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Zum Problem des maqām

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Page 1: Zum Problem des maqām

Zum Problem des maqāmAuthor(s): Jürgen ElsnerSource: Acta Musicologica, Vol. 47, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1975), pp. 208-239Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/932211 .

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Zum Problem des maq m' JORGEN ELSNER (BERLIN)

Seit Idelsohns Darstellung iiber Die Maqamen der arabischen Musik2 hat das Problem des maqam in der europaiischen musikwissenschaftlichen Literatur wieder- holt und neuerdings in verstairktem Mafge Untersuchungen und Diskussionen

ausgelist. Dabei interessierte die Forscher an dem mehrdeutigen maqam-Begriff allein dessen mit der Melodiebildung verbundene Bedeutung, waihrend seine bei Idelsohn und einigen anderen Autoren angedeuteten und bis heute in Musik- theorie und Praxis des arabisch-islamischen Bereiches geliiufigen anderweitigen Bezeichnungsfunktionen im Sinne von Tonstufe, Hauptton, Tonleiter usw. unbe- achtet blieben, obwohl doch ihre Beriicksichtigung die Praizisierung des inter- essierenden Sachverhalts mbiglicherweise haitte f irdern kbinnen.

Die Untersuchung des allein unter einem irgendwie melodiebezogenen Aspekt betrachteten maqam-Begriffs selbst hat nun zwar zu manchen interessanten Resultaten, jedoch bis heute noch zu keiner endgiiltigen und befriedigenden Erkenntnis gefiihrt. Soviel Bemiihungen auf seine Bestimmung und Kliirung verwendet worden sind, die mit ihm verbundenen Eigenheiten der Musikpraxis und -auffassung im arabisch-islamischen Bereich blieben dennoch undurchsichtig, der Begriff selbst vieldeutig und unbestimmt. Diese Einschaitzung wird auch nicht

entkraiftet oder erkliirlich, wenn man auf die Breite des Bedeutungsfeldes, die Vielfalt des Inhaltes des melodiebezogenen maqam-Begriffes in den betreffenden Landern hinweist, die in deren historisch und ethnoregional differenzierter, auch divergierender Entwicklung begriindet ist. Denn sicher werden mit ihm unter- schiedliche Inhalte erfa1Bt; sie sind jedoch kaum identisch mit den von der euro-

piischen Musikwissenschaft getroffenen Bestimmungen. Die vielfailtige und auch widerspriichliche Anwendung und Definition des

Begriffes maqim in der europaiischen musikwissenschaftlichen Literatur ist auf- fiillig. Idelsohns maqam-Begriff umfatt sowohl Tonleiter als insbesondere auch Tonweise, die fiir ihn die Tongruppierung und das Tongefiige einbegreift3. Auf ihn geht Robert Lachmann in einer friihen Arbeit zuriick, in der er zugleich auch eine Formulierung Hornbostels mitteilt, nach der maqam eine durch tonale und motivische Faktoren bestimmte Gestaltqualitait sei4. Auf die Hornbostel-Remi- niszenz beruft sich spaiter auch Berner5. In der verstindnisvollen, viele treffende Beobachtungen mitteilenden Musik des Orients spricht Lachmann dann von

1 Die Transliteration der arabischen Termini und Texte erfolgt einheitlich nach den von C. BROCKEL- MANN, A. FISCHER, W. HEFFENING und F. TAESCHNER (Die Transliteration der arabischen Schrift in ihrer Anwendung auf die Hauptliteratursprachen der islamischen Welt, Denkschrift, dem 19. Internationalen Orientalistenkongrej in Rom vorgelegt, Leipzig 1935) gegebenen Regeln. Die Transliteration aus der kyrillischen Schrift erfolgt nach der Umschrift, die in den Instruktionen fiir die alphabetischen Kataloge der Preugischen Bibliotheken vom 10. Mai 1899 (Berlin 2/1915), S. 142, gegeben ist.

A. Z. IDELSOHN, Die Maqamen der arabischen Musik, in: SIGM 15 (1913/14), S. I ff. 3 Ebda., S. 12. 4 ROBERT LACHMANN, Die Musik in den tunisischen St~idten, in: AfMw 5 (1923), S. 154. 6 ALFRED BERNER, Studien zur arabischen Musik (Bottrop 1937), S. 17.

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Melodiegestalt und Melodietyp 6. In einer zu gleicher Zeit erschienenen Arbeit

begreift Curt Sachs maqdm ebenfalls als Melodietypus, der durch eine bestimmte

Leiter, bestimmte Intervalle, einen bestimmten formalen Aufbau und kurze,

haiufig wiederkehrende Grundmotive gekennzeichnet sei7, wihrend er spaiter maqim als Melodiemodell definiert, das sich durch verschiedene technische Merk-

male, darunter melodische Wendungen, auszeichne8. Erlanger benutzt, offenbar auf eine Formulierung Rouanets zuriickgreifend 9, zur Kennzeichnung des maqim- Begriffes den in diesem Zusammenhang irrefiihrenden Terminus Thema, der zu-

gleich jedoch in Widerspruch zu dessen weiterer Bestimmung nach allgemeinen Merkmalen gerait 10. Von Melodietyp spricht zunaichst auch Kurt Reinhard, der dann aber wenig spaiter diese Bezeichnung als zu eng verwirft ". Marius Schneider versteht unter maqam Melodiegestalt bzw. Melodiemodell 1, und Wiora sieht darin einen Melodietyp als Inbegriff melodischer Formeln, der iiber eine Gestalt-

qualitait verfiige13. Bei Edith Gerson-Kiwi erscheint maqam als Melodiemodell bzw. melodischer Gestalttyp 14, Nettl setzt ihn mit Melodiegeriist (melodic skele- ton) und Modell gleich15 und Jargy sieht den maqdm-Begriff am angemessensten mit der Umschreibung ,,modaler Melodietyp'" (type melodique modal) definiert 16 Auch in einigen neueren, den Quellen und der Praxis starker zugewandten Arbei- ten von Musikwissenschaftlern aus Liindern des Nahen Ostens, die in Europa ausgebildet wurden, ist diese allgemeine Orientierung eigentlich nicht aufgegeben worden. So wird maqam einerseits unter ausdriicklichem Verweis auf friihere Bestimmungen als Melodiemodell gefa1Bt17, wie andererseits bewult versuchte

Neuansditze, die maqam als ,Raummodell" bzw. als ,Regel" verstehen, ,der die melodische Linie eines Stiickes in ihrem melodischen Ablauf entspricht" 18, den- noch den geliiufigen Vorstellungen kaum entgehen.

6 (Breslau 1929), S. 54 ff. 7 Vergleichende Musikwissenschaft (Leipzig 1930), S. 54. 8 Die Musik der Alten Welt (deutsche tObersetzung zu: The Rise of Music in the Ancient World) (Berlin 1968), S. 41. 9 JULES ROUANET, La Musique Arabe, in: ALBERT LAVIGN AC, Encyclopedie de la Musique, Teil I (Paris 1922), S. 2756. 10 RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 5 (Paris 1949), S. 99 ff. Auch Lachmann zieht in seiner Musik des Orients, a. a. O., S. 59, in ungliicklichem, sachlich unrichtigem Vergleich den Ausdruck ,Thema" heran. In den MGG-Artikeln Raga-Maqam-Nomos (M. SCHNEIDER) und Melodie (H. HUSCHEN / C. DAHLHAUS) wird der Vergleich mit dem Thema prinzipiell abgelehnt. 11 Vgl. KURT REINHARD, Tiirkische Musik (Berlin 1962), S. 15 ff. und KURT und URSULA REINHARD, Turquie (Buchet / Chastel 1969), S. 68 ff. 12 Raga-Maqam-Nomos, in: MGG 10 (Kassel-Basel-London-New York 1962), Sp. 1864 ff. 13 WALTER WIORA, Die vier Weltalter der Musik (Stuttgart 1961), S. 88. 14 Maq~m, in: Riemann-Musiklexikon, Sachteil (Mainz 1967), S. 544 ff. Ahnlich wird der maqam-Begriff von FRIEDER ZAMINER verwendet, s. Art. Melodie, in: Riernann-Musiklexikon, a. a. 0., S. 554 f. 15 BRUNO NETTL, Theory and Method in Ethnomusicology (London 1964), S. 35 bzw. DERS. - RONALD

RIDDLE, Taqsim Nahawand: A Study of Sixteen Performances by Jihad Racy, in: Yearbook of the Inter- national Folk Music Council 5 (1973), S. 12. 16 SIMON JARGY, La Musique Arabe (Paris 1971), S. 57. 17 MOHAMMAD TAGHI MASSOUDIEH, Awdz-e-Sur, Zur Melodiebildung in der persischen Kunstmusik, in: Kblner Beitrilge zur Musikforschung 49 (Regensburg 1968), S. 23; ebda., S. 119 auch ,abstraktes Melodie- modell". 18 HABIB TOUMA, Der Maqam Bayati im arabischen Taqsim, Diss. phil. (Berlin 1968), S. 84 ff. bzw. GiLTEKIN ORANSAY, Die melodische Linie und der Begriff Makam der traditionellen tfirkischen Kunst- musik vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, in- Ankaraner Beitriige zur Musikforschung (Ankara 1966), S. 21.

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Es ist offensichtlich, daB die Bedeutung der fiir die maqim-Definition gebrauch- ten unterschiedlichen Bezeichnungen wie Tonweise, Melodiegestalt, Melodietyp, Melodiemodell, Gestalttyp usw. zwar in einer bestimmten Richtung liegen, jedoch weder Synonyme darstellen noch fiir sich eindeutig sind19 und daran auch die

erklairende Beifiigung technischer Kennzeichnungen wie Tongruppe, Formel, Motiv u. a. nichts dindert. Als Ursachen dieser Vieldeutigkeit oder auch Uneinheit- lichkeit des in der europaiischen musikwissenschaftlichen Literatur verwendeten

maqiim-Begriffes mbgen sich zunaichst terminologisch-definitorische und metho- dische Probleme anbieten, etwa die ungenaue Festlegung und Beziehung von Bezeichnendem und Bezeichnetem, die Auswertung unterschiedlichen, ungleichen Materials, die einseitige und undifferenzierte Betrachtung der Quellen und der

Praxis, die unzulaissige Verallgemeinerung von Teilergebnissen u. a. m. Zweifellos spielen derartige Probleme eine grope Rolle. Aber es darf zugleich

nicht iibersehen werden, dai die Ursachen doch noch allgemeinerer Natur sind, dag sie bis in den Bereich des Theoretisch-Methodologischen hineinreichen. Gerade darauf zielt, bewuBt oder unbewu1gt, die Kritik, die heute oft von Musikern und Musikwissenschaftlern der jungen national unabhaingigen Staaten an dem Unver- stiindnis der europiischen Musikwissenschaft fiir die Eigenart der betreffenden Musikkulturen geiibt wird. Im wesentlichen handelt es sich um zwei theoretisch-

methodologische Problemkreise, und zwar um Mbglichkeiten und Folgen einer

Obertragung der mit der europiischen artifiziellen Musikkultur verbundenen Auf-

fassungen und Normen auf fremde Sachverhalte, also um die schon heftig kriti-

sierte, aber real noch nicht iiberwundene Eurozentrik in der wissenschaftlichen

Betrachtung fremder Musikkulturen, sowie um die weitgehende Unkenntnis bzw.

Ignorierung der Praxis und Entwicklung fremder Musikkulturen in ihrer ganzen historischen und ethnoregionalen Differenziertheit und Eigenart.

Fiir das Verstaindnis musikalisch-kultureller Tatsachen spielt die Frage des musikalischen BewuBtseins, dessen konkrete Auspraigung durch eine historisch und ethnoregional jeweils mehr oder weniger autochthone Entwicklung bestimmt ist, eine zentrale Rolle. In der Vergangenheit ist schon verschiedentlich auf diese Problematik aufmerksam gemacht worden. So wiesen Abraham und Hornbostel schon 1902 auf Grund detaillierter Untersuchungen darauf hin, daB die Aufnahme und Beurteilung von Musik in hohem MaBe von der eigenen Konvention bestimmt werde 20. Lachmann stellte die allgemeine Neigung fest, ,in die Tonschritte und

Rhythmen ebenso wie in den Ausdruck fremder Musik Gesetzmif3iigkeiten der

eigenen hineinzuharen"21, und Sachs zog neben der Gefahr eurozentrischer

Betrachtung und Auffassung von Intervallen, rhythmischen Modellen und musi- kalischen Strukturen selbst auch eine mbgliche Ungeeignetheit der Darstellungs-

19 Einen Spezialfall begrifflicher Verwirrung bietet Nettl mit seiner Sanktionierung der maqdm-Bestim- mung ,at various levels of musical conceptualization", BRUNO NETTL - RONALD RIDDLE, a. a. 0., S. 14. 20 OTTO ABRAHAM--ERICH MORITZ ON HORNBOSTEL, Studien iiber das Tonsystem und die Musik der

Japaner, in: SIMG 4 (1902/03), S. 339 ff. 21 ROBERT LACHMANN, Musiksysteme und Musikauffassung, in: Zeitschrift far vergleichende Musik- wissenschaft 3 (1935), S. 1.

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mittel in Betracht 22. Aber die Einsicht, daig andere Menschengruppen von den

eigenen abweichende, relativ eigenstaindige Systeme musikalischer Kommunikation besitzen bzw. entwickelt haben kdnnen, wurde nicht konsequent weitergefiihrt. Die Beschaiftigung mit fremder Musik verharrte im wesentlichen bei der Darstel-

lung ihrer vermeintlichen elementaren Einheiten und strukturellen Aspekte, ohne

zugleich nach den wirklichen Elementen und Zusammenhaingen, nach dem histo- rischen Standort, dem Sinn, der Funktion des jeweils betrachteten Systems musi- kalischer Kommunikation zu fragen. So blieben die Bemerkungen bei Abraham und Hornbostel iiber Unterschiede in der Richtung des Melodiegedichtnisses23 und bei Lachmann allgemeiner, aber treffender iiber Unterschiede des musika- lischen Bewutitseins24 eben nur Andeutungen und ohne die nb*tigen methodolo-

gischen Schluifolgerungen. Weder sie selbst noch andere Forscher haben etwa die metaphysische Auffassung von der Musik als unverdinderlichem emotionalem Ausdrucksmittel zugunsten einer historisch wandelbaren sozialen Funktion der Musik aufgegeben25 bzw. nach Anlage und Richtung, nach dem entsprechenden Stand der Entwicklung des musikalischen Bewutitseins gefragt, obwohl doch erst durch sie Gestalt, Wert und musikalischer Sinn zunaichst bloI akustischer Phaino- mene bestimmt werden. Es ist jenes Problem, das schon Karl Marx in Hinblick auf die sozial bedingte und gebundene universale Entwicklung der menschlichen Sinne so treffend kennzeichnete, wenn er feststellt, daI fiir das nicht entsprechend ,gebildete" Ohr ,die scha0nste Musik keinen Sinn hat, (kein) Gegenstand ist,. .. weil der Sinn eines Gegenstandes fiir mich ... grade so weit geht, als mein Sinn

geht .. ." 26. Aber diese Aussage ist nicht lediglich im weltgeschichtlichen Sinne zu fassen, sondern sie trifft auch auf die Entwicklung der relativ selbstindigen regionalen Musikkulturen bzw. -traditionen zu. Was fiir eine Menschengruppe im Rahmen ihrer historisch herausgebildeten Konventionen Gestalt und musi- kalischen Sinn hat, mu1R nicht auch fiir andere Menschengruppen, in anderen

Verhiltnissen desgleichen besitzen. Daher mag ein bestimmter akustischer Sach- verhalt, wenn man schon absieht von der Mbiglichkeit der Homonymie, in der einen musikalischen Tradition Traiger einer bestimmten Bedeutung sein bzw.

wenigstens die Schwelle des Apperzeptionsfeldes iiberschritten haben, waihrend er in einer anderen Musikkultur fiir belanglos hingenommen wird, wenn er nicht gar iiberhaupt unbeachtet bleibt.

