Zu Grell Ist Mir Die Nacht Zum Schlafen

Embed Size (px)

Citation preview

Miriam Danter (1047011) Universitt Wien A 033-580 Stefanie Post (0606872) Universitt Wien A 317

Zu grell ist mir die Nacht zum SchlafenDie Konstruktion des Blickes durch Lichtarchitektur im urbanen Raum

VU Mind your Gaze! Der subjektive Blick in seiner soziokulturellen Konstruiertheit Maga.Dr. Sabine Prokop Wintersemester 2011/2012

Der Raum blinzelt den Flaneur an: Nun, was mag sich in mir wohl zugetragen haben?1

1 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. M [Der Flaneur]", S.527

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1.Licht und Stadt 1.1 Die Geschichte der Erleuchtung 1.2 Die helle Manipulation1.3. Die besondere Wahrnehmung- Willkr auf wessen Seite?

2.Was wir aus den Texten konstruieren 2.1 Bergson und Derrida nehmen wahr 2.2 Benjamin, Debord und der Blick 2.2.1 Die Passagen 2.2.2 Die Beleuchtung... 2.2.3 ...und was sie mit den Leuten macht 2.2.4 Regen 2.2.5 Staub und Freud 2.3 Flanieren mit Konzept wird zur Theorie des Umherschweifens Conclusio Literatur

EinleitungDie Wahrnehmung des Menschen ist in ihrer Komplexitt und exakten Funktionsweise schwer zu ergrnden. Wie subjektiv und willkrlich der Wahrnehmungsprozess zu definieren ist oder wonach die Selektion der ueren Reize in unbewusst und bewusst Verarbeitete verluft, konnte im Rahmen dieser Seminararbeit nicht behandelt werden und ist vielleicht allgemein gar nicht mglich. Feststeht, dass die Wahrnehmung in Zusammenhang mit den sinnlichen Fhigkeiten eines Individuums steht. Die sensorische Aufnahme und Verarbeitung von Reizen bedingt die Wahrnehmung der den Menschen umgebenden Umwelt, und somit auch ihre Beurteilung und Deutung. In Bezug auf den Blick, der in dieser Arbeit das zentrale Element darstellt, sind es die Augen, die dem/der Beobachtenden das Tor zur Wahrnehmung der ihn/sie umgebenden Welt ffnet. Spielen einerseits die anatomischen Gegebenheiten, sprich die intakte Funktionsweise der Augen eine wichtige Rolle, um den Wahrnehmungsprozess einzuleiten, sind es andererseits die ueren Gegebenheiten, die das visuelle Erleben erheblich beeinflussen. Einer der wohl bedeutendsten Faktoren in dieser Kategorie ist das Licht. Nur durch Licht ist es dem Menschen mglich, seine Umwelt optisch zu erfassen, oder in anderen Worten: Licht ist die Voraussetzung fr die visuelle Wahrnehmung des Menschen. (1: vgl. Edtmayer, S.18) Untersucht mensch hinsichtlich dieses Umstandes seine/ihre Umwelt so ist es eine Vielzahl an Lichtquellen und Beleuchtungen, die ihm/ihr die visuelle Wahrnehmung ermglichen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts handelt es sich vorwiegend um elektrische Lichtquellen, die vor allem Stdte bei Tag wie bei Nacht erhellen und den Bewohner/innen derselben die Umgebung offenbaren. Genau an diesem Punkt stellt sich aber auch die Frage nach der Mglichkeit der Manipulation von Wahrnehmung. Denn es handelt sich hierbei nicht nur um zufllige Beleuchtung im Sinne etwas schlicht sichtbar zu machen, sondern gleichzeitig um das Hervorheben von Husern, Kirchen, Brcken, Schaufenstern und anderen architektonischen Elementen der Stadt. Als Bewohner/in einer Stadt des 20. Jahrhunderts ist die Umgebung nachts unter anderem hinsichtlich eines lichtarchitektonischen Konzeptes entsprechend zu beobachten.

Wodurch und warum wird also unser Blick beim nchtlichen Spaziergang in der Stadt gelenkt? Und was wird uns dabei vorenthalten? Ausgehend von dieser gemeinsamen Fragestellung erarbeiteten wir anhand verschiedener Autoren und deren Konzepten verschiedene Zugnge zum Thema der Manipulation unseres Blickes, und setzen es in Bezug mit der stdtischen Beleuchtung. Dabei handeln wir vielleicht im Sinne einer emanzipatorischen Wissenschaft, wie Eva Kreisky die Forderung aufstellt, "das unsichtbare sichtbar [zu] machen2". Wir versuchen, die unsichtbare Struktur des Blickes hinsichtlich der Konstruktion bzw Aufrechterhaltung einer herrschenden Ordnung dazustellen.

1. Licht und StadtLichtarchitektur scheint somit ein wesentlicher Faktor der Darstellung einer Stadt zu sein. Sind es, wie bereits erwhnt, Manahmen der Sicherheit bzw. des Gefhls der Sicherheit, den urbanen Raum auch bei Nacht erhellt zu halten, so spielen vor allem auch kommerzielle und bis zu einem gewissen Grad auch machtkonstruierende bzw. -stabilisierende Faktoren eine bedeutende Rolle in der Planung des nchtlichen Bildes einer Stadt. Sind es einerseits allgegenwrtige hell aufscheinende Leuchtreklamen, welche permanent auf die Rolle des/der Konsumierenden verweisen, so werden die Menschen andererseits durch nun mglich werdende Nachtarbeiten als Arbeiter/innen rund um die Uhr zur Arbeit abrufbar. Weiters ist es das Verschwinden der Nacht, des Schummrigen, der Zweideutigkeiten, welche eine Vernderung in der Positionierung von Trumen und dem Irrationalen zur Folge hat. Die permanente Straenbeleuchtung fhrt zu einer permanenten Sichtbarkeit, und wird somit zu einer Forderung an die sich in ihr bewegenden Subjekte, sich wie bons citoyens zu verhalten. Vergleichbar mit dem Blick einer Kamera2 Kreisky, Eva, Geschlecht als politische und politikwissenschaftliche Kategorie, in Politikwissenschaft und Geschlecht. Konzepte, Verknpfungen, Perspektiven., Hg Rosenberger, Sieglinde, Sauer, Birgit, Wien : Facultas WUV, 2004, S.23-43.

