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Zur Frage des Icterus neonatorum gravis. Von Dr. St. Kramsztyk (Warschau). (Eingegangen am 1. April 1931.) Vor einigen Monaten verSffentlichte Kleinschmidt (in der Klin. Wsehr.) 2 Fhlle yon Ieterus neonatorum gravis. In dieser Ver5ffent- lichung hat er auf die Wichtigkeit der Blutuntersuchung fiir die Diffe- ren~ialdiagnose dieser seltenen Neugeborenenkrankbeit hingewiesen. Aui3erdem hat er gezeigt, da6 die friihzeitige Blut.transfusion geeigne~ erschein~, die schweren Krankheitserseheinungen zu bessern und die Heilung anzubahnen. Bis vor kurzem war die Frage der Selbst~ndigkeit des schweren famiUhren Icterus neonatorum umstritten, und manche haben diese Erkrankung nur als eine Steigerung der fiir das Neugeborenenal~er charakteristischen Erscheinungen betrachtet. In Wirklichkeit kSnnen die klinischen Erscheinnngen, welehe fiir die familiiire Form des Icterus neona~orum eharakteristisch sind, aueh bei sehweren F/illen des gewShn- lichen Icterus vorkommen, wenn aueh vielleieht nieht alle zusammen; was aber nach der Meinung Kleinschmidts ffir den Ieterus neonatorum gravis als eigenartiger Befund gelten kann -- ist eine hoehgradige Ery- throblastose. Die Blubuntersuchung ist aber bisher erst in wenigen F/illen yon Icterus neonatorum familiaris gesehehen; mi~ 2 eigenen Beobachtungen z/s Kleinschmidt insgesam~ nnr 11 F/~lle mit. h5mato- logisehem Befund ( Ylpp6, Ho//mann, de Lange, de Lange und Arntzenius, Rosenbaum). Kurz vorher, ehe die VerSffentlichung von Klelnschmidt ersehienen ist (Klin. Wschr. Nr. 42 vom 18. X. 1930) habe ich die Gelegenhei~ gehabt, einen Fall yon Ieterus neonatorum gravis zu beobachten, bei dem ich, ohne dal~ mir die diagnos$ische Wichtigkeit des Blutbefundes bei dieser Erkrankung bekannt, die Blutuntersuehung ausgefiihrt und auch einen entsprechenden therapeutischen Eingriff mit Erfolg an- gewandt habe. Am 23. IX; 1930 wurde ich zu einem Kinde zugezogen, das cinch Tag vorhcr in der Familie O. geboren wurde. Das neugeborene Kind war das dritte in der Famflie. Von zwei vorher geborenen war das eine ganz gesund und leb~e, das zweite is$ mit Zeichen eines schweren Ikterus gestorben. Das Kind (Miidchen) war ganz gut entwickeR, mit 3600 g Anfangsgewieht. Schon 6 Stunden nach der Geburt waren ikterische Erseheinungen zu sehen. Am

Zur Frage des Icterus neonatorum gravis

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Page 1: Zur Frage des Icterus neonatorum gravis

Z u r F r a g e des I c t e r u s n e o n a t o r u m g r a v i s .

Von Dr. St. Kramsztyk (Warschau).

(Eingegangen am 1. April 1931.)

Vor einigen Monaten verSffentlichte Kleinschmidt (in der Klin. Wsehr.) 2 Fhlle yon Ieterus neonatorum gravis. In dieser Ver5ffent- lichung ha t er auf die Wichtigkeit der Blutuntersuchung fiir die Diffe- ren~ialdiagnose dieser se l tenen Neugeborenenkrankbeit hingewiesen. Aui3erdem hat er gezeigt, da6 die friihzeitige Blut.transfusion geeigne~ erschein~, die schweren Krankheitserseheinungen zu bessern und die Heilung anzubahnen.