In interessanter Weise laiit sich das an der Unterschiedlichkeit der Auffassung des kommunikativ relevanten akustisch-musikalischen Produktionsresultates in

22 CURT SACHS, Die Musik der Alten Welt, a. a. O., s. besonders Kap. I, 2. 23 A. a. O., S. 330 ff. 24 ROBERT LACHMANN, Musiksysteme und Musikauffassung, a. a. 0., S. 4. a5 Vgl. HARRY GOLIDSCHMIDT, Gedanken zu einer nicht-aristotelischen Musikiisthetik, in: Um die Sache der Musik (Leipzig 1970), S. 288, wo Goldschmidt die Verabsolutierung der Symptomfunktion der Musik entschieden zuriickgewiesen hat, weil nicht nur der gr86te Teil der augereuroptiischen Musik, sondern auch das gesamte Fundament der europiiischen Musik selbst - zum Beispiel die Gregorianik und die Polyphonie der Niederliinder - isthetisch weder richtig beurteilt noch beschrieben werden k6nnen, solange man bei dieser einseitigen Betrachtung beharre. 26 Ckonomisch-philosophiosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, Drittes Manuskript, in: KARL MARX - FRIEDRICH ENGELS, Werke, Erginzungsband 1. Teil (Berlin 1968), S. 541.

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der artifiziellen Musiktradition Europas und der des arabisch-islamischen Bereiches beobachten. Wird das produzierte Klanggebilde in jener als Unikum gefaeit, das unverwechselbar nach TOinen, rhythmischen Werten und Zusammenklaingen ist 27,

so erscheint es hingegen in dieser unbeschadet neuester Trends als im Rahmen einer Gruppe auswechselbares Individuum, das nicht durch die Existenz und das

Sogesetztsein einzelner Tdine, rhythmischer Werte und je nachdem auch von Zu-

sammenklhingen gekennzeichnet ist. Die Divergenz der beiden Positionen ist von der europaiischen Musikwissen-

schaft gewdihnlich iibersehen bzw. vernachlaissigt worden, u. a. in Form der euro- zentrischen Vorstellung der Variantenbildung, die oft auch die maqim-Praxis einbegreift. Am weitesten in der Nivellierung des Unterschiedes zwischen unver- wechselbarem Unikum und auswechselbarem Individuum ist dabei Szabolcsi

gegangen, indem er das ,es geht auch so" des Volkssaingers und das gezielte Schaffen des europaiischen artifiziellen Komponisten abstrakt als Auswahl unter verschiedenen Varianten bestimmte und so zur Subsumierung beider unter das

,Maqam"-Prinzip gelangte, das ihm als universal giiltige und angeblich in jed- weder Form und Entwicklung der Musikproduktion in der Welt vorliegende Variantenbildung gilt28. Seine Auffassung stellt gewissermagien eine Umkehrung der sonst iiblichen Interpretation des maqam-Begriffs dar. Sieht Szabolcsi naimlich in dem komponierten Unikum nur die zwar bewuitt hergestellte Variante eines

,,Grundgedankens"29, so suchen die anderen hinter dem auswechselbaren Indi- viduum wenn schon nicht eine res facta, ein Thema o. i., so doch wenigstens ein Variandum, sei es in Form einer ,platonischen Idee"30, eines ,ungenannten Themas" 3, ,iiberpersnIlich lebenden Geistes" 32 usw. Beide Vorstellungen wur- zeln in der Musikauffassung, die an den jahrhundertealten, fiir die europaiische artifizielle Tradition typischen, in Kompositions- und Interpretationssphaire ,gebro- chenen" ProzeiB der Musikproduktion und die zwischen ihnen vermittelnde, aber

fiir die unmittelbare gesellschaftliche Kommunikation irrelevante res facta

gebunden ist und selbst wieder in ganz spezifischer Weise, und zwar in der Varia- tionsform fiir die Musikproduktion fruchtbar wurde.33

27 Vgl. u. a. ZOFIA LISSA, iber das Wesen des Musikwerkes, in: ZOFIA LISSA, Aufsiitze zur Musikiisthetik (Berlin 1969), S. 7 ff. und H. HijSCHEN - C. DAHLHAUS, Artikel Melodie, in: MGG 9 (Kassel-Basel- London-New York 1961), Sp. 41. 28 BENCE SZABOLCSI, Das ,Maqam"-Prinzip in der Volks- und Kunstmusik: Der Typus und seine Ab-

wandlungen, in: Bausteine zu einer Geschichte der Melodie (Budapest 1959), S. 223 ff. 29 Ebda., S. 234. 30 ROBERT LACHMANN, Musik des Orients, a. a. O., S. 59 und DERS., Musikalische Forschungsaufgaben im Vorderen Orient, in: Bericht iiber die 1. Sitzung der Gesellschaft zur Erforschung der Musik des Orients (Berlin 27. 4. 1930), S. 7. 31 EDITH GERSON-KIwI, Musiker des Orients - ihr Wesen und Werdegang, in: Zoltino Kodaily Octo-

genario Sacrum (Budapest 1962), S. 131. 32 WALTER WIORA, Schrift und Tradition als Quellen der Musikgeschichte, in: Kongrej3bericht Bamberg 1953 (Kassel u. Basel 1954), S. 169 und DERS., Die vier Weltalter der Musik, a. a. O., S. 88.

33 EDITH GERSON-KIWI, Die Tonsysteme Asiens in ihrer Formung, in: Festschrift fiir Ernst Hermann Meyer (Leipzig 1973), S. 93, sagt, daif erst der analytisch-deduktive Geist Europas das ,Thema mit Variationen" erfunden habe. Vgl. auch die Ausfiihrungen von F. ZAMINER, a. a. 0., S. 554, iiber die ,geregelte Abwei-

chung vom ,normalen' Vortrag" seit dem mit der Entwicklung der Mehrstimmigkeit verbundenen Auf- kommen der schriftlichen eindeutigen Fixierung.

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Gegeniiber dem musikalischen Produktionsprinzip der Variantenbildung, das zu

Abwandlungen nach einem fixierten Vorgegebenen im Sinne der res facta fiihrt,

lhiit sich das Prinzip, das u. a. im arabisch-islamischen Bereich vorherrscht und sinnvoll als Variabilitait zu bezeichnen ist, durch die Vorstellung eines kausalen

Verhiiltnisses von Variandum und Variante iiberhaupt nicht fassen. Denn wie die

Produktionsorganisation anderer Musikkulturen nicht notwendig mehrere Abtei-

lungen besitzen und daher auch nicht zwischen ihnen vermittelnde Glieder mit der Tendenz zur Verselbstaindigung aufweisen mugt, so kann auch die Stellung und Bewertung des Produktionsergebnisses villig verschieden sein. Zwar ist dieses in jedem Falle auch ein kommunikativ relevantes akustisch-musikalisches Phaino- men, aber seine klangliche Realitdit braucht es nicht durch die Ausfiihrung eines zuvor schon festliegenden Einmaligen zu erlangen, sondern kann z. B. eine Re- Produktion nach zuvor wahrgenommenem Vielf iltigem und doch Identifiziertem sein. In bezug auf die Musikpraxis des Vorderen Orients haben verschiedene Autoren schon hervorgehoben, dati sich der Musiker bei der Re-Produktion des

iiberlieferten Repertoires nicht auf eine einmalige Vorgabe bzw. eine Vorlage stiitzt, sondern daig sein Musizieren auf einem lkingeren Lern- und Memorier-

prozeti beruht34. Entsprechend den Kriterien der Identifikation bzw. der Auf-

merksamkeitsrichtung des zugrundeliegenden Kommunikationssystems stimmen die in diesem ProzeQg wahrgenommenen Produktionen und die mit ihnen ver-

kniipften Re-Produktionen nach unseren Begriffen nur annaihernd, nicht aber

villig iiberein. Sie bilden eine Identitditsgruppe. Natiirlich ist selbst diese Vorstellung schon unkorrekt. Die Identifizierung auf-

einander bezogener und auf Vorleistungen und Tradiertem welchen Fixierungs- grades immer beruhender Musikproduktionen haingt von der gesellschaftlich ent- wickelten Apperzeptionsschairfe bzw. den Apperzeptionskriterien ab, also von der

Auspraigung, von Richtung und Stand der Entwicklung des musikalischen Bewutit- seins35. Nicht jede Tradition identifiziert die von ihr geschaffenen Produktionen nach dem Kriterium der in ihnen aufzufindenden, ideal angenaiherten Gleichheit ihrer melodischen und rhythmischen Gestaltung, sondern hat andere Kriterien konventioniert. (Jbrigens dindern sich ja selbst die innerhalb einer Musikkultur

giiltigen Kriterien im Laufe der historischen Entwicklung36. So memoriert der Musiker aus dem ihm viele Male zu Geh6ir gebrachten Melodiengut, aus einer

beliebigen Zahl von sozial giiltigen, gewissermaien diquipollenten Produktionen einer Identitaitsgruppe auf Grund der konventionierten Aufmerksamkeitsrichtung

34 s. EDITH GERSON-KIwI, Musiker des Orients - ihr Wesen und Werdegang, a. a. O., S. 127ff.; DIES., Die Tonsysteme Asiens in ihrer Formung, a. a. 0.; siehe auch RAOUF YEKTA, La Musique Turque, in: ALBERT LAVIGNAC, Encyclope'die de la Musique, a. a. O., S. 3010; MOHAMMAD TAGHI MASSOUDIEH, a. a. 0.; vgl. auch KHATSCHI KHATSCHI, Der Dastgdh, Studien zur neuen persischen Musik, in: Kblner Beitrage zur Musikforschung 19 (Regensburg 1962), S. 33 ff. und 121.

35 Im Artikel Maqdm, a. a. O., S. 545 stellt E. Gerson-Kiwi fest, daig der orientalische Musiker nicht in TiSnen denke, sondern in melodischen Gestalttypen, die als ungeteilt fortstrtmende Melodielinien ausgefiihrt werden. 36 s. ZOFIA LISSA, Zur historischen Veriinderlichkeit der musikalischen Apperzeption, in: ZOFIA LISSA, Aufsiitze zur Musikiisthetik, a. a. O., S. 71 ff.

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bestimmte melodische Grundeinheiten und Grundverlaiufe, die er in Anwendung von gleichzeitig iibernommenen oder schon bekannten Gestaltungsnormen wie- derum in entsprechende Klanggebilde umsetzt. Diese objektiv existierenden melo- dischen Grundverlaiufe bilden das allgemeine kommunikative Bindeglied, obwohl sie als wesentlicher sozialer Informationsvermittler real dennoch nur in der Viel- zahl der konkreten Produktionen, und zwar simultanen wie sukzessiven, einer

Identititsgruppe existieren. Wenn nun eine Unterscheidung zwischen Variantenbildung und Variabilitit

getroffen worden ist, so bleibt noch die Frage nach dem Verhailtnis von Variabi-

litit und maqim offen. Ist maq~im-insbesondere wenn er als Melodiemodell, Melo-

diegeriist, Melodiegestalt usw. gefaint wird, scheint sich das anzubieten - mit der

objektiv, aber nicht real existierenden melodischen Grundlinie des Variabilitits- prinzips identisch, oder aber liegt ein anderes Verhailtnis vor? So weit ich sehe, ware es falsch, maqam auf der Ebene der Variabilitit anzusiedeln, und zwar, ohne damit noch ausstehenden detaillierten Untersuchungen vorgreifen zu wollen, weil

diese unmittelbar mit der Produktion kommunikativ relevanter Klanggebilde auf der Grundlage eines besonderen ganzheitlichen, ,ungebrochenen" Produktions- bzw. Re-Produktionsprozesses zusammenhTingt, wohingegen der maqam-Begriff Ergebnis einer Abstraktion ist und die Merkmale umfaBt, die verschiedenen Grup- pen von Musikproduktionen eignen. Er entspricht der hochorganisierten Durch-

bildung und Rationalisierung der verschiedene ethnoregionale Traditionen inte-

grierenden, sich ungeheuer ausweitenden und anwachsenden Musikproduktion seit der Entfaltung der Feudalgesellschaft des Vorderen Orients.

In der herangezogenen Literatur ist das Verhailtnis von kommunikativ rele- vantem Klanggebilde und maqam kaum exakt beschrieben worden37. Es blieb

weitgehend unklar, wo das f ilschlich als solches begriffene ,variative" Musizieren

praktisch zu lokalisieren war. Fiir Schneider z. B. stellt der maqim eine Melodie-

gestalt bzw. ein (abstraktes) Modell dar, nach dem die verschiedensten Melodien

komponiert werden k*nnen 38. Die Stellung dieser Melodien im Kommunikations- prozeJR ist nicht praizisiert, offenbar werden sie aber als kommunikativ relevante akustisch-musikalische Phainomene verstanden, so daB sie ohne Zwischenglied mit dem maqam verbunden sind. Eine aihnliche Auffassung findet sich schon bei

Lachmann, nach dem es dem orientalischen Musiker freigestellt ist, in jedem maqm (als Melodiegestalt oder -typ definiert) neue Melodien zu erfinden, dessen

Eigenschaften sich am deutlichsten in den von ihm als maqdm-Modelle bezeich- neten improvisatorischen Einleitungen (taqisim, Singular taqsim) beobachten

lieIBen39. Offensichtlich sind diese Melodien, die die melodischen M6glichkeiten eines maqim nicht voll ausschipfen, zugleich als kommunikativ relevante End-

stufe des Produktionsprozesses gedacht, ihre Beziehung zum maqim, der sich wie

37 Dem realen Sachverhalt kommt ORANSAY, a. a. 0., noch am niichsten mit seiner Dreigliederung nach Melodielinie, melodischem Kern und ,Regel" (als Definition fiir maqdm). 38 A. a. O. Ahnlich faBt wohl auch C. Dahlhaus den maqdm-Begriff, obgleich iiber das reale Produk- tionsergebnis nichts ausgesagt wird. S. H. HOSCHEN

- C. DAHLHAUS, Melodie, a. a. 0., Sp. 41.

39 ROBERT LACHMANN, Musik des Orients, a. a. O., S. 58 ff.

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bei Schneider nicht nur durch tonale Merkmale, sondern auch durch Motive (auch Motivumrisse, Melodiewendungen) auszeichnet, ist also direkt.

Anders stellt sich das Verhiltnis von maqiim und klanglichem Endprodukt bei Frieder Zaminer dar. Nach ihm ist eine Melodie, weil sie als verbindlichen Normen lediglich typischen Gestaltungsweisen von Melodien in Verbindung mit gewissen Modelivorstellungen (maqam), nicht ,,Einzelgestalten" (Melodien) unterliegt, im Prinzip nicht genau, nicht Ton fiir Ton festgelegt. Beim Zusammenmusizieren

ergibe sich so ein eigentiimliches Nebeneinander von aihnlich gestalteten melo- dischen Linien im Sinne der Heterophonie40. Die so konstatierte Beziehung einer Vielzahl aihnlicher klanglich realer melodischer Linien zu einem Modell entspricht, kaum entkraiftet oder auch praizisiert durch den Verweis auf die sehr allgemein gehaltene Bestimmung im Artikel maqt&m desselben Werkes, am ehesten dem Musizieren im Rahmen des Variabilititsprinzips.

