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Zum Stand der Brahms-Forschung Author(s): Imogen Fellinger Source: Acta Musicologica, Vol. 55, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1983), pp. 131-201 Published by: International Musicological Society Stable URL: http://www.jstor.org/stable/932844 . Accessed: 13/06/2014 07:10 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . International Musicological Society is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Musicologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 62.122.79.31 on Fri, 13 Jun 2014 07:10:37 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Zum Stand der Brahms-Forschung

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Zum Stand der Brahms-ForschungAuthor(s): Imogen FellingerSource: Acta Musicologica, Vol. 55, Fasc. 2 (Jul. - Dec., 1983), pp. 131-201Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/932844 .

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Zum Stand der Brahms-Forschung IMOGEN FELLINGER (BERLIN WEST)

Das Bild, das sich aus dem Schrifttum iiber Brahms ableiten ldiit, hat im Verlauf dieses Jahrhunderts, besonders aber seit 1945, entscheidende Wandlungen erfahren. Der grofIere zeitliche Abstand, der nach 1945 zu Brahms und dessen Epoche naturgemait erwachsen war, ermoiglichte es, nach und nach den Menschen und vor allem den Komponisten objektiver zu sehen und zu beurteilen. Im Hinblick auf das Jahr 1983, in dem die 150. Wiederkehr von Brahms' Geburtstag (7. Mai) vielfachen Anla1~ zum Gedenken, zu Feiern, Musikfesten, wissenschaftlichen Veranstaltungen und Publikationen geben wird, erscheint es sinnvoll, Riickschau zu halten und durch einen OIberblick iiber die Brahms-Forschung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die unterschiedlichen Standpunkte in der Anschauung und Wertung dieses Komponisten zu vergegenwairtigen.

Der Schwerpunkt der Ver6ffentlichungen iiber Brahms hatte nach dem Tode des Meisters (1897) und in den ersten beiden Dezennien des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1918) neben der Publikation von Briefen, Erinnerun- gen und anderen Dokumenten zu Leben und Werk vor allem auf dem biographi- schen Sektor gelegen. In der Hauptsache hatten sich ernsthafte Musikliebhaber, Brahms-Verehrer, Musikschriftsteller und -kritiker, vielfach noch aus pers6nlicher Erinnerung sch6pfend, weniger Musikwissenschaftler, mit Brahms und dessen Werk befalt. Als grundlegende Ver6ffentlichungen dieser Zeit haben die umfas- sende Biographie iiber Brahms von Max Kalbeck', und die aus sechzehn Bdinden bestehende Briefausgabe der Deutschen Brahms-Gesellschaft 2, die einen wesentli- chen Teil der Korrespondenz des Meisters enthiilt, zu gelten.

Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, folgten erst mit den 20er Jahren, vor allem auch aufgrund der von 1926 bis 1928 von Eusebius Mandyczewski und Hans Gail herausgegebenen Gesamtausgabe der Brahmsschen Werke3 eingehendere Einzelun- tersuchungen, die die wissenschaftliche Erkenntnis des Brahmsschen Schaffens gef6rdert und vertieft haben. Vornehmlich Fragen des Personalstils 4, des Gattungs- stils, etwa des Kammermusikstils 5 oder des Liedstils 6, das Problem der Variationen-

1 M. KALBECK, Johannes Brahms (Berlin 1904-1914), 4 Bde. - Nachdruck der jeweils letzten Aufl. der 4 Bde. von 1921, 1921, 1912-1913 und 1915 (Tutzing 1976). 2 J. BRAHMS, Briefwechsel. Hrsg. im Auftrag der Deutschen Brahms-Gesellschaft (Berlin 1907-1922), 16 Bde. - Nachdruck (Tutzing 1974-1975). 3 J. BRAHMS, Siimtliche Werke. Ausgabe der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien unter Leitung von Eusebius Mandyczewski und Hans Gil (Leipzig 1926-1928), 26 Bde.; Nachdrucke (Ann Arbor, Mich. 1949 und Wiesbaden 1964, mit Supplement-Band). 4 A. STURKE, Der Stil in Joh. Brahms' Werken. Eine stilkritische Untersuchung seiner Klavier-, Kammermu- sik-, Chor- und Orchesterwerke (Diss. Hamburg 1932). ' F. BRAND, Das Wesen der Kammermusik von Brahms (Berlin 1937). 6 P. MIES, Stilmomente und Ausdrucksstilformen im Brahmsschen Lied (Leipzig 1923); (Sindig-Reprint), (Walluf, Nendeln 1975).

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form7, der Sonatenforms, der Harmonik9, so im Rahmen der Schule Guido Adlers in Wien, standen im Vordergrund der Untersuchungen. Daneben traten weitere

biographische Darstellungen und Erinnerungen, besonders zahlreich anlaiilich des 100. Geburtstages von Brahms im Jahre 193310. Diese Publikationen lielgen manche

Ziige des Meisters - sowohl dessen Persbinlichkeit als auch dessen Musik angehend - erkennbar werden, die das Bild, das Kalbeck entworfen hatte, ergdinzten, wesentlich differenzierten und vielfach auch korrigierten.

Ganz allgemein lii1t sich sagen, da9 Brahms' Musik von den 50er Jahren an, vor allem seit der Wiederkehr seines 125. Geburtstages (1958), immer stdirker, und zwar in einem vorher ungeahnten MaBe, in das Bewultsein einer stetig wachsenden internationalen musikalischen Offentlichkeit getreten ist. Diese Tatsache fand neben dem allgemeinen Konzertbetrieb, in dessen Programmen Brahmssche Kom-

positionen mit der Zeit immer zahlreicher vertreten waren, ihren Niederschlag in der

Veranstaltung von Brahms-Festen und -Ausstellungen, in der Griindung von Brahms-Gesellschaften und in der Errichtung von Gedenkstaitten. Besonders Brahms' Geburtsstadt Hamburg, zwischen der und Brahms lange Zeit, auch noch nach dem Tode des Meisters, ein widerspruchsvolles Verhtltnis im Sinne eines

mangelnden Wohlwollens von seiten der Stadt Hamburg gegeniiber dem Komponi- sten bestanden hatte, bemiihte sich seit 1958 um ihren groigen Sohn. So fand zur Wiederkehr von dessen 125. Geburtstag eine Johannes Brahms Festwoche mit zahlreichen Auffiihrungen seiner Werke statt". Gleichzeitig wurde in der Staats- und Universititsbibliothek Hamburg eine Ausstellung mit Autographen Brahms- scher Kompositionen und wichtigen Dokumenten gezeigt12 und die Einrichtung eines Johannes Brahms Archivs in dieser Bibliothek beschlossen. Dessen Grund- stock bilden seit 1959 Teile der von Brahms' Stiefbruder Fritz Schnack (1849-1919) testamentarisch der Stadt Hamburg vermachten Brahms-Stiftung (mit Briefen, Autographen von Dichtern aus Brahms' Besitz, photographischen Aufnahmen etc.), die seit 1919 im Museum fur Hamburgische Geschichte - weitgehend unbeachtet - aufbewahrt worden waren. Zahlreiche Handschriften wurden im Verlauf der Jahre erworben, als bedeutendste das Autograph von Brahms' zweitem Klavierkonzert

(op. 83). Im November 1969 wurde die Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. (seit 1980 Johannes Brahms Gesellschaft Internationale Vereinigung e. V.) gegriindet und im August 1971 in der Ndihe von Brahms' ehemaligem Geburtshaus eine

7 V. LUITHLEN, Johannes Brahms' Werke in Variationenform (Diss. Wien 1926). Auszug unter dem Titel: Studie zu i. Brahms' Werken in Variationenform, in: StMw 14 (1927), S. 286-320. 8 V. URBANTSCHITSCH, Die Sonatenform bei Brahms. Ein Beitrag zur Geschichte der Instrumentalmusik (Diss. Wien 1925). Auszug unter dem Titel: Die Entwicklung der Sonatenform bei Brahms, in: StMw 14 (1927), S. 265-285. 9 F. KURZWEIL, Die Harmonik als formbildendes Element bei Johannes Brahms. (Unter besonderer Beriicksichtigung der Sonatenform.) (Diss. Wien 1938). 10 Etwa A. von EHRMANN, Johannes Brahms. Weg, Werk und Welt (Leipzig 1933); erginzend hierzu: A. von EHRMANN, Johannes Brahms. Thematisches Verzeichnis seiner Werke (Leipzig 1933). 11 Johannes Brahms geboren am 7. Mai 1833 in Hamburg. Festwoche anlii3lich seines 125. Geburtstages veranstaltet von der Freien und Hansestadt Hamburg (3.-11. Mai 1958). 12 Johannes Brahms Ausstellung anli•Alich der 125. Wiederkehr seines Geburtstages am 7. Mai 1833. Dokumente seines Lebens und Schaffens. Staats- und Universititsbibliothek Hamburg (Zusammengestellt von G. Fock und K. Richter [unter wissenschaftlicher Beratung von I. Fellinger]).

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Brahms-Gedenkstitte eingeweiht. Im Mai 1973 folgten zum Gedenken an Brahms' 140. Geburtstag Brahms-Wochen mit seltener aufgefiihrten Werken 3, in deren Rahmen das Musikwissenschaftliche Institut der Universitit Hamburg unter Constantin Floros in Verbindung mit der Brahms-Gesellschaft fiinf Vortraige veranstaltete, mit deren Abdruck im Jahre 1974 die zwanglos - seit 1977 in zweijdihrigem Abstand - erscheinende Reihe der Brahms-Studien - in Nachfolge der 1970 bis 1973 herausgegebenen Mitteilungen der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. - eriffnet wurde 14. 1981 wurde vor der Hamburger Musikhalle ein Brahms- Denkmal errichtet (Einweihung: 17. Oktober 1981) und in Zusammenhang mit diesem Ereignis eine umfangreiche Brahms-Ausstellung gezeigt, zu der zahlreiche 6ffentliche und private Leihgeber aus dem In- und Ausland Exponate beigesteuert hatten 15

Doch blieben solche bffentlichen Manifestationen durchaus nicht nur auf Brahms' Geburtsstadt beschrdinkt. So wurden Brahms gewidmete Ausstellungen auch an verschiedenen anderen Orten veranstaltet. 1964 fand etwa anlgitlich der Johannes Brahms-Wochen in Portschach am W6rthersee (Kdirnten) eine Ausstel- lung mit besonderem Bezug auf Brahms' Sommeraufenthalte in den Jahren 1877 bis 1879 statt16. 1972 folgten zu Brahms' 75. Todestag Gedichtnis-Ausstellungen in Gmunden am Traunsee (Ober6sterreich)17 und in Miinchen. In der Ausstellung ,,Brahms in Miinchen" in der Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek wurden hauptsaichlich die Beziehungen des Komponisten waihrend seiner minde- stens sieben Aufenthalte in Miinchen zwischen 1864 und 1877 zu dortigen Pers6nlichkeiten wie Paul Heyse, Hermann Levi, Joseph Rheinberger, den Briidern Franz, Ignaz und Vinzenz Lachner, Franz Wiillner und Franz von Lenbach

herausgestellts. - Auch weitere Gedenkstaitten wurden eingerichtet. So er6ffnete das Historische Museum der Stadt Wien 1980 einen Brahms-Gedenkraum mit Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstainden aus Brahms' letzter Wohnung (Wien IV, Karlsgasse 4) in Haydns Wohn- und Sterbehaus (Wien VI, Haydngasse 19) 19

Der Griindung der Brahms-Gesellschaft in Hamburg war die der Brahmsgesell- schaft Baden-Baden e. V. mit Gedenkstdtte im Brahms-Haus in Baden-Lichtental, Brahms' ehemaliger Sommerwohnung der Jahre 1865 bis 1874, Anfang 1967

13 Brahms-Wochen der Freien und Hansestadt Hamburg, 7.-26. Mai 1973. 14 Brahms-Studien, Band 1. Im Auftrage der Brahms-Gesellschaft e. V. hrsg. von C. Floros (Hamburg 1974); Band 2, hrsg. von H. Wirth (Hamburg 1977); Band 3, hrsg. von H. Wirth (Hamburg 1979); Band 4, hrsg. von der Johannes Brahms Gesellschaft Internationale Vereinigung e. V. (Hamburg 1981). 15 Johannes Brahms geboren am 7. Mai 1833 zu Hamburg gestorben 3. April 1897 zu Wien. Eine Ausstellung der Deutschen Bank Hamburg in Verbindung mit der Einweihung des von der Kbrber Stiftung errichteten Brahms-Denkmals vom 19. Oktober 1981 bis 6. November 1981 im Hause Deutsche Bank Hamburg 11, Adolphsplatz 7 (Wissenschaftliche Mitarbeiter: C. Floros, H. Spielmann, U. Woydt), (Hamburg 1981). 16 1. Juli-2. August 1964. Johannes-Brahms Wochen Portschach am WSrthersee. Ausstellungskatalog (Fiir den Inhalt verantwortlich: F. Kbnig). 17 Johannes Brahms Ausstellung [22.6.-15.10.1972]. Kammerhofmuseum der Stadt Gmunden. Ausstellung Johannes Brahms. Seine Beziehung zur Traunseestadt - zum Gedichtnis des 75. Todestages (1972). 18 Brahms in Miinchen. Ausstellung zum 75. Todestag des Komponisten. Bayerische Staatsbibliothek. Musiksammlung 11. April bis 31. Juli 1972 (Text und Ausstellung: R. Miinster.) (Kleine Ausstellungsfiihrer 19). 19 Man vgl. Fin Brahms-Gedenkraum im Wiener Haydn-Haus, in: OMZ 35 (1980), S. 608.

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vorausgegangen20. Hatte die 1904 in Wien von Viktor von Miller zu Aichholz

begriindete Wiener Brahms-Gesellschaft zunichst hauptsichlich dazu gedient, Gegenstinde aus Brahms' NachlaB, um den wegen Ungiiltigkeit von dessen Testament (Fehlen von Brahms' Unterschrift) ein langwieriger Prozef entbrannt war, der 1903 mit einem Vergleich endete, kiuflich zu erwerben und damit der Gefahr des Verkaufs durch die sogenannten ,,leiblichen Erben" zu entgehen21, und hatte es sich die von 1906 bis 1945 bestandene Deutsche Brahms-Gesellschaft (Sitz Berlin) neben der Abhaltung von Brahms-Festen22 vornehmlich zur Aufgabe gemacht, unver6ffentlichte Kompositionen und die damals vorliegende Korrespon- denz des Meisters herauszugeben, wurde die Brahmsgesellschaft Baden-Baden e. V.

hauptsichlich zur Rettung des erwdihnten Brahms-Hauses als einziger noch erhaltener historischer Brahms-Stitte in der Bundesrepublik Deutschland ins Leben

gerufen. Der Erhaltung dieses Hauses dienen die von der Gesellschaft seit 1968

ji~hrlich, seit 1970 in der Regel in zweijihrigem Turnus, durchgeffihrten Brahms-

Tage Baden-Baden3. Hingegen will die Brahms-Gesellschaft in Hamburg neben der Veranstaltung von Konzerten, vornehmlich mit unbekannteren Brahmsschen Werken, und von Ausstellungen vor allem die Brahms-Forschung firdern und unterstiitzen24. - Noch ist das in Detroit im April 1980 vom Detroit Symphony Orchestra unter Antal Dorati veranstaltete International Brahms Festival zu

nennen25, in dessen Rahmen eine Ausstellung in der Detroit Public Library gezeigt26 und in Zusammenarbeit mit der Wayne State University, Detroit, und der

University of Michigan, Ann Arbor, der International Brahms Congress unter Ellwood Derr, der erste ausschlieIglich Brahms gewidmete internationale Kongreje iiberhaupt, abgehalten wurde 27

Dieser kursorische 1Iberblick macht deutlich, dati Brahms als Pers6nlichkeit und

Komponist in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr einem steigenden 6ffentli- chen Interesse begegnet ist. Die zunehmende Auseinandersetzung mit dem 19. Jahrhundert, vor allem auch mit dessen geistesgeschichtlichen Tendenzen in

20 Brahmshaus Baden-Baden. Brahmsgesellschaft Baden-Baden e. V. (Baden-Baden 1974). 21 Es kann hier nicht der Ort sein, auf Einzelheiten des unerfreulichen Prozesses, der sich um Brahms' Nachlaf entspann, einzugehen. Nur soviel sei zum allgemeinen Verstindnis der Zusammenhinge angefiihrt, dalB nicht die ,,leiblichen Erben" von Brahms den Wiener Advokaten Dr. Josef Reitzes zu ihrem Vertreter in dieser

Rechtsangelegenheit ernannten, sondern dal? zuvor sich Reitzes auf die Suche nach solchen Erben begeben hatte, die zu Lebzeiten des Komponisten in keinerlei Verbindung zu diesem gestanden, ja oftmals gar nicht

gewui1t hatten, dal? sie mit diesem verwandt seien. Die von der Brahms-Gesellschaft, Wien, aus Brahms'

Nachlaf erworbenen Dokumente, wie Biicher, Schriften, Briefe, Handschriften, wurden dann der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien, iiberantwortet. - Die Brahms-Gesellschaft, Wien, bestand bis 1938 und wurde dann der Deutschen Brahms-Gesellschaft einverleibt. 22 Man vgl. die Programm-Hefte der Brahms-Feste wie Miinchen 1909, Wiesbaden 1912 etc. und S. KROSS, Von ,,roten" und anderen Brahms-Festen, in: Ars Musica. Musica Scientia. Festschrift Heinrich Hiischen (Kiln 1980), S. 305-318. 23 Sie fanden zuletzt 1978 und 1981 statt und sind auch fiir 1983 vorgesehen. 2 Vgl. Mitteilungen der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. 1 (1970), S. 1. 25 International Brahms Festival. Detroit Symphony Orchestra, Antal Dorati, music director (April 10-26, 1980, Detroit, Mich.) Program Book. Composed and ed. by B. Carr (Detroit 1980). 26 K. HOFMANN and J. FORST, Johannes Brahms. The Man and His Work, catalogue of an exhibition of rare and unique items drawn from the life and times of a great composer. April 198o (Detroit 1980). 27 Ein Kongrefbericht wird nicht erscheinen. Die Titel der Referate werden an den entsprechenden Stellen mit

aufgeffihrt und deren Inhalt kurz besprochen.

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ihrem Einflug auf die Musik und das Musikleben dieses Zeitalters, nicht zuletzt in ihrer Auswirkung auf das 20. Jahrhundert, riickte auch Brahms starker in den Mittelpunkt der Forschung. Die M6glichkeit zu sachlich und zeitlich distanzierterer Betrachtung fiihrte nach und nach dazu, Brahms als Komponisten und dessen historische Stellung neu zu iiberdenken. Zum einen wurden Gebiete angegangen, die vorher weitgehend oder v6llig unbeachtet geblieben waren. So widmete sich die Brahms-Forschung vor allem der Werksgeschichte, auch in Zusammenhang mit dem Schaffensprozel? und der Entstehung von Werken und deren zeitlicher Einordnung sowie Fragen der formalen Struktur. Ungleich starker als vorher wurde das Augenmerk auf Brahms' Musikanschauung, vor allem auch in Hinblick auf vergangene Epochen der Musikgeschichte, und auf kompositionstechnische Verfah- ren und Methoden gelenkt. Daneben erbrachten weitere Ver6ffentlichungen von Briefen und zeitgendssischen Erinnerungen zum Teil wertvolle Erghinzungen zu Leben und Werk. Zum anderen setzte eine Neubewertung von Brahms' historischer Stellung als Komponist ein. Gegeniiber der Anschauung, Brahms auf der einen Seite als am Schlul? einer Epoche stehend zu sehen, als Vollender der Klassik, als konservativen Bewahrer der Tradition und das ,,Beharrende" seiner Kunst zu betonen, wie etwa Rudolf Gerber28, oder ihn als den ,,in sich beruhenden Brahms" zu bezeichnen, wie Alfred Einstein es getan hatte29, und auf der anderen Seite die sogenannte Neudeutsche Schule unter Liszt sowie Richard Wagner mit ihren Werken allein als in die Zukunft weisend und damit den wahren Fortschritt musikalischer Entwicklung verkbrpernd zu betrachten, erkannte man mehr und mehr eine vermittelnde Funktion bei Brahms, vorwirtsweisende Elemente in seinen Kompositionen, neben dem emotionalen vor allem den intellektuellen, den gelehrten, den logisch denkenden und konsequenten Komponisten, der neue entscheidende Kompositionstechniken erstmals entwickelte und anwandte, die in ihrer Art von nachfolgenden Komponisten iibernommen wurden.

Im folgenden soll es darum gehen, darzulegen, wie der Stand der Forschung war, inwieweit auf einzelnen Gebieten bereits Vorarbeiten bestanden, die weitergefiihrt wurden, und inwieweit die Forschung neue Wege beschritt. Zwar wird im allgemeinen die neuere Literatur seit 1945 im Vordergrund der Betrachtung stehen. Doch wird zum Teil auch auf iltere Arbeiten zuriickgegriffen werden, sofern sie fiir den Fortgang der Forschung bedeutungsvoll waren, oder sich in ihnen gewisse Tendenzen in einer solchen Richtung abzeichneten. Abschlielgend sei angedeutet, welche Forschungen in der Zukunft vor allem als vordringlich zu betrachten sind, und ob und in welcher Form Schritte zu ihrer Verwirklichung bereits getan worden sind.

8 R. GERBER, Johannes Brahms (Potsdam 1938), S. 121. 29 A. EINSTEIN, Johannes Brahms - loo Jahre. Der in sich beruhende Brahms [1933], in: A. EINSTEIN, Von Schiitz bis Hindemith - Essays iiber Musik und Musiker (Ziirich-Stuttgart 1957), S. 96.

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Brahms zum I25. Geburtstage, in: Musikhandel 9 (1958), S. 115-116. - A. MOLNAR, Johannes Brahms (Kis zenei kbnyvtar 5), (Budapest 1959). - H. J. MOSER, Johannes Brahms - sein Werk und sein Weg, in: Universitas 21 (1966), S. 1161-1170. - J. MOLLER- BLATTAU, Johannes Brahms. Leben und Werk (Langewiesche-Biicherei), (K6nigstein im Taunus 1960). - H. A. NEUNZIG, Johannes Brahms in Selbstzeugnissen und Bilddokumen- ten (Rowohlts Monographien 197), (Reinbek bei Hamburg 1973; Nachdr. 1977). - DERS., Brahms. Der Komponist des deutschen Biirgertums. Eine Biographie (Wien-Miinchen 1976). - A. OREL, Johannes Brahms. Ein Meister und sein Weg (Olten 1948). - C. ORSELLI, Johannes Brahms e il mito del popolare, in: Chigiana 9/10 (1975), S. 121-124. - M. PALADI, Brahms (Bukarest 1972). - R. PETZOLDT, Johannes Brahms. 1833-1897, in: Musik in der Schule 9 (1958), S. 196-211. - P. F. RADCLIFFE, Johannes Brahms, in: Grove's Dictionary of Music and Musicians I (London 5/1954), S. 870-903. - E. REFARDT, Johannes Brahms, Anton Bruckner, Hugo Wolf. Drei Wiener Meister des 19. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk in kurzen Biographien (Basel 1949). - W. und P. REHBERG, Johannes Brahms. Sein Leben und sein Werk (Ziirich 1947; 2/1963; Stuttgart 2/1966). - W. RIEZLER, Johannes Brahms, in: Neue Deutsche Biographie II (Berlin 1955), S. 508-513. - L. RONGA, Nuovo tempo brahmsiano, in: Rivista musicale italiana 57 (1955), S. 99-108. - C. ROSTAND, Brahms, 2 Bde. (Amour de la musique), (Paris 1954-1955; 2/1978). - A. RUIZ TARAZONA, Johannes Brahms. Un poeta solitario (Colecci6n Miisicos 4), (Madrid 1974). - C. SCHURICHT, Brahms (1833-1897), in: Die Beriihmten Musiker (Die Galerie der beriihmten Mainner), (Genf 1946), S. 228-231. - W. SIEGMUND-SCHULTZE, Johannes Brahms. Eine Biographie (Leipzig 1966; 2/1974; 3/1980). - I. STARE, Brahms (Musikens maistare), (Stockholm 1955). - Y. TItNOT, Brahms, son vrai visage suivi d'un tableau chronologique comprenant une liste complete des oeuvres de Brahms (Collection pour mieux connaitre), (Paris 1968). - M. TISCHMEYER, Johannes Brahms, 1833-1897. Nachtriige, in: Bibliographische Kalender- bliitter 14, Folge 4 (1972), S. 6-11. - E. UYLDERT, Geen Huis, geen Vaderland. Het Leven van Johannes Brahms (1833-1897) (Sonatine-reeks 12), (Tilburg 1953). - G. ZACCARO, Dialogo su Brahms, in: Convegno Musicale 2 (1965), S. 123-129.

Gesamtdarstellungen und allgemeine Wiirdigungen von Brahms' Leben und Werk, die seit Ende der 40er Jahre herauskamen, verharren zum grol~en Teil mehr im Allgemeinen und Herk6mmlichen, als da1g in ihnen neue Wege beschritten oder neue Deutungen versucht wiirden, so dag sie zumeist an einem iiberkommenen Brahms- Bild festhalten. Weder wird in ihnen das spezifische Verhiltnis von Brahms zu seinen Zeitgenossen, mithin auch Brahms' Personalstil, eingehender untersucht, noch Brahms' historische Stellung als solche deutlicher herausgearbeitet. Unter- schiede zwischen Brahms' und Bruckners Symphoniestil oder Brahms' und Wolfs Liedstil etwa, um nur zwei Beispiele herauszugreifen, blieben weitgehend Betrach- tungen einzelner Werke und Werkgruppen oder speziellen Einzeluntersuchungen vorbehalten.

Als richtungweisendes Werk hat nach wie vor Kalbecks mit immensem Fleig zusammengetragene Biographie iiber Brahms, in der das iiber den Komponisten erreichbare Material erstmals in aller Breite vorgelegt worden ist, zu gelten. Es bildet noch immer eine wichtige Grundlage fuir die Brahms-Forschung, wenn auch der Verfasser so kurze Zeit nach dem Lebensende des Komponisten naturgemIiB zahlreichen Irrtiimern erlegen ist und das Werk zum Teil stark journalistische Ziige, Verzerrungen und nachweislich unrichtige Darstellungen von Fakten aufweist. Auch wurde nicht immer geniigend beachtet, da13 Kalbecks inhaltlichen Deutungen Brahmsscher Kompositionen gegeniiber alle Vorsicht angebracht ist. Bei ihnen

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handelt es sich vielfach um allzu freiziigige Auslegungen von Brahms' Werken, die auf Kalbecks eigenen Vorstellungen beruhen und zumeist nicht aus Gespriichen mit Brahms abgeleitete Oberlieferungen darstellen.

Nur wenige Biographien sind als wirkliche Gesamtdarstellungen zu betrachten. Zumeist wird dem Leben von Brahms mehr Gewicht als der Werkbetrachtung zugemessen. Als wesentliche seit der zweiten Hdilfte der 40er Jahre herausgekom- mene Darstellungen von Brahms' Leben und Werk haben die Arbeiten von K.

Geiringer, R. Gerber und H. Gail zu gelten. In Geiringers in zweiter Auflage (1947 in

englischer und 1955 in deutscher Sprache) erschienener Biographie werden vor allem verschiedene Brahmssche Kompositionen, die seit Erscheinen der ersten

Auflage30 bekannt geworden sind, in die Werkbesprechungen einbezogen, so das durch Henry S. und Sophie Drinker der Forschung zugdinglich gemachte Material von handschriftlichen Stimmheften und Partituren von Mitgliedern des von Brahms

geleiteten Hamburger Frauenchors und das 1938 ver6ffentlichte A-dur-Trio, bei dem Geiringer zwar eine gewisse Ahnlichkeit mit dem Stil von Brahms' Klaviertrio

(op. 8) erkennt, jedoch mit Recht Brahms' Autorschaft an diesem Werk bezweifelt. Er vertritt die Anschauung, dait sich in Brahms' Kunst ,,Fortschritt und Traditions- treue ... zu einem organischen Ganzen" zusammenschlkissen. - Hatte R. Gerber in seiner 1938 herausgekommenen Biographie noch die Meinung verfochten, daB Brahms' Schaffen ,,epochenmii3ig gesehen, mehr abschlieJ3enden als beginnenden Charakter" habe, so betont er 1952 in seinem grundlegenden Artikel fiber Brahms in

MGG, daB in Brahms' Pers6nlichkeit und Kunst ,,eine starke Kraft ins Objektive, Allgemeine" wirke und da1f er im ,,Erhalten und Vermehren des Bestehenden ... die

grof3en kiinstlerischen Ideen der Vergangenheit in einem weit in die Zukunft weisenden Sinne erneuert und seiner Kunst dadurch dauernde Aktualitiit gesichert" habe. - 1961 legt H. Gil, der Mitherausgeber der Gesamtausgabe der Brahmsschen

Werke, eine eindrucksvolle Schilderung von Brahms' Pers6nlichkeit und Werk vor, bei der er sich neben den im Druck vorliegenden Quellen auf miindliche

Mitteilungen seines mit Brahms befreundet gewesenen Lehrers Eusebius Mandy- czewski aus den Jahren 1909 bis 1929 stiitzt. GAl ist der Ansicht, dait in Brahms' Musik ,,ein entgbttertes Jahrhundert noch einmal einen Ausdruck des Hbchsten

gefunden hat, das dem Menschengeist erfaJ3bar" sei.

Allgemeinverstdindlich, jedoch wissenschaftlich fundiert, sind die Biographien von A. Orel, E. Refardt, J. Miiller-Blattau und F. Grasberger. Orel, der wertvolle Hinweise auf Brahms' Verhiltnis zur Oper und zu dessen Liedschaffen bringt, deutet an, dait

Brahms ,,sich als richtunggebender Wegweiser in die neue, von

ginzlich anders geartetem Geist getragene Zeit" erweise. E. Refardt, der darauf

aufmerksam macht, dait die Gegend, in der Brahms in Hamburg geboren wurde,

zwar einfach, aber ein von Musikern bevorzugter Stadtteil gewesen sei und erst

spiter zu einem verrufenen Viertel wurde, betont hingegen 1949 das ,,Riickwiirts- deutende" in Brahms' ,,Gedankenwelt und Ausdrucksweise". J. Miiller-Blattau, der eine zusammenfassende Wiirdigung von den Hauptphasen des Brahmsschen

o K. GEIRINGER, Johannes Brahms. Leben und Schaffen eines deutschen Meisters (Wien 1935).

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Schaffens gibt (1960), wobei er sich weitgehend auf sein 1933 erschienenes Buch3' und auf einen im gleichen Jahr veriffentlichten Aufsatz stiitzt32, hebt nachdriicklich hervor, daB1 in Brahms eine der gro1gen Zeiten der Musik ,,Erfiillung und Ende erreicht" habe. Doch fiihre er durch ,,die Durchsetzung der ,integralen Komposi- tion' " zugleich dariiber hinaus. - F. Grasberger widmet sich 1952 eingehend Brahms' menschlicher Seite zur Klirung von dessen Werk.

R. Petzoldt, G. Knepler und W. Siegmund-Schultze wiirdigen Brahms von einem gesellschaftswissenschaftlichen Standpunkt aus. Wihrend Petzoldt Brahms als ,,echten Biirger seines Zeitalters", als einen ,,sehr liberalen Biirger" bezeichnet, resultiert Kneplers Deutung von Brahms' Leben und Schaffen (1961) darin, Brahms' Resignation in den Spaitjahren als Folge davon zu sehen, dag er, wie Wagner, ,,die biirgerliche Welt nicht gedanklich iiberwand", und Siegmund-Schultze betont ,,die humanistische und humanisierende Kraft grof3er Musik" im Hinblick auf Brahms, dessen Musik ein Symbol fiir das ,,Prinzip der Bewahrung und Erneuerung groper kiinstlerischer Traditionen" in unserer Zeit sei.

Zwei neuere Darstellungen englischer Autoren, die jedoch weniger wissenschaft- lich ausgerichtet sind, versuchen, bei Brahms den Bezug zur heutigen Zeit herzustellen. Wdihrend B. James, der den Einflu1S Bachs auf Brahms zu einseitig betont, Brahms' ,,caution and scepticism" als Eigenschaften hervorhebt, die Brahms unserer Zeit naiherbringen als Wagner, womit er das heutige grole Interesse an Brahms' Musik begriindet, vertritt B. Jacobson die Auffassung, wobei er sich

hauptsaichlich auf D. Toveys urspriinglich als Programm-Notizen, dann als Essays erschienene Darlegungen beruft33, da1g Brahms vor allem in seiner Rhythmik, in der Wahrnehmung polyphoner MOiglichkeiten und in der Entwicklung neuer Methoden zur formalen Vereinheitlichung in seiner Wirkung auf nachfolgende Generationen genauso wichtig sei wie Wagner mit seinen Neuerungen auf harmonischem Gebiet. - Hatte P. F. Radcliffe in seinem Artikel iiber Brahms in der fiinften Auflage des Grove Dictionary (1954) aus englischer Sicht betont, daB die in Brahms' Werken zum Ausdruck kommende ,,moderation" die tiefe Zuneigung fiir Brahms in England erklire, so bemiiht sich H. Becker in seinem Artikel in The New Grove (1980), ein allgemein giiltiges Bild von Brahms' Leben, Werk und Personlichkeit zu entwerfen, wobei er auch dessen historische Interessen und das Vertiefen in die Musik vergangener Epochen hervorhebt. Die Behauptung, Brahms habe keine Texte von Hebbel, Voss, Geibel und Liliencron vertont, darf indes nicht unwidersprochen bleiben. Von Hebbel stammen die Texte zu den Liedern In der Gasse (op. 58, 6), Voriiber (op. 58, 7) und zum Gesangsquartett Abendlied (op. 92, 3), von Voss das Minnelied fiir Frauenchor a cappella (op. 44, 1), von Geibel das Friihlingslied (op. 85, 5) und Mein Herz ist schwer (op. 94, 3) und von Liliencron Auf dem Kirchhofe (op. 105, 4) und Maienkiitzchen (op. 107, 4).

Frankreich stand Brahms' Musik bis Anfang der 50er Jahre ziemlich verstbindnis- los gegeniiber. Eine Ausnahme bildete P. Landormys Biographie (1921, 1948 neu

3' J. MOLLER-BLATTAU, Johannes Brahms (Potsdam [1933]). 32 J. MOLLER-BLATTAU, Der junge Brahms, in: Die Musik 26 (1933/34), S. 168-176. 3 D. F. TOVEY, Essays in Musical Analysis, 7 Bde. (London 1935-1939 und 1944).

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aufgelegt), in der es der Verfasser unternahm, den franz6sischen Leser auf Brahms hinzulenken. E. Buenzod wiirdigt 1953 den Aufschwung, den Brahms' Musik in

jenen Jahren in Frankreich genommen hat. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung mit Brahms und dessen Musik stellen das Buch von C. Rostand, das auch ein Kapitel fiber Brahms le Novateur enthailt, wie auch die Biographien von R. Goldron und spiter von Y. Tienot dar. - Allgemeine Wiirdigungen Brahms' aus italienischer Sicht stammen von L. Ronga (1955), G. Zaccaro (1965) und C. Orselli (1975).

