inter­essierende Problem. Jede einzelne Ansicht bringt in der Regel nur einen Aspekt zur. Ge.ltu~g. Sie bestimmt daher den literarischen Gegenstand genauso: wie sie eme neue Bestimmungsbedürftigkeit zurückläßt. Das aber he~ßt, daß ein sogenannter literarischer Gegenstand nie an das Ende 11 " • •

. ftse1ner a SeItlgen BestImmtheIt gelangt. Daß dies so ist, merken wir 0 an den Rom chI" d" . 1 E d h ß . ans ussen, le - weIl es nun emma zu n e

Bge

e.n mbu k-' vI~lfach etwas Forciertes besitzen. Der mangelnden estlmm ar eIt WIrd d ch .

Pische A . ann zum S luß eine ideologische oder eme utO­ntwOrt ZuteIl E 'b' d . ff h' t

am Ende . 'k . . s gl t Je om auch Romane, die diese 0 en el . eIgens artl uheren.

DIese elementare Besch ff h' d ß die ·schematis· A' a en eIt des literarischen Textes bedeutet, a

lerten nSlchte" d ch d' 11 er-n, ur Ie der Gegenstand entro t w

Die Appellstruktur der Texte 235

den soll, o~mals. un~ermittelt aneinander stoßen. D . einen Sehmtt. Die haufigste Verwendung d' Sche~ Text ~eSltzt dann

h leser mttemn k fi d 'm dort, wo me rere Handlungsstränge gleich " bl I n et SI einander e~zählt werden müssen. Die Bezi~~~~g ~ a~fen, ~ber nam­ehen überemander gelagerten Ansichten b t h g , ddle z~flSmen 501-

'eh es e en wer en I d R 1 vom Text nl tausformuliert, obgleim die A .' d . .n er . ege der verhalten, für die Intention des Textes w·chrt,.In. eMr s!e slm zueman-

Z . eh d "eh . . I tig Ist. It anderen Wo ten: WIS en en s emat1slerten Ansimte " h' r-. 'eh d ch d" n entste teine LeersteIl die 51 ur le Bestimmtheit der aneinand ß d . e,

ergibt.6 Solche Leerstellen eröffnen dann ein:r

sAto len en A~slchten f·· d' A . d d' . n us egungssplelraum ur 1e rt, m er man le m den Ansimten vorgestellt A k f . d b . h k S" en spe te au -eman er eZle en anno le smd durch den Text Ib "b h . ..L

b .. I . . se st u er au pt UlUlt zu eselt1gen. m Gegenteil, Je mehr ein Text se' D 11

f . d d '. '. Inen arste ungsraster ver emert, un as heißt, Je manmgfaltlger die " ..L • • A • _L ". d d' d SUlematlslerten n-

SIUlten SI? ' 1e en Gegenstand .des Tex~es hervorbringen, desto mehr nehmen die Leerstellen zu. KiasSlSme Beispiele dafür wären etwa die letzten Romane von Joyce, Ulysses und Finnegans Wak '..L d ...l... . üb ... . d e, wo S1Ul urUl eme erprazlSlerung es Darstellungsrasters dl'e Unbest' h ' . .. . Imm elt pro-portIOnal erhoht. Wir werden darauf nom zurückkomme D' L _

11 . l' . n. le eer ste en emes .. lterans0en Textes sind nun keineswegs, wie man vielleimt vermuten konnte, em Manko, sondern bilden einen elementaren An­satz~~nkt für seine W~rkun~. Der Leser wird sie in der Regel bei der Lekture des Romans mcht eigens bemerken. Dies läßt sim für die mei­sten ~omane bis etwa zur Jahrhundertwende sagen. Dennoch sind sie auf se~ne Lektüre. ~icht ganz ohne Einfluß, denn im Lesevorgang wer­de? dIe "schematlSlerten Ansimten" kontinuierlich gemacht. Das aber heißt: Der Leser wird die Leerstellen dauernd auffüllen beziehungs­weise beseitigen. Indem er sie beseitigt, nutzt er den Auslegungsspiel­r~um und stellt selbst die nicht formulierten Beziehungen zwischen den eInzelnen Ansichten her. Daß dies so ist, läßt sich an der einfachen Er­fahrungstatsache ablesen, daß die Zweitlektüre eines literarischen Tex­t~s oftmals einen von der Erstlektüre abweichenden Eindruck produ­Ziert. Die Gründe dafür mögen in der jeweiligen Befindlichkeit des Lesers zu suchen sein, dennoch muß der Text die Bedingungen für un­te:schiedliche Realisierungen enthalten. Bei einer Zweitlektüre ist man mit ungleich größerer Information über den Text ausgestattet, vor allem dann, wenn der zeitliche Abstand relativ kurz ist. Diese zusätzliche 1n­for~ation bildet die Voraussetzung dafür, daß nun die unfo~mu~ierten BeZIehungen zwischen den einzelnen Textsituationen SOWle dIe da­durch gewährten Zuordnungsmöglichkeiten anders. vielleicht sogar in-

Page 5: Wolfgang Iser, Die Appelstruktur der Texte

Wolfgang Iser

236

d können. Das Wissen, das nun den Text über_

. utzt wer en . d" d E tl k " tenSlver gen . K b'nl'erbarkelten, le 10 er rs e ture oftrnal " tlgt om 1 V .. .. ck s schattet, gewar chI en waren. Bekannte organ ge ru en nun I' l 'ck ch vers oss ch . d hin dem B 1 nO 1 d Horizonte und ers emen a er a s bereichert

. ar wechse n e . . T lb'ch ' neue, Ja sog . ' Von alledem Ist Im ext se st m ts forrnu_ " d nd korngiert. Ib d' I . veran ert ud' t der Leser se st lese nnovationen. Da

I, ' Imehr pro uZler 'ch" s lert; ~~e "l'ch thielte der Text m t emen gewissen Leerstel_ b are unmog I ,en . d d' ch' a er w d d AuslegungsspIelraum un le vers ledenartige

lenbet~ag, ker, den Textes überhaupt erst ermöglichte. In dieser Struk-Adapnerbar elt es b' L b' " d T ' Beteiligungsange ot an seme eser ereu. Sinkt tur halt er ext em 'I T d '"

11 b trag in einem fiktlona en ext, ann gerat er 10 Ge-der Leerste en e , " 'd ' L u langweilen da er Sie mIt emem steIgen en Maß an fahr, seme eser z ' . ' d . ch ' . B

' h 't _ sei dieses nun IdeologIsch 0 er utOplS onentlert_ estlmmt el "h ' A 'I M'

k f . t Erst die Leerstellen gewa ren emen ntel am ltvollzug on rontler . ch h R" . T d der Sinnkonstitution des Ges e ens. aumt em ext diese

un an 'h k . I . eh ce ein so wird der Leser die von I m ompomerte ntentlOn nicht ura~ür wahrscheinlich, sondern aum für real halten. Denn wir sind im

: llgemeinen geneigt, das von uns Gemamte als ~irklim zu emp~nden. Damit aber erwiese sich der Leerstellenbetrag emes Textes als die ele­mentare Bedingung für den Mitvollzug.

Dieser Sachverhalt läßt sich smon an relativ einfachen Beispielen beobachten, von denen wir wenigstens eines herausgreifen wollen. Es gibt eine Publikationsform literarismer Prosa, von der sich sagen ließe, daß sie Unbestimmtheit auf eine besondere Weise nutzt. Gemeint ist der Fortsetzungsroman, dessen Text dem Leser in dosierten Absmnitten geliefert wird. Wenn heute Fortsetzungsromane in Zeitungen ersmei­nen,. so spielt für diese Art der Veröffentlichung der Werbeeffekt eine gewisse Rol~e : Der Roman soll eingeführt werden, um ihm ein Publi­kum zu gewmnen, Im 19. Jahrhundert stand diese Absicht ganz im Vor­d~rgrund des Interesses. Die großen realistischen Erzähler warben durch diese E~scheinungsweise um Leser für ihre Romane.' Charles Dickens gar schrIeb seine Romane nur von Woche zu Woche und zwischendurch versuchte er soviel w' .. l 'ch d"b f" 'ch' L

d ' le mog I aru er zu er ahren wie SI seme e-

ser en Fortgang d H dl ' d L bI

'k er an ung dachten.8 Dabei machte schon as eserpu I um des 19 J h h d ' h auf ehI ß 'eh . a r un erts eme für unseren Zusammen ang

s u rel e Erfahrun . E h' I d . I n Rom ft I f " g. s le t en m Fortsetzungen ge esene an 0 ma s ur be I d ' D'

Erfahrung' . d hsser asen Identischen Text in Buchform.9 lese 1st wie er olb ß . ch das

Experiment d eh h ar, man mu Sich nur die Mühe ma en, ur ZUste en In d R I . . cl Z' lOn-

gen eine Roman hl " er ege erschemt heute In en el auswa d d' . er , ie le Grenze zur Trivialliteratur lInrn