In aihnlicher Weise liejen sich weitere Differenzen zwischen den einzelnen maqm-Bestimmungen, -Beschreibungen und -Exemplifizierungen feststellen, die sich ja schon bei der Darstellung des Begriffes andeuteten und im Falle der An- gabe von Notenbeispielen ganz augenscheinlich werden. Wohl noch schwerwie- gender aber als die sich in der Eurozentrik der Musikwissenschaft aussprechende theoretisch-methodologische Schwaiche, die zur Konfusion von Variantenbildung, Variabilitdit und maqim fiihrte, wirkte sich die Vernachlhissigung der Praxis in ihrer historischen und ethnoregionalen Dimension auf die Bestimmung des maqdm- Begriffes aus. Von den meisten Autoren wurde er nur als theoretisch-systematische, nie als historische Qualitait gefatit. Sie betrachteten ihn als eine unverdinderliche Kategorie, ohne nach seiner Geschichte allgemein bzw. midglichen relativ selbstain- digen ethnoregionalen Entwicklungen im besonderen zu fragen. In dieser Ober- betonung bzw. einseitigen Fassung des systematischen Aspekts und der Vernach-

lissigung der konkreten Beziige des maqam-Begriffes zur jeweiligen Praxis macht sich noch heute die analytisch-systematisierende Orientierung der alten Verglei- chenden Musikwissenschaft geltend. Gerade aber erst durch die Beachtung des historischen und ethnoregionalen Zusammenhangs ist eine praizise und zugleich differenzierte, dem realen Sachverhalt entsprechende Bestimmung des maqdm- Begriffes zu erwarten, und ganz zu Recht haben einige Autoren in jiingeren Arbeiten auf unterschiedliche, historischer und ethnoregionaler Entwicklung geschuldete Begriffsinhalte hingewiesen41. Aber auch im arabisch-islamischen Bereich ist die Mehrdeutigkeit des maqam-Begriffs schon iingst ins Bewultsein getreten. So verzeichnet

H. usain 'Ali Mahfiiz in seinem historischen und zeit-

genissischen Wortgebrauch zusammentragenden Warterbuch der arabischerr Musik folgende Bedeutung unter dem Stichwort maqdm42.

40 A. a. O., S. 554. 41 s. z. B. Uzbekskaja narodnaja muzyka (Die usbekische Volksmusik), 5, Bucharskie makomy (Die bucharischen makome) (Tavkent 1959), (Vorwort) S. XVIII f.; M. ISMAJLov - L. KARAGICEVA, Narodnaja muzyka Azerbajdiana (Die Volksmusik Aserbaidshans), in: Azerbajdianskaja muzyka (Aserbaidsha- nische Musik), (Moskva 1961), S. 43; E. GERsoN-KIwl, The Persian Doctrine of Dastga-Composition (Tel Aviv 1963); G. ORANSAY, a. a. 0., 90 ff. und 114. 42 Mu'iamu 'I-mifsiqd 'I-'arabiya (Bagdad 1964), S. 94, 98 ff., 188, 195.

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216 J. Eisner: Zum Problem des maqdm

1-was aus T6nen zusammengesetzt, besonders angeordnet und mit einem speziellen Namen versehen ist (eine Formulierung Sihdb ad-Dins [gest. 1857], die noch um 1905 von dem Agypter al-Hula'i weitergegeben wird43)

2-jeder Gang der T6ne (Melodien? kullu tariqa min fturuqi 'l-anfgm) 3--der Zyklus (daur; schon bei Safi ad-Din verwendet) 4-die Melodie (lahn) 5-ein dwdz (persisch Lied, eine in den Hilteren Traktaten seit Safi ad-Din

gebrauchte Bezeichnung) 6-eine Ju'ba (arabisch Zweig, eine in den Traktaten seit dem 15. Jahrhundert

gebrauchte Bezeichnung) 7-ein tarkib (arabisch Zusammensetzung, eine mindestens seit dem 15. Jahr-

hundert in den Traktaten gebrauchte Bezeichnung) 8-die in Staimme und Zweige (usil und furi') geteilten 28 Tonstufen eines

(noch bei al-Hula'i erwaihnten) Tonsystems 9-die Tbne (? an~am)

10 - Tonleiter 11 -Tonart

Die M6iglichkeit einer historisch und ethnoregional differenzierten Darstellung der maqim-Problematik stellt sich heute schon relativ giinstig dar, da die Erschlie-

Bung historischer Quellen und regionaler Musiktraditionen in den letzten Jahr- zehnten erhebliche Fortschritte gemacht hat. Nur sind diese Materialien von der

einschlaigigen europaiischen Musikforschung bisher noch kaum zur Kenntnis

genommen worden. Am besten beschrieben und vor allem durch Schallplatten- ausgaben und verschiedene vollstaindige und partielle Notationen am umfang- reichsten dokumentiert sind die in einigen mittelasiatischen Sowjetrepubliken erhaltenen klassischen Musiktraditionen, die sich mit dem vom arabischen maqam hergeleiteten Terminus makom verbinden. Aber auch auf die bedeutenden Bei-

traige, die Higyptische und tunesische Wissenschaftler zur maqam-Problematik geleistet haben, ist besonders hinzuweisen. Im folgenden, soil versucht werden, unter Benutzung und Auswertung alter Traktate und der neuen Forschungs- ergebnisse und Materialien die historisch und regional differenten Inhalte anzu- deuten, die sich mit dem maqdm-Begriff verbinden.

In der europaiischen Spezialliteratur und von dort iibernommen in verschiedenen anderen Werken erscheint eine Reihe von Bezeichnungen, die regionalen Musik- traditionen des arabisch-islamischen Bereichs entstammen und als Synonyme des besonders in der Tiirkei und Syrien beheimateten Begriffs des maqam angesehen werden. Es handelt sich um solche Ausdriicke wie nagam (auch nagama - Melodie; Agypten und Syrien), tab' (Natur, Charakter, Gepraige; Tunesien), san'a (Arbeit, Kunst, Handwerk; Algerien)44 und l

waz (Lied, Gesang), dastgah, auch Ju'ba und

43 KAMIL AL-HULA'i, Kitdbu 'l-muisiqi '-Iarqi (Das Buch der orientalischen Musik). (Misr 1322 H.

[Kairo 1905]),S. 28. 44 Nach meinem Wissen ist san'a die Bezeichnung fiir die Musik der artifiziellen Tradition (vgl. &la fiir Marokko und ma'liif fiir Tunesien und Ostalgerien), wihrend als maqdm-Synonym wie in Tunesien tab' auch in Algerien gebraucht wird.

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Page 11: Zum Problem des maqām

1. Eisner: Zum Problem des maqdm 217

Jadd (Iran). Diese Aufz*ihlung stellt jedoch keine vollst*indige Liste der gegen- wairtig noch in naheliegendem Zusammenhang gebrauchten Termini dar. Es fehlen z. B. die zumindest etymologisch mit dem Wort maqim verwandten zentralasia- tischen und transkaukasischen Bezeichnungen makom (Tadshikistan, Usbekistan) und mugam (Turkmenien, Aserbaidshan). Auch die historischen sind, aus der

angedeuteten Forschungsorientierung erklirlich, iibersehen worden, obwohl nach den Traktaten neben einigen schon genannten und noch heute gebraiuchlichen weitere Bezeichnungen wie murakkab, tarkib, parda u. a. m. unter den Musikern im Umgang waren. Wieweit jedoch die als Synonyme in der europaiischen Literatur

mitgeteilten Termini wirklich mit dem maqdm-Begriff iibereinstimmen und welchen Inhalt die anderen regionalen und historischen Bezeichnungen besitzen, kann allein durch praizise, detaillierte Untersuchungen festgestellt werden.

Der Versuch einer Darstellung des historischen maqdm-Begriffs steht noch vor mancherlei Schwierigkeiten. Einerseits sind die Liicken zwischen den einzelnen

Quellen sehr grog, andererseits ist ihre regionale Verankerung und ihr Praxis-

bezug nicht mit notwendiger Deutlichkeit auszumachen45. Aber trotz des liicken- haften und in der Aussage fragmentarischen Materials ist mindestens eine gewisse Dynamik in der Entwicklung des maqiim-Begriffs nicht zu iibersehen.

Die Bezeichnung maqm erscheint belegbar zuerst in den Schriften der spait- mittelalterlichen Musiktheoretiker des 14. Jahrhunderts. Touma weist auf ein Werk as-Safadis hin, der 1363 gestorben ist46. Maglicherweise war der Terminus aber schon zur Zeit des Safi ad-Din (gest. 1294) unter den Musikern im Umlauf47, obwohl er sich in dessen Schriften selbst noch nicht findet.

Die Erwdihnung der Bezeichnung maqdm bzw. ihrer Synonyme geschieht in

Zusammenhang mit der systematisch-spekulativen Darstellung der Skalen als

Riickbezug auf die Praxis, dem von den Theoretikern im Laufe der Entwicklung immer grd6ere Bedeutung beigemessen wird. Bei Ibn Sina (gest. 1037), der die

Zusammenfiigung von Tongruppen (a'nas, Singular 'ins) zu einer gr6i.eren Ein- heit wie al-Fdrabi48 (gest. 950) unter dem theoretischen Sammelbgriff gamd'a (Gruppe) beschreibt

49, findet sich schon der Verweis auf den allgemeinen Gebrauch

bestimmter Skalen, fiir die er auch einzelne geliufige Namen mitteilt50. Saff ad-Din aber war es nach meiner Kenntnis, der als erster neben dem rein theo- retischen Sammelbegriff daur (Zyklus, Kreis), mit dem er die systematisch konstruierten Tonleitern zusammenfagte, auch Bezeichnungen der praktischen Musiker fiir bestimmte Gruppen von Tonfolgen mitteilte. So erklairt er u. a. in

45 Vgl. hierzu KHATSCHI KHATSCHI, a. a. O., S. 52 f. 46 HABIB TOUMA, a. a. O., S. 11.

47 Vgl. H. G. FARMER, A History of Arabian Music to the XIIIth Century (London 2/1967), S. 203 ff. und HABIB TOUMA, a. a. O., S. 11.

48 AL-FARABi, Kitfbu 't-milsiqi 'l-kabir (GroLes Buch der Musik), hrsg. von GATTAS 'ABDU 'L-MALIK HASABA (al-Qlhira 1967), S. 879 ff.; frz. Obersetzung in: RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe I und 2 (Paris 1930 und 1935). 49 AX--ifa' (Die Heilung), ar-riyddiydt (Mathematik), 3 --~awami' 'ilmi 'I-miiusiq (Kompendium der Wissenschaft von der Musik), hrsg. von ZAKARIYA YFJSUF, al-Qlhira 1956, S. 63 ff.; (frz. Obersetzung in: RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 2 (Paris 1935). 5o Ebda., S. 149 ff. (Erlanger ebda., S. 239 ff.).

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Page 12: Zum Problem des maqām

218 J. Elsner: Zum Problem des maqdm

seinem Kitiib al-adwir (Buch der Zyklen), dag1 die ausiibenden Musiker ,den Zyklen die Bezeichnung iud4id" gegeben hitten, waihrend ,bestimmte Zyklen awaz, und andere, die keine speziellen Namen erhalten haben,,murakkab' (zusam- mengesetzt, Zusammengesetzter) genannt worden" seien51. Spaitere Schriftsteller fiigten diesen Sammelbezeichnungen neue hinzu, darunter auch den Ausdruck maqim. Der in der zweiten Hailfte des 15. Jahrhunderts schreibende und sich u. a. auf das Werk des 1435 verstorbenen beriihmten Musikers und Theoretikers 'Abd al-Qadir Ibn Gaibi stiitzende 'Abdarrahmin Gdmi (1414-1492) beschreibt in gewisser Abgrenzung gegen die insgesamt 91 Zyklen die ,zw*lf allgemein bekann- ten ma-•amat, die sechs awazat, die vierundzwanzig gu'bat und auch die tarkibat" 52 In einem im gleichen Zeitraum entstandenen anonymen Traktat, der sich eben- falls u. a. auf Ibn Gaibi bezieht, wird festgestellt, dag ,die Meister der Kunst jedem der gebraiuchlichen Zyklen die Bezeichnung maq~m, gadd, parda oder kfi~a

beifiigen", waihrend andere Zyklen zur Klasse der wmazit oder der Su'ab geharen und dariiber hinaus einige ohne spezielle Namen einfach tarkib (Zusammenset- zung, Verbindung) oder murakkab genannt werden53. Al-Ladiqi (um 1500) iiberliefert fiir die zwolf bekannten Zyklen die Sammelbezeichnungen maqiim, parda und auch gadd und fiir andere Zyklengruppen die Bezeichnungen iwaz, Vu'ba und tarkib4.

Nach den wenigen alleinig zur Erhellung des historischen Aspekts der Proble- matik herangezogenen Angaben' aus Traktaten des ausgehenden Mittelalters -

eine Spezialstudie mii 9te sich auf eine Vielfalt von kaum oder noch nicht erschlos- senen Quellen stiitzen55 - gab es im 14. und 15. Jahrhundert, begriindet wohl in einer regional entwickelten und tradierten Terminologie, wie es aihnlich auch in der Gegenwart zu beobachten ist, fiir den Begriff maqim mehrere Synonyme, aber gleichzeitig auch bedeutungsdifferente Begriffe. Obwohl nun beide Gruppen von Begriffen bei den Theoretikern durch die Jahrhunderte gleichlautend auf- treten, haben sich die mit ihnen verbundenen Bedeutungen, was trotz der oft

spairlichen Aussagen deutlich wird, staindig veraindert. So weist al-LLdiqi z. B. ausdriicklich auf die unterschiedlichen Begriffsinhalte der von ihm angeffihrten Bezeichnungen bei Altvorderen und Zeitgenossen hin56. Inwieweit diese Verainde-

51 s. frz. Obersetzung bei: RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 3 (Paris 1838), S. 376 bzw. 387; s. auch DERS., Ar-risdla aL-Sarafiya (Sarafische Abhandlung), frz. Ubersetzung bei: RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 3 (Paris 1938), S. 109. 52 (ABDURACHMAN DIAMI), Traktat o muzyke (Traktat iiber die Musik), hrsg. mit Ubersetzung ins Rus- sische und Kommentar von A. N. BOLDIREV und W. M. BELJAEV (Ta'kent 1960), S. 441b (russisch S. 30). Die fremden Termini stellen Pluralformen zu maqdm, Sdwz, ju'ba (Plural auch ju'ab) und tarkib dar. M Traite anonyme dedid au Sultan Osmdnli Muhammad (II), frz. Ubersetzung bei: RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 4 (Paris 1939), S. 102.