Auffallend zahlreich vertreten sind allgemeinverstindlich abgefajlte Darstellun-

gen von Brahms' Leben und Werk, die mehr fiir einen breiteren Leserkreis bestimmt sind und weniger fachliche Voraussetzungen erfiillen, indem in ihnen wissenschaft- liche Probleme unberiihrt bleiben und keine Analysen vorgelegt werden. Diese Art von Biographien sind etwa in den Arbeiten von W. und P. Rehberg (1947) mit

allgemein orientierenden Werkbesprechungen, J. Culshaw (1948), P. Latham (1948, rev. 1975), N. Cardus (1958), J. Bruyr (1965), F. Grasberger (1973), N. A. Neunzig (1973 und 1976) und J. Chissell (1977) zu erblicken, wie auch die Veriffentlichun- gen von B. Delvaille (1965) und K. Dale (1970), die zugleich die Funktion von Konzertfiihrern haben, oder eine Einfiihrung in Brahms' Musik geben, wie die Schrift von W. R. Anderson (1949). E. Crass' Bildbiographie (1957) ist wegen ihrer zahlreichen, umsichtig zusammengestellten Abbildungen (darunter auch Konzert-

programme und Zeitungsartikel) erwaihnenswert. In verschiedenen LUindern, vor allem Ost-Europas, erschienen erstmals Biogra-

phien fiber Brahms, so 1959 in der Sowjetunion von M. Druskin und in Ungarn von A. Molnar, 1963 in der Tschechoslowakei von Z. Hrabussay (in Slowakisch), 1969 in Polen von L. Erhardt - die ungarische Ausgabe wurde um ein ergainzendes Kapitel ,,Brahms in Ungarn" und eine Bibliographie von I. Barna erweitert -, uid 1972 in Rumainien von M. Paladi. 1974 kam die erste Brahms-Biographie in

Spanien, verfa1gt von A. Ruiz Tarazona, heraus.

II. Biographische Einzelaspekte V. BICKERICH und N. PETRI, Johannes Brahms in Transilvania. 0 informare pe baza de

documente, in: Studii de muzicologie 6 (1970), S. 261-281. - A. BRAHMS, Ist Johannes Brahms ostfriesischer Herkunft?, in: Genealogie 24 (1974/75), S. 481-484. - O. E. DEUTSCH, Die Brotarbeiten des jungen Brahms, in: OMZ 15 (1960), S. 522-523. - H. ERISMANN, Johannes Brahms und Ziirich. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte von Zilrich (Ziiricher Druck 40), (Ziirich 1974). - K. und I. GEIRINGER, Die Bibliothek von Johannes Brahms, in: Neue Ziircher Zeitung 194 (April 1973), S. 51-52. - DIES., The Brahms Library in the ,,Gesellschaft der Musikfreunde", Wien, in: Notes 30 (1973/74), S. 7-14. - K. GEIRINGER, Schumanniana in der Bibliothek von Johannes Brahms, in: Convivium Musicorum. Fs. Wolfgang Boetticher zum 6o. Geburtstag (Berlin 1974), S. 79-82. - W. GERBER, Der Brunsbiitteler Brahmsstamm, in: Brahms-Studien 4 (Hamburg 1981), S. 97-103. - R. GOLDRON, Johannes Brahms a Thoune, in: Feuilles musicales 8 (1955), S. 176-180. - F. GRASBERGER, Brahms' Sommerreisen, in: OMZ 26 (1971), S. 290-295. - W. GRESKY, Johannes Brahms wollte nach Sondershausen, in: Thiiringer Heimatkalender (1964), S. 71-74. - K. HOFMANN, Johannes Brahms und Kiel. Ein Beitrag zur Musikge- schichte Kiels (Jahresgabe 1973 der Brahms-Gesellschaft Hamburg), (Hamburg 1973). - Z. HRABUSSAY, Johannes Brahms a Bratislava [J. Brahms und Bratislava= Pressburg], in: Slovenski Hudba 2 (1958), S. 209-212. - DERS., Johannes Brahms a nada hudobnd minulost

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[Johannes Brahms und unsere musikalische Vergangenheit], in: Hudobn iivot 4 (1972), Nr. 6, S. 8. - D. KERNER, Letzter Brahms, in: Das Orchester 29 (1981), S. 642-645. - E. LAAFF, Zwei Photo-Platten mit Brahms-Aufnahmen gefunden, in: Musik im Unterricht 49 (1958), S. 140-141; hierzu I. FELLINGER, Ergiinzende Bemerkungen, S. 262. - R. MEISNER, Aus Johannes Brahms' Schulzeit. Zur Kritik der Darstellung von Max Kalbeck. Der Schullehrer Johann Friedrich Hoffmann, in: Brahms-Studien 2 (Hamburg 1977), S. 85-94. (Abdruck aus: Mitteilungen des Vereins fiir Hamburgische Geschichte, 1915.) - R. MOULLER- DOMBOIS, Die Fiirstlich Lippische Hofkapelle. Kulturhistorische, finanzwirtschaftliche und soziologische Untersuchung eines Orchesters im 19. Jahrhundert (Studien zur Musikge- schichte des 19. Jahrhunderts, 28), (Regensburg 1972). - U. PETERSEN, Hamburgs Honoratioren contra Brahms, in: Musik und Gesellschaft 8 (1958), S. 398-400. - E. REFARDT, Brahms in der Schweiz. Zum ioo. Geburtstag des Komponisten am 7. Mai 1933, in: E. REFARDT, Musik in der Schweiz (Bern 1952), S. 103-114. - B. SCHEMANN, Drei Frauen um Johannes Brahms. Ein Gedenkwort zu seinem 5o. Todestag (Berlin 1948). - K. STAHMER, Brahms auf Riigen. Der Sommeraufenthalt eines Komponisten, in: Brahms- Studien 3 (Hamburg 1979), S. 59-68. - K. STEPHENSON, Brahms und seine Vaterstadt, in: Johannes Brahms... Festwoche anliif3lich seines 125.Geburtstages veranstaltet von der Freien und Hansestadt Hamburg (3.-i1. Mai 1958). - P. SULZER, Die fiinfte Schweizerreise von Johannes Brahms, in: Musikkollegium Winterthur, Generalprogramm (1971/72), S. 5-38. - L. TRUDING, ,,Der Einsame im Herbst" (Johannes Brahms), in: Das Goetheanum 36 (1957), S. 364-366. - P. WACKERNAGEL, Brahms und Berlin, in: Philharmonische Bldtter (1969/70), Nr. 6, S. 2-7. - B. ZOBEL, Brahms on the Baltic. A Romance and a Dedication, in: The Musical Courier 141 (1950), Mirz, S. 6-7.

Biographische Einzeldarstellungen zu Brahms bringen nur in wenigen Fillen neues Material, das die Kenntnis von Brahms' Lebensumstdnden nennenswert erweitert oder neue Erkenntnisse fiber einzelne Lebensphasen des Komponisten vermittelt. Es migen daher hier einige Hinweise geniigen. Bei genealogischen Nachforschungen von Brahms' Ahnenreihe in mdnnlicher Linie ist man immer noch weitgehend auf Vermutungen angewiesen, fiir die sich bisher keine urkundlichen Belege finden lieigen, wie die Beitraige von A. Brahms und W. Gerber deutlich machen. - R. Meisner kommt in seinen Darlegungen fiber Brahms' Schulzeit zu dem Schlug, dag Brahms entgegen der Darstellung Kalbecks, die dieser nach eigener Aussage 1901 an Ort und Stelle eingeholt hatte, bis zu seiner Konfirmation die damals wohl beste Hamburger Biirgerschule besucht habe. - Einen wesentlichen Beitrag stellt 0. E. Deutschs Studie fiber Die Brotarbeiten des jungen Brahms dar, in der er sich eingehend mit dem Fragenkomplex des Pseudonyms ,,G. W. Marks" befafgt, unter dem Brahms in seiner Hamburger Friihzeit Opern-Potpourris fiir Klavier zu zwei Hdinden und Lieder-Phantasien fiir Klavier zu vier Hainden fiir den Hamburger Verlag Cranz anfertigte. Deutsch kommt entgegen Kalbeck, der der Ansicht war, dag Brahms selbst sich dieses Decknamens bedient habe34, zu dem Ergebnis, dag dieses Pseudonym erstmals 1828 ohne Opus-Zahl von dem Berliner Verleger Lischke verwendet wurde und dann bis in das 20. Jahrhundert - zuletzt mit der Opus-Zahl 312 - gewirkt habe, wobei es nach Lischke von Cranz (Hamburg), danach von Bote & Bock (Berlin) und spliter von Fiirstner (Berlin) benutzt worden sei. Eine Identifizierung, welche Ausgaben von Brahms stammen, ist daher nahezu

4 KALBECK I, S. 70.

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unm6glich - mit Ausnahme des Souvenir de la Russie, das sich in Brahms' Nachlag fand. - U. Petersen skizziert die zwiespdltige Haltung Hamburgs gegeniiber Brahms zu dessen Lebzeiten und stellt den Bezug zur Gegenwart (1958) her. - In R. Miiller-Dombois' Darstellung der Fiirstlich Lippischen Hofkapelle wird zwar Brahms' dreimonatiger Aufenthalt am Hof zu Detmold in den Jahren 1857 bis 1859 beriihrt. Sie enthilt jedoch keine neuen Fakten iiber den Komponisten. Wohl aber wird die Zusammensetzung der Hofkapelle zu jener Zeit untersucht und werden

einige in der Brahms-Literatur nachweisbare Irrtiimer im Zusammenhang mit Detmold, etwa bei Kalbeck, richtiggestellt. - Brahms' Beziehungen zu Pretfburg (heute Bratislava), vor allem zu dort wirkenden Musikern, wie Karl Jurenak und Johann Batka, behandelt Z. Hrabussay in zwei Aufsaitzen.

Verschiedene Beitrdige sind Brahms' Reisen und Sommeraufenthalten gewidmet. So behandelt E. Refardt Brahms' Beziehungen zur Schweiz und dessen Aufenthalte in diesem Lande. Mit Brahms' Thuner Sommer befatft sich R. Goldron. K. Stahmer versucht, Eindriicke, die Brahms 1876 in Sa1~nitz auf der Insel Riigen empfing, in

Zusammenhang mit der Vollendung der Ersten Symphonie (op. 68), zugleich Abschluf? einer Schaffensphase, zu bringen. Brahms' Aufenthalte in 6sterreichi- schen Sommerorten (P6rtschach, Ischl, Pre1~baum und Miirzzuschlag) seit 1877 und deren jeweilige Schaffensergebnisse wiirdigt F. Grasberger.

K. und I. Geiringer befassen sich in einigen Aufsditzen mit Brahms' Bibliothek, deren iiberwiegender Teil sich in der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befindet. Zum einen wird die Bibliothek hauptsiichlich aus der Sicht von Brahms'

Neigung zur Musikwissenschaft und zu systematischem Sammeln beschrieben. Zum andern betonen die Verfasser, dag die BWinde von Brahms' Bibliothek mit

Bemerkungen und Korrekturen von seiner Hand den Eindruck einer Gelehrten- Bibliothek vermitteln, es sich jedoch bei Brahms mehr um eine willkommene Abwechslung in der Titigkeit von seiner sonst ausgeiibten Arbeit als Komponist gehandelt habe. In einer dritten Studie untersucht K. Geiringer Biicher und Noten von Robert und Clara Schumann, die Teil von Brahms' Bibliothek gewesen sind, und Biicher und Noten, die Brahms von Clara Schumann zum Geschenk erhielt.

III. Dokumentarische Uberlieferung 1. Briefe

Johannes Brahms, in: Dur und Moll. Briefe grof3er Komponisten, hrsg. von H. Gil (Frankfurt a. M. 1966), S. 361-386. - Johannes Brahms. Briefe, hrsg. von H. Gal (Fischer Taschenbiicher 2139), (Frankfurt a. M. 1979). - Johannes Brahms' Heimatbekenntnis in Briefen an seine Hamburger Verwandten. Eingeleitet und hrsg. von K. Stephenson (Hamburg 2/1948). - Johannes Brahms in seiner Familie. Der Briefwechsel. Mit den Lebensbildern der Hamburger Verwandten, hrsg. von K. Stephenson (Ver6ffentlichungen aus der Hamburger Staats- und Universititbibliothek, 9), (Hamburg 1973). - Johannes Brahms und Theodor Billroth: Letters from a musical friendship. Transl. and ed. by H. Barkan (Norman, Oklahoma 1957). - Billroth im Briefwechsel mit Brahms. Neue Ausg., hrsg. von A. Greither (Miinchen-Berlin 1964); Ausziige in: Deutsches Arzteblatt 62 (1965), S. 2166-2169. - Briefe der Freundschaft. Johannes Brahms - Klaus Groth, hrsg. von V. Pauls (Heide in Holstein 1956). - Ein Brief von Johannes Brahms an Friedrich Hegar, in: SMZ 98 (1958), S. 202. - Brief von Frau Celestina Truxa, der Hauswirtin von Johannes Brahms, an Frau Marie Bkie

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 143

anliif3lich seines Todes am 3. April 1897, in: Mitteilungen der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. 3 (1972), S. 4-5. - M. und J. ALLEY, Une Amitie passionnee Clara Schumann Johannes Brahms (Collection musicale dirig&e par M. Glotz et C. Baigniere), (Paris 1955). - Iz perepiski Johannesa Brahmsa s Klaroj i Robertom Schumann. Perevod pisem, primecanija V. Tarasovoj, vstup. stat'ja V. Levina i. V. Tarasovoj [Aus dem Briefwechsel J. Brahms' mit Clara und Robert Schumann], in: Sovetskaja Muzyka 36 (1972), S. 83-97. - Johannes Brahms und Fritz Simrock. Weg einer Freundschaft. Briefe des Verlegers an den Komponi- sten. Mit einer Einfiihrung hrsg. von K. Stephenson (Ver6ffentlichungen aus der Hamburger Staats- und Universitditsbibliothek, 6. Aus dem Johannes Brahms-Archiv), (Hamburg 1961). - Johannes Brahms an Julius Spengel. Unveraffentlichte Briefe aus den Jahren 1882-1897. Zusammengestellt und erliutert von A. Spengel (Hamburg 1959). - TH. CLASEN, Die Musikalischen Autographen der Universitdits-Bibliothek in Bonn, in: Fs. Joseph Schmidt-

G6rg (Bonn 1957), S. 26-29; Briefe von Brahms, S. 29. - S. DJURIC-KLAJN, Correspon- dance inedite de Johannes Brahms, in: Kgr.-Ber. Kbln 1958 (Kassel etc. 1959), S. 88-91. - A. EINSTEIN, Briefe deutscher Musiker (Ziirich-Stuttgart 2/1955), S. 280-298. - R. FEDER- HOFER-KONIGS, Wilhelm Joseph von Wasielewski (1822-1896) im Spiegel seiner Korre- spondenz (Mainzer Studien zur Musikwissenschaft, 7), (Tutzing 1975), S. 163-178. - E. Hanslick, Johannes Brahms. Lettere e ricordi, in: Il Convegno musicale 2 (1965), Nr. 3/4, S. 3-21. - L. HENNING [= i.e. LORE SCHMIDT-DELBROCK], Die Freundschaft Clara Schumanns mit Johannes Brahms. Aus Briefen und Tagebuchbliittern (Ziirich 1948; 2/1952). - K. HOFMANN, Ein neu aufgefundener Brief von Johannes Brahms an seine Stiefmutter, in: Brahms-Studien 4 (Hamburg 1981), S. 94-96. - A. HOLDE, Unpublished letters by Beethoven, Liszt and Brahms, in: MQ 32 (1946), S. 278-288; in Deutsch als: Brief aus New York. Unbekannte Briefe von Beethoven, Liszt und Brahms, in: Die Amerikanische Rundschau 2 (1946), S. 86-92. - DERS., Suppressed Passages in the Brahms-Joachim Correspondence published for the first time, in: MQ 45 (1959), S. 312-324. - E. R. JACOBI, Vortrag und Besetzung Bachscher Cantaten- und Oratorienmusik. Ein unbekannter Brief von Moritz Hauptmann an Johannes Brahms (15. Februar 1859), in: Bach-lb. 55 (1969), S. 78-86. - E. KERN, Dokumente der Freundschaft. Johannes Brahms und Theodor Billroth, in: Musica 12 (1958), S. 270-275. - H. MULLER, Brahms' Briefwechsel mit Meiningen, in: Beitriige zur Musikwissenschaft 20 (1978), S. 85-131. - A. OREL, Johannes Brahms und Julius Allgeyer. Eine Kiinstlerfreundschaft in Briefen (Tutzing 1964). - K. W. RICHTER, Brahms und Klinger. Drei unverbffentlichte Briefe Max Klingers an Johannes Brahms aus dem Brahms-Archiv, in: Mitteilungen der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. 4 (1973), S. 3--6. - H. RILLING, From Johannes Brahms to Robert Kahn: 1887, in: Bach 6 (1975), S. 20-22. - H.-P. SCHANZLIN, Brahms-Briefe aus Basler Privatbesitz, in: Basler Stadtbuch (Basel 1966), S. 207-217. - DERS., Ein unbekannter Brahms-Brief. Zur schweizerischen Erstauffiihrung des ,,Deutschen Requiems" in Basel, in: Neue Ziircher Zeitung (10./11. Mai 1980), S. 67. - R. SIETZ, Johannes Brahms und Theodor Kirchner. Mit ungedruckten Briefen Th. Kirchners, in: Mf 13 (1960), S. 396-404; Vorabdruck aus: Theodor Kirchner. Ein Klaviermeister der deutschen Romantik (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 21), (Regensburg 1971). - R. STOCKL, Ein unverbffentlichter Brahms-Brief, in: NZfM 119 (1958), S. 647-648. - F. ZAGIBA, Johannes Brahms als ,,Dirigenten-Promoter". Unbekannte Briefe des Meisters, in: Musikerziehung 9 (1956), S. 238-239.

Ein wesentlicher Teil von Brahms' Korrespondenz liegt seit 1922, wenn auch teilweise in gekiirzter und unvollstdindiger Form und vielfach ohne Gegenbriefe, wie auch ohne ausreichende Anmerkungen, in der Ausgabe der Deutschen Brahms- Gesellschaft vor. 1927 erschien der Briefwechsel mit Robert und Clara Schumann (Nachdruck: Wiesbaden und Hildesheim 1970), aus dem L. Henning 1948 Ausziige veri6ffentlichte und M. und J. Alley 1955 eine Auswahl in franzisischer und V. Levin

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Page 15: Zum Stand der Brahms-Forschung

144 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

und V. Tarasov 1972 in russischer Sprache boten, und 1935 der Briefwechsel mit dem Chirurgen Theodor Billroth, den 1957 H. Barkan in englischer Ubersetzung und 1964 A. Greither in gekiirzter Neuausgabe vorlegte. Erginzend zur Brahms-

Joachim-Korrespondenz publizierte A. Holde 1959 die von A. Moser aus Griinden der Diskretion in seiner Ausgabe fibergangenen Abschnitte, die Clara Schumann, Woldemar Bargiel, Albert Dietrich und die Scheidungsangelegenheit des Ehepaares Joachim angehen.

Einige der seit den 50er Jahren herausgegebenen Briefe betreffen Brahms'

Beziehungen zu zeitgenissischen Komponisten und Musikern. Der von E. R. Jacobi publizierte Brief Moritz Hauptmanns an Brahms stellt offensichtlich das einzig erhaltene Dokument dar, das iiber eine Verbindung zwischen Brahms und

Hauptmann informiert. Er enthilt Hauptmanns eingehende Antwort auf verschie- dene von Brahms gestellte Fragen hinsichtlich der Auffiihrung und Realisierbarkeit Bachscher Kantaten und Passionen. - Eine vorher unver6ffentlichte Nachricht von Brahms an Robert Kahn, aus der Brahms' besondere Wertschitzung von Hindels Israel in Agypten hervorgeht, teilt H. Rilling mit. - Brahms' Briefe an den

langjiihrigen Leiter des Hamburger Cicilien-Vereins Julius Spengel (1853-1936), der die Erstauffiihrungen der Fest- und Gedenkspriiche (op. 109) und der Drei Motetten (op. 110) leitete, stellen eine wertvolle Ergdinzung zu Brahms' Beziehungen zu Hamburg dar35. - Die von R. Sietz vorgelegten fiinfzehn Briefe des Komponisten Theodor Kirchner (1823-1903) an Brahms aus den Jahren 1875 bis 1897 zeugen von

jenen Jahren, in denen Kirchner immer mehr in bedringte Verhiltnisse geriet, und von Brahms, der ihn als Bearbeiter seiner Werke schitzte, pekunidir unterstiitzt wurde. - Die im Rahmen der von R. Federhofer-K6nigs herausgegebenen Korre-

spondenz des Geigers, Musikschriftstellers und spiteren Bonner Musikdirektors W. J. von Wasielewski (1822-1896) mitgeteilten, aus den Jahren 1874, 1879-1880 und 1882 nachweisbaren Briefe von und an Brahms, der seit Anfang September 1853 mit Wasielewski bekannt war, hiingen hauptsichlich mit der fiir Schumann in Bonn 1880 veranstalteten Geddichtnisfeier zusammen, an der Brahms als Dirigent mitwirkte. Sie lassen ein distanziertes, von gegenseitiger Hochachtung geprdigtes kollegiales Verhiltnis erkennen. - Von den beiden von A. Holde publizierten Brahmsschen Briefen ist der eine vom Jahre 1886 an den Wiener Mitarbeiter Berliner

Zeitungen Julius Grosser, der andere vom Jahre 1891 an den Dirigenten des Philharmonischen Chores, Berlin, Siegfried Ochs gerichtet. In ihm bekundet Brahms seine Abneigung gegeniiber Konzertprogrammen, die nur einem Komponi- sten gewidmet sind. - F. Zagiba legt Briefe von Brahms an den Preeburger Dirigenten Johann Batka (1845-1917) vor. - Dem von R. Stickl ver6ffentlichten, an Hans KiSbler, den Lehrer von Bart6k, Kodaly und Dohnanyi, gerichteten Brief ist zu

entnehmen, dat Kitgler einige Lieder zur Begutachtung an Brahms gesandt hatte, die dieser wohlwollend beurteilte. - S. Djuri-Klajn referiert -iber drei Briefe von Brahms an den ihm seit 1862 bekannten serbischen Geiger Dragomir Krani~evik

35 Man vgl. J. SPENGEL, Erinnerungen an Johannes Brahms. Aus dem NachlaJf Spengels verbffentlicht, in: Deutsche Musikzeitung 37 (1936), S. 95f. und 38 (1937), S. 2f., in denen einige Briefe von Brahms an Spengel erstmals im Druck erschienen.

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 145

(1847-1929) aus den Jahren 1879, 1881 und 1884, die im Musikwissenschaftlichen Institut der Serbischen Akademie der Wissenschaften in Belgrad aufbewahrt werden.

Eine wesentliche Ergainzung zu Brahms' Verhiltnis zu seinen Verlegern bildet die von K. Stephenson vorgenommene Edition von Briefen Peter Joseph Simrocks (1792-1868)36 und Fritz Simrocks (1837-1901) an Brahms, die von Kalbeck in seiner Ausgabe von Brahms' Briefen an den Verlag Simrock unberiicksichtigt geblieben waren37. Sie griindet sich auf die noch erhaltenen Originale, die nur einen kleinen Teil der wohl tatsaichlich an den Meister gerichteten Briefe darstellen. Die Briefe lassen vor allem Fritz Simrocks eigenartig zwiespiltige Pers6nlichkeit erkennbar werden, gewiihren Einblicke in seine Verlagspraxis, zeigen sein begrenz- tes musikalisches Urteilsverm6gen, etwa Kompositionen Dvoriks gegeniiber, und dokumentieren sein Verhailtnis zu Brahms, vor allem sein ehrgeiziges Streben nach einem ,,Brahms-Monopol", das soziologisch gesehen aufschlugreich ist.

Als zeitgeschichtlich wichtige Publikation ist Brahms' Briefwechsel mit Meinin- gen, vorgelegt von H. Miiller, zu betrachten, der aus einer gro6eren Anzahl von Briefen besteht, die Brahms in den Jahren 1881 bis 1897 an den Herzog von Sachsen-Meiningen und dessen Gemahlin sandte sowie aus einigen erhalten gebliebenen Briefen des Herzogs an Brahms. Sie beleuchten die Art kiinstlerischer

F6rderung, die Brahms durch das Herzoghaus erfuhr, und das freundschaftliche

Verhiltnis, das ihn mit den beiden Dirigenten der Meininger Hofkapelle, Hans von Biilow und Fritz Steinbach, verband.

Vornehmlich neu erschlossene, teilweise auch in erweiterter Form herausge- brachte Briefwechsel vermehren die Kenntnis von Brahms' engerem und weiterem Freundeskreis und von dessen Beziehungen zu seinen Verwandten. Brahms' Briefwechsel mit dem Kupferstecher und Biographen Anselm Feuerbachs, Julius Allgeyer (1828-1900), von A. Orel ediert38, umfagt 76 aus den Jahren 1855 bis 1895 stammende Briefe, deren wesentlichen Inhalt neben musikalischen und allgemein kiinstlerischen Fragen die gemeinsamen freundschaftlichen Beziehungen zu Anselm Feuerbach und Hermann Levi bilden. - Der von V. Pauls herausgegebene Briefwechsel von Brahms und dem Dichter Klaus Groth ist als wertvolle Ergainzung zu Groths 1897 ver6ffentlichten Erinnerungen an Johannes Brahms aufzufassen39. - Die von H.-P. Schanzlin 1966 und 1980 vorgelegten Briefe von Brahms sind an den mit ihm befreundeten Bankier Friedrich Riggenbach-Stehlin und dessen Frau gerichtet, deren Haus ein wichtiges Zentrum privater Musikpflege in Basel bildete. - Aufschlugtreich fiir Brahms' Verhdiltnis zu seinen Verwandten ist K. Stephensons erstmals 1933 unter dem Titel Johannes Brahms' Heimatbekenntnis in Briefen an seine Hamburger Verwandten publizierte Ausgabe, der er 1948 eine um 74 Briefe vermehrte zweite Auflage gleichen Titels folgen lieg. Beide Ausgaben enthalten nur

6 Diese Briefe wurden erstmals veroffentlicht von E. H. Miiller [von Asow], Zur Geschichte des Hauses Simrock, in: Simrock-Jb. 1 (1928), S. 13-15. 7 Brahms-Briefoechsel IX-XII (Berlin 1917-1919).

3 Man vgl. A. OREL, Johannes Brahms und Julius Allgeyer, in: Simrock-Jb. 1 (1928), S. 25-40, wo Orel einzelne Brahmssche Briefe im Auszug mitteilt. 3 K. GROTH, Erinnerungen an Brahms, in: Die Gegenwart (1897), Nr. 45-47.

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Brahms' Briefe, nicht auch die Gegenbriefe der Anverwandten, die K. Geiringer in seiner 1935 erschienenen Monographie in Auswahl vorlegte. In K. Stephensons 1973 herausgebrachter Publikation Johannes Brahms in seiner Familie, die gleich- sam eine dritte (stark erweiterte) Auflage darstellt, sind nunmehr die vorhandenen Nachlassenschaften in Hamburg (303 Dokumente) und in Wien (241 Schriftstiicke) zu einem allerdings nur liickenhaft iiberlieferten Briefwechsel zusammengefiigt worden. Ober die familiire Sphire hinaus vermitteln die Briefe, besonders die der Mutter, manche Einblicke in das Musikleben Hamburgs der 1850er und friihen 1860er Jahre. Ein weiterer in diesen Zusammenhang gehairender, von Brahms 1885 an seine Stiefmutter gerichteter Brief wurde 1981 von K. Hofmann ver6ffentlicht.

2. Erinnerungen and andere zeitgenbissische Dokumente

Johannes Brahms in Dokumenten zu Leben und Werk, zusammengestellt und hrsg. von W. Reich (Manesse-Bibliothek der Weltliteratur), (Ziirich 1975). - Musikerzieher von einst: Wie

gab Brahms der Tochter Schumanns Klavier-Unterricht? in: Musik im Unterricht 14 (1950), S. 116. - A. M. ABELL, Brahms, in: Talks with Great Composers (New York 1955), S. 1-80; deutsch als: Gespriiche mit beriihmten Komponisten. So entstanden ihre unsterblichen Meisterwerke (aus dem Engl. iibers. von C. Dehm), (Garmisch-Partenkirchen 1962; Eschwege 2/1973), S. 57-151. - H. VON BECKERATH, Erinnerungen an Johannes Brahms. Brahms und seine Krefelder Freunde, in: Die Heimat. Zeitschrift fiar Niederrheinische

Heimatpflege 29 (1958), S. 1-12. - A. DIEPENBROCK, 1898 [De Brahms-Herdenking te Amsterdam], in: Verzamelde Geschriften van Alphons Diepenbrock, hrsg. von E. Reeser in Zusammenarbeit mit T. Diepenbrock, (Utrecht-Briissel 1950), S. 314-318. - G. FOCK, Wie Frau Celestina Truxa mit Brahms bekannt wurde. Brahms als Hausgenosse, in: Brahms- Studien 3 (Hamburg 1979), S. 53-57 (mit kurzem Kommentar von K. Hofmann). - R. HEUBERGER, Erinnerungen an Johannes Brahms. Tagebuchnotizen aus den Jahren 1875 bis

1897, hrsg. von K. Hofmann (Tutzing 1971; 2/1976). - K. HOFMANN, Brahmsiana in der Familie Petersen. Erinnerungen und Briefe, in: Brahms-Studien 3 (Hamburg 1979), S. 69-105. - DERS., Johannes Brahms in den Erinnerungen von Richard Barth. Barths Wirken in Hamburg (Hamburg 1979). - A. von HUBAY, Minner om Brahms, in: Dansk

Musiktidsskrift 34 (1959), S. 91-94. - F. von KRAUS, Begegnungen mit Anton Bruckner, Johannes Brahms, Cosima Wagner. Aus den Lebenserinnerungen (1870-1937). Zusammen-

gestellt und ergdinzt von Felicitas von Kraus (Wien 1961). - J. MARX, Schine Wiener Tradition. Die Brahms-Jiinger Robert Fuchs, Eusebius Mandyczewski und Karl Prohaska, in:

J. MARX, Betrachtungen eines romantischen Realisten, hrsg. von 0. Ortner (Wien 1947), S. 351-356. - E. STARGARDT-WOLFF, Zusammensein mit Johannes Brahms, in: E. STARGARDT-WOLFF, Wegbereiter grofer Meister (Berlin-Wiesbaden 1954), S. 140-144. - C. POHLIG, Ein Besuch bei Johannes Brahms, in: Salve Hospes 10 (1960), S. 53-54. - E. RUDORFF, Johannes Brahms. Erinnerungen und Betrachtungen, in: SMZ 97 (1957), S. 81-86, 139-145, 182-187. - K. STEPHENSON, Johannes Brahms und die Familie von Beckerath. Mit unver6ffentlichten Brahmsbriefen [Tagebuch-Aufzeichnungen] und den Bildern und Skizzen von Willy von Beckerath. Hrsg. von der Brahms-Gesellschaft Baden- Baden (Hamburg 1979).

Grof? ist die Zahl von Erinnerungswerken an Brahms, die seit dessen Ableben

erschienen sind, teilweise an entlegener Stelle publiziert. Aber auch seit den 1950er Jahren sind einige Memoiren herausgegeben worden, denen mehr als nur anekdoti- sche Bedeutung zukommt. Die wesentlichste Publikation auf diesem Gebiet stellen die Erinnerungen des Wiener Komponisten und Musikkritikers Richard Heuberger

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 247

(1850-1914) dar, die nunmehr in einer weitgehend vollstaindigen Ausgabe von K. Hofmann vorgelegt werden konnten40. Diese griinden sich auf Notizen, die Heuberger nach eigener Angabe seit 1875 bis zu Brahms' Tode vornahm. Sie umfassen die Jahre 1867 bis 1884 und in ausfiihrlicherer Form den Zeitraum von 1885 bis 1897 sowie kiirzere Darstellungen iiber Brahms als Pianist und Brahms auf Landpartien und zusitzliche Tagebuchnotizen, die urspriinglich nicht zur Ver6ffent- lichung bestimmt waren. Brahms' zum Teil sehr kritische Einstellung iiber Zustinde seiner Zeit wird sichtbar. Vor allem wird die Kenntnis von Brahms' Anschauungen iiber Komponisten der Vergangenheit und seiner Gegenwart durch diese Publika- tion vertieft. - Weiterhin sind die Erinnerungen von Ernst Rudorff (1840-1916), dem Schumann-Epigonen und langjihrigen Leiter der Klavierklassen der Kbniglichen Hochschule fiir Musik in Berlin zu nennen. Bei aller Hochachtung, die Rudorff Brahms' Musik entgegenbrachte, sind dessen Erinnerungen doch vorwiegend als stark subjektiv gefairbte einseitige Mitteilungen eines Zeitgenossen zu betrachten, dem es beschieden war, stets nur im Schatten groger Komponisten zu stehen. Eine gewisse Ergdinzung zu anderen vorliegenden Erinnerungswerken bilden die Lebenserinnerungen des Sangers Felix von Kraus (1870-1937), vor allem an die letzten Lebensjahre von Brahms. Sie bezeugen vornehmlich Brahms' Aufgeschlos- senheit jungen Talenten gegeniiber, so angesichts des Autors dieser Erinnerungen oder etwa im Hinblick auf den jungen Geiger Bronislaw Huberman. - A. von Hubay, der Sohn von Jen{ Hubay, bringt Erinnerungen an das Hubay-Popper- Quartett in Budapest im Zusammenhang mit verschiedenen Auffiihrungen Brahms- scher Werke unter Mitwirkung des Komponisten41. - Die 1916 ffir private Zwecke unter dem Titel Meine Lebensgeschichte niedergeschriebenen Erinnerungen des Geigers, Dirigenten und Komponisten Richard Barth (1850-1923) sind als deutliche Bereicherung zu bestehenden Erinnerungswerken in Hinsicht auf Brahms aufzufas- sen. In der vorliegenden Ausgabe, bei der die familiiren Teile von Barths Niederschrift unberiicksichtigt blieben, wurden die von Brahms und Barth iiberlie- ferten Briefe in den Text chronologisch eingefiigt und Brahms' Autograph des ersten Satzes der Sonate fiir Violine und Pianoforte (op. 100), das der Komponist Barth 1892 dedizierte, im Faksimile wiedergegeben.

Weitere Erinnerungen und Dokumente stammen aus Brahms' Freundeskreis, so zwei Publikationen aus der Familie von Beckerath. Heinz von Beckerath stiitzt sich in seinen Erinnerungen auf schriftliche und miindliche Oberlieferungen seines Vaters, Alwin von Beckerath, und auf eigene Erlebnisse. Es werden Ausspriiche von Brahms iiberliefert, die Einblick in dessen kompositorische Absichten gewaihren. Auferdem wird wieder einmal deutlich, welchen besonderen Wert der Komponist auf die Art des Vortrags seiner Werke gelegt hat. H. von Beckeraths Schrift ist als wichtige Ergdinzung zu den aus diesem Kreise hervorgegangenen Erinnerungen von Rudolf von der Leyen (1905) und von Gustav Ophiils (1921) zu werten. In diesem

4o R. HEUBERGER, Erinnerungen an Johannes Brahms, in: Die Musik 2 (1902/03), S. 323-329. 41 Man vgl. J. HUBAY, Misserfolge. Erinnerungen an Brahms, in: Menschen und Menschenwerke II (Wien 1926), S. 146; weitere Erinnerungen in Ungarisch, in: A Zene (Budapest 1932/33), S. 199-202 und in: lj Id6bk (Budapest 1933), S. 582-583.

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148 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

Zusammenhang ist auch die von K. Stephenson vorgelegte Dokumentation iiber Brahms und die Familie von Beckerath zu nennen, die etwa Tagebuch-Aufzeichnun- gen aus den Jahren 1883/84 von Laura von Beckerath und die Abbildungen saimtlicher Brahms-Bilder und -Skizzen von Willy von Beckerath enthilt.

