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VIII. Aus dem pharmakologisehen Institut yon Professor S. 0. Tsehir- winsky in Jurjew (Dorpat). Zur Frage fiber die Retention des festen ~lageninhaltes beim hungernden Kaninehen. Von Dr. reed. G. Swirski, Assistenten am Institut. W~brend meiner Untersuebun~en tiber die Eisenreaction im Darm- kanale der Meersehweinehen naeh Unterbindung des Duetus chole- doehus bei gleiehzeitiger absoluter Carenz maehte ieh die Beobaeh- tung, dass das dureh Hunger gepeinigte Thier den sieh entleerenden Koth ergriff, bevor er zu Boden fiel. Dureh eine starke Beugung tiber den Baueh gelangt es mit seinen Zahnen direet zum Anus. Dieser Umstand veranlasste mieh, den Thieren einen Maulkorb auf- zusetzea, um mbgliehst einwandsfreie Resultate zu erzielen. Es er- wies sieh hierbei, dass sehon am 3. Tage der Magen der Thiere, in welehem man sonst beim Hungertode immer Inhalt finder, sieh voll- kommen entleerL Der Magen enthalt dana nut etwas klare, sehleimige, stark sauer reagirende Fltissig'keit. 2 Tbiere batten dreimal 2~1 Stun- den, eines viermal 24 Stunden und noeh eines ftinfmal 24 Stunden mit Maulkorb gehungert, und bei keinem dieser Thiere war eine Spur yon festem Inbalte im Magen vorzufinden; beim Hunger yon ein- und zweimal 24 Stunden war regelm~ssig Mageninhalt da. Vom Kaninehen gilt es meines Wissens wenigstens bis zum heutigea Tage, dasses seinen festen Mageninhalt selbst unter Hungerzust~nden, die zum Tode filhren, nieht abgebe. R ubner~) maebt bei Gelegen- heir der Construction eines Drahtgitters, auf alas die hungernden 1) Ueber den Stoffwechsel im hungernden Pflanzenfresser. Zeitschrift ffir Biologie Bd. XVII, 1881~ S. 216.

Zur Frage über die Retention des festen Mageninhaltes beim hungernden Kaninchen

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Aus dem pharmakologisehen Institut yon Professor S. 0. T s e h i r - w i n s k y in Jurjew (Dorpat).

Zur Frage fiber die Retent ion des festen ~lageninhaltes beim hunge rnden Kaninehen.

Von

Dr. reed. G. Swirski, Assistenten am Ins t i tu t .

W~brend meiner Untersuebun~en tiber die Eisenreaction im Darm- kanale der Meersehweinehen naeh Unterbindung des Duetus chole- doehus bei gleiehzeitiger absoluter Carenz maehte ieh die Beobaeh- tung, dass das dureh Hunger gepeinigte Thier den s ieh entleerenden Koth ergriff, bevor er zu Boden fiel. Dureh eine starke Beugung tiber den Baueh gelangt es mit seinen Zahnen direet zum Anus. Dieser Umstand veranlasste mieh, den Thieren einen Maulkorb auf- zusetzea, um mbgliehst einwandsfreie Resultate zu erzielen. Es er- wies sieh hierbei, dass sehon am 3. Tage der Magen der Thiere, in welehem man sonst beim Hungertode immer Inhalt finder, sieh voll- kommen entleerL Der Magen enthalt dana nut etwas klare, sehleimige, stark sauer reagirende Fltissig'keit. 2 Tbiere batten dreimal 2~1 Stun- den, eines viermal 24 Stunden und noeh eines ftinfmal 24 Stunden mit Maulkorb gehungert, und bei keinem dieser Thiere war eine Spur yon festem Inbalte im Magen vorzufinden; beim Hunger yon ein- und zweimal 24 Stunden war regelm~ssig Mageninhalt da. Vom Kaninehen gilt es meines Wissens wenigstens bis zum heutigea Tage, dasses seinen festen Mageninhalt selbst unter Hungerzust~nden, die zum Tode filhren, nieht abgebe. R ubner~) maebt bei Gelegen- heir der Construction eines Drahtgitters, auf alas die hungernden

1) Ueber den Stoffwechsel im hungernden Pflanzenfresser. Zeitschrift ffir Biologie Bd. XVII, 1881~ S. 216.

