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(Ausder Universit~ts-Augenklinik G6ttingen.--Direktor: Geh.Rat.Prof. E.v. HippeL) Zerfallsvorg~nge im GlaskSrper des menschliehen Auges und deren Beziehung zur Entstehung yon Netzhautrissen. Von Prof. M. Baurmann, Oberarzt tier Klinik. Mit 10 Text~bbildungen. Die Beantwortung der Frage nach der Entstehuzlg des Netzhaatrisses ist yon groi~er klinischer Bedeutung. Es ist zweifellos richtig, dab von einer einheittichen Genese nicht gesprochen werden kann, trotzdem abet hat ein grot~er Tefl der Risse nach Form und Lage so iibereinstimmende Charakteristika, dab man itir diese an eine Ubereinstimmung aueh der Genese denken mult. In den ErSrterungen dariiber hat die Vorstellung einer GlaskSrpersehrumpfung einen breiten Raum eingenommen, eine Vorstellung, gegen die ieh selbst auf Grund meiner Studien fiber die Struktur und die Eigenschaften des GlaskSrpers stets opponiert habe, und die vSllig in der Luft schwebt, solange nicht in vitro eine Glask6rper- schrumpfung unter physiologiseher Weise realisierbaren Bedingungen naehgewiesen ist. Ieh m6ehte heute zu dieser Yrage eine Ansieht ~iutlern, die wiederum auf meinen GlaskSrperstudien basiert. Ieh mull noch einmal folgendes voransehieken: Eine klare Einsicht in den Zustand und in alas Verhalten des GlaskSrpers kann man nur erhMten, wenn man ihn vSllig unberiihrt und ohne jede Vorbeh~ndlung mit Fixiermitteln ultra- mikroskopisch in situ untersucht. Wie and dall das techniseh ausffihrbar ist, babe ieh auf dem vorletzten Kongrel~ der Deutsehen Ophthalmolo- gischen Gesetlsehaft in Leipzig gezeigt. Inder Sklera des frisch enukleierten Auges werden vorsiehtig pr~iparierend zwei Fenster ange]egt, and zwar das eine oben, das andere seitlieh entweder temporal oder nasal, darauf wird an genau entsprechender Stelle mit grSl~ter Vorsieht noeh Aderhaut und Netzhaut gefenstert (Abb. la). Das gelingt ohne die geringste Ver- letzung des G]askSrpers. Zur Untersuchung wird das Auge in eine gut angepal~te mit physiologischer Koehsalzl6sung gefti]lte Kammer gebraeht, diefrontal undobenjeeinDeekglasalsWandungbesitzt. Dasso priiparierte Auge kann Ieieht im Ultramikroskop untersueht werden; das seitliehe Fenster dient dem Beleuehtungskegel als Eintrittspforte, das dorsal liegende Fenster gestattet ausreichende Beobachtung. Ist die Kammer mit dem Auge im Ultramikroskop aaf einem geeigneten Kreuztisch auf- gestellt, so ist eine system~tisehe und vSllig liiekenlose Durehsuchung eines grotlen Teiles des GlaskSrpers mSglieh (Abb. lb). Ieh habe auf diese Weise eine grolle Zahl yon Augen ganz systematisch durehsKcht und zwar dienten mir vorwiegend Augen yon Sehweinen, v. Graefes Archly iiir Ophthalmologie. 134. Bd. 14

Zerfallsvorgänge im Glaskörper des menschlichen Auges und deren Beziehung zur Entstehung von Netzhautrissen

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Page 1: Zerfallsvorgänge im Glaskörper des menschlichen Auges und deren Beziehung zur Entstehung von Netzhautrissen

(Aus der Universit~ts-Augenklinik G6ttingen.--Direktor: Geh.Rat. Prof. E.v. HippeL)

Zerfallsvorg~nge im GlaskSrper des menschliehen Auges und deren Beziehung zur Entstehung yon Netzhautrissen.

V o n

Prof. M. Baurmann, Oberarz t tier Klinik.

Mit 10 Text~bbildungen.

