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Zeit der Wunder oder Tacawayas Lied

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Leseprobe: Daniela Goers: Zeit der Wunder oder Tacawayas Lied, ISBN: 978-3-86196-652-2, Taschenbuch, 290 Seiten. Einer alten Prophezeiung zufolge ist der 14-jährige Magier Faith der Einzige, der die Menschheit vor einem bösen Zauberer retten kann. Obwohl Faith diesen nicht töten will, macht er sich gemeinsam mit seinen Freunden Renda und Grow und seinem Pegasus Hero auf die Suche nach dem Zauberer.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Titelbild: Gemma CapdevillaIllustration Cover und S.3: Kit Wai Chan, fotoliaLektorat: Hedda EsselbornSatz: Alexandra Oswald

1. Auflage 2011ISBN: 978-3-86196-052-2

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Copyright (©) 2011 by Papierfresserchens MTM-Verlag Heimholzer Straße 2, 88138 Sigmarszell, Deutschland

www.papierfresserchen.de [email protected]

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Daniela Goers

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Langsam veränderte der Himmel seine Farbe. Das Dun-kel der Nacht wurde von den ersten morgendlichen Son-nenstrahlen verdrängt. Der Anblick war atemberaubend. Der rosarote Himmel war durchzogen von lila Streifen und die noch schwachen Sonnenstrahlen tauchten alles in ein wunderschönes, faszinierendes Licht.

Faith legte den Kopf in den Nacken und wunderte sich. Er wunderte sich, dass er jeden Morgen neu den Son-nenaufgang bewundern konnte. Obwohl er doch wusste, wodurch dieses Farbenspiel zustande kam. Dass Deutsch-land sich drehte und das Licht je nach Eintrittswinkel in die künstliche Atmosphäre gebrochen wurde, sodass der rote Bestandteil eben für dieses wunderschöne Morgenrot sorgte. Und er wunderte sich, dass anscheinend alle an-deren Menschen dieses herrliche Schauspiel als alltägliche Selbstverständlichkeit ansahen und ihm keine Beachtung schenkten.

„Aber“, dachte Faith, „ich hatte mich auch gewundert, dass es auf ganz Deutschland keine Bäume, Büsche oder Blumen gab“.

Natürlich wurden in den Gewächshäusern der großen Lebensmittelfabriken Obst- und Gemüsepflanzen gezüch-tet, korrigierte er seine Gedanken, aber an keiner Straße war auch nur ein einziges kleines Bäumchen zu finden; und was ein Garten oder ein Stadtpark war, wusste man nur noch aus den Geschichtsbüchern.

Und davon besaß Faith viele. Er interessierte sich sehr für Geschichte, denn er hielt es für wichtig, alle Zusam-

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menhänge zu kennen, damit ein Fehler nicht mehrmals ge-macht wurde.

Daher wusste er über Personen Bescheid, von denen andere Leute bestenfalls schon mal gehört hatten. Zum Beispiel von Rocky Future.

Er war es gewesen, der diese superschnellen Raum-schiffe entwickelt hatte, mit denen man in wenigen Tagen von einer Galaxie zur nächsten reisen konnte.

Am 26. Juli 2653 war der erste Girder, wie man die Raumschiffe taufte, von einer erfolgreichen Forschungs-mission auf die Erde zurückgekehrt. Daraufhin hatte ein wahres Forschungsfieber um sich gegriffen, bei dem fast alle Geheimnisse des Universums aufgeklärt wurden. Man begann, auf einigen geeigneten Planeten ganze For-schungsstädte zu errichten und Menschen dort anzusie-deln. Doch das war schon lange her; inzwischen waren zig Planeten bevölkert worden und Reisen von einem zum an-deren etwas ganz Alltägliches.

Im Jahre 2817 hatte eine gewisse Hope Tearup die WU (Nachfolger einer sehr viel früheren EU) davon überzeugen können, dass die großen Probleme der Menschheit – Krieg, Hunger und Überbevölkerung – dadurch behoben werden könnten, dass jedes Land einen eigenen Planeten für sich bekam. Zur besseren Übersicht wurde dieser nach dem je-weiligen Land benannt.

Zunächst schien der Plan wohl auch aufzugehen, doch dann meldeten sich immer mehr Stimmen, die nach Ver-besserung schrien. Minderheiten, wie Indianer und Ab-origenes, die keinen eigenen Planeten bekommen hatten, fühlten sich betrogen und unter den Angehörigen ein und desselben Landes brachen Glaubenskonflikte aus. Dies führte zu neuen Kriegen. Doch im Gegensatz zu damals konnte man dieser Art von Bürgerkrieg nicht entkommen,

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indem man in einem kleinen Boot das Meer überquerte, denn der Krieg wütete ja auf dem gesamten Planeten, und Girder landeten dort aus Sicherheitsgründen keine mehr.

Faith dachte an Äthiopien, seinen Heimatplaneten. „Wahrscheinlich ist das der einzige Planet überhaupt, auf dem es noch Bäume und Büsche gibt“, überlegte er.

