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Ver- und Entsorgung 1 2011 E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T · BERGBAU Energie Wasser Abfall die Fachbereichsbeilage Welche Rolle kommt den Konzernen in 20 Jahren zu? Werden es die Stadt- werke sein, die künftig die entschei- dende Rolle spielen? Das kommt da- rauf an, ob die Energieversorgung künf- tig dezentral oder weiterhin zen- tral aufgebaut ist, mei- nen Experten. Das aber ist noch längst nicht ausge- macht. In den vergangenen Jahren hat die Liberalisierung Pflöcke eingerammt und die Branche durcheinandergewirbelt. Die Regulie- rungspraxis der Bundesnetzagentur hat die Unternehmen gravierend verändert, die Netzbetreiber mussten sich neu auf- stellen. „Dieser Prozess wird weiter- gehen“, ist Andreas Scheidt, Sprecher der ver.di-Bundesfachgruppe Energie und Bergbau, überzeugt. Doch eines kommt noch hinzu: Politische Wei- chenstellungen forcierten den Ausbau der erneuerbaren Energien. ver.di muss sich frühzeitig auf die Veränderungen einstellen, betont auch Sven Bergelin, Leiter der Bundesfach- gruppe Energie und Bergbau. Mit der Veranstaltungsreihe, die die Bundes- fachgruppe ins Leben gerufen hat, soll die Diskussion auf eine breite Ba- sis gestellt werden. Die erste Veranstaltung zur den Ver- änderungen in der Energiewirtschaft fand am 1./2. Februar in Hannover statt. Sie war der Startschuss für die Dis- kussionen in den Bezirken. Es sollen viele Kolleginnen und Kollegen ein- bezogen werden, um den Sachverstand der Praktiker vor Ort zu nutzen. Die Ergebnisse der Diskussionen sollen in einer Abschlussveranstaltung zusam- mengefasst werden. Sie werden die Grundlage für die weitere gewerk- schaftliche Arbeit der Bundes- fachgruppe sein. Seite 3 FACHBEREICH Sozialwahl 2011: Wählen ist Ehrensache Zum 1. Juni wird wie- der zu Sozialwahlen aufgerufen. Aller- dings: Es gibt keine Wahllokale. Stattdessen flattern Brie- fe ins Haus. Seite 2 DEMOGRAFIE Denn nur der alte Wolf kennt sein Revier „Wo liegen die Probleme und wie kön- nen wir sie gemeinsam lösen?“, frag- te die Podiumsdiskussion des ver.di- Workshops vom 3. und 4. März mit dem Titel „Demografischer Wandel – eine Herausforderung für die Abfall- wirtschaft“. Seite 4 ABFALL Abgewehrt Es stand Spitz auf Knopf. Die Vorbe- reitungen für einen Streik liefen auf Hochtouren. Doch dann lenkten die Ar- beitgeber doch noch ein. Seite 6 ENERGIE Wir brauchen keine Richtlinie Die EU bastelt an einer Dienstleis- tungskonzessionsrichtlinie. Das Ziel: Die nationalen Vorgaben der 27 Mit- gliedsstaaten für die Vergabe von Kon- zessionen sollen vereinheitlicht wer- den. ver.di kann der Richtlinie rein gar nichts abgewinnen. Seite 6 Mehr Geld erst nach Streik Für RWE war es ein Novum. Erstmals in der 91-jährigen RWE-Geschichte ha- ben die Beschäftig- ten für mehr Geld gestreikt. Mit Erfolg. Erst schloss RWE ab, dann Vattenfall. Die Beschäftig- ten der beiden Energiekonzerne be- kommen 3,4 Prozent mehr Geld. Seite 7 JUGEND Boxen für die Übernahme „Stand up and fight!“ stand auf der großen Bühne: Drei Tage lang disku- tierten 260 JAV-Vertreterinnen und Ver- treter der Fachbereiche Ver- und Ent- sorgung und Verkehr. Seite 8 WASSER Re-Kommunalisierung ist der richtige Weg Der EU-Binnenmarkt, die Dienstleis- tungskonzession, die interkommuna- le Zusammenarbeit – wenn die Pläne Wirklichkeit werden, die in Brüssel und Berlin ausgebrütet werden, wird die Wasserwirtschaft in Deutschland durch- gerüttelt. Seite 8 Nach den Veränderungen der vergangenen Jahre steht der Ener- giewirtschaft in Deutschland womöglich noch ein heftiges Beben bevor. Experten prophezeien, dass sich die Branche in den kom- menden Jahren weiter gravierend verändern wird. Und das hat Auswirkungen auf die Beschäftigung und auf die gewerkschaftli- che Arbeit. Die Bundesfachgruppe Energie und Bergbau hat des- halb eine Veranstaltungs- und Diskussionsreihe ins Leben geru- fen, die sich mit diesen Veränderungen und ihren Folgen für die Gewerkschaftsarbeit befasst. Zentral oder dezentral? Das ist die entscheidende Frage Energiewirtschaft muss sich neu erfinden – Umstrukturierung geht weiter Bei der Bard-Gruppe laufen die Vor- bereitungen für den Probebetrieb ih- rer neu entwickelten Windturbine mit 6,5 MW Leistung, die für den Einsatz auf See vorgesehen ist. Damit erhöht der Spezialist für Offshore-Windtur- binen die Generatorleistung im Ver- gleich zum bisherigen Bard 5.0-Modell um gut ein Drittel. Aktuell hätte Bard damit die größte Offshore-Windkraftanlage, da REpo- wer bei seiner erweiterten Maschine auf eine Leistung von 6,05 MW kommt. Allerdings sind weitere An- lagen in der 6-MW-Klasse in der Ent- wicklung, unter anderem von Siemens und Nordex. Wie schon bei den ersten beiden Wind- turbinen, die im Winter 2007 ans Netz gingen, testet Bard die Neuentwick- lungen wiederum an der Emsmündung im Rysumer Nacken bei Emden. Am heu- tigen Montag beginnt der Aufbau des zweiten Prototypen. Dafür wird das Maschinenhaus der vorhandenen Bard 5.0-Anlage vom Turm geholt und ge- gen die neue Gondel ausgetauscht. Genau dieses Procedere hatte bei der Bard-Gruppe testet neue Offshore-Windturbine Die seit Jahresanfang 2011 in Kraft ge- tretene Besteuerung von Kernbrenn- elementen beschert Ländern und Kom- munen in Nordrhein-Westfalen Steuer- mindereinnahmen von mehr als 200 Mio. Euro pro Jahr. „Wir fordern vom Bund einen raschen Ausgleich für diese Min- dereinnahmen“, sagte Wirtschafts- minister Harry K. Voigtsberger (SPD). Das Bundesland stehe für eine nachhaltige Energiepolitik ohne Kernkraft. „Es kann nicht angehen, dass wir vom Atomkurs der Bundesregierung auch noch steu- erlich benachteiligt werden.“ NRW will Ausgleich für Mindereinnahmen ersten Anlage bereits im Januar be- gonnen. Nach Unternehmensangaben soll die Testphase für die notwendige Zertifizierung dann Ende April begin- nen. Außerdem kündigte Bard an, dass parallel dazu die Vorbereitungen für die Serienfertigung der „Bard 6.5“ be- ginnen, die ab 2013 anlaufen soll. Beim Projekt „Bard Offshore I“, das zu 70 Prozent die Südwest-Gruppe über- nehmen will, sind nach derzeitigem Stand 15 Propeller komplett errich- tet, heißt es außerdem in der jüngs- ten Presseerklärung.

Zentral oder dezentral? Das ist die entscheidende …...giekonzept 2010 die KWK nicht ein - mal einer Erwähnung für Wert befun - den. Die Kolleginnen und Kollegen aus der KWK stehen

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Page 1: Zentral oder dezentral? Das ist die entscheidende …...giekonzept 2010 die KWK nicht ein - mal einer Erwähnung für Wert befun - den. Die Kolleginnen und Kollegen aus der KWK stehen

Ver- und Entsorgung 1•2011

E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T · B E R G B A U

Energ ie

Wasser

Abfa l l

die Fachbereichsbeilage

Welche Rolle kommt den Konzernen in20 Jahren zu? Werden es die Stadt-werke sein, die künftig die entschei-dende Rolle spielen? Das kommt da-rauf an, ob die Energieversorgung künf-tig dezentral oder weiterhin zen-tral aufgebaut ist, mei-nen Experten.

Das aber ist noch längst nicht ausge-macht.

In den vergangenen Jahren hat dieLiberalisierung Pflöcke eingerammt unddie Branche

durcheinandergewirbelt. Die Regulie-rungspraxis der Bundesnetzagentur hatdie Unternehmen gravierend verändert,die Netzbetreiber mussten sich neu auf-stellen. „Dieser Prozess wird weiter-gehen“, ist Andreas Scheidt, Sprecherder ver.di-Bundesfachgruppe Energieund Bergbau, überzeugt. Doch eineskommt noch hinzu: Politische Wei-chenstellungen forcierten den Ausbauder erneuerbaren Energien.

ver.di muss sich frühzeitig auf dieVeränderungen einstellen, betont auchSven Bergelin, Leiter der Bundesfach-gruppe Energie und Bergbau. Mit der

Veranstaltungsreihe, die die Bundes-fachgruppe ins Leben gerufen hat,soll die Diskussion auf eine breite Ba-sis gestellt werden.

Die erste Veranstaltung zur den Ver-änderungen in der Energiewirtschaftfand am 1./2. Februar in Hannover statt.Sie war der Startschuss für die Dis-kussionen in den Bezirken. Es sollenviele Kolleginnen und Kollegen ein-bezogen werden, um den Sachverstandder Praktiker vor Ort zu nutzen. DieErgebnisse der Diskussionen sollen ineiner Abschlussveranstaltung zusam-mengefasst werden. Sie werden dieGrundlage für die weitere gewerk-

schaftliche Arbeit der Bundes-fachgruppe sein.

Seite 3

FACHBEREICH

Sozialwahl 2011: Wählen ist Ehrensache

Zum 1. Juni wird wie-der zu Sozialwahlenaufgerufen. Aller-dings: Es gibt keine

Wahllokale. Stattdessen flattern Brie-fe ins Haus. Seite 2

DEMOGRAFIE

Denn nur der alte Wolf kennt sein Revier „Wo liegen die Probleme und wie kön-nen wir sie gemeinsam lösen?“, frag-te die Podiumsdiskussion des ver.di-Workshops vom 3. und 4. März mitdem Titel „Demografischer Wandel –eine Herausforderung für die Abfall-wirtschaft“. Seite 4

ABFALL

Abgewehrt

Es stand Spitz auf Knopf. Die Vorbe-reitungen für einen Streik liefen aufHochtouren. Doch dann lenkten die Ar-beitgeber doch noch ein. Seite 6

ENERGIE

Wir brauchen keine RichtlinieDie EU bastelt an einer Dienstleis-tungskonzessionsrichtlinie. Das Ziel:Die nationalen Vorgaben der 27 Mit-gliedsstaaten für die Vergabe von Kon-zessionen sollen vereinheitlicht wer-den. ver.di kann der Richtlinie rein garnichts abgewinnen. Seite 6

Mehr Geld erstnach Streik Für RWE war es ein Novum. Erstmals in der 91-jährigenRWE-Geschichte ha-ben die Beschäftig-ten für mehr Geld

gestreikt. Mit Erfolg. Erst schloss RWEab, dann Vattenfall. Die Beschäftig-ten der beiden Energiekonzerne be-kommen 3,4 Prozent mehr Geld.

Seite 7

JUGEND

Boxen für die Übernahme„Stand up and fight!“ stand auf dergroßen Bühne: Drei Tage lang disku-tierten 260 JAV-Vertreterinnen und Ver-treter der Fachbereiche Ver- und Ent-sorgung und Verkehr. Seite 8

WASSER

Re-Kommunalisierung ist der richtige Weg Der EU-Binnenmarkt, die Dienstleis-tungskonzession, die interkommuna-le Zusammenarbeit – wenn die PläneWirklichkeit werden, die in Brüssel undBerlin ausgebrütet werden, wird dieWasserwirtschaft in Deutschland durch-gerüttelt. Seite 8

Nach den Veränderungen der vergangenen Jahre steht der Ener-giewirtschaft in Deutschland womöglich noch ein heftiges Bebenbevor. Experten prophezeien, dass sich die Branche in den kom-menden Jahren weiter gravierend verändern wird. Und das hatAuswirkungen auf die Beschäftigung und auf die gewerkschaftli-che Arbeit. Die Bundesfachgruppe Energie und Bergbau hat des-halb eine Veranstaltungs- und Diskussionsreihe ins Leben geru-fen, die sich mit diesen Veränderungen und ihren Folgen für dieGewerkschaftsarbeit befasst.

Zentral oder dezentral? Das ist die entscheidende Frage Energiewirtschaft muss sich neu erfinden – Umstrukturierung geht weiter

Bei der Bard-Gruppe laufen die Vor-bereitungen für den Probebetrieb ih-rer neu entwickelten Windturbine mit6,5 MW Leistung, die für den Einsatzauf See vorgesehen ist. Damit erhöhtder Spezialist für Offshore-Windtur-binen die Generatorleistung im Ver-gleich zum bisherigen Bard 5.0-Modellum gut ein Drittel.Aktuell hätte Bard damit die größteOffshore-Windkraftanlage, da REpo-wer bei seiner erweiterten Maschineauf eine Leistung von 6,05 MWkommt. Allerdings sind weitere An-

lagen in der 6-MW-Klasse in der Ent-wicklung, unter anderem von Siemensund Nordex.