D ie Appellstruktur der Texte 237

wieder überschreitet, denn es soll ja ein größeres Publ'k '1 I um gewonnen werden. Liest man so che Romane abschnittweise so ko" ' b" " I' ch '1" ,nnen sie lswel-len ertrag I sem; lest man sie als Buch so werden sl'e .. l' ch ' unertrag I ,

Doch nun zum Sachverhalt, der die Bedingung fu" Ich U , ' r so e nter-schiede bildet. Der Fortsetzungsroman arbeitet mit einer Sch ' ch 'k

b 'ch ' 11 ' mtte m . Er unter n tim a gememen dort, wo sich eine Spannung geb' ld h

ch' L" d .. d I et at,

die na emer osung rangt, 0 er wo man gerne etwas über den Aus-ga~g des soeben Gelesenen erfahren ~öchte.~o Das Kappen beziehungs­weise V e~schle'ppen der Spannung bildet die Elementarbedingung für den Schnitt .. Em ~olcher Suspens-Effekt aber bewirkt, ,daß wir uns die im Augenbhck mcht verfügbare Information über den Fortgang des G~sch~hens vo~~ust,ellen versumen. Wie wird es weitergehen? Indem Wir diese und ahnhche Fragen, stellen, erhöhen wir unsere Beteiligung am Vollzug des Geschehens. Dlckens hat von diesem Samverhalt smon gewußt; seine Leser wurden ihm zu 'Mitautoren',

Nun ließe sich ein ganzer Katalog von solmen Sch.nittech.niken ent­wickeln, die zum großen Teil ungleim raffinierter sind als der remt primitive, aber dom sehr wirksame Suspens-Effekt. Eine andere Form zum Beispiel, den Leser zu einer größeren Kompositionsleistung anzu­reizen, besteht darin, mit einzelnen Sch.nitten unvermittelt neue Perso­nen einzuführen, ja, ganz andere Handlungsstränge beginnen zu lassen, so daß sich die Frage nam den Beziehungen zwismen der bisher ver­trauten Geschichte und den neuen, unvorhersehbaren Situationen auf­drängt. Daraus ergibt sim dann ein ganzes Geflemt möglimer Verbin­dungen, deren Reiz darin besteht, daß nun der Leser die unausformu­lierten Anschlüsse selbst herstellen muß. Angesimts des temporären 1n­formationsentzugs wird sim die Suggestivwirkung selbst von Details steigern, die wiederum die Vorstellung von möglimen Lösungen mobili­sieren. In jedem Falle entstehen in solmen Smnitten ständig bestimmte Erwartungen, die, wenn der Roman etwas taugen soll, nimt restlos ein­gelöst werden dürfen. Damit drängt der Fortsetzungsroman dem Leser eine bestimmte Form der Lektüre auf. Die Unterbremungen sind kal­kulierter als jene, die beim Lesen eines Bumes oftmals aus ganz ä~ßer­lichen Gründen veranlaßt werden. Im Fortsetzungsroman entspnngen ~ie einer strategischen Absicht. Der Leser wird gezwungen, durm ~ie ihm verordneten Pausen sich immer etwas mehr vorzustellen, als dies bei kontinuierlicher Lektüre in der Regel der Fall ist. Wenn daher e~n Text als Fortsetzungsroman einen anderen Eindruck h~nterläßt als m Buchform so nicht zuletzt deshalb weil er einen zusätzhmen Betrag an Unbestim~theit einführt beziehun'gsweise durch die Pause bis zur näch-

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Wolfgang 15er

238 , h dene Leerstelle eigens akzentuiert, SeI' me vor an " n

sten Fortsetzung, e , wegs höher, Er bnngt nur eIne andere Form Qualitätsniveau Ist kemdes der der Leser durch das Auffüllen zusätz~

I ' , zustan e, an 'Ich V der Rea lSlerung " k b teiligt ist, In eInem so en organg zeigt licher Leerst~l1en schtar erM eße der Unbestimmtheitsbetrag literarischer

' we1 em a ff d' d L ' sich bereIts, m d' F 'heitsgrade scha t, le em eser Im Kom~ Texte die not wen I~~hn re el rden müssen, damit die 'Botschaft' entspre~

'k' akt gewa rt w S' , mUDI atlOnS d rbeitet werden kann, telgert eIn Roman be~ chend empfange~ unW~ekruang so wird deutlich, welches Gewicht den

' d d rch seme Ir , d relts aUf" d' K muni kation zwischen Text un Leser zukommt, Leerstel1en ur le 001 ' f b d' " , P k teIlt sich nun eIne Au ga e, le Wlf 1m Rahmen

An diesem un t s b 1" k" E k" , 'k' benennen nicht a er osen onnen, s ame zu~ dIeser DIS USSlOn nur , , S k 'ch ,. ' I d f an das RepertOire von tru turen SI tbar zu

nachst emma arau , 'h ' h f "1 ch d ch d im Text UnbestImmt elt entste t; ern er ga te es

ma en, ur as ch d' d L b ' ' I Akt ' J'ta"ten beschreibbar zu ma en, le er eser el der e ementare IV " 'ch b d

Lektüre zwar nicht bewußt wahrmmmt, dIe SI, a er ennoch voll~ . h Von den vielen Möglichkeiten, LeserreaktIonen zu steuern, wol~

zle en, " 'ß d' 11 ' f ch len wir nur eine kurz beleuchten ; sie 1St gewI le a ereIn aste, kommt aber dafür am häufigsten vor, Gemeint ist folgendes: Wir alle machen bei der Romanlektüre die Beobachtung, daß die erzählte Ge~ schichte mit Betrachtungen des Autors über das Geschehen durchsetzt ist, In solchen Bemerkungen spricht sich vielfach eine Bewertung der erzähl~ ten Vorgänge aus, Wir bezeichnen solche vom Autor angestellten Ober~ legungen als Kommentar, Offensichtlich besitzt die erzählte Geschichte Stellen, an denen sie solcher Erläuterungen bedarf, Im Blick auf unsere bisherige Diskussion ließe sich sagen : Der Autor selbst beseitigt Leer~ stellen, denn er möchte mit seinen kommentierenden Bemerkungen die ~uf~assung de.r Erzählung einheitlich machen, Solange dies jedoch die emzlge FunktIOn des Kommentars bleibt, muß die Beteiligung des Les~rs am Vollzug der in der Geschichte liegenden Absimt sinken, Der Au.tor selbst sagt ihm, wie seine Erzählung zu verstehen sei . Dem Leser bJelb~ dann bestenfalls noch die Möglichkeit, einer solmen Auffassung ~u"wldersprechen, wenn er aus der erzählten Gesmimte andere Ein-

rucke ~u gewinnen glaubt. Nun aber gibt es sehr v iele Romane, die zwar mit solchen k . d k n d ..L ' ommentleren cn und bewertenden Bemer unge

urUlsetZt smd ohn ' d eh d" . , d ' e Je 0 le Gesclumte von einem bestimmten, Immer urchgehaltenen St d k ' , . I"ß . eh schon seit B ' d an pun t aus zu Interpretleren . Dies a t SI

vielen Rom egmn

d es 18)ahrhunderts beobachten und findet sich in

anen, eren hl t ' ch S b 1 . un-interessant ist oh d ß S ons es u strat für uns heute re atlV .

, ne a unser Vergnügen bei der Lektüre leidet. Bel

Die Appellstruktur der Texte 239

solchen Romanen ist der Autor offensichtlich nicht chi' ßl'ch cl ' d ch d' k ' auss le I avon geleitet, ur le ommenuerenden Partien se'lnes T cl L h d G ch 'ch extes em eser das Verste en er es I te vorzuschreiben D'le g ß I' ch R