Bis vor kurzem war die Frage der Selbst~ndigkeit des schweren famiUhren Icterus neonatorum umstr i t ten, und manche haben diese Erkrankung nur als eine Steigerung der fiir das Neugeborenenal~er charakteristischen Erscheinungen betrachtet. In Wirklichkeit kSnnen die klinischen Erscheinnngen, welehe fiir die familiiire Form des Icterus neona~orum eharakteristisch sind, aueh bei sehweren F/illen des gewShn- lichen Icterus vorkommen, wenn aueh vielleieht nieht alle zusammen; was aber nach der Meinung Kleinschmidts ffir den Ie te rus neonatorum gravis als eigenartiger Befund gelten kann - - ist eine hoehgradige Ery- throblastose. Die Blubuntersuchung ist aber bisher erst in wenigen F/illen yon Icterus neonatorum familiaris gesehehen; mi~ 2 eigenen Beobachtungen z/s Kleinschmidt insgesam~ nnr 11 F/~lle mit. h5mato- logisehem Befund ( Ylpp6, Ho//mann, de Lange, de Lange und Arntzenius, Rosenbaum).

Kurz vorher, ehe die VerSffentlichung von Klelnschmidt ersehienen ist (Klin. Wschr. Nr. 42 vom 18. X. 1930) habe ich die Gelegenhei~ gehabt , einen Fall yon Ieterus neonatorum gravis zu beobachten, bei dem ich, ohne dal~ mir die diagnos$ische Wichtigkeit des Blutbefundes bei dieser Erkrankung bekannt, die Blutuntersuehung ausgefiihrt und auch einen entsprechenden therapeutischen Eingriff mit Erfolg an- gewandt habe.

Am 23. IX; 1930 wurde ich zu einem Kinde zugezogen, das cinch Tag vorhcr in der Familie O. geboren wurde. Das neugeborene Kind war das dritte in der Famflie. Von zwei vorher geborenen war das eine ganz gesund und leb~e, das zweite is$ mit Zeichen eines schweren Ikterus gestorben.

Das Kind (Miidchen) war ganz gut entwickeR, mit 3600 g Anfangsgewieht. Schon 6 Stunden nach der Geburt waren ikterische Erseheinungen zu sehen. Am

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dritten Tage war das. Kind ci~ronengelb, sehwach und math, schlaflos, konn[e nich~ an der Brust saugen. Leber deutlich palpabel, Milz etwas vergrSBert; am Kfrper zahlrelehe Hau~blutungen; deutlieher Opisthotonus. Im Urin 1,8o/0o Ei- weiB, Gallenfarbstoffprobe stark positiv, im Sediment 40--50 rote und 2--3 weiBe BlutkSrperehen im Gesiehtsfelde.

Die am vierten Lebenstage vorgenommene Blutuntersuchung ergab: 2790000 Erythrocyten und 18000 Leukoeyten in 1 cram, darunter waren stabkernige Granuloeyten 1%, segmentkernige 52 %, Monocyten und Ubergangsformen 15 %, Lymphocyten 32%. Die Ery~hrocyten zeigten ausgesprochene Aniso- und Poi- kiloeytose; Poliehromatophflie sehwach angedeute~. Kernhaltige Erythroeyten waren nicht zu finden.