A. M. Abells auf Gesprichen mit Komponisten basierende U.berlieferungen sind, soweit sie Brahms angehen, aus verschiedenen Griinden als fragwiirdig zu betrachten. Schon die aiuBeren Umstinde der Begegnung von Brahms und Joachim im Spaitherbst 1896 sind bei Abell villig unzutreffend dargestellt. Nachweislich war Joachim mit seinem Quartett nur ganz kurz um den 10. Dezember 1896 zu Konzerten in Wien. Er traf sich mit Brahms nicht in dessen Wohnung, sondern Brahms kam zu ihm zu einer Probe ins Hotel. Brahms litt damals bereits an seiner Todeskrankheit. Er befand sich in einem leidenden Zustand, seine Gesichtsfarbe war dunkelgelb, seine Physiognomie schon stark veraindert. Von all' dem ist bei Abell nichts gesagt. Was jedoch noch mehr ins Gewicht f illt, ist, daf die von Abell Brahms in den Mund gelegten Ausspriiche weder in der Diktion noch in der

Geisteshaltung irgend etwas mit sonst von Brahms authentisch iiberlieferten

Aussagen, etwa in Briefen oder auch in Erinnerungen von Zeitgenossen, gemein haben. Abells Aufzeichnungen lassen aus den genannten Griinden, die sich im einzelnen noch sehr viel eingehender darlegen lieBen, zumindest Zweifel an der

Authentizitdit des im Spaitherbst 1896 aufgenommenen Gespraichs mit Brahms und

Joachim aufkommen.

B. Das Werk

I. Quellen und Ihre Glberlieferung

1. Verzeichnisse und Quellen-Nachweise The N. Simrock Thematic Catalog of the Works of Johannes Brahms [Thematisches

Verzeichniss saimmtlicher im Druck erschienenen Werke von Johannes Brahms]. New Introduction, including Addenda and Corrigenda by D. M. McCorkle (Da Capo Press Music

Reprint Series), (New York 1973). - Thematic Catalog of the Collected Works of Brahms.

Enlarged Ed. Ed. with Foreword by J. Braunstein (New York 1956). - Thematisches Verzeichniss siimmtlicher im Druck erschienenen Werke von Johannes Brahms. Nebst

systematischem Verzeichniss und Register. Neue vermehrte Ausg. Unverdind. Neudruck der

Ausg. von 1910 (S indig-Reprint), (Walluf, Nendeln 1975). - Katalog No. 100 (Musikanti-

quariat Hans Schneider Tutzing) Johannes Brahms. Leben und Werk. Seine Freunde und seine Zeit (Tutzing 1964). - Katalog des Archivs fiir Photogramme Musikalischer Meister-

handschriften. Widmung Anthony van Hoboken, Teil 1. Bearb. von A. Ziffer (Museion Ver6ffentlichungen der Osterreichischen Nationalbibliothek, Neue Folge. Hrsg. von der Generaldirektion, 3. Reihe: Ver6ffentlichungen der Musiksammlung, 3), (Wien 1967); zu Brahms: S. 95-115 (Nr. 620-735). - The Mary Flagler Cary Music Collection. Printed Books and Music Manuscripts. Autograph Letters. Documents. Portraits. (Compiled by O. E.

Albrecht, H. Cahoon, and D. C. Ewing), (New York 1970); zu Brahms: S. 19-21, 59; Faksimile XII-XIV. - O. E. ALBRECHT, A Census of Autograph Manuscripts of European

Composers in American Libraries (Philadelphia 1953); zu Brahms: S. 49-67 (Nr. 334-422); 2. Aufl. in Vorb.- O. BIBA, Haydn-Abschriften von Johannes Brahms, in: Haydn-Studien 4

(1978), S. 119-122. - P. DEDEL, Johannes Brahms: A Guide to his Autograph in Facsimile

(MLA Index and Bibliography, Series 18), (Ann Arbor 1978). - H. S. DRINKER, Texts of the Vocal Works of Johannes Brahms in English Translation (New York 1945).- R. ELVERS, Die

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 149

Brahms-Autographen in der Musikabteilung der Staatsbibliothek Preuj3ischer Kulturbesitz, Berlin, in: Brahms-Studien 2 (Hamburg 1977), S. 79-83. - V. L. HANCOCK, Sources of Brahms's Manuscript Copies of Early Music in the Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, in: FAM 24 (1977), S. 113-121. - K. HOFMANN, Die Bibliothek von Johannes Brahms. Biicher- und Musikalienverzeichnis (Schriftenreihe zur Musik), (Hamburg 1974). - DERS., Die Erstdrucke der Werke von Johannes Brahms. Bibliographie. Mit Wiedergabe von 209 Titelblittern (Musikbibliographische Arbeiten, 2), (Tutzing 1975). - M. L. McCORKLE, Die erhaltenen Quellen der Werke von Johannes Brahms. Autographe. Abschriften. Korrekturabziige, in: Musik. Edition. Interpretation. Gedenkschrift Giinter Henle, hrsg. von M. Bente (Miinchen 1980), S. 338-354; hierzu: Addenda. Corrigenda. Bibliothekssigel als gedruckte Beilage; Addenda. Corrigenda, zu Addenda (gedruckte Beilage), (mschr.). - E. MAIER, Die Brahms-Autographen der Osterreichischen Nationalbibliothek, in: Brahms- Studien 3 (Hamburg 1979), S. 7-34. - T. SEEBASS, Musikhandschriften in Basel aus verschiedenen Sammlungen. Ausstellung im Kunstmuseum Basel vom 31. Mai bis zum 13. Juli 1975 (Basel 1975), S. 68-70. - J. R. TURNER, Nineteenth-Century Autograph Music Manuscripts in the Pierpont Morgan Library (New York): A Check List (I), in: 19th Century Music 4 (1980/81), S. 49-69. - E. N. WATERS, The Music Collection of the Heineman Foundation, in: Notes 7 (1949/50), S. 181-216; zu Brahms: S. 187-188, Faksimile des ,,Benedictus", S. 199-200. - DERS., Harvest of the Year. Selected Acquisitions of the Music Division, in: The Quarterly Journal of the Library of Congress 24 (1967), S. 46-82.

Die Thematischen Verzeichnisse des Verlages Simrock in den Ausgaben von 1897, 1907 und 1910 wurden seit 1956 nachgedruckt, wobei die Ausgaben von 1897 und 1907 jeweils entsprechend dem Stand der Kenntnis Brahmsscher Werke in erweiterter Form herausgegeben wurden. J. Braunstein veroffentlichte 1956 Sim- rocks Ausgabe von 1907, in die er verschiedene in der Zwischenzeit neu vorgelegte Brahmssche Werke nach dem Thematischen Verzeichnis von A. von Ehrmann (1933) iibernahm42 und auIferdem die seit der Herausgabe der Brahms-Gesamtaus- gabe veribffentlichten Kompositionen, so die Ophelia-Lieder, Brahms' Orchesterbe- arbeitungen einer Gruppe der Liebeslieder. Walzer aus op. 52 und 65 und von vier Schubert-Liedern, das Klavier-Trio in A-dur sowie das Benedictus aus der Kanonischen Messe mit ihren Incipits einbezog. Demgegeniiber brachte D. M. McCorkle Simrocks Verzeichnis vom Jahre 1897 heraus, dem er einen umfangrei- chen Einleitungsteil (mit Addenda und Corrigenda und Obersichten fiber posthum erschienene Werke, zweifelhafte Werke, Bearbeitungen und Editionen von Werken anderer Komponisten und eine Auswahl-Bibliographie) vorausschickte. - 1975 gab K. Hofmann ein Verzeichnis der Erstdrucke Brahmsscher Werke mit 209 Abbildun- gen von Titelbl1ittern heraus, wobei er keine weiteren Differenzierungen innerhalb dieser Kategorie von Drucken vornahm. Diese Dokumentation bildet eine willkom- mene Ergainzung zu O. E. Deutschs grundlegender bibliographischer Studie iiber die Erstausgaben von Brahms43 und ist zugleich als eine wichtige Vorarbeit fiir ein von Grund auf neu zu erstellendes ,,Thematisches Verzeichnis der Brahmsschen Werke" zu verstehen. - Ein Verzeichnis der Texte von Brahms' Vokalwerken in englischer Obersetzung legte H. S. Drinker 1945 in einem Privatdruck in der heute

42 A. von EHRMANN, Johannes Brahms. Thematisches Verzeichnis seiner Werke. Ergiinzung zu Johannes Brahms. Weg, Werk und Welt (Leipzig 1933), S. 161-165. 43 O. E. DEUTSCH, The First Editions of Brahms, in: MR 1 (1940), S. 123-143, 255-278.

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Page 21: Zum Stand der Brahms-Forschung

150 1. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

weithin fiberholten Meinung vor, dait Gesiinge in der Sprache des Sdingers und des

Konzertpublikums vorzutragen seien, was indes die Niitzlichkeit einer solchen Obersicht in keiner Weise schmailert.

An Quellen-Nachweisen liegen verschiedene Kataloge und Obersichten vor. Zahlreiche Handschriften von Brahms wechselten seit dem Erscheinen von A. von Ehrmanns Thematischem Verzeichnis (1933) mit etwa 150 Fundortangaben nach- weislich den Besitzer, teilweise auch mehrfach, oder sind derzeit fiberhaupt nicht eruierbar. Licht in die Besitzverhdiltnisse in den Vereinigten Staaten von Nordame- rika, gerade auch im Falle von Brahms, brachte der 1953 erschienene Census von 0. E. Albrecht. Seit dessen Herausgabe haben fiinfzehn der dort verzeichneten

Brahms-Autographen ihren Fundort geindert. Bekannte Autographe sind aus der Neuen Welt nach Europa zuriickgekehrt, so etwa das Zweite Klavierkonzert (op. 83), das sich, wie schon erwihnt, in Hamburg befindet. Eine zweite Auflage dieses

wichtigen Verzeichnisses wird seit vielen Jahren von 0. E. Albrecht vorbereitet. - E. N. Waters nennt 1967 unter den Neuerwerbungen fiir die Musikabteilung der

Library of Congress in Washington auch Musik- wie Brief-Autographe Brahms'. - Hierher gehort weiterhin der 1967 von A. Ziffer zusammengestellte Katalog des von H. Schenker initiierten und von A. van Hoboken 1927 begriindeten und in der

Musiksammlung der Osterreichischen Nationalbibliothek, Wien, errichteten Photo-

gramm-Archivs mit Photokopien (Photostates) von seinerzeit zughinglichen Auto-

graphen bedeutender Komponisten, das 1957 von Hoboken dieser Bibliothek dediziert wurde. Der Fundus dieser hauptsichlich vor 1938 angelegten Sammlung von Photokopien umfatIt Briefe und Widmungsblitter, Sammelhandschriften, Skizzen, Entwiirfe, Vokal- und Instrumentalwerke von Brahms sowie Abschriften und Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten, wobei eine gr6iere Reihe von Handschriften heute nicht mehr nachweisbar ist. - Der 1970 herausgebrachte Katalog der Mary Flagler Cary Music Collection, die in der Pierpont Morgan Library, New York, aufbewahrt wird, weist verschiedene Autographe Brahmsscher

Lieder, der Saitze II bis IV der Ersten Symphonie (op. 68) und einiger Briefe auf. -

Auch der von T. Seebass 1975 herausgegebene Ausstellungskatalog Musikhand-

schriften in Basel f6rderte weitere Autographe Brahmsscher Werke aus Privatbesitz

zutage, so die der Friihfassung von Brahms' Klaviertrio in H-dur (op. 8) und seines

Wiegenliedes (op. 49, 2). - Mit Obersichten von Bestdinden an Brahms-Autographen bedeutender Musikabteilungen grofter Bibliotheken wurde 1977 in den Brahms- Studien (Hamburg) begonnen. R. Elvers beschreibt die Besthinde an Musik- und

Brief-Autographen, die sich heute in der Musikabteilung der Staatsbibliothek

Preutiischer Kulturbesitz (Berlin West) befinden. Wenn es sich hierbei auch um eine

vergleichsweise geringe Zahl musikalischer Autographe des Meisters handelt, die von 1907 (Nachlafg J. Joachim) bis 1971 erworben wurden, so doch um einige bedeutende Stiicke, etwa die autographe Solo-Violinstimme von Brahms' Violin- konzert (op. 77) mit Eintragungen Joachims, die den ersten Satz und zwei Seiten des Finalsatzes enthilt, oder die Nummern 2, 3 und 6 aus den Klavierstiicken (op. 118). Unter den Brief-Autographen stellen den grbtiten Komplex 321 Briefe und Postkar- ten an Robert, Clara, Marie und Eugenie Schumann dar. - Zum andern liegt ein

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 151

Bericht der in der Musiksammlung der Osterreichischen Nationalbibliothek, Wien, vorhandenen Brahmsschen Autographen von E. Maier vor, unter denen sich auch bisher unver6ffentlichte Briefe befinden. Weitere Folgen sind in Aussicht gestellt. - Ein Verzeichnis der in Faksimile iiberlieferten Autographe legte P. Dedel 1978 vor. Es ist nach Werken mit und ohne Opus-Zahl (etwa Kadenzen, Kanons, Orgelfugen, Ungarische Tinze etc.), Bearbeitungen, Kopien, Exzerpten und Transkriptionen von Werken anderer Komponisten sowie nach datierten und undatierten Briefen angelegt und mit den erforderlichen Registern ausgestattet. - 1980 stellte J. R. Turner die nunmehr in der Pierpont Morgan Library, New York, vorhandenen autographen Musik-Handschriften aus dem 19. Jahrhundert aus den Sammlungen von Cary, Heineman, iiber die 1949 E. N. Waters unter Beilage des Faksimile des Benedictus aus Brahms' Kanonischer Messe berichtet hatte, Lehman und Lehman Deposit vor, darunter bedeutende Manuskripte von Brahms, etwa verschiedener Lieder und der Partitur der Zweiten Symphonie (op. 73). - Ein auf den neuesten Stand der Quellenlage gebrachter Oberblick von Quellen Brahmsscher Werke auf internationaler Basis vom Jahre 1980 stammt von M. L. McCorkle, dem noch zwei Supplemente folgten. In diese Aufstellung wurden Autographe, Teilautographe, Abschriften, Korrekturabziige, Drucke (mit autographen Korrekturen) und Stich- vorlagen aufgenommen. - Mit den Bestinden von Brahms' Bibliothek sind drei Verzeichnisse befaIt. Einen orientierenden Oberblick gibt K. Hofmanns Katalog, der 856 Nummern umfagt, von denen die meisten Bdinde in der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien, aufbewahrt werden, aber auch andere derzeitige Besitzer genannt werden. Neben musikhistorischen, musiktheoretischen und biographi- schen Werken sind vor allem Autoren literarischer Werke vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, die Gebiete der Geschichte, der Sch6nen Kiinste und der Philoso- phie vertreten, ferner Musikausgaben, die summarisch aufgefiihrt werden. - Einen Oberblick iiber die Brahms' Abschriften ilterer Werke zugrundeliegenden Quellen gibt V. L. Hancock. - Eine Obersicht fiber die von Brahms vorgenommenen Studienabschriften Haydnscher Werke legt 0. Biba vor. Unter diesen befindet sich auch die Vorlage zu Brahms' Haydn- Variationen (op. 56a und b).

2. Ausgaben a) Erstausgaben

Kleine Stiicke fiir Klavier. Erstdruck. Sarabande und Gavotte. Klavierstiick. Kanon (hrsg. von) R. Pascall (Diletto musicale 819), (Wien, Miinchen 1979). - Fiinf Ophelia-Lieder fiir eine Sopranstimme und Klavierbegleitung, hrsg. von K. Geiringer (Wien 1960), deutsche Erstausgabe; zuerst gedruckt als: Five Songs of Ophelia (Ophelia's Lieder) To Poems from Shakespeare's ,,Hamlet" with English and German Words. Ed. by K. Geiringer (New York 1935); nachgedruckt als: Fiinf Ophelia-Lieder fair eine Singstimme und Klavier (1873), hrsg. von G. Sievers (Edition Breitkopf 6332), (Wiesbaden 1961). - Volkslieder fiir Frauenstimmen, hrsg. von S. Kross (Der Chorsinger, Biirenreiter-Ausgabe 3175), (Kassel 1965). - Folk Songs for Women's Voices. Arranged by Johannes Brahms. Ed. by V. Gotwals and Ph. Keppler (Smith College Music Archives 15), (Northampton, Mass. 1968); teilweise nachgedruckt in: Volksliedbearbeitungen fiar Frauenchor, hrsg. von S. Helms (Das 19. Jahrhundert, 19 302), (Kassel 1970). - Hymne zur Verherrlichung des grof3en Joachim. Walzer fiar zwei Violinen und Kontrabaj3 oder Violoncello. Erstausg., hrsg. von K. Stahmer (Hamburg 1976); in

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Dinisch als: K. STAHMER, En musikalsk Spog, in: Musik 3 (1969), S. 3-5 (Faksimile). - Souvenir de la Russie. Transcriptions en forme de Fantaisies sur des Airs russes et bohemiens composees pour le Piano di quatre Mains par G. W. Marks. Op. 151 (hrsg. von K. Hofmann), (Hamburg 1971).

Bei den Erstausgaben Brahmsscher Werke handelt es sich in der Hauptsache um unverbffentlichte Gelegenheitskompositionen und Bearbeitungen, die das Bild vom

Komponisten Brahms in dieser Richtung abrunden. Die mit Brahms' Namen

ausgestattete Ausgabe der vermutlich vom jungen Brahms im Auftrag des

Hamburger Verlegers A. Cranz bearbeiteten und von diesem unter dem Pseudonym G. W. Marks ver6ffentlichten Sammlung Souvenir de la Russie (Opus 151), von der sich ein Exemplar in Brahms' Nachlaf fand, besteht aus sechs Fantasien iiber vier russische und zwei b6hmische Lieder fiir Klavier zu viet Hainden. Daft es sich hier um ein Beispiel der von Brahms fiir Cranz gefertigten Arrangements handelt, liegt nahe, a1itt sich jedoch nicht mit letzter Bestimmtheit erhdirten.

Die von Brahms w~ihrend des G6ttinger Sommers im Jahre 1853 verfatte Hymne zur Verherrlichung des grof3en Joachim, eine mit Bleistift niedergeschriebene Partiturskizze fir zwei Violinen und Kontrabaft, ist eine humorvolle Gelegenheits- komposition, die - aus der Familie Joachim iiberliefert - heute im Brahms-Archiv der Staats- und Universititsbibliothek Hamburg aufbewahrt wird. Der von K.

Stahmer, der die Komposition ffir den praktischen Gebrauch einrichtete, im Vorwort

angeffihrte Ausspruch von Brahms, dat dieser damals iiber Musik ,,chaotisch schwiirmte", bezieht sich nicht auf den Gbttinger Sommer von 1853, sondern auf

Joachims am 11. Mirz 1848 in Hamburg gegebenes Konzert, bei dem ihn Brahms als 14jihriger erstmals mit Beethovens Violinkonzert h6rte.

Die von R. Pascall herausgegebenen Kleinen Stiicke ffir Klavier bestehen aus dem

separaten Abdruck von drei T?inzen (der bekannten Sarabande vom Jahre 1855 in einer friiheren Fassung und zwei Gavotten nach einem im Photogramm-Archiv, Wien, nachweisbaren Autograph), die Pascall erstmals im Rahmen eines Aufsatzes 1976 vorgelegt hatte"44, aufterdem aus einem Klavierstiick, bei dem ungeklairt bleibt, ob es sich um ein Fragment oder um ein vollstindiges Stiick handelt, und aus einem

Kanon, den Brahms unter eine mit Mai 1864 datierte Bild-Widmung notiert hatte

(Philharmoniker-Archiv, Wien), der jedoch keinen Hinweis auf seine instrumentale

Besetzung enthilt. Weitere Ausgaben haingen mit den Volksliedern, die Brahms in den Jahren 1859

bis 1861 fuir den von ihm geleiteten Hamburger Frauenchor setzte, zusammen. Bei den von S. Kross 1965 herausgegebenen Volksliedern fiir Frauenstimmen handelt es sich um die separate Ver6ffentlichung von 13 Saitzen, die Kross aus dem Nachlagi der Schwestern V61ckers erstmals im Rahmen seines 1964 zu diesem Thema verbffentlichten Aufsatzes abdruckte45. - Die von V. Gotwals und Ph. Keppler 1968

vorgelegte Ausgabe basiert auf der Sammlung von Stimmheften von H. S. und S. Drinker, die sich urspriinglich im Besitz von Mitgliedern von Brahms' Hamburger

44 R. PASCALL, Unknown Gavottes by Brahms, in: ML 57 (1976), S. 404-411.

45 S. KROSS, Brahmsiana. Der Nachlagf der Schwestern Vilckers, in: Mf 17 (1964), S. 137-151.

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 153

Frauenchor befunden hatten und die S. Drinker 1965 der Smith College Library Northampton, Massachusetts, iiberlietf. Die Ausgabe umfaftt 28 Saitze, von denen zehn fiber Volkslieder gesetzt sind, die bisher bei Brahms nicht begegneten, wihrend die iibrigen Liedsitze durch andere Brahmssche Bearbeitungen bekannt sind. Die Herausgeber legten die Saitze in moderner Orthographie vor und gaben jeweils den am hiufigsten auftretenden Fassungen den Vorzug, auch etwa hinsichtlich von Vortragsbezeichnungen. Ein kritischer Bericht fehlt.

Schlieftlich sei noch auf K. Geiringers deutsche Erstausgabe der Ophelia-Lieder (Shakespeare, Hamlet, Akt IV, Szene 5), die dessen 1935 in Europa kaum bekannt gewordener amerikanischer Erstausgabe 1960 folgte, hingewiesen. Die Lieder, die Brahms auf die Bitte des mit ihm seit den 1860er Jahren befreundeten Wiener Burgschauspielers Josef Lewinsky hin fiir dessen damalige Braut und spitere zweite Frau Olga Precheisen 1873 komponierte und die erstmals am 22. Dezember 1873

anl1iilich einer Auffiihrung des Hamlet im Deutschen Landestheater zu Prag (mit Lewinsky in der Titelrolle und Olga Precheisen als Ophelia) gesungen wurden, hat der Komponist nicht drucken lassen. Die von ihm zum Einstudieren der Lieder

beigefiigte Klavierbegleitung erm6glicht zugleich eine vom Drama unabhingige Auffiihrung im Konzertsaal.

b) Facsimilia Trio fair Pianoforte, Clarinette und Violoncell, opus 114. Faksimile des Autographs und

Werkbericht von A. Ott (Tutzing & Miinchen 1958). - Variations and Fugue on a Theme by Handel, Op. 24. Variations for Piano four Hands, Op. 23. Arrangement from the Sextet Op. 18. Symphony Nr. 3, Op. 90o (Faksimile-Ausg.), (New York 1967). - Ihr habt nun Traurigkeit. 5. Satz aus dem Deutschen Requiem. Faksimile der ersten Niederschrift mit Einleitung von F. Grasberger (Tutzing 1968). - Wiegenlied, in: F. GRASBERGER, Kostbarkeiten der Musik. Band 1: Das Lied. Mit Faksimile der Handschriften (Miinchen-Tutzing 1968), S. 135-159. - Sarabande in h-moll fiir Klavier in der Hamburger Urschrift von 1855. Aus dem Johannes Brahms Archiv der Staats- und Universittits-Bibliothek Hamburg. Faksimile (kommentiert von K. Stephenson), (Hamburg 1972); zuerst publiziert in: K. STEPHENSON, Johannes Brahms und Georg Dietrich Otten (Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962).- 4. Symphonie in e- moll, op. 98. Faksimile des autographen Manuskripts aus dem Besitz der Allgemeinen Musikgesellschaft Ziirich. Einleitung von G. Birkner (Adliswil-Ziirich 1974). - Intermezzi, opus 119 Nr. 2 und 3. Faksimile des Autographs. Mit einem Nachwort von F. G. Zeileis (Tutzing 1975). - Concerto for Violin, Op. 77 by Johannes Brahms. A Facsimile of the Holograph Score. With an Introduction by Y. Menuhin and a Foreword by J. Newsom (Library of Congress), (Washington 1979).

Seit Ende der 1950er Jahre ist eine Reihe vorbildlich ausgestatteter, zumeist mit mehr oder weniger ausfiihrlichen Vorworten versehener Faksimile-Ausgaben von Autographen bedeutender Brahmsscher Werke vorgelegt worden. Das von A. Ott herausgegebene Faksimile des Klarinetten-Trios (op. 114) ist mit einem umfangrei- chen Vorwort ausgestattet, das einen Bericht iiber die Entstehung des Werkes an Hand von Brahms' Briefwechsel, eine Analyse unter besonderer Betonung der allen Sitzen gemeinsamen Grundelemente, eine kurze Beschreibung der Handschrift und einen Vergleich zwischen Autograph und Druckausgabe aufweist. - In seiner Faksimile-Ausgabe des V. Satzes aus dem Deutschen Requiem (op. 45) ,,Ihr habt

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nun Traurigkeit", bei der es sich um den Klavierauszug des Satzes handelt, geht F.

Grasberger in einer ausfiihrlichen Einleitung auf die Entstehungsgeschichte dieses Werkes, besonders im Hinblick auf diesen V. (nachkomponierten) Satz, ein. Er vertritt die Auffassung, datg es sich bei diesem nicht um einen nach der Vollendung des Werkes nachtraiglich geschaffenen Teil handele, sondern datg dieser Satz von vornherein aus Griinden der Symmetrie vom Komponisten im Gesamtplan des Werkes vorgesehen gewesen sei, aber bis zur Fertigstellung eines liingeren Reifeprozesses bedurfte. Eine solche Anschauung, die bisher noch nicht in dieser Entschiedenheit vertreten wurde, scheint durchaus iiberzeugend, wenn sie auch nicht - und vielleicht auch nie - restlos zu belegen ist, da die iiberlieferten Quellen eine solche Annahme nicht vollkommen zu verbiirgen verm6gen. - Die von K.

Stephenson im Faksimile vorgelegte Sarabande in h-moll, Brahms' Dedikations-

exemplar an die Frau des Hamburger Dirigenten und Konzertveranstalters Georg Dietrich Otten vom Dezember 1855, stellt die endgiiltige Fassung dieses Stiickes dar. - Schlieglich wurden zwei der wichtigsten Brahmsschen Autographe im Verlauf der 70er Jahre im Faksimile herausgebracht, das der Vierten Symphonie (op. 98) und das des Violinkonzerts (op. 77). In dem knapp gefasten Vorwort zur

Ausgabe der Vierten Symphonie beriihrt G. Birkner die Herkunft des Autographs, das 1906 von der Tonhalle-Gesellschaft, Ziirich, erworben wurde, die es ihrem

Dirigenten Friedrich Hegar, einem Freund von Brahms, zu dessen Riicktritt von der

Leitung der Abonnements-Konzerte zum Geschenk machte, und das 1927 von

Hegars Witwe der Allgemeinen Musikgesellschaft in Ziirich geschenkt wurde, in deren Besitz es sich, als Depositum in der Zentralbibliothek Ziirich aufbewahrt, befindet. Hieraus ist zu folgern, datg die Handschrift, die Brahms als Stichvorlage benutzte, als solche nach der Drucklegung im Besitz des Verlages Simrock verblieb und von diesem bereits neun Jahre nach Brahms' Tod verdiu1ert wurde. In einer kurzen Beschreibung der Handschrift wird auf deren besondere Eigentiimlichkeiten, etwa auch auf die nachtrdigliche Eintragung von Brahms' erster Korrektur von

Verlagsseite, aufmerksam gemacht. DaB Brahms dieses Autograph als Dirigier- Partitur benutzt hat, ist nicht nur ,,wahrscheinlich", sondern sicher. Damit hdingen vor allem die mit ,,relativ dickem Bleistift" vorgenommenen Eintragungen dynami- scher Bezeichnungen zusammen, die daher weniger als ,,Uberarbeitung vor allem der Dynamik" in einer zweiten Phase der Niederschrift aufzufassen sind und etwa auch agogische Hinweise betreffen46. - Zum 100jiihrigen Jubilium von Brahms' Violinkonzert (op. 77) brachte die Library of Congress in Washington das ihr 1948 von Fritz Kreisler dedizierte Autograph in einer ausgezeichneten vielfarbigen Faksimile-Ausgabe heraus. Waihrend J. Newsom in seinem Vorwort vor allem die

Entstehungsgeschichte des Werkes an Hand der Korrespondenz von Brahms und

Joachim zusammenfagt, geht Y. Menuhin in seiner Einleitung auf das Zusammen-

wirken von Brahms und Joachim bei dieser Komposition ein, wobei er den Anteil

Joachims sichtlich iiberbewertet. Auch zeigt sich eine gewisse Unsicherheit in der

46 Man vgl. I. FELLINGER, Tendencies in Brahms's Compositional Process (International Brahms Congress Detroit 1980).

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 155

Zuweisung der im Autograph in sechs verschiedenen Farben vorgenommenen Einzeichnungen und Korrekturen. So halt Menuhin etwa die Anderungen dynami- scher Bezeichnungen ffr Joachims Handschrift, wdihrend es sich um jene von Brahms handelt. Andere Eintraige, so die in R6tel- und Blaustift vorgenommenen, werden als ,,wahrscheinlich" (,,probably") von Brahms herriihrend bezeichnet,

wihrend sie mit Sicherheit vom Komponisten stammen. Ohne Zweifel wird diese Faksimile-Ausgabe dazu verhelfen, die Erkenntnis von Brahms' Schaffensprozefi zu f6rdern und zur Klirung weiterer mit diesem Werk und dessen Entstehung zusammenhingender Fragen beizutragen.

3. Abhandlungen zur Quelleniiberlieferung und zum Schaffensprozef3 J. A. BERNSTEIN, An Autograph of the Brahms ,,Handel Variations", in: MR 34 (1973),

S. 272-281. - G. S. BOZARTH, The ,,Lieder" of Johannes Brahms - 1868-1871: Studies in Chronology and Compositional Process (Diss. Princeton Univ. 1978). - DERS., The Liederjahr of 1869. Brahms Research and Modern Musicology (International Brahms Congress Detroit 1980). - G. von DADELSEN, Die ,,Fassung letzter Hand" in der Musik, in: AMI 33 (1961), S. 1-14. - I. FELLINGER, Zur Entstehung der ,,Regenlieder" von Brahms, in: Fs. Walter Gerstenberg zum 6o. Geburtstag (Wolfenbiittel und Ziirich 1964), S. 55-58. - DIES., Brahms' Sonate fiar Pianoforte und Violine op. 78. Ein Beitrag zum Schaffensprozef des Meisters, in: Mf 18 (1965), S. 11-24. - DIES., Tendencies in Brahms's Compositional Process (International Brahms Congress Detroit 1980). - DIES., Unbekannte Korrekturen in Brahms' Motette ,,Warum ist das Licht gegeben dem Miihseligen ?" (Op. 74, I), in: Logos Musicae. Fs. fiar Albert Palm (Wiesbaden 1982), S. 83-89. - E. F. FLINDELL, Ursprung und Geschichte der Sammlung Wittgenstein im 19. Jahrhundert, in: Mf 22 (1969), S. 298-314. - O. GOLDHAMMER, Liszt, Brahms und Reminyi, in: StMl 5 (1963), S. 89-100. - F. GRASBERGER, Tradition in schbpferischer Sicht. Zur Arbeitsweise von Johannes Brahms, in: OMZ 22 (1967), S. 319-324. - E. HERTTRICH, Johannes Brahms - Klaviertrio H-dur op. 8, Friihfassung und Splitfassung - ein analytischer Vergleich, in: Musik. Edition. Interpretation. Gedenkschrift fiir Giinter Henle (Miinchen 1980), S. 218-236. - O. JONAS, Adventures with Manuscripts, in: Notes 3 (1945/46), S. 135-145. - DERS., Die ,,Variationen fiir eine liebe Freundin" von Johannes Brahms, in: AfMw 12 (1955), S. 319-326. - DERS., Brahmsiana, in: Mf 11 (1958), S. 286-293. - DERS., Eine private Brahms-Sammlung und ihre Bedeutung fiir die Brahms-Werkstatt-Erkenntnis, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kassel etc. 1963), S. 212-215. - D. KAMPER, Ein unbekanntes Brahms- Studienblatt aus dem Briefwechsel mit Franz Wiillner, in: Mf 17 (1964), S. 57-60. - W. KLENZ, Brahms, op. 38; Piracy, Pillage, Plagiarism or Parody? in: MR 34 (1973), S. 39-50. - S. KROSS, Brahmsiana. Der Nachlap der Schwestern Vblckers, in: Mf 17 (1964), S. 110-151. - D. M. McCORKLE, Five Fundamental Obstacles in Brahms Source Research, in: AMI 48 (1976), S. 253-272. - P. MIES, Notation und Herausgabe bei einigen Werken von W. A. Mozart, Franz Schubert und Johannes Brahms, in: Fs. Joseph Schmidt-Gbrg (Bonn 1957), S. 213-223, iiber Brahms: S. 219-223. - S. T. M. NEWMAN, The Slow Movement of Brahms' First Symphony. A reconstruction of the version first performed prior to publication, in: MR 9 (1948), S. 4-12. - R. PASCALL, Unknown Gavottes by Brahms, in: ML 57 (1976), S. 404-411. - DERS., Brahms's First Symphony Slow Movement. The Initial Performing Version, in: MT 122 (1981), S. 664-665, 667. - M. RUDOLF, A Recently Discovered Composer-Annotated Score of the Brahms ,,Requiem", in: Bach 7 (1976), No. 4, S. 2-13; Ergiinzungen in: Bach 8 (1977), No. 3, S. 32-33. - B. SCHWARZ, Joachim and the Genesis of Brahms's Violin Concerto (International Brahms Congress Detroit 1980). - K. STEPHEN- SON, Der junge Brahms und Reminyis ,,Ungarische Lieder", in: Fs. fiir Erich Schenk =

StMw 25 (1962), S. 520-531.- S. TESTA, A Holograph of Johannes Brahms's Fugue in A-flat

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Page 27: Zum Stand der Brahms-Forschung

156 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

minor for Organ, in: Current Musicology 19 (1975), S. 89-102. - J. WEBSTER, The C sharp minor Version of Brahms's op. 6o, in: MT 121 (1980), S. 89-93. - G. WEISS-AIGNER, Komponist und Geiger. Joseph Joachims Mitarbeit am Violinkonzert von Johannes Brahms, in: NZfM 135 (1974), S. 232-236. - F. G. ZEILEIS, Two Manuscript Sources of Brahms's German Requiem, in: ML 60 (1979), S. 149-155.

Innerhalb der Brahms-Forschung hat sich in der Frage der Quellen-Oberlieferung

allmaihlich ein stirkeres Bewugttsein fiir die im Rahmen der Erforschung von

Grundlagen zu Brahms' Werken bestehenden Liicken und fiir das hieraus zu

folgernde Ausma. der noch anstehenden und damit auch zu bewailtigenden Aufgaben herausgebildet. Doch darf auf der anderen Seite nicht iibersehen werden,

dat eine ganze Reihe von Abhandlungen zu geschlossenen Sammlungen, zu

Einzelphainomenen verschiedener Handschriften und zu prinzipiellen Fragen des

Schaffensprozesses, zu neu aufgefundenen Quellen und zu Werkgruppen, gerade auch hinsichtlich von Fragen der Datierung und Chronologie, zur Erkenntnis von

Brahms' Schaffensproze1 und damit vielfach auch zur Erhellung der Quellen- Situation beigetragen hat.

Zu grundsditzlichen Fragen der Quellen-Oberlieferung nahm D. M. McCorkle 1976 ausfiihrlich in dieser Zeitschrift Stellung. Als unzureichend benannte er in dieser Beziehung mit vollem Recht, aber doch als bekannt vorauszusetzende

Tatsachen, Kalbecks Biographie iiber Brahms, den bisher vorliegenden Brahms- Briefwechsel und die Gesamtausgabe der Brahmsschen Werke sowie das Zuriick- halten von Quellen durch den Komponisten, die komplizierte Situation der

Originaldrucke und die Schwierigkeit im Auffinden von Quellen im Falle von

Brahms, die iiber die ganze Welt verstreut sind, oft auch an schwer oder iiberhaupt nicht zuginglicher Stelle aufbewahrt werden und vielfach auch durch den Gang der

Zeitlaiufte gar nicht mehr nachweisbar sind. Detaillierte Beschreibungen geschlossener Sammlungen stammen von S. Kross

und E. F. Flindell. S. Kross berichtet eingehend iiber den Nachlat der Schwestern

V1lckers, die zum engeren Kreis von Brahms' Hamburger Frauenchor in den Jahren 1859 bis 1861 gehbirten. Im einzelnen enthailt der Nachlat3, der einige Einbuten erlitten hat und zu dem etwa auch Autographen von Max Bruch, Clara Schumann,

Joseph Joachim, Ernst Rudorff und anderen Zeitgenossen zdihlen, eine betraichtliche Anzahl Brahmsscher Briefe, die hier vorgelegt werden, die zweite Fassung der im

Oktober 1853 von Laurent geschaffenen Zeichnung von Brahms, Erstdrucke

Brahmsscher Kompositionen und drei von den urspriinglich zehn nachweisbaren

Stimmheften des Hamburger Frauenchors, aus denen Kross zwanzig dreistimmige Volkslied-Sditze im Anschlug an seine Ausfiihrungen erstmals veribffentlicht. - E. F.