54 MUHAMMAD IBN 'ABDU 'L-HAMID AL-LpADIQi, Ar-risdla

al-fath.ya (Abhandlung der Einfiihrung [in die

Musik, E.]), frz. Ubersetzung bei: RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 4 (Paris 1939), S. 373 ff. und 394. 55 Neben den in bekannten Quellennachweisen und Bibliographien (s. RODOLPHE D'ERLANGER, La MUsique Arabe 5 [Paris 1949], S. 393 ff. und H. G. FARMER, The Sources of Arabian Music, Leiden 1965) schon genannten Manuskripten, Drucken und Obersetzungen wiren vor allem auch Schriften aus dem tiirkischen und zentralasiatischen Gebiet heranzuziehen. Vgl. z. B. die Quellenangaben bei G. ORANSAY, a. a. O., S. 11 ff. und bei S. M. VEKSLER, OCerk istorii uzbekskoj muzykal'noj kul'tury (Abrig der Geschichte der usbekischen Musikkultur) (Ta'kent 1965), S. 236 ff. 56 A. a. O., S. 374 ff.

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Page 13: Zum Problem des maqām

J. Elsner: Zum Problem des maqdm 219

rungen allerdings auch die Praxis betrafen und nicht nur aus dem Wandel der

Praxisbeziehungen der Theorie herriihrten, muBi vorerst noch offenbleiben.

Erwaihnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Verlagerung des Gewichts der einzelnen differenten Gruppenbezeichnungen. Benannte Safi ad-Din 12 Sudid und 6 aw~zat17, so verzeichnete al-Lddiqi neben 12 maqamat 7 dwdzdt, 4 su'ab und 30 tarkibatt58. Die weitere Entwicklung fiihrte dazu, daQ die iwazat und die gu'ab verschwanden, waihrend sich die Zahl der maqdmat und tarkibdt vergr61ierte. Doch schon im 17. Jahrhundert war es z. B. in der tiirkischen Praxis iiblich, nur noch von maqamat zu sprechen, bis schlielflich im 19. Jahrhundert auch die Theorie diese Beschrhinkung der gebriuchlichen Gruppenbezeichnung nachvollzog59.

Auf den ersten Blick scheinen die in den mittelalterlichen Traktaten des arabisch- islamischen Bereichs mit verschiedenen Gruppen von Zyklen verkniipften Bezeich-

nungen nur dem Skalenaspekt gegolten zu haben. Jedoch weisen verschiedene

Bemerkungen und Formulierungen schon bei Safi ad-Din und zunehmend bei den folgenden Autoren darauf hin, dag maqam und andere Termini nicht nur Tonleiter bedeuteten. So berichtet jener u. a., daB jede Melodiebildung, bei der die Meister der Kunst eine seinerzeit allbekannte Tongruppe am oberen Ende der Tonleiter verwenden, den Namen Isfahan trage60. Bei seiner Aufzeichnung des

Isfahan genannten Zyklus liegt dann auch die Tongruppe Isfahan am oberen Ende61. Das enge Verhailtnis zwischen den Tongruppen (agnas), deren melodische Eigen- bedeutung wiederholt hervortritt, und den gudjid (Singular vadd) wird besonders

sinnfaillig auch durch die Bemerkung des Kommentators des' Kitab al-adwar, daI? die Namen dieser von denen der Tongruppen herstammen62. Auch die dem Kitab al-adwar angefiigten Notationen sind in dieser Hinsicht sehr aufschlutreich, da sie verschiedene Genres (tariqa, saut) im gleichen gadd enthalten, die in ihrer melodischen Entwicklungsrichtung iibereinstimmen und damit auf ein iiber die Charakteristik des Zyklus hinausfiihrendes Merkmal des gadd hinweisen63.

Andeutungen melodischer Qualit•tfen erscheinen im Kitab 21-adwar und in seinem Kommentar auch wiederholt bei der Darstellung der awazat64, wie sich

iiberhaupt der melodische Aspekt in den theoretischen Schriften zunaichst am

stairksten in den verschiedenen, Gruppen neben den maqamat niedergeschlagen zu haben scheint. Die uawazat, su'ab und tarkibat standen offenbar nicht in dem Ma1te unter dem Zwang der Kanonisation durch Safi ad-Din wie die zw6lf gudiid (bzw. spaiteren maqamat), die lange tradiert werden. So fiihrt 'Abdarrahmimn Gdmi in seinem Traktat die zwailf beriihmten maqamat mit nur geringen Anderungen auf, waihrend er bei der Beschreibung der awazat und gu'ab vielfach auf Momente der melodischen Ausfiihrung zu sprechen kommt. Unter Berufung auf die seiner-

57 KITXB AL-ADWAR, a. a. O., S. 376 und 388 ff. 58 A. a. O., S. 429 ff. 59 s. G. ORANSAY, a. a. O., S. 90 ff. 0 AR-RLSALA AS-SARAFiYA, a. a. O., S. 55. 61 s. ebda., S. 135 und 119. 62 s. KITAB AL-ADWAR, a. a. O., S. 558. 63 Ebda., S. 553 ff. 64 Ebda., S. 388 ff.

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220 J. Eisner: Zum Problem des maqdm

zeit getibte Praxis macht er einzelne Angaben zum Register, in dem die Melodien

beginnen, iiber Zentralt6ne, Umfang, Unterschiede der tonalen Zusammenset-

zung bei verschiedener Bewegungsrichtung, iiber die Lage der Tongruppen und die Zufiigung von Tbinen und Tongruppen zur Haupttongruppe, zur Tongruppen- folge in der Melodieentwicklung, iiber ihren allgemeinen Verlauf und iiber Ver-

zierungen65. In anderen Traktaten werden weitere melodische Aspekte in Kenn-

zeichnung der verschiedenen Sammelbegriffe hinzugefiigt, ja es ergeben sich selbst bedeutende Verhinderungen ihrer Bestimmung, die besonders bei al-Lddiqi auf- fallen. Fiir ihn zeichnet sich der bewu1Bt gegen die Altvorderen abgesetzte maqam- Begriff vor allem durch drei Merkmale aus: Erstens verstiinden die Zeitgenossen darunter ,unvollstaindige konsonante Gruppen", zweitens sei maqam durch eine bestimmte melodische Entwicklung gekennzeichnet und drittens trage die Lage des Anfangstones zur Identitait des maqam bei66. Bei der Erklairung der einzelnen

maqamat beschrlinkt sich al-Lddiqi auf die Bestimmung der Grundziige, da sie, wie er sagt, das Wesen der maqamat kennzeichneten, waihrend die Ornamente, die man dazufiigen kiinne, unbegrenzt seien, und von der Fantasie des Spielers abhingen"7. Diese Beschreibung der mdqamat enthailt nun verschiedentlich An-

gaben zu Anfangs- und Endt6nen, zum Register sowie zur Melodierichtung und

-entwicklung, die bei friiheren Autoren, wie al-L~diqi bewutt hervorhebt, gewahn- lich nur im Zusammenhang mit den iwmzit und gu'ab gemacht wurden68. Die sich in dieser Darstellung aussprechende Entwicklungstendenz der maqam-Praxis wurde offensichtlich in den folgenden Jahrhunderten ausgebaut69, und als ein Seitenzweig der Entwicklung in dieser Richtung ist u. a. die Entstehung des

Savmakom, des Ensembles der ,Sechs makomot" in Mittelasien im 18. Jahrhun- dert anzusehen.

Schon aus der Durchsicht einiger weniger Schriftzeugnisse aus dem arabisch- islamischen Bereich des spaiten Mittelalters ergibt sich deutlich, dag der maqim- Begriff in der Geschichte nicht unverdindert einheitlich gefagt wurde, sondern einer Entwicklung unterlag. Aber nicht nur eine historische Differenzierung und

Entwicklung, sondern auch eine regionale Divergenz mug man als Mb-glichkeit sehen. Die theoretischen Arbeiten berichten gewbhnlich iiber einen geographisch kleinen Einzugsbereich, der je nach der Machtsituation wechselt, groge Gebiete

lagen aber dennoch und besonders seit dem Beginn des Zerfalls der Abbasiden- Macht wesentlich aufterhalb des Einflusses des Zentrums, wie schlieglich die ver- schiedenen Nachfolgestaaten des Kalifenreiches mit ihren neuen Metropolen manchen regionalen Traditionen und Entwicklungen neues Gewicht verliehen. Historische wie regionale Differenz und auch Divergenz der Musikkulturen des arabisch-islamischen Bereiches und damit auch des maqam-Begriffes sind deshalb fiir seine Geschichte einzukalkulieren und vor allem fiir gegenwairtige Unter-

suchungen nicht von vornherein von der Hand zu weisen.

65 A. a. O., S. 37 ff. 66 A. a. O., S. 374 f., 363, 401. 67 Ebda., S. 430. 68 Ebda., S. 398 ff. 9 s. G. ORANSAY, a. a. O., S. 82ff.

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Page 15: Zum Problem des maqām

7. Elsner: Zum Problem des maqdm 221

Der Stand der Erforschung der maqdm-Praxis in ihren verschiedenen lokalen und regionalen Erscheinungen in den Ldindern des alten arabisch-islamischen Bereiches ist sehr unterschiedlich, nicht in allen Lindern sind die Erkenntnisse schon sehr weit getrieben. In den Magrib-Ldindern Marokko, Algerien und Tune- sien wird die maqaim-Praxis allgemein mit den altiiberlieferten klassischen nba-t

(Plural zu niba [in den Dialekten des Magrib, im klassischen Arabisch nauba], Wechsel, Abwechslung) verbunden, obwohl sie miteinander nicht identisch sind. Nach Salah el-Mahdi handelt es sich bei der nzba um ,eine Gruppe (magmi'a) von Vokal- und Instrumentalstiicken, deren Melodik auf Grund ein und desselben

maqam (tab') und verschiedenen, die Zahl fiinf nicht iiberschreitenden Rhythmen gebildet ist" (mulahhana 'ala maqdm [.tab'] wiihid...)7?. Diese Einheitlichkeit der niba in bezug auf den maqam71 ist jedoch wohl nur eine nominale, keine reale. Denn jede nfba trdigt zwar jeweils den Namen lediglich eines maqdm (tab'), der ihr zugleich auch das Grundgepraige verleiht, vielfach aber gehen in sie auch andere

maqamamt (.tubz') ein. So weist Belhassen Farza u. a. darauf hin, daB in

bezug auf den maqam der tusiya (instrumentales Zwischenspiel, in Marokko und

Algerien Ouvertiire) der tunesischen nfba ein dieser benachbarter ausgewithlt wird72. Aber selbst el-Mahdi differenziert seine allgemeine Aussage iiber die ,,Einheitlichkeit des maqam" als Grundlage der niba, indem er sie zwar auch fiir Algerien konstatiert 73, fiir die marokkanische niba hingegen grogenteils aufhebt. Von den elf in Marokko erhaltenen n bat folgen nach seiner Angabe nur vier

,dem Prinzip der Einheit des tab', d. h. ,der Melodie' (Weise) oder ,des maqam' "

(qd'ida wahdat at-tab' ay ,an-nagam' au ,1-maqdm')74, wdihrend ein marokka- nischer Autor nur deren drei verzeichnet75.

Seit altersher wird in den drei Magrib-Ldindern eine in Parallele zum maqam- Begriff stehende Erscheinung der Musikproduktion unter der Bezeichnung .tab'

70 An-nauba (Die nauba), Vorwort zu: Patrimoine musical tunisien, 3e Fascicule, La nawbah dans le maghreb arabe, nawbet edhil tunisienne, hrsg. von: R6publique Tunisienne, Secr6tariat d'Etat aux Affaires Culturelles, Conservatoire National de Musique et de Danse (o. O., o. J.), o. S.

71 Vgl. auch RODOLPHE D'ERLANGER, Taqrir 'ani 'I-milsiq 'l-magribiyati'l-andalusiyati 't-asl (Haupt- bericht iiber die magribinisch-andalusische Musik), in: Kitdb mu'tamari 'l-mustiqd 'I-'arabiya (Buch des Kongresses der arabischen Musik), (Kairo 1932), (al-Qdhira 1933), S. 172; DERS., La Musique Arabe 6

(Paris 1959), S. 188 ff.; A. CHOTTIN, Nordafrikanische Musik, in: MGG 9, a. a. O., Sp. 1560, spricht von einer ,,Art thematisch-melodischer Einheitlichkeit". 72 Al-milsiqd 't-tilnislya fi 'l-qarni 'l-'ilrin (Die tunesische Musik im 20. Jahrhundert), Vorwort zu: Patrimoine musical tunisien, 6e Fascicule, La Musique Tunisienne au XXe Siecle, Nawbets Rasd, Ramel El Maya et Nawa, hrsg. von: R6publique Tunisienne, Ministere des Affaires Culturelles, Direction de la

Musique et des Arts Populaires (o. O., o. J.), S. 3. 73 Ebenso wie fiir Tunesien gilt das nur bedingt. Sicher wird die erst beginnende algerische Musik-

forschung auch hier eine Differenzierung bringen, fiir die sich jetzt schon Hinweise finden, etwa in der Unterschiedlichkeit der tubzl', nach denen manche nibadt und ihre tifziydt benannt werden (vgl. hierzu auch J. ROUANET, La Musique Arabe dans le Maghreb, in: ALBERT LAVIGNAC, a. a. O., S. 2848), oder in el-Boudali Safirs Bemerkung fiber die Konfusion der tubf' im Constantiner Repertoire; s. Schallplatten- taschentext zu: Musique Classique Algerienne, Semaine Culturelle de Constantine 1968, Mehradjane - Production de la Radiodiffusion T616vision Alg6rienne, 1. 74 A. a. O. 75 AL-'ARABI AHMAD al-WizXAi, Vortrag ohne Titel, gehalten auf dem 2. Kongreg fiir Arabische Musik

Fis 8.-18. April 1969, in: Al-mu'tamaru 't-tdni lil-miisiqd 'l-'arabiya (Der 2. Kongre fiir arabische Musik [Kongregbericht]), hrsg. von: Wizaratu d-daulati'l-mukallafa bi' J-Ju'fini 't-taqlfiya wa' t-ta'llm

al-asli (Tan'a 1971), S. 137.

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Page 16: Zum Problem des maqām

222 1. Elsner: Zum Problem des maqdm

(Plural tubi') gefaiRt. Auch die Bezeichnungen nagama und maqam kommen vor, doch ist ihr Anwendungsbereich einerseits sehr breit und liift die Bedeutungen Ton, Tonstufe, Tonleiter und Melodie wie auch die eines tonal-melodischen Merk-

malkomplexes zu76, andererseits geschieht die Verwendung der Bezeichnung maqam an Stelle von tab' wohl erst in jiingerer Zeit. Belhassen Farza weist darauf hin, daB ftab' eine magribinische Bezeichnung fiir den maqam ist. Das sei insofern

erklirlich, als in den alten Musikschriften jeder musikalische maqam mit einem der tab' genannten Gemiitszusthinde verkniipft worden sei77.

Die urspriingliche Zahl der .tub-' in Marokko wird aihnlich wie in Algerien und Tunesien mit Bezug auf die nach alter Oberlieferung vordem existierenden 24 njbbt mit 24 angegeben78. Im Kongregibericht Fds 1969 werden jedoch 25 bzw. 26 benannt79, die sich in wenige Grund- (asl) und viele Neben- oder

Zweig-.ub-' (far') gliedern. Von den Grund-tubi" gibt nur ein einziger einer niba seinen Namen. Wie aus den verschiedenen Ausftihrungen allgemein hervorgeht, schliegt der marokkanische Begriff des tab' bestimmte tonale und melodische Merkmale und iiber das Technische hinausgehend sogar einen bestimmten Sinngehalt ein. Aber die Materialerschliegung und die Untersuchungen sind nicht so weit gedie- hen, dat? sie eine differenzierte Bestimmung des tab'-Begriffs schon zulieBen.