Die Beantwortung der Frage nach der Entstehuzlg des Netzhaatrisses ist yon groi~er klinischer Bedeutung. Es ist zweifellos richtig, dab von einer einheittichen Genese nicht gesprochen werden kann, trotzdem abet hat ein grot~er Tefl der Risse nach Form und Lage so iibereinstimmende Charakteristika, dab man itir diese an eine Ubereinstimmung aueh der Genese denken mult. In den ErSrterungen dariiber hat die Vorstellung einer GlaskSrpersehrumpfung einen breiten Raum eingenommen, eine Vorstellung, gegen die ieh selbst auf Grund meiner Studien fiber die Struktur und die Eigenschaften des GlaskSrpers stets opponiert habe, und die vSllig in der Luft schwebt, solange nicht in vitro eine Glask6rper- schrumpfung unter physiologiseher Weise realisierbaren Bedingungen naehgewiesen ist. Ieh m6ehte heute zu dieser Yrage eine Ansieht ~iutlern, die wiederum auf meinen GlaskSrperstudien basiert. Ieh mull noch einmal folgendes voransehieken: Eine klare Einsicht in den Zustand und in alas Verhalten des GlaskSrpers kann man nur erhMten, wenn man ihn vSllig unberiihrt und ohne jede Vorbeh~ndlung mit Fixiermitteln ultra- mikroskopisch in situ untersucht. Wie and dall das techniseh ausffihrbar ist, babe ieh auf dem vorletzten Kongrel~ der Deutsehen Ophthalmolo- gischen Gesetlsehaft in Leipzig gezeigt. Inder Sklera des frisch enukleierten Auges werden vorsiehtig pr~iparierend zwei Fenster ange]egt, and zwar das eine oben, das andere seitlieh entweder temporal oder nasal, darauf wird an genau entsprechender Stelle mit grSl~ter Vorsieht noeh Aderhaut und Netzhaut gefenstert (Abb. la). Das gelingt ohne die geringste Ver- letzung des G]askSrpers. Zur Untersuchung wird das Auge in eine gut angepal~te mit physiologischer Koehsalzl6sung gefti]lte Kammer gebraeht, diefrontal undobenjeeinDeekglasalsWandungbesitzt. Dasso priiparierte Auge kann Ieieht im Ultramikroskop untersueht werden; das seitliehe Fenster dient dem Beleuehtungskegel als Eintrittspforte, das dorsal liegende Fenster gestattet ausreichende Beobachtung. Ist die Kammer mit dem Auge im Ultramikroskop aaf einem geeigneten Kreuztisch auf- gestellt, so ist eine system~tisehe und vSllig liiekenlose Durehsuchung eines grotlen Teiles des GlaskSrpers mSglieh (Abb. lb).

Ieh habe auf diese Weise eine grolle Zahl yon Augen ganz systematisch durehsKcht und zwar dienten mir vorwiegend Augen yon Sehweinen,

v. Graefes Arch ly iiir Ophthalmologie . 134. Bd. 14

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~02 M. B~urmann: Zerfallsvorggnge im Glask6rper des mer~sehlichen Auges

Kaninehen und Kglbern. Einen Teil der so erhMtenen Bilder, die man auch photographiseh festhalten kann, habe ich in Leipzig gezeigt. Dabei habe ieh stets feststellen k6nnen, daft der GlaskSrper bei den Tieren iiberall eine durchaus gleiehmggige - - und ieh m6ehte sagen - - vollwertige S t ruktur aufwies. Aus der gleiehmgftigen'Gtite des ul tramikroskopischen Struktm'bildes darf man sehliegen, daft der Glask6rper auch in allen seinen Teilen eine gleiehmgftige einheitliche Gallerte darstellt. Die einzige Unterbreehung stellte stets der Glask6rperkanal dar, der a.ls gestreekter, glat t begrenzter Kana l die sonst gleiehmggige Gallerte durehsetzt. Ieh habe nun Gelegenheit gehabt, aueh einige menseh- liehe Augen in der gleiehen Weise friseh zu unter- suehen, dabei fanden sieh auffallendeAbweiehungen

Abb. la. Abb. lb. Abb. la und b. a Z~lr Untersuchung gefenstertes Auge. b Sehematische Darstellung des Auges im Ul~ra, mikroskop mit Andeut~ng des zur D~rchsicht gelangenden.GlaskSrpergebietes.

yon dem, was ich bei den gen~nnten Tieraugen zu sehen gewohnt war und was ffir die l~iggenese woM yon Bedeutung sein kann.