d h ,ro en eng IS en 0-mane des 18. un 19. Ja rhunderts, denen heute noch ' b ch

d' k ' b ch " , eme unge ro ene Leben 19 elt es emlgt Wird, gehören zu diesem TB ' d' T ' d E' d yp, el lesen ex-ten gewInnt man en 10 ruck, als ob der Autor m't' k , d H' . 'ch h I semen ommen-fleren en mwelsen SI e er von den erza"hlten V" d' , ' , organgen Istan-zIeren als Ihren Smn verdolmetschen wollte DI'e Ko ' k ' mmentare wir en ~ie bloß~ Hypothesen und scheinen Bewertungsmöglichkeiten zu impli-ZJ~ren, dIe SIch vo~ den a~s den, erzählten Vorgängen unmittelbar ab­leItbaren unt~rschelden, DIeser Emdruck wird durch die Tatsache unter­stützt, daß dIe Kommentare zu verschiedenen Situationen wechselnde Standpunkte des Autors erkennen lassen, Soll man dann dem Autor noch trauen, wen~ er komme~tiert? 11 Oder müßte man besser prüfen, was er zu den erzahlten Vorgangen noch eigens bemerkt? Denn oftmals hinterlassen bestimmte Situationen der Romangeschichte einen anderen Eindruck, als ihn die kommentierende Beleuchtung nahezulegen scheint, H at man da vielleicht unaufmerksam gelesen, oder soll man gar auf­grund des Gelesenen den Kommentar des Autors korrigieren, um die Bewertung der Vorgänge selbst zu finden? Unversehens hat es der Leser dann nicht mehr ausschließlich mit den Romanfiguren zu tun, son­dern auch noch mit einem Autor, der sich in der Rolle eines Kommenta­tors zwischen Geschichte und Leser drängt. Nun beschäftigt er den Leser genauso, wie dieser von der Geschichte beschäftigt wird, Die Kommen­tare provozieren vielfältige Reaktionen, Sie verblüffen, sie reizen zum Widerspruch und decken doch häufig viele unerwartete Seiten am Er~ zählvorgang auf, die man ohne diese Hinweise nicht wahrgenommen hätte. So liefern solche Kommentare zwar keine verbindlichen Bewer­tungen des Geschehens, sie stellen aber ein Bewertungsangebot dar, das Wahlmöglichkeiten bereithält. Statt mit einer einheitlichen Optik ver­sehen sie den Leser mit gewissen Einstellungen, die er nachvollziehen muß, um sich das Geschehen entsprechend zu erschließen: sie überziehen d~e Geschichte mit Beobachterperspektiven, deren Orientierung al~er­dIngs wechselt, So eröffnen diese Kommentare einen BewertungsspIel­raum, der neue Leerstellen im Text entstehen läßt. Diese liegen nun nicht mehr in der erzählten Geschichte sondern zwischen der Geschichte , , . ~nd den Möglichkeiten ihrer Beurteilung. Sie lassen sich nur beselugen, Indem Urteile über die zur Rede stehenden Vorgänge gefällt werden. Für die Provokation des Urteilsvermögens sorgt der Kommentar auf Zweierlei Weise: Indem er die eindeutige Bewertung des Geschehens

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Wolfgang Iser 240 ",

II die eine Reihe von Erfullungsvariabl ..L ff Leerste en, 'd B en ausspart, SUia t er I '..L Möglichkeiten er ewertung anbiet

d aber zug elUI 'ch b I' b' f f"II et, zulassen; a er 'L stellen nl tele 19 auge u t werd d f " daß diese eer , 'I' d L en, sorgt er a ur, k m einen die Betel 19ung es esers an d

'k d' Stru tur zu 11 d "R er So bewlr t lese d ber die Kontro e efJemgen eaktione an eren a n, Bewertung, zum , d' B rtung entspnngt, ,

denen le ewe I k g sei wenigstens ganz kurz an einem inte D' Art der Leser en un "1" G r­

Iese " solcher Steuerungsvo~gange er autert, ,esetzt den essant~n Belsplel"ch d reh seine SituatIOnsbemerkungen nicht nUr den Fa!l, em Audtor mLo te ea~tionen kontrollieren, sondern die Reaktion Spielraum er eserr d ~ W b' h ' ' eh' wie verfährt er ann, enn unsere lS erigen selbst eIndeutig ~cha ,ensind werden wir nicht erwarten dürfen, daß der Beobachtungen n ug " d 'lI' d "

d ' "nsehte Reaktion des Lesers etal lert 0 er sie Ihm Kommentar le gewu f d 'h V '

eh 'bt Der Leser würde dann au as 1 m orgeschnebene g~~ vobrs ,rel S:nn der gehegten Absicht reagieren, Nun das Beispiel: E~ nlUIt a er Im I ," ist jene bekannte Stelle aus Dickens' Olzver TWlst, wo ,Sich das ausge-hungerte Kind im Armenhaus mit dem Mut d:r Verz:velflung aufrafft, eine zweite Portion Suppe zu verlangen, Die AufsIchtspersonen des Armenhauses sind über die ungeheuerliche Frechheit entsetzt,12 Was macht der Kommentator? Er pflichtet ihnen nicht nur bei, sondern liefert dafür auch nom die Begründung,13 Die Reaktion der Leser ist eindeutig, denn der Autor hat seinen Kommentar so angelegt. daß sie ihn verwerfen müssen. Nur so läßt sich die Anteilnahme am Schicksal des Kindes bis zum Eingreifen steigern: Die Leser sollen aus ihren Ses­seln gerissen werden, Hier geht es nicht mehr um das Auffüllen einer Leerstelle hinsichtlich der Beurteilung der Situation, sondern um die Totalkorrektur einer falschen Beurteilung. Soll die Aktivität des Lesers am Vollzug des Geschehens gesteigert und eindeutig gemacht werden, so darf das im Text Gesagte nicht so gemeint sein, wie es formuliert ist, In dieser Hinsicht bildet die Dickens-Stelle einen interessanten Grenz­f~1l von ~nbestimmtheit, Denn auch hier gilt, was sonst für die Unbe­stlmm~helt aJs Wirkungsbedingung zutrifft: Das Formulierte darf die IntentIOn des Textes nicht ausschöpfen. _ Literarische Texte sind reich ~n S~~ukturen der besprochenen Art. Viele davon sind komplizierter als das k ler b.:rührte Zusammenspiel zwischen Kommentar und Leser. Zu .en e~ ware etwa an die Tatsache, daß wir als Leser auf die Figuren

~,nes JJomans stä,ndig reagieren, ohne daß diese ihrerseits auf unsere lnste ungen zu lhnen ' d

W b reaglerten. Im Leben ist das bekanntlich an ers. as a er machen wir m' d ' d

aBt" J' ~l • It er vom Roman gewährten FreiheIt von en ag IUlen Reaktion .. , r Szwangen. Welche Funktion besitzt diese 'orm

Die Appellstruktur der Texte 241

der Unbestimmtheit, die unser Verhalten z d F" und dann alles Weitere uns selbst zu überlass

u e1, Ig~ren herauskehrt H ' "ß 11 d' en SUlemt, ler mu ten vor a em le temnismen B d'

kommen, die für die Steuerung der Leserreakt" e mgungen zur ~pr~che b ' k" ' L' , Ionen verantwortheh smd Da el ame es In erster mle darauf an die K " , , '

T I ' , onstltUtionswelsen fikt naler exte zu ana YSleren, Denn für ihre A II k ' ,lO-h bl 'ch d V f h ppe stru tur Ist es meht uner e I , as er a ren zu kennen nach d ' b 'd '

T b " l' , em sIe ge aut sm ZeIgen solche exte eIspIe swelse eine Schnitt- Mo t d S . . 'k h 'ß d' d " ,n age- 0 er egmenner-

techn! ,so el t les, aß sie eIne verhältnismäß' h h F ' b h' 'ch I'ch d A chI' ßb k' , Ig 0 e relga e 10-SI t I er ns le ar elt Ihrer Textmuster ane' d "h ' 'd h' man er gewa ren SInd sie agegen me r nach emem Kontrast- ode 0 ' . " '

, , 'd' ch ' r ppOSltlOnspnnzlp organISIert, so Ist le Ans heßbarkeit der Textm t I ' k ' b d ' us er re atlv star vor-

geschne en, In em eInen Falle herrscht dann el' I' h h G d f " n re atlv 0 er ra

von Per ormanz bel gerInger Präskription für die d L b f Ak ' ",' d em eser a ge or-

derte tlvltat; 1m an eren Falle verhält es sich umgek h t F 'ch' f 1 er, erner

wäre es Wl tlg estzuste len, in welcher Textebene die Leerst l1 ' d ' d" 'I' e en sitzen

un wie es um le Jewel Ige Frequenz bestellt ist. Sie werden 'ch' 'k ' SI 1m Kommum at~onsvorgang anders auswirken, wenn sie vermehrt in den Erzählstrate~len und vermindert in der Handlung beziehungsweise im Zusammenspiel, der, Personen liegen, Sie werden ganz andere Konse­quenzen nach Sich Ziehen, wenn sie sich in der vom Text dem Leser zu­geschriebenen Rolle finden, Aber auch für eine andere Art der Klassifi­kation von Textebenen kann die Frequenz der Leerstellen bedeutsam sein. Sind sie vorwiegend auf die Textsyntax, das heißt auf das im Text erkennbare Regelsystem seines Aufbaus beschränkt, oder sitzen sie ver­stärkt in der Textpragmatik, das heißt in dem vom Text verfolgten Zweck, oder mehr in der Textsemantik, das heißt in der im Leseakt zu generierenden Bedeutung? Sie werden sich in jedem Falle untemniedlich auswirken, Wie immer es um ihre Verteilung bestellt sein mag, ihre je­weiligen Folgen für die Steuerung der Leserreaktion i t in erheblichem Ausmaß von der textspezifischen Ebene ihres Vorkommens abhängig. Dieser Sachverhalt indes kann hier nur benannt, oidn aber <1U disku­tiert werden,

