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16 Natürlich | 12-2004 Reportage NATUR M alaysia präsentiert sich hochmodern, multikulturell, weltoffen – und reich. Flug- gäste erhalten einen ersten Eindruck davon, wenn sie von den ent- fernt liegenden Landebahnen mit laut- los gleitenden, superschnellen Zügen in die Ankunftshalle transportiert werden. Selbst das Hauptflughafengebäude von Kuala Lumpur wirkt durch massenhaften Einsatz von Marmor, Stahl und Glas futu- ristisch. Doch die Millionenstadt ist nur Sprungbrett nach dem wirklichen Malay- sia – einem Land voller Kontraste. Diese zeigen sich am besten in Sarawak: Die Provinz ist bis zu 70 Prozent mit Urwald bedeckt. Sie ist für Naturfreunde ein Paradies: Die Rafflesia, die grösste Blume der Welt, seltene Orchideen, zahllose Amphibien-, Reptilien-, und Vogelarten, wie auch Affen, leben im tropischen Ur- wald. Sarawak ist aber auch Heimat von 32 Völkergruppen: Iban, Bidayuh, Urang Ulu, um nur einige zu nennen. Sie faszi- nieren vor allem wegen ihrer Buntheit und Unterschiedlichkeit. Blutige Vergangenheit Von Kuala Lumpur geht es in eineinhalb Stunden nach Kuching. Die Provinz- hauptstadt ist Drehscheibe für Anschluss- Reisen in das Landesinnere und hält zahlreiche Überraschungen bereit: So werden Touristen nach Verlassen der Megametropole Kuala Lumpur kaum eine britisch anmutende Stadt erwarten, in der sich viele Europäer auf Anhieb heimisch fühlen. Fast ein bisschen ver- träumt, am Sarawak-Fluss gelegen, über- wiegen koloniale Bauten, in denen sich heute meistens chinesische Händler nie- dergelassen haben. Wenig romantisch ist allerdings die Stadtgeschichte: 1839 rebellierten ein- heimische Stämme gegen den Sultan von Brunei, der die damalige Oberhoheit über den strategisch günstig gelegenen Ort hatte. Brooke, ein britischer Abenteurer, gerade in Kuching angekommen, schlug sich auf die Seite des Sultans. Vor allem mit seiner Hilfe gelang es, die Rebellion nieder- zuschlagen. Zum Dank wurde Brooke zum Radscha von Sarawak ernannt. Malaysia ist Reiseland mit fast unbegrenzten Möglichkeiten. Besonders Sarawak bietet Touristen ein unvergessliches Urlaubserlebnis. Natur- freunde sind wegen der sagenhaften Flora wie Fauna begeistert – und das trotz des schonungslosen Raubbaus. Text und Fotos: Marion Kaden Wunderland

Wunderland · hauses gehören zu den Bidayuh, nach den Iban die zweitgrösste Völkergruppe. Wegen der Hitze findet das Leben aus-schliesslich unter sonnengeschützten Veranden vor

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Page 1: Wunderland · hauses gehören zu den Bidayuh, nach den Iban die zweitgrösste Völkergruppe. Wegen der Hitze findet das Leben aus-schliesslich unter sonnengeschützten Veranden vor

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Malaysia präsentiert sichhochmodern, multikulturell,weltoffen – und reich. Flug-gäste erhalten einen ersten

Eindruck davon, wenn sie von den ent-fernt liegenden Landebahnen mit laut-los gleitenden, superschnellen Zügen indie Ankunftshalle transportiert werden.Selbst das Hauptflughafengebäude vonKuala Lumpur wirkt durch massenhaftenEinsatz von Marmor, Stahl und Glas futu-ristisch. Doch die Millionenstadt ist nurSprungbrett nach dem wirklichen Malay-sia – einem Land voller Kontraste. Diesezeigen sich am besten in Sarawak: DieProvinz ist bis zu 70 Prozent mit Urwaldbedeckt. Sie ist für Naturfreunde einParadies: Die Rafflesia, die grösste Blumeder Welt, seltene Orchideen, zahlloseAmphibien-, Reptilien-, und Vogelarten,wie auch Affen, leben im tropischen Ur-wald. Sarawak ist aber auch Heimat von32 Völkergruppen: Iban, Bidayuh, UrangUlu, um nur einige zu nennen. Sie faszi-nieren vor allem wegen ihrer Buntheitund Unterschiedlichkeit.