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Kaninchen gesetzt wurden, damit sic den Koth nieht erreichten~ die Anmerkung: ~Auf diese Wcise wird der Kotb alsbald vom Thierc getrennL was nothwendig ist, weil die hungernden Kaninchen h~ufig ihren Kotb auffressen; es beruht v i e l l e i e h t hierauf die Ang'abe, dass Kaninchen infolge yon Nahrungsentziehung zu Grundc gehen, obwohl sich noch Speisereste in ihrem Magen befinden. ~ Da R u b ner keine Sectionsbefunde mittheilt, aus denen hervorginge~ dass dureh die obengenannte Maassnahme eine vollkommenc Entleerung des Magens crzielt worden w~re, so muss ieh annehmcn, dass der Magen nicht leer gewesen ist, denn sonst h~tte genannter Autor das Weft ,vielleieht ~ nicht gebraucht. Ferner erwahnt H e i d e n h a i n 0 bei der Besprechung des Auftretens der Wanderzellen unter Hungerzu- st~tnden in Bezug auf hungernde Kaninchen folgendes: ~,Manche Kaninehen fi-essen yon sclbst gem Milch. Wenn sic dieselbe vcr- weigern, kann man die ungewohnte Nahrung leieht mit der Schlund- sonde injiciren. Sind die Thiere auf die cinc odor die andere Weise l~ngere Zeit mit Milch ern~hrt, so enfleert der Magcn seinen ge- sammten festen Inhalt, yon welebem er b e k a n n t l i e h im Hung'er- zustande nicht frei wird. Im Magen wie im Darme finder sich reich- lick Fltissigkeit." Aus dem Angefiihrten ist zu ersehen, dass die Anschauung tier Physiologen fiber die Rentention der festen Bestand- theile des M~gens hungernder Kaninehen cine ailgemcin vcrbreitetc ist. Der Grund liegt darin, dass die Scetionen, welche an hungern- den Kaninehen gemacht worden sind, stets einen mehr oder weniger geftillten Magen aufwiesen.

Schon B i d d e r und S c h m i d t 2) erw~hnen im Laufe ihrer Ver- suche fiber die GrSsse der Leberseeretion, dass der Magen und Darm der Kaninehen, selbst nach 24stlindiger Entziehung yon lqahrung, noeh reichliche Mengen yon nur halbverdauten Speisen enthiclt. - - So heisst es bei Versueh 2 im Sectionsprotokolle eines jungen weib- lichen Kaninchens, das 26 Stunden yon aller Nuhrung ferngehalten worden war: ,,Magen und Durmkanal w~ren noch reichlich ange- ftlllt, die Chylusgefasse milohweiss. ~ In tier Arbeit yon Oehotin3), der seine Hungerthiere in 5 Gruppen theilt, und zwar in solehe, die

1) Beitrage zur Histologie and Physiologie der Dtinndarmsehleimhaut. Arehiv f. d. ges. Physiologic yon Pf l t ige r Bd. XLIII. Supplementheft 1888. S. 38.

2) Die VerdaaungssM'te und der StoffwechseL Eine physioJog.-chemische Untersnchung. Mitau u. Leipzig 1852. S. 193.

3) Pathologiseh-anatomische Ver~nderungen und der Gaswechsel bei hungern- den Kuninchen. &us dem L~boratorium fi~r allgemeine und experimentelle Patho- logie des Prof. W.W. P a s c h u t i n . St. Petersburg 1885. Inaug.-Diss. (russiseh).

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30--36:262 18--20 und 4 Proe. des Anfangsgewiehtes verloren hatten~ finder man im Seetionsprotokolle ffir die erste Gruppe: ~Der Maven ist angeftillt mit einem ziemlich dieken~ griinlichen Brei. ~ Fiir die zweite Gruppe: ,Der Magen und Colon entbalten eine ziemlieh be- deutende Menge eines dicken, klebrigen, grtinlich-dunklen Breies." Ftir die dritte Gruppe: ~Der Magen enth~tlt eine bedeutende Menge diekliehen~ dunkelgrtinen Breies>: M a n k o w s k i ~ ) , der zu seinen Versuchen 6 Kaninchen verwandte, fand nur bet einem Weibehen~ das 48 Proe. an Gewicht verloren hatte, vollkommen leeren Magen~ bet den iibrigen~ die yon 27--28 Proc. an Gewiehtsverlust auf- wiescn~ war der Magen stark angefiillt mit einem dunkelbraunen Speisebrei.

v. K n i e r i e m 2) giebt das Sectionsprotokoll eines Kaninehens~ das auch in das Lehrbuch voa B u n g e iibergeg'angen ist. Es wurde mit rohfaserfreier Nahrun~ geftittert uad yore Magea heisst es: ~Im Magen befand sieh nut Schleim und die Anfiinge einer Entztindung in dem Pylorustheil."