Den Äthiopiern war die Erde als neue Heimat zuge-wiesen worden; auf allen anderen Planeten hatte es zum Zeitpunkt der Besiedlung keine Pflanzen gegeben und es wurde nicht viel daran geändert. Aber immerhin hatte man es geschafft, diese ganzen Planeten bewohnbar zu machen – wenn auch niemand genau wusste, wie. Und eigentlich war es ja auch egal, nur die Sache mit den Pflanzen störte Faith gewaltig, denn mit denen hatte man auch die meis-ten Tierarten auf Äthiopien zurückgelassen.

Jedes Mal, wenn Faith daran dachte, bekam er schreck-liches Heimweh. Er fühlte sich nicht nur mit den Menschen dort verbunden – das tat er hier auf Deutschland auch – sondern auch mit den Pflanzen und Tieren. „Wie kann man nur auf einem so wunderbaren Planeten einen Krieg an-fangen?“, fragte er sich.

Vor zehn Jahren war aus einem heute unbekannten Grund ein Krieg zwischen hell- und dunkelhäutigen Äthio-piern ausgebrochen. Es war noch immer kein Frieden in Sicht. Faith war vier Jahre alt, als der Krieg begann. Die Bil-der der Toten, die auf den Straßen lagen, hatten sich für immer in sein Gedächtnis gebrannt. In dem kleinen Dorf, in dem Faiths Familie lebte, kannte jeder jeden, sodass die meisten Toten keine Unbekannten für Faith gewesen wa-ren.

Damals hatte Faith sich von ganzem Herzen gewünscht, von dort weg zu kommen. Und unglaublicherweise war es seinen Eltern tatsächlich irgendwie gelungen, ein Educa-tion-Visa für ihn zu bekommen, das ihm den Schulbesuch

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auf einem anderen Planeten ermöglichte. So war Faith auf Deutschland gelandet, wo er fleißig lernte, um eines Tages als Lehrer zu Äthiopien zurückzukehren. Auf Deutschland, wo es keine Bäume gab, aber diesen wunderschönen Son-nenaufgang ...

Plötzlich spürte Faith etwas Weiches unter seinem Schuh. Er blickte nach unten. „Scheiße!“ Mussten diese Idioten ihre Hunde überall hinmachen lassen? Wer sich einen Hund anschaffte, musste auch die Haufen wegneh-men! Faith zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und versuchte, seinen Schuh zu reinigen.

Grow bog sich vor Lachen.„Ja, ja, das findest du wieder lustig!“„Ich lache ja nicht über dich“, versuchte Grow seinen

Freund zu beschwichtigen, „ich freue mich bloß, dass ich nicht reingetreten bin.“

„Hey, Nigger, lassʼ doch dran! Passt doch so gut zu dei-nem Gesicht!“

„Und der Gestank auch!“ Von der anderen Straßenseite grölten Ally und seine Clique herüber.

„Das heißt Neger, du Dummkopf!“, brüllte Faith über die vorbeifahrenden Somos (so nannte man die Solarmo-bile) hinweg zurück. „Das kommt aus dem Spanischen und bedeutet schwarz!“

„Die Sprache ist so tot wie du gleich!“, schrie Ally und schickte sich an, die Straße zu überqueren. „Mit deinen weißen Haaren siehst du aus wie ein schwarzer Scheißhau-fen mit Sahnehäubchen!“ Seine Kumpels johlten.

Faith blickte sich rasch nach Grow um. Wie er erwartet hatte, bereitete dieser sich bereits darauf vor, sich mit Ally und Co. zu prügeln. Er streckte die Hand aus und berührte ihn sanft an der Schulter.

„Lass es, das lohnt nicht.“

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„Was?“, rief Grow aufgebracht. „Du willst diese Beleidi-gungen einfach hinnehmen?“

„Nein“, entgegnete Faith ruhig. „Aber die“, er nickte mit dem Kopf Richtung Ally, „die können ja nichts dafür, dass sie so blöd sind. Wir als intelligente Wesen prügeln uns nicht.“

„Auch wahr“, erwiderte Grow, doch richtig überzeugt klang er nicht.

„Und“, fügte Faith deshalb hinzu, „wir können viel schneller laufen, weil die bei jedem Schritt erstmal ange-strengt nachdenken müssen, wie das überhaupt geht.“

Die Freunde sahen zur Straße hinüber, auf der Ally und seine Kumpel fluchend zwischen den ihnen den Weg ver-sperrenden Somos standen, ihnen böse Blicke zuwarfen und mit Gesten signalisierten, dass die beiden bald ihre Zähne verlieren würden.

„Stimmt“, meinte Grow, „die kommen überhaupt nicht vorwärts.“

Diese Feststellung ließ Faith und ihn laut loslachen. Sie sahen sich an, dann drehten sie sich um und rannten los, Richtung Schule.

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„Geschafft. Endlich!“ Faith stand auf dem Schulhof und streckte sich. Es war 17 Uhr. Für heute hatte er die Schule überstanden. „Jetzt muss ich nur noch heile nach Hause kommen.“

Auf dem Schulgelände war Faith vor Ally und seinesglei-chen relativ sicher, aber ansonsten hatte er immer wieder mit Rassisten zu kämpfen. Und ausgerechnet heute, wo er sich gleich morgens mit einigen von ihnen angelegt hatte, blieb Grow länger, um an seiner Boxen-AG teilzunehmen. Faith sah sich um, um sicherzugehen, dass ihn niemand be-lauerte, dann machte er sich auf den Weg.

