19
Psychologische Forschung, JBd.24, S. 175--193 (1953). Aus dem Zoologisehen Institut der Universit~t Tiibingen (Direktor: Prof. Dr. H~R-~A~ W~B~). Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". (Nach Versuchen an jungen Silbermiiwen.) Von HANS M. PETERS. Mit 5 Text~bbildungen. Einleitung. ,,In der Gegenwelt", schreibt J. vo~ UEXKi~LZ (1909, S. 195), ,,sind die Gegenst~nde der Umwelt durch Schemata vertreten, die je nach dem Organisationsplan des Tieres sehr Mlgemein gehMten sein und sehr viele Gegenstandsarten zusammenfassen k6nnen. Es k6nnen die Sche- mata aber auch sehr exklusiv sein und sich nut auf ganz bestimmte Gegenst~nde beziehen. Die Schemata sind kein Produkt der Umwelt, sondern einzelne, durch den Organisationsplan gegebene Werkzeuge des Gehirnes, die immer bereit liegen, um auf passende Reize der Aul~en- welt in T~tigkeit zu treten. Ihre Anzahl und ihre Auswahl l~l~t sieh nicht aus der Umgebung des Tieres, die wir sehen, erschliel~en. Sie lassen sich nur aus den Bediirfnissen des Tieres folgern." Unter ,,Gegen- welt" verstand der Autor eine Art vereinfachender Spiegelung der Aul~enwelt im Tiere, ,,diese im ZentrMnervensystem der h6heren Tiere entstandene neue Eigenwelt" (S. 195). Es hat lange gedauert, bis die Idee der Schemata in die konkrete zoologische Forschung Eingang land. Die ersten Spezialarbeiten darfiber sind meines Wissens die yon TI~ALA (1923) und BI~OCK (1927). TII~ALA anMysierte das Schema ,,Beute- tier" der Libelle und das Schema ,,Weibchen" bei Wellensittich und Kanarienvogel. BI~OCK studierte die Schemata in der Eigenwelt des Einsiedlerkrebses (Pagurus arrosor), der mit der Seerose Sagartia pa~'asitica in Symbiose lebt. Starke Antriebe erhielt die Sehematen- forschung durch K. Lol~EXz, der den Blick vor Mlem auf das ,,an- geborene", d.h. das yon Mler Erfahrung noch unbeeirglultte Schema lenkte. 1937 erschien eine ausffihrliche ExperimentMuntersuchung des Verfassers vorliegenden Beitrags fiber das ,,angeborene Schema", wel- ches das VerhMten junger Fisehe (Haplochromis, tin maulbrfitender Buntbarsch) zur Mutter steuert. Heute spielt das Problem des a priori der Tiere -- wenn man so sagen darf -- eine bedeutende l~olle in der zoologischen VerhMtensforschung.

Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Psychologische Forschung, JBd. 24, S. 175--193 (1953).

Aus dem Zoologisehen Institut der Universit~t Tiibingen (Direktor: Prof. Dr. H~R-~A~ W~B~).

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". (Nach Versuchen an jungen Silbermiiwen.)

Von HANS M. PETERS.

Mit 5 Text~bbildungen.

Einleitung.

,,In der Gegenwelt", schreibt J. vo~ UEXKi~LZ (1909, S. 195), ,,sind die Gegenst~nde der Umwelt durch Schemata vertreten, die je nach dem Organisationsplan des Tieres sehr Mlgemein gehMten sein und sehr viele Gegenstandsarten zusammenfassen k6nnen. Es k6nnen die Sche- ma ta aber auch sehr exklusiv sein und sich nut auf ganz best immte Gegenst~nde beziehen. Die Schemata sind kein Produkt der Umwelt, sondern einzelne, durch den Organisationsplan gegebene Werkzeuge des Gehirnes, die immer bereit liegen, um auf passende Reize der Aul~en- welt in T~tigkeit zu treten. Ihre Anzahl und ihre Auswahl l~l~t sieh nicht aus der Umgebung des Tieres, die wir sehen, erschliel~en. Sie lassen sich nur aus den Bediirfnissen des Tieres folgern." Unter ,,Gegen- welt" verstand der Autor eine Art vereinfachender Spiegelung der Aul~enwelt im Tiere, ,,diese im ZentrMnervensystem der h6heren Tiere entstandene neue Eigenwelt" (S. 195). Es hat lange gedauert, bis die Idee der Schemata in die konkrete zoologische Forschung Eingang land. Die ersten Spezialarbeiten darfiber sind meines Wissens die yon TI~ALA (1923) und BI~OCK (1927). TII~ALA anMysierte das Schema ,,Beute- t ier" der Libelle und das Schema ,,Weibchen" bei Wellensittich und Kanarienvogel. BI~OCK studierte die Schemata in der Eigenwelt des Einsiedlerkrebses (Pagurus arrosor), der mit der Seerose Sagartia pa~'asitica in Symbiose lebt. Starke Antriebe erhielt die Sehematen- forschung durch K. Lol~EXz, der den Blick vor Mlem auf das ,,an- geborene", d .h . das yon Mler Erfahrung noch unbeeirglultte Schema lenkte. 1937 erschien eine ausffihrliche ExperimentMuntersuchung des Verfassers vorliegenden Beitrags fiber das ,,angeborene Schema", wel- ches das VerhMten junger Fisehe (Haplochromis, t in maulbrfitender Buntbarsch) zur Mutter steuert. Heute spielt das Problem des a priori der Tiere - - wenn man so sagen darf - - eine bedeutende l~olle in der zoologischen VerhMtensforschung.

Page 2: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

176 I~A~-s M. PETEI~S:

LOrEnz (1943) spricht yon ,,angeborenen Schemata" mit Rficksicht darauf, dab es ,,immer nur wenige aber kennzeichnende Reizdaten aus der Gesamtsituation" sind, die - - unabh/~ngig yon aller Erfahrung - - , , d i e auslSsende Wirkung entfalten". Er bezeiehnete die angeborenen Schemata auch als die ,,rezeptorischen Korrelate zu bestimmten guBeren Reizsituationen" (S. 397).

Nach dieser, auch yon TINBERCEN und PE~D~CK (1950) vertretenen Auf- fassung, kann instinktives Verhalten unter Umst~nden yon wenigen ,,Schltissel- reizen" ausgelSst werden: ,,The rigidity of the responsiveness indicates that an animal must have, connected with the motor mechanisms responsible for the movement, a sensory mechanism in the central nervous system that is selectively responsive to a special stimulus situation, and which upon stimulation by these sign stimuli releases the motor response, provided of course, certain other, internal, conditions are fulfilled" (1950, S. 2). Dieser zentrale Apparat wird ,,Innate Re- leasing Mechanism" (IRM) genannt, ein Ausdruek, den neuerdings auch LoREnz bevorzugt (,,Angeborener AuslSsender Meehanismus ~ AAM).

Es ist leicht zu sehen, dab die zoologisehe Schematenforschung mit ehler bestimmten Forschungsriehtung innerhalb der Humanpsyehologie auf einen gemeinsamen Zielpunkt konvergiert, soweit dies bei der Verschiedenheit der Gegenstandsbereiche mSglich ist, ngmlich mit der Archetypenlehre yon C. G. J~rNc. So hat denn auch ALVERDES den Versuch gemacht, diese Lehre in die Tierpsycho- " logic einzufiihren (1937). Obwohl J v ~ r selbst sieh nicht ausdriicklich auf die , ,Schemata" der Tierpsychologen bezieht, schreibt er (1947, S. 448): ,,Insofern nun die Arehetypen regulierend, modifizierend und motivierend in die Gestaltung der BewuBtseinsinhalte eingreifen, verhalten sic sich so, wie Instinkte. Die An- nahme liegt daher auf der Hand, diese Faktoren mit den Trieben in Beziehung zu setzen und die Frage aufzuweffen, ob die typischen Situationsbilder, welche diese kollektiven Formprinzipien anscheinend darstellen, nicht am Ende mit den Triebgestalten, n~mlich den patterns of behaviour, fiberhaupt identisch seien. Ich muB gestehen, dab ich bis jetzt noch keines Argumentes habhaft geworden bin, welches dieser M6glichkeit stiehhaltig widerspr~che." Die Anngherung an Vorstellungen der Tierpsychologen wird noch deutlicher, wenn wir lesen, der Archetypus sei ,,wohl ein psychiseher Ausdruek einer physiologiseh-anatomisch bestimmten Anlage" (1946, S. 598). ,,Der Archetypus ist eine symbo]isehe Formel, welehe tiberall da in Funktion tritt , wo entweder noch keine bewuBten Begriffe vorhanden, oder solche aus inneren oder ~ul3eren Griinden tiberhaupt nicht m6glich sind. Die Inhal~e des kollektiven UnbewuBten sind im Bewul3tsein als aus- gesproehene N'eigungen und Anffassungen v e r t r e t e n . . , sie entstammen der un- bewul~ten Struktur der Psyche und werden durch die Objekteinwirkung nur aus- gelSst" (1946, S. 540). Keinesfalts sind mit Arehetypen angeborene Vorstellungen gemeint, eine ,,oft sture Voraussetzung", die das Verst~ndnis unm6glich maeht (1947, S. 478). 1941 gugerte ALV:ERDES : ,,Angeborene Schemata stellen meines Er- aehtens besondere Formen der Archetypen dar". Sie sind jedoeh nicht ,,gewisser- mal3en nur Leerformen", sondern ,,die Merkmale jenes Objekts, auf das das tierische Individuum unmittelbar reagieren wird, (sind) yon vornherein festgelegt (S. 126).