IU

Denn unser dritter und letzter Sdtritt der Betrachtung muß dem hi to­r,isch beachtenswerten Ph~inomen gelten. daß die Unb timmtheit in literarischen Texten seit dem 18. Jahrhundert tändig im \'(l<1ch eo be­griffen ist, Die sich daraus ergebenden Implikationen i n n drei Beispielen kurz veranschaulicht, die der engli ehen Literatur de 1 .,

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Wolfgang Iser

242 mmen sind. Es besteht kein Zweif 1

19 und 20. Jahrhunder~~ entnoe auch an verwandten Texten ande e , . I 'eh phanomen f F' Id' rer

daß sieh die g ,ei en ssen. Ich beziehe m~ch au le mgs J oseph An-Literaturen zelgenT~ackerays Vanity Fatr (1848) und Joyces Ulysses drews (1741/42),

(1922). d begann als Parodie auf Richardsons Pa Fielclings Jo~eph AnehI~eehws Natur und ihre Verhaltensformen dur; I ' d die mens I e . R'ch \ll me a, m er T dhaftigkeit bestimmt waren. I ardson ist

ein ideales Ma~ an ,u;en toter Text, Fielding aber können wir noch für uns heute eljn weltD~n Bestimmbarkeit der menschlichen Natur Zu 'V" gen esen. le 'h

mit ~rgnu d d dl eine Vorstellung von I r zu entwerfen, bildet bezwelfeldn un Aen~o ß zu Fieldings Roman. Die Anlage ist denkbar den para oxen ns 0 , d H Id d . 11 einfadl, Wir haben auf der einen Se~te en

f d e end' er ~It Wa .en

k !u-

enden der Aufklärung ausgestattet 1st, au e~ an eren eme Ir hch-

kg

, d' 'h betra" dltlich zusetzt. Aus dem Bhckpunkt des H elden er-elt, le I m d l' k d H Id .

dl ' d' Welt als sdlledlt, aus dem er We t wir t er e eigen-s emt le 'ch d' I . d ' , '" nd borniert. Nun kann es aber m t le ntentlOn leses Ro-

Slnnll> u l' ch P' . . l ' . mans sein den Repräsentanten mora IS er nnzlplen a s emen eigen-sinnigen 11enschen darzustellen. Gleichzeiti~ ha~ d.~e .dargest.ellt:. We!t ihren traditionellen Charakter verloren, die emtomge FolIe fur die Abenteuer des Helden zu bilden; sie hat eine Selbständigkeit erlangt, die allein von den Prinzipien moralischen Verhaltens nicht mehr geord­net, gesdlweige denn beherrscht werden kann. Es kommt nun zu einer ständigen Interaktion dieser Positionen, in der eine wechselseitige Kor­rektur zu gesdlehen sdleint. Die Art der Korrektur indes ist im Text selbst nidlt ausformuliert. Wir stoßen lediglich auf ein Spiel der Be­ziehungen, das längst nicht jene Bestimmtheit besitzt, wie sie die bei den Grundpositionen Held und Wirklichkeit erkennen lassen. Die wechsel­sei.tige Korrektur zielt auf einen Ausgleich und nicht auf Sieg oder Niederlage der einen oder anderen Position hin. Wiederum ist die Art des Ausgleichs im Text nicht formuliert dennoch läßt sie sich vorstel-

rIend' Ja, ~ielleicht gelingt dies nur, weil ' sie sp rachlich nicht fixiert ist. n em die POsitione f' d . . k " 'h Ge b ' ,n au ~man er etnwlr en, machen SIe w em ger I re

L ge t~~e~~ _~Is :Ielmehr Ihr Potential sichtbar. So bietet der Text dem B es~r h e IgIU} etn Ensemble von Positionen das er in wechselseitigen ine~Ie u~gekn vorfü?rt, ohne den archimedischen Punkt zu formulieren,

em sie onvergleren D 'b" . r-gangs den N h F' ~raus ergl t Sich dIe Struktur emes Lesevo we re~d a °h~t rop rye einmal wie folgt beschrieben h at: "Whenever

nyt tng, we find 0 . " .' at once One dl'r " ur attentIon mov1Og 10 two dlrectlOnS

. ectlon IS d . Out'War or centrifugal, in which we keep gOlOg

Die Appellstruktur der Texte 243

outside our reading, from the individual word h h' h ' . s to t e t mgs t ey mean

or, 10 pract1ce, to our memory of the conventional "b ' h Th h d· . " . aSSOClatlOn etween

t em. e ot er lrect10n IS Inward or centripet I ' h'ch cl I f h d a , In w 1 we try

tO eve op rom t e wor s a sense of the large b I h k » 14 D ' eh . ch r ver a pattern t ey ma e. lese ermeneutls e Operation' des L ' " 'ch

' d M ß . d d esens mtenslVlert Si 10 em a e, In em er Roman darauf verzl'cht t, . I '

I· D ' b d ' e seme ntention zu formu leren. les e eutet flicht, daß er keine h t W ' b . ch . ch ... a, enn er Sie a er fl1 t ausspn t, wo ware Sie dann Zu suchen' DI'e A t "ß I 'd d ch . . . n WOrt mu te au-ten: In er aus er we seiseitlgen Korrektur der P ., h ' . . ." OSltlOnen entste en-den DlmenslOn. Diese aber ISt In der tatsächll' ..L en T I "ch . U} extgesta t nt t ge-geben, sondern 1St das Produkt der Lektüre Wenn sl'e t ' L

h · ,ers 1m esevor-gang entste t, so hat s~,e besten,f~lls virtuellen Charakter, denn das Zu-sammenschauen kontrarer POSItiOnen sowie die sich da ra b d

ch I .. B . fl . us erge en e we . se Seltlge eem us~~n~ 1St der Aktivität des Lesers überantwortet. ~r sleht. de~ He~den standlg vor dem Hintergrund einer niederträch­tigen WlrkltchkeIt, aber ebenso die Welt aus der Sicht des Helden, Sol-0e G~genüberstellung~n provozieren Ausgleichsoperationen, und da dIese Im Text selbst mcht formuliert sind, wird die Sinnkonstitution zu einem Akt der Lektüre. I~r Ort ist die Einbildungskraft des Lesers, den? erst dort e~tsteht der Sinn des entworfenen Zusammenspiels der ~oslt1onen: Als VIrtueller Sinn bleibt er der versmiedenartigsten Nuan­cierung bel erneuter Lektüre fähig. Fielding scheint sim über diese An­lage des Textes durchaus im klaren gewesen zu sein, denn die dem Leser von ihm zugedachte Rolle ist durm eine Aufgabe bestimmt: der Leser soll entdecken.15 Diese Aufforderung läßt sich sowohl historism als aum strukturell verstehen. Historisch würde sie bedeuten, daß der Leser, indem er den Sinn selbst entdeckt, in ein Prinzip der Aufklärung ein­geübt wird. Strukturell würde sie bedeuten, daß der Roman seine Wir­kung erhöht, wenn er den Konvergenzpunkt seiner Positionen und Schemata nicht formuliert und diese Unbestimmtheit durch den Leser beseitigen läßt.

. Unser zweites Beispiel ist ein Roman des 19. Jahrhunderts, in dem dIe Unbestimmtheit deutlich zugenommen hat : Thackerays Vanity Fair. Wenn Unbestimmtheit die graduelle Beteiligung des Lesers am Vollzug ~er Textintention reguliert, so fragt es sich, was eine gesteigerte Betei­lIgung bedeuten kann. Vanity Fair besteht zum einen aus einer Ge­schichte, in der die sozialen Ambitionen zweier Mädchen in der vikto­rianischen Gesellschaft gezeigt werden, und zum anderen aus dem Kom­mentar eines sich als Theaterdirektor vorstellenden Erzählers, dessen Ausführungen fast genauso umfangreich 4;ind wie die erzählte Geschimte

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Wolfgang !ser

244 "ffnet ein ganzes Panorama von Blick tatOr ero , kl'ehk ' d' PUnk

b Der Kommen 11 ehaftliehe WIr I eit, Ie nun Von n h -se! st, "hl gese s hl ehl 'di a eZU f die erza te , e einer Anza mens I er Grundb fi ten aU P 'tionen SOWI d d L " e nd-

11 ozia!en 051 den kann, In em er eser mlt elUer V' I a en s ehen wer ch" I'dik ' le _ !'ehkeiten her ges d 1 ativer Betra tungsmog I elten konf I d n a tern 'E eh' d ron_ h! variieren er U 'eh hezu ständIg zu nts el ungen gedrä za f"hl er SI na I' 'eh 11 ' ngt tiert wird, U ~ f kompliziert, a s es Ja m t a em darum geh'

b 'd mSO ern I G ch'eh 'E' t, Diese a er sm, W I der erzäh ten es I te eme lUstelIung zur gesellsehaftltchen eh e ,t mal darum, diese Einstellung über das r/chu

dern nO etn I beziehen, son k ' enangebot des Kommentators zu gewinne

ff ' te Perspe tlV 'L' n, di erenzIer , 'f I daß der Autor seme eser zu emer Kritik a E b ht kem Zwei e, 1 "eh GI 'ch " n s este W' kr chkeit veran assen mo te, el zeitig ahe d d gestellten Ir I d ' d r

er ar die Alternative, entwe er eme er angebotenen Ht er den Leser vor " 'ck 1 ste , "b rnehmen oder selbst eme eIgene zu entwi e n, Diese