heute, verweist die Straenlaterne auf den Blick der machtkonstituierenden Institution, der permanent auf die PassantInnen gerichtet zu sein scheint. So werden die Auswirkungen der industriellen Revolution in Bezug zu einer Konstruktion von Gesellschaftsordnung ber den mglichen Blick, bis hin zu einer Auflsung der Nacht als dem Verborgenen sprbar. Generell wollen wir hier zwei Kategorien, gewissermaen Zielgruppen voneinander unterscheiden. Es gibt einerseits die Darstellung der Macht nach auen, im Sinne der Reprsentation fr tatschlich Auenstehende, sprich Fremde, die es zu beeindrucken gilt. Andererseits gibt es mehrere Ebenen der Darstellung nach innen. Richtet sich erstens die Aufmerksamkeit der Stadt an die sich mit ihr positiv identifizierende Bourgeoisie, so wirkt das Konzept der Stadtarchitektur in einer zweiten Funktion als Instrument der Einschchterung gegenber den Dienenden/Arbeitenden. Handelt es sich bei der ersten Gruppe schlicht um die reprsentative Darstellung einer Stadt fr Besucher/innen, so gibt es bei der erwhnten zweiten Kategorie einige Punkte auf die wir im Folgenden nher eingehen wollen. -----------------------hier wird noch diskutiert-------------------------------Unsere Diskussion ber diese Einteilung kam zu keinem klaren Resultat, da wir je unterschiedliche Kriterien der Einteilung fr wichtig befanden. Miriam:

auen->Image nach auen (im Sinne von nicht in der Stadt lebenden Menschen) zur Machtstabilisierung

innen->Selbstbild der Stadt fr Bourgeoisie (Beeindruckung, Identifikation) zur Machtstabilisierung ->Selbstbild der Stadt fr Dienende/Arbeitende (Einschchterung, Manipulation) zur Machtstabilisierung Steffi: Grundstzlich daccord: AABER. Ist diese Einteilung so leicht? Es wird doch auf alle dieselbe Form von

Beeindruckung/Identifikation/Manipulation ausgebt. Was machtstabilisierend wirkt, ist die Tatsache, dass ein Mensch in der Position des Arbeitenden einen anderen Bezug zu dem Gebude haben wird, als jemand aus der Bourgeoisie. Somit nimmt das Gebude einen anderen Stellenwert im persnlichen Weltbild ein, dass also Manipulation auf unterschiedliche Art und Weise doch hnlich wirkt. Miriam: Hier knnen wir uns aber auch fragen, was die Einteilung der Menschen in Schichten bedingt. Mir ist klar, dass ein prunkvoll beleuchtetes Hochschulgebude einerseits bei beiden Klassen (wenn wir nur von Arbeiter/innen und Bourgeoisie ausgehen) den Effekt der Beeindruckung haben wird. Dass die Wirkung jedoch auch der sozialen Schicht bzw. dem Weltbild entsprechend unterschiedlich ausfllt, lsst sich auf den Bezug der jeweiligen Schicht zu dem zurckfhren, wofr dieses Gebude steht. Ist es also bei dem/der Arbeiter/in die Einschchterung und ein Bild fr eine Elite, der er/sie nie angehren wird, so kann sich die Bourgeoisie damit positiv identifizieren. Der Punkt dabei ist aber, dass diese Aspekte der Einteilung der Gesellschaft in Klassen entspringen. Und diese Einteilung rhrt von anderen gesellschaftlichen, politischen und vor allem wirtschaftlichen Grnden her. Manipulation ist es definitiv auf beiden Seiten, aber ich finde nicht, dass es die gleiche Art und Weise von Beeindruckung/Identifikation/Manipulation ist.

1.1 Die Geschichte der ErleuchtungDie Entwicklung und Bedeutung des elektrischen Lichtes auerhalb des privaten Raumes ist einerseits geprgt von dem rasanten technologischen Fortschritt, andererseits aber vor allem von der Rentabilitt und Effektivitt des Lichtes hinsichtlich seiner Bedeutung fr Macht und Herrschaft. Bis zum 19. Jahrhundert war das Gas die primre Quelle zur Erzeugung von knstlichem Licht. Der wohl bedeutendste Punkt in der Geschichte der Elektrizitt ist die Pariser Weltausstellung 1900. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auf den sogenannten Weltausstellungen die neuesten technologischen Errungenschaften prsentiert. Hauptaugenmerk der Weltausstellung von 1900 waren die Neuheiten auf dem Gebiet der

elektrischen Beleuchtung. Das Licht wurde hier erstmals als spektakulres und wirkungsvolles Element in Verbindung mit der Stadtarchitektur prsentiert. So sorgte beispielsweise der mit Scheinwerfern und Elmsfeuer ausgestattete Eiffelturm fr groe Begeisterung bei den Besucher/innen. (vgl. Edtmayer, S.42 ff.)

Weltausstellung Paris, 1889 Eiffelturm3

Der wohl bedeutendste Effekt dieser Darstellung war die damit angestrebte Sensibilisierung der Menschen fr den technologischen Fortschritt, wodurch das Zeitalter der Leuchtreklame und der Nutzung des elektrischen Lichtes fr kommerzielle Zwecke eingelutet werden konnte.

3 Bohe, Stefan, Frhe Lichtarchitektur und Lichtwerbung 1880-1933 Stephan Bohe

1.2 Die helle ManipulationIn den folgenden Jahren und Jahrzehnten erfolgte die Perfektionierung des Einsatzes von Licht im ffentlichen Raum, vorwiegend zu Werbezwecken, aber auch zu anderen Formen der Manipulation rasant und beraus erfolgreich. Die fortschrittlich industrielle Erscheinung der Stadt sagte der Nacht den Kampf an. In smtlichen Industriestaaten war eine Vernderung des stdtischen Kontexts auszumachen, die vor allem bei Nacht zum Vorschein kam. Kommerzielle Illumination und Leuchtreklamen zierten die Fassaden der Huser, sowie auch Straen- und Parkbeleuchtung, welche ein neues Gefhl der Sicherheit bei Nacht fr die Bewohner/innen erzeugten. Weiters wurde die knstliche Beleuchtung allmhlich als Baustoff anerkannt, welchem eine tatschliche formgebende Kraft zugesprochen wurde. Denn auch der sthetische Einsatz von Licht fr die Konstruktion eines Stadtbildes fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts groen Anklang. Auch die Nationalsozialisten wussten die Macht des Lichtes auszunutzen, welche verbunden mit der Mythisierung von Feuer, Licht und Ritual fr nationalsozialistische Ideologie und Propaganda instrumentalisiert wurde. Der wohl bedeutendste NS-Architekt Albert Speer konnte mit seinen sogenannten Lichtspielen die Massen bei nchtlichen politischen Inszenierungen in einen Rausch versetzen. Auch waren Fackelzge enormen Ausmaes Instrument zur Mythisierung politischer Veranstaltungen der Nationalsozialisten. Ein Arrangement von tausenden Lichtern in der Dunkelheit schuf eine rituelle nahezu religise Atmosphre, die die Menschen in ihren Bann zog. Die sogenannten Lichtdome, die Albert Speer in Verwendung von ber 100 Flakscheinwerfern installierte, sorgten fr groe Faszination und Begeisterung bei den zu manipulierenden Massen. (vgl. Edtmayer, S.45)

