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(Aus der Nervenabteilung des Botkinschen Krankenhauses in Moskau. Direktor: S. A. Tschuguno]/.) Zur Frage fiber die Ver~inderungen der cerebrospinaIen Fliissigkeit naeh der Eneephalographie. Von Prof. S. A. TschugunML (Eingegangen am 20. Mai 1929.) Das Einfiihren yon Luft und anderen Gasen in die Gehirnventrikel und in die Subarachnoidalr/~ume des Gehirns zu diagnostischen Zweeken kann bei weitem nicht als eiue fiir den Kranken ungef/~hrliche und un- sch/~dliche Methode betrachtet werden. Darin stimmt die Mehrzahl der Verfasser, welche Ventrieulographie sowie Eneephalographie an- wandten, iiberein. In dieser Hinsicht ist die Erforsehung der Komplikationen, welche diese diagnostische Methode mit sich fiihrt, besonders wichtig, da sie einerseits die MSglichkeit gibt, in diese Methode Ver/~nderungen ein- zuftihren, die sie weniger gef/ihrlich machen, anderseits Stiitzpunkte fiir die LSsung der Frage bietet, ob im gegebenen Fall Encephalographie angezeigt ist oder nicht. In dieser Hinsicht ist es sehr interessant, die Reaktion, welche seitens der Hirnhaut und des Ependyms der Hirn- ventrikel bei Einblasen von gasartigen Stoffen besteht, zu studieren. Wie bekannt, entwickeln sich bei dieser Operation zweierlei Erschei- nungen. Die einen entstehen bereits w/~hrend der Prozedur des Er- satzes der cerebrospinalen Fliissigkeit durch Gas. Diese sind: Kopf- schmerzen, U'belkeit, Erbrechen, vasomotorische StSrungen, Ver/i, nde- rungen des Pulses, des Blutdruekes und der Atmung. Diese Erschei- nungen lassen sich durch Sehwankungen des Sch/ideldruekes erkl/iren und erinnern an die StSrungen, welche bei Dekompressions-Operationen auf dem Sch/~del beobachtet werden. Man kann sie als ,,friihe Kompli- kationen" bei Pneumoeephalographie betrachten. Die andere l~eihe yon Erscheinungen entwiekelt sich sofort nach Einblasen yon Luft. Sie treten sehon am Ende des Einblasungs- prozesses auf und erreiehen den HShepunkt nach 24--48 Stunden. Dies ist eine bestandige und typisehe t~eaktion seitens der Hirn- h~ute und des Ependyms tier Ventrikel auf die eingefiihrtea Gase.

Zur Frage über die Veränderungen der cerebrospinalen Flüssigkeit nach der Encephalographie

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Page 1: Zur Frage über die Veränderungen der cerebrospinalen Flüssigkeit nach der Encephalographie

(Aus der Nervenabteilung des Botkinschen Krankenhauses in Moskau. Direktor: S. A. Tschuguno]/.)

Zur Frage fiber die Ver~inderungen der cerebrospinaIen Fliissigkeit naeh der Eneephalographie.

Von

Prof. S. A. TschugunML

(Eingegangen am 20. Mai 1929.)

Das Einfiihren yon Luft und anderen Gasen in die Gehirnventrikel und in die Subarachnoidalr/~ume des Gehirns zu diagnostischen Zweeken kann bei weitem nicht als eiue fiir den Kranken ungef/~hrliche und un- sch/~dliche Methode betrachtet werden. Darin stimmt die Mehrzahl der Verfasser, welche Ventrieulographie sowie Eneephalographie an- wandten, iiberein.

In dieser Hinsicht ist die Erforsehung der Komplikationen, welche diese diagnostische Methode mit sich fiihrt, besonders wichtig, da sie einerseits die MSglichkeit gibt, in diese Methode Ver/~nderungen ein- zuftihren, die sie weniger gef/ihrlich machen, anderseits Stiitzpunkte fiir die LSsung der Frage bietet, ob im gegebenen Fall Encephalographie angezeigt ist oder nicht. In dieser Hinsicht ist es sehr interessant, die Reaktion, welche seitens der Hirnhaut und des Ependyms der Hirn- ventrikel bei Einblasen von gasartigen Stoffen besteht, zu studieren. Wie bekannt, entwickeln sich bei dieser Operation zweierlei Erschei- nungen. Die einen entstehen bereits w/~hrend der Prozedur des Er- satzes der cerebrospinalen Fliissigkeit durch Gas. Diese sind: Kopf- schmerzen, U'belkeit, Erbrechen, vasomotorische StSrungen, Ver/i, nde- rungen des Pulses, des Blutdruekes und der Atmung. Diese Erschei- nungen lassen sich durch Sehwankungen des Sch/ideldruekes erkl/iren und erinnern an die StSrungen, welche bei Dekompressions-Operationen auf dem Sch/~del beobachtet werden. Man kann sie als ,,friihe Kompli- kationen" bei Pneumoeephalographie betrachten.