Auge Nr. 1 entstammt einer m~nnlichen L~iche, die sehon relativ bald post mortem zur Sektion k~m. Exitus durch Meningitis tuberculos~. Auge ~uBerlich v611ig normM. Untersuchung 20 Stunden post mortem.

Auge Nr. 2. Mgnnliche Leiehe. Exitus nach Basisfraktur. Auge guBerlich vNlig normM. Untersuchung 16 Stunden post mortem.

Auge Nr. 3. Exenteratio orbitae wegen eines in die Orbita hineingehenden Carcinoms. Bulbus selbst frei yon Ca und vSllig normM, Visus 1,0 Emmetropie, Untersuehung unmittelbar post operat.

Auge Nr. 4. Enucleation wegen BasMzellen-Ca am Limbus. Untersuehung des sonst normMen (Emmetropie) Auges 2 Stunden post operat.

Das Alter dieser 4 Pat ienten, denen die untersuchten Augen ent- s tammen, betrug 16 Jahre, 31 Jahre, 34 Jahre und 55 Jahre.

Bei allen diesen 4 Augen habe ieh bereits deutliehe Glask6rperzerfalls- ersehein~mgen gefunden, dis mir yon den normalen tierischen Augen her vSllig unbekann t waren.

Ieh zeige dazu sine Reihe yon Bildern. Die Bilder lassen Vieles zu wansehen tibrig, sie sind zum Teit unseharf, nieht e twa wegen sehlechter

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Technik, sondern weil w/~hrend der zwangsl~ufig sehr langen Beliehtungs- zeit minimaIe VerscMebungen dee Objektes unvermeidtieh sind; trotz- dem belegen sie als unbestechliehe Zengen das, was ich sage.

Die ersten Bilder entstammen dem GlaskSrper des ]6j/~brigen Indivi- duums. Ieh greife sie aus der systematischen Reihenuntersaehung heraas.

Zun/i.chst das ultramikroskopische Bild einer normalen GlaskSrper- stelle. Sie sehen die bekannte feinf/~dige Struktur, die jeweiIs nor an der engsten Stelle des Liehtbfisehels scharf zur Darstellung kommt (Abb. 2).

Im Gegensatz dazu zeige ieh eine andere, bereits sehwer ver£nderte Stelle (Abb. 3), die eine grobe, unregelm/iBige HShlenbildung bei gleieh- zeitiger VergrSberung der umgebenden Struktur erkennen l~l~t. Die HShle hatte bereits ein bemerkenswertes Aasmal~ und war fiber mehrere

A b b . 2. A b b . 3. A b b , 4,

Gesichtsfelder zu verfolgen. [Die Entstehung einer solchen ZerfallshOhle ist sehr schSn aus dem folgenden Bild zu ersehen (Abb. 4) - - es ist das eine Stelle, die yon der im vorigen Bild dargestellten welt erltfernt lag, also eine zweite, yon der ersten ganz unabh~ngige Zerfailsstelle. Es handelte sich bier um eine ganz kleine ZerfallshShle, in deren Umgebung abet die Glask6rperfadenstruktur bereits ganz typisehe Ver~nderungen aufweist. Start der normalerweise sehr feinen, dicht gelagerten lind nicht anastomosierenden Y~tden linden wir hier sehr sauber abgebildet ein stark vergrSbertes mit K6rnern besetztes Netzwerk. Das ist eine fiir den beginnenden Abbaa der Struktur ganz typische Ver~tnderung wie ich aus meinen ausgedehnten Studien tiber den Einfluf~ der fiblichen Fixierungs- und H/irtungsmittel auf die GlaskSrperstraktur and aus meinen Studien fiber das Altern des GlaskSrpers weift. Dieser Umbau der feinen Faden- straktur in ein vergrSbertes, kSrniges Netzwerk war stets die Einleitung zum Zerfall in kSrniges Material.