Wie schon bei den ersten beiden Wind-turbinen, die im Winter 2007 ans Netzgingen, testet Bard die Neuentwick- lungen wiederum an der Emsmündungim Rysumer Nacken bei Emden. Am heu-tigen Montag beginnt der Aufbau deszweiten Prototypen. Dafür wird das Maschinenhaus der vorhandenen Bard5.0-Anlage vom Turm geholt und ge-gen die neue Gondel ausgetauscht. Genau dieses Procedere hatte bei der

Bard-Gruppe testet neue Offshore-Windturbine

Die seit Jahresanfang 2011 in Kraft ge-tretene Besteuerung von Kernbrenn-elementen beschert Ländern und Kom-munen in Nordrhein-Westfalen Steuer-mindereinnahmen von mehr als 200 Mio.Euro pro Jahr. „Wir fordern vom Bundeinen raschen Ausgleich für diese Min-dereinnahmen“, sagte Wirtschafts -minister Harry K. Voigtsberger (SPD). DasBundesland stehe für eine nachhaltigeEnergiepolitik ohne Kernkraft. „Es kannnicht angehen, dass wir vom Atomkursder Bundesregierung auch noch steu-erlich benachteiligt werden.“

NRW will Ausgleich für Mindereinnahmen

ersten Anlage bereits im Januar be-gonnen. Nach Unternehmensangabensoll die Testphase für die notwendigeZertifizierung dann Ende April begin-nen. Außerdem kündigte Bard an, dassparallel dazu die Vorbereitungen fürdie Serienfertigung der „Bard 6.5“ be-ginnen, die ab 2013 anlaufen soll. BeimProjekt „Bard Offshore I“, das zu 70Prozent die Südwest-Gruppe über-nehmen will, sind nach derzeitigemStand 15 Propeller komplett errich-tet, heißt es außerdem in der jüngs- ten Presseerklärung.

Page 2: Zentral oder dezentral? Das ist die entscheidende …...giekonzept 2010 die KWK nicht ein - mal einer Erwähnung für Wert befun - den. Die Kolleginnen und Kollegen aus der KWK stehen

Diese ehrenamtlich tätigen Frauen undMänner sorgen wesentlich dafür, dassunser Sozialsystem funktioniert. Sie arbeiten dann für die nächsten fünfJahre in den Vertreterversammlungen,Verwaltungsräten und Vorständen vonKrankenkassen, Rentenversicherungs-trägern, Unfallkassen und Berufsge-nossenschaften, die jeweils paritätischvon Vertretern der Arbeitgeberseiteund der Arbeitnehmerseite besetzt sind.Die Selbstverwaltung steuert die Ar-beit der jeweiligen Institution. Wobeidie Mitglieder der Selbstverwaltung

auch die Möglichkeit haben, bei derGesetzgebung mitzureden und Grund-satzfragen zu gestalten. Zudem be-teiligen sich die Gremien der Selbst-verwaltung an der Aufstellung desHaushalts.

Die Frauen und Männer, die bei denSozialwahlen gewählt werden, be-gleiten und kontrollieren die Arbeit derInstitutionen. Trotzdem ist das WortSozialwahl für die meisten Wahlbe-rechtigten ein Fremdwort – solange sienicht auf soziale Ansprüche zurück-greifen müssen. Bei Krankheit, Er-werbsunfähigkeit, Rente, Arbeitsunfallsind sie auf das Funktionieren ihrer Ver-sicherungsträger angewiesen. Gera-de die Unfallkassen (öffentlicher Be-reich) und die Berufsgenossenschaften(privater und öffentlicher gewerblicherBereich) wirken im Sinne der Beschäf-tigten. Finanziert durch die Beiträgeder Arbeitgeber sind diese Hilfestel-lung bei Arbeits- und Wegeunfällen.Sie kommen für Krankenhausaufent-halte auf, häufig in eigenen Kliniken,

für Reha-Kuren, für or-thopädische Hilfsmittel,ja selbst für den Um-bau von Autos und Woh-nungen, wenn der blei-bende Körperschaden eserforderlich macht.

Damit es aber erst garnicht zu berufsbe-dingten Krank-heiten oder Un-fällen kommt,stellen sieRegeln zumArbeits- undGesund-heitsschutzauf und en-gagieren sichin der Präventi-on. Wenn einElektriker bei Arbei-ten an Strom führendenAnlagen dennoch zumBeispiel einen schwerenSchlag erleidet, wird er so-fort in eine Klinik der Berufsgenos-senschaft gebracht und dort behandeltauf Kosten seiner Berufsgenossen-schaft. Kann die volle Gesundheit nichtmehr wieder hergestellt werden oderist der Betreffende für längere Zeiterwerbsunfähig, zahlt die Berufsge-nossenschaft eine unbefristete bzw.befristete Erwerbsunfähigkeitsrente.

FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01 • 2011FA C H B E R E I C H2

die EU-Kommission steht kurz davor,mit dem Vorschlag einer Dienstleis-tungskonzessions-Richtlinie massiv indie Ordnung der deutschen Energie-und vor allem Wasserwirtschaft ein-zugreifen. Den Ankündigungen ausdem Hause des französischen Wett-bewerbskommissars Michel Barnierzufolge sollen die Konzessionen für

die Energie- und Wasserwirtschaft denstrengen Vorgaben des Vergaberechtsunterworfen werden. Das waren siebislang aus gutem Grund nicht: DieEntscheidung, welche regionalen Be-sonderheiten, ökologische Notwen-digkeiten und vor allem auch welcheSozial- und Tarifstandards für die Be-schäftigten in den Konzessionsver-trägen festgezurrt werden sollten, wirdvor Ort in der Gemeinde entschie-den.

Jetzt will Kommissar Barnier allesüber den Leisten einer abstrakten Wirt-schaftlichkeit ziehen, die Umweltvor-sorge und soziale Standards allenfallsnach den gesetzlichen Mindestnormenerlaubt. Damit bekommen weltweitagierende Konzerne, allen voran diefranzösischen Wasserkonzerne, denVorrang. Verlierer könnten die klei-nen Wasserwerke und auch die Stadt-werke werden, die bislang mit vor-sorgendem Umweltschutz dafür ge-sorgt haben, dass Wasser aus dem Hahntrinkbar ist. Tariftreue war hier bis-lang Selbstverständlichkeit. Bei Verlustder Konzession droht das unwieder-bringliche Aus, den dort Beschäftigtendie Arbeitslosigkeit oder die Übernahmezu schlechteren Bedingungen. Verlie-rer wären dann aber auch die Kom-munen, denn ihr Handlungsspielraumfür vorsorgende und sozial verant-wortliche Politik würde unzumutbareingeschränkt.

ver.di wird alles daran setzen, einederartige Richtlinie zu verhindern. Be-troffen dürfte auch der Verkehr sein,insbesondere die Hafenkonzessionensollen auf den Prüfstand kommen. Mon-sieur Barnier sei gewarnt: Die euro-päischen Gewerkschaften sind in punk-to Angriff auf die öffentliche Daseins-vorsorge kampfbereit. Bereits mehre-re Anläufe, die Arbeitsbedingungenin den Häfen wettbewerblichem Wild-wuchs auszusetzen, sind am europa-

weiten Widerstand der Kollegen ge-scheitert. Und gemeinsam haben dieeuropäischen Dienstleistungsgewerk-schaften dafür gesorgt, dass der Dienst-leistungsrichtlinie die schlimmsten Hai-fischzähne gezogen werden konnten.

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ist wie-der in der Diskussion. Ende Mai wird dasMonitoring des KWK-Gesetzes von 2009vorliegen – vermutliches Ergebnis: Mitdem bisherigen Schlingerkurs der Bun-

desregierung, KWK einerseits zu för-dern und andererseits durch steuerlicheVerschlechterungen und die Einbezie-hung der KWK-Wärme in den Emissi-onshandel finanziell wieder zu bestra-fen, wird das Ausbauziel eines 25-Pro-zent-Anteils an der Stromversorgung imJahr 2020 nicht zu erreichen sein. Wirbrauchen ein klares politisches Be-kenntnis zur KWK als der herausra-genden Effizienztechnologie im Bereichder Erzeugung – und entsprechend ei-ne Förderung dieser Technologie aus ei-nem Guss. Unterstützung kommt dies-mal tatsächlich von der EuropäischenKommission. In seinem Energie-Effizienz-Aktionsplan misst Kommissar GüntherOettinger der KWK eine entscheiden-de Bedeutung bei und fordert ihrenschnellen Ausbau in allen Mitglieds-staaten – als wesentlichen Beitrag zumZiel der EU, die Energieeffizienz bis 2020um 20 Prozent zu steigern. Die Bun-desregierung hatte stattdessen im Ener-giekonzept 2010 die KWK nicht ein-mal einer Erwähnung für Wert befun-den. Die Kolleginnen und Kollegen ausder KWK stehen bereit, mit ihrem En-gagement dafür zu sorgen, dass die For-derung des Kommissars in Deutsch-land in konkretes politisches Handelnumgesetzt werden wird – sprich in ei-ne Novellierung des KWK-G, um das 25-Prozent-Ziel noch zu erreichen.

Bei den Tarifauseinandersetzungender letzten Monate in der privaten Ener-

giewirtschaft, insbesondere bei RWEund Vattenfall, haben die Kollegin-nen und Kollegen ihre Kampfkraft ein-drucksvoll unter Beweis gestellt. DieErfahrung: In Zeiten des ausuferndenShareholder-Value-Kapitalismus sindselbst in Konzernen mit Milliardenge-winnen berechtigte und angemesseneForderungen der Beschäftigten nurnoch mit Warnstreiks durchzusetzen.Viel Engagement der Beschäftigten warauch notwendig, um in der privatenEntsorgungswirtschaft zu einem trag-fähigen Abschluss zu kommen. Ich dan-ke allen in den betroffenen Betriebender privaten Energie- und Entsor-gungswirtschaft, die sich an den viel-fältigen gewerkschaftlichen Aktionenbeteiligt haben.

2011 ist auch das Jahr der ver.di-Konferenzen. Im Mai werden wir aufunserer BundesfachbereichskonferenzVer- und Entsorgung die inhaltlicheAusrichtung der nächsten vier Jahrefestlegen und auch unsere Gremienneu zusammensetzen. Im Septemberfolgt der Bundeskongress. Allen, dieausscheiden werden, möchte ich ganzherzlich für die geleistete Arbeit dan-ken; allen, die weiter machen oderneu in die Funktionen gewählt wer-den, wünsche ich gutes Gelingen fürdie nächsten vier Jahre gewerk-schaftlicher Arbeit in der Ver- und Ent-sorgung.

EUER ERHARD OTT

In Zeiten des ausuferndenShareholder-Value-Kapitalismus sind selbst in Konzernen mitMilliardengewinnenangemes sene Forderungender Beschäftigten nurnoch mit Warnstreiksdurchzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der ver.di-Report Ver- und Entsorgung Nr. 1, März 2011

Herausgeber:Vereinte Dienstleistungsgewerk-schaft (ver.di), Fachbereich Ver- und Entsorgung, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, v. i. S. d. P.: FrankBsirske, Erhard Ott

Redaktion: Jana Bender, Reinhard Klopfleisch,Ellen Naumannwww.ver-und-entsorgung. verdi.de

Herstellung+Druck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt

Layout:alpha print medien AG

Titel-Zeichnung:Reinhard Alff

I M P R E S S U M

Es ist schon wieder fünf Jahre her. So lange dauert die Legislatur-periode der Vertreterversammlungen, der „Parlamente“ der So -zialversicherungsträger. Zum 1. Juni wird wieder zu Sozialwahlenaufgerufen. Allerdings: Es gibt keine Wahllokale. Stattdessenflattern Briefe ins Haus, die hoffentlich nicht im Papierkorb lan-den, weil man meint, es sei Werbung. In diesen Briefen findensich alle Unterlagen, die zur Wahl gebraucht werden – einschließ-lich des Wahlzettels mit den Kandidaten.

Sozialwahl 2011: Wählen ist Ehrensache Selbstverwaltung steuert die Arbeit der Institutionen – paritätisch besetzt

Mit einer Reihe von Maßnahmen, dievon den Mitgliedstaaten auch kurz-fristig umgesetzt werden könnten, solldie Sicherheit des Handelssystems er-höht werden, teilte die Behörde nacheiner Sitzung des Climate Change Com-mittee mit.So sollen die Mitgliedstaaten als Be-treiber der nationalen Emissionshan-delsregister die Vorschriften zur Er-öffnung der Emissionshandels-Konten

prüfen. Zudem empfahl Brüssel denMitgliedstaaten einen Informations-austausch über potenziell verdächti-ge Kontoeröffnungen sowie eine bes-sere Schulung und Aufklärung der Re-gisternutzer. Die schon bestehendenEU-Rechtsvorschriften zur Vermeidungdes Umsatzsteuer-Betruges müssenbesser umgesetzt, die Emissionshan-delsregister regelmäßig überprüft unddie Gefahrenabwehr kontinuierlich an-

gepasst werden. Die Kommission selbstwill in Kürze eine Revision der Regis-ter-Verordnung vorstellen und damitdie rechtlichen Grundlagen für stren-gere Sicherungsmaßnahmen festlegen.