Blutige VergangenheitVon Kuala Lumpur geht es in eineinhalbStunden nach Kuching. Die Provinz-hauptstadt ist Drehscheibe für Anschluss-Reisen in das Landesinnere und hältzahlreiche Überraschungen bereit: Sowerden Touristen nach Verlassen derMegametropole Kuala Lumpur kaumeine britisch anmutende Stadt erwarten,in der sich viele Europäer auf Anhiebheimisch fühlen. Fast ein bisschen ver-träumt, am Sarawak-Fluss gelegen, über-wiegen koloniale Bauten, in denen sich

heute meistens chinesische Händler nie-dergelassen haben.

Wenig romantisch ist allerdings dieStadtgeschichte: 1839 rebellierten ein-heimische Stämme gegen den Sultan vonBrunei, der die damalige Oberhoheit überden strategisch günstig gelegenen Orthatte. Brooke, ein britischer Abenteurer,gerade in Kuching angekommen, schlugsich auf die Seite des Sultans. Vor allem mitseiner Hilfe gelang es, die Rebellion nieder-zuschlagen. Zum Dank wurde Brookezum Radscha von Sarawak ernannt.

Malaysia ist Reiseland

mit fast unbegrenzten

Möglichkeiten. Besonders

Sarawak bietet Touristen

ein unvergessliches

Urlaubserlebnis. Natur-

freunde sind wegen der

sagenhaften Flora wie

Fauna begeistert – und das

trotz des schonungslosen

Raubbaus.

Text und Fotos: Marion Kaden

Wunderland

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Der kluge Stratege fand in Missionarenbald neue Verbündete. Innerhalb zweierGenerationen gelang den Kolonialisten,gewaltsam und oft mit dem Dahinschlach-ten ganzer Stämme, die Kopfjägerei zubeenden, Vasallen zum eigenen Schutzzu rekrutieren und die ganze Region unterihre Kontrolle zu zwingen. Im Stadt-museum ist einiges dokumentiert: Be-denklich jedoch muten Gedenktafelnoder Aussagen einheimischer Touristen-führer an. Henry, einer von ihnen, hältden gewaltsamen Tod seiner Vorfahren

für notwendig: «Damit endete die aber-gläubische Sitte, dass Krieger sich gegen-seitig die Köpfe abschlugen, um diese alskraftverstärkende Trophäen zu sammeln.»

Einen lebendigen Einblick in Vergan-genheit und Gegenwart der grössten Völ-kergruppen gewährt noch das «SarawakCultural Village» in der Nähe Kuchings.

Besuch im LanghausWer echtes Leben in einem traditionellenLanghaus erleben will, kann dies von

Kuching aus organisieren lassen. Einezweistündige, kurzweilige Fahrt mit demBus, durch bergige, abwechslungsreicheLandschaft, führt nach Anna Rais.

Bei der Ankunft trifft einem die feucht-schwüle Tropenhitze wie ein gewaltigerKeulenschlag. Nach kleiner Akklimatisie-rung dann ein erster Blick aufs Langhaus:auf Holzpfählen gebaut, zieht es sich an-scheinend unübersehbar dahin. Die Grössedes Stammes bestimmt die Länge einesHauses, und so kann es bis zu 100 Türen(es wird nicht in Metern gerechnet) langsein. Die jeweiligen Clan-Oberhäupterentscheiden, ob das Haus für Touristenzugänglich gemacht wird. Bei Einwilligungerhält der Stamm Geld und/oder andereVergünstigungen von der Regierung: Mög-lich sind beispielsweise der Bau vonWasserleitungen oder ein Stromanschluss,was allerdings nur in der Nähe von Strom-masten machbar ist.