LorENz (1943) fibrigens distanziert sich ausdrficklieh von der, ,rein vorgefaBten und durch keinerlei experimentelle Befunde oder auch nur exakt geprfifte Zufalts- beobaehtungen gegrfindeten Ju~G-ALv]~RD~sschen Anschauung" (S. 271). Er glaubt irrtfimlich, mit den Archetypen seien ,,eine Art angeborener Erinnerungs- bilder" gemeint (Sperrung von mir). Wenn er aber sehreibt (1943, S. 284), dal~ nach seiner Auffassung ,,das Schema kein als solches angeborenes Bild, sondern nur die vorgeformte MSglichkeit zu seiner Ents~ehung sei", st immt er vSllig mit JU~G fiberein.

Page 3: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 177

Zur Kritik des angeborenen Schemas. 1. ,,Angeborenes Schema" ist eine Formel fiir einen sehr komplexen

Sachverhalt. Die Analyse pflegt bei der ausl6senden Reizsituation anzusetzen. Diese baut man experimentell so weir ab, his nurmehr die fiir die AuslSsung der Reaktion verantwortlichen AuBenfaktoren fibrig geblieben sind. Man erfaBt auf diese Weise die Komponenten a, b, c, d . . . . auf welche das Schema anspricht, und gewinnt einen Einblick in ihre relative Bedeutung. Sieht man in der Analyse der Reizsituation das einzige Forschungsziel, so ist dieses damit erreicht. Aber die Frage, woher jene Reizfaktoren ihre Bedeutung als Ausl5ser erhalten, bleibt nach wie vor often. In diese Liicke pflegt eine mehr oder weniger teleologische Auffassung einzuspringen, welche der Einsicht in die situative Bedingtheit der untersuchten Verhaltensweise eine gewisse Endgiiltigkeit zu verleihen sucht. Die Bereitschaft, auf diese oder jene Reizkombination zu reagieren, erkl~rt sich, wie man annimmt, aus der Lebensnotwendigkeit ; sic ist als Anpassung an die vitale Bedeutsamkeit der Situation zu werten.

Zur Erl~uterung sei die kfirzlieh erschienene Studie yon N. TIN- BE~G~ und A. C. PERD~CK (1950) : ,,On the Stimulus Situation releasing the Begging Response in the newly hatched Herring Gull Chick (Laru8 argentatus argentatus Pont.)" herangezogen. Die Verfasser fanden z. B., dab die yon Erfahrung noch ganz unbeeinfluBten jungen Silberm6wen besonders intensiv nach l~nglichen diinnen Gegenst~nden greifen; solche werden vor dickeren bevorzugt. Dies wird folgendermagen erkl~rt. Die Eltern ffittern ihre Jungen aus dem Schnabel (Ni~heres siehe weiter unten!). In der allerersten Lebenszeit sehen die Jungen den Eltern- sehnabel aber yon der Riickseite her, von wo er ihnen besonders diinn erscheinen muB. Auf diesen Anblick sind sic daher angeborenermagen eingestellt, weshalb ,,l~nglich und diinn" einen besonders grol3en Reiz- wert ffir sie hat. Viel n~her aber wiirde meines Erachtens die Annahme liegen, dal3 der Vogel am ehesten naeh solehen Gegenstgnden greift, die er mit seinem Greiforgan (dem Sehnabel) am leichtesten/assen kann. Es bedarf keineswegs der Annahme einer spezi/ischen Entsprechung im Sinne der zitierten Autoren. Das Verhalten der M6wenkiieken bietet nichts UngewShnliehes. Denn Tiere dfirften ganz allgemein bevorzugt naeh solchen Gegenst~nden greifen, deren Dimensionen in einem an- gemessenen Verh/iltnis zu ihren Greifwerkzeugen stehen.

Es Iiel mir z. B. anf 1, dab Seepferdehen ihren Wiekelschwanz nut um solehe Sitzstangen herumwerfen, die dfinn genug sind, um auch wirklieh umfaBt zu werden. Nine optische Wahrnehmung geht der Landung voraus, und wenn der Gegenstand zu dick ist, schwimmt das Tier vortiber, ohne erst einen Versuch der Landung zu maehen. Es besteht eine Entsprechung zwisehen der GrSge des Tieres und den DimensioDen der Sitzst~nge, yon der es ~ngeloekt wird.

1 Vgio Z. vergl. Physiol. 83 (1951).

Page 4: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

178 I-I~a-s M. P~T~nS:

Solche Beobaehtungen fiihren zu der Vorstellung, dab die Be- dingungen des ausfiihrenden Bewegungsapparates in irgendeiner Weise die Filterung der Umweltreize mitbestimmen. Aueh fiir das VerhMten der Tiere gegeniiber den Dingen ihrer Umwelt diirfte von hervorragender Bedeutung sein, was H. VOLKELT in der Humanpsyehologie die ,,Um- gangsqualiti~ten" genannt hat 1. Anloekend wirkt, was den Umgangs- m6glichkeiten des Tieres entgegenkommt. Die Umgangsqualit/~ten haben auf seiten des Organismus ihre Entsprechung in der Struktur des an der Reaktion beteiligten Organsystems. Sie sind keineswegs nur eine Angelegenheit yon bereit liegenden Gehirnmeehanismen im Sinne yon v. U~X~:~3LL.

2. Es fragt sieh nun ferner, wieweit die Struktur des ausfiihrenden Apparates die Reaktions/orm mitbest immt. Ein Beispiel: naeh den Untersuehungen yon IV[. HOLZAPFgL (1939) antwortet der junge Star im Nest, naehdem sieh die Augen ge6ffnet haben, auf Bewegung irgend- eines Gegenstandes in seiner N/~he mit der Sperr-Reaktion. Er fS~hrt mit vorgestreektem Kopf und weir geSffnetem Sehnabel in die H6he und verharrt aufgeriehtet in starrer Haltung, bis er wieder zuriieksinkt. Eine Orientierung der Bewegung auf den optisehen AuslSser findet erst yon einem gewissen Alter an statt . ,,Mit rund 14 Tagen verfolgt der Star 8perrend die Bewegungen des Pinsels (mit dem er gefiittert wird, Ref.) mit dem Kop/, und bei einzelnen Individuen kommt es ganz ausnahmsweise zu akt ivem Vorw/irtsbewegen des Kopfes und Sehnappen naeh dem Finger oder Pinsel" (S. 543). Der Untersehied zum Verhalten der jiingeren (9--10t~gigen) Stadien ist eindrueksvoll : ,,Wird (zu diesem friihen Zeitpunkt, Ref.) der Pinsel etwas hin- und herbewegt, so ver- Kndert sieh absolut niehts im Verhalten des Vogels. Er sperrt sehr~g aufw~trts und ist psychisch absolut nieht imstande, den Bewegungen des Pinsels aueh nur im mindesten nach der Seite oder naeh abw~rts zu folgen." Das Fehlen einer Bezugnahme auf den Aus15ser in der Friihphase kaml meines Eraehtens an einem rezeptoriscben, aber auch an einem motorisehen UnvermSgen liegen. Man muB damit reehnen, dab orientierte Bewegungen erst mSglieh werden, wenn ein gewisser Reifegrad eine grSBere Bewegliehkeit des ausfiihrenden Apparates er- reicht ist. - - TI~ERG~N und KVE~EX (1939) fanden bei Drossel- Nestlingen in der Phase, in der bereits eine Orientierung auf den opti- schen Ausl6ser stattfindet, eine entschiedene Bevorzugung des hSher gelegenen Reizsignals, wenn es neben einem niedrigeren geboten wird. Auch hier diirften motorisehe Bedingungen ins Spiel kommen, etwa

1 Man vergleiche die ~uch ffir die Schema-Forsehung h6chst ~nregenden Arbeiten der frfiheren Leipziger Schule fiber das Verhalten yon Kleinkindern (s. Literaturverzeichnis).