Flindell beschreibt in alien Einzelheiten die Sammlung Karl Wittgensteins

(1847-1913), der zum Wiener Brahms-Kreis geh6rte und auch ein Sammler

musikalischer Handschriften war. Diese Sammlung, die er seiner Tochter Marga- rete, der Frau Jerome Stonboroughs vererbte, wurde 1941 und 1947 in zwei Teilen, darunter zahlreiche Autographe Brahmsscher Kompositionen, als ,,Stonborough Collection" von der C. G. Whittall Foundation fiir die Library of Congress in

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 157

Washington gekauft und ist als solche im Census von 0. E. Albrecht (1953) beriicksichtigt worden.

Die Auseinandersetzung mit Brahms' Schaffensprozetg als solchem war ein Anliegen der Forschung, das in den 50er und 60er Jahren allmaihlich immer

stirkeres Gewicht erhielt. Hatte erstmals Max Graf in einer umfassenden Darstel- lung auch auf Brahms' Werkstatt Bezug genommen47, und hatte A. Orel die Skizzen zu den Haydn- Variationen zum Gegenstand einer Studie gemacht 48, so unternahm P. Mies 1928 und 1929 einen grundlegenden Vorstog in dieser Richtung aufgrund der damals zughinglichen Skizzen49 und der aus Brahms' Briefwechsel zu entneh- menden Hinweise50. - Seit 1945 befatte sich vor allem 0. Jonas in mehreren, mehr allgemein gehaltenen Artikeln mit diesem Fragenkomplex. Es ging ihm einmal um die Beziehung zwischen Handschrift und Druckfassung, etwa um jene sich unmerklich in die Ausgaben Brahmsscher Werke eingeschlichenen und von dort sogar in die Gesamtausgabe gelangten Fehler, die er an Hand nachweisbarer Autographe richtigstellte, so in Brahms' Zweitem Klavierkonzert (op. 83). Zum anderen lenkte er das Augenmerk auf Einzelphdinomene in Brahms' Handschriften und der darin zum Ausdruck kommenden Verhaltensweisen im Sinne von ,,Werk- statt-Erkenntnis", hauptsdichlich in seinen Ausfiihrungen von 1958 und 1962. - Den Tendenzen in Brahms' SchaffensprozeB ging I. Fellinger im Rahmen ihres Detroiter Referats nach. Zum einen zeigen sich verdeutlichende und verfeinernde Tendenzen, die Struktur der Werke noch klarer hervortreten zu lassen, zum andern Tendenzen, die auf eine noch gr6ogere Ausgewogenheit im Verlauf eines Satzes oder Werkes gerichtet sind. Sie werden erkennbar durch Eliminierung oder Erweiterung einzel- ner Takte oder Passagen, vorwiegend in der Anfangs- oder Schlutphase von Sitzen oder Werken, durch Variierung zu wiederholender Abschnitte, durch Anderung von Ubergangsphasen zur Vorbereitung von Formteilen und durch Verlegung von Passagen, durch andere Varianten ersetzt, innerhalb eines Satzes oder Werkes. Es wird betont, daig durch solche Anderungen, die entscheidende Verbesserungen darstellen, der Charakter der kiinstlerischen Konzeption zwar vertieft, aber nicht mehr verindert wird.

Weitere Darlegungen gelten einzelnen neu entdeckten oder bisher unbeachtet gebliebenen Quellen. R. Pascall beschreibt die friihere Fassung der Sarabande in h- moll und zwei Gavotten, die in der Zeit von 1854 bis 1855 komponiert wurden, und weist auf deren spitere Verwendung in Kammermusikwerken hin: Gavotte I im zweiten Satz des Streichsextetts (op. 36) und Sarabande und Gavotte II im zweiten Satz des Streichquintetts (op. 88). - D. Kdimper berichtet iiber ein Studienblatt aus dem Nachlaf Franz Wiillners, das neben den Kanons ,,Ans Auge des Liebsten" und ,,Mir liichelt kein Friihling" eine fiinftaktige Kanonskizze im doppelten Kontra- punkt der Oktave aufweist, die sich als Skizze zum Streichsextett (op. 36) erweist.

47 M. GRAF, Die innere Werkstatt des Musikers (Stuttgart 1910), S. 210-227. 48 A. OREL, Skizzen zu Joh. Brahms' Haydn-Variationen, in: ZfMw 5 (1922/23), S. 296-315. 4 P. MIES, Aus Brahms' Werkstatt. Vom Entstehen und Werden der Werke bei Brahms, in: Simrock-Jb. 1 (1928), S. 43-63.

so P. MIES, Der kritische Rat der Freunde und die Ver6ffentlichung der Werke bei Brahms. Eine Untersuchung aus dem Briefwechsel, in: Simrock-Jb. 2 (1929), S. 65-83.

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158 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

Eine Reihe von Darstellungen ist den Autographen einzelner Kompositionen gewidmet, die nicht als Quelle fiir die Gesamtausgabe der Brahmsschen Werke

herangezogen wurden und Aufschlut iiber Brahms' Schaffensweise geben. 0. Jonas bespricht die erste vollstaindige Niederschrift der Hiindel- Variationen (op. 24) aus dem Bestand der Library of Congress in Washington, die Brahms Clara Schumann zum Geburtstag mit der Widmung ,,Variationen fiir eine liebe Freundin. Joh. Brahms, Sept. 61" dedizierte, und hebt die wesentlichen, durch den Komponisten vollzogenen Korrekturen und Verbesserungen hervor, die die engere Verkniipfung der Variationen untereinander, den Klaviersatz sowie Dynamik und Phrasierung betreffen. Eine erginzende Arbeit iiber dieses Autograph, in der alle nachweisbaren

Anderungen benannt werden, stammt von J. A. Bernstein. - Brahms' Autograph der Violinsonate (op. 78), das ein Vorstadium der Druckreife reprisentiert und nicht als

Stichvorlage fiir den Druck gedient hat, widmet I. Fellinger eine Untersuchung, bei der der Schaffensprozef des Komponisten im einzelnen dargelegt wird. Hierbei werden verschiedene Phasen des kompositorischen Prozesses im Hinblick auf die

Druckfassung des Werkes aufgezeigt, so in der Handschrift enthaltene Hinweise, die nicht in den Druck iibernommen wurden, an Hand des Autographs vorgenom- mene Korrekturen und spitere Eintrige, die in der gedruckten Fassung unberiick-

sichtigt blieben, Korrekturen und nachtrdiglich in der Handschrift erfolgte Ergin- zungen, die im Druck beibehalten wurden, und Korrekturen und Erghinzungen, die der Meister nicht in sein Manuskript, sondern spiter in die Stichvorlage oder in die Druckfahnen eingetragen hat. - Einen Vergleich zwischen Handschrift und

Druckausgabe fiihrt S. Testa an Hand des Autographs von Brahms' Fuge in as-moll

fiar Orgel durch, bei dem sie die wesentlichen Unterschiede benennt und im einzelnen analysiert.

Die Entstehung des Violinkonzerts (op. 77), vornehmlich unter dem Aspekt der Zusammenarbeit von Komponist und Interpret, wird in zwei Studien behandelt. G.

Weifg-Aigner kommt an Hand der autographen, aus Joachims Nachlafg stammenden

Fassung der Solo-Violinstimme, die den ersten Satz und zwei Seiten des Finalsatzes

enthilt, und sowohl Korrekturen des Komponisten, als auch violintechnische

Anderungsvorschlige und Bemerkungen Joachims aufweist, die den hohen Schwie-

rigkeitsgrad einiger von Brahms konzipierter Passagen andeuten, zu dem SchlugR, dai das Zusammenwirken von Brahms und Joachim von gewissem Einfluf auf die

Ausarbeitung der Solo-Violinstimme gewesen sei. B. Schwarz setzte sich in seinem Detroiter Referat vor allem mit den im Briefwechsel von Brahms und Joachim er6rterten Beispielen von Violinpassagen auseinander, die er mit den im Autograph der Partitur des Violinkonzerts bestehenden Fassungen verglich.

Mit der Entstehung und zeitlichen Einordnung bestimmter Gruppen von Liedern befassen sich I. Fellinger und G. S. Bozarth. Bei Brahms' Regenliedern gelangt I.

Fellinger zu dem Ergebnis, dat die friihere Fassung des Regenliedes ,,Regentropfen aus den Biiumen" (ohne Opus-Zahl) aufgrund dokumentarischer Quellen von Brahms nicht in den 1860er Jahren, sondern erst im Juli 1872 niedergeschrieben wurde, und die Regenlieder (op. 59, 3 und 4) - entgegen Kalbeck - nicht erst

wihrend des regnerischen Tutzinger Sommers entstanden, sondern splitestens im

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 159

April 1873. G. S. Bozarth widmet Brahms' in den Jahren 1868 bis 1871 veroiffentlich- ten Liedern eine eingehende Studie, in deren Mittelpunkt der Schaffensproze1g und die Chronologie der Lieder und Gesfinge op. 57 und 58 aufgrund textlicher und musikalischer Primir-Quellen (einige Skizzen, Autographe mit Korrekturen, Stich-

vorlagen etc.) stehen, hinsichtlich chronologischer Gesichtspunkte aber auch die Lieder op. 43 und 46 bis 49 und die letzten neun Magelone Romanzen (op. 33) sowie andere Lieder und Vokalwerke aus jener Zeit einbezogen sind, wobei iiberlieferte zeitliche Zuordnungen zum Teil revidiert und andere fehlerhafte Angaben korrigiert werden konnten. Ergainzende Ausfiihrungen zum ,,Liederjahr 1869" brachte Bozarth in seinem Detroiter Referat, in dem er sich speziell mit Problemen der

Datierung der Liebeslieder. Walzer (op. 52) und der Lieder und Gesiinge (op. 58) befaite.

Unterschiedlichen Fassungen Brahmsscher Kompositionen sind vier Abhandlun-

gen gewidmet. Einen Vergleich in Gestalt einer Materialstudie an Hand nachweis- barer Quellen zwischen der friiheren und spiteren Fassung von Brahms' H-dur-Trio legt E. Herttrich vor. Einen detaillierten Vergleich nach den Druckfassungen hatte erstmals 1910 M. Graf unternommens5, einen Vergleich aufgrund kompositions- technischer Oberlegungen nahm H. Gail 1961 in seiner Biographie iiber Brahms vor52. - Der Erschliefung der ersten aus den 1850er Jahren stammenden Fassung in cis-moll von Brahms' Klavierquartett (op. 60) nach iiberlieferten Briefen nimmt sich J. Webster in einer aufschlu1greichen Studie an, in der er es fiir sehr wahrscheinlich

hilt, da1g der zweite Satz urspriinglich das Finale bildete. - S. T. M. Newman versucht nach Programm-Notizen iiber die 1876 in Cambridge und London stattgefundenen Auffiihrungen von Brahms' Erster Symphonie die damals wieder- gegebene Version des Andante abzuleiten. Aufgrund 1981 in Wien aufgefundener Handschriften der Violin- und Viola-Stimmen der Symphonie vermag nunmehr R. Pascall Newmans Angaben zu bestitigen, zu erginzen und teilweise zu korrigieren und eine eingehende Beschreibung der aufgefiihrten Fassung des Andante zu geben.

Dai Brahms in einem fortgeschrittenen Stadium des Schaffensprozesses, teil- weise auch nach Vollendung von Kompositionen, noch entscheidende Anderungen vorgenommen hat, erliutert I. Fellinger am Beispiel von zwei bisher unbeachtet gebliebenen Korrekturen, die der Komponist, wie sich nachweisen lieg, noch

nachtrdiglich am ersten Teil der Motette Warum ist das Licht gegeben dem

Miihseligen? (op. 74, I) an Hand einer Partitur-Abschrift vorgenommen hat. In zwei weiteren Beitrigen werden Quellen zum Deutschen Requiem behandelt.

F. G. Zeileis verweist gegeniiber der bekannten, vom Komponisten Clara Schumann dedizierten Handschrift des Klavierauszuges auf die Existenz einer nunmehr in den USA aufgetauchten, weiteren Handschrift, und betont, dafg es sich bei dieser nachweislich um Brahms' erste Niederschrift handelt, die zur Auffiihrung herange- zogen wurde und dann als Stichvorlage fiir den Verlag Rieter-Biedermann gedient

51 M. GRAF, Die innere Werkstatt des Musikers, S. 210-227. 52 H. GAL, Johannes Brahms. Werk und Pers6nlichkeit, S. 103-107.

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i6o I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

hat. Demnach sandte Brahms vom V. (nachkomponierten) Satz ,,Ihr habt nun

Traurigkeit" nicht, wie Franz Grasberger annahm53, seine erste Niederschrift, sondern eine nach dieser angefertigte Reinschrift, an Clara Schumann. M. Rudolf beschreibt eine teilweise Eintrige des Komponisten aufweisende, im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien, vorhandene Partitur der Erstausgabe, die vermuten l1i•t, da1B sie zu Auffiihrungszwecken in Wien herangezogen wurde.

Mit unbekannten Quellen zu Brahms' Thema zu den Variationen iiber ein ungarisches Lied (op. 21, 2) und zu den Ungarischen Tiinzen Nr. 3 und 7 befassen sich im Zusammenhang mit dem Geiger Eduard Remenyi unabhdingig voneinander K. Stephenson und 0. Goldhammer. K. Stephenson beschreibt ein mit ,,Hannover April 1853" datiertes, in Hamburg befindliches Blatt von Brahms' Hand mit drei

ungarischen Liedern, das an zweiter Stelle das Thema zu Brahms' Variationen (op. 21, 2) aufweist, und das bereits von Kalbeck erwihnte undatierte Blatt aus Brahms' Nachlaf (Wien), das die Themen zu den Ungarischen Tiinzen Nr. 3 und 7 enthailt. O. Goldhammer behandelt eine aus 45 von Franz Liszt geschriebenen Notenseiten und aus 14 von Remenyi stammenden Seiten bestehende Handschrift, wobei die Nummern V und VIII des Remenyi-Teiles sich als beinahe identisch mit den

Ungarischen Tiinzen Nr. 3 und 7 von Johannes Brahms herausstellen. Er zieht den

SchlutR, dat diese Handschrift Remenyis die erste Niederschrift zu Brahms' Thema zu den Variationen (op. 21, 2) und zu den Ungarischen Tiinzen Nr. 3 und 7 sei, was

jedoch fiir das Variationen-Thema nicht zutrifft, da Brahms' mit ,,April 1853" datiertes Blatt die friiheste nachweisbare Vorlage darstellt, wihrend diese Annahme

fiir die Ungarischen Tiinze offen bleiben mug, da Brahms' Wiener Blatt undatiert ist.

Eigenheiten der handschriftlichen Fixierung in ihrer zum Teil schwierigen Realisierbarkeit im Druckbild, was bis zu falscher Interpretation vornehmlich der

fiir den Vortrag bestimmten Zeichen und Bezeichnungen fiihren kann, demonstriert P. Mies an einigen Brahms' Cello-Sonate (op. 99) entnommenen Beispielen.

Die Frage von Reminiszenzen, friiher zeitweise ein beliebtes Thema im Rahmen der allgemeinen Literatur fiber Brahms, wird in dem Aufsatz von W. Klenz in Hinblick auf Brahms' Cello-Sonate (op. 38), die einem Vergleich mit einem von Bernhard Rombergs Trois Trios d'une Difficulte Progressive pour le Violoncelle, Viola et Violoncelle ... Oeuv. 38 unterzogen wird, wieder aufgegriffen. Jedoch

vermigen die gegebenen Beispiele keineswegs zu iiberzeugen. Abschlie1gend sei auf den wohl bedeutendsten Fund der letzten Jahre in Gestalt

von Teilen der als verloren geglaubten Missa Canonica von Brahms in der Handschrift des Brahms-Freundes Julius Otto Grimm hingewiesen, die nunmehr im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien, ihre endgiiltige Heimstatt

gefunden hat. Dieses Ereignis ist zu neu, als daig es bereits seinen Niederschlag in der wissenschaftlichen Literatur gefunden haben k6nnte.

-3 Ihr habt nun Traurigkeit. 5. Satz aus dem ,,Deutschen Requiem". Faksimile der ersten Niederschrift mit Einleitung von F. Grasberger (Tutzing 1968), S. 5-6.

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 161

II. Abhandlungen zu einzelnen Gattungen, Werkgruppen und Werken

1. Instrumentalmusik

a) Orchesterwerke

Sinfonie Nr. I c-Moll, op. 68. Taschen-Partitur. Einfiihrung und Analyse von G. Schubert (Mainz 1981). - Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. go. Taschenpartitur. Einfiihrung und Analyse von C. M. Schmidt (Mainz 1981). - Sinfonie Nr. 4 e-Moll, op. 98. Taschenpartitur. Einfiihrung und Analyse von C. M. Schmidt (Mainz 1980). - Variations on a Theme of Haydn for Orchestra, Op. 56A and for two Pianos, Op. 56B. The Revised Scores of the Standard Editions. The Sketches. Textual Criticism and Notes. Historical Background. Analytical Essays. Views and Comments. Ed. by D. M. McCorkle (Norton Critical Scores), (New York 1976). - R. BAILEY, Form and Musical Language in the Fourth Symphony (International Brahms Congress Detroit 1980). - M. BOEREBOOM, Symfonie Nr. 4 in E Klein op. 98 van Johannes Brahms (Leren luisteren, 1), (Antwerpen 1962). - B. CANTRELL, Three B's - Three Chaconnes, in: Current Musicology 12 (1971), S. 63-74. - C. DAHLHAUS, Johannes Brahms Klavierkonzert Nr. 1 d-moll, op. 15 (Meisterwerke der Musik, 3), (Miinchen 1965). - D. EPSTEIN, Ambiguity in Brahms's Second Symphony, in: D. EPSTEJN, Beyond Orpheus. Studies in Musical Structure (Cambridge, Mass. 1979), S. 162-175. - L. F. FERGUSON, The Concertos of Johannes Brahms: An Historical and Analytical Approach to the Compositional Process (Diss. Texas Christian Univ. 1973; mschr.). - G. GARTNER, Das Terzmotiv - Keimzelle der i. Sinfonie von Johannes Brahms. Ein Beitrag zur Analyse des ersten Satzes, in: Mf 8 (1955), S. 332-335. - G. HELDT, Das deutsche nachromantische Violinkonzert von Brahms bis Pfitzner. (Entstehung und Form). (K61ner Beitrage zur Musikforschung, 76), (Regensburg 1973). - J. HORTON, Brahms Orchestral Music (BBC Music Guides), (London 1968). - R. KLEIN, Die konstruktiven Grundlagen der Brahms- Symphonien, in: OMZ 23 (1968), S. 258-263. - DERS., Die Doppelgeriisttechnik in der Passacaglia der 4. Symphonie von Brahms, in: OMZ 27 (1972), S. 641-648. - K. M. KOMMA, Das ,,Scherzo" der 2. Symphonie von Johannes Brahms. Eine melodisch- rhythmische Analyse, in: Fs. fiir Walter Wiora zum 30. Dez. 1966 (Kassel, etc. 1967), S. 448-457. - F. KRUMMACHER, Virtuositdit und Komposition im Violinkonzert. Probleme der Gattung zwischen Beethoven und Brahms, in: NZfM 135 (1974), S. 604-613; iiber Brahms, S. 610-612. - H. J. MOSER, Zur Sinndeutung der Brahms'schen c-moll-Symphonie, in: Rondo (= OMZ) 8 (1953), S. 21-24. - V. RAVIZZA, Konflikte in Brahms'scher Musik. Zum ersten Satz der c-moll-Sinfonie op. 68, in: Schweizer Beitriige zur Musikwissenschaft 2 (1974), S. 75-90 (Publ. der Schweiz. Musikforschenden Ges., III). - R. J. RITTENHOUSE, Rhythmic Elements in the Symphonies of Johannes Brahms (Diss. Univ. of Iowa 1967; Ann Arbor, Univ. Microfilms 1968). - C. SCHACHTER, The First Movement of Brahms's Second Symphony: Rhythmic and Tonal Features (International Brahms Congress Detroit 1980). - H. SCHAEFER, Kurt Sanderling dirigiert. Bemerkungen zur Interpretation der 3. Sinfonie von Johannes Brahms, in: Musik und Gesellschaft 17 (1967), S. 253-257. - E. SCHENK, Zur Inhaltsdeutung der Brahmsschen Wbrthersee-Symphonie (1943), in: E. SCHENK, Ausge- wdihlte Aufsiitze, Reden und Vortriige (Graz-Wien-K61n 1967), S. 133-142. - W. SIEG- MUND-SCHULTZE, Brahms' Vierte Sinfonie, in: Fs. Max Schneider zum 8o. Geburtstag (Leipzig 1955), S. 241-254. - R. R. SMITH, Motivic Procedure in Opening Movements of the Symphonies of Schumann, Bruckner and Brahms, in: MR 36 (1975), S. 130-134. - L. SOMMERS, Centenary of the Brahms Violin Concerto (1879-1979), in: The Strad 89 (1978/ 79), S. 905, 907, 909. - B. STABLEIN, Die motivische Arbeit im Finale der ersten Brahms- Sinfonie, in: Das Musikleben 2 (1949), S. 69-72. - M. STEGEMANN, Vor 100 Jahren: ,,Ein ganz ein kleines Klavierkonzert . . .". Zur Interpretation von Brahms' Opus 83, in: NZfM 143 (1982), 6/7, S. 11-15. - Y. STRAUSS, A Conductor's Guide to Brahms' Variations on a Theme by Haydn (M. M. Diss. Indiana Univ. 1971). - J. VALEK, Nad symfonickou tvorbou J. Brahmse [Das symphonische Schaffen von J. Brahms], in: Hudebni rozhledi 11 (1958), S.

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320-322. - G. WEISS-AIGNER, Johannes Brahms' Violinkonzert D-dur (Meisterwerke der Musik, 18), (Miinchen 1979). - H.-J. WIDMANN, Brahms' Vierte Symphonie, in: Brahms- Studien 4 (Hamburg 1981), S. 45-54.

Einen Uberblick iiber simtliche Orchesterwerke, einschliet9lich der beiden Serenaden (op. 11 und 16), der zwei Orchester-Ouverturen (op. 80 und 81) und des

Doppelkonzerts (op. 102), zu denen keine Spezialstudien vorliegen, nach Art eines Konzertfiihrers, gibt J. Horton, wobei er die lyrische Expressivitait, verbunden mit einem ausgeprigten rhythmischen und harmonischen Stil und dem hochentwickel- ten Sinn fiir formale Proportionen gerade in Brahms' Orchestermusik als Kraft versteht, die diesen Werken ihre Dauerhaftigkeit gesichert habe. - Innerhalb der Orchesterwerke findet Brahms' symphonisches Schaffen am meisten Beachtung, vor allem der strukturelle und thematisch-motivische Aufbau seiner Symphonien, wiihrend Inhaltsdeutungen, einer friiheren Phase der Brahms-Forschung angehd- rend, nur noch am Rande in weiter zuriickliegenden Darstellungen begegnen, so bei H. J. Moser, der aus dem von Brahms 1868 aus der Schweiz Clara Schumann als

Geburtstagsgruft iibersandten Alphorn-Ruf ,,Also blus das Alphorn heut", der C-dur-Hornstelle aus der Einleitung des Finalsatzes, eine Sinndeutung der Ersten

Symphonie abzuleiten unternimmt, und E. Schenk, der die Zweite Symphonie aufgrund der Kairntner Landschaft, in der Brahms das Werk schuf, eine inhaltliche Deutung zu geben versucht. Eine allgemeine Wiirdigung der Brahmsschen Sym- phonien nimmt J. Vilek vor, wihrend R. J. Rittenhouse deren rhythmische Elemente in Zusammenhang mit Melodik, Kontrapunkt und Harmonik untersucht und R. Klein, von R. R ti, Der thematische ProzeJ3 in der Musik ausgehend, thematische

Analogien zwischen einzelnen Saitzen von Symphonien und innerhalb der Saitze konstatiert.

Weitere Darlegungen sind vornehmlich Brahms' Erster und Vierter Symphonie gewidmet. G. Schubert bringt im Anhang zu seiner Ausgabe der Ersten Symphonie Ausfiihrungen zur Oberlieferung des Notentextes, zur Entstehung des Werkes, zur

Urauffiihrung, zur Rezeption sowie eine Analyse und Hinweise zur Interpretation. Ahnlich verfihrt C. M. Schmidt in seinen Ausgaben der Dritten und Vierten

Symphonie, wobei die Dritte Symphonie unter Brahms' Symphonien bisher sichtlich das geringste Interesse fand, zu deren Interpretation H. Schaefer

Bemerkungen aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht beisteuert. - Beispiele fiir die Verwendung des Terzmotivs in der Ersten Symphonie bringt G. Gairtner, wihrend B. Staiblein der motiv ischen Entwicklung des Finale nachzugehen ver- sucht. - V. Ravizza kennzeichnet in einer aufschluftreichen Studie den Konflikt im ersten Satz der Symphonie zwischen der in einem neuen Sinne nach Einheit strebenden Struktur und dem fiberkommenen formalen Schema der Sonatenform.

Allgemeine Wiirdigungen der Vierten Symphonie stammen von M. Boereboom, W. Siegmund-Schultze und H.-J. Widmann. - Mit ihrer formalen und harmoni- schen Struktur befatte sich R. Bailey in seinem Detroiter Referat. B. Cantrell und R. Klein beschiftigen sich mit dem Finale. W~ihrend Cantrell Brahms' Passacaglia in Hinblick auf Obereinstimmungen mit typischen barocken Chaconne-Komposi- tionen und Abweichungen von diesen analysiert, begreift Klein diesen SchluBsatz

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als aus Verinderungen bestehend, die aufgrund eines gegebenen Modells vorge- nommen sind, wobei das Thema von einer Reihe abfallender Terzen abgeleitet ist, die die Basis fiir alle vier Siitze der Symphonie darstellt.

Einige Beitraige setzen sich mit der Zweiten Symphonie auseinander. D. Epstein beobachtet tonale, harmonische und rhythmische Zweideutigkeiten, die strukturel- len Zwecken auf verschiedener Ebene dienen. - Eine Untersuchung des ersten Satzes in Hinblick auf rhythmische und tonale Entwicklungen - H. Schenkers Lehre folgend - unternahm C. Schachter in seinem Detroiter Referat, wihrend K. M. Komma das Scherzo einer melodisch-rhythmischen Analyse unterzieht.

Zwei Beitrige sind den Haydn-Variationen gewidmet. D. M. McCorkle legt in seiner aufgrund nachweisbarer Quellen erstellten kritischen Ausgabe der beiden Fassungen der Haydn- Variationen (Op. 56a und b) Ausfiihrungen zum historischen Hintergrund der Komposition und textkritische Anmerkungen vor, denen er Wiederabdrucke analytischer Aufsditze von H. Schenker, M. J. Gould, L. Stein, A. Forte und M. Kalbeck und Anschauungen und Kommentare E. Hanslicks, H. Gals und Ph. Spittas sowie Gedanken iiber das Komponieren von Brahms, in englischer Obersetzung folgen lIi•t.

- Y. Strauss analysiert an Hand einer mit Notizen des Dirigenten Fritz Busch versehenen Erstausgabe der Orchester-Fassung Tempo, kompositorische Hinweise und Variationentechnik vom Standpunkt des Dirigenten aus.

In seiner den vier Instrumental-Konzerten gewidmeten Abhandlung, deren erstes und letztes Anfang und Ende von Brahms' Orchesterwerken bezeichnet, betont L. F. Ferguson, dag Brahms den musikalischen Ausdruck des Absoluten mit dem Zweck der Gattung im Sinne der Klassik grundsaitzlich bewahrt habe, auf der anderen Seite jedoch sich in ihnen die schrittweise Erweiterung barocker und klassischer Ideale in ihrer Verbindung zur Neuen Wiener Schule ankiindige, eine Sicht, die historisch noch eingehender zu begriinden ware. - Im Rahmen seiner Werk- Monographie fiber Brahms' Erstes Klavierkonzert in d-moll (op. 15) geht es C. Dahlhaus in seiner Analyse in erster Linie um Brahms' individuelle Auseinanderset- zung und Losung von Formproblemen im Rahmen der Gattung des Klavier- Konzerts und dessen historische Einordnung. - M. Stegemann behandelt bei Brahms' Zweitem Klavierkonzert (op. 83) Probleme, die das Werk gegeniiber dem Interpreten aufwirft, etwa der Hervorhebung des symphonischen oder des konzer- tanten Elements oder auch des virtuosen Moments, wobei zur Beantwortung dieser und dihnlicher Fragen sieben Einspielungen von Wilhelm Backhaus, Edwin Fischer, Emil Gilels, Myra Hess, Svjatoslav Richter, Arthur Schnabel und Solomon herangezogen werden. Gegeniiber der klassischen Konzeption des Werkes und der Neuartigkeit der musikalischen Sprache beobachtet er fast durchweg mehr oder weniger groBe Eigenwilligkeiten, die an exemplarischen Passagen demonstriert werden, und durch die teilweise die reiche kontrapunktische Arbeit verschleiert wird.

Vier Arbeiten gelten Brahms' Violinkonzert (op. 77). Wihrend L. Sommers die Schwierigkeiten friiher Rezeption bei Interpreten und Horern schildert, sieht G. Heldt in seiner allein von der formalen Kategorie ausgehenden Darstellung, in der er

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164 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

etwa 100 Violinkonzerte zwischen 1875 und 1925 heranzieht, Brahms' Violinkonzert als Typ des traditionsgemait aus Sonatensatz, liedhaftem Mittelsatz und Rondo bestehenden Konzerts, was grundsitzlich Zweifel an einer solchen Betrachtungs- weise in gattungs-spezifischer Hinsicht aufkommen litgt. - G. WeiR-Aigner erkennt in seiner Werk-Monographie auf der einen Seite Beethovens Konzert als ,,ideelles Vorbild" fiir Brahms und eine gewisse Orientierung an dessen Grundrigt, in dessen weitem Ausdrucksbereich hingegen den Unterschied gegeniiber diesem. - F. Krummacher, der von der Konflikt-Situation des Solo-Konzerts zwischen dem

Symphonischen und Virtuosen in der Zeit zwischen Beethoven und Brahms, wie sie sich sowohl in der zeitgen6ssischen Asthetik als auch in der ilteren Kompositions- theorie widerspiegelt, ausgeht, behandelt in einem aufschlugtreichen Vergleich die Funktion der virtuosen Passagen in ihrer Beziehung zur Formstruktur und thematischen Substanz, wobei er die thematische Integration des Solo-Parts bei

Beethoven, Mendelssohn und Brahms hervorhebt, im Gegensatz zu Dvohik und besonders zu Tschaikowsky, bei denen die Virtuosen-Parts thematisch immer

unabhaingiger werden.

b) Kammermusikwerke

J. BEYTHIEN, Die Violinsonte in G-Dur, op. 78, von Johannes Brahms - ein Beitrag zum Verhiiltnis zwischen formaler und inhaltlicher Gestaltung, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kassel etc. 1970), S. 325-332. - M. J. CITRON, Rhythmic-metric conflicts in the Brahms duos (M.A. Diss. Univ. of North Carolina 1968). - W. CZESLA, Studien zum Finale in der Kammermusik von Johannes Brahms (Diss. Bonn 1966). - C. DAHLHAUS, Brahms und die Idee der Kammermusik, in: NZfM 134 (1973), S. 559-563 und in: Brahms-Studien 1

(Hamburg 1974), S. 45-57. - D. E. FENSKE, Texture in the Chamber Music of Johannes Brahms (Diss. Univ. of Wisconsin 1973). - DERS., Contrapuntal Textures in the String Quartets, Op. 51, No. 2 und Op. 67 of Johannes Brahms, in: Music East and West. Essays in Honor of Walter Kaufmann (New York 1981), S. 351-359. - R. S. FISCHER, Brahms'

Technique of Motive Development in His Sonata in D Minor, op. 1o8 for Piano and Violin (Diss. Univ. of Arizona 1964; mschr.). - B. GREENSPAN, The Six Sonatas for unaccom-

panied Violin and Musical Legacy of Eugene Ysaye. The Sextets by Brahms: An Analysis (Diss. Indiana Univ. 1969). - D. L. GROATHOUSE, Johannes Brahms's Treatment of Sonataform in the Opening Movements of the Piano Trios (Diss. Univ. of Wisconsin 1975; mschr.). - R. HAFNER, Brahms' Klarinettenquintett (Meisterwerke der Musik, 14), (Miinchen 1978). - M. E. HAWN, Melodic Relationships in selected Chamber Works of Brahms (M. M. Diss. Indiana Univ. 1969). - W. G. HILL, Brahms's opus 51 - a Diptych, in: MR 13 (1952), S. 110-124. - H. HOLLANDER, Der melodische Aufbau in Brahms'

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1978). - G. L. MAAS, Problems of Form in the Clarinet Quintet of Johannes Brahms (M. M. Diss. Univ. of Wisconsin 1967). - V. RAVIZZA, Mbglichkeiten des Komischen in der Musik. Der letzte Satz des Streichquintetts in F dur, op. 88 von Johannes Brahms, in: AfMw 31

(1974), S. 137-150. - C. M. SCHMIDT, Verfahren der motivisch-thematischen Vermittlung in der Musik von Johannes Brahms dargestellt an der Klarinettensonate f-moll, op. 120, 2 (Diss. F. U. Berlin 1970) (Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten, 2), (Miinchen 1971). - K. STAHMER, Musikalische Formung in soziologischem Bezug. Dargestellt an der instru- mentalen Kammermusik von Johannes Brahms (Diss. Kiel 1968).- F. WEISS, Cu privire la unele probleme de interpretare ale sonatei nr. 1 in sol major pentru pian Si vioara op. 78 de J.

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Page 36: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 165

Brahms [Einige Interpretationsfragen der Sonate in G-dur (Nr. 1) Op. 78 fiir Klavier und Violine von Brahms], in: Lucrdri de Muzicologie, Conservatorul de Muzica ,,G. Dima" (Cluj 1965), S. 211-223.

Neben einem allgemeinen Oberblick fiber simtliche Kammermusikwerke von I. Keys liegen wesentliche Beitrdige zu speziellen Fragestellungen von Brahms' Kammermusik in soziologischer, historischer und kompositionstechnischer Hin- sicht vor. K. Stahmer untersucht eingehend nach weitgefaicherten soziologischen Gesichtspunkten Brahms' soziales Umfeld und kommt zu dem SchlugR, daiB Brahms' Kammermusik autonom entstand und vbillig beziehungslos zur sozialen Beschaffen- heit seiner Umgebung stehe.