Von dem folgenden 1%11 (31j~hriges Individuum) zeige ieh nut drei zusammengeh6rige Bilder (Abb. 5), die einen Tell eines sagittal ver- laufenden Spaltraumes darstellen. Es ist m6glich, dab es sieh hier im Grunde am den Gtask6rperkanal handelt, jedenfatts kSnrrte Lage und

14"

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Verlaufsriehtung dafSr sprechen, zweifellos aber zeigt der GlaskSrper in diesem Bereieh erhebliche Ver~nderungen; w~hrend n~mlich bei den un~ersuchten Tieraugen sowohl wie bei Neugeborenenaugen der GlaskSrper kanal stets einen d~Lrchaus glatt gestreckten Verlauf zeigt mit einer gl~tten Wandung bei vorwiegend parallel geriehtetem Fadenveclauf, finden wir

A b b . 5.

hier ein vielfach zerkliiftetes Gebiide mit ausgenagter Wandung und weir in entferntere Gebiete hineinftihrenden seitlichen Si0altr£umen, deren

A b b . 6.

Beziehungen zu diesem Hauptspal t mehrfach nut unsicher feststellbar waren. Dabei ergibt sich auch aus dem Reichtum des GlaskSrpers an kSrnigem Material, dab bier erhebliehe Strukturveranderungen vor sich gegangen sind. Raumlich haben die Ver~nderungen vorwiegend veto Kanal lumen ihren Ausgang genommen 1.

Es ist sehr iiberraschend zu sehen, wie dann dieh~ neben schwer veranderten Gebieten wieder vSllig normale Strukturbilder siehtbar werden.

1 Das ist eine recht interessante Feststelhmg und gibt auch eine Erkl~rung ffir die auffallende Tatsache, dag ein einwandfrei erkennbarer, gestreckter Gtas- kSrperkanal, der beim Neugeborenen ganz zweifellos und regelm~l]ig vorhanden ist, beim Erwachsenen an der Spaltlampe nicht auffindbar ist.

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Das Auge Nr. 3 habe ich wieder v611ig systematisch, wie oben ange- deutet, durchsucht and habe versueht, die Resultate durch Handzeich- hang festzuhalten. Es fand sich ein sehr starker Wechsel in der Dichte der Struktur, wobei sich ganz in ~bereinstim- mung mehrer in dene

w a r .

der Bil zeigen.

Viel ausgedehnter abet und - - ich mSchte sagen - - katastrophaler erweist sich dieser ZerstSrungsprozel~ in dem Auge des viel ~lteren, d .h . 55j~hrigen Patienten. Von der Linse nach rfickwgrts veriguft wieder ein urrregelmgl~iger Spaltraum, der viel]eicht als der urspriingliche GlaskSrperkanal anzusprechen ist (Abb. 6). Sein Lumen ist nicht frei, sondern enth/~lt Bruchstiieke stark vergnderter, auffallend kurzfgdiger GlaskOrpersubstanz. Vor der Papille geht er fiber in eine grSf~ere Zerfallsh6hle, die noeh eben sichtbar wird.

Temporal yon diesem kanalartigen Gebilde finder sieh eine Zerfa]ts- hShle von ungeheuerer Ausdehnung (Abb. 7).

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Der durchaus fi/issige Inhatt diescr ZerfallshShle ist kenntlich an einem dent.lichen Amikronenkegel. Die angrenzenden GlaskSrperteile zeigen deat]iche Abbauerscheinungen: zwischen den F~tden liegt sehr viel k6r- niges M~terial, die J//~den se]bst vielfach zu KSrnerketten ttmgewandelt und zum Teil stark vergr6bert, die Vc'andung der H6hle ggnz ungleichmal3ig

'!i

Abb., 81 " und zerklfiftet, einzelne noch gallertig gebliebene Stficke und Fetzen ragen in die H6hle hinein.

Aus den Untersuchungen geht hervor, dal3 tier GlaskOrper klinisch gesunder Augen einen schon in relativ jugendlichem Alter erkennbaren ZerfallsprozeB zeigen kann. Die Ve, gnderungen zeigen nach ihrer Aus- dehnung eine deutliche Zun~hme mit dem Al~er des Patienten.

Ich erwghnte, dal~ es sich bier um Vergnderungen handelt, die ich an normMen tierischen Angen niema]s wahrgenommen hatte. Damit soll kein prinzipieller Unterschied konstrniert werden, denn die untersuchten tierischen Augen waren ~usnahmslos ja viel jiinger.