Auf Grundlage der Erfahrung an den Meersehweinehen musste es yon Interesse seth, diese Verh~ltnisse am Kaninehen zu unter- suehen.

Am 19./IX. 1897 wurde einem m~nnliehen Kaninchen yon 1332 g Gewieht ein Maulkorb aus Messingdraht aufgesetzt, naehdem das Thier 2 Tagc vorher sehr stark mit Griitze~ Gras und Kohlblattern gefiittert worden war. Der Maulkorb musste aber mit einem feinen Draht um- sponnen werden~ da die energisehsten Versuche yon Seiten des Versuehs- thieres gemacht wurden~ den Koth dureh die Seitenliieken des Korbes hineinzupressen.

Den 20./IX. 1244 g schwer. Man siehl Koth auf dem Boden liegen. Am 21./IX. 1152 g schwer. Koth ist hinzugekommen. Das Thier macht die verzweifeltsten Anstrengungen~ sich yore Maulkorbe zu befreien~ wobei es sich immer riiekwarts fibersehliigt. Am 22./IX. 1072 g sehwer~ eolossale Unruhe. Kein Koth hinzugekommen. Am 23.fiX. morgens wurde es todt ira K~fig vol-gefunden. Leiehe 984 g sehwer. Bei dem viermM 24 Stunden dauernden Hunger hatte es 26~12 Prec. des Anfangsgewichtes eingebtlsst.

S e c t i o n : Aeusserste Abmagerung. Bet der ErSffnung der Baueh- hShle fallt die prallgeftillte Harnblase auf. Der Harn reagirt saner und enth~ilt bedeutende Eiweissmengen. Der Magen ist stark eontrahirt und klein. Sehon (lurch das Geftihl tiberzeugt man sich davon~ dass keine festen Substanzen in ibm enthalten sind. Bet der ErSffnung erweis~ es

1) Zur Frage vom Hungern. (tlistologische Untersuchung.) Inaug.-Disser- tation. St. l~etersburg 1882.

2) Ueber die Verwerthung der Cellulose. Zeitschrift f. Biologie Bd. XXI. 1885. A r c h i v f. experiment. Pathol. u. PharmakoL XLI. Bd. 10

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sigh, dass a t teh n i e h t e i n e S p u r y o n f e s t e m I n h a l t d a r i n i s t . Den Inhalt bildet ein sehr dickfltissiger Sehleim~ der den Wiinden des Magens so iiberaus lest anhaftet~ dass es nar mtihsam gelingt~ denselben yon der Mueosa za entfernen. Die mehr zam Centrum gelegene Pattie des Schleimes hat eine w~sserige Besehaffenheit. Die ~ueosa selbst ist anseheinend gesund. Im Duodenum etwas weissliche Fltissigkeit~ im Jejunum dieseibe yon geiblieher Farbeo Die Maeosa des Anfangstheiles des Du0deaums etwas hyper~miseh; die folgendea Dfinndarmtheile weisen niehts Abnormes aufi Das Coeeum miissig geftillt~ enth~lt Koth yon dnnkelbranner Farbe and gewShnlicher Consistenz. Der obere Theil des Diekdarmes voll~ im nn~eren Theile wenig Inhalt.

Wi t sehen, dass bet Hunger yon viermal 24 Stunden unter Aus- sehluss der MSglichkeit des Kothfi'essens der Magcn leer ist und dahcr seinen gesammten Inhalt abgiebt nnd ni tht , wie al lgemein angenommen wird, die festen Bestandtheile znrtiekhitlt.

Die letzteren bestchen bet Hungerzustitnden yon mehr als 3 his 4 Tagen ohne Application eines Manlkorbes n u r aus gefressenem Koth. Es differirt mithin die For tbewegung des festen Magen- inhaltes beim Kaninehen in Nichts yon der beim 5Ieersehweinehen. W, ie vorsiehtig man aber bet den Versuehen sein muss~ ergiebt sieh aus dem znerst anseheinend negativen Resultate meiner gersuehe.