Mitte Januar hatte Brüssel 30 euro-päische Emissionshandelsregister vo-rübergehend vom Netz genommen,nachdem durch mehrerer Hacker-An-griffe Emissionsrechte im Wert von rund28 Millionen Euro entwendet wurden.

Zwar war von der Aussetzung nur derSpothandel betroffen, so dass die Trans-aktionen dort nicht mehr tagesaktu-ell ausgeführt werden konnten. Die Re-gistersperre sorgte allerdings in der ge-samten Branche für Verunsicherungund legte teilweise auch den Termin-markt lahm. Dort werden vier Fünftelaller CO2-Transaktionen innerhalb desEU-Emissionshandelssystems abgewi-ckelt.

Mehr Sicherheit für das Emissionshandelssystem

FOTO: DIE HOFFOTOGRAFEN

E N E R G I E

Solch ein Fall kommt grundsätzlich inden Rentenausschuss der Berufsge-nossenschaft, in dem je ein Vertreterder Arbeitgeber und ein Vertreter derVersicherten sitzt. Wenn nach einemsolchen Unfall der Betreffende seinenBeruf nicht mehr ausüben kann, be-zahlt ihm die Berufsgenossenschaft ei-ne Umschulung und hilft bei der Wie-dereingliederung in ein neues Ar-beitsfeld.

Dieses System ist in Europa einma-lig. Die Wahlbeteiligung ist ein be-

deutendes Zeichen, ob die Beschäf-tigten zu diesem Versicherungssys-tem und zur Mitgestaltung durch ihreehrenamtlichen Kollegen und Kolle-ginnen stehen. Nicht wenige in Poli-tik und Wirtschaft halten die Selbst-verwaltung für zu teuer und wollen hierdie Axt anlegen. Eine große Beteiligungan der Wahl macht diesen Politikerneinen Strich durch die Rechnung. Des-halb fordert ver.di alle dazu auf, sichan den Sozialwahlen zu beteiligen. Da-mit die Sozialversicherung und ihreSelbstverwaltung starke Einrichtungenbleiben. MATHIAS LADSTÄTTER

Page 3: Zentral oder dezentral? Das ist die entscheidende …...giekonzept 2010 die KWK nicht ein - mal einer Erwähnung für Wert befun - den. Die Kolleginnen und Kollegen aus der KWK stehen

Es werden viele kleine dezentrale Kraft-werke sein, die die Stromversorgungsicherstellen. In der Regie der Stadt-werke. Teilweise angetrieben durchBiogas, teilweise durch Wasser oderHolzpellets. Zudem wurde in die Häu-ser investiert. Sie wurden nicht nurwarm eingepackt. Es gibt auch kaummehr ein Haus, dessen Dach nicht biszum letzten Zentimeter mit Solarzellenbestückt ist. Und in den Kellern ste-hen kleine Gaskraftwerke – sie er -zeugen Wärme und Strom. Die Folge:Nahezu jedes Haus produziert mehrEnergie, als es verbraucht. Und das,obwohl der Stromverbrauch untermStrich gestiegen ist. Denn die Gerätewurden zwar in den vergangenen Jahren immer sparsamer, aber insge-samt nutzen die Menschen eben im-mer mehr Strom. Den Strom, den dieHaushalte zwar produzieren, aber nicht nutzen, speisen sie ins Netz ein.Inzwischen gibt es auch effektive gro-ße Stromspeicher.

So könnte es 2040 in Deutschlandaussehen. Aber das muss es nicht. Eskönnte auch sein, dass der Strom künf-tig zum Beispiel in Spanien produziertwird. Oder in der Sahara. Also in Ge-genden, in denen die Sonne das gan-ze Jahr über scheint. Oder in Riesen-Offshore-Anlagen in der Nordsee, weilhier in der Regel kräftig der Wind weht.Nicht in vielen kleinen Anlagen, son-dern per Produktion en gros. Dann wer-den Stromspeicher, also Riesenbatte-rien, eine Nebenrolle spielen.

Sicher ist nur eines: Die Zukunft ge-hört den erneuerbaren Energien. Dochwie die Energieversorgung ansonstenaussehen wird, ist offen. Kein Wun-der, dass Uwe Leprich, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes und wissen-schaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES), pro-phezeit: „In den vergangenen Jahrenist in der Energiebranche in Deutsch-land kein Stein auf dem anderen ge-blieben. Das Gleiche wird in den nächsten zehn Jahren nochmal pas-sieren.“

Denn: Die Liberalisierung ist nochnicht am Ende. Nach Leprichs Ansichtwerden die Übertragungsnetze voll-kommen entflechtet werden. Die An-reizregulierung wird sich zu einer Qua-litätsorientierung entwickeln. Denn nur

wenn Regulierung Innovationen undInvestitionen belohnt, kann die Bran-che fit werden für die Zukunft. Der-zeit aber hat sich die Regulierung fest-gebissen – und will nur eines: Runtermit dem Preis.

Die Voraussetzung aber, dass er-neuerbare Energien künftig bei derStromerzeugung die Hauptrolle spie-len, ist Stromeffizienz. Das heißt: DerStromabsatz wird schrumpfen. „Weretwas anderes behauptet, lügt sich indie Tasche“, sagt Leprich und schieltdabei auf Politiker, die das hohe Lieddes günstigen Strompreises singen.Denn selbst politisch ist billiger Stromeigentlich nicht gewollt. Das Ziel: DieMenschen müssen sparsam mit Stromumgehen, in der Regel tun sie dasaber nur, wenn der Strom teuer ist. Da-raus folgt wiederum: Die Stromkon-zerne und die Stadtwerke müssen sichneue Geschäftsfelder erschließen wieInfrastrukturdienstleistungen. UntermStrich, meint Leprich, waren in den ver-gangenen Jahren die vier großen Kon-zerne die Gewinner der Umstruktu-rierung, künftig könnten die Stadtwerkedie Nase vorn haben.

Re-Kommunalsierung Die Branche widerspricht Leprich nicht.Auch Harald Noske zum Beispiel, Mit-glied des Vorstandes der StadtwerkeHannover, sieht die Stadtwerke auf derGewinnerstraße. Warum das so ist?Weil die Stadtwerke vor Ort präsentsind, weil sie bei den Verbraucherneinen guten Ruf haben, weil ihnender Verbraucher abnimmt, dass sieauf Effizienz und Energiesparen setzen.Deshalb stehen die Zeichen auf Re-Kommunalisierung. „Da ist viel Lebendrin“, meint er, „da wird sich eine Men-ge entwickeln.“

Noske sieht fünf Megatrends, denensich die Energiebranche stellen muss:ein veränderter Ordnungsrahmen mitmehr Wettbewerb und einer Regulie-rung; Fragen nach Versorgungssi-cherheit bei zunehmender Abhängig-keit der Branche vom Import; Knapp-heit der Ressourcen; Schwankungenbei den Energiepreisen und die Re-Kom-munalisierung der Energie- und Was-serversorgung – was so viel heißt wie:Den etablierten Versorgern werden dieKonzessionen weggenommen. DieKommunen machen es wieder selber.

Professor Klaus-Dieter Maubach, Mit-glied des Vorstandes von e.on, fügtNoskes Analyse eine Erkenntnis hin-zu: „Man kann den Wind nicht ändern,aber man kann die Segel richtig set-zen.“ Weil vieles dafür spricht, dass sichin den nächsten 20 Jahren für die Ener-giewirtschaft vieles verändern wird,müssen sich die Unternehmen daraufeinstellen. Vielleicht werden sie in 20Jahren ganz andere Schwerpunkte set-zen als heute. Wo sieht er die Per-spektiven für die großen Unternehmen?„Europa wird bis 2050 etwa 50 Mil-lionen Einwohner verloren haben“, be-tont er. Die Bevölkerung muss dannmehr Strom verbrauchen, damit derEnergieverbrauch insgesamt nur sta-gniert und nicht schrumpft. „Wir ar-beiten in einem gesättigten Markt“,betont er. Verdrängungswettbewerbund Kostensenkung werden die Folgensein.

Für Maubach zeichnet sich längst ab,wohin e.ons Reise geht: Der Konzernwird außerhalb Europas Strom erzeu-gen, er will den Verkauf von Strom undGas auf neue Füße stellen und dabeiseine Kompetenz als Dienstleister her-vorheben. „Wenn wir nicht rausgehen,kommen die anderen zu uns“, ist Mau-bach überzeugt. Der Konzern wolle sich

auf die Aktivitäten konzentrieren, dieWachstumspotenziale auch in anderenLändern haben. GeschäftsspezifischeGlobalisierung nennt er diese Politik.„Wir müssen sauberer werden, wir müs-sen besser werden“, sagt er: „Wir wol-len zu den Jägern gehören“, denn al-le, die nicht zu den Jägern gehören,finden sich schnell bei den Gejagtenwieder. Und er verschweigt nicht: „Dassind keine guten Botschaften für dieBeschäftigten.“

Prekäre Beschäftigung Wahrlich nicht. Schon gar, weil die Bran-che in den vergangenen Jahren schonjede Menge Stellen abgebaut hat. 1990zählte die Branche 550 000 Beschäf-tigte in Deutschland, inzwischen sindes 250 000. Jede zweite Stelle ist in-nerhalb von 20 Jahren verschwunden.Hinzu kommt: Leiharbeit ist längst keinFremdwort mehr in der Branche. Unddie Stellen, die in den erneuerbarenEnergien Jahr um Jahr entstehen, sindoft genug prekär. Das weiß auch ver.di-Chef Frank Bsirske: Prekäre Beschäfti-gung ist nach seinen Worten bei denerneuerbaren Energien eher die Re-gel denn die Ausnahme. Ganz klar:„Es muss unser gewerkschaftliches Zielsein, die Arbeitsbedingungen gerade

dieser Beschäftigten zu verbessern, umdie Kolleginnen und Kollegen gegenihre Arbeitgeber zu schützen.“

Die Perspektiven für die Stadtwer-ke scheinen solide, meint Erhard Ott,Leiter der ver.di-BundesfachbereicheVer- und Entsorgung sowie Verkehr.„Die Konzerne dagegen werden sichumbauen müssen.“ Und sie müsseninvestieren. Ott warnt deshalb ein-dringlich davor, dass die Konzerne –um dennoch den Eignern eine satteRendite auszahlen zu können – wie bis-her versuchen, bei den Beschäftigtenzu sparen. „Das heißt dann Arbeits-kampf“, sagte er. „Und wenn wir über-all kämpfen müssen um die sozialenRechte, dann werden sich die Ausei-nandersetzungen weiter zuspitzen.“Auch weil ver.di dafür gewappnet seinwill, soll in den kommenden Mona-ten darüber diskutiert werden, wie sichver.di angesichts dieser Veränderun-gen in der Energiebranche aufstellensoll. Bsirske rät der Branche, sich da-rauf zu besinnen, dass sie eine Dienst-leistung der Daseinsvorsorge anbieten.Und er fügt hinzu: „Die Energiever-sorgung ist kein Selbstbedienungsla-den für überzogene Managergehäl-ter – und zweistellige Renditen.“

JANA BENDER

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kick-Off-Veranstaltungdiskutierten über die Zukunft der Energiewirtschaft. FOTOS: BENDER

Die Brancheverändert sichund damitauch die Be-schäftigung inder Energie-wirtschaft. DieBundesfach-gruppe will fitwerden für dieFragen der Zukunft. Die Ergebnisse derVeranstaltungsreihe werden die Grund-lage für die Arbeit von ver.di in denkommenden Jahren sein, sagt Andre-as Scheidt, Vorsitzender der Bundes-fachgruppe Bergbau und Energie.

Warum hat die Bundesfachgruppe die-se Veranstaltungsreihe initiiert?

Scheidt | Die Branche hat sich ver-ändert und verändert sich weiter. Des-halb wollen wir gemeinsam überlegen,wohin die Reise für die Branche ge-hen wird und was das für Konsequenzenfür unsere Arbeit haben muss.

Wie geht es nach der Auftaktveran-staltung weiter?Scheidt | In den kommenden Wochenwird es in den Bezirken Diskussions-veranstaltungen geben. Und je mehrPraktiker mitdiskutieren, desto bes-ser werden die Ergebnisse sein. Un-ser Ziel ist es, so viel Sachverstandwie möglich einzubringen. Außerdemhaben sich bereits Arbeitsgruppen zuverschiedenen Themen gebildet – wieErzeugungsmix und Kraft-Wärme-

Kopplung, Netze und Zähler, Spei-chertechnologien, Handel und Tradingsowie Energiedienstleistungen.

Vor allem die Jugend ist aufgefordertmitzudiskutieren.Scheidt | Ja. Denn der Jugend ge-hört die Zukunft. Und wir wissen alle:Ein junger Kollege, eine junge Kolle-gin stellt ganz andere Fragen an die Zu-kunft als die Kolleginnen und Kollegen,die in fünf oder zehn Jahren in Rentegehen. Wer noch 20 oder 30 Jahrearbeitet, sieht die Zukunft aus einemganz anderen Blickwinkel.