Page 5: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". ]79

in dem Sinne, dag die Orientierung auf hShere Punkte der Beweglichkeit des reagierenden Systems, das auf m~ximale Aufrichtung angelegt ist, am besten entsprieht.

3. Die kritisierte Auffassung des angeborenen Schemas schlieBt die Erwartung ein, dab der Struktur der normMen (,,natiirliehen") Reiz- situation auf der einen Seite eine spezi]iseh darau] abgestimmte Reaktions- bereitschaft auf der anderen Seite entslareehe. Daher sieht man sich iiberraseht, wenn die tatsgchliehe Beobaehtung eine solche Zuordnnng nicht siehtbar werden lggt. So linden z. B. TI~B~RGE~ und P~I)~OK es erstaunlieh, dag die jungen M6wen auf eine At t rappe mit gelbem Sehnabel nicht starker reagieren als auf anders gefgrbte, da doeh der Elternsehnabel gelb sei. Auf rote Attrappen dagegen reagieren sie besonders intensiv. Solehe Beispiele, die man beliebig vermehren kSnnte, zeigen, dab der Reizwert der ,,Ausl6ser" nieht allein an der SkMa zu messen ist, die man iiblieherweise anlegt. In das geagieren auf aus- 15sende t{eizkombinationen mischen sieh spontane Tendenzen, deren Dasein wit nieht auf die Erfordernisse ganz spezieller Lebenssituationen beziehen diirfen. Sie miissen in der Gesamtkonstitution der betreffenden Tiere vera.nkert sein; man denke zum Vergleich an konstitutionell bedingte Farb- oder Formbevorzugungen beim Mensehen. Die Tier- psyehologie kennt Beispiele fiir spontane Bevorzugungen Mler Art. So wenden sieh z. B. manehe Fisehe, unabh~ngig yon aller Dressur, naeh ME~ST~s (1940/41) vorzugsweise der Kreisfigur zu, wenn sie zusammen mit einer Kreuzfigur vorgezeigt wird, oder sie bevorzugen grobe vor feineren Sehaehbrettmustern, waagereehte vor senkrechten Linien und ~hnliehes. Wit wissen nieht, was sieh hinter solehen Spontan- tendenzen verbirgt. Sie weisen auf GrundverhMte der Gestaltwahr- nehmung, weshMb sie vielfaeh nieht artspezifisch sind, sondern in ~thnlieher Form bei Tieren auftreten kSnnen, die im System sehr weir voneinander entfernt sind. DaB die spontanen Tendenzen fiir das Problem des angeborenen Schemas yon groger Bedeutung sind, haben sehon M~ST~RS und HE~T~g hervorgehoben.

Das angeborene Schema wird n~mlieh oft, wie es sehon in der Konzeption yon v. U~XKi~LL liegt, Ms eine Art Repr~sent~nz yon Umweltgegenst~nden aufgefagt, die Iiir das betreffende Tier yon vitMer Bedeutung sind. So glauben TI~B~gaE~ und PE~DECX in der sehon zitierten Arbeit eine spezifisehe angeborene Einstellung yon MSwen- kiieken auf den roten Sehnabelfleek der Eltern naehgewiesen zu haben. Sie fassen ihn Ms ,,wirkliehen Ansl6ser" auf, ,,in dem Sinne, daft er nieht nur Sehliisselreize fiir das angeborene Schema der Bettelreaktion liefert, sondern Ms Anpassung an diese Mitteilungsfunktion betraehtet werden mug" (S. 39). Abet wenn nun die Verfasser aueh naehweisen konnten, dag jener rote Fleck die t~eaktionsintensit~t der Jungen

Page 6: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

180 H.~>-s M. P~E~s:

betr/~ehtlich erhSht, so ist die aus dieser Beobachtung gezogene Schlul~- folgerung t ro tzdem nicht stichhaltig. Denn die behaupte te Spezi[iti~t der l~eaktion ist n icht nachgewiesen. Zur Erkl i i rung des Verhaltens der jungen Silberm5we bedarf es n ieht der Almahme einer spezifisehen Eins te l lung auf Seiten des Kticken. Jene Markierung kSnnte einfach durch ErhShung der Auffi~lligkeit des Schnabels wirksam werden, ohne d~l~ sie Signalcharakter zu h~ben braucht , d. h. den , ,El ternschnabel" repri*sentiert. I n entsprechenden Versuchen wiirden vermut l ieh auch die J u n g e n der RosenmSwe auf Schnabe la t t rappen mi t rotem Fleck st/irker reagieren ~ls auf solche ohne eine derartige markan te Zeiehnnng, obwohl die Al ten in diesem Fal]e ein Schnabelzeiehen gar nicht besitzen.

Methodisches. Im Sinne der vorstehenden {Yberlegungen wird in dieser Arbeit versucht, am

Beispiel der jungen SflbermSwe einen Beitr~g zum Problem des angeborenen Schemas zu liefern. Der geringe Bewegungsdrang und die ,,Zahmheit" der Kficken yon Larus argentatus macht diese zu sehr umg~nglichen Versuchstieren. Ihre Wartung bietet keiner]ei Schwierigkeitcn. Die Versuehe wurden in der Pfingst- zeit 1949 auf der Insel Langeoog ~, wo sieh eine grol3e MSwenkolonie befindet, begonnen und an mitgebrachten Tieren in Tfibingen fortgesetzt. Im Jahre 1950 warden die Experimente wieder aufgenommen, zum Teil an Kiicken, die yon der Nordsee nach Tfibingen fiberffihr~, zum Tell an solchen, die in Tfibingen im Brut- ofen zum Schltipfen gebracht worden waren. Diese letzteren konnten yon Anfang an beobachtet werden. Unbeeinflu/3t waren aber auch die anderen Versuchstiere, denn sie waren schon bald nach dem Schlfipfen, noch bevor sie zum erstenmal yon den Eltern geffittert worden waren, aus dem Nest genommen worden. Die Kficken wurden in der ersten Zeit einzeln oder zu mehreren in kleinen Kisten gehalten. Spgter kamen sie in grSl3ere Gehege. Gefiittert wurde anfangs mit gekoehtem Ei and Quark oder frischer Leber, spiiter mit rohem Fisch und Fleisch- abf/~llen.

Beobachtungen fiber das Verhalten der jungen SilbermSwen verdanken wir O. I-I]~I~r (1928) and F~. GoET~s (1937). TI~-]3]~GS~ und Mitarbeiter lieferten, wie erw&hnt, eingehende Experimentalanalysen. Diese sind in der zitierten An'belt yon 1950 zusammengefal~t. Auf die Ergebnisse dieser instruktiven Experimente wird bei der Beschreibung der eigenen Versuche 5fter zuriickzukommen sein.

Vorgang der Fi i t terung durch die El tern 2. Der Beginn der Nahrungsaufnahme setzt durchschni~tlich etwa 6 Std nach

dem Schlfipfen ebl. Schon vorher macht sieh eine gewisse Unruhe des Xfieken bemerkbar. Auf seine Bewegungen hin erhebt sich der auf dem Nest sitzende Elternvogel, and man kann dana sehen, wie das Junge mit dem Schnabel nach irgendwie auff~tlligen GegensViinden greift, wie Halmen, den Zehen des Eltern- vogels, dessen Markiernngsring nnd dergleiehen. Der Altvogel beugt sieh wiederholt

Dem Dom/~nen-Rentamt Norden and dem 5rtliehen Vertreter auf Langeoog Herrn Scgtrm~A~cs, sowie den Vogelw/~rtern, danke ich ffir vie]fi~ltige Unter- stiitzung.

2 Dieser Abschnitt wnrde mir freundlicherweise yon Fraulein eand. rer. nat. I%OSE:~AtCIt~ Mi)LLI~ zur Verffigung gestellt. Fr~nlein Mi2LL~ hat im l%ahmen ausgedehnter Studien an der SilbermSwe auch die Fiitterung eingehend beobaehtet. [Zool. Jb., Abt. System., 0kol. n. Geogr. (ira Druck).]