Lichtdom von Albert Speer

Die mystische Bedeutung von Licht und die Verbindung von Licht und Religion oder Ritual unterliegen einer Jahrtausende alten Geschichte. Wie in christlichen Religionen das Licht und die Sonne Symbole der Offenbarung darstellten, so beteten auch die Angehrigen von Naturreligionen das Feuer als groe undurchschaubare Instanz der Macht an. Das Mysterium des Wechsels von Tag zu Nacht, sowie auch die Faszination des Feuers lassen sich auch im Zeitalter des elektrischen Lichtes noch beobachten. Die hell erleuchtete Stadt stellt den/die Spazierenden vor vllig neue Mglichkeiten der Betrachtung, vor allem aber des Konsums. (vgl. Edtmayer, S 47 f.) 1.3.Die besondere Wahrnehmung- Willkr auf wessen Seite? Die unumgngliche Voraussetzung fr Wahrnehmung ist also, wie oben bereits erwhnt, das Licht. Hinsichtlich der Lichtarchitektur und Raumplanung innerhalb der Stadt, ist es hier folglich nicht schwer, die Schnittstelle zur Manipulation des Blickes freizulegen. Sei es die Architektur und Beleuchtung eines Parks, oder die mglichst bersichtlich und geradlinig angelegte Konstruktion von Straen, sei es das gleiend hell beleuchtete Rathaus oder die im Dunkeln verschwindenden Elendsviertel; die Stadt des 20. Jahrhunderts ist einem durchdachten und bewusst lenkenden architektonischen Schema entsprechend konzipiert.

Unter dem Aspekt der Sicherheit eines Raumes knnen architektonische Manahmen ergriffen werden, die als legitim gelten. Beeindruckend und sthetisch ansprechend werden Huser, Brcken und Mauern von Leuchtreklamen geziert. Dem Aspekt der Manipulation wollen wir uns im folgenden Kapitel theoretisch nhern und ihn dadurch vor allem auch auf seine politische Relevanz hin untersuchen. Unser Ziel ist es, den Wahnsinn dieses Alltags auf seine Mglichkeiten der Dekonstruktion abzutasten.

2.Was wir aus den Texten konstruieren 2.1 Bergson und Derrida nehmen wahrIch habe bereits zu Beginn dieser Arbeit auf die Bedeutung der Funktion der Augen verwiesen, die fr den Prozess der Wahrnehmung essentiell ist. Jacques Derrida spricht in diesem Zusammenhang von einem SehenDenken/Denken-Sehen. Er verweist auf das Phnomen Geist, der als Gestalt zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit unentschlossen bleibt. Geister seien also beispielsweise das, was man zu sehen denkt, im Sinne dieses Sehen-Denken/Denken-Sehen. Damit verweist er auf eine Relativitt, die die unmittelbare Wahrnehmung ber die Augen betrifft. Die Wahrnehmung des Sichtbaren und die damit einhergehende Wahrnehmung des Unsichtbaren, die durch Selektion und Erfahrung weitergedacht wird. Weiters stellt er fest, dass das Auge erlaubt, etwas kommen zu sehen -im Sinne einer Vorwegnahme- die dem Schutze diene. Derrida spricht daher von einer Semantik der Vorwegnahme, in welcher das gesamte Spektrum der Wahrnehmung, auch des Begriffes, enthalten zu sein scheint. Ein Ereignis, so fhrt er weiter aus, wrde also nur entgegen der Mglichkeit der Vorwegnahme als solches gelten knnen. Fr ihn ist die Frage nach dem Sehen und dem Denken eine Frage nach dem Ereignis. Ebenso relativiert er hier die Funktion der Augen als grundlegend, da das Ereignis, die Grundlage des Sehen-Denken, einzig ohne die Vorwegnahme der Augen stattfinde. Auch differenziert Jacques Derrida die Augen in sichtbare und sehende, also je nach Funktion im Augenblick. In Zusammenhang mit dieser Differenzierung steht der Gesichtspunkt, die Perspektive, nach welcher entweder die sichtbaren oder die sehenden Augen eines Gegenbers gesehen werden knnen. Fr ihn handelt es sich

hierbei um ein Schema der Selektion, das sich sowohl der Blindheit, als auch dem Sehen verdankt. Um perspektivisch sehen zu knnen, muss man fr manche Zonen im Blickfeld gewissermaen blind sein.Von der Perspektive zu sprechen heit, dass man Dinge immer nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet, dass man die Dinge immer von einem gewissen Standpunkt aus interpretiert, je nach Interesse, indem man ein organisiertes, hierarchisiertes Sehschema ausschneidet, ein Schema, das stets selektiv ist und sich daher ebensosehr der Blindheit wie dem Sehen verdankt. () um perspektivisch zu sehen, muss man nachlssig sein, man muss fr alles andere blind werden; und das passiert stndig. (S.330)

In dieser Nachlssigkeit sehe ich eine Mglichkeit der Dekonstruktion des gelenkten Blickes. Henri Bergson spricht in diesem Zusammenhang (aus den anatomischen Gegebenheiten des Gehirns hergeleitet) ebenso von der Macht der individuellen Selektion. Mit dem Begriff des Universums bezeichnet Henri Bergson die Welt der Bilder. Hierbei gibt es jedoch eine Differenzierung zwischen den Bildern, die von auen sinnlich wahrnehmbar sind und denen, die von innen durch Affektionen erkennbar sind. Diese Affektionen treten immer zwischen den Reizungen von auen und den Bewegungen, die daraufhin ausgefhrt werden, auf. Er bezeichnet diese besondere Gestalt eines Bildes als seinen Leib. Somit gibt es laut Bergson die ueren Bilder, den Leib und schlielich auch die Modifikationen, die dieser an den ihn umgebenden Bildern bewirkt. Zwischen diesen ueren Bildern und dem Leib geschieht ein Austausch an Bewegung. Im Unterschied zu anderen Bildern jedoch, scheint der Leib bis zu einem gewissen Grade die Entscheidung zu haben, in welcher Form er das Empfangene zurckgeben will. In dieser biologistisch anmutenden Definition sehe ich eine Mglichkeit, sich der Konstruiertheit des eigenen Blickes zu entziehen. Es ist die elementare Entscheidungsfreiheit des Leibes, wie er einen empfangenen Eindruck im Gehirn einschtzt und folglich weiterverarbeitet. Es ist der Gebrauch eines eigentmlichen Werkzeugs - das des Gehirns.