Und wie geht es dann weiter?Scheidt | Wir haben uns ein Jahr Zeitgegeben, uns mit all den Facetten der

Frage zu beschäftigten, wohin die Rei-se der Energiebranche geht. Aber esdarf nicht bei den Diskussionen blei-ben. Denn die Ergebnisse der Diskus-sionen sollen die Grundlage unse-rer künftigen Gewerkschaftsarbeit bilden.

Wir wollen im Frühjahr 2012 dieErgebnisse der Debatten in einer zentralen Veranstaltung zusammen-tragen und bewerten. Denn wer, wennnicht wir, kümmert sich um die Aus-wirkungen der Strukturveränderungenauf die Beschäftigung? Wir müssen uns fragen, welche Lösungen wir entwickeln, welche Strategien wir bestimmten Entwicklungen entge-gensetzen – dass Leiharbeit auch inder Energiebranche immer weiter umsich greift. Oder dass die Beschäftig-ten gerade im Bereich erneuerbarerEnergien von den Arbeitgebern kräf-tig ausgebremst werden, wenn sie einen Betriebsrat gründen wollen.

Und was muss passieren, damitDeutschland weiterhin Energiestand-ort bleibt? Denn wenn Deutschlandden Anspruch aufgibt, Energiestand-ort zu sein, wird die Zahl der Arbeits-plätze in der Energiewirtschaftschrumpfen. Es geht dabei um Be-schäftigung.

Die Ergebnisse werden zusammenge-fasst?Scheidt | Wir wollen ein Papier mitHandlungsstrategien entwickeln. Aberzunächst mal müssen wir uns darü-ber klar werden, wo wir stehen undwohin sich die Branche in all ihrerVielfalt entwickeln wird. Und wir müs-sen uns nüchtern damit befassen, wasdas alles für die Beschäftigten bedeu-tet – für die Beschäftigten der Stadt-werke ebenso wie für die Beschäftig-ten der Konzerne und der neuen Un-ternehmen in der erneuerbaren Ener-gie.

Der Energiebranche stehen turbulente Jahre bevor. Wenn die Exper-ten richtig liegen, wird sich die Branche noch einmal gravierendverändern. Dass das Auswirkungen auf die Beschäftigung hat, liegtauf der Hand. ver.di wartet nicht, bis die Folgen der Umstrukturie-rung offensichtlich sind. Deshalb lädt die Bundesfachgruppe Ener-gie und Bergbau die Beschäftigten in den Landesbezirken ein, überdie Zukunft der Branche und die sich daraus ergebenden gewerk-schaftlichen Handlungsperspektiven zu debattieren. Zunächst aberstand Analyse auf dem Programm der Kick-Off-Veranstaltung An-fang Februar in Hannover.

Kein Stein bleibt auf dem anderen Energiebranche steht vor gravierenden Umstrukturierungen – Kick-Off-Veranstaltung in Hannover

Der andere BlickwinkelErgebnisse der Diskussionen sollen Grundlage von ver.dis Arbeit werden

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FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01 • 2011D EMOG RA F I E4

ver.di hatte nicht nur Betriebs- undPersonalräte eingeladen, sondern auchihre Chefs. Um zu diskutieren, welcheHerausforderungen in Folge des de-mografischen Wandels die Unterneh-men zu schultern haben. Denn ver.diwill nicht nur, dass mehr junge Leuteeingestellt werden. ver.di will einen

Schritt weiter gehen und mit den Ar-beitgebern der Energiewirtschaft einenTarifvertrag zum demografischen Wan-del abschließen.

Kein PatentrezeptHartmut Geldmacher von e.on energiebringt es auf den Punkt: „Alle sehen, was

auf uns zukommt. Aber wir tun so, alsob alles beim Alten bleibt.“ Thomas Breu-er, Arbeitsdirektor der RheinEnergie,räumt vor den über 300 Teilnehmerinnenund Teilnehmern der Tarifpolitischen Ta-gung 2011 ein: „Eine Patentlösung ha-ben wir nicht.“ Aber immerhin: Über dieFolgen des demografischen Wandels wird

Das Problem ist erkannt – nicht nurvon den Arbeitnehmervertretern, auchvon den Personalverantwortlichen. Dochoffenbar noch längst nicht gebannt. DieBerliner Stadtreinigung versucht seit ei-nigen Jahren, die Tendenz umzukehren.„Das Gros der Beschäftigten ist zwi-schen 40 und 55 Jahre alt“, sagt An-dreas Scholz-Fleischmann, Arbeitsdi-rektor der Berliner Stadtreinigung (BSR).Angesichts der geringen Fluktuation las-se sich ohne großes Risiko ausrech-nen, wie alt die Belegschaft 2018 seinwerde – nämlich ein Drittel der Be-schäftigen wäre dann über 60. „Wir sindmitten drin in dem Problem“, weiß er,auch wenn die Auswirkungen erst in einpaar Jahren ins Auge stechen. Dennwenn die Unternehmen erst in 20 Jah-ren reagieren – „das wird nicht funk-tionieren“. In der BSR gilt inzwischenein Tarifvertrag, der Lebensarbeitszeit-konten, Prävention und einen frühe-ren Ausstieg thematisiert.

Burkhard Landers, Präsident des Bun-desverbandes Sekundärrohstoffe und Ent-sorgung (bvse), beurteilt die Situationähnlich: „Wir werden weniger und älter.“Noch nicht bei allen sei die Hauptfrage

angekommen, die da heißt: „Wie hal-ten wir unsere Mitarbeiter gesundheit-lich fit, damit sie ihren Job bis zur Ren-te ausfüllen können?“ Hinzu kommt: Es

fehlt an jungen Bewerbern, die bereit sind„hinter dem Wagen herzurennen“.

Dass viele Unternehmen sich dennochbisher wenig Gedanken um das steigendeDurchschnittsalter der Belegschaftenmachten, mag einen einfachen Grund ha-ben: Sie setzten auf alte Rezepte. So kannsich Hamid Saberi, uve-Management-beratung, noch gut an Unternehmenerinnern, die ihm noch vor wenigen Jah-ren vor allem eines signalisierten: „WennSie uns zeigen, wie wir die Alten los-kriegen, dann sind Sie unser Mann.“ Dasaber könne keine Lösung sein.

„Es ist höchste Zeit, dass wir gemein-sam etwas hinkriegen“, sagt Sven-OlafGünther, Gesamtpersonalratsvorsitzen-

der der Berliner Stadtreinigung und Spre-cher der ver.di-Bundesfachgruppe Ab-fallwirtschaft. Mit „gemeinsam“ meint erArbeitgeber, Arbeitnehmer und Ge-werkschaften. Dass die Altersstrukturheute so ist wie sie ist, hat ihren Grundin der Unternehmenspolitik der vergan-genen Jahre – als Altersteilzeit dazu ge-nutzt wurde, Stellen abzubauen statt jun-ge Leute einzustellen.

Torsten Grenz, Geschäftsführer vonVeolia Umweltservice, sieht Ältere auchim gewerblichen Bereich nicht grund-sätzlich als Problem. „Der alte Wolf kenntsein Revier.“ Grenz meint damit, dassÄltere vielleicht öfter krank sind als dieJungen. Dafür sind sie seltener in Unfäl-

le verwickelt. In der Produktivität siehter kaum einen Unterschied zwischen jun-gen und älteren Beschäftigten. Bei derGesundheitsprävention pocht er auf dieEigenverantwortung der Mitarbeiter. Hart-mut Dettmann, Konzernbetriebsratsvor-sitzender von Veolia Umweltservice, fügthinzu: „Wir sind in der Diskussion durch-aus dabei. Allein es fehlt an der Umset-zung.“ Ob regelmäßiges Bodybuildungdes Rätsels Lösung ist? Dettmann machtein dickes Fragezeichen dahinter. Einebessere Technik ist für ihn vielverspre-chender.

Wobei Dettmann noch keinen Punkthinter das Renteneintrittsalter mit 67 set-zen will. Die Frage, wie lange muss ich

Die demografische Entwicklung ist kei-ne Zeitbombe. Aber sie ist eine Heraus-forderung für die Unternehmen. Wer sichrechtzeitig auf diese Entwicklung ein-stellt, wird von dieser Entwicklung garprofitieren. Davon ist Silvia Skrabs vonder ver.di-Bundesverwaltung überzeugt.

Es gab mal mehr Ältere, mal mehr Jün-gere. Ein Problem war das nicht. Und über-haupt: Es geht nicht um die Anzahl derBeschäftigten, sondern um die Produkti-vität. Von den 53 Millionen 17- bis 65-Jäh-rigen, die in Deutschland leben, arbeitennur gut 40 Millionen Menschen – alsoetwa 76 Prozent. Das Ziel müsse sein, dass90 Prozent der 53 Millionen erwerbstä-tig sind. Nach wie vor sind zum Beispielüberdurchschnittlich viele Jugendliche oh-ne Job. „Damit gibt es jede Menge Er-satz für die, die in den kommenden Jah-ren in Rente gehen“, meint Skrabs.

Dennoch: Einfach ignorieren solltendie Unternehmen die Entwicklung nicht.Vielmehr rät Skrabs, die demografischeEntwicklung als eine Herausforderung zubegreifen. Das bedeutet: Die Unterneh-men sollten akzeptieren, dass es mehr äl-tere Beschäftigte in der Belegschaft gibt;die Unternehmen müssen sich gleich-zeitig intensiver als bisher um den Nach-wuchs kümmern, die Beschäftigten andas Unternehmen binden. „Älter darfnicht gleichgesetzt werden mit leis-tungsgemindert und Jugend ist eben nichtimmer erfahren genug“, weiß Skrabs.

Wenn aber in Zukunft mehr Ältere un-ter den Beschäftigten sind, dann brauchtes heute mehr und bessere Gesund-heitsprävention und alternsgerechte Ar-beitsplätze, damit die Beschäftigten biszum regulären Renteneintritt durchhal-ten können – gesund, leistungsbereit,motiviert und engagiert.

Wie ist das zu schaffen? Indem sichdie Betriebe und Unternehmen genau

ansehen, wie die Belegschaften aussehen.Wer unter den Mitarbeitern hat welcheQualifikation, wie könnten welche Mit-arbeiter weitergebildet werden? Perso-nalentwicklungskonzepte können dabeihelfen, nicht nur kurzfristig, sondern vorallem mittel- und langfristig zu planen.Dabei muss auch der Frage nachgegan-gen werden, welche Aufgaben Ältere über-nehmen können und wollen, die ihrenlangjährigen Job nicht mehr ausüben wol-len oder aus gesundheitlichen Gründenauch nicht mehr ausüben können.

Und was können die Betriebe tun? Siekönnen dafür sorgen, dass Familie undBeruf besser miteinander vereinbar sind;dass auch Ältere dazu ermutigt werden,sich immer wieder weiterzubilden; dassder Gesundheitsschutz groß geschriebenund das betriebliche Eingliederungsma-nagement ernst genommen wird. Da-bei darf Gesundheitsschutz sich nicht nurauf Rückenschulen beschränken. Es müs-se vielmehr darum gehen, die Verhält-nisse in den Unternehmen so zu ändern,damit Arbeit nicht krank macht. Zu klei-ne Räume fallen zum Beispiel unter dieRubrik schlechte Arbeitsverhältnisse.

Aber vor allem sieht Skrabs große Chan-cen bei der Arbeitszeit. Das bedeutet: kei-ne längeren, sondern eher kürzere Wo-chenarbeitszeiten. Wobei für Ältere sechsStunden pro Tag genug sind, meint Skrabs.Weil es immer auch um Gesundheitsschutzgehen muss, muss Schichtarbeit und müs-sen Überstunden eingedämmt werden.Denn Schichtarbeit und Überstunden be-lasten die Gesundheit besonders stark.Aber vor allem: Es braucht flexiblere Mög-lichkeiten, in Rente zu gehen. Für ren-tennahe Jahrgänge muss es auch wei-terhin die Möglichkeit geben, sich vor-zeitig aus dem Erwerbsleben zu verab-schieden, ohne dass ein solcher Schritt mitdem Gang zum Sozialamt verbunden ist.

Gesundheitsschutz, Weiterbildung und ju Tarifpolitische Tagung: ver.di setzt auf einen Tarifvertrag Demografie

Das Durchschnittsalter der Belegschaften steigt – auch in der Ener-giewirtschaft. Doch das heißt noch lange nicht, dass die Personalver-antwortlichen gegensteuern. Aber: Des Rätsels Lösung scheint aus-gemacht und es lautet: Es braucht mehr junge Leute. Das wurde beider Tarifpolitischen Tagung im Februar deutlich, bei der die demo-grafische Entwicklung und ihre Folgen im Zentrum standen.

Im Durchschnitt ist ein Beschäftigter der Abfallwirtschaft 48 Jahrealt. In keiner anderen Branche ist das Durchschnittsalter so hoch.Und selbst der flüchtige Blick auf die Belegschaften zeigt: Es könntenoch steigen. Und das, obwohl gerade die Entsorgung eine Brancheist, in der schwere körperliche Arbeit dazugehört. „Wo liegen genaudie Probleme und wie können wir sie gemeinsam lösen?“, fragtedenn auch die Podiumsdiskussion des ver.di-Workshops vom 3. und4. März mit dem Titel „Demografischer Wandel – eine Herausforde-rung für die Abfallwirtschaft“, zu der über 100 Interessierte gekom-men waren – Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus der kommunalenund der privaten Abfallwirtschaft.