C. Dahlhaus erkennt in der Kammermusik die entscheidende Gattung fiir Brahms' vermittelnde Funktion zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, wobei vor allem das von diesem weiter entwickelte und damit in die Zukunft weisende Prinzip der von Schinberg so benannten ,,entwickelnden Variation", dem Verfahren, ein Intervall oder ein kleines Motiv zur Grundlage ganzer Sditze zu machen, mit dieser eng verbunden sei. W. Czesla widmet der Struktur der Finalsditze eine analytische Studie, in der er die Periodenbildung von Themen, die Ableitung thematischen Materials von Harmonien, die Abspaltung thematischer und motivischer Elemente und ihre Verwandlung in Begleitfiguren und die modulatorische Einbeziehung von Themen bespricht. Er gelangt zu dem Ergebnis, dat

Brahms grundsitzlich keine neue Form fiir das Finale geschaffen hat, vielmehr den Sonaten- und Rondotyp fibernimmt, diesen jedoch kompositionstechnisch individuell gestaltet, und betont abschliefgend, dal? eine solche Konzentration des Komponierens, die Brahms auf tonaler Basis bereits erreicht hatte - das Streichquartett (op. 51, 1) wird hier als eines der abstraktesten Streichquartette der Musikliteratur fiberhaupt bezeichnet -, erst wieder im Rahmen der Zwolftontechnik begegne.

C. M. Schmidt versucht die motivisch-thematische Struktur in Brahms' Spait- werk, die er hauptsichlich zur Harmonik und zur formalen Struktur in Beziehung setzt, vornehmlich in einer eingehenden Analyse der Klarinettensonate (op. 120, I) aufzuzeigen, wobei er drei Modelle, die fiir die Motive und Themen als ,,Stufen- reihen" innerhalb des vom ihm angenommenen Tonraums einer Septime maBge- bend seien, erkennt: 1. Sekundfolge als Serie von sechs Sekunden, 2. Terzfolge als Serie von drei Terzen und 3. Quartfolge als Serie von zwei Quarten, in steigender und fallender Richtung. Hieraus zieht er den SchluB, daB Brahms, indem er eine solche Methode anwende, auch von der Tonalitdit unabhingige Gebilde hditte schaffen konnen und daher von Brahms zu Sch6nberg ein direkter Weg weise. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dal? Brahms das motivisch-thematische Verfahren zur Festigung der Tonalitait anwendet, wihrend sich Schinbergs Reihentechnik in der Atonalitait bewegt. Hierin ist ein grundlegender Unterschied zu erblicken, der nicht ohne weiteres fiberbriickbar ist, und bei aller Akribie und Scharfsinnigkeit der Darlegung eine von Brahms' motivverarbeitenden Methoden, in denen ganz ohne Zweifel Neues liegt, ausgehende und die Weiterentwicklung ins 20. Jahrhundert hinein verfolgende Darstellung nahegelegt h~itte.

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Page 37: Zum Stand der Brahms-Forschung

266 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

In einer Reihe weiterer Arbeiten wird Brahms' motivisch-thematische Gestaltung im Rahmen iiberkommener Formen an einzelnen Werken untersucht. R. S. Fischer

gelangt bei seiner Untersuchung von Brahms' Technik der Motiv-Entwicklung in Brahms' Violinsonate (op. 108) zu dem Ergebnis, daB sechs melodische und zwei

rhythmische Motive das Rohmaterial bilden, aus dem Brahms durch entwickelnde Faktoren, wie Nachahmung, Variation, Umwandlung und thematische Ableitung sowie andere vereinheitlichende Verfahren diese Sonate geschaffen habe. - G. L. Maas und R. Haifner befassen sich mit Brahms' Klarinetten-Quintett (op. 115). Wdihrend Maas betont, dat jeder der vier Saitze in traditioneller Form komponiert sei und die zahlreichen und wesentlichen Abweichungen innerhalb dieser Form

beschreibt, wie Inkorporation und Integration einer Form in eine andere, sowie von

Einleitungen innerhalb von Saitzen und Interpolation von Gesangstechniken, hebt

Hifner hervor, dat die Formen im klassischen Sinne gewahrt blieben, aber unter

Anwendung einer bis ins letzte gehenden konzentrierten Gestaltungsweise mit Hilfe des thematisch-motivischen Materials und einer weitgeficherten Harmonik, so im ersten Satz von h-moll bis b-moll. - H. Hollander weist darauf hin, daB neben dem

punktierten Auftakt-Motiv auch das Vorspiel des ersten Regenliedes (op. 59, 3) in allen drei Saitzen der Violinsonate (op. 78) wesentlich enthalten sei.

In anderen Darstellungen wird versucht, durch analytische Methoden die Struktur Brahmsscher Kammermusikwerke in verschiedener Richtung zu erhellen. B. Greenspan analysiert die beiden Sextette (op. 18 und 36) in ihrer Harmonik, Melodik, Rhythmik und unter satztechnischen Gesichtspunkten. - M. E. Hawn legt Analysen des Streichsextetts (op. 18), des Klavierquintetts (op. 34), des Streich-

quartetts (op. 51, Nr. 2), des Klaviertrios (op. 87) und des Klarinettenquintetts (op. 115) vor, um vor allem melodische Beziehungen innerhalb der Saitze und zwischen

Sitzen zu erkennen. - Rhythmisch-metrische Konflikte werden in den Instrumen- tal-Duos mit Hinblick auf motivische Funktionen, Struktur, Begleitung und Notation von M. J. Citron behandelt. - Mit Hilfe statistischer Methoden untersucht D. E. Fenske die Satzdichte von Brahms' Kammermusik und die kontrapunktische Textur der Streichquartette (op. 51, 2 und 67), wobei er nachweist, dal? der dritte Satz des Streichquartetts (op. 51, 2) den h6chsten Grand an kontrapunktischer Satzdichte aufweise.

In einigen Darlegungen schlietglich werden Fragen der Form, der Interpretation

und der inhaltlichen wie disthetischen Deutung er6rtert. Mit Brahms' Behandlung der Sonatenform in den Er6ffnungssaitzen der Klavier-Trios befaBt sich D. L.

Groathouse. - Behandelt F. Wei1B Probleme der Interpretation in Brahms' Violinso- nate (op. 78), so versucht J. Beythien neben einer formalen Analyse der Komposition auch deren menschlichen Hintergrund aufzuhellen, wobei er Nachweise erbringt, die ihn vermuten lassen, Brahms habe diese Sonate zum Andenken an Felix

Schumann, den jiingsten Sohn Robert und Clara Schumanns, geschaffen. - V. Ravizza vertritt die Ansicht, daB die Kategorie des Komischen in der Musik nicht

unbedingt von einer literarischen Assoziation ausgehen miisse, sondern auch in

unabhhingiger Instrumentalmusik m6glich sei, was er am Beispiel des Finalsatzes des Streichquintetts (op. 88) demonstriert.

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Page 38: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 167

c) Klavierwerke R. L. BLOCKER, ,,Brahms and the Character Piece: Emotion guided by Intellect", a

Lecture Recital, together with three recitals of selected Compositions by Beethoven, Brahms, Chopin, Debussy, Mozart, Prokofieff, and Ravel (Diss. North Texas State Univ. 1972). - K. G. BOLDT, The Solo Piano Ballads in the Nineteenth Century (Diss. Indiana Univ. 1967). - A. C. BRANDES, The Solo Piano Variations of Johannes Brahms (Diss. Boston Univ. 1967). - E. M. CAREVA, Fortepiannoe tvorcestvo Brahmsa [Die Klavierwerke von Brahms] (Diss. Moskau 1972/1973). - E. S. DERR, Brahms's Four-Hand Arrangements for His Own Works (International Brahms Congress Detroit 1980). - R. C. DOMEK, A Syntactic Approach to the Study of Rhythm applied to the late Piano Works of Johannes Brahms (Diss. Indiana Univ. 1976; Univ. Microfilms 1977). - D. EPSTEIN, Ambiguity in Brahms's Intermezzo, Op. 118, No. 2, in: D. EPSTEIN, Beyond Orpheus. Studies in Musical Structure (Cambridge, Mass. 1979), S. 175-177. - J. P. FAIRLEIGH, Neoclassicism in the later Works of Brahms, in: The Piano Quarterly 58 (1966/67), S. 24-26. - W. GEORGII, Brahms als Klavierkompo- nist - im vorigen Jahrhundert und heute, in: Musik im Unterricht. Ausg. A, 53 (1962), S. 344-347. - A. GRUBER, Understanding Rhythm in the Piano Music of Brahms, in: Clavier 13 (1974), S. 9-13. - K. HERRMANN, Zur Interpretation Brahmsscher Klavierwerke, in: Musik im Unterricht 52 (1961), S. 218-223. - F. E. KIRBY, Brahms and the Piano Sonata, in: Paul A. Pisk. Essays in his Honor (College of Fine Arts, The Univ. of Texas 1966), S. 163-180. - W. KIRSCH, Die Klavier-Walzer Op. 39 von Johannes Brahms und ihre Tradition, in: Jb. des Staatlichen Instituts fiur Musikforschung Preuf3. Kulturbesitz 1969 (Berlin 1970), S. 38-67. - R. KOMAIKO, The Four-Hand Piano Arrangements of Brahms and their Role in the Nineteenth Century, 2 Bde. (Diss. Northwestern Univ. 1975). - D. KRAUS, Das Andante aus der Sonate op. 5 von Brahms - Versuch einer Interpretation, in: Brahms-Studien 3 (Hamburg 1979), S. 47-51. - DERS., Die ,,Paganinivariationen" Op. 35 - ein Sonderfall? !, in: Brahms-Studien 4 (Hamburg 1981), S. 55-62. - J. B. LAMB, A Graphic Analysis of Brahms, opus 118, with an Introduction to Schenkerian Theory and Reduction Process (Diss. Texas Tech. Univ. 1980; Univ. Microfilms 1980). - D. LEWIN, On Harmony and Meter in Brahms's Op. 76, No. 8, in: 19th Century Music 4 (1980/81), S. 261-265. - T. O. MASTROIANNI, Elements of Unity in ,,Fantasies", op. 116 by Brahms (Diss. Indiana Univ. 1970). - D. MATTHEWS, Brahms's Three Phases. An Inaugural Lecture-Recital delivered before the University of Newcastle upon Tyne ... (Newcastle upon Tyne 1972). - DERS., Brahms Piano Music (BBC Music Guides), (London 1978). - P. MIES, Zu Werdegang und Strukturen der Paganini-Variationen op. 35 fiur Klavier von Johannes Brahms, in: StMl 11 (Bence Szabolcsi Septuagenario), (Budapest 1969), S. 323-332. - L. P. MILLER, From Analysis to Performance: The Musical Landscape of Johannes Brahms's Opus 118, No. 6 (Diss. Univ. of Michigan 1979). - B. NEWBOULD, A New Analysis of Brahms's Intermezzo in B minor, op. 119 no. I, in: MR 38 (1977), S. 33-43. - E. A. STERLING, A Study of Chromatic Elements in Selected Piano Works of Beethoven, Schubert, Schumann, Chopin, and Brahms (Diss. Indiana Univ. 1966). - H.-J. TIEDE- MANN, Die Klavier-Ballade ,,Edward" opus lo Nr. I von Johannes Brahms, in: Musik im Unterricht. Ausg. B, 56 (1965), S. 324-329. - D. TORKEWITZ, Die ,,entwickelte Zeit". Zum Intermezzo op. 116, IV von Johannes Brahms, in: Mf 32 (1979), S. 135-140. - K. VELTEN, Entwicklungsdenken und Zeiterfahrung in der Musik von Johannes Brahms: Das Intermezzo op. 117 Nr. 2, in: Mf 34 (1981), S. 56-59. - G. WAGNER, Die Klavierballade um die Mitte des 19. Jahrhunderts (Diss. Berlin T. U. 1973), (Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten, 9), (Miinchen 1976).

Neben allgemeinen Wiirdigungen der Klavierwerke und den Klaviersonaten und Variationenwerken stehen vor allem die Klavierstiicke, besonders die der Spitzeit, im Vordergrund der Betrachtung. In einem Oberblick unterscheidet D. Matthews drei Phasen von Klavierkompositionen: Die symphonische oder architektonische,

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Page 39: Zum Stand der Brahms-Forschung

168 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

die fast ausschlielBlich aus Sonaten bestehe, die kontrapunktische, die sich aus Variationen und Duos fiir ein und zwei Klaviere zusammensetze, und die lyrische, die kiirzere Klavierstiicke umfasse. Weitere Einfiihrungen in Brahms' Klavierwerke verfaBten W. Georgii, E. M. Careva und K. Herrmann, der dariiber hinaus einzelne Hinweise zur Art ihrer Interpretation gibt. - E. A. Sterling beriihrt in seiner

Darstellung chromatischer Elemente in der Klaviermusik von Beethoven, Schubert, Schumann und Chopin auch Brahmssche Klavierwerke.

Mit den Klaviersonaten befassen sich F. E. Kirby und D. Kraus. Kirby erachtet die drei Klaviersonaten, die der von Beethoven und Schubert entwickelten Gattung entspraichen, als symptomatisch fiir Brahms weiteres kompositorisches Schaffen, da in ihnen verschiedene auch fiir den spaiteren Brahms typische Ziige enthalten seien, und betont, daig Brahms damit schon zu Beginn seiner Laufbahn seine Rolle als

grolger Klassizist der Musik des spaiten 19. Jahrhunderts gefunden habe. - Kraus versucht, das Andante aus der Klaviersonate (op. 5) als ,,Nachtstiick" zu deuten.

Drei weitere Abhandlungen sind den Variationenwerken gewidmet. Wiihrend sich A. C. Brandes der Klavier-Variationen im Allgemeinen annimmt, setzen sich P. Mies und D. Kraus mit den Paganini-Variationen (op. 35) auseinander. Mies fiihrt den Nachweis, daiB Brahms in diesem Werk keine beliebigen Variationen aneinan-

derreihte, sondern deutlich Gruppen zusammenfatte, was sich bereits bei deren

Entstehung andeutet. Kraus betont die Bedeutung dieser Variationen als Studien- werke und stellt Oberlegungen zu deren Auffiihrung an. Das Interesse an Klavierstiicken aus Brahms' friiher und mittlerer Schaffenszeit beschrinkt sich auf die Ballade (op. 10, I) und die Walzer (op. 39). Mit der ,,Edward"-Ballade

beschaiftigen sich H.-J. Tiedemann, K. G. Boldt und G. Wagner. Waihrend es Tiedemann um die analytische Erschlie1gung des Stiickes fiir die Unterrichts-Praxis

geht, nimmt Boldt die schottische Ballade Edward zum Ausgangspunkt, um darzulegen, in welcher Weise Brahms diese literarische Quelle zu einer Komposition mit Bogenform und der Darstellung in Dialogen inspiriert habe. Wagner analysiert neben Klavierballaden von Chopin und Liszt auch Brahms' ,,Edward"-Ballade unter

Beriicksichtigung der dichterischen Vorlage und betont, daiB die Definition der Ballade als ein episches, lyrisches oder dramatisches Kunstwerk ihre Bedeutung in der Instrumentalmusik verenge, bei Brahms iiberdies formale Aspekte wesentlich wiirden.

Brahms' Walzer (op. 39) sind Gegenstand der Arbeiten von A. Gruber und W. Kirsch. Gruber, dem es um verschiedene Typen der Akzentuierung und der hierbei erzielten rhythmischen Effekte geht, untersucht die Walzer in Hinblick auf Agogik, melodische Konturen, Tonsatz, Harmonik, Metrum und Artikulation. In seiner

eingehenden Studie gelangt Kirsch zu der Auffassung, daig Brahms in den Walzern zur Tradition der Klassik und Friihromantik ein gebrochenes Verhailtnis habe, deren

iulBere Form zwar den Walzern von Beethoven, Schubert und Schumann entspreche, die er jedoch im einzelnen vbllig andersartig gestaltet habe. Hierin waire das durchaus Neue in Brahms' Walzern zu sehen gewesen. - Unter Beriicksichtigung der Lehre H. Schenkers erforscht D. Lewin Harmonik und Metrik in Brahms'

Capriccio (op. 76, 8). - J. P. Fairleigh versucht in Brahms' Klavierstiicken (op. 76),

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Page 40: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 169

in den Rhapsodien (op. 79) und in den Kompositionen der Spaitzeit (op. 116-119) neo-klassizistische Ziige nachzuweisen.

In weiteren Artikeln werden vor allem kompositionstechnische Fragen an Hand einiger der spaiten Klavierstiicke erbrtert. In seiner dem Intermezzo (op. 116, 4) gewidmeten Studie vertritt D. Torkewitz die Ansicht, daig neben der von Schbnberg so bezeichneten ,,entwickelnden Variation" die Idee der zeitlichen Ausdehnung in der Bedeutung der Organisation zeitlicher Ablaiufe ein hervorragendes Gestaltungs- mittel dieses Intermezzo sei, und versucht, diese Beobachtung in einer eingehenden Analyse zu erhdirten. - K. Velten kniipft an diesen von Torkewitz gediulerten Gedanken einer ,,entwickelten Zeit" an und verbindet ihn mit dem Prinzip der ,,entwickelnden Variation", was er im Rahmen einer Analyse des Intermezzo (op. 117, 2) deutlich zu machen sucht.

B. Newbould geht es bei seiner tiefgreifenden Analyse von Brahms' Intermezzo (op. 119, 1) hauptsaichlich um die innere Irregularitdit von nach aulgen hin

regelmditig angelegten Phrasen-Strukturen. Er gelangt zu dem Resultat, da12 sich das Stiick auf einem Fundament, ihnlich dem einer Chaconne aufbaut, das jedoch nicht nur aus einer BaB-Linie, sondern aus einem harmonischen, vier Takte umfassenden Schema besteht, und glaubt weiterhin in der paarweisen Anordnung von Variationen fiber dem Ba1-Fundament Anhaltspunkte fiir eine Chaconne zu erblicken. Doch raiumt er ein, daiB hier der Begriff Chaconne nur in einem iiber die barocke Bedeutung hinausgehenden Sinne zu gebrauchen sei, und spricht die Vermutung aus, daiB Brahms zehn Jahre nach der Passacaglia in der Vierten Symphonie dieses archaische Verfahren erneut aufgriff, aber nunmehr in einer neuen freieren Form angewandt habe.

Andere Einzeldarstellungen gelten einem zur Untersuchung des Rhythmus entwickelten System, das R. C. Domek auf die Klavierstiicke (op. 116-119) anwendet, vereinheitlichenden Elementen, die T. O. Mastroianni an Hand der Phantasien (op. 116) hauptsaichlich auf motivische Entsprechung und in tonaler Beziehung untersucht, der Analyse der Klavierstiicke (op. 118) durch R. L. Blocker, der sie als Charakterstiicke wertet, und durch J. B. Lamb, der sich der Theorie H. Schenkers bedient, wihrend D. Epstein tonale Verzigerungen im Intermezzo (op. 118, 2) aufzeigt und L. P. Miller, vom Begriff ,,Kontinuitit" beim Intermezzo (op. 118, 6) ausgehend, Gegebenheiten der Harmonik, Melodik und Tonhohe iiberpriift und hieraus zugleich M6glichkeiten der Auffiihrung des Stiickes entwickelt.

In zwei Darlegungen wird die Frage von Brahms' Bearbeitungen eigener Werke fiir Klavier zu vier Hhinden aufgegriffen. R. Komaiko geht beim Vergleich der Kammermusikwerke (Klavierquartette, Streichquartette, Streichquintette und Streichsextette), der Serenaden fiir Orchester und des Deutschen Requiem mit den Original-Fassungen vor allem auf Brahms' Anderungen gegeniiber diesen in Rhythmik, Melodik, Harmonik, Satztechnik, Phrasierung und Dynamik ein und hebt Brahms' Streben nach Klarheit und Spielbarkeit in diesen Bearbeitungen hervor. - E. S. Derr demonstrierte in seinem Detroiter Referat an Hand einzelner charakteristischer, den Symphonien (op. 68, 90 und 98), dem Klavierquartett (op. 25) und dem Streichquartett (op. 51, 2) entnommener Passagen kleineren oder

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Page 41: Zum Stand der Brahms-Forschung

170 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

gr6i•eren Umfangs im Vergleich mit der jeweiligen originalen Fassung Brahms' Art der Bearbeitung.

d) Orgelwerke A. BOND, Brahms Chorale Preludes, op. 122, in: MT 112 (1971), S. 898-900. - H. J.

BUSCH, Die Orgelwerke von Johannes Brahms, in: Ars Organi 11 (1963), S. 582-584. - H. W. GAY, I: Liturgical Role of the Organ in France, 757-1750. II: Selected Organ Works of Johannes Brahms (Diss. Indiana Univ. 1955). - V. GOTWALS, Brahms and the Organ, in: Music/The A.G.O. and R.C.C.O. Magazine 4 (1970), S. 38-55. - K. W. SENN, Johannes Brahms. Elf Choralvorspiele ffir Orgel, op. 122, in: Musik und Gottesdienst 13 (1959), S. 172-183.

H. J. Busch und V. Gotwals befassen sich mit saimtlichen von Brahms

komponierten Orgelwerken. Busch, der davon ausgeht, dag Brahms' Kompositio- nen fiir Orgel lange Zeit vergessen waren, obwohl sie orgelmaiBig gesetzt und fiir liturgische wie fiir konzertante Zwecke geeignet seien, betont, daig in ihnen trotz historischer Einfliisse Brahms' Personalstil in typischer Rhythmik, Satzweise und Harmonik deutlich hervortrete, und erblickt in den Elf Choralvorspielen (op. 122), bei denen er das Vorbild Bachs und Pachelbels nachweist, die hachste Vollendung in Brahms' Orgelstil. Gotwals traigt alle Informationen iiber Brahms' Orgelspiel und

iiber dessen Kompositionen fiir und mit Orgel zusammen und legt Analysen fiir die

Solo-Stiicke vor. Entgegen Kalbeck sieht er keinen Beweis dafiir, daig einzelne der

Elf Choralvorspiele vor Mai/Juni 1896 komponiert worden sein kdnnten. K. W. Senn und A. Bond setzen sich eingehend mit den Elf Choralvorspielen

auseinander. Senn macht auf die Tatsache aufmerksam, daf gerade die Form der

Choralbearbeitung von den grolgen Meistern der Klassik und Romantik bis hin zu

Reger vermieden worden sei und begriindet Brahms' Hinwendung zu dieser

Gattung mit dessen intensiver Beschliftigung mit Bach. Vor allem weist er auf Brahms' Art der thematischen Verarbeitung hin, in der dieser weiter gehe als Bach, so in der wiederholten Umkehrung von Themen, in einem Fall auch in der

Verbindung von Umkehrung und Vergr6i1erung, und hebt sodann den fragmentari- schen Charakter der Sammlung hervor, bei der er Kalbecks Annahme folgt, dai Brahms nach der ersten Serie von sieben Vorspielen noch mehr als nur vier weitere

Vorspiele in einer zweiten Serie zusammenzustellen gedachte. A. Bond fiihrt bei ihrer Besprechung der Elf Choralvorspiele die historischen Wurzeln bis zu Scheidt ins 17. Jahrhundert zuriick, betont jedoch zugleich, daig Brahms mit diesen

Choralvorspielen, wiewohl sie als solche einzigartig in der Einfachheit und

Intensitait des Ausdrucks seien, auch einen Weg fiir Parry, Karg-Elert und Reger, wie dariiber hinaus fiir die moderne Wiederbelebung des Choralpriludiums, eriffnet habe.

2. Vokalmusik

a) Chorwerke E. W. ABERCROMBIE, A Conductor's Analysis of Johannes Brahms's ,,Ein deutsches

Requiem", opus 45 (Diss. Indiana Univ. 1974; mschr.) - K. E. BELLAMY, Motivic Development in two larger Choral Works of Johannes Brahms (Diss. Univ. of Wisconsin

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Page 42: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 171

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Unter den Brahms' Chorwerken gewidmeten Arbeiten ist vor allem das grund- legende, aus einem historischen, analytischen und systematischen Teil bestehende Werk von Siegfried Kross zu nennen, in dem Brahms' Chorkompositionen erstmals als Gesamterscheinung untersucht und gewiirdigt werden. Es erfiillt zugleich die Funktion eines Handbuches fuir Wissenschaftler, wie auch fuir Chorleiter, vor allem in seinem zweiten Teil, der mit Hinweisen auf die Entstehungszeit, die Texte, Formen und Datierungen ausgestattet ist. Im ersten Teil fiihrt Kross aus, da1? die Chorwerke bei Brahms wichtige Marksteine fiir seine kiinstlerische Entwicklung bilden: iiber das Vorherrschen des Kanons der ersten Phase folgt der Obergang zum Instrumental- und Liedschaffen in der zweiten Phase, wihrend die gro1en Chorwerke mit Orchester zur Symphonie fiihren und die spliten Motetten eine letzte Reife des Stils darstellen. Im dritten Teil der Arbeit behandelt Kross vor allem die

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Grundlagen des Brahmsschen Chorschaffens, dessen Chorstil und das Verhailtnis von Wort und Ton.

Weitere Ver6ffentlichungen gelten hauptsichlich dem Deutschen Requiem. Bei dem Werk von K. Blum handelt es sich in erster Linie um eine dokumentarische

Darstellung vornehmlich der Bremer Tradition und Pflege von Brahms' Requiem, deren Bedeutung im lokalgeschichtlichen Bereich liegt. Beachtenswert und als Material neu sind vor allem im dritten Kapitel ,,Auffiihrungen des ,Deutschen Requiem' in Bremen" vollsthindige Abdrucke von Vorberichten zur ersten Bremer

Auffiihrung und Berichten iiber diese. Noch sei angemerkt, dait die im Autograph und damit auch in der Erstausgabe des Werkes stehenden Metronom-Angaben nicht von Brahms, sondern von Karl Reinthaler stammen, und der Komponist sie daher 1894 anlit•lich eines Neudrucks von Partitur und Klavierauszug eliminieren

lieR. - Mit Brahms' Requiem befassen sich weiterhin E. W. Abercrombie, der die

Chronologie des Werkes und dessen erste Auffiihrungen behandelt, und W.

Westafer, der die textliche und musikalische Struktur der Komposition naiher untersucht.

In einer Reihe von Darstellungen werden motivisch-thematische Zusammen-

hinge im Deutschen Requiem aufgezeigt. Als erster ging 1954 J. Gardner den

Beziehungen zu dem Choral ,, Wer nur den lieben Gott liif3t walten" nach, wobei er in

simtlichen Teilen der Komposition Ableitungen von der Choralmelodie nachweisen konnte. Weitere, zum Teil eingehende Untersuchungen in dieser Richtung nahmen 1963 W. S. Newman, 1964 H. Hollander, 1969 K. Reinhardt und 1972 M. Boyd und M. Musgrave vor, wobei Musgrave die Verwendung des Chorals mit der

Entstehung der einzelnen Teile des Requiem in Beziehung setzt. Nicht gesondert, sondern in Zusammenhang mit Brahms' Bibel-Vertonungen,

hauptsaichlich mit dem Deutschen Requiem, wird die Frage von Brahms' Religiosi- tait angeschnitten oder auch naiher er6rtert. DaIt Brahms die Bibel weniger als

Dogma denn als Dichtung und Philosophie betrachtete, stellt R. Gerber an Hand des Requiem dar. R. Hernried gelangt bei seinen tOberlegungen, die hauptsaichlich dem Requiem gelten, zu der Einsicht, dat ,,Brahms' Einstellung zum Christen- tum . . . eine tiefstens bejahende" war, nur sei sie ,,verweltlicht" gewesen. Auch O. Riemer setzt sich mit dieser Problematik auseinander und kommt zu dem Schlult, datg das Requiem, in einem liberaleren Sinne verstanden, durchaus seinen,,theologi- schen Ort" habe.

Daneben bilden die Alt-Rhapsodie (op. 53) und das Schicksalslied (op. 54) den

Gegenstand fiir verschiedene Abhandlungen. A. Liebe stellt im Rahmen ihrer Arbeit iiber Brahms' Alt-Rhapsodie einen Vergleich zwischen der Reichardtschen und der Brahmsschen Vertonung des Goethe'schen Textes an, aus dem deutlich wird, daiB Reichardt sich streng an die Abfolge der Textvorlage hielt, wiihrend Brahms um der musikalischen Formung willen gewisse Unterteilungen des Textes vornahm und

textliche UnregelmiBigkeiten durch Wortwiederholungen ausglich, wobei er sich auch in seiner Komposition als Ganzes gesehen v6llig unabhaingig von Reichardt

zeigt. - Analytische Ansaitze zur Alt-Rhapsodie brachten in ihren Detroiter Referaten A. S. Garlington Jr. in allgemeiner Deutung, W. Berry im Verhailtnis von

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 173

Wort und Ton und A. Forte in rhythmischer und metrischer Beziehung. - D. Hayes befatt sich mit dem Thema des Schicksals in den Texten der Alt-Rhapsodie und im Schicksalslied 4, die er inhaltlich mit den der Bibel entnommenen Texten des Requiem gleichzusetzen versucht.

G. Schuhmacher setzt sich mit Brahms' Vertonung von H61lderlins Schicksalslied auseinander. Er legt dar, da1 ein Schlui des Werkes iiber das Gedicht hinaus unbedingt erforderlich gewesen sei, und gibt zu bedenken, daig eine Riickkehr zum Anfang des Chores entsprechend Brahms' erster Fassung der Komposition von der dichterischen Struktur her gesehen nicht m6glich gewesen waire. Brahms habe somit das Gedicht nicht einfach vertont, sondern es zum Anlat fiir eine ,,Neugestal- tung" genommen. Entgegen der allgemeinen Auffassung vertritt Schuhmacher iiberdies die Meinung, daiB Brahms 1853, nicht erst 1868, H61derlins Werke kennen gelernt habe. - Aufschluigreich ist im Zusammenhang mit der Problematik des rein instrumentalen Schlusses des Schicksalsliedes die zeitgen6ssische Ansicht in Gestalt einer Kritik von Hermann Goetz aus der Neuen Ziircher Zeitung, die N. Miller mitteilt. Er macht deutlich, daB Goetz in der durch Brahms vollzogenen musikalischen Schlutlo6sung des Schicksalsliedes einen Verstoig gegen die ,,Stilein- heit" zu sehen glaubte, und faint Goetz' Beharren auf dieser Stileinheit als ,,Antwort auf die schrankenlose Ausdrucksiisthetik der Nachromantik" auf.

Verschiedene Darlegungen sind den Chorwerken a cappella gewidmet. M. P. Rose erforscht Brahms' Kompositionsmethode in den Chorwerken a cappella op. 22, 29, 42, 74, 104, 109, 110 und in Dem dunkeln Schof3, wobei er auf Besonderheiten im tonalen und formalen Bereich aufmerksam macht und zu dem Ergebnis gelangt, dal die Musik nicht vom Text aus Griinden des Zusammenhalts abhaingt. - W. Kbser geht es um den Nachweis von Stilprinzipien in Brahms' geistlichen Chorwerken a cappella, die er in formaler, satztechnischer, melodischer, harmonischer, rhythmi- scher, dynamischer und textlicher Beziehung zu erkunden trachtet. - W. Schbnheit, der einen Uiberblick iiber Brahms' geistliche Chorwerke gibt, geht es um die Einbeziehung Brahmsscher geistlicher a cappella Chorwerke in den Gottesdienst. - B. Stockmann untersucht die Satztechnik der Fest- und Gedenkspriiche (op. 109) in ihrem Verhiltnis zur Tradition des 17. Jahrhunderts, wobei er einzelne Archaismen aus dem Zusammenhang des Werkes herausgreift und entsprechenden historischen Beispielen gegeniiberstellt. - Im Gegensatz hierzu versucht F. Krummacher in diesem Motetten-Werk Brahms' kiinstlerische Eigenstaindigkeit herauszuarbeiten. Er fiihrt aus, da19 mit dem motettischen Prinzip der Reihung sich Brahms' Prinzip der variativen Entwicklung verbindet, etwa im Verhiltnis von Chor I zu Chor II, der entgegen ailterer Doppelch6rigkeit keine echomii8ige Wiederholung bringt, sondern in der Stimmfiihrung und Rhythmik gegeniiber Chor I abgewandelt erscheint, weiterhin in der Verklammerung der drei Motetten in der Weise, dait die zweite

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einen Kontrast und die dritte eine Bestaitigung gegeniiber der ersten darstellt, und damit solche kiinstlerischen Momente die Bedeutung dieses Werkes sicherten.

Eine umfassende Spezialstudie iiber Brahms und seine verschiedenen Hamburger Frauenchbre stammt von S. Drinker, die neben bekanntem Material auch neue Fakten vorlegt, wobei ihr Interesse hauptsdichlich der soziologischen, weniger der

quellenkundlichen Seite gilt. Sie fufit zum einen auf Erinnerungen einzelner

Mitglieder des Hamburger Frauenchors, zum andern auf einer Anzahl 1935 erworbener handschriftlicher Stimmenhefte und Partituren, die urspriinglich Mit-

gliedern des Frauenchors gehbrt hatten und von den Damen nach Brahms'

Manuskripten kopiert worden waren, so Frauenchdre (darunter op. 17, 27, 37, 44 u. a.) und 50 Volksliedbearbeitungen sowie Originalkompositionen fiir Frauenchor, die der Komponist spaiter fiir gemischten Chor oder eine Solostimme und Klavier bearbeitete, wihrend die urspriingliche Fassung unbekannt blieb55.

b) Lieder, mehrstimmige Gesiinge und Volksliedbearbeitungen W. BARLMEYER, ,,Von ewiger Liebe" - Noch einmal zur Textvorlage von Brahms' op.

43,1, in: Melos/NZfM 4 (1978), S. 101-102. - K. PH. BERNET KEMPERS, ,,Die Emanzipation des Fleisches" in den Liedern von Johannes Brahms, in: Fs. fiir Erich Schenk = StMw 25 (1962), S. 28-30. - R. BOROS, Brahms-Pet5fi megzenesitfje, in: Muszika 2 (1959); in Dt. als: Petofi - in der Vertonung von Brahms, in: StMI 8 (1966), S. 391-399. - M. BOYD, Brahms and the Four Serious Songs, in: MT 108 (1967), S. 593-595. - TH. BOYER, Brahms as Count Peter of Provence: a psychosexual interpretation of the Magelone poetry, in: MQ 66

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Page 46: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 175

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Unter den vokalen Gattungen stellten von jeher die Liedkompositionen einen bevorzugten Gegenstand der Brahms-Forschung dar. Hier sind sowohl allgemeine Wiirdigungen und eingehendere Abhandlungen, als auch speziellen unterschied- lichen Fragestellungen geltende Darlegungen zu nennen. Mit Brahms' Liedern im allgemeinen, vor allem mit solchen der mittleren und spditeren Schaffenszeit, befaIgt sich M. S. Druskin. - A. Craig Bell geht es in seiner Darstellung des Liedes innerhalb der verschiedenen Lebensphasen des Meisters vor allem um zahlreiche weniger bekannte, aber bedeutende Lieder, die bisher zu Unrecht iibersehen oder unbekannt geblieben seien. - M. Harrison legt nach einleitenden Gedanken fiber kiinstlerische, musikalische, historische und kulturelle Einfliisse auf das Lied im allgemeinen besonderes Gewicht bei seinen Analysen Brahmsscher Lieder auf Form und Struktur, auf die Rolle der Sprache, auf Anderungen, die der Komponist an zu vertonenden Texten vornahm, auf das Verhailtnis von Wort und Ton und auf Brahms' Entwicklung als Liedkomponist. - K. Giebeler setzt sich in einer ausfiihrlichen Studie mit Brahms' einstimmigen Liedern mit Klavierbegleitung (ohne die Magelone-Lieder, op. 33), die er in vier Schaffensperioden gliedert, auseinander, wobei er die bei seinen Analysen erzielten Ergebnisse, die sich auf Melodiebildung, Rhythmus, Satztechnik und Harmonik, Variationsverfahren, Glie- derung und Aufbau, Verhtiltnis zum Volkslied, Texte, Verhiiltnis von Text und Musik sowie stilistische Entwicklung in Brahms' Liedern und deren Stellung in der Musikgeschichte beziehen, abschlieBend gesondert abhandelt.

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Je zwei Aufsaitze sind Brahms' Magelone-Romanzen (op. 33) und den Vier Ernsten Gesiingen (op. 121) gewidmet. Wifhrend D. C. Jack die Entstehung der

Magelone-Lieder und Aspekte zu deren Interpretation behandelt, versucht Th.