2.2 Benjamin, Debord und der BlickBenjamin entwirft sein Konzept des Flaneurs ausgehend von einem brgerlichen Blick, einem verschtteten Blick des Alltags, der von einer Manipulation der Aufmerksamkeit zugunsten eines "Warenfetisch" ausgeht.4 Auch Guy Debord, und mit ihm die Situationistische Internationale befassen sich mit Wahrnehmungsprozessen im urbanen Raum. Ihr Konzept der Psychogeographie wurde entwickelt um einer "lebensfeindlichen Stadtplanung"5 auf die Schliche zu kommen, und in weiterer Folge ein verdrngtes "unmittelbares (Er)-Leben" mglich zu machen. Die Konzepte der SI wurden vor allem durch die Studierendenunruhen 1968 in Paris bekannt. Ausgehend von einer Analyse des Blickes bei Benjamins Flaneur, die das zgerlichem Aufbrechen bereits andeutet, wird bergeleitet zur sich als revolutionr betrachtenden SI und ihren knstlerisch-politischen Methoden der Dekonstruktion.

2.2.1 Die PassagenBenjamin verortet die Entstehung des Flaneurs6 mit dem auftauchen der Pariser Passagen "in den anderthalb Jahrzenten nach 1822"7. Diese Passagen sind "ein Zentrum des Handels in Luxuswaren". In ihnen finden laut Benjamin gleich mehrere moderne Konzepte ihre Anwendung. Zum ersten die Verwendung von Eisen, als modernem "knstlichem" Baustoff, und weiters sind die Passagen "der Schauplatz der ersten4 Die Mode schreibt das Ritual vor, nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will, Vgl Benjamin, Walter, "Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts", in Das PassagenWerk. Erster Band, Hg Rolf Tiedemann, 1982, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S.45-S.60, hier S.51. 5 ACME, Psychogeographie heute: Kunst, Raum, Revolution?, Bernd Adamek-Schyma, Institut of Geography University of Leipzig, acme-journal.org, S.408. 6 Da Walter Benjamin in seinen Konzept-Fragmenten von dem Flaneur ausgeht, mchte ich in weiterer Folge auch seine Begrifflichkeiten verwenden. Der spezifische Blick, den Benjamin seinem Flaneur zuschreibt, steht fr mich in keinster Weise mit einer einseitig zuweisbaren Geschlechtlichkeit in Zusammenhang. Sein Konzept bezieht sich auf die Art des Blickes, auf die Art der Geschichtswahrnehmung, auf einen Zustand des Sehens. Der Blick von Benjamins Flaneur ist die Beschreibung eines Seinszustandes und keinesfalls die Beschreibung einer Person oder Personengruppe. Somit sind die Blicke der Flanierenden nicht gendergebunden. 7 Passagen-Werk, Erster Band, "Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts", S.45.

Gasbeleuchtung". Die Beleuchtungsarten befindet er dabei fr derart elementar, dass er ihnen in seinen Aufzeichnungen ein eigenes Kapitel widmet.8 Die Passagen sind Bauten, die transitorischen Zwecken dienen9. Aber nicht nur fr die Spazierengehenden, sondern auch, wie Benjamin schreibt, fr die in ihnen verwendeten Gestaltungsformen, welche sich von der Kunst emanzipieren10. So wird die Architektur mit der Errichtung der Passagen zur Ingenieurskonstruktion, die Dichtung verschiebt sich zeitgleich um -aus den Bchern und Liebesbriefen verschwindend- in den Feuilletons der Zeitungen wieder aufzutauchen, die Naturwiedergabe der Malerei wird durch technische Entwicklungen zur Photographie und die Phantasieschpfung wird zur Werbegrafik umgedeutet. Diese Elemente, bis zu diesem Zeitpunkt noch der Kunst zugeordnet, sind im Begriff, sich als Ware auf den Markt zu begeben. Aber sie zgern noch auf der Schwelle. Dieser Epoche entstammen die Passagen [..].11 War das Flanieren davor aufgrund der engen Gassen und vorbeifahrenden Pferdekutschen schlicht zu gefhrlich gewesen, wird hier, inmitten der Masse, verortet mit dem Blick auf die Waren, das Flanieren geboren und gehrt, wie etwa die Selbstinszenierung der Dandys, schnell zum fixen Bestandteil der Gesellschaft. Dies wird ersichtlich aus Benjamins Aufzeichnungen, er notiert: 1839 war es modern, beim Promenieren eine Schildkrte mit sich zu fhren. Das gibt einen Begriff vom Tempo des Flanierens in den Passagen12

8 Passagen-Werk, Zweiter Band, "Aufzeichnungen und Materialien. T [Beleuchtungsarten]", S.698-S.707. 9 Benjamin, Walter, Anmerkungen, in Das Passagen-Werk. Zweiter Band, S.1226. 10 Benjamin, Walter, "Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts", in Das PassagenWerk, S.59. 11 Ebenda 12 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. M [Der Flaneur]", S.524-S.569, S.532.

2.2.2 Die Beleuchtung...Durch die Modernisierung der Beleuchtung erlebt die Reklame rund um die Zeit der Weltausstellungen einen raschen Aufschwung. Aber nicht nur die technische Entwicklung steht dabei im Vordergrund, auch die Werbewirksamkeit wird dabei getestet. Die Weltaustellungen gehen, wie Benjamin schreibt, aus dem Wunsch hervor, die Arbeiterklassen zu asmsieren und wird fr dieselben ein Fest der Emanzipation. Die Arbeiterschaft steht als Kunde im Vordergrund13 Somit wird der Hintergrund, der Wunsch einer emanzipierten, also kaufenden Kundschaft sichtbar. Diese neuen, beleuchteten Reklamen rcken die in den Passagen prunkvoll ausgestellten Waren noch mehr in den Mittelpunkt und animieren zum betrachten, trumen, verweilen. Allerdings verwandelt sich mithilfe der Beleuchtung die gesamte Natur in Spezialitten.14 die ausgestellt in den Passagen zum Kauf geboten werden. Die Weltausstellungen spielen in diesem Prozess insofern eine wichtige Rolle, da sie, wieder unter Zuhilfenahme von aufflliger Beleuchtung das Universum der Waren [aufbauen] und den Warencharakter aufs Universum [bertragen]. Die Magie der Passagen besteht also einerseits in der Neuheit der verwendeten Baustoffe, der Mglichkeit des Flanierens, und ihrer modernen Beleuchtung. Andererseits ist es das Schlsselelement der beleuchteten Reklame, die es erlaubt, Waren gezielt in Szene zu setzen, ihnen neben dem eigentlich Wert noch einen zustzlichen hinzuzufgen: Die Ehre, von der neuen Reklame beworben, und dem neuen Licht angeleuchtet zu werden. Benjamin stellt hier einen Zusammenhang her zwischen der beleuchteten Reklame und einem Warenfetisch, einer berbewertung der Kaufhuser und der darin prsentierten Waren.13 Passagen-Werk, Erster Band, "Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts", S.50. 14 Ebenda, S. 51.