Page 7: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 181

zu dem Kticken nieder und gibt diesem damit Gelegenheit, auch nach seinem Schnabel zu picken. Nach GOETHE (1937) sowie TI~BERGEH nnd PERDEOX soil des Junge dadurch die Fiitterung ausl6sen. Die Berfihrung rege dem Elternvogel an, Nahrung auszuwiirgen und dem Kfieken vorzuhalten. Nach Dauerbeobaehtung yon R. 1VIOLLS, R an 9 Paaren mit durchschnittlich 2 Jungen reagierten abet die Eltern auf dieses yon GOETHE und TI~BE~GE~ als ,,Betteln" gedeutete Verhalten der Jungen an den ersten Tagen nach dem Schlfipfen nicht mit Ftitternng. Diese spielt sieh vielmehr in dieser ersten Lebensphase so ab, dab tin yon draullen zurtickkehrendes Elterntier mit dem charakteristischen Lockruf am Nest einfiillt und sofort die mitgebrachte Nahrung aus dem Schlund vor dem oder den Jungen hervorwfirgt. Im allgemeinen behalf der Vogel sie im Schnabel und reicht sic dem Jungen hin, worauf dieses sie yon dort abnimmt. Oft setzen die Ftitterungsversuche der Eltern schon ein, wenn die Jungen noch keine Nahrung aufnehmen oder nur nach dem Futter greifen, ohne zu fressen. Es kommt auch vor, dab die Nahrung auf den Boden ausgewfirgt wird, worauf der Elternvogel wieder Stticke in den Schnabel nimmt und dem Jungen hinhglt. Aueh w~hrend der Ffitterung fallen Nahrungsbrocken auf den ]~oden, we sie veto Kiicken aufgelesen werden. In den ersten Lebenstagen nehmen die Jungen wohl ebenso viel Nahrung veto Boden auf wie vom Elternschnabel ab. Das tPutter besteht vorwiegend aus Fisch, der in stark angedautem Zustand gereieht wird.

Wenn die Kticken etwas ~lter geworden sind, sp~testens mit Beginn der 2. Lebenswoche, ellen sie dem einfallenden Elterntier entgegen und greifen ihm, noch ehe Nahrung vorgewfirgt ist, an den Schnabeh Darauf erfolgt die Ffitterung, nunmehr aber, indem die Nahrung direkt auf den Boden gespien wird. Die Jungen nehmen die Nahrung yon jetzt an haupts~ehlich vom Boden auf, wenn auch des Vorhalten yon Yutter immer noeh gelegentlieh vorkommt, besonders gegen Ende der Mahlzeit, wenn die Jungen sehon weitgehend ges~ittigt And und der Eltern- vogel den Futterplatz saubert. Ungefghr mit Eintritt in die 3. Lebenswoche sind die Jungen so freBgierig geworden, dab sie meistens die Niederlage der Nahrung auf den Boden nicht abwarten, sondern des Futter dem Elternvogel geradezu aus dem Sehnabel reigen.

Vom Bettelgdtabe der ~ Jungen im Sinne yon GOETHE und TI~nERGJ~ kann man erst ab Ende der 1. Woche spreehen. Es steht aber lest, dab die Berfihrung des Elternschnabels anch in dieser sp~teren Phase keineswegs ein zur Vorwfirgung yon Nahrung notwendiger t~eiz ist. Denn zuriickgebliebene, schw~chliche Junge werden auch ohne solches ,,Betteln" geftittert. Die Initiative der Ffitterung liegt also in den ersten Tagen ausschlieBlich bei den Elterntieren, aber sie bedarf auch spgter nieht notwendig der Anregung dureh die Jungen.

Die Ausliisung der Greifbewegung. Schon wenige S tunden nach dem Schliipfen reagier t die junge M6we

auf jeden beliebigen kleineren Gegenstand, den man ihr im Abs tand

yon einigen Zen t ime te rn v e t den Schnabel h~lt oder auf den Boden

legt. Sie schleudert den Schnabel sehr treffsicher vor und ergreif t

den Gegenstand. I s t er geniegbar, so verschluckt sie ihn. Gewisse

Beobach tungen deuten darauf hin, dab vor dem Hinunte rsch lucken

eine Geschmackskontrol le s ta t t f indet . Diese kann jedoch nieht sehr

s t reng sein. Denn es passierte wiederholt , dab ein Jungvoge l in e inem

unbewaeh ten Augenbl ick den Bleist if t des Protokollff ihrers sehnappte

und so welt wie m6glich verschlang. Die Greifreakt ion l~l~t sich auch

Psychologische Forschung, Bd. 24. 13

Page 8: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

182 HA.xs M. P ~ s :

ohne weiteres mit einem vorgehaltenen Finger herbeiliihren. Man hat den Eindruek, der Ausl6ser brauehe im wesentliehen ntlr eine Bedingung zu erliillen, namlieh die, dab er sieh in einem gewissen GrSgenbereieh h~lt. Die erste Versuehsreihe verfolgt das Ziel, diesen Spielraum zu e r f a s s e n .

1. Versuchsreihe.

Die Experimente bestanden in der Darbietung versehieden grol~er Kreisseheiben, die aus weigem Zeiehenkarton ausgeschnitten waren. An der Riiekseite waren sie an einem ]angen St&behen befestigt, an

Abb. 1. Ki icken der Si lberm6we vor einer A t t r appe . (Auf die Versuehe mi t der abgebildeten Sternf igur wird in vor l iegender Arbe i t n icht n&her eingegangen.)

dem sie gehalten werden konnten. Diese Figuren wurden dem Versuchs- tier, wenn es ruhig auf dem Versuehstiseh stand, aus einer Entfernung yon ungef~ihr 1/2 m langsam in KopfhShe gen~thert, wobei die Ebene der Seheibe angeniihert vertikal gehalten wurde (~hnlieh Abb. 1). In einer Entfernung yon ungef~ihr 3- -4 em vor der Sehnabelspitze blieb die Scheibe unbeweglieh stehen. Es wurde darauf geaehtet, dab die Seheibenebene eine mSgliehst synametrisehe Lage zum Kopf des Ver- suehstieres hatte und der Mittelpunkt sieh ungef/~hr in gleieher HShe mit der Sehnabelspitze befand. Diese letztere Bedingung lieg sieh allerdings mit den gr61~eren Seheiben nicht erfiillen: bei ihnen war der Sehnabel dem unteren Rand ngher Ms dem oberen, da die Figur im Verhgltnis zur K6rperhShe des Kiieken einen sehr groBen Dureh- messer hatte.

Wenn die M6we iiberhaupt reagiert, dann gesehieht dies meistens sofort, naehdem die Attrappe sieh ihr auf geringe Entfernung genghert hat. Wenn naeh Ann~herung auf 3 em nieht sogleieh eine Reaktion erfolgte, wurde die Seheibe trotzdem wieder fortgenommen: das Ergebnis des Versuches gait als negativ.

Die Gesamtheit der Versuehe zerf~illt in 7 einzelne Serien, in denen jewefls 2 versehiedene Attrappen im Abstand yon nngef~hr 1/4 min

Page 9: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 183

dem Versuchstier vorgehal ten wurden. Jede Serie umfaBte 4 - - 8 Einzel-

Tabelle 1.

darbie tungen.

Alter der Attrappen-Kombination Versuchs -

tiere

I eine Seheibe yon 15mm ~ mit einer yon 70ram z . . . 5--TTage 1 die Scheibe yon 70mm Z mit einer yon 125mm Z . . . 6--9Tage die Seheibe yon 125 mm Z mit einer yon 200 mm ~ 7--9 Tage

1 Bis 24 Std nach dem Schliipfen wird das Kiicken als ,,1 Tag alt" angen0mmen, bis 48 Std als 2 Tage ~lt usw. In einigen Fallen war die Stunde des Schliipfens nieht genau bekannt.

Die Reak t ionen bes tanden darin, dab die MSwe nach der Scheibe schnappte oder darauf pickte. Letzteres kam seltener vor. Die k]einste Scheibe wurde fast stets gebissen, wobei die MSwe den R a n d mi t dem Sehnabel erfal~te. E ine eigentfimliche Reak t ion n a n n t e n wit in unseren Protokol len , ,Schnappen ins Leere". Dami t ist angedeutet , dal~ das Versuchstier un te r geringem Vorschnellen des Kopfes eine Sehnapp- bewegung vor sieh hin in die Luf t machte, ohne aber die At t rappe zu beriihren.

Gepriift wurden insgesamt 13 Versuehstiere (C, N, B, G, F, M, E, I, O, D, L, I t , K).

I m folgenden sind die Darb ie tungen der verschiedenen At t r appen mi t den erzielten Ergebnissen zusammengestel l t .

Tabelle 2.