Boyer, eine etwas gewagte psychologische Deutung von Tiecks Magelone-Dichtung zu geben, in der er die Gestalt des Grafen Peter aus der Provence mit Brahms identifiziert. - G. Gihler sieht in den Vier Ernsten Gesiingen Brahms' eigentliches

Vermichtnis, wihrend M. Boyd diese Lieder, die er als einzigen Lied-Zyklus von Brahms betrachtet, als nicht einheitlich konzipiert auffatt; nur die drei ersten

Gesainge stellten eine Einheit in Text und Musik dar, der vierte Gesang sei jedoch, entgegen anderen Deutern, abgetrennt von den drei vorangehenden Teilen in

textlicher und musikalischer Beziehung und habe als solcher keinen Platz in diesem

Zyklus. Doch diirfte diese Deutung Brahms' Intentionen kaum gerecht werden. Einzelstudien zu Brahms' Liedkompositionen sind thematisch unterschiedlich

ausgerichtet und bringen zum Teil wichtige Beobachtungen und Ergebnisse. Abgesehen von seinen Untersuchungen der Tonarten-Charakteristik, nach wie vor

ein umstrittenes Forschungsobjekt, gibt E. Rieger wertvolle Hinweise auf Brahms' Lieder, etwa daig Brahms in diesen den Kreis der angewandten Tonarten im

Vergleich zu den Vorghingern erheblich erweitert, so gegeniiber Schubert im

Verhiltnis von 31:23, und dai er das Verfahren der Tonalitits-Verschleierung als

,,Tonartverschleierung", ,,Tonarteinspielung" und ,,Tonartverzigerung" in den Liedern in ausgedehntem Magte anwende. - L. Misch betont in seiner Studie, daig Brahms in zahlreichen Liedern Mittel kontrapunktischer Satztechnik gebraucht und zwar weniger, um den Text in bestimmter Weise zu deuten, als vielmehr aus rein musikalischen Ursachen, den Satz zu binden, zu vereinheitlichen. - Auch H. Hering vertritt die Auffassung, daig es Brahms bei der Vertonung von Liedern auf den

Gesamtzusammenhang, weniger auf Wortausdeutung im einzelnen angekommen sei und hebt die organische Einheit von Singstimme und dem iiberaus kunstvoll

gestalteten Klavierpart hervor, der den Gesamteindruck intensiviert. - H. Bunke bezieht in seiner der Barform gewidmeten Arbeit auch Brahmssche Liedkompositio- nen ein, von denen er 28 Lieder mit dieser Form nachweist, also etwa 13 % des

gesamten Liedschaffens, und diese stilkritisch mit Liedern Schuberts, Schumanns, Mendelssohns und Wolfs vergleicht. - Eingehende Analysen von A. Clarkson und E. Laufer, in denen vor allem die Wort-Ton-Beziehungen beriicksichtigt werden,

gelten Brahms' Lied ,,Wie Melodien zieht es" (op. 105, 1). Laufer betont hierbei, daig

das Gedicht, seine Struktur und die dahinterstehende Idee organischer Teil der

Komposition werden. Wesentliches Interesse beanspruchte schon immer das Problem der Sprach-

behandlung in Brahms' Liedern, dem eine Reihe von Artikeln gewidmet ist.

H. Federhofer untersucht als erster kritisch H. Riemanns Auffassung von den

Taktfreiheiten in Brahms' Liedern 56, die darin gipfelte, daB Brahms Taktstriche nur benutzt habe, um seine wirklichen Absichten zu verschleiern, und fiihrt aus, wie

sehr gerade Riemanns Umstellung der originalen Taktstriche die Kompositionen

56 H. RIEMANN, Die Taktfreiheiten in Brahms' Liedern, in: Die Musik 12,1 (1912/13), S. 10-21.

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milgdeutet, und betont, daiB es nicht geniige, nur die Rhythmik zu untersuchen, da die Taktschwerpunkte in Vokalwerken nicht allein von Metrik und Rhythmik der sprachlichen Vorlage, sondern etwa auch von der harmonischen Fortschreitung abha*ngen und sich nach deren Belangen nicht willkiirlich verschieben liegen. - K. Giebeler nimmt in seiner oben erwaihnten Abhandlung gegeniiber Federhofer einen iiberholten, wieder auf Riemann zuriickweisenden Standpunkt ein. In einer abschlie1genden Erbrterung setzt sich S. Kross noch einmal mit dieser Frage auseinander und betont, daig bei der Betrachtung von Wort-Ton-Problemen in Brahms' Werken neben dem Rhythmus auch die anderen musikalischen Elemente einbezogen werden miissen.

Zahlreiche Beitrige gelten Brahms' Textdichtern. Zum einen geht es um die Richtigstellung falscher oder ungenauer Zuschreibungen. So gelingt es E. Sams, den Text des Liedes Von ewiger Liebe (op. 43, 1), der bisher mit dem Namen Josef Wenzig ausgewiesen war, als von Heinrich Hoffmann von Fallersleben herriihrend zu identifizieren57. W. Barlmeyer prizisiert Sams' Angaben dahingehend, daig Hoffmann von Fallersleben durch seine Beziehungen zu dem G6rlitzer Pfarrer Leopold Haupt, der mit der national-sprachlichen Bewegung der Sorben eng verbunden war, das wendische Volkslied kennenlernte und nach der von Haupt vorgenommenen Obersetzung eine freie Obertragung angefertigt habe 58. - R. Boros vermag aufgrund einer 1948 ver6ffentlichten Entdeckung des ungarischen Germani- sten J. Tur6czi-Trostler59 nachzuweisen, daiB der deutsche Philosoph und Dichter G. F. Daumer (1800-1875) zwanzig weitgehend umgearbeitete Gedichte von Petofi in seine Sammlung Polydora, ein weltpoetisches Liederbuch (Frankfurt a. M. 1855) -

ohne Hinweis auf Pet6fi's Urheberschaft - unter den als ,,Magyarisch" bezeichne- ten 51 ,,Volksliedern" aufgenommen habe, worunter sich mehrere von Brahms vertonte Texte befinden, etwa ,,Wie wandelten, wir zwei zusammen" (op. 96, 2).

Zum andern wird in mehreren Darlegungen Brahms' Verhiltnis zu Texten und Textdichtern behandelt. Dem Problem der Textwahl und des Setzens von Gedichten in Musik in Brahms' Liedern geht M. B. Stohrer im einzelnen nach. - K. Ph. Bernet- Kempers fiihrt aus, daiB bei Brahms' Liedtexten gegeniiber der ilteren Generation von Liedkomponisten wie Schubert, Schumann, Franz ,,ein mehr realistisches Verhiiltnis zum Phiinomen ,Liebe' und ein Zuriicktreten des mehr idealistischen Elements" zu beobachten sei und erinnert vor allem an die Gedichte G. F. Daumers. - E. Otto gibt einen zusammenfassenden IOberblick iiber Brahms' Verhiltnis zu Daumer und dessen Vertonungen Daumerscher Texte. - G. Sannemiiller bespricht die elf in den Jahren 1862 bis 1886 entstandenen Lieder auf Gedichte von Klaus Groth, die Brahms Groths Sammlung Hundert Bliitter entnahm. - J. P. A. Koelink charakterisiert Brahms' nach Texten Heines vertonte Liedkompositionen (op. 71, 1; op. 85, 1-2; op. 96, 1, 3-4), von denen er ,,Der Tod, das ist die kiihle Nacht" (op.

7 Gedichte (Breslau 1837), S. 117, unter Nr. 3 der ,,Wendischen Lieder". 58 Man vgl. Volkslieder der Wenden in der Ober- und Nieder-Lausitz. Hrsg. von L. Haupt und J. E. Schmaler (Grimma 1841), Nr. XXIV in Originalsprache und lbersetzung als: Unzertrennliche Liebe ,,Abends des Abends". 59 J. TUROCZI-TROSTLER, Petafi rangrejtve [Petifi inkognito], in: Magyar Nyelv6'r [Ungarischer Sprach- wart] (1948), Nr. 4.

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96, 1) fiir das bedeutendste halt. - R. Fiske wiirdigt Brahms' Vertonungen nach Herders Obersetzungen Schottischer Balladen und hebt deren teilweise Umsetzung in Instrumentalmusik hervor. - Der von A. Protz mitgeteilten Oberlieferung von Heinrich von Oiste fiber die Entstehung des Gedichtes Feldeinsamkeit von Hermann Allmers, der die Vertonung eines unbekannten Zeitgenossen Brahms'

Komposition (op. 86, 2) vorzog, kommt lediglich anekdotische Bedeutung zu. In weiteren Studien wird das Problem der Parallel-Vertonungen ganz oder

partiell behandelt. Im Rahmen von sechzehn Brahmsschen Vertonungen Goe- thescher Texte vergleicht A. Kockegey Brahms' Lieder Die Liebende schreibt (mit Schubert und Mendelssohn), Heidenrbslein (mit Schubert und Schumann) und Trost in Triinen (mit Haydn, Schubert und L6we). Dariiber hinaus fiihrt sie aus, daig es sich bei den von Brahms vertonten Texten Goethes vielfach um Dichtungen handele, in denen eine Stimmung nur angedeutet sei, und damit die M6glichkeit zu

weitergehender musikalischer Gestaltung durch den Komponisten gegeben sei, etwa die Serenade (op. 70, 3), ,,Es rauschet das Wasser" (op. 28, 3) und das Wechsellied zum Tanze (op. 31, 1). - Unabhingig von dieser Untersuchung nimmt C. Jacobsen den Vergleich einer Auswahl von sechzehn Brahmsschen Liedern mit

parallelen Liedkompositionen C. M. von Webers, Schuberts, Mendelssohns, Schu- manns, Franz' und Wolfs aufgrund diuierst detailliert angelegter Analysen vor. Eine bevorzugte Vergleichsgrundlage bildet hierbei M6rikes Gedicht An eine

Aolsharfe in der Vertonung von Brahms (1862) und Hugo Wolf (1888), die auch C. Jacobsen in ihre Dissertation einbezieht. Ging es R. Steglich bei seinem Vergleich beider Kompositionen in erster Linie um Fragen des Grundrhythmus, und zeigen A. Tausche und B. Kinsey allgemeine Unterschiede der Vertonung von Brahms und Wolf auch hinsichtlich der Deklamation des Textes auf, so befa1~t sich A. Edler

gemdit seiner Fragestellung mit den Darstellungsmitteln, die beide Komponisten ffir die Aolsharfe anwenden. Er hebt hervor, daiB die Klage der Aolsharfe hauptsdichlich unter dem Gesichtspunkt ,,der Tristung, der Milde und der Jenseitsverheif3ung" gesehen wird, beide Lieder in Dur stehen, dieses jedoch durch haiufigen Gebrauch von Nebenstufen, Leittonspannungen und anderen Mitteln dunkler erscheint60.

Die einzige, mehrstimmigen Gesingen von Brahms gewidmete Arbeit stammt von P. Hamburger, der sich in einer ausfiihrlichen Studie der Liebeslieder. Walzer

(op. 52) annimmt, von denen er eine allgemeine Charakteristik gibt und dann besonders das Verhiltnis von Wort und Ton beleuchtet.

Mit Brahms' Verhiltnis zum Volkslied und dessen Volkslied-Bearbeitungen hat sich die Brahms-Forschung immer wieder auseinandergesetzt. R. Gerber charakte- risiert 1948 Brahms' Anschauungen in dieser Richtung und wiirdigt Brahms'

Volkslied-Bearbeitungen aus allgemeiner Sicht. - Eine entscheidende Wendung in der Einschaitzung von Brahms' Auffassung vom Volkslied fiihrte die grundlegende Untersuchung von W. Wiora herbei, in der dieser zu dem Ergebnis gelangt, daig die in der Sammlung von Kretzschmar und Zuccalmaglio enthaltenen und von Brahms vielfach fur seine Bearbeitungen herangezogenen Lieder ,,alte Liedweisen in

6 A. EDLER, Studien zur Auffassung antiker Musikmythen im 19. Jahrhundert, S. 287-290.

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 179

romantischer Fiirbung" darstellen. Es handelt sich bei ihnen - mit geringer Ausnahme von Weisen, deren Herkunft unbestimmbar blieb -, um eine historisch gesehen diltere Schicht von Melodien, als bei den gemeinhin von Erk und B6hme gesammelten Volksliedern. - Eine fundierte Abhandlung von Brahms' Verhiiltnis zum deutschen Volkslied stellt die 1953 von W. Morik verfalte Dissertation dar, die jedoch fiir den 1965 erfolgten Druck nicht iiberarbeitet wurde und damit den Forschungsstand von 1953 repraisentiert. So blieb etwa die durch S. Kross 1958 in einem Aufsatz vervollstaindigte Liste der von Morik im Anhang seiner Arbeit gegebenen ,,Aufstellung aller von Brahms iiberhaupt bearbeiteten Lieder" in der

gedruckten Ausgabe unberiicksichtigt. Morik geht in seinen Darlegungen vor allem auch der Frage nach, inwieweit sich Brahms' Kenntnis vom Volkslied auf dessen Liedschaffen ausgewirkt hat, und vermochte 67 Lieder zu benennen, bei denen ein solcher Nachweis zu erbringen ist. Den EinfluiB von Volksliedern auf Brahms' Liedkompositionen untersuchte sodann 1966 aufgrund eines inzwischen zuginglich gewordenen breiteren Vergleichsmaterials S. Helms. Doch haben die von ihm herangezogenen ,,Zitate und Einfliisse fremder Melodien", da sie nicht auf

Stilvergleichen basieren, zu wenig Beweiskraft, um wirklich iiberzeugen zu konnen.

III. Behandlung musikalischer Einzelprobleme E. H. ALDEN, The Function of Subdominant Harmony in the Works of Johannes Brahms

(Diss. Univ. of North Carolina 1950). - J. D. ANDERSON, Brass Scoring Techniques in the Symphonies of Mozart, Beethoven and Brahms (Diss. George Peabody College for Teachers, Nashville, Tess. 1960). - O. BRUSATTI, Zur thematischen Arbeit bei Johannes Brahms, in: StMw 31 (1980), S. 191-205. - C. BURKHART, The ,,Delayed Tonic" Affect in Brahms (International Brahms Congress Detroit 1980). - W. CZESLA, Motivische Mutationen im Schaffen von Johannes Brahms, in: Colloquium Amicorum. Fs. Joseph Schmidt-Gbrg (Bonn 1967), S. 64-72. - J. DUNSBY, Structural Ambiguity in Brahms. Analytical Approaches to Four Works (Thesis Leeds Univ. 1976) (Studies in British Musicology), (Ann Arbor 1981). - I. FELLINGER, Studien zur Dynamik in Brahms' Musik (Diss. Tiibingen 1956); gedruckt als: Olber die Dynamik in der Musik von Johannes Brahms (Berlin und Wunsiedel 1961). - DIES., Zum Problem der Zeitmaf3e in Brahms' Musik, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kassel etc. 1963), S. 219-222. - A. FORTE, The structural Origin of exact Tempi in the Brahms-Haydn Variations, in: MR 18 (1957), S. 138-149. - W. FRISCH, Brahms's Sonata Structures and the Principle of Developing Variation (Diss. Univ. of California, Berkeley 1981), (California Studies in 19th Century Music), (Berkeley 1983), im Druck. - C. GAMER, Busnois, Brahms and the Syntax of Temporal Proportions, in: A Festschrift for Albert Seay. Essays by His Friends and Colleagues (Colorado Springs 1982), S. 201-215. - W. GIESELER, Die Harmonik bei Johannes Brahms (Diss. G6ttingen 1949). - H. HAACK, Music by Brahms as performed in Historical Records: Authentic Style as an Object of Research and as a Problem of Modern Performance (International Brahms Congress Detroit 1980). - R. HAASE, Studien zum kontrapunktischen Klaviersatz von Johannes Brahms (Diss. K61n 1951). - H. HIRSCH, Rhythmisch-metrische Untersuchungen zur Variationstechnik bei Johannes Brahms (Diss. Hamburg 1963). - K. HLAWICZKA, Die rhythmische Verwechslung, in: Mf 11 (1958), S. 33-47; zu Brahms: S. 34-35, 42. - H. HOLLANDER, Die Terzformel als musikalisches Bauelement bei Brahms, in: NZfM 133 (1972), S. 439-441. - S. KROSS, Brahms und der Kanon, in: Fs. Joseph Schmidt-Gbrg zum 60. Geburtstag (Bonn 1957), S. 175-187. - L. LESZNAI, Egy Magyaros intondcid nyomsban Johannes Brahms miiveiben, in: Magyar Zene 10 (1969), S. 183-188; in Dt. als: Auf den Spuren einer ungarischen Intonation in den Werken von Johannes Brahms, in: Musik und Gesellschaft 21 (1971), S. 455-458. - P.

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Page 51: Zum Stand der Brahms-Forschung

18o I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

MIES, Ulber ein besonderes Akzentzeichen bei Joh. Brahms, in: Kgr.-Ber. Kassel 1962 (Kassel etc. 1963), S. 215-217; erweitert in: Beitriige zur Musikwissenschaft 5 (1963), S. 213-222. - A. MITSCHKA, Der Sonatensatz in den Werken von Johannes Brahms (Diss. Mainz 1961; Giitersloh 1961). - W. MOHR, Johannes Brahms formenschiipferische Originalitiit, dargestellt am ersten Satz seiner Violinsonate, op. io8, und seiner Rhapsodie, op. 79, Nr. 2, in: Kgr.-Ber. Leipzig 1966 (Kassel etc. 1970), S. 322-325. - H. J. MOSER, Brahmsens Klavierspiel und Klaviersatz, in: Das Klavierspiel 6 (1964), Nr. 4, S. 18-19. - M. MUSGRAVE, Frei aber Froh: A Reconsideration, in: 19th Century Music 3 (1979/80), S. 251-258. - R. U. NELSON, The Technique of Variation, a Study of the Instrumental Variation from Antonio Cabez6n to Max Reger (Berkeley and Los Angeles 1948). - R. PASCALL, Formal Principles in the Music of Brahms (Diss. Univ. of Oxford 1972; mschr.). - DERS., Some Special Uses of Sonata Form by Brahms, in: Soundings 4 (1974), S. 58-63. -

E. SAMS, Brahms and his Musical Love Letters, in: MT 112 (1971), S. 329-330. - DERS., Brahms and his Clara Themes, in: MT 112 (1971), S. 432-434. - S. L. SEIFERT, Johannes Brahms and the French Horn (M. A. Diss. Univ. of Rochester 1969). - E. R. SISMAN, Variation and Fantasy: Brahms and his Models (International Brahms Congress Detroit 1980). - E. STEIN, Some Observations on Brahms's Shaping of Forms (1933), in: E. STEIN, Orpheus in New Guises (London 1953), S. 96-98; urspriinglich in: Anbruch (1933, April/ Mai). - R. TENSCHERT, Die Klangwelt von Johannes Brahms, in: OMZ 6 (1951), S. 307-310. - H. TRUSCOTT, Brahms and Sonata Style, in: MR 25 (1964), S. 186-201. - J. WETSCHKY, Die Kanontechnik in der Instrumentalmusik von Johannes Brahms (Diss. K1ln 1965), (K61ner Beitraige zur Musikforschung, 35), (Regensburg 1967). - C. WILSON, Brahms and the Triplet, in: MMR 83 (1953), S. 92-95. - H. ZINGERLE, Chromatische Harmonik bei Brahms und Reger, in: StMw 27 (1966), S. 151-185.

Neben verschiedenen Gattungen der Instrumental- und Vokalmusik gewidmeten Darstellungen wurden vor allem unterschiedliche Einzelprobleme in Brahms' Musik

angegangen. Zum einen wurden Fragen erSrtert, mit denen sich die Brahms-

Forschung schon vorher befaftt hatte, so Probleme der Harmonik, der Satztechnik und der formalen Struktur, die aber nunmehr griindlicher und zum Teil aus neuer Sicht betrachtet wurden. W. Gieseler fiihrt in seiner eingehenden Untersuchung von Brahms' Harmonik aus, da? Brahms durch vielf iltige Anwendung von Nebenstufen und die Verselbstaindigung zahlreicher Akkorde durch Zwischendominanten bis an die Grenzen der Tonalitit verstolge. - Weitere Darlegungen gelten Teilbereichen der Harmonik. So untersuchten E. H. Alden die Funktion der Subdominante, H.

Zingerle den Bereich chromatischer Fortschreitungen, wobei er hervorhebt, dal? eine ,,Grenze der mit dem Klangmaterial miglichen Akkordverbindungen" erst bei

Reger um 1900 erreicht werde, und C. Burkhart in seinem Detroiter Referat -

vergleichbar E. Riegers Untersuchungen an Brahmsschen Liedern - die Verz6ge- rung des Eintritts der Tonika, die er an Klavierstiicken (op. 117, 2, op. 76, 4, op. 118, 1 und op. 116,3), Liedern (op. 43, 2 und op. 57, 3) und an einzelnen Passagen aus

der Dritten Symphonie (op. 73) demonstrierte.

Darlegungen zur Satztechnik stammen von R. Haase, der sich speziell mit Brahms' Klaviersatz besch!iftigt, und etwa auf Abweichungen vom strengen Spiegelkanon oder bei den Schumann-Variationen (op. 9), Variation io, auf den zur Melodie erhobenen Schumannschen Bat, der als Spiegelkanon durchgefiihrt wird, hinweist. - Grundlegende Erwligungen iiber Brahms' Verhiltnis zum Kanon und das Vorkommen von Kanons in Brahms' Kompositionen bringt S. Kross.

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Page 52: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 181

J. Wetschky betont in seiner Arbeit iiber die Kanontechnik, in der er die Gattungen der Instrumentalmusik chronologisch behandelt, die relativ kleine Anzahl unabhain- giger instrumentaler Kanons, die von geringerer Bedeutung sei, als die vielen kanonischen Passagen in Brahms' Musik, mit denen der Komponist die traditionel- len klassischen Formen zu festigen trachtete, so im Sonatensatz, besonders innerhalb des Durchfiihrungsteiles.

Weiterhin treten Fragen der Kompositionstechnik in den Vordergrund. H. Hol- lander versucht, auf der Basis von Beispielen aus Brahms' Intermezzo (op. 119, 1) und aus dessen Vierter Symphonie (op. 98) aufzuzeigen, bis zu welchem Grad das Intervall einer Terz als ein Konstruktionselement fungiert, und inwieweit sein Gebrauch mehr abstrakte Methoden der Konstruktion, wie sie spitere Komponisten anwenden, vorwegnimmt. - W. Czesla zeigt Modifizierungen von Themen und Motiven, durch die neue Bildungen hervorgerufen werden, so durch Mutation des ersten Themas ein zweites zu erzeugen, wie im Finale der Klaviersonate (op. 2), oder ein Intervall, das durch Vergr6iferung zu einem neuen Thema wird, wie im Finale des Klavierquartetts (op. 25), und betont, dal? im Streichquartett (op. 51, 1) dieses Prinzip bis zu einem solchen Grad entwickelt sei, wodurch beinahe das ganze Finale auf einem einzigen Motiv basiere. - O. Brusatti geht einigen Grundformen Brahmsscher Themen und Themenverarbeitung, besonders in dessen Symphonien, nach. - C. Gamer bringt, sich auf Schenker stiitzend, einen Vergleich zwischen Busnois' Advents-Hymnus Conditor alme siderum und Brahms' Intermezzo (op. 117, 3) und kommt zu dem Resultat, dat?

bei Busnois der Vorgang des Komponie- rens eine Hierarchie von Modellen auslbse, wihrend bei Brahms kein Modell von vornherein fixiert sei, und sich alle Modelle im System entfalten. - E. Sams beobachtet, daI das Anagramm AGAHE, fiir Agathe von Siebold, von Brahms nicht nur im Sextett (op. 36) und im Gesang (op. 44, 10), sondern auch in den Gesiingen (op. 44, 6-9; op. 14, 1, 4-8; op. 19, 1-3) und in den Duetten (op. 20, 1-3) angewandt sei. In einem weiteren Aufsatz weist er auf Themen bei Brahms hin, die bereits Schumann gebrauchte, um seine Frau Clara zu symbolisieren. - Oiberlegun- gen iiber das von Brahms oftmals verwendete Motto F-A-F und dessen Auslegung als ,,Frei aber froh" stellt M. Musgrave an, der dies fiir eine Erfindung Kalbecks halt und dessen Kompetenz in solchen Fragen in Hinsicht auf Brahms mit Recht anzweifelt.

Studien zur Form in Brahms' Instrumentalmusik sind schon friiher Gegenstand von Abhandlungen gewesen. Umfassende formale Untersuchungen unternimmt R. Pascall, der iiber die herk6mmlichen Formen hinaus iibergeordnete Gestaltungs- prinzipien zu erkunden sucht, die er als Prinzip der Addition, als Bestditigungs- und Antwort-Prinzip in zweiteiligen Formen und als Kontrast-Prinzip in dreiteiligen Formen erkennt.

Aut~erdem setzt er sich mit den Konventionen und Abweichungen

der Brahmsschen Behandlung der Sonatenform auseinander. - Eine weitere Reihe von Abhandlungen ist speziell Brahms' Handhabung der Sonatenform gewidmet. Schon A. Mitschka bringt in seiner Dissertation Hinweise auf Brahms' komposito- risches Prinzip einer ,,variierenden Entwicklung" im Rahmen des Sonatensatzes, so in Hinblick auf die ersten Saitze des Klavierquintetts (op. 34) und der Cello-Sonate

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182 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

(op. 38). - H. Truscott betont etwas einseitig, daB Brahms' Sonatenform nicht von Beethoven und damit nicht von der Klassik beeinfluBt sei und exemplifiziert dies an Brahms' Streichsextett (op. 18), an dem er vornehmlich dramatische Ziige wahr- nimmt. - W. Mohr versucht im Rahmen des dualistischen Prinzips der Sonatenform an den ersten Siitzen der Violinsonaten (op. 78 und op. 108) und an der Rhapsodie (op. 79, 2) individualistische strukturelle Auffassungen und intellektuelle Ideen, die zu neuen formalen L6isungen fiihren, aufzuzeigen. - R. Pascall demonstriert in einer weiteren Studie typische Modifizierungen der Sonatenform, die vor allem den

Durchfiihrungs- und den Reprisenteil angehen, an einzelnen Sditzen aus Kammer- musikwerken (op. 8, IV, 2. Fassung; op. 25, I, op. 26, IV, op. 34, IV, op. 51, Nr. 1, IV, op. 101, I, op. 108, IV und op. 114, IV) und Symphonien (op. 68, IV, op. 90, IV und op. 98, II und III), bei denen er eine Integration entwickelnder und

rekapitulierender Prozesse konstatiert, fiir die es klassische Vorbilder gibt. - W. Frisch unternimmt es in seiner Dissertation, die Strukturen von Brahms' Sonaten- form mit dem von Schonberg an Brahmsschen Werken definierten Prinzip der

,,entwickelnden Variation" in chronologischer Darstellung zu untersuchen und im

abschlie1genden Kapitel dieses kompositorische Prinzip am friihen Schbnberg der

Jahre 1892 bis 1905 zu verfolgen. Er gelangt zu dem Ergebnis, da1g Brahms

,,Modelle" aus Vergangenheit und Gegenwart, von Beethoven, Schubert, Schumann und Liszt, entnahm, indem er sich gewisse fundamentale kompositorische Prinzi-

pien zu eigen machte und damit einen eigenen Stil entwickelte, was Schbinberg in

seiner Art fortsetzte. J. Dunsby analysiert vier Brahmssche Kompositionen nach

unterschiedlichen Methoden, so die Hiindel-Variationen (op. 24) nach Ruwet, die

ersten Saitze des Klavierquartetts (op. 60) und der Vierten Symphonie (op. 98) in

Anlehnung an Schenker, und das Intermezzo (op. 119, 1) in Zusammenhang mit

Sch6nbergs Aufsatz Brahms the Progressive, wobei der allen Analysen zugrunde

gelegte Begriff der ,,ambiguity" nicht eindeutig definiert und dessen Bedeutung fiir Brahms' Musik nicht klar genug herausgearbeitet wird. - E. Stein zeigt einzelne

typische Beispiele Brahmsscher Formgestaltung, etwa in der Vierten Symphonie

(op. 98), und weist allgemein auf die konstruktive Bedeutung von Brahms' Themen

und Motiven, auf dessen Fdihigkeit, aus einem begrenzten Material neue Formen

abzuleiten, und auf variative Methoden hin. Drei Darstellungen gelten Brahms' Variationenwerken. In seiner Studie iiber die

Technik der Variation hebt R. U. Nelson als Meister der Charakter-Variation neben

Beethoven und Schumann Brahms hervor, so dessen Hiindel-Variationen (op. 24) und Haydn-Variationen (op. 56a), und fiihrt Beispiele fiir dessen Technik der

Vereinfachung, der Umkehrung, der Reduktion und der Ausdehnung in Werken wie

den Hiindel-Variationen (op. 24), den Variationen iiber ein eigenes Thema (op. 21, 1) und den Variationen iiber ein ungarisches Lied (op. 21, 2) an. - H. Hirsch untersucht

hauptsAichlich die Schumann-Variationen (op. 9), die Haydn-Variationen (op. 56) und den Variationensatz der Klarinettensonate (op. 120, 2) in ihrem rhythmischen Verlauf und auf typische Bildungen hin sowie Metrum, Takt, Phrase, Satzgruppe, Periode und Modifikation des Tempos. - E. R. Sisman versuchte in ihrem Detroiter Referat, verschiedene Modelle von Variationenwerken aufzuzeigen, die sie vor allem

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 183

an den Schumann- Variationen (op. 9) und an den Variationen-Sitzen aus dem Streichsextett (op. 36) und dem Streichquintett (op. 111) exemplifizierte.

Zum andern wurden in der Brahms-Forschung verschiedene musikalische Einzelaspekte angegangen, die vorher unbeachtet geblieben waren, so rhythmische Phinomene sowie Fragen der Instrumentation, der Dynamik und des Tempos. C. Wilson widmet dem Gebrauch der Triole in Brahms' Musik eine gesonderte Studie, in der er Beispiele aus verschiedenen Werken des Komponisten zusammen-

traigt. - In seiner Abhandlung der rhythmischen Verwechslung bezieht K. Hla- wiczka auch typische Einzelfille aus Brahms' Symphonien (op. 73 und 90) und aus dessen Klavierstiicken (op. 76, 5 und 116, 4) ein. - L. Lesznai fiihrt aus, da1? Brahms daktylische, mit ungarischer Melodik verbundene Rhythmen fiir die Themen seiner

Finalsitze zur Darstellung einer kaimpferischen Stimmung heranziehe, wihrend er den Anapist als Auftaktform dieses rhythmischen Geriists zur Wiedergabe idyllischer Stimmungen anwende.

Lange Zeit wurden Brahms' Art der Instrumentation und die Klanglichkeit seiner Musik in Darlegungen iiber den Meister einseitig unter dem Blickwinkel Wagner- scher und Lisztscher Klangentfaltung gesehen und daher keiner speziellen Betrach- tung fiir wert erachtet. Auch R. Tenschert zeigt sich noch in dieser Art der Betrachtungsweise befangen, wenn er argumentiert, da1g bei Brahms statt sinnli- chen Klanges ein geistiges Moment vorherrsche, er sich gleichsam eine ,,magivolle Beschrinkung" auferlege und somit der speziellen Eigenart Brahmsscher Klanglich- keit nicht gerecht wird. - In neueren Darstellungen werden einzelne Instrumen- tengruppen und Instrumente niher untersucht. Wdihrend J. D. Anderson dem Gebrauch von Blechblasinstrumenten in den Symphonien Mozarts, Beethovens und Brahms' nachgeht, analysiert S. L. Seifert Horn-Partien Brahmsscher Werke und hebt hervor, dai Brahms fiir das Naturhorn komponierte, als das Ventilhorn bereits in allgemeinem Gebrauch war, und von 1862 bis 1881 fiir Kombinationen beider Horntypen und nach 1881 nur mehr fiUr das Ventilhorn instrumentierte.

Der Untersuchung der Dynamik in Brahms' Musik von I. Fellinger liegt das Bestreben zugrunde, Prinzipien Brahmsscher Gestaltungsweise von dieser Seite her zu beleuchten und zugleich Hinweise fiir die Auffiihrungspraxis zu geben. Es wird deutlich, dati die Dynamik in Brahms' Kompositionen in ihrer Unabhingigkeit vom instrumentalen Klang und in der Meidung musikalisch unbegriindeter Effekte vor allem formbezogen wirksam ist, auch gr6f1ere musikalische Zusammenhinge herzustellen und Satzteile und Saitze miteinander zu verkniipfen hat und iiberdies als variatives Gestaltungsmittel angewandt wird. Skizzen, erste vollstlindige Niederschriften, Stichvorlagen und revidierte Ausgaben, die Brahms' Schaffenspro- ze1B von dieser Seite her erhellen, werden in die Darlegungen einbezogen; ebenso werden Brahmssche Auffiihrungspartituren und Bearbeitungen von Werken dilterer Meister vom Aspekt der Dynamik her untersucht. - Ergdinzend zu diesen Ausfiihrungen unternimmt es P. Mies fiir die von Fellinger herausgestellte Erscheinungsform von Diminuendo-Winkeln, die bei Brahms vielfach Akzentwert besitzen, weitere Beispiele aus Kompositionen verschiedener Schaffensperioden zu geben. - In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, da1 im Revisions-

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184 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

bericht zu Schuberts Symphonien in der Neuen Schubert-Ausgabe Brahms' Winkelzeichen im Rahmen der Schubert-Ausgabe von Mandyczewski zu Unrecht geriigt werden. Brahms hat durch seine Akzentzeichen Schuberts Akzente intensi- viert, aber nicht - wie behauptet - durch Diminuendo-Zeichen romantisierend abgeandert 61.

Das Problem der Tempi in Brahms' Musik wird in zwei Beitrigen behandelt. A. Forte versucht an Hand der Haydn- Variationen (op. 56) den Nachweis zu fiihren, da1? die Tempi der Variationen aufgrund der rhythmischen Struktur proportional exakt dem Tempo des Themas entsprechen, wobei Tempo-Relationen mit Hilfe von Metronom-Zahlen hergestellt werden - ungeachtet der Tatsache, da1? einzelne Variationen, wie andere Brahmssche Variationenwerke zeigen, auch

unabhingig von der Bewegung des Themas untereinander in Relation treten kinnen. - I. Fellinger vertritt die Auffassung, da1g Brahms' entschiedene Ablehnung des Metronoms auf iiberlieferte Vorstellungen aus dem 17. Jahrhundert iiber das Wesen der Zeitma1~e zuriickzufiihren sei. An Stelle starrer Metronom-Angaben, die in Brahms' Kompositionen sehr spiirlich vertreten sind und vielfach gar nicht von ihm herriihren, wird dargelegt, da1? Brahms in seinen Werken proportionale Hinweise gab, um seine Absichten hinsichtlich von Tempo-Relationen zu verdeutli- chen, besonders an Stellen, bei denen mit dem Tempo-Wechsel ein Taktwechsel verbunden ist.