Ahnlich ist die Situation in Algerien, wo die Dokumentation der klassischen musikalischen Traditionen erst begonnen hat. Die vor mehr als fiinfzig Jahren von Rouanet iiber die Musik des Magrib verfalte Darstellung, die sich vor allem auf algerisches Material stiitzt, ist daher trotz mancher Maingel noch immer die

wichtigste Informationsquelle iiber die algerische Musik geblieben s. Ober die

algerischen tubi' jedoch, deren Zahl gegenwairtig in Anlehnung an die Zahl der erhaltenen n-bat allgemein mit 15 angegeben wird 8, findet sich darin nichts aufer einem indirekten Hinweis auf im ganzen Magrib existierende spezielle, den

,,Modi" eigene ,Formeln", die sich besonders deutlich in den Kadenzen aus-

76 In dem Vortrag von AL-'ARABI AHMAD AL-WIZANi, a. a. 0., S. 124 ff., wird z. B. der Terminus maqdm im Sinne von Tonstufe, und zwar fiir den Grundton verwendet, wiihrend eine Gleichsetzung mit Ton- leiter expressis verbis abgelehnt wird. Im unmittelbaren Widerspruch dazu steht dann aber die gleich folgende Anspielung auf den maqdm-Begriff Sihdb ad-Dins (s. o.), wenn es heiist: ... einige tubii' stimmen in der Leiter (sullam) iiberein. Aber sie unterscheiden sich in der Zusammensetzung (tarkib), und jeder hat ein besonderes Gepriige (tQdbi'), dessen Triiger der maqdm ist. Von den Musikgelehrten ist der Begriff maqdm als Gruppe (mamil'a) von Tcinen bestimmt worden, die in spezieller Weise angeordnet sind, und die dadurch ein eigenes Gepriige, eine eigene Farbe und eine bestimmte Melodie erhailt"

(ya,'aluhd ddta tab'in wa-launin wa-lahnin mu'ayyanin).

77 A. a. O. 78 Vgl. AL-'ARABi AHMAD AL -WIZANi, a. a. O., S. 134; s. a. RODOLPHE D'ERLANGER, Taqrir 'ani 'l-miisiqi 'l-magribiyati 'l-andalusiyati 'l-asl, a. a. O., S. 172; MUSTAFA TOUMI, Rapport, Colloque national sur la musique algerienne, el-riath 25-26--27 dicembre 1964, f. 1. n. commission centrale d'orientation, section des affaires culturelles (Alger o. J.), S. 13. 79 al-'Arabi Ahmad al-Wizdnis Aufzihlung der tubf' unter verschiedenen Aspekten ist widerspriichlich, er zlihlt 25, benennt aber insgesamt 26. Vgl. a. a. O., S. 123 ff. und 139; 26 tubf' werden in einer tubi' und 6stliche maqdmdt vergleichende Tabelle benannt, s. Al-mu'tamaru 't-tdni lil-mfisiqd 'l-'arabiya, a. a. O., S. 180 f. 8o J. ROUANET, La Musique Arabe dans le Maghreb, a. a. O., S. 2813 ff. 81 MUSTAFA TOUMI, Rapport, a. a. 0., S. 13; s. a. SALAH EL-MAHDr, a. a. O. Jedoch wird eine genaue Untersuchung der drei teilweise recht stark voneinander abweichenden lokalen Traditionen (Tlemcen, Algier, Constantine) sowie die exakte Analyse und Untersuchung der einzelnen nlibdt miSglicherweise zu einer neuen Angabe fiihren.

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1. Eisner: Zum Problem des maqdm 223

prigten82. Ansonsten neigt man heute in Algerien, wie in den anderen Lindern auch, gewiShnlich dazu, bei der Betrachtung der ftubi' nur den Skalenaspekt zu sehen, obwohl doch die praktischen Musiker selbst nicht in dem Mate vom Melodiengut abstrahieren. Rouanet hat mit seinen Angaben iiber die ,Modi" der arabischen Musik und der besonderen Art, sie zu notieren, gerade diesen bis in unsere Zeit noch allgemein und auch in Algerien geltenden Umstand beriick- sichtigt83. Wenn daher der tab'-Begriff sicher nicht auf eine Tonleiter zu reduzieren ist, kann dennoch aber, da fiir Algerien noch keine speziellen Untersuchungen vorliegen und bisher auch nur relativ wenige Materialien und Notationen der Offentlichkeit zuginglich sinds4, eine Bestimmung des algerischen tab' gegen- wirtig kaum tiber die fiir Marokko getroffene pauschale Feststellung hinaus-

gehen. Giinstiger als in den beiden anderen Magrib-Ldndern liegt die Situation in

Tunesien. Von den fuir Tunesien belegten 13 nuabt8s5 sind immerhin schon iiber die Hilfte notiert festgehalten worden, dazu sind zahlreiche Instrumentalstiicke und Vokalstiicke der klassischen Tradition, die den tub ' verbunden sind, publi- ziert worden86. Nach den verschiedenen Berichten, die iiber die tunesischen tuba' vorliegen, ist deren Zahl weder identisch mit der der erhaltenen noch der legen-

diren nba-t. Im KongreLfbericht Kairo 1932 werden 18 und bei Erlanger spaiter sogar 29 benannts7. Interessant an den vorliegenden Analysen bzw. Notierungen ist, daB sie nicht bloB Leitern vorfiihren. Die Notationen im Kairenser Kongreft-

82 La Musique Arabe dans le Maghreb, a. a. O., S. 2901. 83 La Musique Arabe, a. a. O., S. 2756 ff. 84 Hier ist lediglich auf die Beispiele bei ROUANET, La Musique Arabe dans le Maghreb, a. a. 0., sowie auf folgende SchallplattensammIungen hinzuweisen: ler Festival Alg&rien de la Musique Andalouse 1967, R.T.A. Mehradjane 1-6 (Kassette mit 6 Platten). Musique Classique Algerienne, Semaine Culturelle de Constantine 1968, Mehradjane - Production de la Radiodiffusion T616vision Algerienne (Kassette mit 6 Platten). 2Vme Festival Algerien de la Musique Andalouse 1969, Production de la Radiodiffusion Te16vision Alg6rienne, Mehradjane (2 Kassetten mit je 6 Platten). Chants et Musique d'Algerie, La Voix de I'Algerie, RTA no 1-3. Die im Besitz des Tlemceners Kheireddine Aboura befindliche, mehr als 400 notierte Musikstiicke der klassischen Tradition umfassende Sammlung wie auch die von mir 1972/73 angefertigten Transkriptio- nen von Instrumentalstiicken der klassischen algerischen Tradition sowie verschiedener Vokalstiicke, die im Institut National de Musique in Algier lagern, sind bisher noch nicht verSffentlicht worden. 85 RODOLPHE D'ERLANGER, Taqrir..., a. a. O., S. 173; SALAH EL-MAHDI, a. a. 0. 86 Patrimoine Musical Tunisien, le Fascicule, Ensemble des ,,Bachrafs" Tunisiens, hrsg. von: Republique Tunisienne, Direction de la Musique et des Arts Populaires, Comit6 National de Musique (o. O., o. J.). Dass., 2e Fascicule, Ensemble des Tawchihs et Zajals Tunisiens, hrsg. von: R6publique Tunisienne, Secretariat d'Etat aux Affaires Culturelles et A l'Information, Conservatoire National de Musique d'Art Dramatique et de Danse (o. 0., 2/1967). Dass., 3e Fascicule, a. a. O. Dass., 4e Fascicule, La nawbah a travers l'Histoire Islamique, nawbet el Irak, hrsg. von: Republique Tunisienne, Secr6tariat d'Etat aux Affaires Culturelles et A l'Information, Conservatoire National de Musique et de Danse (o. O., o. J.). Dass., 5e Fascicule, Ahmed al Wafi (1850-1921), Nawbet Es-Sica et nawbet EI-Houcine, hrsg. von:

R6publique Tunisienne, Ministere des Affaires Culturelles et de l'Information, Conservatoire National de Musique et de Danse (o. O., o. J.). Dass., 6e Fascicule, a. a. O. Chants Populaires Tunisiens, hrsg. von: Republique Tunisienne, Secr6tariat d'Etat aux Affaires Culturelles et A I'Information, Direction de la musique et des Arts Populaires, Conservatoire National de Musique et de Danse (o. 0., 1967). 87 Kitdb mu'tamari 'l-miisiqd 'l-'arabiya, a. a. O., S. 159 und 249mimff.; RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 5 (Paris 1949), Fig. 144-147.

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224 7. Elsner: Zum Problem des maqdm

bericht spiegeln neben den Tbinen des tab' gewisse Tendenzen und Wendungen der Melodik, mitunter auch ihre tonraiumliche Gliederung wider. Auffallend ist dabei, dag die melodische Tendenz vielfach als fallenrd erscheint88. Erlanger hebt in seiner Darstellung die Gliederung nach Tongruppen heraus und liefert fiir jeden tab', den er ,Thema oder melodisches Schema" nennt89, einen istihbar (instrumentales Priludium)90o. In den Vorbemerkungen zum zweiten Heft der tunesischen Ausgabe klassischer Musik, in denen u. a. die Skalen der tubu' beschrieben und mit denen anderer arabischer Lhinder verglichen werden 91, unter- laufen auch einzelne Hinweise auf den melodischen Aspekt. Die Neigung, Skalen hervorzuheben, scheint nicht so sehr auf den Einflut der europiischen Musik- lehre zuriickzufiihren, als vielmehr in der eigentlich den ganzen Magrib betref- fenden Tatsache begriindet zu sein, dag die Musik, obwohl sie eine der Musik des Vorderen Orients vergleichbare Gliederung aufweist, theoretisch nicht analy- siert und durchorganisiert worden92 bzw. eine ehedem vielleicht vorhanden

gewesene derartige Tradition mbglicherweise verlorengegangen ist. Wohl aus diesem Grunde erklirt sich auch die schon angefiihrte Auffassung der Einheit- lichkeit jeder nuiba in bezug auf den tab', die die Existenz verschiedenartiger Ton-

gruppen und Modulationen und auch die bedeutenden Unterschiede, die in der melodischen Grundanlage der einzelnen Stiicke bestehen, unberiicksichtigt lIiat. Im Orient haben sich derartige Qualititen immerhin in der Differenzierung verschie- dener mtqimat ausgedriickt93.

Im folgenden werden einige Beispiele im tab' Sikah angefiihrt. SkalenmdiBig ist der tab' Sikah wie folgt fixiert worden:

1. Im KongregBbericht Kairo 193294 Notenbeispiel 1 Tab' as-Sikih

2. Bei Erlanger95

Notenbeispiel 2 S-kah A,$

88 A. a. O., S. 249mimff. 89 La Musique Arabe 5, a. a. O., S. 342. 90 Ebda., Fig. 144-176. 91 Patrimoine Musical Tunisien, 2e Fascicule, a. a. O. 92 s. RODOLPHE D'ERLANGER, La Musique Arabe 5, a. a. O., S. 339 f. 93 Salah el-Mahdi deutet das in den Vorbemerkungen zu Patrimoine Musical Tunisien, 2e Fascicule, a. a. O., an. 94 A. a. O., S. 253mimff., hier eine Quinte h6her notiert, Das Vorzeichen 1 bezeichnet die fiir die arabische Musik charakteristischen, im europtiischen Notationssystem nicht enthaltenen Tonstufen und bedeutet in temperierter Normierung die Erniedrigung der Ausgangstonstufe um einen Viertelton.

95 La Musique Arabe 5, a. a. O., Fig. 147.

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J. Elsner: Zum Problem des maqdm 225

3. Bei Salah el-Mahdi96

Notenbeispiel 3

Maqam as-STkih

(Auf der V. Stufe kann absteigend auch das erhalten bleiben.)

Die im KongreBbericht Kairo verzeichnete Skala wird im Vorderen Orient dem

maqim Huzim (auch Huzrm) zugeschlagen, der als enger Verwandter des Sikiih gilt und diesen oft auch vertritt. In Tunesien dagegen, wo die Kodifizierung des

Tonvorrats, wie die von kompetenten Fachleuten aufgezeichneten Skalen des Sikih zeigen, nicht den allgemeinen Konsensus erfahren hat, kiinnen offensicht- lich verschiedene Leitern den tab' vom Tonvorrat her repriisentieren. So nennt Salah el-Mahdi den Huzam bezeichnenderweise nicht in Parallele zum Orient einen tab', sondern die ,,zweite Art des Stkih" (an-nau' at-tiint mina 's-Sikih). Er zeichnet ihn wie folgt auf97:

Notenbeispiel 4

Maqim al-Huzam

(Beider Abwirtsbewegung k6nnen auch die gleichen T6ne erscheinen wie bei der Aufwirtsbewegung.)

Die Huzam-Version erscheint verschiedentlich im Laufe der njibat as-Sikah, sie beherrscht auch ganze Stiicke98.

In welcher Weise die von Erlanger zugleich mit der Darstellung des Tonvorrats

gelieferte, fiir alle Arten des tunesischen Sikah charakteristische Gliederung nach

Tongruppen in der realen Melodiebildung erscheint, und welche melodischen Merkmale, Tendenzen und Wendungen fiir Sikih typisch sind, vermbigen die

folgenden Beispiele anzudeuten:

Notenbeispiel 5

Istihbdr Sikah99

+-, w 40?-.

Aii~t~-W Ft

96 In den Vorbemerkungen zu Patrimoine Musical Tunisien, 2e Fascicule, a. a. O. 97 Ebda.

9e s. Patrimoine Musical Tunisien, 2e Fascicule, a. a. 0., und dass., 5e Fascicule, a. a. O.; in den Auf- zeichnungen, Analysen und Kommentaren zur klassischen tunesischen Musiktradition finden sich zahl- reiche Widerspriiche und offene Fragen, auf deren Existenz nur hingewiesen, die aber bei dem Stand der Erforschung dieser Tradition zur Zeit nicht gelist werden k6nnen. 99 La Musique Arabe 5, a. a. O., Fig. 170.

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226 J. Elsner: Zum Problem des maqdm

Notenbeispiel 6 Eddoukhoul 100

Notenbeispiel 7 B'taihi 3, 1. Tell101

Notenbeispiel 8 Draj No 1, 1. Abschnitt 102

Notenbeispiel 9 Khafif No 3, 1. Abschnitt 103

Wie sich teilweise an den Beispielen ersehen und umfassender aus den ins- gesamt vorliegenden Notationen feststellen liitt, ist der tunesische Sikah durch eine Reihe von Merkmalen charakterisiert, zu denen u. a. geh6ren:

1. Der tab' Sikah besitzt einen bestimmten Tonvorrat (s. die Leiternangaben von Erlanger und el-Mahdi), der mehr Tane als sieben in der Oktave umfaBt (acht

100 Patrimoine Musical Tunisien, 5e Fascicule, a. a. O. 101 Ebda. 102 Ebda. 103 Ebda.

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1. Elsner: Zum Problem des maqim 227

nach der von Erlanger und el-Mahdi aufgezeichneten Grundleiter, neun bei der Huzam-Version).