Perspektiven zu u e d 'eh f" ' BI'ck ' ' 'cht ohne Risiko, In em man SI ur emen 1 punkt Alternative ISt ß1 G eh' h d'

eh 'd den andere ausgeklammert, es Ie t 1es, so entsteht ents el et, wer h' , S' 1 ' d' R der Eindruck als ob man me r m emen p1ege als auf 10 lesern oman " "ß" , d G ch he schaue,16 Da allen Bhckpunkten eme unm1 verstandhche

as es e n , Ib'ld 11 Begrenztheit eingezeichnet ist, sind soldle Sp1ege

d, I Bel~cka eskandere

als schmeichelhaft, Wechselt der Leser dann gar 1e 1 pun te, um solchen Festlegungen zu entgehen, dann macht er die zusätzlidle Erfah­rung, daß sein Verhalten schon erheblidl der immer erne~ten Anpassung der heiden um sozialen Aufstieg bemühten Mäddlen gle1dlt, Ihnen aber sollte doch seine Kritik gelten. Ist am Ende der Roman gar so angelegt, daß die im Leser aktivierte Kritik am Opportunismus gesellschaftlichen Verhaltens sich ständig auf ihn zurückbiegt? Davon ist zwar im Roman ni~,t~ erwähnt, obgleich es häufig geschieht, Statt die Gesellscha~ ~u krItISIeren, entdeckt sich der Leser selbst als Gegenstand der Kntlk, Thacke:ay, hat einmal gesagt, daß die ungesdlriebenen Teile eines Ro­mans die eigentlich interessanten seienP Nimmt man diesen Satz er~st, so besagt er, daß der Roman seinen Konstitutionsgrund verschweigt. fer ge~chriebene Text wäre dann nur als eine Abschattung dieses nidlt t ormu~ertTen Grundes zu verstehen, Das würde bedeuten: Die Strudk­LU~~' es "ex:es sind so beschaffen daß sie den Leser im Vorgang er

e ture standlg zum F d d ' D' ber be-ziehen s'ch k ' 10 en es Grundes provozieren. lese ader :zentrale~ rntelO~swedgs auf untergeordnete Aspekte, sondern gelte

ßn 'dJ

b entIOn es Te lb . , eh' ht lä t SI eohachten d ß d A xtes se st, Wo Immer dIes ges le, bi-r ' ,a er utor d L 'eh " ker roO ISlert, weil er selb ' ,en eser D1 t etwa deswegen star detll

weil erhöhte Bet ,tt mIt selOem Gesmäf! nicht zurande käme, son. erJl el 19ung am Mitvollzug des Textes den Leser ZU ein

D ie Appellstruktur der Texte 245

größeren Einsatz dessen zwingt, was er ist, Wenn n d L ' ' d" 1 ' T un er eser von

Vamty F atr 1e Vle en 1",1 ext g~gebenen POsitionen aufeinander be-zieht, so entdeckt er weOlger den 1dealen kritischen 0 t d

1.. " 'h 'ch ' r , von em aus alles zu osen :vare; er SIe t S1, v1elmehr des öfteren selbst in der Ge-sellschaft der F1guren, d~nen seme Kritik gelten sollte, _ Hatte der Fiel­dingsch~ L~ser noch 7we1 konträre Positionen aufeinander abzustimmen, durch d1e 1hm letzthch nur zugemutet wurde, die richtige der möglichen Kor~ekturc:n zu ~nden, so macht die Vermehrung der Leerstellen in Vamty F atr deuthch, daß nun der Leser sehr viel von sich selbst zeigt wenn er den Spielraum des Verstehens nutzt, '

Auf dem Hintergrund von Vanity Fair erscheint die Unbestimmtheit von Joyces Ulysses so, als ob sie außer Kontrolle geraten sei, Dabei ver­sucht dieser Roman doch nur, einen gewöhnlichen Alltag darzustellen, Das Thema ist also erheblich geschrumpft, wenn man bedenkt, daß Thackeray noch ein Bild viktorianischer Gesellschaft und Fielding gar ein solmes der menschlichen Natur vermitteln wollte, Es hat beinahe den Anschein, als ob die Dominanz großer Themen und der Betrag an Unbestimmtheit in einem Verhältnis zueinander stünden, Was aber fängt man dann mit der Tatsame an, daß nahezu alle Darstellungs­und Erzählstrategien, die der Roman in seiner verhältnismäßig jungen Geschidlte entwickelt hat, in Joyces Ulysses versammelt sind, und das bloß zu dem Zweck, das Gesehehen eines gewöhnlichen Alltags vorzu­führen? Kommt es vielleimt gar nicht so sehr auf die Darstellung des Alltags als vielmehr auf die Bedingung seiner Erfahrbarkeit an? 1

Dann wäre das Thema nur Anstoß für die Versuche seiner Bewältigung, denn dieser Alltag ist nicht repräsentatives Abbild einer Bedeutung, die hinter ihm verborgen wäre, Idealistisme Hinterwelten gibt es in Ulysses nicht mehr, Statt dessen entfaltet der Text einen bis dahin ungekannten Reichtum an Blickpunkten und Darstellungsmustern, die den Leser zu­nächst verwirren, Die unzähligen Facetten dieses Alltags wirken so als ob sie dem Leser für seine Beobamtungen nur vorgeschlagen seien. Die a,ngebotenen Perspektiven stoßen unvermittelt aneinan~er, überlag~rn Sich, sind segmentiert und beginnen gerade durm ihre Dtchte den Blick des Lesers zu überanstrengen, Dabei fehlt der helfende Win~ de Au­tors, Denn dieser hat sich, wie Joyce selbst einmal sagte" elOem de~s a~sconditus gleich hinter sein Werk zurückgezogen, um Ich dort d~e FIngernägel zu sdlneiden,19 Die Dimte des Darstellungsrasters. die .Montage und Interferenz der Perspektiven, das Angebo~ an de~ Leser, Identische Vorkommnisse aus vielen einander gänzlich wIderstrettenden Blickpunkten zu sehen, macht die O~ientierung zu einem Problem.

Page 10: Wolfgang Iser, Die Appelstruktur der Texte

Wolfgang 15er

246 . l ' BI" _L k Z mmensple semer lU\.pun te Ver"" . W nn der Roman das ~sar eigenen Konsistenzbildung. Derellgert,

e L zu eme F ese . gt er den eser cht sein die vielen acetten zu ordnen G r zwJn . d versu ' . 1f d '11 . . e . d immer Wie er d'ng suggests ase an 1 USlOn takes ov ~ -Wir ,,'stent rea I f lID er 20 schieht dies, con~1 b 'Jd ng ist nicht ganz 0 gen os: er Lesevorg . Eine solche IllUSIOns I . u "ndiger 5elektionsprozeß aus der Füll ~ng 'ollzieht sich hier aJs em fs~.a die jeweilige Vorstellungswelt des le er

"\ Aspekte, wo ur , . d L k .. h esers angebotenen , . J' f t 50 muß 10 Je e e ture se r viel ei

hJk tenen le er . . h nge_ die Auswa n " 5innkonfiguranon entste t. Der Text d bracht werden, dd~mBlt de~negungen für die VorsteIlbarkeit dieses Allt es

h"J ur le e III I' ß' ags Ulysses a t n f seine Weise einlöst. Ja, es ie e sich sagen daß d' 'eder Leser au d G' ,

parat, le J hIWiderstand gegen as rupplerungsbedürfn ' 'ch d Roman e er a s G I Is