Von wegen ZeitbombeLösungsansätze: Mehr Weiterbildung, mehr Gesundheitsförderung

Demografie: Denn nur der alte Wolf kenn ver.di-Workshop Abfallwirtschaft diskutiert über Gesundheitsschutz, neue Qualifikationen, die Rolle der Kommunen und früheren Auss

Wer seinen 50. Geburtstag gefeiert hat,hat bei der Müllabfuhr nichts zu su-chen? Nein, so einfach ist die Antwortnicht, weiß Christian Felten von der Be-rufsgenossenschaft Verkehr. Denn man-gelnde Fitness kann durch Erfahrung aus-geglichen werden, mangelnde Erfahrungaber nicht durch Fitness. Nur eines istsicher: Die Belegschaften in der Abfall-beseitigung und im Recycling sind weitöfter krank als die Beschäftigten ande-rer Branchen. Das heißt: Wer beim Ge-sundheitsschutz ansetzt, liegt nicht falsch. Dass sich bei der Entsorgung in den ver-gangenen Jahrzehnten einiges getan hat,was die Arbeit erleichtert, steht außerFrage. Die Behälter an sich wurden leich-ter, sie wurden mit Rollen versehen, die

Arbeitszeit wurde reduziert. Dennochist Müllabfuhr immer noch körperlicheSchwerstarbeit. Müllwerker müssen ton-nenschwere Behälter schieben, ziehenund auch heben. Sie gehen pro Tour biszu 20 Kilometer – und das bei jedem Wet-ter. Hinzu kommt: Müllwerker versuchenregelmäßig, die Vorgabezeiten für eineTour zu unterschreiten, wissen Experten.Gruppendruck spielt dabei eine Rolle,aber auch Rivalitäten zwischen Geüb-ten und weniger Geübten, zwischen Jun-gen und Alten – weil die Älteren denJüngeren gerne zeigen, dass sie es – trotzdes höheren Lebensalters - immer nochdrauf haben.

Sortierer stehen den ganzen Arbeits-tag lang, müssen die Schulterpartie aber

umso mehr belasten. Auch wer im Müll-bunker die Kräne bedient, belastet sei-ne Gesundheit: Er sitzt ebenfalls denArbeitstag lang und seine Kopfhaltungist alles andere als ergonomisch.

Gerade bei der Technik, bei der Ar-beitsplatzgestaltung ist noch Luft. Es gehtdarum, die Einstiegshöhe in die Müll-wagen zu verringern oder dafür zu sor-gen, dass die Mülltonnen leichter zu schie-ben sind. Experten schlagen zudem ei-ne sinnvolle Pausenplanung vor und plä-dieren dafür, das Arbeitspensum insge-samt zu verringern. Überlegt wird auch,ob die einzelnen Tätigkeiten nicht häu-figer durchmischt werden müssten – al-so körperlich belastende und weniger be-lastende Tätigkeiten innerhalb eines Ta-

ges oder innerhalb einer Woche. Dasheißt: Fahrer und Lader könnten sichabwechseln.

Bei altersgemischten Teams scheidensich die Geister. Die einen setzen da-rauf, andere runzeln die Stirn. Der Grundfür die Skepsis: Altersgemischte Teamskönnten gerade dafür sorgen, dass dieAlten es den Jungen zeigen wollen undeben erst recht reinhauen. Und wie be-geistert werden die Jungen sein, wennsie gezielt tagein, tagaus die Älteren ent-lasten sollen?

„Die perfekte Lösung gibt es nicht“,sagt Felten und plädiert für einen Mix:Bessere Technik, vernünftigere Arbeits-organisation und mehr Gesundheits-schutz. Dass Gesundheitsprävention nichterst einsetzen kann, wenn es bereits ziept,wenn die Knochen schon nicht mehr mit-machen. Es ist eine Binsenweisheit: WennPrävention den größtmöglichen Effekthaben soll, muss sie mit 30 beginnen.

Experten pochen auf bessere Technik und bessere Arbeitsorganisation

Prävention muss mit 30 beginnen

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inzwischen viel diskutiert. Breuers Pen-dant bei RWE, Ralf Zimmermann, sprichtzwar von einem Demografieproblem.Doch er beteuert: „Nichts Dramatisches“.Wenn der Konzern künftig „mehr jungeLeute einstellt“, ist für Zimmermann dasProblem gelöst. Die Belegschaften altern.Nicht nur bei RWE, e.on oder der Rhein-

Energie. Überall macht sich dieses Pro-blem breit. Schuld daran sind einerseitsdie geburtenstarken Jahrgänge, die in-zwischen ihren 50. Geburtstag schon ge-feiert haben. In gut zehn Jahren gehensie in Rente. Sie könnten Lücken hinter-lassen. Zudem haben die geburten-schwachen Jahrgänge den Arbeitsmarkt

erreicht. Hinzu kommt: Wenn in denvergangenen Jahren Stellen abgebautwurden – wie in der Energiewirtschaft–, dann traf es die Jungen. Sie wurdennach Hause geschickt. Die Folge: In vie-len Belegschaften ist das Mittelalter rar.Der Stellenabbau aber hatte für die ver-bliebenen Beschäftigten eine deutlicheArbeitsverdichtung zur Folge.

Zu wenig ausgebildetUnd auch in Sachen Ausbildung hiel-ten sich die Unternehmen jahrelang zu-rück. Nach zwölf Jahren des massivenStellenabbaus müsse es nun darum ge-hen, das betriebliche Know-How wie-der zu halten und wieder aufzubauen,betont deshalb Erhard Ott, Leiter derver.di-Fachbereiche Ver- und Entsorgungsowie Verkehr. Das heißt: Den Nach-wuchs nicht erst dann einstellen, wenndie Alten schon in Rente sind. Es kommtdie Betriebe teuer, wenn die Älteren mitihrem Wissen den Betrieb verlassen unddie Jungen sich alles selbst erarbeitenmüssen.

Dass der Stress zugenommen hat, be-streitet Geldmacher nicht. Auch nicht,dass vor allem die Älteren die Arbeits-verdichtung schwer wegstecken. Des-halb „dürfen wir uns Investitionen indie Gesundheit der Mitarbeiter nicht verschließen“, meint er. Er denkt dabeinicht nur an Präventionsprogramme, sondern auch an alternsgerechte Ar-beitsplätze und an „intelligente Model-le, die die Frühverrentung ersetzen“. „Wir haben uns den Wettbewerb nichtausgesucht“, betont Zimmermann. Undnatürlich müsse es auch darum gehen,die Gesundheit der Mitarbeiter zu er-halten. Aber „es rennt bei uns auch nichtjeder krank durch die Gegend“, stellt erklar.

Eine Zukunft für die Jungen Andreas Scheidt, Vorsitzender des Bun-desfachgruppenvorstandes Ver- und Ent-sorgung, ist das alles zu vage. Dass dieSituation in den Betrieben so ist, wiesie ist, habe einen Grund – nämlich fal-

sche Personalplanung. Er befürchtet, dassletztendlich mal wieder die Beschäftig-ten die Zeche dafür zahlen müssen –dabei sind seiner Ansicht nach klar dieAnteilseigner dran. Die Folgen der de-mografischen Entwicklung müssen zuLasten der Rendite gehen, fordert er.Christian Hanika, Vorsitzender der Ju-gend- und Auszubildendenvertretung beie.on, sieht die Lage ähnlich: „Wir redenseit 2007 über den demografischen Wan-del, über die zunehmende Arbeitsver-dichtung.“ Die jungen Leute noch stär-ker nach der Ausbildung übernehmen,ihnen eine Zukunft geben und den Äl-teren einen attraktiven Ausstieg ermög-lichen – so lautet sein Rezept, das vonder Tarifpolitischen Tagung mit starkemBeifall quittiert wird.

RWE-Arbeitsdirektor Zimmermann istzumindest in einem ganz bei Hanika: „Wirmüssen die jungen Leute reinholen, sonstfahren wir gegen den Baum“, sagt er.Gleichzeitig hat er mit dem Gesund-heitsschutz so seine Probleme: Er will be-obachtet haben, dass selbst Arbeitneh-mervertretungen Prävention nicht wirk-lich ernst nehmen. Zudem brauche nichtjeder über 55 einen Schonarbeitsplatz.Und eines wird seiner Ansicht nach im-mer ein Wunsch bleiben – dass ein Groß-teil der Belegschaft 50 Prozent arbei-tet, aber für 100 Prozent Geld bekommt.„Niemand will die Verlängerung der Wo-chenarbeitszeit, aber auch keine Ver-kürzung“, stellt er klar und betont: „Wirsind keine Sozialromantiker.“ Aber Zim-mermann wie Geldmacher (e.on) wissen,dass sie Angebote für Beschäftigte brau-chen, die nach Jahren harter Arbeit ein-fach nicht mehr können und ihre Wo-chenarbeitszeit absenken wollen. Daswerden sie aber nur können, wenn ihnendie Unternehmen dabei finanziell helfen.Die Arbeitsdirektoren wissen das: Dereine redet deshalb davon, dass man sich„intelligent um die Arbeitsplätze küm-mern muss“, der andere fordert ver.diund die Arbeitnehmervertreter direkt da-zu auf, „gemeinsam das Thema anzu-gehen“. JANA BENDER

im Geschirr stehen, sei noch nicht end-gültig beantwortet. Für ihn hat die Poli-tik hier den falschen Weg eingeschlagen.Denn viele der Kollegen halten nichtmal durch, bis sie 60 Jahre sind.

„Es braucht einen Mix aus verschie-denen Maßnahmen“, sind sich Dettmann,Günther und auch der Arbeitsdirektor derBerliner Stadtreinigung, Scholz-Fleisch-mann, einig. Aktiven Gesundheitsschutz,verbesserte Technik, eine bessere Ar-beitsorganisation, aber auch die Mög-lichkeit, ohne allzu große finanzielle Ein-bußen vorzeitig in Rente zu gehen. Undes braucht neue Qualifikationen, damitLader zum Beispiel nicht bis zur Rente La-der bleiben.

Ob Niederflurwagen, Qualifizierung,mehr Lader pro Tour, Fitnessangeboteoder ein früherer Ausstieg aus dem Job– das alles kostet Geld. Und schlägt sichin den Kosten nieder. Wenn aber Unter-nehmen, die sich der Demografie an-nehmen, bei Vergaben leer ausgehen, istschnell Schluss mit dem Engagement, daswissen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.Gesundheitsschutz zum Beispiel odertechnische Standards könnten Kriterienbei der Vergabe werden. Hier sind dieKommunen gefordert.

Und: Es braucht eine Branchenlösung,ist sich Arbeitnehmervertreter Sven-OlafGünther sicher. Insofern führt für ihn keinWeg an einem Tarifvertrag vorbei. Weileine Branchenlösung, die für die priva-ten wie die kommunalen Entsorger gilt,auch für gleiche Wettbewerbsbedin-gungen sorgt. JANA BENDER

Mehr zu den Diskussionen und Ergeb-nissen des Workshops steht unterwww.abfall.verdi.de

Die Betriebe müssen zurück zu einer lang-fristigen Strategie – gerade in Anbetrachtdes demografischen Wandels, gerade beider Beschäftigung. Nur die Unterneh-men, die sich eine kurzfristige Gewinn-maximierung verkneifen und stattdessenlangfristig denken, werden letztendlichdie Nase vorn haben. Davon ist die Ar-beitsgruppe Demografie des Bundesta-rifausschusses Energie und Bergbau über-zeugt. In „Tarifpolitischen Bausteinenzu tarifvertraglichen Gestaltungsmög-lichkeiten des demografischen Wandels“hat die Arbeitsgruppe Positionen zu-sammengetragen, die einer solchen Zu-kunftsstrategie zugrunde liegen müssen.

Für ver.di steht fest: Um der Heraus-forderung zu begegnen, die der demo-grafische Wandel mit sich bringt, ist einMaßnahmenbündel notwendig. Es gehtunter anderem um Gesundheitsvorsorgeund Gesundheitsschutz, um beruflicheWeiterbildung und Qualifizierung, umArbeitszeiten und um alternsgerechte Ar-beit. Es müssen auch mehr junge Leuteausgebildet und mehr Auszubildendeübernommen werden – und zwar un-befristet. Und es braucht Altersversor-gungssysteme, die dabei helfen, Alters-armut zu vermeiden.

Das alles kostet Geld. Für diese Sum-men müssen die Arbeitgeber aufkom-men, stellt die Arbeitsgruppe Demogra-fie in ihrem Papier fest. Denn die Be-wältigung des demografischen Wan-dels ist existenzielle Herausforderung fürdie Unternehmen. ver.di weiß: Unter-nehmen tun im eigenen Interesse gut da-ran, in die Ausbildung, in die bessere Ver-einbarkeit von Familie und Beruf, in Wei-terbildung und in innovative Arbeits-zeitmodelle zu investieren. Für ver.di stehtaber auch eines fest: Appelle allein rei-chen nicht. ver.di will deshalb auf einenTarifvertrag zur Demografie pochen. Auchdamit die Beschäftigung gesichert wird.