Am 6./IX. 1897 wurde ein Kaninchen mgnnlichen OesehieehteS yon 1455 g Gewieht mit einem Maulkorbe ~Tersehen~ nachdem es 2 Tage vor- her stark mit rohfaserhal~ig'en Subsianzen geftittert worden war.

Am 7./IX. 1423 g schwer. Kein Koth auf dem Boden des K~figs. Am 8./IX. 1305 g schwer. Man sieht Koth. Am 9./IX. 1235 g schwer. Kein Koth an bemerken. Das Thief

maeht die grSssten Anstrengnngen~ den Koth dutch den Maulkorb bin- dutch zu pressen~ was anch night unmSglich erschien. Es wird daher ein Sttick grober Leinewaad um die Gegend des Maulkorbes gebunden~ welehe dem Manle entspricht.

Am 10./IX. 1166 g sehwer. Der Koth ist anscheinend geringer ge- worden. Jetzt erst warde leider die Beobachtung gemaeht, dass das Thier eine Stelle des Zeages durehgenagt hatte. Run wird Draht am die schad- hafte Stelie gefloehten~ wo die Leinwand sieh befand. Am Naehmittage wieder mehr Koth zu bemerken.

A_m 12./IX. 978 g sGhwer. Das Thier liegt auf der Seite und athmet langsam - - 24 Respirationea in tier Minute. Es scheint das Ende nahe zu sein; dureh Entblaten (SGhnitt durch die Halsgefiisse) wird es getSdtet. Verlust des Anfangsgewichtes 32~3 Proe.

S e c t i o n : Der Magen, 8 em [ang~ ist stark eontrahirt am seinen lessen Inhalt. Der Inhalt ist fast ganz trocken and stellt eine griine, faserige Mass% der Haare beigemisGht sind~ dar. Im Duodenum nur etwas Fliissigkeit. Derselbe Befund im ganzen Diinndarme. Im Coeeum ziem- lieh viel halbfitissiger Inhalt yon dankelbrauner Farbe. Der obere DiGk- darm enth~lt mehr ~nhalt als der nntere.

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Die Gewichtsbestimmungen sind file naeh Abzug des Maulkorb_ gewiehtes gemacht worden. Das zu gleieher Zeit auf absolute Carenz ohne Manlkorb gesctzte Controlthier wog am:

6./IX. 1897 1410 g. 7./IX. 1377 g. Kein Koth im Kitfig zu bemerken. &fiX. 1283 g. Kein Koth. Das Thier sitzt ruhig in einer Ecke

des K~figs. 9./IX. 1232 g. Kein Koth. Das Thief unver~ndert ruhig. 10./IX. 1215 g. Derselbe Befund. 12./IX. t101 g. D~ das Res~lltat am Versuchsthier anscbeinend

negativ ausgefallen war~ wurde das Controlthier, das um 21~9 Prec. des Anfangsgewiehtes abgenommeu hart% wieder aufgefiitterg und zwar war es am 16./IX. 1165 g sehwer.

Wie sind nun solche F~tlle zu erklgren, in denen der Magen, wie im Fall yon M a n k o w s k i und im Fall yon K n i e r i e m ~ leer vorgefunden wurde? Im letzteren Fall giebt das Protokoll an, dass das Thief veto 11. October bis zum 1. December, dem Todestage. fltissige his halbweiche Ausleerungen hatte. Diese hat as nieht ver- werthen kSnnen, weil der Koth zu fliissig, rohfaserfrei war, oder well das paralytisohe Stadium des ttungerns sich lange ausdehnte und das Thier den Koth nicht mehr ergreifen konnte. Im Falle yon M a n k o w s k i sind leider gar keine Anhaltspunkte far eine Erkl~trung zu gewinnen, da keine Protokolle mitgetheilt sin&

Aus dem Mittgetheilten kSnnen folgende Schlfisse gezogen werden: 1. Dass der Magen des hungerndcn Kaninchens seinen festen

Inhalt nieht zuriickhiilt. 2. Dass tier Magen der Kaninehcn, die fiber 4 Tag'e gehungert

haben, nur gefressenen Koth enthalten kann. 3. Dass in Bezug auf die Fortbewegang des festen Magen-

inhaltes zwisehen Meersehweinehen und Kanineben kein Unterscbied besteht.

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