2. Der Tonvorrat eines tab' ist in Tongruppen gegliedert, die sich nach Umfang, Tonfolge und tonaler Struktur voneinander unterscheiden. Die fiir Sikah charak- teristischen Tongruppen haben folgende Geriistt6ne:

a) g'--$e' (g'-c'--,e')

b) c"-g' Die skalenmditig abstrahierten Tbne kbnnen nicht beliebig in der realen Melodie-

bildung wechseln, sie sind fest in Tongruppen eingeordnet, die nichts anderes als die Verallgemeinerung ihrer als zueinander passend aufgefa1~ten T6ne und

Tonbeziehungen darstellen. Die zwischen g' und c" aufgezeichneten Tbine sind von drei Tongruppen abstrahiert, und zwar:

a) c"-1,'-a'-g'

b) c"-b'-a'-g' c) c"-h'-- a'--g' oder c"-h'-b a'-g' Es existieren also keine Vierteltonfolgen.

3. Die T6ne innerhalb der Tongruppen haben unterschiedliche Funktionen inne. Zentralton ist 6e (sikah; nicht fiir simtliche T6ne haben die tunesischen Musiker nach Erlanger Benennungen zur Verfiigung 104. Gleiches liift sich iiber Algerien aussagen, und iiberdies fallen hier die Benennungen noch je nach lokaler Olber- lieferung und auch infolge einer Registerverschiebung in der jiingeren Geschichte dieser Tradition unterschiedlich aus). Haupttine sind g und c oberhalb sikah, die zusammen mit dem Zentralton das Geriist fiir ganze Melodiezeilen abgeben. Sie besetzen' die entscheidenden melodischen Funktionen, so Phrasen- und Zeilen- enden, auch sind sie erster Anlaufpunkt von Phrasen und Zeilen und oft Stiitz- punkt einer um sie kreisenden Melodiebildung. Einige Tbne, die von untergeord- neter Bedeutung sind, treten besonders in kadenzieller Funktion hervor (z. B. b und f sowie c unterhalb der Finalis).

4. Eng verkniipft mit der Funktion der einzelnen T6ne eignet den Tongruppen eine bestimmte melodische Tendenz. Fiir Sikdh ist sie fallend. Da die Tongruppen selbst innerhalb einer Melodiezeile mehrere Male erscheinen k6nnen, ist die melo- dische Grundbewegung oft iiberdeckt.

5. Die den Tongruppen innewohnende allgemeine melodische Tendenz kann sich an formalen Einschnitten zu melodischen Wendungen verdichten. An den Bei- spielen ist das gut zu beobachten. Fiir Sik~ih sind es insbesondere zwei, die sich auf folgende Tine stiitzen:

a) g'-a'-g'-f'--,

e' b) s e'-d'-c'-f'-s e'

104 La Musique Arabe 5, a. a. O., S. 338,

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228 J. Elsner: Zum Problem des maqdm

Insbesondere die letztgenannte Wendung ist auffdillig. Sie wird auch in den bist- lichen Lindern mit dem maqam Sikah verbunden, und Rouanet hat sie schon besonders herausgehoben x05

6. Der Melodieaufbau lii*t die Tongruppen als wichtigstes strukturelles Moment hervortreten. Die Oktave hat eine derartige Bedeutung nicht.

7. Die Tongruppen besitzen ein unterschiedliches funktionelles Gewicht, es kann zumindest zwischen Haupt- und Nebentongruppen unterschieden werden. Die ersteren haben konstitutive Bedeutung fiir den tab', sie bestimmen die funktional

wichtigsten Melodiezeilen und Zeilensegmente. Die Haupttongruppe von Sikah ist die unter Punkt 2 angefiihrte Tongruppe

g'--,e', an deren Stelle mitunter auch

die Version g'-c'--4e' tritt. Die ihr eigenen T*ne und Tonbeziehungen werden nicht gedindert. 8. Die Entwicklung einer Melodie nach einem tab' geschieht in verschiedenartiger Aneinanderfiigung von Tongruppen, deren allgemeine melodische Tendenz dabei erhalten bleibt. Sie kann unterschiedliche Ausdehnung erfahren und haingt auch vom Kontext ab.

9. Wechsel der Tongruppen kommt nach Erlanger des 6ifteren vor 106, ebenso gibt es akzidentelle Tonvertinderungen. Inwiefern sie als solche aufzufassen sind, haingt von der noch nicht erfolgten Bestimmung der Skikh kennzeichnenden Tongruppen ab. Fiir die tunesischen tuba' wird ja das Prinzip der ,,modalen Einheit" unter-

stellt. Ein Wechsel geschieht allein zu naheliegenden Tongruppen.

Auf diese Weise lassen sich also aus den schon vorliegenden Notationen eine

ganze Reihe von Merkmalen herausarbeiten, die zunaichst einen einzelnen speziel- len tab' kennzeichnen, aber auch in die Bestimmung des allgemeinen Begriffs eingeheny k*nnen. Ihre endgiiltige Verifikation koinnen sie jedoch erst erfahren, wenn einerseits alle nibat, mbiglicherweise auch mit lokalen Varianten sowie die zum klassischen Repertoire geharigen Musikproduktionen umfassender aufge- zeichnet sind, und andererseits durch Interviews mit Musikern die Abgrenzung der einzelneni tuba' hinreichend gesichert ist. Aber schon jetzt l•1•t sich feststellen, daM3 die tuba' in ihrem Wesen nicht zu erfassen sind, wenn sie mit Tonleitern oder Modi verglichen werden. Gleichzeitig entsprechen sie nicht dem Sinngehalt der

europ;iischen maq-m-Definitionen, sie sind allgemeiner gehalten und betreffen

am ehesten die Grundlagen und Normen der Melodiebildung. So wire der tab' wohl am besten als ein (in der Zahl seiner Merkmale noch festzulegender) all-

gemeiner tonal-melodischer Merkmalkomplex zu bestimmen. Der maqadm-Begriff der digyptischen artifiziellen Tradition, die enger mit der

tiirkischen und syrischen verbunden ist als mit der magribinischen, hebt sich vom

Begriff des tunesischen tab' mibglicherweise durch die gr61tere Zahl, sicher aber

durch Gewichtigkeit und Ausdehnung der einzelnen Merkmale ab '07. Die ;igyp-

105 La Musique Arabe dans le Maghreb, a. a. O., S. 2901. 106 La Musique Arabe 5, a. a. O., S. 340. 107 Zur Darstellung des Aigyptischen maqdm-Begriffs, s. JiRGEN ELSNER, Der Begriff des maqdm in Agypten in neuerer Zeit = Beitrage zur musikwissenschaftlichen Forschung in der DDR 5 (Leipzig 1973).

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J. Elsner: Zum Problem des maqdm 229

tische klassische Musikpraxis ist insbesondere in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche Notationen dokumentiert und einer Analyse zugdinglich gemacht wor- den108. Auch liegen verschiedene musiktheoretische und musikwissenschaftliche Arbeiten iiber sie vor, die die hinter ihr stehende Musikauffassung und die ihr eigenen Grundlagen und Prinzipien erschlie1gen und verstehen helfen 109. Eine Aus-

wertung dieser Materialien ergibt, daB die Bezeichnung maqam von den aigyp- tischen Musikern und Musiktheoretikern in neuerer Zeit in dreierlei Bedeutung verwendet wird. Erstens bezeichnet maq-m eine konkrete Tonstufe des Ton-

systems. Zweitens steht er fiir eine konkrete Tonleiter, eine Bedeutung, die in den letzten Jahrzehnten immer stairker in den Vordergrund trat, und drittens

schlietit die Bezeichnung maqam melodische Sachverhalte ein.

Urspriinglich wurde fiir diese letztgenannte Bedeutung meist und wird heute noch oft die Bezeichnung nagam (Melodie) verwendet, obwohl der Terminus

maqim heute deutlich iiberwiegt. Soweit zu sehen ist, aiiuft die Ersetzung von

nagam durch maqam nicht nur auf einen Austausch von Bezeichnungen hinaus, sondern dahinter verbirgt sich auch ein Wandel des mit ihnen verbundenen In- halts. Begriindet in der in unserem Jahrhundert sich schnell vollziehenden Ent-

wicklung und Verainderung der Musikpraxis Agyptens, kennzeichnet er die Ten- denz der wachsenden Abstrahierung der allgemeinen Grundlagen und Normen der Musikproduktion im Sinne eines tonalmelodischen Merkmalkomplexes zu einem Skalenbegriff. Theoretisch ist der Abschlue dieser Entwicklung im Rahmen der kollektiven Forschungsarbeiten in Agypten in der ersten Hilfte der 60er Jahre bereits vollzogen worden 10

In den von digyptischen Fachleuten verfaiten musiktheoretischen Schriften wird maqam in seiner melodiegebundenen Bedeutung nicht durch Definition gegeben, sondern der Begriffsinhalt erscheint vor allem im Zusammenhang mit den iiblichen analytischen Beschreibungen"1. Aus ihnen und aus der vergleichenden Unter-

suchung der musikalischen Quellenmaterialien, die ganz verschieden angelegte Musikproduktionen von kleinen bis zu groien Formen umfassen, ergibt sich eine Reihe von tonalen und melodischen Merkmalen, die den aigyptischen maqanm- Begriff kennzeichnen. Es sind folgende:

1. Tonvorrat: Der maqam besitzt einen bestimmten, festumrissenen Tonvorrat, der nicht auf sieben T6ne in der Oktave beschrainkt sein mugB.

108 s. u. a. die Denkmiler-Ausgabe Turdtund 'l-mfisiqi (Unser musikalisches Erbe), Teil I (o. O., o. J.); Teil II (o. O., o. J.); Teil III (Misr 1963); Teil IV (o. O., o. J.). 109 s. insbesondere KKMIL AL-HULA'i, a. a. O.; Kitdb mu' tamari 'l-misqiqd 'l-'arabiya, a. a. O.; MAHMTOD AHMAD AL-HIFNi, Al-muisiqd 'n-nazarlya (Die Musiktheorie) (0. 0., 2/1939); SALAH AD-DIN, Miftdhu 'l-alhbni 'l-'arabiya (Der Schliissel der arabischen Melodien) (Misr 2/1950); Halqat bahti 'I-miZsiqd fA 'l-aqlimi'l-misri (Studienkreis der Erforschung der Musik im igyptischen Gebiet) (Misr 1959); A[- halqatu 't-taniya li-bahti 'l-mtsiqd 'l-'arablya (Zweiter Studienkreis zur Erforschung der arabischen Musik) (al-Qdhira 1964). 110 s. Al-halqatu 't-tdnlya li-bahti'l-milsiqd 'l-'arabiya, a. a. O. 1" DaB sie sich dieser Bedeutung jedoch bewulBt waren, zeigt u. a. eine Bemerkung von al-Hula'!, a. a. O., S. 38, in der es heiBt, daI der ,,Verlauf der Ausfiihrung nicht mit Worten auszudriicken ist und die Araber keine Zeichen geschaffen haben . . .wie die Europier und Griechen, die damit diese Verschieden- heit deutlich machen".

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230 1. Elsner: Zum Problem des maqdm

2. Gliederung des Tonvorrates: Der Tonvorrat eines maqam gliedert sich in ver- schiedene Tongruppen, die sich durch ihren Umfang (Terz- bis Quintumfang), ihre spezifische Intervallfolge und ihre tonale Struktur voneinander unterscheiden.

3. Innere Gliederung der Tongruppen: Die Tbne innerhalb einer Tongruppe haben unterschiedliche Funktionen inne (Haupttaine, Nebenttiane, Anfangston, Finalis).

4. Melodische Tendenz der Tongruppen: Die Tongruppen besitzen eine durch die

spezielle Folge der Haupttane bestimmte allgemeine melodische Tendenz. Sie ist

allgemein nicht identisch mit der skalenmi"Bigen Fixierung der Tongruppe.

5. Melodische Wendungen: Die charakteristische allgemeine Tendenz einer Ton-

gruppe erscheint an formalen Einschnitten oft zeitlich gerafft als charakteristische melodische Wendung. Sie steht als Merkmal des maqam der konkreten Melodie-

bildung im Sinne von melodischer Formel oder Motiv am nahesten.

6. Funktion der Tongruppen: Die Tongruppen sind das wichtigste Strukturele- ment der Melodiebildung. Die Oktave hat als strukturelles Prinzip nur sekundaire Bedeutung. In der skalenmifigen' Abstraktion erscheinen die Tongruppen nicht nur in verbundener oder unverbundener Aneinanderreihung, sondern auch iiber- einandergelagert und iiberlappend. Daher ergeben sich meist mehr als sieben T6ne im Rahmen der Oktave, die oft nicht der Umschlagspunkt fiir die Wiederholung einer Intervallfolge ist. In manchen maqamit wird nicht einmal eine Oktave iiber dem Zentralton ausgebildet.

7. Hierarchie der Tongruppen: Die Tongruppen haben ein unterschiedliches funk- tionelles Gewicht, es kann zwischen Haupttongruppen und Zweigtongruppen und ihrer Transposition unterschieden werden. An ihre Stelle kinnen nicht unmittel- bar zum betreffenden maqdm geh6rende Tongruppen treten.

8. Aufbau eines maqaim: Der Aufbau des maqam beruht auf verschiedenartiger Aneinanderfiigung von Tongruppen, deren allgemeine melodische Tendenz erhal- ten bleibt, aber nicht die gesamte melodische Bewegungsrichtung des maqam bestimmt.

9. Funktion der Haupttongruppen: Jeder maqam ist durch eine Haupttongruppe gekennzeichnet. Sie erscheint gewdhnlich am haiufigsten bzw. hat die wichtigsten Stellen innerhalb der Melodiebildung inne.

10. Vertretungsfunktion der Haupttongruppe: In bestimmten maqimat kann die

Haupttongruppe den maqtim vertreten.

11. Einfiigung maqam-fremder Tbne und Obergang zu fremden Tongruppen: Im Zuge des Ablaufes von Tongruppen kbnnen diesen nicht eigene Tbne (Wechsel-

t6ne, Durchgangstiine) und kurze Phrasen auftreten, die die Charakteristik der

Tongruppe nicht aufheben, solange sie akzidentellen, voriibergehenden Charakter haben. Der Olbergang zu fremden Tongruppen bedeutet die Aufhebung der Struk- tur der maqdm-eigenen Tongruppen. Er erfolgt gewbhnlich erst nach der Ausprli- gung des maqdim durch die ihm eigenen Tongruppen. Die fremde Tongruppe

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7. Eisner: Zum Problem des maqdm 231

mu1? mit dem maqam in Einklang stehen. Die Ersetzung der Haupttongruppe durch eine andere Tongruppe ist gravierender als die Ersetzung einer Zweigtongruppe, sie fiihrt weiter vom Ausgangs-maqaim weg.

12. Riickfiihrung in den Ausgangs-maqam: Die Wiederherstellung der Charak- teristik des Ausgangs-maqaim nach der Einfiigung maqam-fremder Tongruppen geschieht durch die entsprechenden maqam-eigenen Tongruppen.

Je nach dem Rahmen, in dem die Produktionen aus einem maqdm sich bewegen miissen oder auch kbinnen, stellen die benannten Merkmale notwendige oder dar-

tiber hinausgehende magliche dar. Das Verhailtnis von obligatorischen und fakul- tativen Merkmalen ist bei den einzelnen maqamit unterschiedlich. In den ton-

riumlich-strukturell am weitesten ausgebauten und zeitlich ausgedehntesten Pro- duktionen (z. B. in bestimmten Realisationen des improvisatorischen taqsim) sind die Merkmale des maqJim in extenso enthalten.