C. Brahms' historische Stellung

I. Brahms und die musikalische Vergangenheit P. BADURA-SKODA, Eine ungedruckte Brahms-Kadenz zu Mozarts D-moll-Konzert KV

466, in: OMZ 35 (1980), S. 153-156. - DERS., Eine Brahms-Kadenz zu Mozarts d-Moll- Konzert KV 466 und andere unbekannte Musikerhandschriften aus der Leipziger Universi- taitsbibliothek, in: Das Orchester 28 (1980), S. 887-890. - W. E. BENJAMIN, Brahms's Accompaniments for Handel's Chamber Duets and Trios (International Brahms Congress Detroit 1980). - H. M. BEUERLE, Untersuchungen zum historischen Stellenwert der a cappella-Kompositionen von Johannes Brahms. Ein Beitrag zur Geschichte der Chormusik (Diss. Frankfurt a. M. 1975, noch nicht vorliegend); hieraus 2. Kapitel: Brahms' Verhdiltnis zum Chor und zur Chormusik, in: Melos/NZfM 2 (1976), S. 357-363. - G. von DADELSEN, Alter Stil und alte Techniken in der Musik des 19. Jahrhunderts (Diss. F. U. Berlin 1951); fiber Brahms: S. 92-118. - I. FELLINGER, Brahms und die Musik vergangener Epochen, in: Die Ausbreitung des Historismus iiber die Musik. Aufslitze und Diskussionen (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 14), (Regensburg 1969), S. 147-167. - R. HAASE, Brahms zitiert B-A-C-H, in: Musica 17 (1963), S. 180-181. - V. L. HANCOCK, Brahms and his Library of Early Music: The Effects of his Study of Renaissance and Baroque Music on his Choral Writing (Diss. M. A. Music Univ. of Oregon, 1977). - S. HELMS, Johannes Brahms und das deutsche Kirchenlied, in: Der Kirchenmusiker 21 (1970), S. 39-48. - DERS., Johannes Brahms und Johann Sebastian Bach, in: Bach-Jb. 57 (1971), S. 13-81. - R. A. JORDAHL, A Study of the Use of the Chorale in the Works of Mendelssohn, Brahms and Reger (Diss. Univ. of Rochester 1965). - S. KROSS, Brahms and Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (International Brahms Congress Detroit 1980); abgedruckt als: Brahms and E. T. A. Hoffmann, in: i9th Century Music 5 (1981/82), S. 193-200. - G. LAZAREVICH, The

61 Neue Schubert-Ausgabe, Band 1: Symphonien. Vorgelegt von A. FEIL und C. LANDON.

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Brahms Cadenzas for Mozart's Piano Concertos (International Brahms Congress Detroit 1980). - P. MAST, Brahms's Study, Octaven u. Quinten u. A. with Schenker's Commentary translated (Master's Thesis Eastman School of Music 1971); abgedruckt in: The Music Forum 5 (1980), S. 1-196. - DERS., Brahms's Collection of Octaves and Fifths (International Brahms Congress Detroit 1980). - P. MIES, Das Konzert im 19. Jahrhundert. Studien zu Formen und Kadenzen (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, 126), (Bonn 1972). - B. NEWBOULD, Brahms and Schubert, in: MT 116 (1975), S. 877. - R. PASCALL, Ruminations on Brahms's Chamber Music, in: MT 116 (1975), S. 697-699. - M. T. ROEDER, The Choral Music of Brahms: Historical Models, in: Canadian Association of University Schools of Music/Association Canadienne des Ecoles Universitaires de Musique Journal 5 (1975), S. 26-46. - W. SIEGMUND-SCHULTZE, Beethovens Nachwirkung bei bedeutenden Komponisten des 19. Jahrhunderts, in: Beethoven-Kongrej3 Berlin (Berlin [DDR] 1970), S. 107-114. - R. VALLIS, A Study of late Baroque Instrumental Style in the Piano Concertos of Brahms (Diss. New York Univ. 1978; Univ. Microfilms 1978). - J. WEBSTER, Schubert's Sonata Form and Brahms's First Maturity, in: 19th Century Music 2 (1978/79), S. 18-35, und 3 (1979/80), S. 52-71. - H. WIRTH, Nachwirkungen der Musik Joseph Haydns auf Johannes Brahms, in: Musik. Edition. Interpretation. Gedenkschrift Giinter Henle (Miinchen 1980), S. 455-462.

Brahms' ausgeprigtem Verhiltnis zur Musik vergangener Epochen wurde sehr viel intensiver als vorher nachgegangen. G. von Dadelsen widmet in seiner weiter ausgreifenden Studie von 1951 auch Brahms ein Kapitel, in dem er hervorhebt, dag Mozart und Beethoven die ersten groBen Meister mit historischen Interessen gewesen seien, Brahms jedoch der erste mit ,,wirklich historischem Bewugftsein". Er fiihrt aus, dag dieser mit der gleichen Bescheidenheit, mit der er eigene Werke beurteilte, auch die Historie - im Gegensatz zu seiner Zeit - respektiert habe, ist jedoch entgegen heutiger Auffassung der Ansicht, dag durch die in Brahms' Musik angewandten alten Stile und Techniken dessen Werk fragmentarisch bleibe und sich in keine ,,giiltige Aussage" bringen lasse. - Hingegen sieht R. Gerber 1952, der Brahms' historische Neigungen mit dessen ,,handwerklicher Gesinnung" begriin- det, bei Brahms in dieser Hinsicht einen deutlichen Zug ins ,,Allgemeine, Objektive"62

I. Fellinger stellt 1969 grundsaitzliche Oberlegungen zu Brahms' Verhiltnis gegeniiber der Musik der Vergangenheit an und beleuchtet damit zugleich Brahms' historische Stellung in seiner Zeit. Es werden sowohl dessen Anschauungen bei der Auffiihrung iilterer Werke, so Bachs und Haindels, als auch die Anregungen, die Brahms aus den Kompositionen und Theorien friiherer Epochen empfing, hervorge- hoben, und die Betonung des musikalischen Satzes, die Auseinandersetzung mit satztechnischen Fragen, etwa im Rahmen seiner Studie Oktaven und Quinten u. A., und die Umdeutung filterer Praktiken in seiner Musik herausgestellt. Es wird betont, dag Tradition bei Brahms die Bedeutung eines kritisch wertenden Vorgehens in der Olbernahme vergangener kompositorischer Techniken habe und daig Brahms konservativ in dem Sinne war, daig er auf historischer Grundlage Neues schuf.

In verschiedenen Studien werden einzelne Aspekte von Brahms' Historismus untersucht, so im Rahmen des Chorals, des deutschen Kirchenliedes und der

62 R. GERBER in: MGG 2 (1952), Sp. 207.

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Chormusik. R. A. Jordahl vertritt bei der Untersuchung des Chorals in den Werken Mendelssohns, Brahms' und Regers die Ansicht, dag Brahms von diesen drei

Komponisten die engsten formalen Beziehungen zur Vergangenheit hatte, da er sich auf Choralvorspiel und Choralmotette beschrinkte, deren barocke Vorbilder nord- und mitteldeutscher Meister er konsequent fortgefiihrt habe. - S. Helms untersucht die 22 Kirchenlied-Sammlungen aus Brahms' Besitz und versucht im einzelnen, den Einfluig des deutschen Kirchenliedes in Brahms' Vokalwerken nachzuweisen. - H. M. Beuerle, von dessen Dissertation bisher nur das zweite Kapitel gedruckt vorliegt, beleuchtet Brahms' Verhiltnis zur Chormusik hauptsichlich vom soziologischen Standpunkt der gro1gen Chorbewegung im 19. Jahrhundert aus. - M. T. Roeder geht in seinem Aufsatz den historischen Modellen von Brahms' Chormusik nach, betont Brahms' gro1ge Kenntnis historischer Werke, wie sie sich in seiner Bibliothek in theoretischen Schriften, Notenausgaben und Handschriften und in den Program- men von Chor-Vereinigungen, die er leitete, dokumentiert, und weist vornehmlich in den Motetten op. 29, op. 74 und op. 110 tonale, strukturelle und andere Stilmerkmale friiher Barock-Komponisten und Bachs nach. - In dihnlicher Weise, wenn auch wesentlich ausfiihrlicher und eingehender, widmet sich V. L. Hancock in ihrer Dissertation Brahms' Studien und Auffiihrungen dilterer Chorwerke, den

Handschriften, Notendrucken und Biichern aus dessen Besitz und der Auswirkung auf Brahms' eigene Chorkompositionen.

Hinsichtlich Brahms' Anschauungen in satztechnischen Fragen historischer

Werke, legt P. Mast neben einem Faksimile von Brahms' Studie Oktaven und

Quinten u. A., in der Brahms Beispiele fiir parallele Oktaven- und Quinten- Fortschreitungen aus Kompositionen des 16. bis 19. Jahrhunderts zusammengestellt hat, eine sorgf iltige Transkription mit vollstaindiger Identifizierung der von Brahms benutzten Quellen, Schenkers Kommentar (1933) in englischer Obersetzung und

eigene erlaiuternde Ausfiihrungen vor. Er gelangt zu dem Ergebnis, dag Brahms'

Auffassung solcher Fortschreitungen letztlich darin bestand, jeden Fall individuell zu entscheiden und nicht von vornherein als gesetzwidrig abzutun, dag Brahms aber auch niemals diese Regeln geleugnet habe.

Brahms' Verhailtnis zu J. S. Bach, das in Zusammenhang mit dessen Motetten immer wieder beriihrt wird, und dessen Auffiihrungen Bachscher Kantaten in

Hinsicht dynamischer Bezeichnungen63 und Basso continuo-Bearbeitungen von I. Fellinger besprochen wurden64, widmet S. Helms einen lingeren Aufsatz, in dem er betont, daig Brahms in seiner Kenntnis iiber Bach die gr6otte Autoritait unter den

Komponisten seiner Zeit gewesen sei, und bespricht vor allem Brahms' Eintraige in

Bainde der Bach-Gesamtausgabe und in andere Drucke und Handschriften Bach- scher Werke65. - Mit Brahms' Begleitungen zu Hindels Italienischen Duetten und Trios befaigte sich W. E. Benjamin in seinem Detroiter Referat, wobei er auch

Vergleiche mit anderen Bearbeitungen, so von Chrysander und Franz, einschloR. -

63 I. FELLINGER, Uber die Dynamik in der Musik von Johannes Brahms (Berlin und Wunsiedel 1961), S. 92-94. 64 I. FELLINGER, Brahms und die Musik vergangener Epochen, S. 159-160. 65 Man vgl. auch R. KENDALL, Brahms's Knowledge of Bach's Music, in: Papers of the American Musicological Society. Annual Meeting 1941 (Richmond 1946), S. 50-56.

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Einfliisse des Spaitbarocks werden in der Arbeit von R. Vallis behandelt, der darlegt, da1g Brahms spitbarocke Elemente, besonders in Satz und Rhythmik, in seinen Klavierkonzerten, vor allem im ersten, assimiliert habe.

Brahms' Verhiltnis zur Klassik wird in verschiedenen Aufsitzen beriihrt. Oberlegungen iiber den Einflug Haydns auf Brahms und Brahms' Musik stellt H. Wirth an. - In einigen Darlegungen werden Brahms' Kadenzen Mozartscher und Beethovenscher Klavierkonzerte betrachtet. P. Badura-Skoda berichtet iiber eine bisher unbekannte Fassung einer Kadenz zu Mozarts Klavierkonzert in d-moll (KV 466) aus dem Nachlag Taut, Leipzig, und betont, datg diese Kadenz knapper entworfen sei und Modulationen in andere Tonarten - im Gegensatz zu anderen von Brahms' bekannten Kadenzen sowie anderen Kadenzen der Zeit - vermeide. - Mit Brahms' Kadenzen zu Mozarts Klavierkonzerten (KV 491, 1. Satz, KV 466, 1. Satz und KV 453, 1. und 2. Satz), deren Autographe in der Library of Congress, Washington, sind, befalte sich G. Lazarevich in ihrem Detroiter Referat. - P. Mies bezieht innerhalb eines Oberblicks iiber die Entwicklung der Konzertkadenz im 19. Jahrhundert einen Vergleich von Brahms' Kadenzen mit denen Beethovens ein. - R. Haase weist noch einmal auf die bereits von Kalbeck besprochene Stelle im ersten Satz von Brahms' Kadenz zum Vierten Klavierkonzert (op. 58) von Beethoven hin, an der Brahms die Intervallschritte des ersten Themas derart verdinderte, da1R sie die Tonfolge B A C H ergaben66. - W. Siegmund-Schultze weist neben Mendelssohn, Schumann, Liszt und Wagner auch auf Brahms' Symphonien in der Beethoven- Nachfolge hin, besonders auf Entsprechungen und Divergenzen zwischen Brahms' Dritter und Beethovens Fiinfter Symphonie. - R. Pascall fiihrt in seinem Beitrag aus, da1g gerade in Brahms' Kammermusikwerken viel von Brahms' Beziehung zu seinen Vorgaingern sichtbar werde und vergleicht Brahms' Klavierquintett (op. 34) mit Beethovens Streichquartett (op. 95). In einer Erwiderung weist B. Newbould bei diesem Werk vor allem auf den EinflujR Schuberts hin.

J. Webster geht in seinen eingehenden Ausfiihrungen davon aus, daig die vitalste Tradition der Sonatenform im 19. Jahrhundert in entsprechend neuen Ausdrucksfor- men sich um Schubert und Brahms bewege, sowie von der Annahme Toveys, daig die Sonatenformen von Brahms' erster Reifezeit sich von Schubert ableiten lassen. Er zeigt auf, da1g Toveys Hypothese im wesentlichen korrekt ist und beweist dies fuir die Werke der Jahre 1859 bis 1865.

S. Kross setzt sich mit Brahms' Verhiltnis zu E. T. A. Hoffmann, vor allem mit Brahms' Identifizierung mit Hoffmanns Kapellmeister Kreisler aus den Lebens- ansichten des Katers Murr, nach der Methode einer biographisch-literarischen Analyse auseinander. Weitere Aufschliisse kinnten hier in Zukunft nur noch stilistisch-musikalische Untersuchungen erbringen.

II. Brahms und seine Zeit

O. BIBA, Brahms and the Musical Life of Vienna during his Residence there (International Brahms Congress Detroit 1980). - J. BOGUSZ, Brahms i Billroth, in: Muzyka 6 (1955), S. 62-74. - H. BRAUN, Ein Zitat. Beziehungen zwischen Chopin und Brahms, in: Mf 25 (1972),

66KALBECK I (2. Aufl.), S. 255-256.

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S. 317-321. - J. CLAPHAM, Dvo~iks Relations with Brahms and Hanslick, in: MQ 57 (1971), S. 241-254. - R. A. DIETRICH, Brahms' Lehrer Eduard Marxsen, in: ZfM 114 (1953), S. 284-285. - K. G. FELLERER, Max Bruch (1838-1920) (Beitrige zur rheinischen Musikgeschichte, 103), (K61n 1974). - I. FELLINGER, Das Brahms-Bild der Allgemeinen Musikalischen Zeitung (1863-1882), in: Beitriige zur Geschichte der Musikkritik (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 5), (Regensburg 1965), S. 27-54. - DIES., Brahms zur Edition Chopinscher Klavierwerke, in: Musicae Scientiae Collectanea. Fs. K. G. Fellerer zum 70. Geburtstag (K61n 1973), S. 110-116. - DIES., Johannes Brahms und Richard

Miihlfeld, in: Brahms-Studien 4 (Hamburg 1981), S. 77-93. - C. FLOROS, Zur Antithese Brahms - Bruckner, in: Brahms-Studien 1 (Hamburg 1974), S. 59-90. - DERS., Brahms und Bruckner, Studien zur musikalischen Exegetik (Wiesbaden 1980). - G. FOCK, Brahms und die Musikforschung, im besonderen Brahms und Chrysander, in: Beitriige zur Hamburgi- schen Musikgeschichte (Hamburg 1956), S. 46-69. - W. FURTWANGLER, Johannes Brahms - Anton Bruckner (Reclams Universal-Bibliothek, 7515) (Stuttgart 1952, 1962). - F. GRASBERGER, Anton Bruckner und Johannes Brahms. Ein Vergleich, in: Musikbliitter der Wiener Philharmoniker 5 (1951), S. 19ff. - DERS., Johannes Brahms und Hugo Wolf, in: OMZ 15 (1960), S. 67-69. - DERS., Das Jahr 1868, in: OMZ 23 (1968), S. 197-200. - C. P. JANZ, Friedrich Nietzsches Verhfiltnis zur Musik seiner Zeit, in: Nietzsche-Studien. Internationales Jb. fiar die Nietzsche-Forschung 7 (1978), S. 308-326, hier 321-322. - W. KAHL, Aus den Kiimpfen um Brahms, in: lo6. Niederrheinisches Musikfest in Diisseldorf. Jb. (1951), S. 57-63. - O.-H. KAHLER, Billroth und Brahms in Ziirich, in: Brahms-Studien 4 (Hamburg 1981), S. 63-76. - W. KIRSCH, Religibse und liturgische Aspekte bei Johannes Brahms und Anton Bruckner, in: Religibse Musik in nichtliturgischen Werken von Beethoven bis Reger (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 51), (Regensburg 1978), S. 143-155. - W. F. KORTE, Bruckner und Brahms. Die spiitromantische Lbsung der autonomen Konzeption (Tutzing 1963). - S. KROSS, Brahms und Schumann, in: Brahms- Studien 4 (Hamburg 1981), S. 7-44. - A. LAMB, Brahms and Johann Strauss, in: MT 116

(1975), S. 869-871. - W. LAUTH, Max Bruchs Instrumentalmusik (Beitrige zur rheinischen

Musikgeschichte, 68), (K61n 1967). - J.-H. LEDERER, Cornelius und Johannes Brahms, in: Peter Cornelius als Komponist, Dichter, Kritiker und Essayist (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 48), (Regensburg 1977), S. 57-63. - G. L. MAAS, The Instrumental Music of Joseph Joachim (Diss. Univ. of North Carolina 1973). - M. MENCZIGER, Julius Epstein. Sein Leben und Wirken unter besonderer Erforschung seiner Beziehung zu Johannes Brahms (Diss. Wien 1957). - R. T. OLIVER, Brahms, Joachim and the Classical Tradition

(International Brahms Congress Detroit 1980). - A. OREL, Johannes Brahms und seine

Verleger, in: Katalog No. loo (Musikantiquariat Hans Schneider Tutzing) Johannes Brahms

(Tutzing 1964), S. 19-24. - R. PESSENLEHNER, Anna Landgrdifin von Hessen, ein Leben in Musik. Zur 4o. Wiederkehr ihres Todestages (t 12. Juni 1918), in: Fuldaer Geschichtsbliitter 34 (1958), S. 81-128. - H. F. REDLICH, Bruckner and Brahms Quintets in F, in: ML 36

(1955), S. 253-258. - G. SANNEMOLLER, Die Freundschaft zwischen Johannes Brahms und Klaus Groth, in: Jahresgabe 1969. Zum 15o. Geburtstag von Klaus Groth (Heide, Holstein 1969), S. 114-127. - W. SIEGMUND-SCHULTZE, Chopin und Brahms, in: The Book of the International Musicological Congress Devoted to the Works of Fr. Chopin Warschau 1960 (Warschau 1963), S. 388-395. - R. SIETZ, Theodor Kirchner. Ein Klaviermeister der deutschen Romantik (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 21), (Regensburg 1971). - R. R. SMITH, Motivic Procedure in Opening Movements of The Symphonies of Schumann, Bruckner and Brahms, in: MR 36 (1975), S. 130-134. - W. ST.

SMITH, Bruckner vs. Brahms, and Mahler vs. Strauss: A Study in Contrasts, in: Chord and Discord 2 (1958) No. 8, S. 33-58. - H. SPIELMANN, Brahms in der bildenden Kunst, in: Johannes Brahms ... Eine Ausstellung der Deutschen Bank in Hamburg in Verbindung mit der Einweihung des von der KSrner Stiftung errichteten Brahms-Denkmals (Hamburg 1981), S. 19-28. - E. STANGE, Die Musikanschauung Eduard Hanslicks in seinen Kritiken und Aufsiitzen. Eine Studie zur musikalisch-geistigen Situation des 19. Jahrhunderts (Diss.

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Miinster 1954). - K. STEPHENSON, Johannes Brahms und Georg Dietrich Otten, in: Fs. fiir K. G. Fellerer zum 6o. Geburtstag (Regensburg 1962), S. 503-518; abgedruckt in Verbindung mit einem Faksimile-Druck der Brahms-Urschrift Sarabande (h-moll) als Jahresgabe 1972 ihren Mitgliedern und Freunden iiberreicht von der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V. (Hamburg 1972). - L. H. STILL, The Concepts of Gesamtkunstwerk and Correspondences in Max Klinger's "Brahmsphantasie" (M. A. Diss. Queens College, City Univ. of New York 1975; mschr.). - P. SUSSKIND PETTLER, Johannes Brahms and Clara Schumann: Clara's Influence as critic, advisor, and friend (International Brahms Congress Detroit 1980). - D. S. THATCHER, Nietzsche and Brahms: A forgotten Relationship, in: ML 54 (1973), S. 261-280. - DERS., Nietzsches Totengericht iiber Brahms, in: Nietzsche-Studien 7 (1978), S. 339-356. - H. C. WORBS, Arzt von Profession, Musiker aus Passion. Der Chirurg Theodor Billroth und die Musik, in: Musik und Medizin 3 (1977), S. 45-46, 49-50. - E. WORZL, Das Verhiiltnis Bruckner-Brahms und der Musikerzieher von heute, in: Anton Bruckner in Lehre und Forschung. Symposion zu Bruckners 150o. Geburtstag. Linz 1974 (Regensburg 1976), S. 33-38.

Starker als vorher widmete man sich Brahms' Verhiltnis zu Zeitgenossen, besonders zu zeitgenbissischen Komponisten. W. Siegmund-Schultze befaBt sich mit dem Nachwirken Chopins auf Brahms und weist an Hand einer Reihe von Beispielen friiherer Brahmsscher Lieder technische, stilistische und thematische Einfliisse Chopinscher Werke, vor allem von Mazurken und Walzern, nach. Ergdinzend zu diesen Ausfiihrungen benennt H. Braun eine weitere Stelle Chopin- scher Beeinflussung im Mittelteil der Mazurka (op. 7, 2) auf Brahms' Intermezzo (op. 116, 2, Takt 63-64) und zieht hieraus den gewagten SchluB, daig dieses Klavierstiick nicht in die beginnenden 1890er Jahre geh6re, sondern ,,in den 7oer Jahren" zur Zeit von Brahms' Herausgebertaitigkeit an Chopins Mazurken konzi- piert worden sei - eine etwas vage Zeitangabe hinsichtlich der Tatsache, daBi die Vorarbeiten zu dieser Ausgabe erst im November 1877 aufgenommen wurden. - I. Fellinger behandelt Brahms' Anschauungen bei der Herausgabe von Werken Chopins aufgrund von zwei vorher unveriffentlichten Briefen von Brahms an Bargiel und einem von diesem an Brahms vom November 1877 in Zusammenhang mit der vom Verlag Breitkopf & Hdirtel veranstalteten Gesamtausgabe. Es wird dargelegt, daB Brahms die Wichtigkeit von Revisionsberichten hervorhob und neben der genauen Kenntnis der Autographe Stichvorlagen und Korrekturfahnen als mafBgebende Quellen fiir die Ausgabe betrachtete.

S. Kross unternimmt es, Brahms' Beziehungen zu Robert und Clara Schumann in verschiedener Richtung zu iiberpriifen, vor allem auch gegen unhaltbare Behaup- tungen, die in den vergangenen Jahren in pseudowissenschaftlichen Publikationen und in der Tagespresse als Tatsachen hingestellt wurden, aber jeder sachlichen Grundlage entbehren, anzugehen *. - Clara Schumann als Kritikerin und Beraterin von Brahms sowie eine chronologische Ibersicht iiber die in ihr Repertoire aufgenommenen und von ihr bffentlich aufgefiihrten Brahmsschen Werke, bildeten den Inhalt des Detroiter Referats von P. Susskind Pettler.

Neben verschiedenen Biographien iiber Brahms oder Bruckner, in denen auch das Verhiltnis der beiden Komponisten beriihrt wird, liegt eine Reihe gesonderter * D. KERNER, Krankheiten grof3er Musiker (Stuttgart 3/1973), Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. 8. 1979 und Bunte Illustrierte vom 10. 4. 1980.

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Studien vor, die dieser speziellen Problematik gelten. H. F. Redlich unterzieht die

Streichquintette in F-dur der beiden Komponisten einer genaueren Untersuchung und betont den gegensitzlichen Gestaltungswillen beider Meister, vor allem in der unterschiedlichen Behandlung der Mittelsaitze. - Wie hier, so dienen auch die den

Symphonien beider Komponisten gewidmeten Abhandlungen der Erhellung des Personalstils. Ein von I. Fellinger vorgenommener Vergleich der Exposition des ersten Satzes von Brahms' Zweiter Symphonie (op. 73) mit der Exposition der Siebten Symphonie Bruckners vom Aspekt der Dynamik her gesehen zeigt, dat Bruckners Themengruppen als in sich geschlossene Gebilde dynamisch in Wellen

vollzogen werden, wihrend Brahms' Themen, auf den Fortgang der Satzentwick-

lung angelegt, sich dynamisch einheitlich entfalten67. - W. F. Korte gelangt bei der

Untersuchung ausgewihlter Saitze aus Symphonien von Bruckner und Brahms mit Hilfe einer strukturwissenschaftlichen Methode zu dem Ergebnis, daBi im Gegen- satz zur Zeit der beiden Komponisten man nunmehr (1963) ,,die historische und werktechnische Gemeinsamkeit der Ausgangsstellung so widersprechender Lebens-

aussagen" erkennen k6nne, worin er eine ,,autonome" Lisung im Sinne der absoluten Musik, eine ,,spdtromantische Losung" sieht. - W. St. Smith stellt vor allem die Unterschiede der Mittelsaitze in den Symphonien von Brahms und Bruckner heraus, waihrend R. R. Smith motivische Verfahren in Er6ffnungssditzen der Symphonien von Schumann, Bruckner und Brahms beobachtet. - E. Wiirzl, der das Verhiltnis von Brahms und Bruckner vom Standpunkt des heutigen Musiker- ziehers her betrachtet, weist auf Unterschiede auf dem Gebiet der Symphonik vor allem in harmonischer Beziehung hin. - Weiter ausgreifend betont C. Floros in

seinen beiden Abhandlungen den historischen und kiinstlerischen Gegensatz zwischen Brahms und Bruckner, wie er sich durch Unterschiede in der Pers6inlich- keit, in der musikalischen Ausbildung, der Weltanschauung, in religi6ser Bezie-

hung, in der Musikanschauung und im Verhailtnis zum Musikdrama Wagners offenbare. Wiihrend er Brahms' geistliche Vokalmusik in der Tradition von Schiitz und J. S. Bach begriindet sieht, bezieht er Bruckner in die Ufberlieferung der katholischen Kirchenmusik von Palestrina bis Liszt ein, was durch Vergleiche von Brahms' Deutschem Requiem und Bach und Bruckners f-moll-Messe und Liszt deutlich gemacht wird. - W. Kirsch behandelt die geistlichen Vokalwerke Bruckners und Brahms', die er entsprechend ihrer Texte und ihrer Tonsprache als religi6s, liturgisch oder kirchenmusikalisch klassifiziert, und dabei mehr Bruckners als Brahms' religiiser Haltung gerecht wird.

Waihrend das Verhdiltnis von Brahms und Wagner nicht gesondert erartert wird, erinnert F. Grasberger in einer kurzen vergleichenden musikaisthetischen Wiirdi-

gung an die hundertjiihrige Wiederkehr der wesentlichen Urauffiihrungen des

Jahres 1868: Brahms' Deutsches Requiem (Bremen: 10. April unter Brahms), Bruckners Erste Symphonie (Linz: 10. Mai unter Bruckner) und Wagners Meister-

singer (Miinschen: 21. Juni unter Hans von Biilow).

67 Man vgl. I. FELLINGER, 1Uber die Dynamik in der Musik von Johannes Brahms, S. 74-75.

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In einigen Veriffentlichungen wird Brahms' Einflul? auf zeitgenoissische Kompo- nisten beriihrt. Der EinfluB von Brahms auf Theodor Kirchner, bei dem es sich um einen durchaus talentierten, aber mehr epigonalen als schipferischen Komponisten handelt, wird von R. Sietz besprochen. - W. Lauth betont Brahms' deutlichen Einflul auf Kompositionen Max Bruchs, und K. G. Fellerer hebt hervor, dai Bruch sich als Komponist stets im Schatten von Brahms stehend gefiihlt habe. - Einfliisse von Brahms auf Instrumentalkompositionen J. Joachims behandelt G. L. Maas. - Brahms' Beziehungen zu zeitgen6ssischen Komponisten und Interpreten stehen im Mittelpunkt einer Reihe weiterer Arbeiten. J. Clapham beschreibt den fardernden EinfluB von Brahms und Hanslick auf Dvorik seit etwa 1875 und das freundschaft- liche Verhailtnis beider Komponisten, wie es aus Briefen erkennbar wird. - Die Freundschaft von Brahms und Johann StraulB schildert zusammenfassend A. Lamb. - Das aus kiinstlerischen Griinden unterschiedliche Verhiltnis von Brahms zu dem Hamburger Musikdirektor Georg Dietrich Otten (1806-1890), unter dessen Leitung Brahms mehrfach in den Jahren 1855 und 1856 in Hamburg als Pianist aufgetreten ist, behandelt K. Stephenson unter Mitteilung mehrerer Brahmsscher Briefe. - Einblick in den Wiener Freundeskreis von Brahms gibt M. Mencziger aufgrund von Archiv-Material und Briefdokumenten in ihrer Dissertation fiber den Pianisten Julius Epstein. - Brahms' kiinstlerische Beziehungen zu dem Klarinettisten Richard Miihlfeld wiirdigt I. Fellinger.

Weiterhin wird Brahms' Stellung in seiner Zeit durch allgemeinere und speziellere Darlegungen iiber den Parteienstreit der Epoche, bestehende Institutionen und die Rezeption seiner Kompositionen erhellt. Einen allgemeinen Eindruck von den Parteien-Streitigkeiten um Brahms vermittelt der Aufsatz von W. Kahl. - J.-H. Lederer charakterisiert Peter Cornelius' Stellung zwischen den ,,Parteien", die er einige Jahre als Mittler zwischen Brahms und Wagner einnahm. F. Grasberger versucht die zwischen Brahms und Hugo Wolf, als Parteigdinger Wagners und Bruckners, bestehenden Gegensditze mit unterschiedlichen kompositorischen Ansichten beider Richtungen, die jede fiir sich eine Erweiterung des musikalischen Ausdrucks angestrebt habe, zu begriinden. - O. Biba schilderte in seinem Detroiter Referat die bei Brahms' 1Ibersiedlung nach Wien existierenden Institutionen im Musikleben der Stadt. - E. Stange setzt sich eingehend in seiner Dissertation mit den Anschauungen Eduard Hanslicks, besonders in Hinsicht auf Brahms, ausein- ander. Zur Erhellung der Rezeption von Brahms' Musik zu dessen Lebzeiten, wie sie sich, abgesehen von Hanslicks Beurteilung, in der zeitgen6ssischen deutschen Musikkritik niederschlug, dient I. Fellingers Beitrag, der ein Bild von Brahms als Komponist und Interpret von den 1860er bis Anfang der 1880er Jahre vor allem aus der Sicht von Bagge, Deiters, Billroth und Chrysander vermittelt.

Andere Studien gelten Brahms' Verhiltnis zu Zeitgenossen auf unterschiedlichen Ebenen. Brahms' Beziehungen zu dem Htindel-Forscher Friedrich Chrysander behandelt G. Fock, der verschiedene Briefe von Brahms an diesen erstmals mitteilt. Sie enthalten wesentliche Aussagen fiber dessen Anschauungen bei der Wiedergabe Hiindelscher Werke. - A. Orel befa1t sich mit Brahms' Verhiltnis zu dessen Verlegern. - G. Sannemiiller charakterisiert die seit 1852 bestehende Freundschaft

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von Brahms und Klaus Groth, die neben dem Briefwechsel ihren Niederschlag vor allem in Brahms' Vertonung Grothscher Gedichte und in Groths Suche nach einem

Opern-Sujet fiir Brahms gefunden hat. - Zwei Darstellungen sind Brahms'

Verhailtnis zu Max Klinger gewidmet. Waihrend L. H. Still in seiner Dissertation bei der Analyse von Klingers Brahms-Phantasie (1894) Wagners Anschauung vom Gesamtkunstwerk Klingers Theorie der graphischen Kiinste gegeniiberstellt, ver- sucht H. Spielmann, eine allgemeine Charakterisierung dieses Werkes zu geben. - In seiner Wiirdigung von Anna Landgrafin von Hessen beriiht R. Pessenlehner auch die Beziehungen zu Brahms und dessen Dedikation der beiden Fassungen seines

Opus 34 an diese. - Brahms' Beziehungen zu dem Chirurgen Theodor Billroth werden von J. Bogusz, H.-C. Worbs und O.-H. Kahler, der einige von Billroth in der Neuen Ziircher Zeitung erschienene Kritiken fiber Brahmssche Werke anfiihrt, behandelt. - Nietzsches Verhiltnis zu Brahms' Musik wird von C. P. Janz und D. S. Thatcher er6rtert. Wiihrend Janz Nietzsches Interesse an Brahms' Triumphlied (op. 55) beriihrt, sieht Thatcher Nietzsches zunehmend feindseliger werdende Haltung gegeniiber Brahms' Musik nach kurzem Enthusiasmus im Zusammenhang mit der

Wagner-Brahms-Kontroverse der Zeit und mit Nietzsches sozialen, moralischen,

politischen und disthetischen Anschauungen. AulBerdem werden Brahms' Triumph- lied, die Anklage Brahms' in Der Fall Wagner (2. Epilog) und die Bedeutung von Berlioz als Gegenpol zu Wagner in die Darlegungen einbezogen.

III. Brahms' Weiterwirken C. BRUSATTI, Das Liedschaffen Heinrich von Herzogenbergs (Diss. Wien 1976; mschr.)

- E. BUDDE, Schbnberg und Brahms, in: Bericht iiber den 1. Kongref3 der Internationalen Schbnberg-Gesellschaft Wien, 4. bis 9. Juni 1974 ..., hrsg. von R. STEPHAN (Publikationen der Internationalen Sch6nberg-Gesellschaft, 1), (Wien 1978), S. 20-24. - M. K. CERNY, ,Ad vocem' Dreigestirn Wagner-Brahms-Mahler in der Beziehung zur tschechischen Musik, in:

Colloquium Musica Bohemica et Europaea (Bmo 1970), S. 389-396. - C. DAHLHAUS, Zwischen Romantik und Moderne. III. Zur Problemgeschichte des Komponierens. 2. Reale

Sequenz und entwickelnde Variation (Berliner Musikwiss. Arbeiten, 7), (Miinchen 1974). - E. DEGGELLER-ENGELKE, Richard Barth. 1850-1923. Leben, Wirken und Werke. Ein Beitrag zur Brahmsfolge (Marburg 1949). - W. FRISCH, Brahms, Developing Variation, and the Schoenberg Critical Tradition, in: 19th Century Music 5 (1981/82), S. 215-232. - P. GULKE, lOber Schinbergs Brahms-Bearbeitung, in: Beitriige zur Musikwissenschaft 17

(1975), S. 5-14; abgedruckt in: Musik-Konzepte, Sonderband Arnold Schbnberg (1980), S. 230-242. - DERS., Schoenberg transcribing Brahms (International Brahms Congress Detroit

1980). - G. JACOB, Schoenberg and Brahms's Op. 25, in: ML 32 (1951), S. 252-255. - H.