Anzahl des Anzahl tier Anzahl der Anzahl der ,,Leerschnappens"

Attrappe Versuchsreihen Darbietungen Reaktionen (in % der erfolgten sam % Reaktionen)

15 70

125 200

33 118 176 30

97 l 5 4

33 30

3 14 34 44,5

Ergebnis. Wahrend die kleinste F igur fast stets eine Reak t ion veranlal~t, s inkt der Prozentsatz bei der grSl~ten auf weniger als ein Drit tel . Aber ebenso wie die relat ive Anzahl der Reak t ionen des Zu- greifens mi t dem Gr513erwerden der At t rappe absinkt , n i m m t die relat ive Anzahl der Reak t ionen des , ,Leerschnappens" zu. Das heiBt, die groiten F iguren kSnnen zwar bis zu einem gewissen Grade noeh auslSsend wirken; aber die Orient ierung auf den AnslSser geht immer mehr ver- loren. Die Reak t ion bleibt im Leeren stecken, wenn das Tier n ich t die MSglichkeit f indet, eine Beziehung zum Objekt herznstellen.

Psychologische Forschung, ]3d. 24. 13a

Page 10: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

184 HA~s ~[. PETEI~S :

Man sieht, dab sich in der instinktiven Reaktion 2 heterogene Komponenten unterscheiden ]assen. K. LORENZ hat diesen Sachverhalt erstmals klar erfaBt, als er die ,,Instinkthandlung" a]s solche (,,Erbkoordination") v0n der ,,Orien- tierungsreaktion" (,,Taxis") trennte (1937). ~hnlich wie in der yon LoI~E~z und TI~EI~CEN (1938) analysierten Eirollbewegung der Graugans sind die beiden Komponen~en in unserem Beispiel simultan verschr~tnkt und treten nut in be- sonderen Experimentalsituationen getrennt hervor. TINBEnG~ und IOERDECK kommen mit Bezug auf die junge SilbermSwe zu dem Ergebnis: ,,we have no means o/ distinguishing the two mechanisms by their I R M s ~, which seem to be identical" (S. 37). Diese negative Feststellung beruht abet meines Erachtens auf den Ver- suchsanordnungen der Verfasser.

Stellen wir nun die Frage naeh dem AuslSsewert von Umwelt- gegenst~nden, so zeigt sieh, daf~ das Kiicken am st~rksten auf das reagiert, was den Dimensionen des Schnabels am besten entspricht. Je mehr sieh die GrSi~e eines Gegenstandes yon diesem angemessenen Verh~iltnis entfernt, um so geringer wird sein l~eizwert. Dafiir, dal~ die grSl~ten Seheiben im Versueh iiberhaupt noch Reaktionen auslSsen, diirfte das Moment der ,,Annaherung" mitbestimmend seth. Im Gegen- satz etwa zu typisehen Nestfliichtern suehen die MSwenjungen ihre l~ahrung nicht aktiv, sondern sie verharren in passiver Bereitsehaft, Zugetragenes zu ergreifen. Dem entspricht ihr Verhalten im Experiment.

Die 0rientierung des Greifens. 1. Die rezeptorische Komponente .

Die folgenden Versuche dienen der Frage der Orientierung der Greif- reaktion. Als Leitvorstellung diente die Annahme, dal~ alle optisch in irgendeiner Weise aus dam Wahrnehmungsganzen hervortretenden Teilinhalte die Auflnerksamkeit des Tieres st~irker erregen und damit die Orientierung der lZeaktion auf sich lenken. TINBERGEN und PER- PluCK stellten fest, da{~ Farbkontraste den Reizwert yon Attrappen

erhShen. Auch bevorzugten die Kticken bet simultaner I)arbietung z.B. einen yon einem roten Rh~g umgebenen roten Kreisfleck vor einer im ganzen gleichgrol]en ausgelii]lten roten Kreisfl~ehe.

2. Versuchsreihe.

Die auslSsende Figur besteht aus einer matt-schwarzen Kreisscheibe aus der eine kleinere als Anhang hervorspringt (Abb. 2). Senkreeht auf der Riickseite der Attrappe ist ein Sti~bchen befestigt, an welehem die Figur gehalten und bewegt werden kann. Sie wird yon vorn her aus einer Entfernung yon etwa 1/2 m langsam auf die MSwe zu bewegt, bis sie sieh in einem Abstand von etwg 3 cm vor deren Schnabelspitze befindet. D~bei wird darauf geachtet, dal~ die Mitte der grSl~eren Kreisscheibe sich ungef~ihr in gleieher ttShe mit der Schnabelspitze

1 ,,lnnate Releasing Mechanism".

Page 11: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 185

des ruhig dasitzenden Vogels befindet. Dann wurde die Attrappe nicht mehr bewegt, sondern einen Augenblick still gehalten. Mit jedem der Versuchstiere wurden hintereinander iln Abstand yon ungefi~hr 1 rain ein Versuch gemacht. Eine ganze, hintereinander ablaufende t~eihe bestand meistens aus 8 Einzeldarbietungen. In jeder dieser einzelnen Darbietungen hatte die Attrappe eine andere Lage: einmal war der kleinere der Kreise senkrecht naeh oben gerichtet, das n~chste Mal horizontal nach der einen Seite, dann senkrecht nach. unten, schlieB- lich horizontal nach der anderen Seite usw. Diese MaBnahme sollte eine etwaige Bevorzugung bestimmter Richtungen sichtbar maehen. Hervorgehoben sei noeh, dab in allen 4 Stellungen der Figur gleichviel Versuche angestellt wurden.

Das Ergebnis der Experimente ist eindeutig: Auf die insgesamt 148 Darbietungen erfolgten 103 Reaktionen. Dabei sGhnappten oder bissen die Versuchstiere nach der Figur, oder, was seltener vorkam, sie piGkten mit gesehlossenem Schnabel darauf. Geprfift wurden 15 verschiedene JungvSgel im Alter yon 3--5 Tagen.

Von Interesse ist vor allem die Verteilung der Reaktionen ant die verschiedenen Felder der Figur. Obwohl die vorspringende Kreisflgehe eine sehr viel geringere Ausdehnung hat als der Haupttefl der Figur, entfallen dennoeh 50,2 % der Reaktionen auf den Vorsprung. Die anderen verteilen sigh fiber die Fl~ehe des grol]en Kreises. Von Be- deutung erwies sigh die Lage des Vorsprungs im Raum. l~ur in 15,4% der F/~lle, in denen die Orientierung auf den Vorsprung beobaehtet wurde, war dieser naeh au/wiirts geriehtet. Die fibrigen 84,6% ver- teilten sigh ziemliGh gleiehm/~Big auf die 3 anderen Lagen der kleineren Seheibe.

3. Versuchsreihe.

Diese stimmte mit der vorgenannten fiberein, bis auf den Unter- schied, daI] die Attrappe night aus sehwarzem, sondern aus weft]Gin Karton ausgeschnitten war. Zu den Versuchstieren kamen noeh 4 weitere hinzu, im ganzen waren es also 19. 13bet das Alter der- se]ben wird gleich noch etwas zu sagen sein. Auf ein Versuchstier entfiel mindestens 1 Serie mit 8 Darbietungen der Figur. (Dies trifft ffir 12 der Versuchstiere zu.) Gelegentlieh waren die Serien aber auch kiirzer oder l/~nger. Der zeitliche Abstand yon einem Vorze~gen zum n~Ghsten betrug ungef/~hr 1/4 rain.

Insgesamt wurden 369 Experimente (-----Einzeldarbietungen) an- gestellt. Dabei erfolgten 257 Reaktionen. Von diesen entfiel fast die

Psychologische Forschung. Bd. 24. 13b

Abb. 2. A t t r a p p e aus l~ar ton. Die eingezeich- nete Fe lderuug befand sich auf der Rfiekseite u n d wa r dem Versuchs-

t ier n icht s ichtbar ; 1/~ nati ir l iche Gr6~e.

Page 12: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

186 ttA~s M. P ~ s :

H~lfte (118) auf den Vorsprung, w/~hrend sieh die fibrigen auf die Felder verteilten. Aueh diesmal zeigte sieh, d~l? geaktionen auf den kleineren Kreis relativ selten (nur 8,5% !) beobachtet wurden, wenn dieser naeh oben zeigte, wi~hrend 62,7% der Reaktionen auf den Vor- sprung bei seitw~rtiger Lage (reehts oder links) und 28,8% bei Lags naeh abw~rts erfolgten.

Diese beiden ersten Versuehsreihen zeigen also deutlich eine relativ h~ufige: Orientierung der Reaktion auf die kleinere Kreisscheibe, den Vorsprung an der grSBeren. Bevor dieses Ergebnis diskutiert werden soll, sei erw~hnt, dab mit einigen Experimenten aueh der Frage nach- gegangen wurde, ob diese relative Bevorzugung des Vorsprungs sehon bei den allerjiingsten Altersstadien zu beobachten ist, oder ob sis sich erst a!hn~hlich mit dem Alterwerden der Jungen herausbildet.

Fiinf der in der 2. Versuehsreihe verwendeten Tiers (V, P, R, S, T) waren schon gepriift worden, als sie noch im 1.--2. Lebenstag standen. In 79 Versuchen erfolgten 65 Reaktionen, davon 43,1% auf den Vor- sprung.