Der hohe Grad der Abstraktheit der ben'annten maqam-Merkmale verwehrt es, im Zusammenhang mit der klassischen Musiktradition Agyptens maqaim im Sinne einer Weise, eines Melodiemodells, eines Melodietyps, einer Melodiegestalt usw. zu begreifen und ihn gar mit der Vorstellung ,,motivischer Faktoren" oder irgend- welcher konkreter melodischer Einheiten im Sinne des Motivs oder gar Themas zu verbinden 112. Sein Verallgemeinerungsgrad ist gr6iler. Fiir Agypten in neuerer Zeit ist er als allgemeiner tonal-melodischer Merkmalkomplex zu bestimmen, die ihm nachfolgende Abstraktionsstufe stellt der Modus dar.

Einige Untersuchungen bzw. Darstellungen und auch Definitionen des maqam liegen fiir die Tiirkei und Syrien vor. Von ihnen sind fiir das tiirkische Gebiet besonders die schon diltere Arbeit Raouf Yektas und Oransays jiingere Spezial- arbeit, in der Geschichte und Begriff des maqim herauszuarbeiten versucht wird, und die im syrischen Gebiet verlegten Musiklehren bzw. Musikschrif ten von Taufiq as-Sabbag und Miha'il Allah Wirdi zu nennen, die als wesentlichen und wichtigen Teil die praktische Seite des maqiim-Wesens in ihre Darstellung einbeziehen .3 Nach den Angaben, die die genannten Werke enthalten, ist der maqam-Begriff fiir die Tiirkei und Syrien Tihnlich wie fiir Agypten im Sinne eines mehr oder weniger aufgefdicherten tonal-melodischen Merkmalkomplexes zu fassen. Zu- gleich ist aber festzustellen, dai die in den Schriften angebotenen Begriffe weder in definitorischer Hinsicht noch in bezug auf die 1lbereinstimmung mit der Praxis als vollkommen angesehen werden kibnnen. Sie bediirfen noch einer weiteren Verifizierung und Prizisierung, insbesondere durch die Vergleichung eines noch zu erarbeitenden umfangreichen Ton- bzw. Notenmaterials 114

112 G. ORANSAY, a. a. O., S. 127 ff. unterzieht derartige Vorstellungen einer scharfen Kritik. 113 RAOUF YEKTA, a. a. O., S. 2945 ff.; G. ORANSAY, a. a. O.; TAUFIQ AS-SABBAG, Kitdb ta'limi'l-funfin (Buch der Unterweisung der Kiinste) (Dimavq 1932); DERS., Kitdbu 'd-dalili 'l-m•siqi'l-'amm (Allgemei- ner Musikfiihrer) (Halab 1950); DERS., Kitdbu 'd-dalili 'l-misiqi 'l-'amm, Teil 2 (Halab 1954); MIHA'iL ALLAH WIRDI, Falsafatu 'l-miisiqd 's-sarqiya (Die Philosophie der orientalischen Musik) (Damaskus 2/1950). 114 Mindestens fiir die tiirkische Tradition liegen schon zahlreiche, auch historische Notationen vor. Vgl. iiber die diesbeziigliche Quellensituation neben den Angaben bei G. ORANSAY, a. a. 0., auch K. REINHARD, Tiirkische Musik, in: MGG 13 (Kassel-Basel-Paris-London-New York 1966), Sp. 966.

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Page 26: Zum Problem des maqām

232 1. Elsner: Zum Problem des maqdm

Wesentlich von dem in Agypten, der Tiirkei und Syrien mit maqam bezeich- neten Sachverhalt unterscheidet sich die Bedeutung des maqim-Begriffes und seiner Synonyme, der im Irak, im Iran, in Aserbaidshan und in Mittelasien existiert (maq~m, dastgaih, mugam, makom). Er ist in entscheidendem Maze

umfangreicher. Merkwiirdigerweise ist diese maqim-Praxis, mit Ausnahme des

persischen dastgah, von der internationalen Musikwissenschaft bisher kaum zur Kenntnis genommen worden, obwohl doch eine Reihe interessanter Materialien

fiir manche Traditionen schon vorliegt und wichtige neue Aufschliisse verspricht. Was den maqdm-Begriff im Irak angeht, iiber den einige Darstellungen115, aber

meines Wissens keine Notationen vorliegen, so wird er in zweierlei Bedeutung gebraucht. Einerseits wird er im Sinne von Modus bestimmt 116. Andererseits wird er aber als eigentlicher ,irakischer maqim" (al-maqam al-'iraqi) scharf von dieser

allgemeineren, in mehreren Laindern des arabisch-islamischen Bereiches verbrei- teten Bestimmung abgegrenzt. So formuliert Salman Sukr in bewuBter Abhebung gegen den maqam-Begriff anderer arabischer Linder, dat ,,der irakische maqaim eine Form der Vokalmusik und keine Tonleiter" sei (sakl min a'k~l al-gina') 117

Und ar-Ragab, dessen Darstellung von allen am umfangreichsten und konkre- testen ist, setzt interessanterweise gegen seine grundsaitzliche Bestimmung des

maqam als Modus im gleichen Buch eine spezielle ,,Definition des irakischen

maqim". Darin stellt er fest: ,,Der irakische maqam ist eine Gruppe von Melodien

(ma'mui'at ankam), die miteinander harmonieren. Er besitzt einen Anfang, der

tahrir, und einen abschlie1genden Teil, der taslim genannt wird ... Zwischen tahrir und taslim erscheint eine Gruppe von ausal und miyanat (genannten Abschnitten, E.; Plural zu

was. bzw. miyana) und Haltetibnen (qairsit, Plural zu qarar), die ein

geschickter Singer ohne Verletzung der vorgegebenen Harmonie ausfiihrt" 118. Weitere Spezifikationen, etwa die zahlreichen Gliederungen des irakischen maqim nach unterschiedlichen Aspekten 119, und insbesondere die oft seitenlange, Analyse genannte Beschreibung der allgemeinen Gestaltung und Ausfiihrung der melo- dischen Entwicklung und formalen Anlage vermitteln ein ziemlich umfassendes Bild iiber den Begriff des ,irakischen maqam". Er ist als Komplex tonaler, melo- discher, rhythmischer und formaler Merkmale zu begreifen.

Eine ihnliche Bestimmung wie der irakische maqgim muf der aserbaidshanische

mugam und der persische dastgah erfahrenl. Ober letzteren liegt schon eine Reihe von Spezialarbeiten vor, die sich meist auf zahlreiche Notationen und Transkrip-

115 Kitdb mu'tamari'l-mfsiqda'l-'arabiya, a. a. O., S. 134 und 150 f.; HA?IM MUHAMMAD AR-RAGAB, Al-

maqdmu l-'irdqi (Der irakische maqim) (Bagdid 1961); GALA-L AL-HANAFT, Al-mugannifna 'l-bakdddiyZin wa'l-maqdmu 'l-'irifqi (Die Bagddder S;inger und der irakische maqgm) (Bagdid 1964); s. auch SALMiN SUKR, Al-miisiqd 'l-'irdqiya qadiman wa-haditan (Die irakische Musik in alter und neuer Zeit), in: Al- mu'tamaru 't-tdni lil-milsiqd 'l-'arabiya, a. a. 0., 92 ff. 116 So definiert AR-RAGAB, a. a. O., S. 11, den maqdm direkt als ,Tonleiter, deren zwischen ihren Ton- stufen enthaltene Intervalle in bestimmter Weise aufeinanderfolgen". 117 A. a. O., S. 98. 118 A. a. O., S. 49. 119 Ebda., S. 50, auch 99 ff.; vgl. auch GAILiL AL-HANAFI, a. a. 0.

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Page 27: Zum Problem des maqām

J. Elsner: Zum Problem des maqdm 233

tionen stiitzen 120. Obwohl die einzelnen Untersuchungen des dastgah (fiir den als

Synonyme auch aw~z, radif und maqasm verwendet werden) unterschiedlich an- setzen, stimmen sie doch in wesentlichen Punkten iiberein. Nach ihnen handelt es sich beim dastgiih um eine zahlenmai*ig verdinderliche, aber einer bestimmten Ord- nung unterliegende Folge von mehr oder weniger fixierten Teilen, die sich in drei

Abteilungen gliedern. Den Kern des dastgah bildet der aimwz (persisch Lied), der vokale Ausfiihrung intendiert, oft aber auch nur instrumental ausgefiihrt wird. Obwohl der dastgah vorwiegend improvisatorischen Charakter hat, existieren einige Teile, die formal und rhythmisch fixiert sind. Jeder Teil des dastgiih ist durch eine bestimmte tonale Struktur und bestimmte melodische Charakteristika gekennzeichnet. Allgemein bewegen sich die Teile innerhalb eines kleinen Ton- raumes, sie bauen sich aus mehreren Gliedern auf. Jedem dastgah ist ein Teil eigen, dessen tonal-melodische Charakteristik fiir den ganzen dastgiih bestim- mend ist. Sein Gesamtzusammenhang wird durch den sthindigen Riickbezug der einzelnen Teile auf diesen Teil hergestellt. So waire der dastgah als musikalischer Zyklus zu bestimmen, der rhythmisch-periodisch und formal partiell fixiert und durch einen Komplex tonaler und melodischer Merkmale gekennzeichnet ist.

Dem Sachverhalt nach besteht zwischen dem persischen dastg'ah und der klas- sischen Tradition Aserbaidshans in Gestalt des mugam und destgach (dastgja) eine enge Beziehung. Von ihnen liegt eine Reihe schon notiert vorl21, und es existieren auch schon verschiedene Darstellungen dariiber 122. Der mugam wird als vielteilige vokal-instrumentale rhapsodische Form bestimmt, die die Grund- lage einer zusammen mit anderen Formen (darunter dem rhythmisch-periodisch und melodisch festen, tasnif genannten Strophenlied und der rjang genannten Instrumentalform [persisch reng - Tanz, der Schlugteil des persischen dastgah]) gebildeten Art Suite der aserbaidshanischen klassischen Musik liefert. Diese viel- teiligen Musikproduktionen erhielten die Bezeichnung destgach, mitunter werden sie aber auch mugam genannt. Wie der persische dastgah zeichnet sich auch jeder aserbaidshanische mugam durch die besondere tonale Struktur und melodische Charakteristik seiner einzelnen Teile und die teilweise Fixierung der Rhythmik und Melodik sowie der formalen Anlage aus.

Am besten beschrieben und vor allem durch Notationen und Schallplatten um- fassend dokumentiert sind die bucharischen und choresmischen makomot (Plural

120 KHATSCHI KHATSCHI, a. a. O.; E. GERSON-KIwI, The Persian Doctrine of Dastga-Composition, a. a. O.; N. CARON - D. SAFVATE, Iran, in: Les Traditions Musicales (Buchet/Chastel 1966); MOHAMMAD TAGHI MASSOUDIEH, a. a. O. 121 Schon in den 30er Jahren wurden einige mugamat (Plural zu mugam) iibertragen, s. DiSTGACH ZABUL, zapis G. Kulieva (Transkription G. K.) (Baku 1936); DiSTGACH DJUGACH, zapi E. Bagirova (Baku 1936). Seit Anfang der 60er Jahre sind verschiedene mugamat von N. Mamedov publiziert worden: Azerbajdianskie mugamy Bajati-Siraz i Sur (Moskva 1962)

Cargjach i Chumajun (Baku 1962) Rost i Sachnaz (Baku 1963) Segiach-Zabul i Rachab (Baku 1965)

Azerbajdianskij mugam Cargjach (vokal-instrumental) (Moskva 1970). 122 s. u. a. V. BELJAEV, O'erki po istorii muzyki narodov SSSR (Skizzen zur Musikgeschichte der V6lker der USSR) (Moskva 1963), S. 49 ff.; M. ISMAJLOV - L. KARAGICEVA, a. a. 0.

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Page 28: Zum Problem des maqām

234 J. Elsner: Zum Problem des maqdm

zu makom) 123, die sich bis auf den heutigen' Tag in Usbekistan und Tadshikistan

gehalten und in den letzten Jahrzehnten sogar eine gewisse Renaissance erfahren haben 124. Die mittelasiatischen makomot haben eine lange Entwicklung durch- laufen, ehe sich im 18. Jahrhundert das System des Sasmakom herausbildete. Dieses System der ,Sechs makomot" weist, wie aus der Gegeniiberstellung der Notationen der verschiedenen Traditionen hervorgeht und auch in den verschie- denen Beschreibungen der makomot hervorgehoben wird 125, historisch, regional und wohl auch personal bedingte Unterschiede auf. Sie betreffen sowohl Aus-

bildung, Charakter, Anzahl und Folge der einzelnen Teile jedes makom als auch die Melodiebildung. Die gri9Bten Unterschiede bestehen heute zwischen den

bucharischen, im istlichen Teil Usbekistans und in Tadshikistan tradierten und den choresmischen makomot 126. In den allgemeinen Merkmalen sind die verschie- denen makom-Traditionen jedoch vergleichbar.

Der mit dem arabischen Wort maqam verbundene Ausdruck makom wird in verschiedener Bedeutung verwendet. Zunaichst bezeichnet er den einzelnen Bund bzw. die einzelne Griffstelle auf dem Griffbrett eines Saiteninstrumentes, aber er bedeutet ebenso ein Skalengebilde, den ersten Teil einer zyklischen Musikform

(in den choresmischen makomot) und schlietflich diese selber. Fiir den vorliegenden Zusammenhang sind vor allem die beiden letztgenannten Wortinhalte von Bedeu-

tung, miiglicherweise aber kommt auch die Verkniipfung mit dem Skalenaspekt

123 Ja'makom, v zapisi (in der Transkription) V. A. USPENSKOGO (Buchara 1924) (1. Buzruk, 2. Rost, 3. Navo, 4. Du-Go, 5. Segoch, 6. Irak [bucharische Tradition]); Sa'makom, Redaktion V. M. BELJAEV (Moskva 1950 ff.), I Buzruk 1950, II Rost 1954, III Navo 1957, IV Dugoch 1959, V Cegoch/Irok 1967 (tadshikisch); Uzbekskaja narodnaja muzyka (Die usbekische Volksmusik), V, Bucharskie makomy (Die bucharischen makome), Redaktion I. A. AKBAROV (Ta'kent 1959); dass., VI, Chorezmskie makomy (Die choresmischen makome), Redaktion I. A. AKBAROV (Ta'kent 1958); Savmakom, Redaktion F. M. KAROMATOV, (Ta'kent 1966 ff.), I Buzruk 1966, II Rost 1967, III Navo 1970, (bucharische Tradition); E. E. Romanov- skaja hat 1939 in Ta'kent die Instrumentalteile der choresmischen Makomot herausgebracht; s. a. S. M. VEK~SLER, a. a. O.

Auf Schallplatten sind grope Teile der Vokalabschnitte der bucharischen Makomot festgehalten worden; s. Melodija (Zweigwerk Taschkent) Nr.: D-011215-16 D-014597-98 NavolDugoch

D-011217-18 D-011219-20 Navo D-011709-10 D-019013-14

D-019015-16I D-020507-08 Buzruk

D-011849-50 D-020509-10 D-012673-74 D-012675-76 Rost D-012677-78 D-019223-24

D-019225-26 Segoch D-019227-28

D-013765-66 D-013767-68 Dugoch D-014573-74 D-019539-40 Irok

124 s. Sa'makom, Redaktion F. M. KAROMATOV, I Buzruk (Ta'kent 1966), S. 23 f. 125 s. Uzbekskaja narodnaja muzyka, VI, a. a. O., S. XXXVII und besonders S. XXXIX ff.; dass., V, a. a. O., S. XIX ff.; E. E. ROMANOVSKAJA, Stat'i i doklady (Aufsaitze und Vortrige) (Ta'kent 1957), S. 35 und 43 ff.; s. M. VEKSLER, a. a. O., S. 203 ff. und 219 ff. u. a.