Neben den ausgestellten Objekten wirkt die berhhung aber auch weiter, auf die in ihr flanierenden Subjekte: so sind nicht nur die ausgestellten Waren etwas Besonderes, der reine Aufenthalt in den beleuchteten Flaniermeilen wird zur Attraktion und fhrt zu einer Aufwertung des in ihm flanierenden Subjekts.

2.2.3 ...und was sie mit den Leuten machtDementsprechend strmt die Pariser Gesellschaft in Massen in die neuen Passagen, bieten sie schlielich eine neue Mglichkeit des sich zur Schau stellens; posieren oder positionieren inmitten der Waren. Das Promenieren in den berdachten Hallen zwischen den ausgeleuchteten Waren ist ein neues gesellschaftliches Vergngen geworden. Diese flanierenden Massen, die Beschaffenheit der Pariser Gesellschaft, interessiert Benjamin im Hinblick auf die Frage, warum der Flaneur gerade hier, inmitten der Selbstinszenierung seinen Ursprung hat. Auch fr diese Frage finden sich Hinweise in den Aufzeichnungen zum Passagenwerk. Unter der berschrift Die Langeweile, ewige Wiederkehr15 finden sich einige Bemerkungen ber den Gemtszustand der damaligen Pariser Gesellschaft. Die Langweile wird gleichzeitig als vornehm aber auch als epidemisch empfunden. Sie ist als Auenseite des unbewussten Geschehens16 ein schmckendes Ornament, das insbesonders von den Dandys exzessiv genutz wird, gleichzeitig ist die Langeweile ein Index fr die Teilnahme am Schlaf des Kollektivs17, also einer Teilnahme an der Gesellschaft insgesamt. In einer Allegorie beschreibt Benjamin die Langeweile als eine schlafenden Zeit, welche den Trumenden hilflos zurcklsst, unfhig seinen Traum nachzuerzhlen.18 Flanieren ist die Rhythmik dieses Schlummers.19 Das Promenieren in den Passagen, die Selbstdarstellung und berhhung15 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. D [Die Langeweile, ewige Wiederkehr]", S.156-S.178. 16 Ebenda, S.162. 17 Ebenda, S164.

sowohl der Objekte als auch der Flanierenden kann als Versuch gesehen zu werden, interessante Ausnahmen zu bilden aus einem langweiligen Alltag. Die Nhe zum Neuen verspricht einen Ausweg aus dem immer Gleichen, scheint die ewige Wiederkunft20 zu durchbrechen. Durch die irrationale berhhung kann man sie aber auch als eine Gier nach dem Aktuellen verstehen, welche die zugrundeliegenden Bedrfnisse nicht zu beachten scheint. Das Neue kann in seiner Neuheit nur vom noch Neueren berboten werden, und fhrt zu einer Jagd, welche die Frage nach einem Sinn in sich selbst beantwortet, und somit zum Teufelskreis wird. Die Begeisterung fr das Flanieren kann vielleicht als Flucht gesehen werden, eine Fortsetzung des Verdrngmechanismus der Pariser Gesellschaft um dem Resultat der vorherigen Verdrngung, nmlich der Langeweile, zu entkommen.21

2.2.4 RegenEin Punkt, an dem Benjamin die Verdrngung und die daraus resultierende Oberflchlichkeit festmacht, ist das Wetter. Dieses Thema ist es, das dem inhaltsleersten Geschwtz Gestalt verleiht und das Ritual der Konversation als Selbstzweck aufrechterhlt. Dabei ist es das Wetter, das als wiederkehrende Kraft direkten Einfluss auf die Menschen habe. Diese kosmischen Krfte wirken nun auf den hohlen und brchigen Menschen nur narkotisierend22. Das groe nicht fassbare, sich wiederholende Element des Kosmos, wird, anstatt es zu betrachten, verdrngt und in eine18 Langeweile ist ein warmes graues Tuch, das innen mit dem glhendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen ist. In dieses Tuch wickeln wir uns, wenn wir trumen. Dann sind wir in den Arabesken seines Futters zuhause. Aber der Schlfer sieht grau und gelangweilt darunter aus. Und wenn er dann erwacht und erzhlen will, was er trumte, so teilt er meist nur diese Langeweile mit. Denn wer vermchte mit einem Griff das Futter der Zeit nach auen zu kehren? Und doch heit Trume erzhlen nichts anderes. Und nicht anders kann man von den Passagen handeln, Architekturen, in denen wir traumhaft das Leben unserer Eltern, Groeltern nochmals leben wie der Embryo in der Mutter das Leben der Tiere., Vgl Ebenda, S.161: 19 Ebenda, S.162. 20 Ebenda, S.173, Benjamin zitierte Nietzsche. 21 In den Anmerkungen zum Passagenwerk finden sich einige Zeichnungen, in denen Benjamin notiert: Dialektik der Flanerie: Das Interieur als Strae (Luxus), die Strae als Interieur (Elend), in einer Zeichnung unter dem Titel Synthesis: Entdeckung der Passagen, das unbew. Wissen vom Gewesnen wird bewut, Lehre vom Erwachen, Passagen-Werk, Zweiter Band, Anmerkungen, S. 1215-S.1216.