KOHN, Brahms und sein Epigone Heinrich von Herzogenberg. Zur Musik in der Griinderzeit und im Fin de siecle, in: Musica 28 (1974), S. 517-521. - R. McGUINNESS, Mahler und Brahms: Gedanken zu ,,Reminiszenzen" in Mahlers Sinfonien, in: Melos/NZfM 3 (1977), S. 215-224. - J. MATTER, Brahms et Faurd, in: SMZ 99 (1959), S. 58-59. - P. MIES, Brahms-

Bearbeitungen bei Max Reger, in: Mitteilungen des Max-Reger-Instituts (Bonn 1960), H. 11, S. 7-17. - R. PASCALL, Robert Fuchs, 1847-1927, in: MT 118 (1977), S. 115-117. - J.-C. PIGUET, Brahms et Faurd, in: SMZ 91 (1951), S. 143-147. - A. SCHONBERG, Brahms the Progressive (1947), in: Style and Idea (New York 1950), S. 52-101; in Tschechisch als: Pokrokovy Brahms, in: Hudebni rozhledi 23 (1970), S. 474-490; ed. by L. Stein (New York 1975), S. 398-441; in Dt. als Brahms, der Fortschrittliche (1947), in: Stil und Gedanke. Aufstitze zur Musik, hrsg. von I. VOJTECH (Arnold Sch6nberg, Gesammelte Schriften 1)

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Page 64: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 293

(Frankfurt 1976), S. 35-71. - W. SIEGMUND-SCHULTZE, Grof3e Musik vor hundert Jahren. (Wagner - Verdi - Brahms - Tschaikowski). Funktion, Aussage, Weiterwirkung, in: Musik und Schule 25 (1974), S. 298, 311-317. - R. SZESKUS, Die Deutsche Sinfonie von Hanns Eisler im Musikunterricht, in: Musik und Schule 15 (1974), S. 290-297. - K. VELTEN, Das Prinzip der entwickelnden Variation bei Johannes Brahms und Arnold Schinberg, in: Musik und Bildung 6 (1974), S. 547-555. - DERS., Schanbergs Instrumenta- tion Bachscher und Brahmsscher Werke als Dokumente seines Traditionsverstiindnisses (K61lner Beitrdige zur Musikforschung, 85), (Regensburg 1976). - G. WEISS-AIGNER: Max Reger und die Tradition. Zum Violinkonzert A-dur opus lol, in: NZfM 125 (1974), S. 614-620. - R. WILKE, Brahms, Reger, Schbnberg. Streichquartette (Schriftenreihe zur Musik, 18), (Hamburg 1980). - H. WIRTH, Johannes Brahms und Max Reger, in: Brahms- Studien 1 (Hamburg 1974), S. 91-112.

Brahms' Weiterwirken auf nachfolgende Komponisten-Generationen wurde in der Brahms-Forschung ungleich mehr Gewicht als friiher zugemessen. Eine Reihe von Arbeiten gilt der unmittelbaren Brahms-Nachfolge, so Heinrich von Herzogen- berg, Robert Fuchs, Richard Barth und Max Reger. Wdihrend H. Kiihn das Problem des Epigonentums in der Musik der zweiten Hilfte des 19. Jahrhunderts grundsitz- lich erairtert und auf Herzogenberg als Epigonen von Brahms anwendet, schlieBt C. Brusatti in ihrer Dissertation fiber dessen Liedkompositionen auch den personlich- kiinstlerischen Kontakt zu Brahms und dessen Beurteilung von Herzogenbergs Liedern ein. - R. Pascall behandelt Leben und Werk des Wiener Lehrers, Interpreten und Komponisten Robert Fuchs und betont den EinfluB von Schubert und Brahms auf dessen Kompositionsstil und daneben auch Fuchs' Einflul auf Hugo Wolf. - E. Deggeller-Engelke wiirdigt den Komponisten, Geiger und Dirigenten Richard Barth in der Nachfolge von Brahms. In diesem Zusammenhang ist auch die bereits 1943 abgeschlossene Dissertation iiber Brahms' Kompositionsschiiler Gustav Jenner von W. Kohleick zu nennen68. - Brahms' EinfluB auf Max Reger und dessen Verhiltnis zu diesem wurde von verschiedener Seite her angegangen. H. Wirth erkennt Brahms' EinfluiB neben Regers friihen Werken vor allem in der Violinsonate (op. 130), den Sonaten (op. 49), die durch Brahms' Klarinettensonaten (op. 120, I und II) inspiriert wurden, und im Streichquartett (op. 54). G. Weil?-Aigner weist bei Regers Violinkonzert (op. 101) neben der Tradition Mozarts und Beethovens hauptsaichlich auf diejenige von Brahms' Violinkonzert, in der Regers Violinkonzert stiinde, hin. Dal? Regers zahlreiche Eintragungen fiir die Auffiihrung Brahmsscher Symphonien eine dem Brahmsschen Stil vielfach widersprechende Auffassung, vor allem in einer eigenwilligen Phrasierung, offenbaren, betont I. Fellinger69. 1960 ging P. Mies Regers Bearbeitungen Brahmsscher Lieder fiir Orchester und fiir Klaviersolo sowie von Symphoniesitzen fiir Klavier zu zwei Hinden nach.

Dariiber hinaus werden Einfliisse von Brahms auf Faure, Mahler und auf die tschechische Musik zwischen den beiden Weltkriegen konstatiert. Zusammenhinge zwischen Brahms und Gabriel Faur_ werden von J.-C. Piguet und J. Matter

68 W. KOHLEICK, Gustav Jenner. 1865-1920. Ein Beitrag zur Brahmsfolge (Musik und Schrifttum. Schriftenreihe des Musikwiss. Seminars der Univ. Marburg, 2), (Wiirzburg 1943). 69 Man vgl. I. FELLINGER, Uber die Dynamik in der Musik von J. Brahms, S. 26.

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Page 65: Zum Stand der Brahms-Forschung

194 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

aufgezeigt. - Gegen den gegeniiber Gustav Mahler oft erhobenen Vorwurf des

Plagiats wendet sich R. McGuinness in ihrem Aufsatz, in dem sie den ProzeiB des Entlehnens aus Kompositionen behandelt und sich speziell auf Mahlers Verhailtnis zu Brahms bezieht, der einer von vielen gewesen sei, an dessen Musik sich Mahler unbewuBt in vieler Beziehung angelehnt und die seinen Stil beeinflu.lt habe. - In seinen Oberlegungen iiber den EinfluI9 von Wagner, Brahms und Mahler auf die tschechische Musik fiihrt M. K. Cerny aus, dait

Brahms durch seine Fiirsprache bei der Erteilung staatlicher Stipendien und bei Verlegern fiir Dvorak und spiter fuir dessen Schiiler Novak und Suk einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der tschechischen Musik geleistet habe und iiberdies seine Musik in ihrer konzentrier- ten und geschlossenen Form und damit in ihrer Tendenz zur ,,Neuen Gestalt" zum Vorbild fiir den ,,Neoklassizismus" der Dvofrk-Schule und anderer Komponisten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen geworden sei.

Eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit Brahms' Fortwirken auf

spaitere Generationen gewann Sch6nbergs bewulte Auseinandersetzung mit

Brahms, wie sie ihren Niederschlag hauptsichlich in dessen urspriinglich als

Rundfunk-Vortrag 1933 in Frankfurt am Main gehaltenen Ausfiihrungen Brahms the Progressive fand, mit der er Brahms' historische Stellung in ein neues Licht zu

riicken beabsichtigte. Gegeniiber der iiberkommenen Auffassung, Brahms als

Klassizisten, als akademischen Komponisten zu betrachten, betonte Schanberg, dait Brahms ,,ein groJfer Erneuerer im Bereich der musikalischen Sprache" war und damit ein Wegbereiter der Musik des 20. Jahrhunderts und seiner eigenen Kunst. Vor allem ging es Sch6nberg um ,,Kompositionstheoretisches", um Beispiele asymmetrischer Strukturen von Phrasen sowie um Themen, die durch den ProzelB der ,,entwickelnden Variation" erzeugt werden, so das Thema des Andante moderato des Streichquartetts (op. 51, II) und das des dritten der Vier Ernsten

Gesiinge ,,O Tod" (op. 121). Mit dem Verhiltnis Schainbergs zu Brahms setzt sich grundsaitzlich E. Budde

auseinander, der vor allem die Tatsache hervorhebt, dafi Brahms' Werke einen wesentlichen Anteil, wenn nicht gar das Zentrum, von Schoinbergs Kompositions- unterricht bildeten. Bei der Analyse von Sch6nbergs Brahms the Progressive stellt er

die von diesem gepraigten Begriffe der ,,Technik der entwickelnden Variation" und

der ,,Musikalischen Prosa" heraus und gelangt zu dem SchluIl, Schoinberg habe

Methoden der musikalischen Darstellung und Prinzipien der Organisation in

Brahms' Kompositionen aufgedeckt und deutlich gemacht, daiB Brahms ,,die theoretische Reflexion als Kategorie in die Komposition selber einbezogen" habe.

In weiteren Abhandlungen wird der Begriff der ,,entwickelnden Variation"

gesondert betrachtet und sowohl auf Brahms' als auf Schonbergs Musik angewen- det. C. Dahlhaus betont 1973 die zentrale Bedeutung von Brahms' Kammermusik

fiir das Prinzip der ,,entwickelnden Variation"70 und spricht 1974 von der

,,unscheinbaren - und dennoch zwingenden - musikalischen Logik" dieses Verfah-

70 C. DAHLHAUS, Brahms und die Idee der Kammermusik, in: NZfM 134 (1973), S. 559-563 und in: Brahms- Studien 1 (Hamburg 1974), S. 45-57.

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Page 66: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 195

rens in Brahms' Klavierquartett (op. 25) im Unterschied zu Wagner, das auch fuir Brahms' Symphonik gelte, woffiir er das ,,Motto" der Dritten Symphonie (op. 90) als iiberzeugendes Beispiel anfiihrt71. - K. Velten untersucht im gleichen Jahr den EinfluIR von Brahms' Kompositionstechnik der ,,entwickelnden Variation" an der Vollendung von Sch6nbergs Zweiter Kammer-Symphonie, die dieser 1906 begann und 1939 fertigstellte. Er kommt aufgrund einer vergleichenden Analyse der thematischen Prozesse zu dem Resultat, daiB Sch6nbergs Instrumentierung von Brahms' Klavierquartett (op. 25) vom Jahre 1937 und damit seine Einsicht in musikalische ,,Logik" ihm dazu verholfen habe, dieses Werk zu vollenden. - R. Wilke geht es - entgegen dem Titel seiner Arbeit - weniger um die Gattung des Streichquartetts von Brahms, Reger und Sch6nberg als solcher, als vielmehr um den Sch6nbergschen Begriff der ,,entwickelnden Variation", den er durch exakte Analysen genauer zu fassen, abzustufen und in ein System zu bringen versucht. An Sch6nbergs Brahms-Konzeption entwickelt, ldiit er sich hauptsdichlich auf Werke Brahms' und Sch6nbergs (dessen Zwolftonwerke unberiicksichtigt bleiben), weni- ger auf solche Regers, anwenden72. - W. Frisch, der alle verstreuten Bemerkungen Sch6nbergs iiber diesen Begriff zusammenstellt und iiberpriift, um ein klares Bild dieses Terminus und der ihm zugrunde liegenden Auffassungen zu gewinnen, betont, daig Sch6nberg damit ein flexibles kompositorisches Verfahren meine, das urspriinglich von J. S. Bach, dann von den Wiener Klassikern, besonders von Beethoven, und spditer von Brahms iibernommen wurde, der es zu dem am meisten fortgeschrittenen Stadium - im Gegensatz zu Wagner - gefiihrt habe".

Mit Sch6nbergs 1937 vorgenommener Bearbeitung von Brahms' Klavierquartett (op. 25) fiir Orchester befassen sich G. Jacob, P. Giilke und K. Velten. Jacob beschreibt 1951 Schbnbergs Art der Instrumentierung und bezweifelt abschlielgend, daig diese Orchester-Bearbeitung je in das Repertoire von Orchestern aufgenommen werden wiirde. - Giilke setzt sich seit 1975 eingehend mit Sch6nbergs Orchester- 1bertragung auseinander, in der er eine starke Verinderung in der Einrichtung fiir grotges Orchester trotz Wahrung der kompositorischen Gegebenheiten erblickt und die Problematik eines solchen Unterfangens iiberzeugend herausarbeitet. Er kommt zu dem Ergebnis, da.i Sch6nberg mit dieser Bearbeitung weniger eine Anweisung als ein ,,Modell" gegeben habe, wie sich der Interpret gegeniiber Brahmsschen Werken verhalten sollte. - Velten faIt 1976 Sch6nbergs Instrumentation als ,,Studium tradierter Kompositionsverfahren" auf und hebt hervor, daBi dies nach Sch6nberg gleichbedeutend mit ,,kompositorischem Nachvollzug" sei, dessen Ziel

' Augerdem setzt er sich mit Sch6nbergs Begriff der ,,Musikalischen Prosa" und Brahms' Andante moderato aus dem Streichquartett (op. 51, II) auseinander, in: Schbnberg und andere (Mainz 1978), S. 136-137. 72 Man vgl. D. TORKEWITZ, Die ,,entwickelte Zeit". Zum Intermezzo op. 116, IV von Johannes Brahms, in: Mf 32 (1979), S. 135-140, der neben dem Prinzip der ,,entwickelnden Variation" die Idee der zeitlichen Ausdehnung verfolgt, und K. VELTEN, Entwicklungsdenken und Zeiterfahrung in der Musik von Johannes Brahms: Das Intermezzo op. 117 Nr. 2, in: Mf 34 (1981), S. 56-59, der an den Gedanken von Torkewitz ankniipft und diesen mit dem Prinzip der ,,entwickelnden Variation" verbindet. 73 Man vgl. dessen Dissertation: Brahms's Sonata Structures and the Principle of Developing Variation (Univ. of California, Berkeley 1981), Chapter I; ferner den Nachweis rhythmischer und metrischer Aspekte dieses Verfahrens in Brahms' Musik, besonders in dessen Klavierquintett (op. 34) und in der Dritten Symphonie (op. 90), S. 144-160 und 239-253.

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Page 67: Zum Stand der Brahms-Forschung

196 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

es sei, die Struktur des Werkes zu enthiillen, das Prinzip der ,,entwickelnden Variation" durch die Instrumentierung klarer hervorzukehren.

Brahms' Einfluig auf Hanns Eisler nimmt R. Szeskus an Hand von dessen Deutscher Sinfonie wahr, den er in der motivischen Arbeit und in der Symmetrie gro1ger Zusammenhainge erkennt.

IV. Zum Brahms-Bild unserer Zeit N. ALBRECHT, Johannes Brahms heute. Zum 75. Todestag des Komponisten, in: Musik

und Gesellschaft 22 (1972), S. 214-217. - C.-H. BACHMANN, Brahms in unserer Zeit, in:

Musikbliitter 12 (1958/59), S. 61-62. - H. VON DETTELBACH, Reife und Resignation (Brahms), in: H. von DETTELBACH, Breviarium musicae (Darmstadt 1958), S. 197-207. - I. FELLINGER, Grundziige Brahmsscher Musikauffassung, in: Beitriige zur Geschichte der

Musikanschauung im 19. Jahrhundert (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 1), (Regensburg 1965), S. 113-126. - C. FLOROS, Brahms' Popularitiit, in: Johannes Brahms... Eine Ausstellung der Deutschen Bank Hamburg in Verbindung mit der

Einweihung des von der Kirber Stiftung errichteten Brahms-Denkmals (Hamburg 1981), S. 7-17. - H. GOLDSCHMIDT, Das Vermiichtnis von Johannes Brahms. Zu seinem i20. Geburtstag am 7. Mai, in: Musik und Gesellschaft 3 (1953), S. 162-167 und in: Hudebni

rozhledy 6 (1953), S. 446-448. - F. HOGLER, Johannes Brahms - ein moderner Musiker?, in: OMZ 8 (1953), S. 147-150. - PH. JARNACH, Brahms in seinem Jahrhundert und in der

Gegenwart, in: Johannes Brahms ... Festwoche anliij3lich seines 125. Geburtstages veran- staltet von der Freien und Hansestadt Hamburg (3.--i. Mai 1958). - S. KROSS, Brahms in

heutiger Sicht. Zum 125. Geburtstag am 7. Mai, in: NZfM 119 (1958), S. 271-275 und in: Das Orchester 6 (1958), S. 129-134. - DERS., Brahms - der unromantische Romantiker, in: Brahms-Studien 1 (Hamburg 1974), S. 25-43. - H.-W. KULENKAMPFF, Warum ist Brahms beriihmt? Provokation eines unzeitgemiif3en Themas, in: NZfM 130 (1969), S. 414-418. - H.

LOTHJE, Johannes Brahms und das Ende der klassisch-romantischen Musikepoche, in: Die

Christengemeinschaft 34 (1962), S. 338-340. - O. RIEMER, Zum Brahms-Bild unserer Zeit, in: Musica 1 (1947), S. 90-96. - K. STAHMER, Korrekturen am Brahmsbild. Eine Studie zur musikalischen Fehlinterpretation, in: Mf 25 (1972), S. 152-167; in Tschechisch, in: Opus musicum 3 (1971), S. 75-83. - K. STEPHENSON, Der Komponist Brahms im eigenen Urteil, in: Brahms-Studien 1 (Hamburg 1974), S. 7-24.

Vor allem Jubilien und andere Anlisse lieigen immer wieder die Frage nach dem aus jeweiliger Sicht giiltigen Brahms-Bild stellen, wobei sich in der Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein deutlicher Wandel in der Anschauung abzeichnet, der die Umrisse eines neuen Brahms-Bildes sichtbar werden liiat. Aufschlutreich ist auf der einen Seite, wie lange an dem schon zu Lebzeiten des Komponisten entstandenen Bild des konservativen Meisters, dessen kiinstlerisches Streben allein nach riickwdirts gerichtet sei und der damit den Abschluig einer Epoche bildet,

festgehalten wurde. Noch 1947, fiinfzig Jahre nach Brahms' Tod, wurde von 0. Riemer der Umgang mit Brahms als in einer Krise befindlich bezeichnet, das

,,Substantielle" eines Brahms-Bildes bezweifelt, und die Frage aufgeworfen, ob

Brahms' Musik im Sterben begriffen oder zum Teil schon tot sei, sowie die

Grundlage seines Schaffens allein im ,,Improvisatorischen" gesehen, das dieser mit formalen Mitteln zu festigen trachtete, etwa in den spliten Klavierstiicken (op. 116-119). - H. von Dettelbach sah 1958 in Brahms' Pers6nlichkeit nur ,,Reife und

Resignation" und erachtete dessen Musik als ungeeignet fiir die Allgemeinheit.

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Page 68: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 197

Wenn solchen Stimmen auch nicht viel Gewicht beizumessen ist, so haben sie doch zu einem in jenen Jahren noch vorherrschenden kontroversen Brahms-Bild beige- tragen.

Gesellschaftswissenschaftlich orientiert sind hingegen die Beitrdige von H. Goldschmidt und N. Albrecht. Goldschmidt vermittelt 1953 von Brahms ein Bild des ,,biirgerlichen Humanisten", den er als einen ,,grogen Meister der deutschen klassischen Musik" begreift. Alhnlich ist Albrechts Brahms-Bild 1972 geprdigt von Brahms' ,,humanistischem Verantwortungsbewulptsein in der Zeit biirgerlichen Verfalls", dessen Musik eine menschliche Haltung offenbare, durch die sie dem heutigen Menschen nahe sei.

Demgegeniiber versuchen Ph. Jarnach, K. Stephenson und C. Floros ein Bild von Brahms nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zu entwickeln. Jarnach sieht in Brahms den ,,Klassiker" in einem zeitlich iibergeordneten Sinne verstanden und betont, dat dieser der einzige Komponist nach Beethoven gewesen sei, der folgerichtig die Idee seiner Musik iiber deren Wirkung gestellt habe. - Stephenson unternimmt es 1973, durch erneute Beschaiftigung mit Quellen und Uberlieferungen aus Brahms' Ausspriichen iiber sich und sein Schaffen ein Bild von Brahms als Mensch und Komponist zu gewinnen. - Das Phainomen von Brahms' Popularitit beleuchtet 1981 Floros von verschiedener Seite her und hebt die ,,globale Ausstrah- lung" von dessen Musik hervor.

Auf der anderen Seite mehren sich die Stimmen, die das Vorwirtsweisende in Brahms' Musik erblicken und zu der Einsicht gelangen, dat Brahms zwar die Tradition betonte, aber kein Traditionalist war, vielmehr kompositionstechnische Verfahren und Methoden iibernahm, in seiner Musik in einem neuen Sinne anwendete und weiterentwickelte. Damit wurde er in der Sicht der Zeit immer mehr zu einem Vermittler in der musikhistorischen Entwicklung vom 19. zum 20. Jahr- hundert74. Schon 1948 hebt A. Orel hervor, dat gerade das Konstruktive und das Formale in Brahms' Werk eine Briicke zwischen der Musik des 19. und 20. Jahrhun- derts darstelle". - F. H6gler zieht 1953 die Klassifizierung von Brahms als ,,romantischem Klassizisten" in Zweifel und bezeichnet ihn als ,,unmittelbaren Wegbereiter" des heutigen ,,polyphonen Zeitalters", dessen Schule die ,,Jiingst- modernen" vertrdten. - In ahnlichem Sinne weist C.-H. Bachmann, der 1958 die Ansicht vertritt, dat Brahms in seiner historischen Bedeutung noch gar nicht richtig gewiirdigt worden sei, auf die ,,Modernitdit" der reifen Werke von Brahms und auf die ,,Durchthematisierung" einiger Sdtze vornehmlich von Kammermusikwerken hin und betrachtet ihn als Vorgainger Schcinbergs. - Im gleichen Jahr setzt sich S. Kross mit den Anschauungen von A. Schering, der 1933 in Brahms den ,,Exponen- ten" des ,,musikalischen Biirgertums" und ,,das spezifisch Deutsche an seiner Musik" sah76, und A. Schbnbergs (Brahms the Progressive, 1947), der in ihm den

74 Man vgl. hier auch C. DAHLHAUS, Brahms und die Idee der Kammermusik, der den Sachverhalt im Rahmen dieser Gattung darlegt. 75 A. OREL, Johannes Brahms. Der Meister und sein Weg (Olten 1948), S. 231. 76 A. SCHERING, Johannes Brahms und seine Stellung in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, in: JbP 1932 (Leipzig 1933), S. 9.

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Page 69: Zum Stand der Brahms-Forschung

198 I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

,,grofen Erneuerer im Bereich der musikalischen Sprache" erkannte, auseinander und bezeichnet Brahms als ,,Klassizisten ... in vorwiirts gewandtem Sinne". Er differenziert Schdnbergs Meinung dahingehend, daI? er ausfiihrt, Wagner habe auf harmonischem Gebiet die spaitere Entwicklung herbeigefiihrt, waihrend Brahms durch seine formale und konstruktive Haltung diese vorbereitet habe.

I. Fellinger geht 1965 Brahms' Musikanschauung nach und legt dar, dait Brahms sich von 1855 an immer mehr von der nach innen gerichteten Einstellung der Romantik entfernte und eine objektivere, zugleich kritischere und realistischere

Auffassung vom kiinstlerischen Schaffen vertrat, die in starkem Mante von seiner

Beschaiftigung mit vergangenen Epochen und seiner Auseinandersetzung mit dem musikalischen Satz bestimmt wurde, und betont abschliegend, Brahms sei sich seiner Sendung als Komponist bewutt gewesen in dem Sinne, dat eine Fortent-

wicklung der Musik nur auf den gegebenen Grundlagen zu verwirklichen sei. - K. Stahmer demonstriert 1971 Irrtiimer in der Beurteilung von Brahms' historischer

Stellung auf der Grundlage von Formen, die er anwendete, anstatt von deren

Behandlung auszugehen, und setzt sich mit Scherings Ansicht von Brahms als Vertreter des ,,musikalischen Biirgertums" auseinander. - Dieser Anschauung Scherings folgt 1976 H. A. Neunzig, der Brahms als ,,Komponist des deutschen

Biirgertums" betrachtet und dessen Produktivitait mit dem ,,Leistungsprinzip der

Griinderzeit" gleichsetzt77, was beides als unzutreffend anzusehen ist, da das

gehobene Biirgertum fiir alle Komponisten, auch fiir Liszt und Wagner, die tragende Schicht darstellte, und Brahms' enorme Schaffenskraft individuell geprigt war und nichts mit Gepflogenheiten dieses Zeitalters zu tun hatte. - S. Kross erkennt 1973 bei Brahms die Tendenz, die klassisch-romantische Tradition zusammenzufassen, und bezeichnet ihn als ,,unromantischen Romantiker", betrachtet das Lied ,,Kein Haus, keine Heimat" (op. 94, 5) gleichsam als Schliisselwerk zu den spiten Kompositionen und macht am Beispiel des ersten Themas der Vierten Symphonie (op. 98) klar, dati

dieses Brahms zu aihnlichen Konsequenzen im Rahmen der

Tonalitait gefiihrt habe, wie Sch6nberg ein Vierteljahrhundert spditer innerhalb der Atonalitt t.

Indes sind die Dinge noch im Flugt. Der Begriff der ,,entwickelnden Variation", wie ihn Schonberg formuliert und verstanden hat, und dessen nunmehr erfolgende allgemeine Anwendung auf Erscheinungen der Brahmsschen Musik, ist in seinem

Inhalt noch nicht klar genug definiert worden. Auch wird die Entwicklung von Beethoven fiber Schubert zu Brahms und von diesem weiter zur Neuen Wiener Schule eines Schbnberg noch zu vereinfacht gesehen. Hierbei handelt es sich wohl doch um kompliziertere und vor allem vielschichtigere und weitverzweigtere Sachverhalte, die dringend weiterer eingehender Untersuchungen bediirfen.

77 H. A. NEUNZIG, Brahms. Der Komponist des deutschen Biirgertums. Eine Biographie (Wien-Miinchen 1976).

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Page 70: Zum Stand der Brahms-Forschung

I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 199

D. Kiinftige Aufgaben der Brahms-Forschung Als vordringliche Aufgabe der Brahms-Forschung ist eine neue Gesamtausgabe

der Werke des Meisters weiterhin ins Auge zu fassen. Es kann nicht lediglich darum

gehen, Druckfehler und sonstige falsche Noten der Mandyczewski-Gl1-Ausgabe zu beseitigen oder richtigzustellen, was zum Teil bereits in dem von Breitkopf & Hdrtel herausgegebenen Nachdruck (Wiesbaden 1964) geschehen ist. Einer neuen Brahms-Ausgabe miitte vielmehr eine Konzeption zugrundegelegt werden, die den heute an die Gesamtausgabe der Werke eines groiten Meisters zu stellenden Erfordernissen in vollem Umfang gerecht wird, unter Beriicksichtigung von Erfahrungen, die mit den seit den 1950er Jahren begonnenen neuen Gesamtausga- ben anderer Meister (Bach, Beethoven, Mozart, Schubert, etc.) gemacht worden sind. Dat grundsaitzlich eine solche Ausgabe der Vollstaindigkeit in der Oberliefe- rung des Brahmsschen CEuvre in umfassender Weise Rechnung zu tragen hatte, so auch hinsichtlich aller authentischen Fassungen und Bearbeitungen von Komposi- tionen und der Ausgabe von Werken anderer Komponisten, und nicht zuletzt eine

Auseinandersetzung mit zweifelhaften Werken zu erfolgen haitte, braucht kaum betont zu werden. Aufgrund einer dem heutigen Stand der Forschung entsprechen- den breiten Basis, das heigtt, saimtlicher verfiigbarer musikalischer und dokumenta- rischer Quellen, haitte eine von Grund auf neue Bewertung der Quellen stattzufin- den. Die Ausgabe wire mit umfassenden Listen der Quellen und Lesarten, mit sorgfiltig abgefajtten kritischen Berichten, mit Bemerkungen fiber die Entstehung der Werke, einer ausfiihrlichen Beschreibung der Quellen, und dem Abdruck von Skizzen, Entwiirfen, Fragmenten, verworfenen Versionen, Streichungen etc. sowie Textvarianten von Vokalkompositionen, auszustatten, um hier nur einige Gesichts- punkte anzuffihren. - Auch eine Ausgabe saimtlicher nachweisbarer Skizzen des Meisters und deren Ubertragung harrt in diesem Zusammenhang noch der

Veriffentlichung. - Wihrend des International Brahms Congress Detroit 1980 war eine Podiums-Diskussion unter der Leitung von K. Geiringer (Santa Barbara, California) dem Gegenstand einer neuen Ausgabe der Brahmsschen Werke (Exchange of Ideas concerning the Format of a possible New Collected Edition of Brahms's Works) gewidmet. In deren Verlauf wurden bereits recht konkrete Plaine hinsichtlich einer durchzufiihrenden Organisation vorgelegt (0. Biba, Wien), die jedoch noch nicht - in Anbetracht verschiedener Widerstinde, vor allem 6ikonomi- scher Natur -, realisiert werden konnten. Mit einer Stimmenthaltung plaidierten alle Teilnehmer an der Gesprichsrunde, einschlieBlich Hans Gal (Edinburgh), von dem eine entsprechende briefliche Mitteilung verlesen wurde, fiir die Notwendigkeit einer neuen Ausgabe. Verschiedene Stellungnahmen hinsichtlich der Beschaffenheit einer solchen Ausgabe wurden vorgebracht und er6rtert. So demonstrierte G. S. Bozarth (Seattle) am Beispiel der Romanzen aus L. Tieck's Magelone (op. 33), welche Quellen Mandyczewski fiir seine Ausgabe wahrgenommen, aber nur teilweise erwlihnt hat, und welche Quellen aufgrund der heutigen Kenntnis dariiber hinaus heranzuziehen wiren. E. Derr (Ann Arbor) trat fiir die Aufnahme der von Brahms gefertigten Bearbeitungen eigener Kompositionen fiir Klavier zu vier Hiinden und zu zwei Klavieren ein. I. Fellinger (Berlin West) wies unter anderem auf

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Page 71: Zum Stand der Brahms-Forschung

200oo I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung

die seit 1956 in gr6f~erer Zahl bekannt gewordenen Stichvorlagen in der Handschrift von Kopisten mit Eintrdigen des Komponisten aus dem vormaligen Besitz des

Verlagshauses Simrock in ihrer Bedeutung als Quellen, gerade bei Werken, von denen kein Autograph nachweisbar ist, hin, ferner auf Diskrepanzen zwischen

Autograph und Original-Ausgabe hinsichtlich von Vortragsbezeichnungen (dyna- mische Zeichen und Bezeichnungen, Akzentzeichen und Phrasierungs-Hinweise), durch die mechanische Art des Druckes verursacht, in dem exakte Hinweise der

Autographe in stark vereinfachter oder auch musikalisch sinnwidriger Form

wiedergegeben sind, die im einzelnen eingehend zu untersuchen und entsprechend zu korrigieren wairen.

Ein wesentliches Desideratum der Brahms-Forschung stellt die Herausgabe eines Thematischen Verzeichnisses der Werke des Komponisten dar. Ein solcher Katalog befindet sich seit Jahren in Vorbereitung und soil 1983 erscheinen, begonnen von D.

McCorkle, vollendet von M. L. McCorkle, Vancouver, Kanada. (Henle-Verlag, Miinchen.)

Auch sei der seit laingerer Zeit bestehende Plan der Publikation einer Brahms-

Bibliographie erwdihnt. Ein umfangreiches Verzeichnis, herausgegeben von S.

Kross, wird 1983 im Druck vorgelegt werden (Tutzing, Verlag Hans Schneider). Eine weitere wichtige Aufgabe betraife die Ausgabe saimtlicher iiberlieferter

Brahmsscher Briefe und deren Gegenbriefe in einer wissenschaftlichen Edition. Hier

waire die Frage vorrangig zu er6rtern, inwieweit eine ergainzende Ausgabe der nicht oder nur an verstreuter Stelle publizierten Briefe ausreichen wiirde, oder ob eine

Gesamtausgabe der Briefe anzustreben waire. In jedem Fall haitte eine solche

Ausgabe nach nunmehr geltenden editorischen Prinzipien, etwa in der originalge- treuen Wiedergabe der Briefe, zu erfolgen und waire mit dem notwendigen wissenschaftlichen Apparat und entsprechenden Registern auszustatten.

Weiterhin fehlt nach wie vor eine grundlegende, alles Material iiber Brahms neu

sichtende und verarbeitende, auf den neuesten Stand der Forschung gebrachte umfassende Monographie, bei der das Werk des Komponisten im Mittelpunkt zu

stehen hitte, und von verschiedenen Aspekten her, so stilistischer, soziologischer und psychologischer Art, anzugehen, neu zu deuten und vor allem in Hinsicht auf

Brahms' historische Stellung entsprechend zu begriinden und in einen geistesge- schichtlichen Zusammenhang zu bringen ware. Neben solch grundlegenden und

umfassenden Projekten bediirfen zahlreiche Gebiete weiterer eingehender Untersu-

chung, so die Frage von Brahms' Vorgaingern, Zeitgenossen (vor allem Kleinmei-

ster) und Nachfolgern zur genaueren und eindeutigeren Bestimmung von Brahms'

historischer Stellung, um hier nur einen wesentlichen Komplex herauszugreifen. Das Brahms-Jahr hat bereits seine Schatten vorausgeworfen. Neben groI~en

Schallplatten-Ausgaben werden mehrere Monographien, Faksimile-Ausgaben, so

von Autographen aus der New York Public Library und der Library of Congress,

Washington, vorbereitet. Ein Sammelband Brahms: Biographical, Documentary and Analytical Studies, herausgegeben von R. Pascall (Cambridge, England) mit

Beitrigen von Forschern aus der Bundesrepublik Deutschland, England und den

Vereinigten Staaten von Nordamerika, ist bereits erschienen (Cambridge, Univer-

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I. Fellinger: Zum Stand der Brahms-Forschung 201

sity Press 1983). AuBerdem befindet sich Band 5 der Brahms-Studien, herausgege- ben von der Johannes Brahms Gesellschaft Internationale Vereinigung e. V. (Hamburg), dessen Erscheinen ebenfalls ffr 1983 vorgesehen ist, im Druck.

Wissenschaftliche Tagungen sind zu nennen fiir 5. bis 8. Mai in Washington The International Brahms Conference unter G. S. Bozarth, verbunden mit allabendlichen Lectures and Concerts in der Library of Congress, fuir 26. bis 28. Mai in Hamburg das Symposion Brahms und seine Zeit unter C. Floros im Rahmen der Brahms- Wochen der Freien und Hansestadt Hamburg 1983, fuir 8. bis 11. Juli in London die Brahms Conference unter M. Musgrave, fur 8. bis 11. September in Linz das Symposion Johannes Brahms und Anton Bruckner, veranstaltet vom Anton Bruckner Institut Linz unter 0. Wessely, und fuir 10. bis 15. November der Brahms- KongreI? Wien 1983, organisiert von der Osterreichischen Gesellschaft ffir Musik- wissenschaft in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die geplanten wissenschaftlichen Veranstaltun- gen das bestehende Brahms-Bild in verschiedener Richtung zu vervollstaindigen, zu

erginzen, zu vertiefen, zu modifizieren oder auch abzuwandeln verm6gen. Es spricht einiges dafiir, daI? von den wissenschaftlichen Zusammenkiinften des Jahres 1983 wesentliche Anregungen ffr die kiinftige Brahms-Forschung ausgehen werden.

(Abgeschlossen am 31. Mairz 1983)

Die Bruckner-Forschung seit 1945 (III)

Eine kommentierte Bibliographie

WINFRIED KIRSCH (FRANKFURT/M.)

Vorbemerkungen

Fuir diesen Teil III der Bibliographie sowie fuir den in Jahrgang 1984, Fasc. I, erscheinenden Schlu1teil gilt die im Vorwort dieses Forschungsberichtes (1981, Fasc. II) genannte zeitliche Begrenzung (1945-1980). Die Literatur iiber Bruckners Werk, die es hier zu recherchieren und gleichsam aufzuarbeiten galt, geht - zumal wenn man auch an die z. B. als Rezensionen, Schallplattenbegleittexte etc. erschie- nenen sogenannten ,nichtwissenschaftlichen' Beitraige denkt - ins Unermegliche. Dabei sind die Grenzen zwischen forschungsrelevanten Studien und feuilletonisti- schen Arbeiten mitunter flie1end, was vor allem darauf zuriickzufiihren ist, da1 sich bereits hinter einer Vielzahl von z. T. recht anspruchsvollen Titeln der eigentlichen Bruckner-Literatur selbst Beitrige von lediglich Tageswert oder nur relativ geringer Wissenschaftsrelevanz verbergen. Da zu vermuten ist, da1 dieses Faktum gerade fiir die Bruckner-Literatur symptomatisch ist, wurde die Auswahl der hier

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