Als sie am 4.--5. Lebenstag wiederum getestet wurden (in der Zwischenzeit wurden keine Attrappenversuehe dieser Art mit ihnen angestellt), erfolgten in 80 Versuchen 54 t~eaktionen, davon 50,0% aul den Vorsprung. Beriieksiehtigt man diese 5 Versuehstiere zusammen mit 12 anderen, welehe ebenfalls am 4.--5. Lebenstag gepriift wurden, so ergibt sieh sogar sin noeh etwas grSBerer Prozentsatz der l~eaktionen auf den kleineren Kreis, niimlieh 54,1%. Danaeh ist die relative Bevor- zugung des Vorsprungs bei den ganz jungen Kiieken anseheinend noeh noeh nielat so ausgesproehen wie bei den schon etwas ~lteren.

4. Versuchsreihe.

])as Ergebnis der 2. und 3. Versuchsreihe kann so interpretiert werden, dab optisch ausgezeichnete Teilinhalte yon figuralen Ganzen, die an sieh schon anlockend wirken, die Orientierung der t~eakfion auf sich lenken. In den genannten Experimenten bestand dis optische Au.szeichnung im Hervortreten einer kleinen Teilfigur aus einer gr5l~eren (Vorsprung). In den neuen Experimenten wurde versucht, die Wirkung des Vorsprungs mit einer auffi~lligen Markierung der Mitre der grogen Kreisfl~che konkurrieren zu lassen. Es wurden 14 Versuehstieren im Altar yon 1--7 Tagen die Attrappe der ersten Versuchsreihe (Abb. 2) im Wechsel mit der nebenstehend abgebildeten Figur (Abb. 3) geboten 1.

1 In den ersten dieser Versuchsreihen betrug der Abs~and yon einer Darbietung zur n~chsten ungef~hr 1/2 rain; sparer gingen wir auf ungef~hr 1/4 rain herunter. In den ersten Versuchen wurde der ,,Vorsprung" fibrigens nur nach rechts und links (abwechselnd) gehalten, spi~ter aber auch wieder, mi~ gleicher Hi~ufigkeit, nach oben und nach unten.

Page 13: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 187

Im iibrigen blieben die Versuehsbedingungen die gleiehen wie bisher. Jede der beiden Attrappen wurde insgesamt 56mal dargeboten.

Auf A 2 erfolgten 54 Reaktionen, davon auf: den Vorsprung 62,2%, die Mitte 8,9 %, die anderen Felder 28,9 %. Auf A 3 erfolgten 49 Reak- tionen, davon auf: den Vorsprung 38,8%, die Mitre 42,8%, die an- deren Felder 18,4%.

Nunmehr halten sieh die Re- aktionen auf den Vorslorung und auf die optiseh ausgezeiehnete Mitte die Waage.

5. Ver~uchsreihe. Unter dieser ~berschrift sind

Serien mit 4 verschiedenen At- trappen zusammengeiaBt (Abb. 4). Sie bestehen aus weiBen Karton- streifen mit sehma]er schwarzer Umrandung, an deren Enden mehr oder weniger stark gegliederte 1% guren mit schwarzer Tusche auf- gezeichnet sind. Sie wurden dem Versuchstier in der schon geschil- derten Weise gezeigt und zwar so,

Abb. 3. A t t r a p p e aus weiflem Zeichen- kar ton , in der Mitre m i t sehwarze r Ring- zeichnung. Die eingezeichnete Fe lderung

befand sich auf tier Riickseite; ~/~ nat i i r l iche Gr6i~e.

60-

i-I l �9 i

I

I| o 50-

n 30- 20- 10- % �9 [ ]

I

50-

I J0- 20-

~- [ ] �9 i

| 50 -

01 i 30- 20- 10- % mn U]

&

I

l@ �9 Abb. 4:a--d. At t rappenser ie . E rk l~rung im Text . Die eingezeich~eten Siu len geben die Prozents~tze der auf die be t re i fenden Felder entfMlenden Reakt ionen wieder . Lhnge der

hor izonta len A t t r a p p e n k a n t e 7 cm.

dab die Ebene der Attrappe senkreeht stand, bei horizontMem Ver- lauf der Lingskanten. Dabei wurde darauf geaehtet, dab die Mitte des Kartonstreifens sieh ungefihr in der H6he der Sehnabelspitze befand 'und der Abstand yon dieser ungefghr 3 cm betrug. Dem be- treffenden Versuehstier wurde die Attrappe im Abstand yon i/4 rain 8real naeheinander gezeigt. Jedesmal wurde dabei das reehte und linke Ende vertauseht, damit das Ergebnis durch eine etwa vorhandene Seitenstetigkeit nicht getriibt wfirde.

Page 14: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

188 HANg N . PETERS:

Tabetle 3.

Versuehstiere . . . .

Alter derselben . . .

Anzahl Ver suche . . . Reaktionen . . . . .

Attrappe

P, R, S, T, U, V

1--9 T~ge

196 123

b

P, R, S, T, U, V

1--9 Tage

272 159

o I d

P, R, S, T C, E, G, F, I, M, N, O, P, 1%, S, T

2---3 Tage 2~3 und i0--11 Tage

64 i 128 32 i 82

Die sehwarzen S~ulen in Abb. 4 veransehauliehen die Wertigkeit der vergehiedenen Attrappenfelder; die HShen geben die Prozentsgtze der auf die betreffenden Felder entfallenden Reaktionen wieder.

Weitere Einzelheiten gehen aug Tabelle 3 hervor.

Mit Ausnahme der Attrappe d wurden die st/~rker gegliederten Teil- figuren bevorzugt. Besonders deu~lieh t r i t t dies bei Attrappe a hervor, bei der ja aueh die Gliederung der beiden Gegenfiguren den sehroffsten Gegensatz ~ufweist.

2. Die motorigche Komponente der Reaktion.

Wenn sich gezeigt hat, dab sich die Greifreaktion bevorzugt auf optisch markante Punkte richter, so handelt es sich dabei um eine Komponente der Reaktion, die der rezeptorischen Seite des Gesamt- prozesses angehSrt. Wir werden aber annehmen und Ms Gesichtspunkt in die Untersuchung einfiihren diirfen, dab die Orientierung der Greif- reaktion auch eine motorische Komponente hat. Ein Vogel z. B., dessen k6rperliche Organisation auf die Aufnahme yon Nahrung dutch Auf- lesen yore Boden angelegt ist, wird unter sonst gMchen Bedingungen einen Nahrungsbrocken leichter yore Boden als yon andersher auf- nehmen, blolt weil er dabei eine Bewegungsform einsetzen kann, die in ibm als die ,,gegebene" bereit liegt. Jede Bewegung eines Organismus ist yon den Bedingungen des ausfiihrenden Bewegungsapparates her zu einem gewissen Grade ,,geschient". Dieser schreibt der Reaktion eine mehr oder weniger bestimmte Richtung vor. Die Abh~ngigkeit der Orientierung yon dieser motorisehen Komponente schwankt natur- gem~g yon Fall zu Fall in weiten Grenzen, Sie diirfte unter vielem anderen auch vom Entwicklungszustand eines Tieres mitbest immt sein.

Wenn wir das Problem auf die junge Silbermbwe iibertragen, so fragt es sich, ob sieh, Anhaltspunkte dafiir gewinnen lassen, dab aneh bei ihr die motorisehen MSglichkeiten die g iehtung der Reaktion mit- bestimmen. Der Untersuehung dieser Frage dient zun~ehst folgende VersuehSreihe.

Page 15: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 189

6. Versuchsreihe. Den Versuchstieren wurde ein aus weil~em Karton ausgesehnittenes

gleichseitiges Dreieck mit einer Kantenl~nge yon 5,2 em geboten. Dieses wurde so vor das Versuchstier gehalten, dab sich die Mitre der Figur ungef~hr 4 em vor der Schnabelspitze befand. In dieser Lage verblieb die Attr~ppe einige Sekunden lung. Die Figur wurde mit Abstand von ungef~hr 1/4 rain abweehse]nd so gezeigt, dal~ eine Spitze aufw~rts (untere Kante des Dreiecks horizontal) oder abw~rts gerichtet war (obere Kante horizontal). Eine Serie umfaBte 4 Einzeldarbietungen. Acht Versuehstieren im Alter yon 1--4 Tagen wurde das Dreieck ins- gesamt 68mal in der einen und ebenso oft in der anderen Lage vorgezeigt.

Auf die Figur mit abw~rts gerichteter Spitze erfolgten 46 Reaktionen; davon entfielen 80,4% deutlich auf die untere Spitze.