inhaltsfreie Form gebracht. Diese Disposition dem Kosmos gegenber, es gleichsam als ein Interieur wie jedes ander zu betrachten, erklrt vielleicht die ghnende Langeweile der Pariser Gesellschaft, welche Bejnamin zu erfassen versucht und aus der der Blick des Flaneurs entspringt. Auch wenn das Wetter auf den ersten Blick nichts mit dessen soziokultureller Konstruiertheit zu tun hat, glaube ich doch, dass sich Rckschlsse ziehen lassen. Benjamin benutzt dieses Thema, wie oben gezeigt, um Hinweise auf den seelischen/moralischen Zustand einer Gesellschaft zu finden. Vor dem Wetter sind alle gleich, niemand kann es ignorieren oder es befehlen. Es betrifft alle, weit die Menschen auf ihre -gerade ab Mitte des 19. Jahrhunderts- gerne verdrngte Verletzbarkeit hin. Die Illusion der Allmacht des Menschen ist gebrochen. Wie in einer Gesellschaft mit diesem Thema umgegangen wird, welche Metaphern eingang in den Sprachgebrauch finden, kann vielleicht Hinweise liefern auf die Konstruktion der Gesellschaft, und somit auch des Blickes. Die bereits angesprochene Selbstinszenierung, also Manipulation des Blickes anderer auf sich selbst, ist vielleicht ein Grund, warum gleichzeitig Themen wie Mensch vs. Natur nur in jener oberflchlichen Form abgehandelt werden. Ein weiterer Begriff, der Benjamin in diesem Zusammenhang interessiert, ist der Regen. Ebenfalls im Aufzeichungskapitel ber die Langeweile, beschreibt er den Regen als Freund der Trumenden, da er im Gegensatz zur Sonne die Stunden nicht schattiert, sondern diese einebnet. Tage sind nicht nur grau, sondern ebenmig.23 Der Regen erlaubt es, mit seiner ganzen durchtriebenen Lockung, in frhe Kinderjahre sich zurckzutrumen. Der Regen wird somit zum Sinnbild einer erzwungenen Zeit des Nichtstuns, des Migangs, der allerdings nicht als langweilig, sondern als bereichernd empfunden wird. Die Trumenden beschftigen sich, und das nicht erst seit Freud, mit einer ins Innere weisenden Welt, in22 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. D [Die Langeweile, ewige Wiederkehr]", S.156-S.157. 23 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. D [Die Langeweile, ewige Wiederkehr]", S.159.

denen Gesetzlichkeiten und Konventionen einer ueren, greifbaren nicht gelten. Sie entziehen sich somit, zumindest ein Stck weit, der gewollten Konstruktion. Fr die Betrachtung der Passagen und des Flaneurs wird dieser kleine Exkurs deswegen interessant, weil die Passagen diese Art des in sich gekehrten Nichtstuns aufheben. berdacht, bieten sie unabhngig vom Wetter konstant immer die gleichen Bedingungen um die immer gleiche, konstruierte Abwechslung zu garantieren. Aber der scheinbare Triumph ber die Abhngigkeit vom Wetter ist voreilig. Benjamin schreibt: Als Staub nimmt der Regen an den Passagen seine Revanche.24 In den Passagen wird der Staub zu jenem Element, welchem alle gleichermaen ausgesetzt sind.25 In den konstruierten Hhlen der zivilisierten Passagen, in in dessen geschtztem Rahmen die Menschen ihre Modernitt zur Schau stellen, wird der Staub zum strenden Anzeichen, dass weder Natur noch Zeit beherrsch- oder berechenbar wren.

2.2.5 Staub und FreudAber nicht nur durch das uere Element des Staubs wird die Illusion des beleuchteten Glanzes getrbt. Benjamins Flaneur entwickelt einen Blick, welcher der schimmernden Welt des Warenfetisch und somit auch der Langeweile des immer gleichen Neuen zu entkommen versucht. Benjamin verwendet in seinen Aufzeichnungen fters die Worte bewusst unbewusst oder er spricht vom Erwachen26, auch die Nhe zum Traum wird deutlich. Der Blick von Benjamins Flaneur entfernt sich von einer konstruierten Umwelt, die im Moment des Flanierens in einer nicht24 Ebenda, S.158. 25 Darber lsst sich streiten. 26 Dialektische Struktur des Erwachens: Erinnerung und Erwachen sind aufs engste verwandt. Erwachen ist nmlich die dialektische, kopernikanische Wendung des Eingedenkens. Es ist ein eminent durchkomponierter Umschlag der Welt des Trumers in die Welt der Wachen, Passagen-Werk, Zweiter Band, Frhe Entwrfe, Pariser Passagen II S.1058.

alltglichen Weise erfahren wird. Basierend auf Assoziationen, die sowohl im faktischen Wissen ber Orte, als auch in der persnlichen Erinnerung liegen, wird der Raum wahrgenommen.Der Raum blinzelt den Flaneur an: Nun, was mag sich in mir wohl zugetragen haben? 27

Somit knnte Benjamins Interesse fr Zeit, Raum und unbewusste Vorgnge dazu animieren, auch seinem Interesse fr Staub nachzugehen. Weitergedacht ergbe sich eine Allegorie, welche die psychische Verfasstheit einer Gesellschaft zu erkunden versucht. Der Staub der sich wie die Langeweile auf die ausgestellten Waren legt. Die gleichsam zur Ware gewordenen Passierenden nehmen ihn vielleicht wahr, aber nur als lstiges berleibsel von etwas Verdrngtem, die Verletzbarkeit. Fr die Flanierenden ndert sich der Blick auf dieses Alltagsphnomen. hnlich wie der Regen, der zwar alles grau macht und einebnet, aber eben auch Zeit zum Trumen lsst, kann der Staub ein Zeichen der verlaufenden Zeit sein, der in den Flanierenden die Neugierde/das Trumen weckt, welche Farben unter dem Staub wartet, welche Geschichten aus der Kindheit unter der Oberflche schlummern. Die Prsenz der Langeweile und der Verlust der geladenen28, lebendigen Zeit vertreibt den flchtenden Blick des Flaneurs von den Passagen, allerdings nicht nur geographisch, sondern auch zeitlich. Die Erinnerung an die Kindheit, drckt Benjamin in einer frhen Fassung des Flaneurbegriffes aus.Fr den Flanierenden geht folgende Verwandlung mit der Strae vor sich: sie leitet ihn durch eine entschwundene Zeit. Er schlendert die Strae entlang; ihm ist eine jede abschssig. Sie fhrt hinab, wenn nicht zu den Mttern so doch in eine Vergangenheit, die um so tiefer sein kann, als sie nicht seine eigene, private ist. Dennoch bleibt sie immer Vergangenheit einer Jugend. Warum aber die seines gelebten Lebens? Der Boden, ber den er hingeht, der Asphalt ist hohl. Seine Schritte wecken eine erstaunliche Resonanz, das Gas, das auf die Fliesen herunterstrahlt, wirft ein zweideutiges Licht auf diesen doppelten Boden. Die Figur des Flaneurs rckt wie von einem Uhrwerk getrieben ber die 27 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. M [Der Flaneur]", S.527 28 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. D [Die Langeweile, ewige Wiederkehr]", S.164.