Die Bewohner des besuchten Lang-hauses gehören zu den Bidayuh, nachden Iban die zweitgrösste Völkergruppe.Wegen der Hitze findet das Leben aus-schliesslich unter sonnengeschütztenVeranden vor den Eingängen zu denWohnungen statt. Der Länge nach undwie Perlen aufgereiht, gibt es hier etwaalle zehn Meter eine Eingangstür, hinterder sich der etwa 60 Quadratmeter grosseWohnraum einer Familie befindet.

Tradition versus ModerneRege Beschäftigung ist zu beobachten:Viele Frauen sind mit vorbereitendenBambus-Arbeiten beschäftigt. Sie zerteilenBambusrohre in feine Streifen, um diesespäter zu grossflächigen Matten zusam-menzuflechten. Ein älterer Mann kocht ineinem Bambusrohr Reis. Beständig drehter das Rohr über einem offenen Feuer.Der Reis bekommt durch diese Zube-reitung ein besonderes Aroma, lässt erdurch den Übersetzer erzählen.

Besonderen Einblick gewährt der30-jährige Edward: Er lebt 2 Wochenim Monat im Langhaus, die übrige Zeitarbeitet er als Purser (Verantwortlicher fürden Kabinenbereich eines Verkehrsflug-zeuges) bei der Malaysischen Airlines.Edward hält dieses Leben voller Ge-gensätze nicht für ungewöhnlich. Er drehtdemonstrativ den Wasserhahn auf oderzeigt im Wohnbereich auf Ledergarniturund TV-Gerät. «Mehr brauche ich nicht»,

Sarawak

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versichert er auf Englisch. Für ihn ist dertraditionelle Lebensstil wichtig, um denKontakt zur Familie aufrechtzuerhalten.

Wo der Pfeffer wächstIn der Sonne vor dem Langhaus wirdauf Strohschalen Pfeffer getrocknet, einesder wichtigen Exportprodukte Sarawaks.«Gourmets halten unseren Pfeffer für denbesten der Welt», sagt Li, der Übersetzer.«Er muss 10 bis 14 Tage in der Sonnetrocknen und darf keinerlei Feuchtigkeitenthalten. Dann hält er bis zu 2 Jahren.»

Schwarzer Pfeffer besteht aus demweissen Samen und der schützenden Haut.«Schwarzer Pfeffer ist aromatischer», sagtLi. Wird der Pfeffer samt Schale 2 Wochenlang in Wasser aufgeweicht, lässt sichanschliessend die Haut leicht entfernen.Der weisse Samen des Pfefferkorns bleibtzurück und wird ebenfalls 14 Tage in derSonne getrocknet. «Weisser Pfeffer istschärfer als schwarzer und wird bei unsfür Suppen verwendet», erklärt Li.

Grüner und vor allem roter Pfeffer,der gerne zu Dekorationszwecken einge-setzt wird, ist nur sehr begrenzt haltbar.Er wird direkt von der Rispe geerntetund nur kurz getrocknet. «Unser Pfefferist Grundlage für weitere Produkte wieSchokolade oder Parfüm», sagt Li, «undaus der Essenz des Pfeffers wird Öl ge-wonnen – für Liebhaber der besondersscharfen Küche genau das Richtige.»

Zauber gegen KrankheitDer wichtigste Raum eines Bidayuh-Lang-hauses war der Baruk. Hier brannte ein

ewiges Feuer. Das hatte praktische Gründe:In der Regenzeit war Feuer schwierig zuentfachen. Es wurde bewacht, sein Ver-löschen wurde als schlechtes Omen gewer-tet. Und: Im Rauch dieses Feuers wurdendie Schädel der Feinde geräuchert und da-mit konserviert. Christianisierung undFeuerzeuge machten diese Orte überflüs-sig. Bei den Bidayuh sind sie meistens ver-waist. Die Bodenbretter sind morsch, nurin der Nähe des Fensters liegt noch eineinsamer, vergessen wirkender Schädel.