SI er .' V 1 uf der Lektüre unentwegt zur e tung bringen bietet, das "!'Ir Im e~:ala möglicher Reaktionen denkbar. Wir könne~ D bei ist eme ganze 'b d d T d a.. d h h Unbestimmtheits etrag, en er ext gera e durch uns uber en 0 en I1 .. . Ob "., ung seines Darste ungsrasters erzeugt, argern. Das

dIe erprazJS1er . 'k I'ch d " b k.. chon einer 5elbstcharaktenstI g el , enn es wurde be-

a er ame s f I d d d ß 'r eigentlich lieber vom Text estge egt wer en wollen, euten, a WI . ' W'd Orr 'ch I'ch erwarten wir dann von Literatur eme von i ersprü-rrensl t I . U . . k' d chen gereinigte Welt.!!1 Ve.rsuchen w!r, die nStImmig elten es Te~tes abzubauen so wird das BIld, das WIr uns formen, gerade wegen semer Stimmigkeit illusionäre Züge tragen. Diese der Harmonis.ier.ung ent­sprungene Illusion ist aber ein Produkt des Lesers. Damit 1st etwas Wichtiges geschehen. War der realistische Roman des 19. Jahrhunderts noch darauf angelegt, seinen Lesern eine Illusion der Wirklichkeit zu vermitteln, so bewirkt der hohe Leerstellenbetrag in Ulysses, daß alle dem Alltag zugeschriebene Bedeutung zur Illusion wird. Die Unbe­stimmtheit des Textes schickt den Leser auf die Suche nach dem Sinn. Um diesen zu finden, muß er seine Vorstellungswelt mobilisieren. Ge­schieht dies, so hat er die Chance, sich seine eigenen Dispositionen ~e­wußt z~ machen, indem er erfährt, daß seine Sinnprojektionen sich nIe­mals mIt den Möglichkeiten des Textes vollkommen verrechnen lassen, Denn alle .Bedeutung hat partialen Charakter, und alles, was wir wi~­sen, ~~tzt SIch gerade deshalb, weil wir es wissen, der WahrscheinlichkeIt au~, uber~olt zu werden. - Wenn daher in modernen Texten jede re­~rasentatlve B~deutung getilgt ist, so gewähren sie durch ihren Rezet tlOnsvorgang die Ch d ß d . ß L er In . V h'" ance, a er zur RefleXIon angesto ene es el~ er a~flls zu seinen Vorstellungen gelangt.

halt\;.anh en Texten der modernen Literatur läßt sich dieser SadlVerl-

ma e unter Expe . b d' . '1 or a • nment e mgungen studieren. DIes gl t "

Die Appellstruktur der Texte 247

lem für die Texte Becketts, die auf den ersten Bl'ck d E' d ck . I b ' d Lien in ru hinter-lassen, aso sie en eser aussperren wollt D b ' "h

d U b ' h . en, a el gewa rt doch gerade er n es tim mt eltsbetrag eines Textes d' E' 1 ß .. l'chk ' d L W d" le in a mog l eiten

für en eser. enn lese hier verstellt ersmeinen ff 'eh l'eh h Ib '1 d U b " , so 0 ensl t I des a , wel er n estlmmtheltsgrad eine Toleranzg "b ch'

d· . h I renze u ers nt-ten hat, le emge a ten werden muß soll das gewohnt M ß 0 ' . ' T eh "h" e a an nen-tJerung Im ext no gewa rlelstet sein. Nun aber ze'lgt d' D' k .

ck . " eh d' le IS usslon um Be ett, wie wemg SI le Beckett-Leser mit d'lese A . . b D h musgesperrtsem zufrieden ge en. em ohen Unbestimmtheitsgrad w'lrd 't ' . . ml emer mas-siven BedeutungsproJektlon geantwortet deren Geltung eh d d ..L

'ch ' d d ß d' ' no a urUl u?terstn en wIr , a le den Tex~en unterlegten Bedeutungen allego-rischen Charakter annehmen. "'!las ~mmer diese Allegorisierung im ein­zelnen ~e~weck~n ma~ : Ihr Ziel, die dem Werk zugeschriebene Bedeu­tung moghchst emdeung zu machen, ist unverkennbar.

So zeigt die Beckett-Allegorese, daß hohe Unbestimmtheitsgrade ganz offenbar Bedeutu?gen provozieren, die auf Eindeutigkeit hin ten­dieren. Wenn aber fiktIOnale Texte eindeutig gemacht werden sollen, so bleibt nichts anderes übrig, als zu entscheiden, von welcher Art ihre Be­deutung zu sein hat. Solche Entscheidungen allerdings bringen die Dis­positionen und die 'Vorzugsgestalten' (Scheler) derer, die sie fällen, mit der gleichen Deutlichkeit zum Vorschein. Ja, vielleicht verlangen die Texte Becketts immer den ganzen Einsatz ihrer Leser. Sie mobilisie­ren unsere Vorstellungswelt total, allerdings nicht, um in einer gefun­denen Bedeutung Beruhigung zu gewähren, sondern eher, um den Ein­druck zu vermitteln, daß sich ihre Eigenart erst dann entfaltet, wenn sich unsere Vorstellungswelt als überschritten erfährt. Kein Wunder also, daß man zunächst solche Texte durch eine massive Bedeutun s­projektion in den gewohnten Horizont zurückholt.

Dabei macht man allerdings die Erfahrung, daß solche den Texten oktroyierten Bedeutungen dann um so trivialer erscheinen, je eindeu­tiger diese sind. Die Texte Becketts verlangen vom Leser, daß er alle seine Vorstellungen in die Lektüre einbringt, denn nur sie vermögen an­gesidtts der Beschaffenheit solcher Texte den notwendigen Redundanz­betrag zur Verfügung zu stellen, damit Innovation erfahrbar werden kann. Diese Texte werden dann in dem Maße kommunikation fähig, in ~em sich unsere Vorstellungen und 'Vorzugsgestalten' .... erändern. Er t tn der Krise unserer Verstehens- und Wahrnehmungsschemata gelangen sie Zur Wirkung und vermögen dadurdt die Einsicht zu eröffnen, da~ wir unsere Freiheit nicht betätigen, solange wir uns selbst in unsere prt­vate Vorstellungswelt einsperren.

Page 11: Wolfgang Iser, Die Appelstruktur der Texte

Wolfgang Iser

248

IV 'r sind im Begriff, aus der hiStorisch ' b denn WI h I ' ch en

B ..Len wir hier a " theit in eine ant ropo ogls e Zu Wechsel reu! U bestimm d k" S n, D' nsion der n b 'ch nun aus em s IZZlerten achverh I Ime erge en SI D' k ' a t W lebe Folgerungen d h'er abgesteckten IS usslOnsrahmen nu "

e fi durch en I Z "ch d " f r In d r zwangsläu g b rden konnte? una st ur en wir sag e "cht ar we ' p , en, groben Umnsse~ SI theitsbetrag in literan scher rosa - ,:,Ielleicht in daß der Unbesumm d ichtigste Umschaltelement zWischen Te

"b haupt - as w f k' , U b ' Jet Literatur u er It Als Umschaltstelle un tlOnIert, n estlmmtheit und Leser da~st~, 'V tellungen des Lesers zum MItvollzug der irn insofern, als Sie le ~rs aktiviert Das aber heißt : Sie wird Zur Ba 1 IntentIOn' , ,-Text ange egten k 'der der Leser immer schon mItgedacht Ist, Dar-' ' Textstru rur,1O Ich d ' ,

SIS etner 'd 'ch I' rarische Texte von so en, le eme Bedeutung , schel en SI Ite d ' A ' d 'h 10 unter , W h h 't formulieren, Texte leser rt sm I rer Struk-oder gar etne a r el bh" ' d d' B d " l'chen Lesern una anglg, enn Ie e eutung oder tur nach von mog I ' ch ß h Ib 'h F ' h h' d' , formulieren, gIbt es au au er a I res ormu-die Wa reit, le Sie d 1 'ch ' . ' W aber ein Text das Gelesenwer en a s WI tlgstes Ele-lJertsetns, enn d

. Struktur besitzt so muß er selbst ort, wo er Bedeutung ment setner , . . " d W hrheit intendiert, diese der RealIsierung durch den Leser uber-

unt or~en, Nun ist zwar die in der Lektüre sich einstellende Bedeutung ~:: Text konditioniert, allerdings in einer Form, die es erlaubt, daß sie der Leser selbst erzeugt, Aus der Semiotik wissen wir, daß innerhalb eines Systems das Fehlen eines Elements an sich bedeutend ist. überträgt man diese Feststellung auf den literarischen Text, so muß man sagen: Es charakterisiert diesen, daß er in der Regel seine Intention nicht aus­formuliert, Das wichtigste seiner Elemente also bleibt ungesagt. Wenn dies so ist, wo hat dann die Intention des Textes ihren Ort? Nun, in der Einbildungskraft des Lesers. Indem der literarische T ext seine Realität nicht in der Welt der Objekte, sondern in der Einbildungskraft seiner Leser besitzt, gewinnt er einen Vorzug vor all den Texten, die eine ~ussa~e über Bedeutung oder Wahrheit machen wollen; kurz, üb~r Jene',dle a~op~a.ntischen Charakter haben. Bedeutungen und Wahr~el­ten sl~d pr~nz lplel1 nicht gegen ihre Geschichtlichkeit gefeit. Zwa~ stnd

Ea~chb·llldteranksche Texte davon nieht frei, doch indem ihre R ealität In der m I ungs raft de L ]' b ' . "ßere eh 'ch . s esers legt, eSItzen sie prinzipiell elOe gro

ance, SI Ihrer Ge ch'eh l'ehk '. I"ß 'eh der V d ch k" s I t I eIt zu WIdersetzen. D aran a t SI . er a t an nupfen d ß l' . . ' leht deshalb als e eh' ' ~ Iteransche Texte wohl in erster LlOJe n 1-len, die ver!~n:l~sresls~ent ersche!nen, weil sie ewige Werte dar~es_