steinerne Strae mit dem doppelten Boden dahin. () Ein Rausch kommt ber den, der lange ohne Ziel durch Straen marschierte. Das Gehen gewinnt mit jedem Schritte wachsende Gewalt; immer geringer werden die Verfhrungen der bistros, der Lden, der lchelnden Frauen, immer unwiderstehlicher der Magnetismus der nchsten Straenecke. () Dann kommt der Hunger. Er aber will nichts wissen von den hundert Mglichkeiten ihn zu stillen; sondern wie ein Tier streicht er durch unbekannte Viertel auf der Suche nach Nahrung, () bis er in tiefster Erschpfung auf seinem Zimmer, das ihn entfremdet, kalt zu sich einlt, zusammensinkt.29

Das Element der Suche, ohne einen Grund zu kennen, das zum Umherirren wird, besttigt sich, wenn Benjamin von seinem Flaneur als einem Entwurzelten30 spricht. Das einziges Zuhause des Flaneurs ist die Menge, also die Gesellschaft, welche durch den entwurzelten klassenlosen Blick sowohl von auen, von einer eigenstndigen Position aus, als auch von innen, in der Menge verschwindend, betrachtet wird.In der Figur des Flaneurs hat die des Detektivs sich prformiert. [] Es passt ihm ausgezeichnet, seine Indolenz als eine scheinbare prsentiert zu sehen, hinter der in Wirklichkeit die angespannte Aufmerksamkeit eines Beobachters sich verbirgt, der den ahnungslosen Missetter nicht aus den Augen lsst31

Der ahnungslose Missetter, der sich dem Blick nicht entziehen kann, ist die Stadt. Den konstruierten Blick der Passagen hinter sich lassend wird diese nicht mehr so betrachtet, wie sie sich prsentiert, bzw verkaufen mchte, sondern so, wie sie empfunden wird. Wichtiger als die Lden werden die Straen, wichtiger als das Jetzt und Hier die reale oder imaginierte persnliche Vergangenheit.Genauso wichtig wie die physische Wahrnehmung der Augen wird das assoziative Denken. Gleichzeitig ist der Missetter auch die Gesellschaft, die Menge in der Benjamins Flaneur zuhause ist, deren Selbstinszenierung versucht wird zu durchschauen. Der Staub der Oberflche wird angekratzt, um Darunterliegendes zu Tage zu frdern. Benjamins Figur des Flaneurs kann also bereits als Versuch gesehen werden, den gesellschaftlich konstruierten Blick anhand einer persnlichen, assoziativen Analyse aufzubrechen. Zeichen dafr ist die29 Passagen-Werk, Zweiter Band, Frhe Entwrfe Passagen II, S.1052. 30 Ebenda, Anmerkungen, S. 1232. 31 Passagen-Werk, Erster Band, "Aufzeichnungen und Materialien. M [Der Flaneur]", S.554

umherirrende Suche, ob die Realitt denn nicht anders sein knnte, erweiterbar ist.

2.3 Flanieren mit Konzept wird zur Theorie des UmherschweifensDie Welt, in der wir leben, entdeckt, wie sie jeden Tag in erster Linie in ihrer materiellen Ausstattung enger wird. Sie erstickt uns. Sie bt auf uns einen tiefen Einfluss aus und wir wirken gem unserem Instinkt anstatt unserem Verlangen darauf zurck. Mit einem Wort, diese Welt beherrscht unsere ganze Art zu sein und sie erdrckt uns dadurch. Allein aus ihrer Neugestaltung - genauer gesagt: aus ihrem Zerspringen werden die Organisationsmglichkeiten der Lebensweise auf einer hheren Ebene hervorbrechen. 32

hnlich wie Benjamin beschftigt sich auch Guy Debord mit der Geschichte. Fr ihn ist Nachdenken ber Geschichte gleichzeitig ein Nachdenken ber die Macht.33 Generell interessiert sich Debord fr Momente bzw Situationen, in welchen Macht sichtbar, aber auch angreifbar wird. Als drei groe Themenbereiche nennt er Zeit, Raum und Gesellschaft. Fr unsere Betrachtung ber die lichtarchitektonische Gestaltung wird vor allem die Kombination Raum und Gesellschaft von Bedeutung sein. Der Raum unterliegt fr Debord sowohl zeitlichen als auch gesellschaftlichen nderungen. Im Besonderen beschftigt er sich mit den Auswirkungen der kapitalistischen Produktion. Diese fhrt zu einer Vereinheitlichung, einer Auflsung der den Orten innewohnenden Autonomie.34 Um die Herrschaft im Raum sichtbar zu manifestieren, ndern unterschiedliche Machtverhltnisse das Ganze des Raumes als sein

eigenes Dekor3532 Abdelhafid Khatib, Versuch einer psychogeographischen Beschreibung der Pariser Hallen, SI-Revue, no.2 (1958), http://www.si-revue.de/. 33 Debord, Guy, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin: Edition Tiamat 1.Auflage 1996, S 118. 34 Ebenda, S. 145. 35 Ebenda, S.146.

Ein Beispiel dafr wren Orte, die in militrischer Manier bewacht werden, abgeschirmt gegen verschiedenste Formen des Eindringens, selbst der harmlosen Neugier entzogen.36 Ein weiteres Beispiel wre aber auch die Beleuchtung von als wichtig erachteten Gebuden, um sie auch in den Nachtstunden prsentieren zu knnen, und gleichzeitig die Reprsentation der Macht nicht abreien zu lassen. Ausgehen von Debords Gesellschaft des Spektakels beschftigt sich die Situationistische Internationale anfnglich mehr mit knstlerischen Inhalten, wendet sich aber schnell politisch-intellektuellen Inhalten zu, welche mit knstlerischen Mitteln umgesetzt wurden.37 Ziel ist die Aufhebung der Gesellschaft des Spektakels, welche sowohl die Menschen voneinander, als auch von sich selbst, ihrer eigenen Wahrnehmung und unmittelbaren Umgebung trennt. Die Gesellschaft, die die geographische Entfernung abschafft, nimmt im Inneren die Entfernung als spektakulre Trennung wieder auf38 Ein Verfahren, um die Trennung aufzuheben, ist die Psychogeographie, die Theorie des Umherschweifens. Durch den Verzicht von bekannten Bewegungs- und Handlungsmotivationen wird der Fokus der Wahrnehmung auf neue Ebenen gehoben. Im Mittelpunkt steht dabei die Wirkung der Umgebung auf das Individuum, das sich in einem konstruktiven Spielverhalten fortbewegt.39 Die dem Spiel innewohnende Unvoreingenommenheit, die Neugierde und der Ausdruck spontaner Reaktionen bzw dem Folgen und Reagieren von Reizen, soll laut SI dazu dienen, das psychogeographische Bodenprofil mit bestndigen Strmen, festen Punkten und Strudeln wahrzunehmen. Die so gewonnenen36 Ebenda, S.244. 37 Vgl. Psychogeographie heute: Kunst, Raum, Revolution? 38 Die Gesellschaft des Spektakels, S.146. 39 Ohne AutorIn, Theorie des Umherschweifens, SI-Revue, no.2 (1958), http://www.sirevue.de/.