John erklärt, noch die atavistisch-magische Fähigkeit zu besitzen, mit Geis-tern von Toten reden und sie bei Bedarf

Fakten zu MalaysiaBevölkerung: 23,5 Millionen. Davon

58 Prozent Malaien, 24 Prozent Chinesen,

8 Prozent Inder, 10 Prozent Andere

Bevölkerungsdichte: 74 Einwohner/km2

(Schweiz: 177 Einwohner/km2)

Fläche: 329 722 km2 (Schweiz: 41 285 km2)

Bruttosozialprodukt pro Kopf: 3890 US$

Amtssprache: Malaiisch

Religion: Seit 1963 Staatsreligion: Islam,

53 Prozent der Bevölkerung sind Moslems,

29 Prozent Buddhisten, 7 Prozent Hindus,

6,4 Prozent Christen, eine Minderheit ist

Anhänger von Naturreligionen

Wirtschaft, Export-Produkte: Elektronische

Geräte, Erdöl, Erdgas, Palmöl, Hölzer,

Holzprodukte, Kautschuk, Textilien,

Chemikalien

Parlamentarische Wahlmonarchie: Wahl

des Staatsoberhauptes alle 5 Jahre durch

die 9 Sultane

Parlament: Volksversammlung (Dewan

Rakyat) mit 219 Mitgliedern, alle 5 Jahre

gewählt (West-Malaysia 165, Sarawak 28,

Sabah 25, Labuan 1), Wahlrecht ab 21 Jahre

Staatsoberhaupt: Tuanku Syed Sirajuddin

ibni Almarhum Tuanku Syed Putra Jamalul-

lail, the Sultan von Perlis (seit 12. Dezem-

ber 2001)

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Sarawak

Der immergrüne Pfefferstrauch ist ein Lianengewächs, das an Stützpfählen bis zu 4 Meter hoch wird.

Malaysia ist geprägt von Gegensätzen. Modern auf der einen Seite…

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besänftigen zu können. «Unsere Schama-nen können Krankheiten auch heute nochdurch Beschwörung besiegen», sagt er.Dazu werden Puppen aus Holz geschnitzt,die Krankheit hineingezaubert und an-schliessend vom Schamanen in den Flussgeworfen. «Mit der Puppe verschwindetdie Krankheit – hoffentlich», sagt Johnverschmitzt. Natürlich sind auch vieleHeilkräuter bekannt, deren medizinaleVerwendung vor allem von Heilern weiter-gegeben wird. Mit ausladender Geste lädter zu einem längeren Aufenthalt im Lang-haus ein.

Urwald-AbenteuerAm nächsten Tag ist Kuching wieder Aus-gangspunkt: Verschiedene Nationalparks –Sarawak hat insgesamt 15 – können vonhier aus leicht erreicht werden. Der Bako-Nationalpark beherbergt beispielsweise dieselten gewordenen Nasen-Affen (nasalislarvatus). Unter Aufsicht von erfahreneneinheimischen Führern werden Wanderun-gen über die Insel angeboten. Wahlweisekönnen auch mehrere Stunden bis Tage imUrwald verbracht werden. Vor der Wande-rung ist eine möglichst ehrliche Selbstein-schätzung der eigenen Kondition und desallgemeinen Gesundheitszustandes nötig,um sich unangenehme Überraschungen zuersparen: Malaysia liegt im Wendekreis desÄquators. Die Durchschnittstemperaturliegt bei 29 Grad im Schatten bei hoherLuftfeuchtigkeit – da kommen nicht nurGeübte ins Schwitzen. Kreislaufstabilität,festes Schuhwerk und Befolgen der Anwei-

sungen der Touristenführer sind das A undO für unvergessliche Urwald-Erlebnisse.