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~Venden wir uns m m den anatomischen Beziehungen zwischen Glas- kSrper und Retina zu, so kann ieh nach meinen Erfahrungen bei der Praparat ion sehr vieler A~gen - - die iibrigens auch yon Strgmberg sowohl wic yon Go6dbloed bestg,tigt werden - - nut sagen, da~ eine feste anatomische Verbindtmg zwisehen Retina and GlaskSrper nnr vorne im Gebiet der

Abb. 9.

Ora serr~ta und des Orbieulus eiliaris besteht ;dor t haftet der Glask6rper so lest, dal3 bei einer LoslSsung stets Teile des epithelialen Belags des Orbi- cuMs eiliaris mit herausgerissen werden. Diese feste Verhindung reicht papiltenw/~rts aber etw~s fiber die Ora serrata hinaus, so d~13 def t ringsum auf eine kurze Strecke hin GlaskSrper und yon der Unterlage abhebbare Retina noeh lest miteinander verb~mden sind. Ieh zeige daztt einige ~Bilder, die diese Anssage belegen. Abb. 8 zoigt das Gebiet der Ora serrata bei einem Fail yon Ablatio retinae; die feste Verbindung zwischen

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GlaskSrper nnd Retina geht naeh rfickwfi, rts noeh um ein geringes fiber die Ora serrata hinaus. Abb. 9 zeigt den gleichen Sehnitt auf der Gegenseite, dort liegt ein NetzhautriB genau an der papillenseitigen Grenze dieses Gebietes.

Diese anatomischen Verh/tltnisse in Verbindung mit der sehr auf- fallenden Neignng des GlaskSrpers zu ausgedehnterem Zerfall, bilden meines Eraehtens die Grundlage ftir das Anftreten eines Teiles der Netz- hantrisse dadureh, dab im weitgehend zerfallenen GlaskSrper bei Bewegang des Auges Zugkrgfte an einzelnen umsehriebenen Stellen der vordersten Retina angreifen, die yon reeht betr£ehtlicher Gr613e sind.

A b b . I0 .

Gehen wit aus yon dem Zustand, wie er bei v61lig verfliissigtem Glask6rper vorliegen wiirde. Bei einer Drehung des Auges wiirde der Inhalt des Glask6rperraumes nicht mit in eine Dreh- bewegung geraten, er w/irde vielmetn- s~ille stehen bleiben, genatt wie der Inhalt eines Glases Wassers praktiseh stillstehen bleibt, wenn ieh dem Glase eine kurz dauernde Dreh- bewegung erteile. Die i~uBerste Lage der Fliissig- keit haftet der "Wandung an llnd bewegt sieh mit dieser zusammen und gleitet nahezu rei- bungslos an der nach einwi~rtsliegenden Sehieht

voriiber. So wird also bei einem v61]ig fliissigen Inhalt des Glask6rper- ra~mes bei Drehung des Auges keinerlei Zugh'aft auf die Retina ausgefibt,

D~s ~ndere Extrem ist dieses, daI~ der GlaskSrper in seiner Gesamtheit eine g]eichm~Nge G~]lerte d~rstellt. Im Gegens~tz zu den eben bespro- ehenen Verhgltnissen mul~ bier bei Drehung des Auges die gesamte Glask6rpermasse mit in Bewegung versetzt werden und zwar in eine Drehbewegung yon gleiehem Aasmag ~md gleieher Gesehwindigkeit. Die dabei auftretenden Zugkrgfte sind, wie aus der unten folgenden Er- 6rterung zu entnehmen sein wird, reeht betrgehtlieh, doeh verteilen sie sieh auf eine relativ grebe Oberflgehe. Sie werden getragen yon der ganzen Glask6rperbasis, d.h. dem ganzen Orbieulns eiliaris-Gebiet und zudem aueb noeh yon der gonula vmd der Linsenriiekflgehe, an die der Glask6rper vorne angTenzt und gegen die der Glask6rper sieh nut unter erheblieher Form£nderung versehieben k6nnte (Abb. 10). Einer solehen Deformiernng aber widersetzt sieh der Glask6rper auf Grund seiner Gel-Eigenschaft.