I erweise der ZeIt entrückt sind, sondern eher e

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I

Die Appellstruktur der Texte 249

halb, weil ihre Struktur es dem Leser immer wieder von neuem erlaubt sich auf das fiktive Geschehen einzulassen. '

Für diesen Vorgang bilden die Leerstellen des Textes die zentrale Voraussetzung, Durch sie wird die Anschließbarkeit der einzelnen Text­muster ?eziehungsweise Textelemente aneinander zunächst ausgespart, doch mIt dem Erfolg, daß der Leser selbst diese Anschlüsse herstellen kann. Die Leer~tellen machen den Text adaptierfähig und ermöglichen es dem Leser, ~Ie ~r~mderfahrung der Texte im Lesen zu einer privaten zu machen. PnvatlSlerung von Fremderfahrung heißt daß es die Text­besch~ffe~heit erlaub~, bisher Un~ekanntes an die ei~ene 'Erfahrungs­geschichte (S. J. Schmldt) anzuschheßen, Dies geschieht durch das Gene­rieren von Bedeutung im Leseakt. Zugleich entsteht für den Text in diesem Akt eine jeweils individuelle Situation. Fiktionale Texte sind bekanntlich mit wirklichen Situationen nicht identisch; sie verfügen nicht über eine reale Deckung. In dieser Hinsicht wären sie trotz ihres historischen Substrats, das sie mit sich führen, beinahe situationslos zu nennen, Doch gerade diese Offenheit befähigt sie dazu, viele Situationen zu bilden, die jeweils in der Lektüre durch den Leser hergestellt werden. Nur im Leseakt ist die Offenheit der fiktionalen Texte festzumachen.

Was aber verleitet nun den Leser immer wieder dazu, sich auf die Abenteuer der Texte einzulassen? Diese Frage zu beantworten hieße, anthropologische überlegungen anzustellen. Immerhin bleibt das Phä­nomen zu registrieren, daß offenbar eine ungebrochene Neigung besteht, als Leser die fiktionalen Risiken der Texte mitzumachen, die eigenen Sicherheiten zu verlassen, um in andere Denk- und Verhaltensweisen einzutreten, die keineswegs erbaulicher Natur sein müssen. Der Leser kann aus seiner Welt heraustreten, unter sie fallen, katastrophale Ver­änderungen erleben, ohne in Konsequenzen verstrickt zu sein. Denn die Konsequenzlosigkeit der fiktionalen Texte ermöglicht es, jene Weisen der Selbsterfahrung zu gewärtigen, die von den Handlungszwängen des Alltags immer wieder verstellt werden. Sie geben uns jene Freiheits­grade des Verstehens zurück die durch das Handeln immer wieder ver-, braucht, vertan, ja oftmals auch verschenkt werden. Zugleich halten fik­tionale Texte Fragen und Probleme parat, die sich ihrerseits aus dem Zwang des täglichen H andelns ergeben. So machen wir mit jedem Text nicht nur Erfahrungen über ihn, sondern au~ über uns. Dami~ solche Erfahrungen wirksam werden können, darf Sie der Text selbst mcht be­nennen . ... the Poet . . . never affirmeth!!, hatte schon Sir Philip 5idney gesagt, und das heißt daß die fiktionalen Texte so konstruiert sind, daß sie keine der ihnen v~n uns zugeschriebenen Bedeutungen restlos bestä-

Page 12: Wolfgang Iser, Die Appelstruktur der Texte

Wolfgang Iser

250 .. d' 1 d

.-L 'hre Struktur stan Ig zu so ehen S' • _L • uns urOl I . d ' d Inn_

ti "en, obglelOl sie. W n wir sie verein euugen, ann scheinen . o k erIelten. en d ' " b h Ib . t I d ' Sie gebungsa. ten v dlen daß Sinn stän Ig u er ? . ar 15. n

eh leser Bin_

uns deutlICh zu ma r ' unserer LebenspraxIs Immer S on V'orau . d fik ' ale exte . . hUb . s. sicht Sln non . . tens erst dann, wenn WIr 1 re n estlmm

Doch das merken WIr melS t-heit durch Bedeutung ersetzen.

Anmerkungen

A . st Interpretation and Dther Essays, New York (Delta 1 Susan Sontag, gam

Book) 41964, p. 14.

f VgJ. ibid., pp. ~ f. How to do Things with Words. Ed. by J. O . Urrnson 3 V gJ. J. L. Austm, , Cambrid e/Massachusetts 1962, pp. 1 ff. .

. sg _L h It berührt aum Susanne K. Langer, Feelmg and Form. e DIesen aUlver a h d'ffi 1 l' I h' k .

d 41 967 59' "The solution of tel cu ty les, t 10 , 10 the re-Lon on , p. . 1 f l' b ' d . . h hat art expresses is not actua ee lOg, ut I eas of feeling. cognltlon t at w . b 'd '

I does not express actual thlOgs and events ut I eas of thern! as anguage k r"b' 21960

5 VgJ. R. Inga rden, Das lit.erarische. Kunstwer , u I.ngen , pp. 261 ff. 6 A d' er Stelle müßte eme Ausemandersetzung mIt dem von Ingarden ge­br~u~e:en Begriff der "Unbestimmtheitsstellen " erfolgen, damit die hier vorgetragene Auffassung von einer sch:inbar verw~ndte~ Prob.~emst~I1ung deutlich unterschieden werden kann. Eme solche DiskUSSIOn wurde Jedoch den Rahmen eines Vortrags sprengen; deshalb soll sie später bei einer aus­führlichen Darstellung der hier nur skizzenhaft entwickelten überlegungen zum Problem literarischer Kommunikation.nachgeholt werden. Dafür wä­ren die folgenden Gesichtspunkte maßgebend: Ingarden benutzt den Be­griff der "Unbestimmtheitsstellen ", um literarische Gegenstände von realen, aber auch idealen abzugrenzen. Die "Unbestimmtheitsstellen " bezeichnen daher nur, was den literarischen Gegenständen fehlt: ihre allseitige Defi­niertheit beziehungsweise die Vollkommenheit ihres Konstituiertseins. Dem­zufolge kommt es für Ingarden im Kunstwerk vorwiegend darauf an, "un­erfüllte Ansichten" in "erfüllte" umzusetzen, und das heißt, sO viele "~nbestimrntheitsstell en " wie möglich durch den Kompositionsakt zu be­seitIgen. Damit wi rd nicht nur das latente Manko sichtbar, das ihnen an­haftet, sond:rn auch ihre deutliche Einschränkung auf den Darste~lungs­aspekt des Kunstwerks. Unbestimmtheit aber ist eine Rezeptionsbedmgung des Textes und daher ein wichtiger Faktor für den Wirkungsaspekt des Kunstwerks.

F~r Ingarden spielt jedoch diese Funktion kaum eine Rolle, wie es sidl seInem Buch Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks Tübingen 1968, entnehmen läßt . d d ' '. ' I siert

d ..' 10 em le RezeptionsbedlOgungen des Werkes ana Y wer en. Hier slOd 'ch d' . d ' " Kon-

es nl t etwa le Unbestimmtheitsstellen, die le

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Die Appellstruktur der Texte 251

kretisierung" des Kunstwerks bewirken v' I h ' d' " . " d ' d ' "K k ' le me r Ist es le Ursprungs emotion , le le on retisierung" des Text .. I'ch D . -

k 0 d I I'ch h" es ermog I t. er Wlrkungs-aspe t wir etzt I ler mit modifizierte K . d . o. .. h °k kl O' d ß d n ategonen er Emfuhlungs-ast etl er art, so a as Problem literarisch K 'k '" d BlOck .. F I I'ch . er ommum atton mcht In en I gerat. 0 g I smd "Unbestimmth ' 11" I d

N b "chl 'eh ' easste en a s as Weglassen von e ensa I em, meistens aber als Ergä d fi . f" ft ch " I ' . nzung e mert, wo ur Ingar-den 0 re t tnvla e Beispiele gibt (v gl p 49 . d' B d . h ' 11 " . . , m lesern an p. 44) "Un-

bestimmt easste en brauchen aber auch gar 'cht f f"ll . d I'ch" . m au ge u t zu wer en' gelegent I storen sie den künstlerischen Wert " 'ch d ' • o. , Ja, sie verm ten as Kunst-

werk, wenn Sie, wIe m modernen Texten entspreche d h D "b . f d f" . ' n zune men. aru er hlOaus or ern ur Ingarden die "Unbestimmtheitsst 11" . . . Ak·· .. L . e en nur eme ein-zige tlVltat vom eser: die der Ergänzung. Das aber h ·ßt· D A ff"l I d "U b' h . el . as u u-en er n esumm.t el~sstellen " tendiert auf eine Komplettierung der polyphone~. Harmome,. die fü~ Ing.arden eine Grundbedingung des Kunst­werks verkorpert. B~stll~mt Sieh die Ergänzung als Vervollständigung des Weggelassenen: so Wird Ihr undynamischer Charakter sichtbar. Offensicht­lich ;ermag die polyphone Har~on~e richtige und falsche Ergänzungen von~lflander zu sondern und damit die Ergänzung durch den Leser zu be­stätigen oder entsprechend zu korrigieren. Hinter einer solchen Auffassung ste~t d~~ klassische ~on.zeption des Kunstwerks, so daß es konsequenter­weise fur Ingarden nmtlge und falsche "Konkretisierungen" gibt.