Bausteinever.di pocht auf einen Tarifvertrag zum demografischen Wandel

unge Leute

t sein Revier stieg aus dem Job

„Neue Besen kehren gut,aber die alten kennen die Ecken.“

SPRICHWORT

Arbeitgeber undArbeitnehmer diskutierenüber die Folgen desdemografischen Wandels.FOTOS: STIEBITZ/WITT

FOTOS (6): HERRSCHELMANN

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„Seit die EU-Dienstleistungskonzessi-onsrichtlinie ins deutsche Recht um-gesetzt wurde, ging es mit unseremUnternehmen steil bergauf.“ Zufriedenzieht Henri Merger, Vorstandsvorsit-zender der United-Aqua DeutschlandAG, im Chefsessel des Frankfurter Fir-menhochhauses Bilanz. Waren es 2011noch rund 6000 unabhängige deut-sche Wasserunternehmen, so ist ihreZahl drastisch zusammengeschrumpft.Die seitdem geltenden strengen Auf-lagen für die Vergabe von Wasser-konzessionen ließen den Kommunenkeine Wahl: Sie legten die Wasserver-sorgung in die Hände des Global Play-ers.

Seitdem ist das Wasser zwar auchnicht billiger geworden, doch die Zahl der Beschäftigten in der Wasser-wirtschaft hat sich halbiert. Und im-mer mehr Leiharbeiter und Teilzeit-kräfte werden beschäftigt, ohne Ta-rifbindung und soziale Absicherung.So konnte Merger in den letzten Jah-ren dauerhaft zweistellige Profitratenan die Konzernzentrale überweisen,zumal auch aufwendige ökologischeVorsorgemaßnahmen zur Sicherungder Wasserqualität drastisch zurück gefahren wurden, wie sie die frühe-ren kommunalen Unternehmen un-terhielten.

Stolz ist Merger darauf, dass die Zahlder Beschwerden über die Wasser-qualität jetzt wieder zurückgeht. Erhat persönlich dafür gesorgt, dassinzwischen alle Wasserentnahme-stätten des Konzerns mit Chlorie-rungsaggregaten ausgestattet sind.„Seitdem schmeckt Wasser made byUnited-Aqua zwar ein wenig nachSchwimmbad“, gibt der Vorstands-vorsitzende zu, „ist aber wieder hy-gienisch einwandfrei.“

Das alles gibt es nicht. Noch nicht.Diese schwarze Utopie könnte baldschon Wirklichkeit werden. Denn En-

de 2010 kündigte EU-Binnenmarkt-kommissar Michel Barnier als VorschlagNr. 18 seiner Binnenmarktakte (Sin-gle Market Act) die zügige Vorlageeiner Dienstleistungskonzessions-richtlinie an. Mit der sollen – am bes-

ten noch 2011 – die nationalen Vor-gaben der 27 Mitgliedsstaaten für dieVergabe von Konzessionen verein-heitlicht werden.

Dem Kommissar ist es ein Dorn imAuge: Konzessionen sind bisher vonden strengen Vergabevorgaben derVergaberichtlinie ausgenommen, in derdie Vergabe von Dienstleistungsauf-trägen durch öffentliche Auftraggebergeregelt wird. Danach erhält der wirt-schaftlichste Anbieter den Zuschlag,

soziale und ökologische Kriterien kön-nen allenfalls eine Nebenrolle spie-len. Tariftreuegesetze, die die Verga-be von Aufträgen an die Einhaltungvon Tarifen binden wollen, wurden inder Vergangenheit vom EuropäischenGerichtshof immer wieder kassiert. KeinWunder, dass internationale Wasser-konzerne, allen voran diejenigen ausBarniers Heimatland Frankreich, daraufwarten, dass endlich auch die Kon-zessionen derart scharfen Kriterien un-terliegen sollen. Dann könnten sie beider Neuvergabe überall in Europa klei-

ne, kommunale Wasserwerke, im kom-munalen Arbeitgeberverband organi-siert und mit hohen Kosten für ökolo-gische Qualitätsvorsorge belastet,schnell ausstechen.

Das fürchtet auch der deutsche Ver-band der kommunalen Unternehmen(VKU) und macht mobil gegen die Plä-ne aus Brüssel. Nicht nur Wasser wä-re betroffen, sondern auch Energie, Ab-fall, Verkehr. Käme es zu einer 1:1-Über-tragung der Bestimmungen des Ver-

gaberechts auf die Konzessionen, soder VKU, bedeute dies nicht ein Mehran Rechtssicherheit, sondern „eine un-angemessene Einschränkung kommu-naler Handlungsspielräume und da-mit der kommunalen Selbstverwaltung“.Denn bislang können die Kommunenbei der Vergabe von Dienstleistungs-konzessionen Auflagen zur Bedingungmachen, die ihren politischen Zielenentsprechen, beispielsweise hohe An-forderungen an vorsorgenden Grund-wasserschutz, Finanzierung von Ener-giesparberatung oder eben auch Ta-

riftreue und das Verbot von Fremd-vergabe an Subunternehmen.

Die Vergaberichtlinie nimmt zudemzu Recht Konzessionen aus den Ver-gabebestimmungen aus. Konzessio-nen und Vergaben von Dienstleistun-gen sind nämlich inhaltlich zwei völ-lig unterschiedliche Paar Schuhe. Beider Vergabe von Dienstleistungen gehtes um Auftragsleistungen gegen Ent-gelt, zu bezahlen aus öffentlichen Mit-teln – dabei muss im Interesse der Steu-

erzahler das Gebot der Wirtschaft-lichkeit große Bedeutung haben. DieVergabe einer Konzession indessen er-möglicht dem Konzessionär, mit Drit-ten, also seinen Kunden im Konzessi-onsgebiet, Geschäfte abzuschließen,beispielsweise die Lieferung von Was-ser oder Energie. Zahlungen der Kom-mune an den Konzessionär gibt es hiernicht, also hat das Gebot der Wirt-schaftlichkeit keine Bedeutung. Es gehtvielmehr darum, durch politischen Ein-fluss zu sichern, dass die Dienstleis-tung im Konzessionsgebiet in ausrei-chender Qualität angeboten wird. Ent-sprechend frei muss die Kommune sein,Qualitäts-Auflagen erteilen zu können.Einzige notwendige Rahmenbedin-gung: Die Auflagen müssen derartgestaltet sein, dass sich ein Bewer-ber findet, der sich zutraut, dann dieDienstleistung für sich wirtschaftlichzu betreiben.

Herrscht deshalb ein rechtsfreierRaum, den es durch EU-Recht zu schlie-ßen gelte? Keineswegs, denn dieRechtssprechung des Europäischen Ge-richtshofs sieht bereits heute einen gu-ten und ausreichenden Rechtsrahmenvor. Zwar sei der Konzessionsgeber freiin der Gestaltung des Konzessions-vertrages, doch müsse die Vergabe denBedingungen des EU-Primärrechts ent-sprechen. Dort steht geschrieben, soder EuGH, dass Vergabeverfahren trans-parent, öffentlich und diskriminie-rungsfrei zu gestalten sind – und dasgelte in gleicher Weise auch für die Ver-gabe von Dienstleistungskonzessionen.„Damit“, so Erhard Ott vom ver.di-Bun-desvorstand, „wird gewährleistet, dassbei einer Konzessionsvergabe jeder eu-ropäische Anbieter eine faire Chanceerhält.“ Weitergehende Einschrän-kungen der Vergabebedingungen sei-en indessen unangemessen, nähmenkeine Rücksicht auf regionale Beson-derheiten, gefährdeten hohe sozialeund ökologische Standards und seiendamit abzulehnen. „Wir brauchen kei-ne Konzessionsrichtlinie“, so der Ge-werkschafter, „und wir werden alle po-litischen Hebel in Bewegung setzen,um Barnier davon abzuhalten, uns ei-ne derartige Richtlinie aufzuzwingen.“

REINHARD KLOPFLEISCH

FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01 • 2011E N E R G I E / A B FA L L6

Die EU bastelt an einer Dienstleistungskonzessionsrichtlinie. DasZiel: Die nationalen Vorgaben der 27 Mitgliedsstaaten für dieVergabe von Konzessionen sollen vereinheitlicht werden. Wennsich die EU durchsetzt, werden Wasserunternehmen vom Marktverschwinden. Und die Wasserqualität wird leiden. Deshalb kannver.di der Richtlinie rein gar nichts abgewinnen.

Es stand Spitz auf Knopf. Die Vorbe-reitungen für einen Streik liefen aufHochtouren. Doch dann lenkten die Ar-beitgeber doch noch ein: Tatsächlichin letzter Minute kam der Tarifabschlussfür die Beschäftigten der privaten Ab-fallwirtschaft doch noch zustande. Undzwar ohne die von den Arbeitgebernüber Monate hinweg geforderte zwei-te Lohnschiene. Wie bei den Tarifver-handlungen zum Mindestlohn im ver-gangenen Jahr verabredet, haben nundie Gespräche zur Weiterentwicklungdes Mindestlohnes begonnen.

Für ver.di und die Beschäftigten derprivaten Abfallwirtschaft ist der Ent-geltabschluss ein Erfolg. Die rund 20 000 Beschäftigten der privaten Ab-fallwirtschaft erhalten rückwirkend fürdie Monate Mai bis Dezember eine Ein-malzahlung von 350 Euro. Von Januaran steigt der Ecklohn um zwei Prozent.Die Auszubildenden erhalten eine Ein-malzahlung von 100 Euro, linear stei-gen die Vergütungen ebenfalls um zweiProzent. Die Laufzeit des Tarifvertra-ges endet am 31. Dezember 2011.

Zudem ändert sich die Stufenstei-gerung für Neueingestellte: Bisher be-ziehen Neueingestellte abgesenkte Ent-gelte. Innerhalb von sieben Jahren abermusste das Einkommen an das der

Stammbelegschaft angeglichen wer-den. Nun beträgt dieser Zeitraum zehnJahre. Und: Die Tarifparteien sind sicheinig, dass es auch künftig eine Rege-lung für Altersteilzeit geben muss.

Wichtig ist vor allem: die Arbeitge-ber mussten sich von ihrer Forderungverabschieden, die Entgelte für Neu-eingestellte dauerhaft um 20 Prozentzu senken. Monatelang hatten die Ar-beitgeber auf dieser Forderung beharrt.Das war der Grund, warum sich die Ver-handlungen so hinzogen und auf derStelle traten. „Es ist gelungen, die Lohn-dumpingspirale aufzuhalten“, beton-ten die Leiterin der Bundesfachgrup-pe Abfallwirtschaft, Ellen Naumann,und der Leiter der Fachbereiche Ver-und Entsorgung sowie Verkehr, ErhardOtt. Eine zweite niedrigere Lohnschiene,wie sie den Arbeitgebern vorschwebt,hätte dauerhafte deutliche Einbußenfür die Beschäftigten zur Folge – siewürde langfristig eine deutliche Ab-senkung des Lohnniveaus für alle Be-schäftigten bedeuten. Und das in ei-ner Branche, in der körperlich hartgearbeitet werden muss und in dernicht gerade üppig verdient wird.

Dass die Arbeitgeber nun erstmal ein-gelenkt haben, heißt aber nicht, dassdas „niedrigere Lohnniveau“ in den Pa-

pierkorb gewandert ist. Vielmehr ist esnur in der Schublade der Arbeitgeberverschwunden – es kann jederzeit wie-der herausgezerrt werden. „Das The-ma ist vermutlich nur verschoben“, be-fürchtet Naumann. Die Tarifrunde aberhabe gezeigt, dass Positionen nicht vor-schnell in Richtung Arbeitgebervor-stellungen aufgegeben werden dürfen.Die Beschäftigten haben die Arbeit-geber gezwungen, von ihren Forde-rungen Abstand zu nehmen. „Das zeigt,dass wir stark sein können und starksind – wenn wir wollen“, fasst Nau-mann die Erfahrungen dieser Tarifrundezusammen. „Nach der Tarifrunde istvor der Tarifrunde. Wir werden unsfür die Entgeltrunde 2012 noch bes-ser aufstellen als bisher.“

Verhandlungen um Mindestlohn In den kommenden Monaten wird mitden Arbeitgebern der privaten und deröffentlichen Abfallwirtschaft über jenach Tätigkeit unterschiedlich hoheMindestlöhne verhandelt. Der gelten-de Mindestlohn von 8,24 Euro läuftzum 31. August aus. Weil der Min-destlohn nur eine Untergrenze einzieht,aber noch nicht für einen fairen Wett-bewerb sorgt, pocht ver.di darauf, dassfür Sortierer, Lader und Fahrer unter-schiedlich hohe Mindestlöhne verein-bart werden. Die Arbeitgeber habensich während den Mindestlohnver-handlungen 2010 bereit erklärt, überunterschiedlich hohe Mindestlöhne zuverhandeln. JANA BENDER

Wir brauchen keine Richtlinie Konzessionen bisher von Vergaberichtlinie ausgenommen – ver.di will Konzessionsrichtlinie verhindern

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Abgewehrt ver.di setzt sich durch: Keine zweite Lohnschiene

Das Tarifergebnis kam nicht ohne Warnstreiks zustande.FOTOS: VER.DI

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649 Millionen Euro hatten die kom-munalen Unternehmen aus Bochum,Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essenund Oberhausen zusammengelegt, umim harten Wettbewerb bei dem Groß-versorger das Sagen zu bekommen. Da-mit erschließen sie sich eine gemein-same Plattform, um die Energiever-sorgung zwischen Rhein und Ruhr zumodernisieren und weiter zu entwi-ckeln. Am Ende hätte nur noch die Lan-desregierung das zukunftsweisendeGeschäft verhindern können, gestütztauf verstaubte Paragrafen des Ge-meinderechts.