Auf die Figur mit ~ufw~rts geriehteter Spitze erfolgten 34 Reak- tionen. Aber bei dieser Lage entfielen bedeutend mehr Re~ktionen auf die beiden seitw~rtigen Spitzen. Auf die obere Spitze kommen nur 5,9 % der Reaktionen.

Ergebnis. DaB sich die Reaktion bevorzugt auf die Spitzen des Dreiecks richter, ist naeh dem Ergebnis frilherer Versuehsreihen nicht /iberrasehend; sie bieten dem Sehnabel die giinstigsten Angriffsstellen. Entsprechendes beobachteten TIlVBERGEN und PERDECK, wenn sie schreiben, die Schnabelspitze ,,is the center 0f interest" (S. 20). Die 3 Spitzen sind untereinander optisch gleichwertig. Wenn ihnen trotz- dem ein versehiedener orientierender Wert zukommt, so kann dies nur mit der Verschiedenheit ihrer Lage im ]%aum zusammenhangen. Dies liel~e sich vie]leicht so verstehen, dab dem Vogel die einfache Abwartsbewegung leiehter fallt als die Aufwartsbewegung. Dies ist selbst- verst~ndlich nur eine Vermutung. Die folgenden Versuche sollen sie etwas n~her begrfinden.

7. Versuchsreihe. Die Experimente gehen yon der Beobaehtung aus, dab die Wendigkeit

yon Kopf und Hals der jungen MSwe mit zunehmendem Alter immer grSl3er wird 1. Diese gewil~ nieht iiberraschende Tatsaehe diirfte sich auf die Orientierung der Greifbewegung in dem Sinne auswirken, dab die relative Bevorzugung der einfachen Abwgrtsbewegung mit dem J~lter- werden des Jungvogels allmahlich nachlat3t. Diese ~ber]egung ffihrt zu der Aufgabe, das Verhalten jiingerer und alterer MSwen unter gleich- artigen Versuchsbedingungen miteinander zu vergleichen.

Der Test griindet sich diesma] auf die Verwendung yon diinnen Holzstabehen, die dem Versuchstier in senkreehter t tal tung Vorgezeigt wurden. Das Tier konnte das Stabchen also einfaeh in SchnabelhShe

Beim Lesen der Korrektur sehe ich zu meinem Bedauern, dal3 ich ver- saumt h~be, dies im tIinblick auf das vorliegende Problem naher anzufiihren.

Page 16: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

190 HA~s M. P~T~RS:

m

ergreifen oder mit einer nach aufw~rts oder abw/irts gerichteten Be- wegung. Eine Reihe yon Versuchen, in denen Stgbchen yon verschie- dener L~nge verwendet wurden, mit ganz jungen Kiicken, lief~ eine ausgesprochene Bevorzugung des unteren Endes erkennen. Eine der Versuchsreihen sei etwas n/iher beschrieben.

Die Attrappe bestand aus einem vierkantigen, naturfarbenen Itolz- st/ibchen. Sie war 68 mm lang, 6,5 ram breit (Ansieht yon vorne) und 4 mm dick. Auf der l~iickseite war ein langer diinner Halter befestigt. Auf dieser Seite befand sich aueh eine Markierung, welche das Ganze

in Felder aufteilte (Abb. 5). Die At t rappe ~ 1 1 wurde dem Vogel so vorgehalten, dab sich

- - ~ die Mitre in HShe der Schnabelspitze und in einem Abstand yon ungefahr 4 cm yon dieser befand 1.

| Mit 6 Versuchstieren im 2.--4. Lebens- ~ ~ I tag wurden 36 Versuche angestellt. Dabei er-

-- �9 folgten 311%aktionen (meistens Schnappen). ~ ~ Die Verteilung dieser Reaktionen auf die

- - [ I r

e0 40 60 o/, verschiedenen Felder des Stiibchens ist in Abb. 5. A t t r a p p e des St / tbchen- Abb. 5 wiedergegeben (schraffierte S/iulen). ver suchs ; 1/s na t t i r l i che Gr6Be. Die schra~flertenS/~ulenbezeich- E S zeigt sich eine ausgesprochene Bevor- n e n die p rozen tua l e H/ iuf igkei t z l l g u l 3 g des untersten Feldes. tier R e a k t i o ~ e n au f die ver- sch iedenen Fe lde r bei ,rganz Mit 5 der gleichen Versuchstiere und j u n g e n t~iieken, die s ehwarzen S~ulen bei /~]teren. Die Einte i - 2 anderen wurden dieselben Experimente lung der Fel4er befand sieh auf angestellt, als die Tiere im 10.--15. Lebens- de1 �9 Ri ickse i te u n d w a r den Versuehstieren nicht s i eh tba r , l ) a g standen. In der Zwischenzeit wurdea

keine solchen Versuche mit ihnen gemacht. Bei 109 Darbictungen effolgten 91 Reaktionen. Nunmehr ist die Bevor- zugung des unteren Endes verschwunden (vgl. Abb. 5, schwarze S/iuten); die Reaktionen verteilen sich g]eichm~giger fiber die Felder.

Es ist se]bstverst/~ndlich, dab die Experimente einen schliissigen Beweis fiir die Ver~nderung des Verhaltens der /~lteren Versuchstiere infolge grSgerer Wendigkeit gegenfiber den jiingeren Stadien nicht liefern, obwohl sie sich in diesem Sinne zwanglos dcuten lassen. Sie diirften abet zur Gentige auf die Notwendigkeit hinweisen, bei der Analyse yon ,,angeborenen Schemata" auch die motorischen MSglich- keiten der Versuchstiere zu beriicksichtigen.

Die Bevorzugung tiefer vor h6her gelegenen Punkten haben fibrigens sehon TINBERGEN und PERDECK mit andersartigen Experimenten ~n den jiingsten

i Es sei bemerkt -- und dies gil~ aueh fiir die anderen Versuche ~, d~B die l~eaktion auf die Attr~ppe oft sehon erfolgte, als sie sieh noeh auf das Versuehstier bin bewegte, den endgiiltigen Abs~and also noeh nicht erreieht hatte. Besonders in den gleich zu erw~hnenden Experimenten mit den ~:lteren Ktieken fiel das auf

Page 17: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 191

Stadien nachgewiesen. Sie sehen darin eine Anpassung an die ,,natural situation". (Man vergleiehe aber, was oben fiber die Ffitterungsweise gesagt wurde!)

Aueh nach IIEI~nOTJ~ neigen die SilbermSwen dazu ,,naeh unten zu picken". ,,Sie reehnen eben triebm/s damit, dab die ankommenden Eltern ihnen die Nahrung nicht vorhalten, sondernvorlegen, indem sie ihnen vorwiirgen." (S. 47). TrXBERCE~ und PERDEeK sehen Ms die nattirliehe Situation, wie erw/~hnt, gerade die Fiitterung aus dem Schnabel an.

Geschlechtsspezifisehe Verhaltensweisen. Schon frfihzeitig fielen individuelle Unterschiede in der Reaktions-

bereitschaft der Versuchstiere auf. Anfi~nglich wurden sie als Ausdruck vorfibergehender physiologischer Stimmungen bewertet und daher nicht welter verfolgt. Als sich aber immer deutlicher zeigte, dab diese Ver- hMtensunterschiede eine gewisse Konstanz hatten, wurde vermutet, dab sich in ihnen eine allgemeinere GesetzmiiBigkeit 5~ul3ere. Unter den Versuchstieren befanden sich so]che, bei denen man mit grol3er W~hr- scheinlichkeit, ungeachtet der verwendeten Attr~ppensorte, mit einer Reaktion rechnen konnte, w~thrend ~ndere sich den dargebotenen Figuren gegenfiber bedeutend ,,kritischer" verhielten. Auch die weniger reaktionsbereiten Versuchstiere machten einen durchaus gesunden Ein- druck, und es erschien yon vorneherein h5chst umvahrscheinlich, dal3 sich die Reaktionsunterschiede auf Differenzen im Allgemeinbefinden zuriickffihren lieBen. Es tauchte vielmehr die Idee auf, dag w i r e s mit geschlechtstypischen VerhMtensunterschieden zu tun h~tten. Solche waren mir dutch die Studien meiner Doktorandin, 1%. Mfdnn~, yon adulten Silbermgwen vertraut. ~berraschend war nur, dal3 derartige Geschlechtsdifferenzen so frfih zutage treten sollten.