Auch kurze Wanderungen könnenlohnend sein, denn sie zeigen einiges vomtäglichen Überlebenskampf der Arten imUrwald: Um sich Fressfeinde vom Leibezu halten, sind zum Beispiel viele PflanzenDornen bewehrt. Das Studium der riesigen,variantenreichen Blattformen gibt Auf-schluss, unter welchen schwierigen Be-dingungen Pflanzen am Urwaldboden ver-suchen, noch Licht zu ergattern. Ein biss-chen Glück gehört dazu, den NasenaffenOrang Belanda (in malaiischer SpracheSpitzname für Holländer ) zu beobachten.Doch dann sind sie unüberhörbar – schnat-ternd, lärmend und krachend ziehen siedurch die Bäume. Ein gutes Fernglasermöglicht nähere Ansichten als nur vor-überhuschende weisse Schwanzenden inentfernten Wipfeln. Jene, die nicht dasGlück hatten, den Affen zu begegnen,werden trotzdem nicht enttäuscht sein:Der Geruch des feuchten Bodens, fremdeGeräusche und viele Wunder am Weges-rand hinterlassen bleibende Impressionenund machen Lust auf mehr.

Das ReisfestDas alljährliche Reisfest «Nagaban GawaiDayak» der Provinz (Ende Mai, AnfangJuni, berechnet nach dem Mondkalender)ist etwas Besonderes: Bei keiner anderenGelegenheit können die bunten Völker-gruppen so hautnah erlebt werden. Fürviele markiert das Fest das Ende der erstenReisernte und gleichzeitig den Beginn der

neuen Pflanzzeit. Bei dem Familienfestkommen alle zusammen, um die Vorfahrenzu ehren und um sie um eine gute Erntezu bitten. Das Fest hat nationale Bedeu-tung: Der König und die neun SultaneMalaysias reisen an, um daran teilzuneh-men. Jedes Jahr wird es in einer anderenStadt Sarawaks zelebriert. 2004 war Mirian der Reihe.

Exotik purOrganisationstalent ist gefragt, denn Mirikann nicht mit repräsentativen Gebäudenaufwarten. Der offizielle Empfang wirdim Erdgeschoss eines Hochhaus-Rohbausgegeben, woran sich aber niemand zustören scheint. So sitzen die Würdenträgerzwischen Betonsäulen auf Leder-Sesselnund beschäftigen sich eifrig mit ihrenMobiltelefonen – bis der König kommt.Seine Ankunft wird mit rhythmischenTrommeln und dem Blitzlicht-Gewitterder Fotografen begleitet. Lächelnd durch-schreitet der König ein Spalier besondererArt: Junge Frauen stehen mit Geschenken

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…sehr traditionell auf der anderen.

Wegen der Hitze findet das Leben ausschliesslich unter den Veranden vor denEingängen zu den Wohnungen statt.

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bereit, um den König zu begrüssen. Man-deläugig, zauberhaft lächelnd, mit buntenSarongs bekleidet und reichem Silber-schmuck herausgeputzt, bieten sie Auslän-dern ein vollkommenes Bild asiatischerExotik. Das Gleiche gilt für die anwesen-den Clan-Oberhäupter: Sie haben Kopf-schmuck aus Federn oder fantasievoll ge-flochtenen Hüten. Besonders würdevollschauen Häuptlinge, die ihren Silber-schmuck auf nackter, tätowierter Hauttragen – allerdings sind einige in Anbe-tracht der rangelnden Medien-Meute sicht-lich irritiert.

SprachbarrierenDer König eröffnet das Fest mit einemRundgang durch improvisierte Ausstel-lungsräume, die durch Bambusmatten ab-getrennt sind. Hier sitzen meist Frauenentweder an Webrahmen oder flechtend.Andere zeigen, wie Tonkugeln mit ein-heimischen Mustern versehen werden. So

soll repräsentativ Arbeit, Leben undBeschäftigung ausgewählter Ethnien ge-zeigt werden. Der König interessiert sichmedienwirksam für diese Beschäftigungenund lässt sich mit seinen Untertanen foto-grafieren oder filmen.

Als die Festreden beginnen, nutzenInteressierte die Gelegenheit, sich ebenfallsumzusehen. Nicht alle Anwesenden schei-nen begeistert. Einige Stammesangehörigesitzen verloren in den Ecken und zeigendeutlich, dass sie eigentlich nicht ange-sprochen werden wollen. Ob ungewohnterUmgang mit Ausländern, Menschenscheuoder das Sprachproblem bei manchen derGrund der unüberwindlich scheinendenBarriere ist, wird nicht deutlich.