Die andere l~eihe yon Erscheinungen entwiekelt sich sofort nach Einblasen yon Luft. Sie treten sehon am Ende des Einblasungs- prozesses auf und erreiehen den HShepunkt nach 24--48 Stunden.

Dies ist eine bestandige und typisehe t~eaktion seitens der Hirn- h~ute und des Ependyms tier Ventrikel auf die eingefiihrtea Gase.

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Zu diesen ,,sp/~ten Komplikationen" gehSrt vor allem die Ent- wicklung eines fieberhaften Zustandes, weleher nach unseren eigenen Beobachtungen, die 106 Fi~lle yon Ventrieulo- bzw. Enceph~/lographie umfassen, in 78 % der F/~lle beobachtet wird.

TemperaturerhShung wird gewShnlich gegen Abend des Tages, an dem die Operation ausgeffihrt wird, beobaehtet, seltener nach 24 bis 36 Stunden nach derselben. Die Temperatur steigt in der Mehrzahl der F/~lle bis 37,5--38,0 ~ und erreicht ihr Maximum gewShnlich am zweiten Tage, um darauf bis auf die Norm zu fallen. Im Drittel der F/ille des Fieberzustandes dauert derselbe 24 Stunden, im Drittel der F~lle 48 Stunden und nur in geringen Fi~llen fiber 3 Tage.

Das Fieber nach der Pneumocephalographie wird yon allen Ver- fassern beobachtet. In einzelnen F/~llen land eine Temperatursteige- rung bis auf 39--40 ~ statt (Jiingling, Pen/ield u. a.).

Dieser Fieberzustand wird yon meningealen Symptomen begleitet: Rigidit~t der Occipitalmuskeln, mehr oder weniger ausgesprochenes Symptom Kernigs, Hyper/~sthesie der Haut usw. (Jiingling, Alwens- Hirsch, Herrmann u. a.).

Die Kopfschmerzen halten an und werden manchmal von Erbrechen begleitet. In einem Falle habe ieh eine voriibergehende Harnentleerungs- stSrung beobaehtet.

Das grSl~te Interesse bieten die Ver/~nderungen der cerebrospinalen Flfissigkeit.

Der erste, weleher die Aufmerksamkeit darauf lenkte, war Herrmann. In einer Reihe yon F/~llen der Encephalographie gelang es ihm, eine ErhShung des EiweiBgehaltes, Erscheinung der Globulinreaktionen und Vermehrung yon Zellenelementen zu konstatieren.

Diese Angaben wurden spi~terhin yon Thurzo, Mader, Liebermeister und Jiingling bekr/~ftigt. Thurzo und Nagy fanden gleichfalls, da[~ die kolloidalen Reaktionen eine mehr oder weniger ausgesprochene Menin- gealkurve aufweisen. Gleichzeitig stellten Jiingling, Elektrowitsch, Tyczka und Backhaus in einigen FMlen der Pneumocephalographie eine ErhShung des Druckes der cerebrospinalen Flfissigkeit fest. Manchmal stieg der Druck urns Zweifache, und diese ErhShung hielt einige Tage an.

Zweeks Priifung dieser Beobaehtungen wurde in 32 F/~llen der Ence- phalographie, die in letzter Zeit yon mir vorgenommen wurden, die cere- brospinale Flfissigkeit systematiseh untersucht. In allen diesen F/~llen konnte man mehr oder weniger bedeutende Ver/inderungen der eere- brospinalen Flfissigkeit wahrnehmen. Als Regel wurde (in 100 %) eine Vermehrung der Zellenelemente konstatiert, wobei sich das Verh~lt- nis der Lymphocyten zu den Neutrophilen zugunsten der letzteren ver~nderte. Manchmal erreichte die Hyperleukocytose eine betr~chtliche Zahl (bis 115 Zellenelemente in ! cem).

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Was die Erh6hung des Eiweil~stoffes und die positivcn Globulin- reaktionen anbetrifft (Nonne.Apelt, Weichbrodt und Pandy), so gelang cs, diese Ver~nderungen in 60 % der FMle zu beobachten.

Die ErhShung des Sch~deldruckes, welcher mit dem Apparat von H. Claud gemessen wurde, land auch ziemlich oft statt : in 26 F~tllen yon 32, was gegen 82 % ausmacht.

Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, entstanden dicse Ver~nderungen schon gegen Ende des Prozesses des Lufteinblasens. W~hrend der zwei folgenden Tage erreichten sie ihr Maximum und nahmen darauf mchr oder weniger schnell ab, um dann ganz zu verschwinden. Hin- sichtlich Verlauf dieser Ver~nderungen konnte man seitens der cerebro- spinalen Fliissigkeit einen vollst~ndigen Parallelismus zu der Tempe- raturerhShung und den Meningealsymptomen, welche in den der Pneumocephalographie folgenden Tagen beobachtet wurden, konsta- tieren.

Auf diese Weise entdecken wir in der cerebrospinalen Fliissigkeit Kennzeichen eines exsudativen und proliferativen Prozesses der ]:Iirn- h/bite. Dcr Eiweil~gehalt steigert sich. Es erscheinen Globuline, welche aus dem Blut in die Flfissigkeit fibergehen. Die Zellenel'emente ver- mehren sich. Dabei ver/~ndert sich das Verh/iltnis der Lymphocyten zu den Neutrophilen zugunsten der letzteren, wie das bei akuten Ent- zfindungsprozessen in den Hirnh~uten beobachtet wird.