Um die Frage zn prfifen, wurden die meisten derjenigen Versuchstiere, mit denen wir im Sommer 1950 gearbeitet hatten, nach Abschlul3 der Versuche seziert. Die Gonaden, deren Geschleeht gul~erlich noeh nicht mit Sicherheit zu erkennen war, wurden mit dem Mikrotom in Schnitte zerlegt, so dM] nun an der Differen- zierung der Geschlechtszellen das Geschtecht festgestellt werden konnte. Sieben Tiere erwiesen sich als mi~nnlich, ebensoviele Ms weiblich; 1 Tier mit histologiseh sehlecht erhaltener Gonade wurde nicht beriicksichtigt,

Da weitgehend unabhiingig yon der Art der verwendeten Attrappe manehe Tiere sehr gut, andere sehr sehlecht reagiert batten, wurden alle mit einem dieser 14 Tiere angestellten Versuche, gleichgfiltig mit welcher Attrappe, zusammengefagt und der Prozentsatz der fiberhaupt erfolgten Reaktionen ermittel t . .Das Ergebnis finder sich in folgender Tabelle 4.

Danach liegt der Prozentsatz der Rea/ctionen bei den weiblichen Tieren im ganzen bedeutend hSher als bei den m5nnlichen. Bei ersteren liegt er nur in einem Fall unter 50, bei letzteren nur in 2 Fi~l]en fiber dieser Zahl. Daher k6nnen wir die weiblichen M6wen als betr~chtlich reaktions- berei~er bezeichnen Ms ihre mi~nnlichen Geschwister. Dieser neutrMe

Page 18: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

192 HANs M. ])]~TERS :

Ausdruck prgjudiziert niehts fiber die eigentlieh maBgeblichen Diffe- renzen.

Da das PrOblem erst am Ende der 2. Versuchsperiode auftauehte, konnte eine Analyse dieser Unterschiede nicht mehr in Angriff genommen werden. Mit Bezug auf die 2. und 3. Versuchsreihe, welche zu einer Beurteilung genfigend umfangreich waren, kann jedoch naehtraglieh das Verhalten der mannlichen Tiere dem der weiblichen gegenfiber- gestellt werden:

Attrappe yon der 3. Versuchsreihe (Abb. 2, weil~): m~nnliehe Ver- suchstiere (D, G, I, N, T, U, V); Anzahl der Reaktionen 94 ( = 50%

TabeUe 4.

Bezeichnung Anzahl der Prozentsa tz des Ver- Versuche der

suchstieres Reakt ionen

155 34 96 71 87 79

176

87 83 96 86 93

172 164

24 35 45 m : 39 % 47 51 57

57 72 73 m = 69 % 75 80 84

(B, C, E, F, O); Anzahl der l~eaktionen 47 davon auf den Vorsprung 45 %.

der Versuche), davon auf den Vorsprung 55 % ; weibliche Versuchstiere (B, C, E, F, O, S,T); An- zahl der Reaktionen 138 ( = 93% der Versuche), davon auf den Vor- sprung 41%.

Attrappe yon der 2. Versuchsreihe (Abb. 2, schwarz ) : mgnnliche Versuchstiere (D, G, I, N); Anzahl der Re- aktionen 26 ( = 65% der Versuche), davon auf den Vorsprung 62 % ; weibliche Versuchstiere (= 81% der Versuche),

In jeder der Versuchsreihen reagierten zwar die weiblichen Tiere bedeutend h~ufiger als die m~nnlichen, daffir aber waren ihre Reak- tionen weniger deutlich orientiert. Mit allen Vorbehalten kann man daher mit Bezug au] die Weibchen von einer gr6fleren Realstionsbereitscha]t und mit Bezug au] die mi~nnlichen Jungm6wen von einer s~rkeren Be- zogenheit au[ die Struktur des Wahrnehmungs/eldes sprechen. Diese Inter- pretation wiirde gewisse Beziehungen zu den Ergebnissen yon ROS~- MAI~IE M~LLER an Altm6wen haben, worauf in deren Arbeit zuriick- zukommen sein wird.

DaB geschlech~stypisChe Unterschiede im Verhalten yon Jungv6ge]n bereits vor Ausbildung der auBeren Geschlechtsunterschiede vorkommen, ist nicht neu. So hat FI~. GO]~T~E (1940/41) beobachtes dab ein junges Auerhahnchen bei Er- scheinen einer Raubvogelattrappe in Abwehrstellung ging, wahrend die jungen Hennen sich duckten. ])as Geschlecht konnte an diesen ganz jungen Tieren aui~er- lich noch nicht erkannt werden.

Page 19: Zum Problem des „angeborenen Schemas“

Zum Problem des ,,angeborenen Schemas". 193

Zusammen/assung. Kficken der SflbermSwe wurden yore Schli ipfen aus dem Ei an

beobach te t . Dabe i zeigte sich: 1. F i i r die AuslSsung der Greff- und P i ck reak t ion is t die GrSI3e

des vorgezeig ten Gegens tandes ein wesent]iches Moment . Je grSl~er er ist , mn so geringer is t die Wahrscheinl ichkei~ dafiir , dal~ das Ki icken mi t dem Schnabe l naeh ihm greift . Es k o m m t dann immer h~ufiger dazu, dal3 der Vogel ,,ins Leere" s chnapp t ; d . h . die Or ient ierung auf den Ausl5ser geht verloren.

2. Die Orientierung der R e a k t i o n erfolgt vorzugsweise auf besonders auffi~llige Stel len innerha lb des Wahrnehmungsfe ldes . Als solehe k o m m e n z. B. in F r a g e : ~us dem Umri~ einer F igu r he raus t re t ende Vorspr i inge oder Ste]len m a r k a n t e r opt iseher Gliederung.

3. I n den ers ten Lebens tagen genie~en t iefer (d. h. nigher am Boden gelegene) P u n k t e den Vorrang vor hSheren. Diese spontane Bevorzugung ver l ie r t sich jedoch bei ~l teren Kiicken.

4. Weib l iehe Ki icken zeigen eine grS~ere Reakt ionsbere i t sehaf~ ~ls ihre miinn]ichen Geschwister , d~fiir aber scheint ihre Bezogenhei~ auf die S t r u k t u r des Wahrnehmungs~eldes geringer zu sein.

Die hier her~usgeste l l ten Momente zeigen an einem Beispiel, dal~ es sich bei den , a n g e b o r e n e n S c h e m a t a " um R e s u l t a n t e n aus sehr hetero- genen K o m p o n e n t e n hande l t . Schemata kSnnen n ich t ein~ach im Sinne des Seh5pfers der Idee (yon U E X K ~ L ) als , ,Werkzeuge des Gehi rns" aufgef~l~t werden. Es b le ib t fraglieh, wieweit es eine eindeut ige En t - sprechung zwischen der S t r u k t u r auslSsender 57ormalsi tuat ionen und spezi/isch darauf e ingeste l l ten Re~kt ionsbere i t sehaf ten gibt .

Literatur. ALVERDES, F~.: Zool. Anz. 119 (1937)9 ebeuda 136 (1941). - - B~oc~:, FR.:

Arch. Entw.mechan. 112 (1927) . - GO~THE, F~. : J. Ornithol. 85 (1937) . - Z. Tier- psyehol. 4 (1940/41). - - HEI~ROTH, O., U. Mitarb. : Die V6gel Mitte]europas, Bd. 3. Berlin 1928. - - HOLZAFFEL, M. : Analyse des Sperrens und PickeRs in der Ent- wieklung des Stars. J. Ornithol. 87 (1937). - - Iw~ , K., u. A. l~ffss~L: Neue psychol. Stud. 7 (1943). - - Ju~G, C. G. : Psychologische Typen. Ziirich 1946. - - Eranos-Jb. 14 (1947). - - LoRE~Tz, K. : Fol. bioth. 2 (1937). - - Z. Tierpsychol. (1943). - - LonE~z, K., u. N. TINBERGEN: Z. Tierpsyehol. 2 (1938) . - MEESTn~S, A.: Z. Tierpsyehol. 4 (1940/41) 1. - - P~TEnS, H. M: Z. Tierspyehol. 1, (1937). - - ]~ABE, J . : Neue psyehol. Stud. 7 (1943). - - TI_~e~GE~, N., u. D. J. KVE~E~r Z. Tierpsychol. 3 (1939). - - T~EnGE~, N., and A. C. PE~DECK: Behaviour (1950). - - TmALA, L. G. : Zoo]. Jb., Abt. allg. Zool. u. Physiol. ~9 (1923). - - UEX- KffLL, J. v. : Umwelt und Ilmenwelt der Tiere. Berlin 1909.

Nachzutragen ist das nach Abschlul~ der Arbeit erschienene wiehtige Bueh yon iN. TI~ERG~X, The Study o/Instinct, Oxford 1951.

Prof. Dr. I-I. M. PETERS, Zoologisches Institut der Universig~ Tiibingen.