Es unterliegt wohl kaum einem Zweffel, dab es sich in diesem Falle um Icterus neonatorum gravis familiaris handelte. Die Anamnese, die klinische Erscheinungen, die positive Gallenfarbstoffprobe (die be, kalmtlich l~ei gewShnlichem Icterus neonatorum negativ ansfiillt) und endlieh der Blutbefund sprechen dafiir. Es fehlte aber die Erythro- blastose, welche nach der Ansicht Kleinschmidts dab auff~lligste Sym- ptom bildet. Die Erythroblastose bei Icter. n. gravis, wie man aus den bis jetzt verSffentlichten Beobachtungen sehen kann, unterliegt groBen Schwankungen. So z. B. in einem Falle yon de Lange und Arntzenlus 1 Tag nach der Geburt war das Verh~ltnisMer kernhaltigen Erythro- cyten zu den sonstigen kernhal~igen ]~lementen des Blu~es also den Leukocyten 77 : 100, und am 4. Tage nach der Geburt schon nur 0,3 : 100. Da[3 F/~lle schweren Icterus neonatorum familiaris ohne kernhaltige Erythrocyten vorkommen kSmmn, das beweist 1 Fall, beschrieben yon Amerikanern Greenfield und Messer (The Amer. Journ. of reed. Sci., Dezember 1927, zi$. nach de Lange und Arntzenius).

Da der Zustand des Kindes sich yon Tag Zu Tag verschleehter~e, babe ich mich entschlossen, einen energischen therapeu~ischen Ein- griff vorzunehmen. Unter dem Eindruck der kurz vorher verSffent- lichten Arbeit Volhards, welcher als die eigentliche Ursache des Icterus neonatorum und der Hyperbilirubin~mie des Neugeborenen den dutch die Geburt ausgelSsten gesteigerten Erythxocytenzerfall betrachtet, wollte ich zuerst die Bluttransfusion anwenden. Da aber die Eltern des Kindes diesen Eingriff aus gewissen Griinden verwelgert~ " haben, habe ich dem Neugeborenen in~ragluteal etwa 10 ccm Vaterblut inji- ziert. Der Erfolg war gl/inzend, das Kind hat sich allm~hlich erholt und die Ikteruserscheinungen sind zurfickgegangen bis auf den Opistho- tonus, der noch nach 2 Monaten bemerkbar war, aber spiiter spurlos verschwunden ist.

Ers t nach einigen Wochen habe ich in der Ver6ffentlichung yon Kleinschmidt gelesen, dal~ er in der ffiihzeitigen Bluttransfusion ein Mittel, die schweren Krankheitserscheinungen des Icterus neona- forum gravis zu bessern und die Heilung anzubahnen sieht. Auch schon im Jahre 1929 haben Cornelia de Lange und Arntzenius die

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Bluttransfusion bei Ic~erus neonatorum ausgefiihrt. Im Gegensatz zu dem guten Ausgang einer Bluttransfusion hat Kleinschmidt yon zwei vorausgesehickten intramuskul~iren Injektionen yon je 10 ccm Vater- blur keinen Erfolg gesehen. Demgegeniiber erreiehte Pitfield ebenso gute Resultate mit Transfusion wie aueh mit gewShnlichen, subcutanen Injektionen yon Menschenblut, und de Lanqe und Arntzenius haben in Anbetracht der Schwierigkeiten einer Transfusion mit Erfolg Blut- injektionen intragluteal vorgenommen.

Aus allen oben Gesagten kann man wohl den SchluB ziehen, dab man durch die friihzeitige morphologische Blut- und Urinuntersuchung (Gallenfarbstoffprobe) die Diagnose eines Icterus neonatorum gravis familiar~s feststellen kann und durch die ebenso friihzeitige Bluttrans- fusion evtl. Blutinjek~ion die Heilung dieser Erkrankung, gegen welche man frfiher therapoutiseh machtlos war, herbeizuffihren imstande ist.

Literaturverzcichnis. Kleinsvhmidt, Klin. Wschr. ,1930, Nr 42. - - Volhard, Erg. inn. Med. 3~ (1930.) - -

Pitfield, Arch. of Pediatr. 1912. - - de Lange, C., u. Arntzenius, Jb. Kinderheilk. 124 (1929). - - Ylpp~, Z. Kinderheilk. 17, - - Ho]]me~nn, Jb. Kindcrheilk. 105. - - de Lange, Jb. Kinderheflk. 114. - - Rosenbaum, A~cb. of Pediatr. 45 (1928).

Warsehau, Krblewska 35.