Herrmann bcobachtete sogar Vorg/inge der Karyokinese in den Zellenelementen der cerebrospinalen Fliissigkeit nach Verlauf yon 2 bis 3 Tagen nach dem Einblasen yon Luft.

Die Produktion der cerebrospinalen Flfissigkeit steigert sich, bc- sonders nach 36 Stunden nach dem Einblasen, was sich in der ErhShung des Sch/ideldruckes /iul~ert.

Das klinische Bild der Kranken w/~hrend dieser Periode ist ~tul~erst charakteristisch ffir das Reizen der Hirnh~ute: Kopfschmerzen, Hyper- tome der Occipitalmuskeln, Syndrom Kernigs, Hyper/~sthesie der Haut. Eine Lumbalpunktion und die darauffolgende Abfiihrung eines Tells der Fliissigkeit erleichtert gewShnlich den Zustand der Kranken.

Auf diese wohltuende Wirkung der Abfiihrung yon 20--30--40 ccm Fliissigkeit weisen viele Verfasser hin (Jiingling, Pen/ield, Backhaus u.a.) . Dandy und Grant empfehlen bei der Encephalographie als Regel die Entfernung der eingefiihrten Luft nach der Aufnahme. Bis auf 30 ccm Luft kSnnen durch einfache Aspiration enffernt werden; grSl~ere Mengen der L u f t mfissen durch ausgepumpte cerebrospinale Fliissigkeit oder physiologische LSsung ersetzt werden. Sicard emp- fiehlt nach der Aufnahme eine Trendelenburger Lagerung und Ent- fernung der aus dem Sch/~del in den Subarachnoidalraum der Lenden- gegend vorgedrungenen Luft mit Hilfe der lumbalen Punktion.

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dcr cerebrospinalen Fliissigkeit nach der Encephalographie. 455

~

.~ �9

G l o b u l i n e

Cytose

EiweiB

D r u c k

Globuline

Cytose

Eiwel~

Quantit~t d e r eingeblasenen Luft in c c m

I I l + § 2 4 7 ~ ~1~ ~!~ ~1~ ~!~ ~1~ ~J~ ~ ~1 ~ ~

2

I § 2 4 7 I l § 2 4 7

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Dieser Prozel~ in den ttirnh/~uten ruff eine TemperaturerhShung her- vor, welehe desto bedeutender und desto andauernder ist, je sehi~rfer die Symptome des ,,Meningismus" ausgepri~gt sind.

Die Annahme, dal~ mit der eingeblasenen Luft pathogcne Mikro- organismen eindringen, ist nieht begrtindet. Die Untersuehungen von Herrmann haben wenigstens - - was Mikroorganismen anbetrifft - - ein verneinendes Resultat gegeben u n d e r spricht yon einer aseptischen Meningitis. I m Falle Jiingling wurde in den Ventrikeln gleiehfalls aseptisches Exsudat mit Fibringerinmmg und eine groBe Anzahl yon Leukocyten vorgefunden.

Anderseits ist, wie bekannt, die erregende Wirkung verschiedencr Gase, welche in die Hohlr/~ume des Gehirns und seiner H/iute einge- fiihrt werden, nicht in jedem Falle die gleiehe. An erster Stelle steht der Sauerstoff, an zweiter Luft und an dritter Kohlens/~ure. Mit anderen Worten: die physisch-chemische Beschaffenheit spielt die Hauptrolle bei der Entwickelung der Reizerscheinungen seitens der Hirnh/iute und des Ependyms.

Es ist also anzunehmen, dab wir bei Encephalographie es mit einer l~eizung der Hirnh/tute und des Ependyms durch das eingefiihrte Gas dank seiner physisch-chemisehen Eigenschaften zu tun haben.

Das Einftihren von Luft in die Ventrikel und in die Subarachnoidal- r~ume des Gehirnes ruft folglich die Entwiekelung einer akuten ser6sen Meningitis hervor. Zwar fiihrt diese Meningitis keine lebensgef/~hrlichen StSrungen mit sich, kann aber eine gewisse Verschlimmerung des Zu- standes des Kranken hervorrufen, besonders bei Entzfindungskrank- heiten des Gehirnes. So z. B. in F~llen yon Parkinsonismus bemerkte ich eine zweifellose Verschlimmerung nach der Pneumocephalographic. Deshalb verdienen in praktischer Hinsicht eine besondere Beachtung diejenigen VorsichtsmaBnahmen, welche Dandy und Grant empfehlen, n~mlich Wiedereinftihrung der ausgepumpten cerebrospinalen Flfissig- keit oder physiologischer L6sung in die Subarachnoidalr~ume. Sicard, wie oben erwEhnt, empfiehlt eine Entfernung der eingefiihrten Luft mittels Punktion in Trendelenburgscher Lagerung.

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