Eindrcke, die neue Vorstellung darber, was in einem bestimmten Raum mglich sein kann, nennt die SI das revolutionre Potential der Stdte. Weitere Aufgabe wre, dieses Potential nutzbar machen sowie Gegenmanahmen entwickeln: gegen die herrschende Macht und v.a. deren rumliche Strategien.40

ConclusioAusgehend von unserer Irritation ber die Beleuchtung eines bestimmten Gebudes, der Ersten Wiener Zentralberufsschule41 begann sich unser Interesse fr Beleuchtungsmechanismen zu entwickeln. Sprachen wir zu Beginn unserer Diskussionen hauptschlich ber unsere persnliche Wahrnehmung von verschiedenen Gebuden bzw U-Bahnen in verschiedenen Stdten, wuchs schnell unser theoretisches Interesse, da wir das Thema des Blickes bei mehreren, in unserem Fall fast nur mnnlichen Autoren, ausmachen konnten. Whrend des Arbeitsprozesses stellten wir uns auerdem die Frage nach der Relevanz von Seminararbeiten, unser Blick hatte sich auch in diesem Zusammenhang verndert. Von wem werden sie gelesen? Was wollen wir damit aussagen? Welche verschiedenen Methoden gibt es, Arbeiten nicht nur alleine zu schreiben? Welche Form kann sie annehmen? Die berlegungen reichten von Diskussionen aufzeichnen und verschriftlichen ber aufmalen, komplexe Zusammenhnge visuell sichtbar machen zu Irgendwo verffentlichen, einfach in der Strae aufhngen. Ein Experiment ist der Absatz unter Punkt 1. Licht und Stadt, hier wird noch diskutiert. Auch interessant war es, verschiedene Gebude und ihre Beleuchtung zu diskutieren, die vielfltigen Details herauszufiltern und mit der Wahrnehmung anderer zu vergleichen. Dabei betraf die Diskussion nicht nur die zwei Autorinnen, sondern teilweise auch mitspazierende FreundInnen bzw zufllig zuhrende PassantInnen.

40 Psychogeographie heute: Kunst, Raum, Revolution?, S.409. 41 1907 gebaut zum 60-jhrigen Regierungsjubilum von Franz-Joseph I

Die Reaktionen auf bewusst oder unbewusst wahrgenommene Beleuchtung kann sehr unterschiedlich sein, und hngt vermutlich mit der unterschiedlichen Wahrnehmung aufgrund unterschiedlicher Lebenserfahrungen zusammen. Die Reaktionen reichen im Bereich der bewussten Wahrnehmung vom simplen Staunen zur berhhung. Daraus resultieren verschiedene Handlungsmuster. Whrend das Staunen zum Suchen anregt, ist es bei der berhhung eine Glorifizierung, die entweder in einer Anbetung und Teilhabe, oder in einem Ausschluss und einer Abwertung der eigenen Person besteht. Die Erfahrung der bermacht kann auch dazu fhren, sich selbst als weniger handlungsfhig wahrzunehmen. Die Geschichte der Beleuchtung nicht nur unter einem Fortschrittsaspekt zu sehen, sondern auch den berwachenden und manipulativen Faktor zu

beleuchten war unser Hauptaugenmerk.In diesem Zusammenhang interessierte mich besonders Benjamins Ansatz, der an den Regentagen, also jenen mit wenig Licht, die Hauptaktivitt der Trumenden verortet. Der Versuch eines Abtauchens in die Seele einer sich auf die Oberflchlichkeit berufenden Gesellschaft hat sich dabei fr mich als bemerkenswerter Ansatz herauskristallisiert. Auch die Techniken von Debord sind hilfreich bei der Betrachtung der Stadt. Zu sehen, dass jene Orte, die rund um die Uhr im grellsten Licht angestrahlt sind, tatschlich hauptschlich jene der Bekleidungs-, und mehr noch der Luxusindustrie sind. Zu sehen, wo welche Gebude von der Stadt als wichtig genug eingeschtzt werden, um diese die ganze Nacht beleuchtet zu halten. Dabei noch die Spazierenden zu beobachten, und sich die Frage zu stellen in welcher Weise der Ort auf sie einwirkt. Besonders interessant war die Suche nach dunklen Lchern in der Stadt, Orten, die dem kollektiven Bewusstsein entzogen weden sollen. Die Beschftigung mit dem Thema, die Konstruktion des Blickes und die Manipulation der Aufmerksamkeit, wird ber den Rahmen dieser Arbeit hinaus sehr wahrscheinlich nocht fortgesetzt werden.

LiteraturACME, Psychogeographie heute: Kunst, Raum, Revolution?, Bernd AdamekSchyma, Institut of Geography University of Leipzig, acme-journal.org. Benjamin, Walter, Das Passagen-Werk, Hg Rolf Tiedemann, 1982, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S.45-S.60, hier S.51. Bergson, Henri, Von der Auswahl der Bilder bei der Vorstellung. Die Funktion des Leibes, Bildtheorien aus Frankreich. Eine Anthologie, Emmanuel Alloa (Hg.), Fink-Verlag: Mnchen 2011, S. 44-63. Debord, Guy, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin: Edition Tiamat, 1996. Derrida, Jacques, Denken, nicht zu sehen, Bildtheorien aus Frankreich. Eine Anthologie, Emmanuel Alloa (Hg.), Fink-Verlag: Mnchen 2011, S. 322347. Edtmayer, Erwin, Stadtlicht. Vom Beginn moderner Beleuchtungssysteme zum Lichtdesign, Dipl.Arbeit, Wien: 2008. Keusch, Nikolaus, [] unsterblicher Schatz einer so wahrhaften deutschen Kunst. Die Rezeption der deutschen Romantik im nationalsozialistischen Kunstdiskurs, Dipl.Arbeit, Wien: 2009. Kreisky, Eva, Geschlecht als politische und politikwissenschaftliche Kategorie, in Politikwissenschaft und Geschlecht. Konzepte, Verknpfungen, Perspektiven, Hg Rosenberger, Sieglinde, Sauer, Birgit, Wien : Facultas WUV, 2004, S.23-43. SI-Revue, no.2, 1958, http://www.si-revue.de/.