Renda ging zielstrebig los. Ihr entschlossenes Gesicht verriet, dass sie sich von Dingen, die sie sich in den Kopf gesetzt hatte, nicht wieder abbringen ließ. Was andere da-rüber dachten, war ihr relativ egal. Sollten sie doch alle für verrückt halten, aber dieses eine Mal wollte sie endlich Ge-wissheit haben!

„Guck nicht so, als wenn du Angst hättest. Kopf hoch, Schultern locker hängen lassen.“ Faith stand kurz davor, in Panik auszubrechen. Er fühlte sich beobachtet und erwar-tete hinter jeder Ecke einen Hinterhalt. Hätte er heute Mor-gen doch nur nicht auf das dumme Gequatsche reagiert!

„Gleich bin ich zu Hause“, beruhigte er sich selbst, „auf den letzten paar Metern wird jetzt auch nichts mehr pas-sieren.“

„Au!“ Irgendetwas hatte ihn hart am Hinterkopf getrof-

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fen. Er blickte sich um. „O nein!“ Hinter ihm kamen Ally und einige seiner Freunde die Straße entlang. Sie schossen mit Zwillen Steine auf ihn ab. Hektisch drehte Faith sich um. Von vorn kamen ebenfalls Jungen mit Zwillen auf ihn zu. Er saß in der Falle!

Die Jungen grinsten. Panische Angst kroch in Faith hoch. Sie würden ihn fertigmachen. Außer den Teenagern waren keine Fußgänger unterwegs – und selbst wenn; die Leute sahen doch sowieso immer weg. Faith spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. „Ich bin verloren!“ Da plötzlich sah er sie. Die kleine Lücke zwischen den himmelhohen Häusern. Ohne viel darüber nachzudenken, sprintete er los.

„So, hier muss es sein.“ Die große Kreuzung war mit So-mos überfüllt – wie immer. Auch sonst gab es hier nichts, was ungewöhnlich wirkte.

Renda blickte sich um. Vielleicht war es versteckt. Doch so sehr sie auch mit den Augen die Umgebung absuchte, sie konnte nichts entdecken. Vor Enttäuschung wäre sie am liebsten gleich wieder nach Hause gegangen, aber irgend-etwas sagte ihr, dass sie an genau diesem Ort sein sollte. Also wartete sie.

Ally und seine Jungs waren verdammt schnell. Faith keuchte und japste nach Luft. Seine einzige Chance, heil aus dieser Sache herauszukommen, bestand darin, um möglichst viele Ecken zu rennen, um so seine Verfolger abzuschütteln. Als er sich nach ihnen umsah, hätte er fast einen Jungen umgerannt, der auf dem Gehweg stand und in der Gegend herumguckte. Faith stotterte eine Entschul-digung und bog um die nächste Ecke.

„Hey, lasst den Jungen in Ruhe!“, brüllte Renda aus Leibeskräften, während sie versuchte, mit den Schläger-

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typen Schritt zu halten. Die aber lachten nur und rannten schneller. Schon an der nächsten Ecke hatten sie Renda ab-gehängt.

„Verdammt!“ Sie lehnte sich schnaufend an eine Haus-wand. Bei den vielen Abzweigungen war es unmöglich zu sagen, welchen Weg die anderen genommen hatten.

„O nein!“ Faith war wie vor den Kopf geschlagen. Er war so weit gekommen, und jetzt stand er vor einer Wand. Sackgasse. Hektisch sah er sich nach einem Versteck um, aber hier gab es nichts; weder Hauseingänge noch Müll-tonnen noch sonst irgendetwas. Nur eine dreckige alte Kloschüssel, die wahrscheinlich jemand aus dem Fenster geworfen hatte, lag auf dem Boden.

Klonk! Dicht neben ihm knallte ein Stein gegen die me-tallene Hauswand. Faith fuhr zusammen und herum. Mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht kam Ally auf ihn zu geschlendert. Bei diesem Anblick überkam Faith eine Wahnsinnswut. Am liebsten hätte er – was? Ally zu-sammengeschlagen? Und seine ganze Bande gleich mit? Als ihm klar wurde, dass er keine Möglichkeit hatte, sich irgendwie zu verteidigen, wurde die Wut von einer über-mächtigen Angst verdrängt.

Ally warf seinen Kumpeln einen Blick zu und diese stürzten sich wie auf Kommando auf Faith.

Es durchzuckte sie wie ein Blitz. „Das ist doch der Junge von vorhin!“ Jetzt hatten ihn diese Mistkerle also erwischt. Diese Sackgasse kannte sie doch! Die war nur zwei Straßen entfernt. Ohne lange zu überlegen, rannte Renda los, um dem fremden Jungen zu Hilfe zu eilen.

Während er die alte Kloschüssel aufstellte, rief Ally Faith zu: „Jetzt kommst du dahin, wo du hingehörst!“