Da kam der Regierungswechsel inDüsseldorf zur rechten Zeit. Fast zeit-gleich zum Steag-Kauf verabschiede-te die neue Mehrheit im Landtag eineNovellierung der Gemeindeordnung,mit der die antiquierten Restriktionenweitgehend aufgehoben wurden. Mitdem „Gesetz zur Revitalisierung desGemeindewirtschaftsrechts“ vom 21.Dezember 2010 wird Stadtwerken dieBetätigung außerhalb ihres ange-stammten Gebietes wieder erlaubt.Auch erhalten die Kommunen Gestal-tungsspielräume, um ihre Aufgaben ef-fizienter zu erledigen und bei dieser Er-ledigung zusammenzuarbeiten. Und

genau das haben die Ruhr-Konsorti-alpartner vor. Mit den insgesamt mehrals 7000 Megawatt Stromerzeugung(davon bereits 350 Megawatt in er-neuerbaren Energien) der Steag unddem Fernwärmenetz haben sie das Mit-tel in die Hand bekommen, ihre bis-her „schwach ausgeprägte Erzeu-gungssparte ein Stück weit zu stärken“,betont Hermann Janning, DuisburgerStadtwerkechef und Präsident des VKUim größten Bundesland.

Die alte Gemeindeordnung, ver-schärft von der damaligen schwarz-gelben Koalition, erschwerte in Para-graf 107 jegliche Betätigung von kom-munalen Unternehmen über die Stadt-grenzen hinaus. ver.di hatte ebensowie der VKU in Düsseldorf wiederholtdarauf hingewiesen, dass dieser Klotzam Bein der Stadtwerke sie im Wett-bewerb auf dem Energiemarkt unan-gemessen benachteilige. Doch die FDPhatte bis zuletzt jede Änderung blo-ckiert.

Öffentlicher ZweckEine NRW-Gemeinde darf sich jetzt wie-der zur Erfüllung ihrer Aufgaben wirt-schaftlich betätigen, wenn ein öffent-licher Zweck dies erfordert. Auch muss

sie nach Art und Umfang in einem an-gemessenen Verhältnis zur Leistungs-fähigkeit der Gemeinde stehen. Bislangwar dafür ein „dringender öffentlicherZweck“ erforderlich. Private sollten denZuschlag bekommen, wenn sie es eben-so gut können wie die öffentlichen.Überörtlich darf sich die Gemeinde jetztgenerell betätigen, sofern ihre Inte-ressen gewahrt sind – auf ausländi-schen Märkten allerdings nur mit einerbehördlichen Genehmigung.

Neue Energie-Dienstleistungen wer-den ausdrücklich erlaubt, sofern sieden Hauptzweck fördern – also die Ver-sorgung mit Strom, Gas, Wärme. Dasist beim Energie-Contracting, bei Be-

ratungsangeboten zum Energiesparenoder bei Angeboten im Bereich dererneuerbaren Energien immer der Fall. Aufgenommen ins Gesetz wurdedeshalb eine einvernehmliche Rege-lung zwischen VKU und Handwerks-kammer. Danach bleibt das Handwerkfür Leistungen innerhalb der Kunden-anlage hinter dem Hausanschluss zu-ständig. Mit dieser Übereinkunft ha-ben sich die Vernünftigen bei der Kam-mer gegen die FDP-Hardliner durch-gesetzt.

Geregelt wird in der neuen NRW-Ge-meindeordnung auch die Bildung „fa-kultativer Aufsichtsräte“ in kommu-nalen Unternehmen, für die keine ge-setzliche Regelung für Arbeitnehmer-beteiligung gilt. Dies ist für Unter-nehmen mit mehr als 500 Beschäftig-ten der Fall. Paragraf 108a erlaubt, dassderartigen Unternehmen maximal zueinem Drittel Arbeitnehmervertreter

angehören können. Die Betriebsver-sammlung schlägt eine Liste von Kan-didaten vor, aus der der Rat der Stadtauswählen kann. Auch kann der Ratdie komplette Liste zurückweisen, dieBetriebsversammlung muss dann neueKandidaten benennen. Kommt es zukeiner Einigung, bleiben die Plätzeunbesetzt.

Befürworter der neuen Regelung wei-sen darauf hin, dass hiermit erstmalsein verbindliches Vorgehen vorge-schrieben wird, wie Arbeitnehmerver-treter in fakultative Aufsichtsräte zuentsenden sind. Kritiker bemängeln in-dessen, dass die Entscheidung über dieEignung vorgeschlagener Arbeitneh-mervertreter letztlich ausschließlichbeim Rat liegt, unbequeme, aber beiden Beschäftigten beliebte Kandida-ten somit nach Belieben aus den Auf-sichtsräten ferngehalten werden kön-nen. REINHARD KLOPFLEISCH

FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01 • 2011

Es lohnt sich, sich in Tarifverhand-lungsrunden geschlossen hinter ver.dizu stellen und die Forderungen zu un-terstützen. Wenn es sein muss, auchmit Streik. Das ist die Essenz der RWE-Entgeltrunde 2011. In verschiedenenVerwaltungen und Kraftwerken legtenEnde Januar 4500 Beschäftigte dieArbeit nieder. Der Grund: Die Tarif-verhandlungen um mehr Geld gestal-teten sich ausgesprochen zäh. ver.dihatte deshalb zu bundesweiten Warn-streiks aufgerufen – übrigens erstmalsin der RWE-Geschichte.

ver.di-Verhandlungsführer Peter Lafos machte zugleich deutlich, dasses nicht bei Warnstreiks bleibt, soll-ten die Arbeitgeber dieses Signal nichtverstehen und einlenken. „Dies ist dieletzte Möglichkeit, ohne größere Aus-einandersetzungen zu einem Ergeb-nis in der Gehaltsrunde zu kommen“,war Lafos sich vor der entscheiden-den Tarifrunde sicher. Er sah den Konzern unmittelbar vor einer Urab-stimmung und unbefristeten Streiks.Denn die Arbeitgeber hatten bis datonur ein Angebot vorgelegt, das untermStrich und abzüglich der Inflation keine finanzielle Verbesserung für die28 000 RWE-Beschäftigten bedeutethätte.

Doch soweit kam es dann doch nicht.Die Arbeitgeber lenkten ein: 3,4 Pro-zent für 13 Monate, wobei die Tabel-lenvergütungen rückwirkend zum 1. November 2010 angehoben wer-

den. Auch die Ausbildungsvergütun-gen, die Sonderzuwendungen, das Ju-biläumsgeld und die dynamischen Be-sitzstände steigen entsprechend.

Doch das Geld ist es nicht allein, wasdie RWE-Beschäftigten aus der Tarif-runde 2011 mitnehmen, meint Ver-handlungsführer Lafos. „Die Beschäf-tigten haben gekämpft und die Ar-beitgeber mussten sich bewegen –die Beschäftigten haben gespürt, was

sie können.“ Dass dennoch der eineoder andere vor Beginn des Warnstreiksjede Menge Fragen hatte, erklärt sichvon selbst aus dem Umstand, dass dieBelegschaft des zersplitterten RWE-Konzerns eben bisher nicht streiker-probt ist.

6000 Vattenfaller demonstrieren Nachdem RWE vorgelegt hatte, ei-nigten sich die Tarifparteien Anfang

Februar auch bei Vattenfall. Auch hiersteigen die Einkommen der etwa 20 000 Beschäftigten und Auszubil-denden des Konzerns um 3,4 Prozent.Der Tarifvertrag gilt rückwirkend zum1. Januar 2011 und hat eine Laufzeitvon 13 Monaten. Zuvor mussten aberauch hier die Beschäftigten streikenund demonstrieren. Insgesamt über6000 Beschäftigte in Berlin, Hamburgund Cottbus beteiligten sich am Warn-

streik und gingen auf die Straße. Erstunter diesem Druck lenkten die Ar-beitgeber ein.

„Unsere Warnstreiks waren erfolg-reich und haben unserer ForderungNachdruck verliehen“, sagte Volker Stü-ber, der für ver.di die Vattenfall-Tarif-verhandlungen führt. Damit sei fürdie Beschäftigten ein Ergebnis auf Au-genhöhe erzielt worden.

JANA BENDER

„Zur Sonne, zur Freiheit“ hieß dasKampflied der Arbeiterbewegung imletzten Jahrhundert. Mit der Freiheitist das weiter so eine Sache, aber gehtes nach der Bundesregierung, soll das mit der Sonne jetzt ganz schnellgehen. Derzeit sind in Deutschland bereits 17 000 Megawatt-Fotovoltaik-Anlagen installiert, 7000 allein ka-men im letzten Jahr hinzu – und derTrend hält an, obwohl die Bundesre-gierung im Februar 2011 bereits diezweite Senkung der Fördersätze be-schlossen hat.

Hat die Sonne in Deutschland einesichere Zukunft? Das Ergebnis der In-

vestitionsflut ist ernüchternd: Im Ge-gensatz zu Wind oder Biomasse istFotovoltaik bei unseren wolkenver-hangenen Himmeln immer noch weitvon der Wirtschaftlichkeit entfernt –entsprechend stieg mit dem Fotovol-taikboom im letzten Jahr die EEG-Um-lage pro Kilowattstunde um mehr alseinen Cent an. Die zumutbare Belas-tung der Verbraucher ist erreicht. Undwas hast es gebracht? Bei einer mitt-leren Sonnenscheindauer von nochnicht einmal 1000 Stunden pro Jahr ha-ben wir ganze zwei Prozent des Strom-bedarfs im letzten Jahr von der Sonnegeerntet.

Es ist Zeit umzudenken. Das heißt nichtAbschied von der Sonne als zukünfti-ge Stromquelle. Aber behutsameres Vor-gehen. Zumal es eine Alternative gibt:solarthermische Anlagen zur Stromer-zeugung. Die sind ähnlich wie Wind-energie bereits hart an der Wirtschaft-lichkeit, und sie können mittels preis-werter Speichersysteme ähnlich wieGrundlastkraftwerke betrieben werden.Der Pferdefuß: Sie sind nur in Ländernnutzbar, die weit mehr Sonnenstun-den haben als wir, in Südspanien, Süd-italien oder der Sahara. Arbeitsplätzein Deutschland werden damit leider ingrößerem Umfang nicht entstehen.

Energie aus der Sonne – aber wie?

E N E R G I E / A B FA L L 7

KOMMENTAR von Reinhard Klopfleisch

Für RWE war es ein Novum.Erstmals in der 91-jährigenRWE-Geschichte haben die Beschäftigten für mehr Geldgestreikt. Mit Erfolg. Erstschloss RWE ab, dann Vatten-fall. Die Beschäftigten der bei-den Energiekonzerne bekom-men 3,4 Prozent mehr Geld.

Mehr Geld erst nach Streik Entgelt-Abschlüsse bei RWE und Vattenfall – Arbeitgeber lenkten erst nach Warnstreiks ein

NRW befreit StadtwerkeMitbestimmungsrechte bleiben weiter eingeschränkt – Entscheidung beim Rat

Wäre es nach der alten nordrhein-westfälischen Gemeindeord-nung gegangen, wäre der weihnachtliche Übernahmecoup im Re-vier Ende 2010 gar nicht möglich gewesen. Ein regionales Stadt-werke-Konsortium war beim Kauf von 51 Prozent der Anteile amKraftwerks- und Fernwärmekonzern Steag zum Zuge gekommen,am Ende in Konkurrenz mit dem staatlichen tschechischen Strom-monopolisten, der gern an Rhein und Ruhr eingestiegen wäre.

Erstmals seit 91 Jahren legten die RWE-Beschäftigten die Arbeit nieder. FOTOS: VER.DI

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Dominierendes Thema am zweiten unddritten Konferenztag: Der demografi-sche Wandel und die Übernahme Aus-gebildeter in möglichst unbefristeteVollzeitstellen. „Erwachsene“ Ge-sprächspartner landeten zur Frage-stunde in der „heißen Tonne“, einemspeziell präparierten orangefarbenenMüllcontainer. Mehrere Arbeitsdirek-toren wurden so in Erklärungszwanggebracht.

ArbeitsplatzgestaltungErster Interviewpartner aber war Er-hard Ott, ver.di-Bundesvorstandsmit-glied und Bundesfachbereichsleiter. Erforderte Widerstand gegen die un-haltbare Situation, dass junge Leuteunter 30 zu über 60 Prozent nur pre-kär beschäftigt sind – auf befristetenStellen, in Praktika oder Leiharbeit. Den„gesellschaftspolitischen Skandal undden Missbrauch von Leiharbeit“ pran-gerte Ott an und verlangte, befristeteArbeitsverhältnisse zugunsten von Voll-zeitstellen zurückzudrängen. ver.di sor-ge sich um die Qualität von Ausbildung,befürworte praxisnahe, mindestensdreijährige Ausbildungsgänge. Vom de-mografischen Wandel, so der Bun-desfachbereichsleiter, seien „Junge undAlte gleichermaßen betroffen“. Wennman für Ausbildungsquoten und Chan-cen für junge Leute eintrete, müssees zugleich um Modelle für alternsge-rechte Arbeitsplätze mit vernünftigerArbeitszeitgestaltung und Möglich-keiten für einen vorübergehenden oder

früheren Ausstieg aus dem Arbeitsle-ben gehen. Solche Regelungen soll-ten tarifvertraglich festgeschrieben,notfalls durch Arbeitskämpfe erstrit-ten werden. Für den nötigen politischenNachdruck müsse ver.di auch unter derJugend mitgliederstark sein, betonteOtt. Die Fachgruppe Energiewirtschaftdürfte überhaupt „die jüngste Fach-gruppe in ver.di sein“.