1u Hierzu vermitteln die die einzelnen Oberlieferungen nach rhythmischen Perioden (usul) bzw. Form- teilen vergleichenden Tabellen in: Uzbekskaja narodnafa muzyka, V, a. a. O., S. XXVI f. bzw. dass., VI, a. a. O., S. XXXIX ff. einen aufschlulgreichen Oberblick.

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Page 29: Zum Problem des maqām

1. Eisner: Zum Problem des maqgm 235

in Betracht, deren Inhalt jedoch erst durch weitere Untersuchungen prdizisiert bzw. verifiziert werden muB.

Die mittelasiatischen makomot stellen jeweils grolfe, vielteilige und u. a. durch den musikalisch-technischen Aspekt der tonal-melodischen Struktur zu einer Ein- heit zusammengefiigte Musikproduktionen dar127. Ein makom besteht aus zwei

groI~en Abschnitten, einem einfiihrenden instrumentalen (muskilot, in Choresm

mansur) und einem vokalen (nasr, in Choresm manzum). Diese Abschnitte wieder- um gliedern sich in zahlreiche Teile. Der instrumentale Abschnitt enthiilt so die Teile tasnif, tarre (tarzi, tardvi), gardun, muchammas und sakil. Oberdies besitzen

einige makomot auch weitere nur fiir sie charakteristische Teile. Der Vokalab- schnitt eines makom besteht aus mehreren vu-be (Su'ba)•28, die sich in zwei Grup- pen aufgliedern. Die erste Gruppe umfaift die sarachbor, talkin und nasr genann- ten vu-be, denen jeweils mehrere kurze tarona angefiigt sind. Sie endet mit zwei

ufar bzw. suporil benannten Teilen. Die zweite Gruppe der vu-be unterscheidet sich in ihrem Aufbau etwas von der ersten. Einerseits stellen die hier erschei- nenden vu-be in sich eine Art kleiner Suiten dar, die gewihnlich fiinfteilig sind und aus dem sawt (saut), dem grundlegenden Teil dieser Suiten, und seinen vier vor allem rhythmischen Transformationen talkin'a, ka'karc', sokinoma und ufar gebildet werden. Andererseits enthalten sie einzelne Teile, die selbstaindige, an den Grund-makom gebundene vokale Teile darstellen.

Eine ebenfalls wichtige Rolle in der Gestaltung der makomot spielen die usul genannten rhythmischen Perioden. Sie sind festgelegt. Auch existiert fiir sie ein bestimmtes System, eine Ordnung ihrer Aufeinanderfolge. So sind die usul in den ersten Teilen des instrumentalen Abschnitts eines makom verhiltnismaigig einfach, mit seinen folgenden Teilen aber komplizieren sie sich in steigendem

Maite. Eine Tihnliche stufenmlitiige Komplizierung der usul laiit sich in der ersten

Gruppe der vokal ausgefiihrten vu-be beobachten, wdihrend in allen Su-be des

saut-Typs eine zunehmende Vereinfachung der usul stattfindet. Die gleichnamigen Teile jedes makom sind ihrem formalen Aufbau und ihrer

Entwicklung nach wenig voneinander unterschieden, ebenso zeichnen sie sich aber auch durch die gleichen Normen und Prinzipien der Melodiebildung aus. Die

Entwicklung der Melodik der makomot geschieht in der Aneinanderreihung von bestimmten Tongruppen, die zueinander in einer bestimmten Beziehung stehen und zu einem HiShepunkt gefiihrt werden, der begrifflich als audi' 1 gefai~t wird. Die Tongruppen selbst zeichnen sich durch eine jeweils eigene Tonalitait (bestimm- ter Tonvorrat, seine Strukturierung nach Haupt- und Nebentb-nen) und melo-

127 Beljaev weist im Vorwort zu Sa~rmakom, Redaktion V. M. BELJAEV, a. a. O., S. 5, zu Recht auch auf den inhaltlichen Aspekt hin, der meiner Meinung nach tatsdichlich im Zusammenhang sowohl mit dem historischen als auch zeitgen6ssischen maqdm-Begriff eine bedeutende Rolle spielt. Jedoch sind gerade die diesbeziiglichen Dokumentationen und Untersuchungen noch sehr geringfiigig. Vgl. auch die Formulierung bei BELHASSEN FARZA, a. a. O., S. 3, der maqdm als ,T6ne, die ein Ganzes bilden und eine bestimmte Wirkung hervorbringen", bestimmt. 1' In den russischsprachigen Darstellungen wird die Singularform des Fremdwortes Ju-be auch als Pluralform benutzt (arabisch ju'ba, Plural ju'ab oder ju'bat). 129 s. hierzu besonders VEKSLER, a. a. O., S. 172 ff.

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Page 30: Zum Problem des maqām

236 J. Eisner: Zum Problem des maqdm

dische Tendenz aus. Die Gliederung der Tongruppen tritt besonders auch in der

Hinwendung zu dem Grund-makom fremden Tongruppen in Erscheinung. Diese mit der Bezeichnung namud130 (im Tadshikischen bedeutet namud - Art, Erschei-

nung) gefaigten fremden Tongruppen verkbrpern gewo*hnlich die Grundmerk- male des makom oder der Ju-be, aus denen sie herstammen und deren Namen sie auch gewbihnlich tragen. Sie spielen eine hervorragende Rolle in der Gestaltung der melodischen HiShepunkte (audz). In der Beziiglichkeit eines namud insbeson- dere auf Grundmerkmale des makom oder der su-be seiner Herkunft ist der Hin- weis enthalten, dai ein makom in seinem melodischen Aufbau nicht nur durch das Auftreten bestimmter Tongruppen gekennzeichnet ist, sondern dag es auch so etwas gibt wie eine Scheidung zwischen Haupt- und Nebentongruppenl31. Die

Haupttongruppe ist kennzeichnend fiir einen ganzen makom, sie erscheint stets an seinen entscheidenden funktionalen Punkten. U. a. bestimmt sie den ersten Teil des instrumentalen Abschnittes eines makom, der in den choresmischen makomot bezeichnenderweise auch selbst makom genannt wird, und ihre Merk- male erscheinenr auch in den anderen instrumentalen Teilen. Der erste Teil des vokalen Abschnittes des makom, sarachbor, ist ebenfalls wesentlich durch die Merkmale der Haupttongruppe gekennzeichnet 132, die auch in anderen Vokal- teilen immer wiederkehren. Einige Beispiele aus dem makom Buzruk (bucharisch)

migen derartige Merkmale andeuten (Finalis - d, dorische Intervallordnung, melodischer Hauptton - g, f fungiert als Nebenton, er ist so unwesentlich, daig Buzruk oft pentatonischen Charakter gewinnt [besonders deutlich tritt das in der

Ju-be Mzgulcai Buzruk hervor]), wobei nicht iibersehen werden darf, daig alle diese Beispiele zu ihrem vollen Verstaindnis eigentlich des ganzen Zusammen-

hanges bediirfen, da der makom ein in sich abgestimmtes und integrierendes tonales System darstellt 133

Makom Buzruk:

Notenbeispiel 10

Tasnif Buzruk, chona 1 und bozgij 134 Chona 1 bozgij

-d F Ad-d/ i I I I '=" -J ! F! l I I I ! i

Die meisten Instrumentalteile des makom haben Rondellcharakter, ihr Refrain wird

bozgtj genannt. Fiir die tonale Fixierung des Teiles ist besonders er bestim- mend.

130 s. hierzu besonders Salmakom, Redaktion F. M. KAROMATOV, I Buzruk, a. a. O., S. 18 ff. 131 Dieses Verhliltnis gilt auch fiir jede in einem makom auftretende iu-be, die in sich selbst eine Art makom darstellt. 102 Zur Analyse eines sarachbor s. Sasmakom, Redaktion F. M. KAROMATOV, I Buzruk, a. a. O., S. 21. 133 Ebda., S. 17 f. 134 Ebda., S. 27; die Wiedergabe der folgenden Beispiele ist vereinfacht.

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Page 31: Zum Problem des maqām

I. Elsner: Zum Problem des maqdim 237

Notenbeispiel 11 Gardun Buzruk, Schlu1ftakte nach bozg'jy135

A I V94 1N I I

, i

Diese wenigen Takte fiihren den tonal anders verankerten Teil kurz nach der Haupttongruppe zuriick.

Notenbeispiel 12 Sakil Islimi, 1. Zeile der chona 1136

Chona 1

Dieser Teil wie insbesondere der folgende stellen als Abschlue des Instrumental- teils die klare Herrschaft der Haupttongruppe wieder her.

Notenbeispiel 13

Sakil Sulton, 1. Zeile der chona 1137 Chona 1

IL-f I ILJI I 1

r-i I I4 IL M4 I "! / I I

Notenbeispiel 14 Sarachbor Buzruk, daromad des dreigliedrigen 1. Teils 138

(Instrumental)

(vokal)

chang (Vokalise) 25

Apt

135 Ebda., S. 35. 136 Ebda., S. 40. '37 Ebda., S. 43 f. 138 Ebda., S. 48 f.

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Page 32: Zum Problem des maqām

238 J. Elsner: Zum Problem des maqdm

Insbesondere der chang genannte, mehrere Male wiederkehrende und auch den SchluB bildende Vokalisen-Abschnitt des sarachbor (Takt 25 ff.) sorgt fiir die

Sicherung der dem makom eigenen tonal-melodischen Grundmerkmale.

Notenbeispiel 15 Tarona I (nach saracdbor), refrainartige Zeile, Takte 9 - 12139

Diese als Refrain fungierende Melodiezeile dihnelt in ihrer melodischen Tendenz dem chang des sarachbor. Die die zweite Gruppe der gu-be erbiffnende su-be Mzigullai Buzruk ist in alien ihren einzelnen Teilen stairker als die vorhergehenden gu-be mit der Hauptton- gruppe verbunden.

Notenbeispiel 16 Miigulcai Buzruk, 1. Melodiezeilenpaar des 1. Abschnitts 140

(instrumental)

(vokal)

Notenbeispiel 17 Kaikar6ai Miigulcai Buzruk, 1. Melodiezeilenpaar 141

(instrumental)

v i i Ia

I I II

I I I I i I I

(vokal) Aus der kurzen Beschreibung und Exemplifizierung wesentlicher Merkmale

des usbekischen und tadshikischen makom ergibt sich klar der groge Unterschied zu manch anderen mit der Bezeichnung maqam oder unterstellten Synonymen verbundenen Begriffsinhalten. So handelt es sich bei den mittelasiatischen mako- mot um vielteilige zyklische Musikproduktionen, deren Teile in ihrer Aufein-

anderfolge, in ihrem formalen Aufbau und ihrer Bindung an rhythmische Perioden

weitgehend fixiert sind. Die Einheitlichkeit des makom wird durch komplexe tonale und melodische Merkmale und Systembeziehungen hergestellt.

Wie sich an den lediglich einige Aspekte andeutenden Bemerkungen zur maqdm- Problematik erkennen liitt, ist der Begriff des maqdm in der europliischen musik-

139 Ebda., S. 56. 140 Ebda., S. 94. 141 Ebda., S. 103.

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Page 33: Zum Problem des maqām

1. Elsner: Zum Problem des maqdm 239

wissenschaftlichen Literatur infolge einer unangemessenen, unzweckmditigen theoretisch-methodologischen Ausgangsposition und ungeniigender, begrenzter und auch verzerrter Informationen ungenau, fluktuierend und doch einseitig geblieben. Um einer sachgerechten Darstellung und Bestimmung des Gegen- standes ndiherzukommen, erweist es sich als notwendig, sowohl in bezug auf den allgemeinen wissenschaftlichen Angang als vor allem auch hinsichtlich der histo- rischen Quellen und der gegenwdirtigen regionalen Praktiken umfangreiche neue Forschungsarbeiten durchzufiihren. Denn schon eine erste, sehr allgemein gehal- tene Auswertung nur einiger der vorliegenden, selbst noch unvollstdindigen und unzureichenden historischen und ethnoregionalen Materialien zeigt, daB in den Musikkulturen des alten arabisch-islamischen Bereiches eigentlich kein Sach- verhalt existiert, der den Vorstellungen und Bestimmungen europdiischer Musik- wissenschaftler vom maqdm voll entsprechen wiirde. Oberdies l1iit sich beob- achten, dai es in den besagten Musikkulturen selbst keinen einheitlichen maqam- Begriff gibt, sondern sich auf Grund ethnoregionaler Eigenheiten und Entwick- lungen hinter der Bezeichnung maqdm bzw. seinen Abwandlungen und anderen als Synonyme gefaBten Ausdriicken historisch zwar in vielerlei Weise miteinander verkniipfte, aber dennoch voneinander sehr abweichende Begriffsinhalte verber- gen. Oibergeht man die verschiedenen Bedeutungen aufBerhalb melodischer Beziig- lichkeit, die sich mit dem Begriff des maqdm in historischen und zeitgenissischen Au1ferungen in Theorie und Praxis finden (etwa Ton, Tonstufe, Bund, Hauptton, Tonleiter u. a.), so bleibt dessen derart eingegrenztes Bedeutungsfeld dennoch sehr vielfdiltig. Es reicht immerhin von sehr allgemeinen tonal-melodischen Merk- malkomplexen, die in der Praxis schon die Tendenz zur weiteren Abstrahierung im Sinne des Modus aufweisen und theoretisch schon als solche bestimmt worden sind (Agypten), bis hin zu den zuletzt beschriebenen Musikproduktionen, die sich durch ihre Dimension hervorheben und nicht nur durch tonal-melodische Merkmale (die iibrigens eine Art Bindeglied mit allerdings recht unterschiedlicher Bedeutung zwischen den verschiedenen maqdm-Begriffen darstellen mbgen), son- dern auch rhythmisch und formal weitgehend gebunden sind.

Wurde bei den kurzen Beschreibungen einzelner, in bestimmtem histo- rischem Zeitraum bzw. in bestimmter regionaler Bindung giiltiger Begriffs- inhalte verschiedentlich deutlich, daB die bisher vorliegenden Quellenmaterialien und Untersuchungen nicht ausreichen, um eine auch nur einigermafBen prdizise Darstellung jedes maqdm-Begriffs zu geben, so trifft das insbesondere auch auf die iiberhaupt behandelten Aspekte zu. Es erscheint notwendig, sie entscheidend zu erweitern. Bisher ist die Bestimmung des maqdm im wesentlichen auf musi- kalisch-technische Aspekte beschrdinkt geblieben, obwohl er offensichtlich dar-

fiber hinausgeht. Seine funktionalen und sozialen Bindungen, seine historische Genese miissen in die Untersuchungen einbezogen werden, und insbesondere wire auch die mit dem jeweiligen Begriffsinhalt verbundene Semantik zu beriick- sichtigen, da unzweifelhaft kaum einer der melodisch gebundenen maqdm-Begriffe so weit vom realen musikalischen Sachverhalt entfernt ist, da1 ihm ein solcher Aspekt villig abginge.

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