Ieh m6ehte hier nur ganz fliiehtig erw/~hnen, dab nach dieser Be- trachtung atlein sehon dutch Fehlen der Linse die normalen Verh~ltnisse dahingegend ge~ndert werden, dab die tragende Oberfl/~ehe, auf die sieh die bei der Drehung des Auges auftretenden Zngkr~fte verteilen, wesent- lieh verkleinert wird. Daraus muB sich fiir das aphakisehe Auge eine

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gewisse Disposition ffir das Entstehen yon Netzhautrissen ergeben eine Uberlegung, die dutch die klinische Beobaehtung durchaus be- st£tigt wird.

Die dritte M6glichkeit ist diese, dab der Glask6rper weitgehend ver- fliissigt ist mid nur einzelne gallertig gebliebene Teile der vordersten Pattie der Pars opt. retinae anhaften. Bei Bewegung des Auges ble~bt dann der gr61~te TeiI des Inhaltes des Glask6rperraumes unbewegqs mad nur diese gallertig gebliebenen Teite miissen die Bewegumg des Auges mit- maehen; diese tiben dann auf ihre Ansatzstelle eine Kraft aus, die sieh bereehnet naeh der Masse dieser Glask6rperperle and der erteilten Be- sehleunig~mg.

Bei der Bereehmmg der auftretenden Zugkr£fte gehe ieh yon den in der Literatur vorhandenen Angaben fiber die Gesehwindigkeit der will- k~rliehen Augenbewegmagen aus. Die Angaben dariiber sehwanken allerdings betr~ehtlieh. Eine gnte ~bereinstimmung zeigen die Werte yon Guillery, Briiclcn~r and Well3; insbesondere die Messungen yon Briickner sind fiir die Beantwortung nnserer F_rage sehr geeignet. Briickn~r m a t jeweils den Drehungswinkel in der ersten 1/49 Sek. der Bewegtmg, er land dabei eine Drehung bis ztt 81/2 °, was einer Versehiebung eines Netzhautpunktes um rand 1,9 mm entswieht ; u m diese Versehie- bung zustande zu bringen, muB selbst unter der Voraussetz~ng einer gleiehm~tgig besehleunigten Bewegung diesem Pnnkte eine Besehlenni- gang erteilt werden, die zuf/~llig gleieh ist der Besehleunigtmg im freien Fall, bereehnet naeh der bekannten F,ormel S ~ 1/2 g t 2 *. H6ehstwahrseheinlieh ist aber die Besehletmignng bei Beginn der Augenbewegungnoeh betr~ehtlieh hSher, denn es handelt sieh eben hier nieht um eine gleiehm/~Big besehleunigte Bewegung, sondern um eine Bewegang, deren Gesehwindigkeit im Beginn am st~rksten ansteigt. Briickner gibt aueh ganz eindeutig an, dal~ das Gesehwindigkeitsmaximum der Bewegang bereits innerhalb dieser ersten 1/49 Sek. liege and die n~ehste Periode yon ~/49 Sek. bereits eine Gesehwindigkeitsabnahme erkennen lasse. Es ergibt sieh daraus mit Sieherheit, dab die Besehle~migtmg, die dureh die Maskelkontraktion erteilt wird, die Erdbesehleunigung des freien FFatles noeh iibertrifft. Dazu kommt noeh, dab bei den Augenbewegungen die Bewegangsriehtung oft plStzlieh ~mgekehrt wird, woraus also ftir unsere Betraehtung prak- tiseh eine Verdoppelung der Besehlennigtmg resuttiert. Beriieksiehtigen wit noeh, dag, wie oben erw~hnt, andere Autoren noeh wesentlieh hShere Werte ftir die Gesehwindigkeit der Augenmuskelbewegung angeben (z. B. Broca nnd Turchini das 1,5faehe and Lamansk, y sogar his z~tm 4faehen der Briiclcnersehen Angaben), so diirfen wir bei vorsiehtiger

* Setzen wit unsere Werte, ngmlieh s = 0,0019 m; t = I/49 sec in die Formel ein,

so erhalten wit 0,0019 = ~/2g see ; 0,0019.2.2400=g; 9.1 =g, waspraktisch der Erdbeschleunigung entsprieht.