Schulpflicht im UrwaldAber nicht alle sind zurückhaltend. Vorallem einige Frauen treten hervor: AlsGeschäftsfrauen vertreiben sie einheimi-sche Waren im Namen ihres Stammes.Dazu haben sie oft ein Geschäft in einergrösseren Stadt der Provinz und sind denUmgang auch mit Ausländern gewohnt.Eine von ihnen ist Evelyn Saran. Siestammt vom Lun-Bawang-Stamm, der aufeinem Hochplateau im Norden Sarawaksbeheimatet ist. «Dort ist es viel kühler»,sagt sie lächelnd und trocknet ihrschweissnasses Gesicht. «Wir bauen Reis,Mais, Gurken und Äpfel an und verfügenüber ein Salzvorkommen», so Saran.

Seit etwa 1970 wird der Stamm mitStrom versorgt und bezieht Wasser ausmodernen Leitungssystemen aus den

Bergen. Der Schulunterricht wurde hier inden 80er-Jahren eingeführt. «Die Kinderhaben eine allgemeine 6-jährige Schul-pflicht. Sie absolvieren die Grundschulein den Dörfern. Weiterführende Schulengibt es nur in den grösseren Städten. Dannleben die Kinder im Internat und besu-chen ihre Familie nur in den Ferien»,weiss Saran. Den Internatsbesuch könnensich allerdings nur wenige Familien leis-ten. Die Regierung ist jedoch bemüht,durch Förderprogamme sozialen Aus-gleich zu schaffen. «Immerhin rund 15Prozent unserer Kinder gehen heute zurUniversität», sagt Saran nicht ohne Stolz.

Unbekannte VölkerstämmeÜber die Tanzaufführungen während desFestes freut sich besonders ein chinesisch-stämmiger Malaie. «Für uns ist das Dayak-Fest wichtig», sagt Chuan, «so haben wirGelegenheit, alle unsere Ethnien kennenzu lernen. Die meisten Malaien wissennämlich wenig oder gar nichts über sieoder ihre Lebensweisen.» Nachdenklichfügt er hinzu: «Einigen Stämmen, dienoch im Urwald leben, geht der aktuelleWandel von der alten zur neuen Lebens-weise zu schnell.» Und er erzählt weiter,dass diese Völkergruppen sich in der mo-dernen Welt nur schwer zurechtfinden. Zu-dem wird ihr Lebensraum durch Abholzendes Urwaldes immer mehr gefährdet.

Auch die von der Regierung propagier-ten Monokulturen von Palmöl, Pfeffer,Kautschuk oder Kaffee lässt manche Le-bensräume schrumpfen. Manche Stämme

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Trotz Abholzung: Dichter Dschungel fasziniert.

In den Urwäldern Sarawaks sind noch Orang-Utans anzutreffen.

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können nicht mehr vom Jagen oder denErträgen des Urwaldes leben. Deshalbsuchen viele junge Männer ihr Glück inden Städten. «Letztlich bleibt ihnen auchnichts anderes übrig», sagt Chuan, «dieMänner verdienen oft das Geld für denganzen Clan. Viele kehren selten oder garnicht mehr zurück.» Dadurch gehen auchwertvolle Kulturtechniken verloren: «Vonden Jungen kann zum Beispiel keinermehr ein Schwein so konservieren, dass esbei der tropisch-feuchten Hitze 2 Monatehält», bedauert Chuan, «diese Arbeit willsich heute auch niemand mehr machen –schliesslich gibt es Fleisch in Dosen.»

Wie weiter?Malaysia hatte von 1970 bis 1990 einestarke wirtschaftliche Wandlung durch-gemacht: Die Entwicklung verschiedenerIndustrien wie Bau von Halbleitern oderelektronische Geräte für den Export,hatte Wohlstand in das Land gebracht.Die Exportorientierung schaffte jedochgleichzeitig Abhängigkeit von westlichenIndustrienationen. Diese wirkte sich2001/02 mit dem weltweiten Einbruchder Informations-Technologie sehr nega-tiv auf die malaiische Wirtschaft aus. Seit-her versucht die Regierung eine Um-orientierung und entdeckte den Massen-

tourismus als einträchtige, zukünftigeGeldquelle.