Dass Auszubildende nicht zum Spiel-ball zweifelhafter Unternehmensstra-tegien werden dürfen, verdeutlichteein Spontan-Bühnen-Sketch mit denAkteuren „Betriebsrat“, „Azubine“ und„Arbeitgeber“: Organisiert Euch undEure jungen Kolleginnen und Kollegen!Holt Euch Hilfe, Ihr seid nicht allein!,war die Botschaft. Jugendvertreter stell-ten erprobte Übernahmemodelle ausihren Unternehmen vor. So Marc Wil-kens aus den Wuppertaler Stadtwer-ken. Seit 2000 gibt es dort eine Be-triebsvereinbarung, die zumindest ei-ne Ausbildungsquote von 1,6 Prozentsichert. Durch ein „soziales Plus“ istman im laufenden Jahr auf 39 Auszu-bildende gekommen, mehr als der Ei-genbedarf. Marc hofft, dass die Zah-len für die WSW-Gruppe noch erhöhtwerden können. Gute Ausbildungs-leistungen würden immerhin mit be-fristeten Übernahmen für 12 Monatebelohnt. Mindestens die fünf Jahr-gangsbesten werden, so berichtete er,unbefristet übernommen.

Christian Hanika, Vorsitzender derKonzernjugend- und Auszubildenden-

vertretung bei e.on, vertritt aktuelldie Interessen von 2 600 Azubis, dieAusbildungsquote liegt im Konzern im-merhin bei sieben Prozent. Ein tarif-vertraglich geregeltes Übernahmemo-dell bis Ende 2012 sichert 200 unbe-fristete Übernahmen jährlich. Allerdingssei von den jungen Leuten Flexibilitätund Mobilität auch zwischen einzel-nen e.on-Gesellschaften gefragt. Miteinem geplanten „Tarifvertrag Demo-grafie“, für den sich auch die Jugend-vertreter stark machen, sind weitereVerbesserungen angestrebt: zusätzli-che Übernahmen, ein verbesserter Wis-senstransfer von erfahrenen und jun-gen Beschäftigten, die Einrichtung vonPatenschaften.

Von einem „Best-Auslerner-System“berichtete Sven-Olaf Günter von derBerliner Stadtreinigung. Das leis-

tungsstärkste Drittel eines Jahrgangsin den elf Ausbildungsberufen werdebefristet übernommen, besagt ein abJanuar geltender und bis 2028 wei-sender Tarifvertrag Demografie. So sei-en die Chancen der Jungen mit Ver-besserungen für die Älteren gekoppelt:Für jeden Beschäftigten, der in einbetriebliches Altersteilzeitprogrammeinsteigt, muss eine Neueinstellung er-folgen.

Ausbildung dürfe nicht unter dasMotto „Geiz ist geil“ gestellt werden,hieß es bei einer folgenden Podiums-diskussion mit Arbeitsdirektoren derUnternehmen, es ging um Ausbil-dungsquoten, Leiharbeit, Leistungs-bewertung und Finanzausstattung.„Ausbildung ist Teil der sozialen Ver-antwortung von Unternehmen“, fass-te Rolf Wiegand, Gesamtpersonalrat

bei der BSR, die Ergebnisse zusammen:„Wer ausbildet und über AusbildungZukunft schafft, sorgt für Gewinnerund gewinnt selbst!“

Am Abschlusstag stand Aktion ganzobenan: In Kreativworkshops erdach-ten die Teilnehmer Losungen und Sprü-che, mit denen sie Aktionskartons be-malten und Schilder beklebten. Mitfrau- oder mannshohen Ganzkörper-Boxen, Trillerpfeifen und Boxhand-schuhen ausgerüstet, machten sich diejungen Leute dann auf zum BerlinerHotel Intercontinental. Hier, wo gera-de die Manager der Energiewirtschafttagten, veranstalteten sie ein Pfeif-konzert und eine „Flashmob-Aktion“.Die JAV-Vertreter forderten auch perResolution mehr Engagement der Un-ternehmen für Ausbildung und Über-nahme. HELMA NEHRLICH

FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 01 • 2011J U G E N D /WA S S E R8

Im Energiekonzept der Bundesregierungwird die Wasserwirtschaft kaum be-rücksichtigt. Die AöW bedauert das.Was sind die Hintergründe dafür?

G r o ß | D i eAöW hat da-bei nicht nurdie Wasser-kraftwerke imBlick, sonderninsbesonderedie Kläranla-gen. Für dieEnergiegewin-nung steckthier noch viel

Potenzial. Von der Kofermentation (Erhöhung der Biogasgewinnung), überdie Phosphorrückgewinnung bis zurWasserstoffgewinnung. Aber es mussgeforscht werden – das heißt, es muss finanziell gefördert werden. Esgibt interessante Ansätze, gerade beim Klärschlamm. Deshalb ist es ver-wunderlich, dass die Bundesregierunggerade diese Potenziale zu geringschätzt.

Die Wasserwirtschaft treibt aber der-zeit vor allem Pläne der EU um.Groß | Richtig. Wir sehen die Pläne derEU, was mit Re-Vitalisierung des Bin-nenmarktes umschrieben wird, mit gro-ßer Sorge. Die EU will mit dieser Re-Vitalisierung dem Unbehagen begeg-nen, das der gemeinsame Binnenmarktbei vielen Bürgerinnen und Bürger aus-löst. Angeblich geht es der EU um Ar-beitsplätze. Deshalb sollen so genannteUniversaldienstleistungen vorangetrie-ben werden. Wir befürchten, dass mitdiesen Universaldienstleistungen auchdie Wasserwirtschaft gemeint ist. Ei-ne umfangreiche Marktöffnung soll dieEU-Bürgerinnen und EU-Bürger vollendsvon den Vorteilen des Binnenmarktesüberzeugen. Dieser Schuss könnte abernach hinten losgehen. Beispiel Ar-beitsplätze: Die Befürworter des EU-Binnenmarktes werden nicht müde, dieMär von den neuen Arbeitsplätzen zuerzählen. Dabei wissen wir zum Beispielvon der Energiewirtschaft, dass diePrivatisierung europaweit über 80 000Arbeitsplätze gekostet hat.

Was will die EU im Detail?Groß | Die EU hat einen freien, schran-kenlosen und möglichst unregulier-ten Markt vor Augen. Für die EU müs-sen Dienstleistungen der Daseinsvor-sorge nicht in öffentlicher Hand blei-ben. Das bedeutet, dass auch Wasserund Abwasser privat betrieben werdenkönnten. Es gibt bei uns auch heuteschon private Wasserbetriebe – aberes sind eben nur wenige. Und Kennerder Branche wissen: Derzeit ist die-sen privaten Unternehmen nichts an-zulasten, auch die Arbeitsbedingun-gen stimmen. Aber sobald die Mehr-heit der Betriebe in der Wasserwirt-schaft privat sind, gibt es keinen Grundfür diese Unternehmen mehr, nicht auchdie rein wirtschaftliche, gewinnmaxi-mierende Schiene zu fahren. Was soviel heißt wie Dumpinglöhne, höhereGebühren.

Dieser Wettbewerb, der der EU vorschwebt, hat in der Wasserwirtschaftnichts verloren. Wasser ist keine Wa-re. Die Wasserversorgung und die Ab-wasserentsorgung sind eine klassischeAufgabe der Daseinsvorsorge. Denn je-der weiß: Wir sind auf den Wasser-versorger vor Ort angewiesen. Es gibtkeine Wahl des Versorgers. Es gibt kei-ne zwei Wasserhähne im Haus und dieBürgerinnen und Bürger können nichtwählen, welchen sie aufdrehen. Zudem:Der gesunde Menschenverstand sagt,dass Wasser und Abwasser niemalsbilliger werden, wenn es privat läuft.Denn die Privaten wollen eine Verzin-sung ihres Kapitals. In der Wasserver-

sorgung ist viel Geld zu verdienen –um nicht zu sagen, die Wasserversor-gung und die Abwasserentsorgung alsMonopolbetriebe haben sozusagen dieLizenz zum Gelddrucken. Wer sich inder Wasserwirtschaft engagiert, der willzweistellige Renditen. Und dann sollder Wettbewerb, dann soll die Privati-sierung das Wasser und das Abwasserfür die Bürgerinnen und Bürger billi-ger werden lassen? Wer soll das glau-ben?

Und deshalb wird auch die Bundes-fachgruppe nicht müde, die Bevölke-rung zu sensibilisieren. Groß | Wir müssen aufklären, die Bürgerinnen und Bürger und natür-lich die Politiker. Weil die Bürgerin-nen und Bürger neben den Beschäf-tigten die Zeche bezahlen. Wir müssenaber auch den Kommunalpolitikern aufzeigen, welche Folgen es für die Gemeinderäte hat, wenn immermehr Bereiche privatisiert werden. Überwas können die Räte dann noch ent-scheiden? Privatisierung heißt auch im-mer, dass Bereiche der kommunal -politischen Einflussnahme entzogenwerden. Materielle Privatisierung be-deutet den Verlust an demokratischerTeilhabe.

Und nach wie vor wird damit gelieb-äugelt, die Mehrwertsteuer auch aufdie öffentliche Wasserwirtschaft aus-zudehnen. Groß | Nach wie vor ist die gebüh-renfinanzierte öffentliche Wasserwirt-

schaft wie auch die klassische Müll-entsorgung der Kommunen von derMehrwertsteuer befreit. Und so solles auch bleiben. Sonst drohen Ge-bührenerhöhungen und der Abbau von Arbeitsplätzen. Aber die Mehr-wertsteuer ist nicht das einzige, was uns umtreibt. Es geht auch um die interkommunale Zusammen-arbeit und die Vergabe von Aufträ-gen an kommunale Betriebe. Denn nur wenn ein Unternehmen vollstän-dig der Kommune gehört, kann dieKommune einen Auftrag an diesesUnternehmen vergeben, ohne ihn großauszuschreiben. Die Krux ist nur: In vielen kommunalen Wasserunterneh-men sind Private mit Minderheiten-anteilen mit drin.

Während der EU weitere Schritte in Rich-tung Privatisierung vorschweben, ho-len Kommunen beim Wasser wiederAufträge zurück. ver.di stellt sich hin-ter die Re-Kommunalisierung.Groß | Re-Kommunalisierung ist derrichtige Weg. ver.di hat sich immerdafür ausgesprochen, dass die Auf-gaben der Daseinsvorsorge in staatli-che Hand gehören. Aber wir sagenauch: Nicht um jeden Preis. Die er-reichten Standards der Beschäftigtenmüssen erhalten bleiben. Und wir sa-gen auch: Es muss Überleitungstarif-verträge geben, in denen die Interes-sen der Beschäftigten ohne Abstrichefestgehalten werden. So wie es in Pri-vatisierungsfällen schon geschehen ist.

FRAGEN VON JANA BENDER

Der EU-Binnenmarkt, die Dienstleistungskonzession, die inter-kommunale Zusammenarbeit, die Mehrwertsteuer – wenn diePläne Wirklichkeit werden, die in Brüssel und Berlin ausgebrütetwerden, wird die Wasserwirtschaft in Deutschland durchgerüt-telt. Die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft (AöW) undauch ver.di wehren sich gegen diese Pläne. Ihr Credo: Wasser istkeine Ware. Bei einem Wettbewerb, wie ihn sich die EU vorstellt,bleiben Wasser – und Umweltstandards als erstes auf der Stre-cke, betont der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Wasserwirt-schaft, Roland Groß, in einem Gespräch mit „REPORT“.

„Stand up and fight!“ stand auf der großen Bühne, und das auf-müpfige, jugendgemäß-kämpferische Motto wurde beherzigt:Drei Tage lang diskutierten und netzwerkten 260 Jugend- undAuszubildenvertreter/-innen der Fachbereiche Ver- und Entsor-gung und Verkehr. Sie hatten sich Mitte Januar zur größten Ju-gendkonferenz innerhalb von ver.di versammelt und machten dabei voll auf Aktion: Am ersten Tag gab es neben Workshopsmit Tipps für die JAV-Arbeit auch Anregungen aus der Praxis. Jugendvertreter/-innen regten mit Berichten aus ihrer täglichenArbeit den Meinungsaustausch an.

Boxen für die Übernahme Gemeinsame Jugendkonferenz der Fachbereiche Ver- und Entsorgung sowie Verkehr pocht auf unbefristete Übernahme

Re-Kommunalisierung ist der richtige Weg Roland Groß: Beschäftigte sowie Bürgerinnen und Bürger zahlen die Zeche der Privatisierung

Die Fachbereichs-Jugend kämpft für eine unbefristete Übernahme. FOTO: VON POLENTZ