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210 5{. Baurmann.

Wertung fiir die Berechnung der auftretenden Zugkrafte sicher das 3faehe der Erdbeschleunigung einsetzen.

Die Zugkraft, die bei einer solchen Bewegung durch ein anhaftendes Glas- kSrperstfick, das zugleich mit in Bewegung versetzt warden muB, ausgefibt wird, erreehnet sieh naeh dem Gesetz Kraf t = Masse m~l Besehleunigung.

W~hlen wit ein Beispiel: Ein Glask6rperstfiekehen yon 1/10 ccm, das bei ruhendem Auge wegen des der GlaskSrperflfissigkeit nahezu gleiehen spezifisehen Gewiehtes keinerlei met3baren Zug ausfibt, iibt auf seine Ansatzstelle bei einer hin- und hergehenden Augenbewegung die Kraf t yon 3/10 g aus, entspreehend dem Produkt aus der Masse yon 0,1 g und der 3fachen Erdbesehleunigung. Diese Kraf t greift an einer eng um- sehriebenen Stelle an, denn ein Glask6rloersttiekehen yon 1/10 cem wiirde sehon bei Wiirfelform eine Grnndfl~iehe yon nur 1/5 qem haben. Da Druek = Kraf t pro Oberflgehe ist, errechnet sieh aus diesen Angaben ein naeh einw~rts geriehteter Zug yon 15 m m }Vassers£ule. Ieh mSehte noeh her- vorheben, die bier gegebenen Zahlen sind £ttgerst vorsiehtig gewghlt, ieh bin dabei noeh weit entfernt gebtieben yon den HSehstangaben der Literatur fiber die Geschwindigkeit der Augenbewegangen und ieh habe fiir das Reehenbeispiel attch keineswegs optimale Verhgltnisse gew/~hlt; es ist klar, dal3 nieht Wfirfelform eines solehen GlaskSrperstiiekes das wahrseheinlichste ist, sondern viel eher etwa Tropfenform, wobei die An- satzfl~iehe wesentlieh Meiner tmd der zu erreehnende Druekwert viel gr61~er anzllgeben w/~re. Es kam mh' nieht darauf an, l~aximalwerte heranszureehnen, sondern eine Vorstelhmg zu geben yon der Gr6Ben- ordmmg der Krgfte, mit denen sieher zu reehnen ist. Ieh glaube, daft man die in vorstehender Ubersehlagsreehnung angegebenen Kr~fte sehon als ausreiehend bezeiehnen mug, die Netzhaut zum Einreil3en zu bringen. I)iese Vorstellung fiber die Entstehung eines Teiles der Netzhautrisse wiirde in befriedigender Weise eine Erkl~rung bieten ffir ihre meist peri- phere Lage and ffir die haafig zu beobaehtende Hufeisenform mit der oraw/irts geriehteten Basis.

Ieh mSehte noeh hervorheben, dab /ihnliehe Vorstellungen fiber die Bedeutung yon SehIet~derbewegungen des Glask6rpers sehon im Jahre 1904 einmaI yon Best ge/~uBert worden sind, allerdings ohne eine w£zise Angabe fiber die Gr6ge der auftretenden Zugkr~fte und ohne den heute aufgezeigten Naehweis der sehr wesentliehen Zerfallsvorggnge im Glas- k6rioer des mensehliehen Auges. Aueh Vogt spricht tier Sehleuderwirktmg yon zerfallendem Glask6rper in einer eben ersehienenen Arbeit eine wesent- liehe Bedeutnng ftir die giggenese zu.

Literatur. Best: Klin. Mbt. Augenheilk. 1904 II, 538. - - Broca u. Turchini: C. r. Acad.

Sci. Paris 178, 1574 (1924). - - BriZckner, O.: Pfltigers Arch. 99, 73 (1902). --Guitlery: Pfliigers Arch. 73, 87 (1898). - - Lamansky: Pfliigers Arch. 2, 418 (1869). - - Vogt: Graefes Arch. 134, 1 (1935). - - Wei/3, 0.: Z. Psycho1. 45, 313 (1911).