Um die Artenvielfalt und die reichennatürlichen Ressourcen zu erhalten, wur-den verschiedene zukunftsweisende Pro-gramme initiiert: Zum Beispiel die Entwick-lung des nachhaltigen Öko-Tourismus.Diese sanfte Form soll in kontrollierterWeise den Erhalt der Arten sichern undtrotzdem die touristische Nutzung des Ur-walds ermöglichen. Eine schwierige Grat-wanderung, die nicht nur Anerkennungfindet. Umwelt- und Menschenrechtsorga-nisationen prangern den Ökotourismus alsAugenwischerei an. Von den Organisatio-nen wird regelmässig auf den teilweisenrigiden Umgang mit den Völkergruppenhingewiesen, wenn es um die Durchsetzungwirtschaftlicher Interessen geht. Nutznies-ser bei der Ausbeutung der natürlichenRessourcen (Erdölproduktion oder Abhol-zung wertvoller Tropenhölzer) sind, wieKritiker meinen, vor allem internationaleKonzerne und die malaiische Regierung.Nicht jedoch die im Urwald beheimatetenVölkergruppen, die kaum eine parlamen-tarische Mitsprache oder Lobby haben. ■

Auf Leben und TodDer Kampf gegen die Abholzung des Regen-

waldes in Sarawak ist eng mit einem Namen

verbunden – Bruno Manser. Der Schweizer, der

6 Jahre lang in Borneo bei dem nomadischen

Volksstamm der Penan lebte, bezahlte sein

Engagement wahrscheinlich mit dem Leben.

Seit Ende Mai 2000 gilt der weltweit aner-

kannte Umwelt- und Menschenrechtsschützer

als verschollen. Nur wenige wagen zu hoffen,

dass er noch am Leben ist. Um auf die Rodung

des Regenwaldes und damit die Zerstörung

des Lebensraumes der Penan aufmerksam zu

machen, zog Manser sämtliche Register:

Er trat beispielsweise in einen 60-tägigen

Hungerstreik vor dem Berner Bundeshaus oder

führte spektakuläre Aktionen wie den toll-

kühnen Fallschirmabsprung über dem Genfer

UN-Sitz durch. Damit machte sich Manser bei

der malaysischen Regierung höchst unbeliebt.

Der einstige Meistersenn aus Bern erhielt ein

Einreiseverbot und wurde, als er sich nicht

daran hielt, von der malaysischen Polizei

steckbrieflich als kommunistischer Anführer

gesucht. Das kam einem Todesurteil gleich.

Sein Ende wird wahrscheinlich ein Geheimnis

bleiben. International tätige Organisationen

wie Greenpeace fordern schon lange und bis-

her erfolglos Aufklärung über das Verschwin-

den Mansers. Sein Engagement und persönli-

cher Einsatz bleibt jedoch lebendig. Seine

Aufzeichnungen, die er während seines

Zusammenlebens mit den Penan (1984–1990)

machte, sind kürzlich unter dem Titel «Tage-

bücher aus dem Regenwald» erschienen.

Darin beschreibt Manser den täglichen Über-

lebenskampf im Urwald, der keineswegs para-

diesisch, sondern hart und entbehrungsreich

ist. Mit seinen detaillierten Aquarellen vermit-

telt er ausserdem sehr persönliche Bilder.

Nicht zuletzt wird das Lebenswerk Mansers

durch einen Fonds, den er 1991 gründete, fort-

geführt. Durch Spenden kann den bedrohten

Völkern indirekt geholfen werden – was sicher-

lich ganz im Sinne Mansers ist.

Manser, Bruno: Tagebücher aus dem Regen-

wald, Gva & Frieden, Mai 2004, 670 Seiten.

broschiert, ISBN: 3856162321

www.bmf.ch

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Einigen Stämmen geht der Wandel von der alten zur neuen Lebensweise zu schnell.

Durch Abwanderung in die Städte geht wertvolle Kulturtechnik verloren.