7 Vgl. dazu Kathleen Tillotson, Novels 01 the Eighteen-Forties, Oxford (Pa­perback) 1962, pp. 28 ff. u. 33 und George H. Ford, Dickens and his Read­ers, Princeton 1955, p. 6.

8 Vgl. Tillotson, pp. 34 f. u. 36 f.

9 Als Dickens die erste, sehr billige Ausgabe seiner Romane veranstaltete, war ihr Erfolg mit demjenigen, den die späteren Ausgaben erzielten, über­haupt nicht zu vergleichen. Die erste Ausgabe von 1846/47 fiel nom in eine Zeit, in der Dickens in Fortsetzungen publizierte; vgl. dazu John Forster, The Lile 01 Charles Dickens I . Ed. by A.J.Hoppe, London 1966, p.448.­Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang zwei weitere Beispiele für die Reaktionen der Leser. Martin Chuzzlewit, ven Dickens selbst als einer seiner großen Romane bezeichnet, erwies sich bei der Erstveröffentlichung als Fehlschlag. Forster I, p.285 sowie Ford, p.43 sind der Meinung, daß dies durch die Umstellung des Publikationsmodus bedingt war; statt wie bisher wöchentlich, erschien dieser Roman in monatlichen FortSetzungen. Die Pause erwies sich als zu lang. Von Crabb Robinson wissen wir, daß er die in Fortsetzungen veröffentlichten Dickens-Romane so aufregend fand, daß er sich gelegentlich entschloß, lieber auf die Buchform zu wart~n, .um den "Angsten" zu entgehen, die das noch unabsehbare Geschehen m Ihm verursachte; vgl. Ford, pp. 41 f. - Darüber hinaus zeigten ~ie von ~~e Zu Woche komponierten Abschnitte, selbst dann, w~nn sie ~orgfaltl~er durchdacht waren, als dies anfänglich der Fall war, WI~ sehr sie au~ ~lr­kung hin organisiert waren. In der Buc:hform kam diese Komposltlons-

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Wolfgang Iser

252 . d f"h k .. ch d Vorschem un u rte zu fltlS en D .\

. dann entsprechen z2u3mf _ Zum besonderen Kontakt zwischen rA.tel eil

welse F d pp 1· ...L T'II Uto d Leser' vgl. or,' an vgl aum lotson, pp. 26 ff und r

er '. F etzungsrom ' d" 33 d Leser Ifn orts. daß der Fortsetzungsroman le "Iong su . un d Memung, B ...Lf . R cees_ T oJlope war er 'd t die in der um orm eInes omans '.J.. r I es" vermel e , nl\llt sion of dul pag . d' vgl. Tillotson, p. 40.

., I'ch zu umgehen sm , ganz I. 25 f. ..'

10 VgJ. TJllotson, pp. h Rh torie 0/ hetlon, Chlcago 1961, pp. 211 ff. Unt 11 WayneC.Booth, Te: l"able" und einem "unreliable narrator" oh

er-

. chen emem re I 'k' bl 'lle scheidet ZWIS h I f"r das KommUn! auonspro em ausZUWert ch d· Sachver a tu .. I·...L d . eil. jedo lesen " b'ldet dafür natur 101 en Interessanteren T " r able narrator I . ....L Ab·..L . Yp, Der unre 1 I" . keit' besitzt eme strategls01e SI01t, die sich a f . 'Unzuver asslg . h U

denn seme L durch den Text bezle t. die Steuerung ~~~ ese3rver Twist (The New Oxford Illustrated Dick:ens)

12 Vgl. Charles DHl\ens, I ,

Oxford 1959, pp. 12 f.

13 Ibid., pp. 14 f. A tomy 0/ Critieism, New York 51967, p. 73. 14 NorthroF~ IFd

r.ye

, jn;eph Andrews, Author's Preface (Everyman's Library). IS Henry le mg, 0 h d' / h' ff

London 1948, p. XXXI schreibt: From.~ e ~seove;y 0 . th

IS a e~tation arises the Ridieulous, whieh always sm es tde rea erhwlt hsurpnse a.nd

I . d that in a higher and stronger egree W en t e affeetation p easure, an . / d' . / h poer,'sy than when /rom vamty; or to JSeover anyone to anses rom y, . . .

be the exaet reverse 0/ that he a/feets, JS more ~urp~mng, and ~onsequen.tly ridieulous than to find him a litt/e deficzent zn the qualzty he deSITes

more , . Th H' f T the reputation of. Vgl. dazu ähnliche Außerungen In e lStory 0 om

Iones I (Everyman's Library), London 1962, p. 12. . . 16 Zu Einzelheiten vgl. Wolfgang Iser, "Der Leser als Komposltlonselement

im realistischen Roman' Wirkungsästhetisme Betramtung zu Thackerays Vanity Fair", in: Der implizite Leser (UTB 163), Münmen 1972, pp. 168-193.

17 W. M. Thackeray, The Letters and Private Papers III. Ed. by Gordon ~. Ray, London 1945, p. 391 äußerte in einem Brief: I have said somewhere It is the unwritten part 0/ books that would be the most interesting.

18 Zu Einzelheiten vgl. Wolfgang Iser, "Der Armetyp als Leerform . Erz~~I. modalitäten und Kommunikation in ]oyces Ulysses", in: Der implIZlu Leser (UTB 163), München 1972, pp. 300-358.

19 James Joyce, Portrait 0/ the Artist as a Young Man, London 1966, p.219. 20 E: H. ~ombrich, Art and Illusion, London 21962, p.287. Obgleich dieses

~Jtat Im Zusammenhang einer Constable-Diskussion steht, so bildet es do~ el.nen zentralen Gesichtspunkt der von Gombrim entwickelten These, die nicht nur für die Malerei Gültigkeit besitzt.

21 Vgl. dazu Reinha d B . h H L 'uratUr Z k f/? . raumgart, AusslC ten des Romans oder at I

u un . Neuwled und Berlin 1968 p 79 22 Sir Philip Sidn Th D 1 '" I Ed by

Alb . er, e e ence 01 Poesie. The Prose Works Il. . ert Feuillerat, Cambridge 1962, p.29.

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DER LESEVORGANG

Eine phänomenologische Perspektive~'

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Die phänomenologisme Kunsttheorie hat mit allem Nachdrudt darauf aufmerksam gemamt, daß die Betramtung eines literarischen Werks ni mt allein der Gegebenheit der Textgestalt, sondern in gleimem Maße den Akten seiner Erfassung zu gelten hat. Roman Ingarden stellte daher dem Schichten aufbau des literarismen Werks die Weisen seiner Konkre­tisation gegenüber.1 Der Text als solmer hält nur versmiedene "s<:hema­tisierte Ansichten" 2 parat, durm die der Gegenstand des Werks hervor­gebracht werden kann, während das eigentlime Hervorbringen zu einem Akt der Konkretisation wird. Daraus ließe sim folgern: Das literarisme Werk besitzt zwei Pole, die man den künstlerismen und den ästhetismen Pol nennen könnte, wobei der künstlerisme den vom Autor geschaffenen Text und der ästhetische die vom Leser geleistete Konkretisation be­zeichnet. Aus einer solchen Polarität folgt, daß das literarisme Werk weder mit dem Text noch mit dessen Konkretisation aussmließlich iden­tisch ist. Denn das Werk ist mehr als der Text, da es erst in der Konkre­tisation sein Leben gewinnt, und diese wiederum ist nicht gänzlim frei von den Dispositionen, die der Leser in sie einbringt, wenngleich sol me Dispositionen nun zu den Bedingungen des Textes aktiviert werden. Dort also, wo Text und Leser zur Konvergenz gelangen, liegt der On des literarischen Werks, und dieser hat zwangsläufig einen virtuellen Charakter, da er weder auf die Realität des Textes noch auf die den Le­ser kennzeichnenden Disposition~n reduziert werden kann.

Dieser Virtualität des Werks entspringt seine Dynamik, die ihrerseits die Bedingung für die von ihm hervorgerufene Wirkung bildet. Der Text gelangt folglich erst durch die Konstitutionsleistung eines ihn rezi­pierenden Bewußtseins zu seiner Gegebenheit, so daß ich das Werk zu seinem eigentlichen Charakter als Prozeß nur im Lesevorgang zu ent­falten vermag. Deshalb soll im folgenden immer nur dann vom Werk gesprochen werden, wenn sich dieser Prozeß in dem vom Leser gefor­derten und durch den Text ausgelösten Konstitutionsvorgang erfüllt.

Pas Werk ist das Konstituiertsein des Texte im Bewußtsein des Lesers.